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Kinder Kinder in die Schule: «...Mein Glück» Kinder von der Strasse: Sind Kinder Unrat? Lebensmut für Kinder: Raum und Vertrauen geben März 2013 Bericht für die Patinnen und Paten

Kindermagazin Caritas Schweiz

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Das Kindermagazin 2013 enthält Informationen zu allen Kinderpatenschafts-Projekten der Caritas Schweiz.

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Kinder

Kinder in die Schule: «...Mein Glück»

Kinder von der Strasse: Sind Kinder Unrat?

Lebensmut für Kinder: Raum und Vertrauen geben

März 2013

Bericht für die Patinnen und Paten

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2 Caritas «Kinder» 2013

Die Welt aus der Sicht

eines ruandischen Strassenkindes.

Inhalt

4 ■ Bangladesch Das kleine Wunder von Malabor 6 ■ Kolumbien «Die Schule, mein Glück» 7 ■ Uganda Vom Musterschüler zum Sorgenkind 8 ■ Haiti und Tschetschenien In der Schule auf die Beine kommen 11 ■ Äthiopien «Wie unterrichte ich 60 Kinder in einem Raum?» 12 ■ Nicaragua Mehr Schule, weniger Arbeit 14 ■ Spenderporträt «Ein kleines Stück Gerechtigkeit» 15 ■ Bolivien «Ich will weg von der Strasse» 16 ■ Brasilien Sind Kinder Unrat? 18 ■ Ruanda Zurück zur Familie 20 ■ Interview «Jedes Kind braucht Liebe und Sicherheit» 22 ■ Kuba «Mein Kind gehört dazu» 24 ■ Philippinen Der Albtraum hat ein Ende 26 ■ Tadschikistan «Behinderte Kinder? Das gab es nicht» 28 ■ Bolivien «Eine Familie ist das Wichtigste» 29 ■ Palästina Angst und Armut fressen die Seele auf 30 ■ Kolumbien «Für dich gibt es kein Zurück» 32 ■ Paten fragen – Kinder antworten

Titelbild: Pia Zanetti; Redaktion und Gestaltung: Caritas Schweiz; Papier: Carisma Silk, 100 % recycling

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«Kinder» 2013 Caritas 3

Liebe Patin Lieber Pate

Zu welchem Baum wächst ein Setzling heran, auf dem Tag für Tag herumgetreten wird? Zu welchen Erwachse-nen werden Kinder, die Hunger leiden, Gewalt erleben, die Schule nicht besuchen und erfahren, dass sie nichts wert sind? Elend und Not fressen sich tief in die Seelen dieser kleinen Menschen ein – Menschen, die ihr Leben doch einmal in die eigenen Hände nehmen und für sich und ihre Familien sorgen sollen.

«Was für eine Zukunft bieten wir Kindern, die ausge-grenzt werden und in Armut aufwachsen müssen?», fragt die vierfache Mutter, fünffache Grossmutter, Hebamme und Ständerätin Liliane Maury Pasquier in diesem Heft. Und sie ergänzt: «Armut ist eines der grössten Verbre-chen, das man an Kindern begehen kann.»

Sie, liebe Patin, lieber Pate, haben eine Antwort auf Frau Pasquiers Frage gefunden. Sie wollen es nicht zu-lassen, dass Kinderseelen verletzt werden. Mit einer oder sogar mit mehreren Patenschaften setzen Sie sich dafür ein, dass Kinder Schutz, Liebe und Hilfe erfahren.

Die Welt der Caritas-Kinderprojekte ist vielfältig und voller Leben. Genau so soll auch der Einblick sein, den wir Ihnen mit diesem Bericht ermöglichen. Kinder be-richten über ihre eigene Geschichte, Mitarbeitende geben Auskunft über die Herausforderungen und Erfolge in ihren Projekten.

Es ist ein buntes Heft, das Ihnen das Leben dieser Kin-der zeigt – auch ihre Freuden, ihr Leid, ihre Zuversicht. Ich freue mich, dass Sie so am Leben Ihrer Patenkinder teilnehmen können und erfahren, was wir mit Ihren Pa-tenschaftsbeiträgen machen. Für Ihre grosszügige Unter-stützung danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Therese BurachKinderpatenschaften

Stück für Stück eine gerechtere Welt

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Kinder in die Schule ■ Bangladesch

Das kleine Wunder von Malabor

Die Tage von Surji Rani sind lang: Von 7 bis 9 Uhr morgens näht sie Kleider, von 10 bis 15 Uhr besucht sie die Schule, danach widmet sie sich der Produktion des Wurmkomposts. Ihren Tag beschliesst sie wieder am Nähtisch. «Gute Arbeit zu leisten ist eine Herausforderung, die mit Erfolg belohnt wird», meint die 15 Jahre alte Unternehmerin aus Malabor in Bangladesch.

Siebzig Franken pro Monat verdient Surji Rani mit ihrem Nähatelier und mit der Produktion von organi-schem Dünger. Das ist in Bangladesch ein stolzer Betrag.

Einen Teil davon inves-tiert das Mädchen in ihr Geschäft, schafft sich eine neue Nähmaschine an und bestellt bei einem Händler aus der Stadt Meterware für das klei-ne Tuchlager. Einen wei-teren Teil investiert sie in ihre eigene Bildung: Das Schulgeld für die Ober-stufe berappt sie selber. Schliesslich unterstützt sie ihre Familie – mit einem monatlichen Bei-

trag von zwölf Franken. «Inzwischen fragen mich meine Eltern um Rat, bevor sie eine grössere Anschaffung täti-gen», erzählt Surji stolz.

Der Wert eines MädchensDabei war Surjis Lebensweg anders vorgezeichnet. Als Tochter eines armen Bauern, der seine neunköpfige Fa-milie kaum ernähren konnte, hatte sie wenig Chancen, dem Teufelskreis von Armut und Not zu entgehen. Doch

im Alter von elf Jahren fand Surji Aufnahme in einer von den Caritas-Patinnen und -Paten unterstützten Schule von CMES (Center for Mass Education in Science). Die Schule veränderte ihr Leben. «Es ist keine gewöhnliche Schule», betont Surji. «Ich habe dort gelernt, dass auch Mädchen selbstständig sein können. Und dann habe ich gelernt, Kleider zu fertigen und mit der Zucht von Wür-mern Dünger für die Landwirtschaft herzustellen.»

Weg aus der ArmutNeben dem Lesen, Schreiben und Rechnen waren es diese praktischen Kurse, die Surji auf den Weg der Un-ternehmerin brachten – ein Erfolgsweg, wie sich bald zeigte. «Von meinem Vater wusste ich, wie viel Geld er für chemischen Dünger brauchte. Dabei wirkt der Wurmkompost-Dünger, den ich in der Schule herzustel-len gelernt habe, genauso gut. Und er ist viel günstiger. Zwar war meine Grossmutter, die mir das Geld für die erste Produktion geliehen hat, zuerst skeptisch. Aber es funktionierte, und ich kann den Dünger gut verkaufen.»

Als Unternehmerin denkenAuch ihr Nähatelier hat Surji mit viel unternehmerischem Talent aufgebaut. Sie hat sich mit der Frage der Kon-kurrenz auseinandergesetzt und über die Bedeutung von Mode nachgedacht: «Die Reise in die Stadt ist teuer, aber nur dort bekommt man Kleider in modernen Farben und Mustern. Ich kaufe schönen Stoff ein und stelle diese Klei-der für die Frauen hier im Dorf her.» Mit ihren fünfzehn Jahren ist Surji Rani für viele junge Frauen und Mädchen in ihrem Dorf ein Vorbild. Und es wirkt alles andere als altklug, wenn sie sagt: «Ich ermutige sie alle, in die Schule zu gehen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln.» ■

Text: Jörg Arnold; Bilder: Maja Hürlimann / Caritas Schweiz

Vorbild für junge Frauen im Dorf:

die 15 Jahre alte Unternehmerin

Surji Rani.

4 Caritas «Kinder» 2013

Eigenes Nähatelier, eigene

Kompostproduktion: Surji Rani

hat ihr Leben gepackt.

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«Kinder» 2013 Caritas 5

Bangladesch: Ihr Stück gerechtere Welt

Die kleinen Unternehmerinnen

Die Caritas-Kinderpatenschaften unterstützen die Schulzentren des «Center for Mass Education in Science» (CMES). Dank dieser Bildungsinitiative des Physikers Ibrahim Mohammed haben heute rund 20 000 Schülerinnen und Schüler aus ärmsten Verhält-nissen einen Zugang zu Bildung. In einem einzigartigen Lehrgang erhalten sie eine schulische Grundbildung und eine praktische Ausbildung, dank der sie eine eigene Existenzgrundlage aufbauen können.

Gut zu wissen:– Im Jahr 2012 wurden an den beiden von Caritas

unterstützten Schulzentren in Jaldhaka und Malgara insgesamt 1042 Kinder und Jugendliche ausgebildet.

– Die Schülerinnen und Schüler aller CMES-Schulen engagierten sich im letzten Halbjahr mit insgesamt 1430 Theatern und Aktionen für soziale Gerechtig-keit in ihren Gemeinden.

– 90 Franken je Grundschuljahr kosten Schulbücher, Hefte und Stifte für 30 Kinder.

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Kinder in die Schule ■ Kolumbien

«Die Schule, mein Glück»

Er ist zehn Jahre alt, ein geschäftiger junger Mann und stolz darauf, zum Volk der Páez zu gehören: Yesid Giovanni Trochez besucht die Landwirtschaftsschule Juan Tama. Ein grosses Glück, wie er meint.

Warum bist Du so glücklich, dass Du die Schule Juan Tama besuchen kannst?Weil sie für mich wie ein zweites Zuhause ist. Hier treffe ich andere Schüler, auch aus anderen Kulturen,

zum Beispiel Afrokolumbianer und Mestizen. Wir spie-len, haben Spass miteinander und können viel lernen.

Was lernst Du genau?Wir haben einen normalen Schulunterricht, mit Mathe und so, das ist ja klar. Ich lerne aber auch biologische Landwirtschaft, und dass wir zur Mutter Erde Sorge tragen müssen.

Was gefällt Dir am meisten?Mir gefällt, dass ich hier viele Dinge lerne, die ich in Zukunft brauchen kann. Ich möchte zum Beispiel später ein guter Leader in meiner Gemeinschaft werden. Ich gehöre dem Volk der Páez an und werde meinen Leuten alles, was ich lerne, weitergeben.

Gibt es etwas, das Dir überhaupt nicht gefällt?Wir haben kein Internet. Deshalb können wir gewisse Aufgaben fast nicht lösen. Manchmal müssten wir nach Informationen suchen, und ohne Internet ist das müh-sam. Ich wünschte, wir hätten Computer und Internet in der Schule. ■

Kolumbien: Ihr Stück gerechtere Welt

Lernen fürs Leben

Im Departement Cauca bietet die Landwirtschafts-schule Juan Tama mehrheitlich indigenen (indiani-schen) Kindern einen Sekundarschulabschluss sowie eine Ausbildung in ökologischer und nachhaltiger Landwirtschaft. Durch die konsequent neutrale Haltung der Schule gegenüber bewaffneten Para-militärs und Rebellen und dank viel Verhandlungs-geschick ist hier eine Art Friedensinsel entstanden.

Gut zu wissen:– Im Jahr 2012 haben 240 Kinder und Jugendliche

die Schule besucht.– Die Schülerschaft setzt sich aus verschiedenen

indigenen Ethnien (zum Beispiel Páez und Wounaan) und aus Schülerinnen und Schülern mit afrokolumbianischer und weisser Herkunft zusammen.

– Eine Schuluniform kostet 10 Franken.

Text: Dominique Schärer; Bilder: Juan Tama 6 Caritas «Kinder» 2013

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Kinder in die Schule ■ Uganda

Vom Musterschüler zum Sorgenkind

Uganda war einst Musterschüler im Kampf ge-gen HIV und AIDS. In den letzten Jahren aber wendete sich das Blatt, und die Infektionsraten stiegen erneut an. Besonders für Kinder ist diese Entwicklung fatal.

Die Zahl der AIDS-Waisen beläuft sich nach Schätzungen der UNO auf erschreckende 1,2 Millionen. Im Sommer 2012 haben neue Zahlen aufgezeigt, dass sich dies in absehbarer Zeit nicht ändern dürfte. In fünf Jahren ist die Quote der von HIV und AIDS Betroffenen von 6,4 auf 7,3 Prozent angestiegen. Fachleute sind besorgt über die hohe Zahl von Neuinfektionen.

Was offizielle Statistiken für das ganze Land zeigen, ist auch auf der Ebene des von Caritas Schweiz un-terstützten Kinderpatenschaftsprojekts sichtbar. «Wir stellen fest, dass zunehmend mehr AIDS-Waisen zu uns kommen. Sie klopfen bei uns an die Tür und bitten um finanzielle Unterstützung», sagt Sister Liliane von der Caritas-Partnerorganisation «Sisters of Our Lady of Good Counsel» in Mbarara.

Was sind die Gründe dafür, dass es nach den in den 1990er Jahren erzielten Erfolgen in der AIDS-Prävention in Uganda nun auf einmal eine solch negative Entwick-

«Kinder» 2013 Caritas 7

Uganda: Ihr Stück gerechtere Welt

Eine Chance für AIDS-Waisen

Die Caritas-Partnerorganisation «Sisters of Our Lady of Good Counsel» macht es AIDS-Waisen möglich, trotz Armut die Schule zu besuchen. Die Kinder und ihr familiäres Umfeld werden sozialpädagogisch beraten und unterstützt.

Gut zu wissen:– 140 Waisen können die Schule besuchen und wer-

den von einer Sozialpädagogin betreut.– In Workshops lernen die Kinder, Armut, Krankheit

und psychische Belastungen besser zu meistern.– 15 Franken kostet die Schuluniform für ein Kind.

lung gibt? Eine Ursache liegt darin, dass vor zehn Jah-ren die Aufforderung, enthaltsam und treu zu sein, zur zentralen Botschaft der AIDS-Prävention erhoben wur-de. Die Aufforderung, Kondome zu benutzen, trat vor allem in Präventionsprogrammen, die mit US-Geldern finanziert wurden, in den Hintergrund, dies unter dem starken Einfluss von evangelikalen Kreisen. Aber auch die zunehmende Verfügbarkeit von Medikamenten gegen AIDS führte dazu, dass die Angst vor der Krankheit sank und viele Leute vor Risikoverhalten nicht mehr zurück-schreckten. «Die Menschen gehen nicht rücksichtsvoll mit ihrer Gesundheit um», meint Sister Liliane dazu.

«Was AIDS-Waisen brauchen, ist Behandlung und Beratung. Wir ermutigen sie aber vor allem, zu sein wie andere Menschen, ihr Leben mutig in die Hand zu neh-men und zur Schule zu gehen», sagt Sister Liliane. ■

Text: Stefan Gribi; Bild: Sisters of Our Lady of Good Counsel

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8 Caritas «Kinder» 2013

Kinder in die Schule ■

Haiti: Ihr Stück gerechtere Welt

Mit Bildung gegen die Armut

In Haiti lebt die Hälfte der Bevölkerung in grösster Armut. Die beiden Caritas-Patenschaftsprojekte enga-gieren sich für eine bessere Schulbildung. So unterstüt-zen die Patinnen und Paten die Schule von Trou Sable, die im Elendsviertel von Gonaïves den ärmsten Fami-lien einen Kindergarten, eine Primarschule und eine bis zum Abitur reichende Oberstufe anbietet. Auch in Les Cayes im Südwesten von Haiti unterstützt Caritas 15 Schulen und fördert die Ausbildung der Lehrkräfte.

Gut zu wissen:– Insgesamt werden in Trou Sable im Moment rund

1500 Kinder und Jugendliche unterrichtet.– 2400 Kinder besuchen im Südwesten die Schulen

von Les Cayes.– 450 Franken kostet ein Tageskurs mit professio-

neller Betreuung zur psychischen Unterstützung von 10 Kindern.

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«Kinder» 2013 Caritas 9

Kinder in die Schule ■ Haiti und Tschetschenien

In der Schule auf die Beine kommen

Kinder sollen sich gesund und unbeschwert entwickeln können. Nur so profitieren sie von der Schule und können ein stabiles Funda-ment für ihr späteres Leben bauen. In Haiti und Tschetschenien untergräbt nicht nur die Armut die psychische Gesundheit vieler Kinder. Sie leiden auch unter den traumatisierenden Folgen von Naturkatastrophen und Krieg. Wirksame Hilfe ist möglich – im Kindergarten und in der Schule.

750 000: das ist die erschreckend hohe Zahl der Kin-der, die nach Angaben der haitianischen Regierung vom verheerenden Erdbeben im Januar 2010 in Mitleiden-schaft gezogen wurden. Die Befürchtung, dass sie alle trau matisiert sind, trifft in der Realität glücklicher-weise nicht zu: «Viele dieser Kinder hatten die persön-liche Stärke und das notwendige Umfeld, um nach dem Schock in kurzer Zeit wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren», erklärt Dr. Jeanne Marjorie Joseph, Koordinatorin der Caritas-Partnerorganisation Uramel, die auf Traumabewältigung spezialisiert ist. Sorgen machen der Ärztin jene Kinder, die tiefe Verletzungen erlitten haben und deren Probleme nie richtig erkannt wurden.

«Die häufigsten Symptome sind Konzentrations-schwierigkeiten und eine verminderte schulische Leis-tung. Manche Kinder werden misstrauisch und nervös. Sie wenden viel Energie dafür auf, nicht an die schlim-men Ereignisse zu denken», führt Dr. Joseph aus. Kopf- und Bauchschmerzen, Angstzustände, grosse Trauer und Hyperaktivität sind weitere Symptome, unter denen

Text: Stefan Gribi; Bild: Simon Degelo / Caritas Schweiz

die Kinder leiden. Lange nicht alle Traumatisierungen lassen sich durch das Erdbeben erklären, hat Uramel festgestellt. Nicht selten sind sie auch auf Gewalt in der Familie zurückzuführen.

Bedürfnisse der Kinder verstehenIm Patenschaftsprojekt in der haitianischen Stadt Gonaï-ves hat Caritas die Organisation Uramel beigezogen, um die Kinder zu stärken. Die Schule im Armenquartier Trou Sable hat Kinder aus Familien aufgenommen, die nach dem Erdbeben aus Port-au-Prince geflohen sind. «Zuerst haben wir mit den Lehrerinnen und Lehrern an einer positiven Einstellung gearbeitet. Unser Ziel war es, dass sie die Bedürfnisse der Kinder verstehen und dass sie erkennen können, welche Kinder besondere Unterstüt-zung brauchen.» In den Kursen mit den Kindern ging es dann spielerisch zu und her: Über Zeichnen, Theater und Singen konnten die Kinder Gefühle über schwierige Er-fahrungen ausdrücken. Die Kinder lernten dabei auch, wie sie Stress abbauen und sich entspannen können. «Ein Mädchen, das zuvor über mehrere Monate immer wieder das Essen verweigerte, hat nach einer unserer Veranstal-tungen zurück zu einer normalen Ernährung gefunden», erzählt Dr. Joseph. Es sind solche Erfolge, die ihr zeigen, dass sie sich mit ihrer Arbeit auf dem richtigen Weg befindet.

Dem Erdbeben von 2010 entkommen:

Jessica (11) verarbeitet ihr Trauma

mit kreativen Tätigkeiten.

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10 Caritas «Kinder» 2013

Eltern, die unter Stress stehen. Sie behalten die Kinder lieber im Haus, weil sie den öffentlichen Raum aufgrund ihrer Erfahrung als gefährlich betrachten. Die Caritas-Kindergärten wirken dem entgegen und ermöglichen den Kindern eine ganzheitliche Entwicklung. Märchen, Lie-der, Rollenspiel, Handarbeit mit verschiedenen Materia-lien: der konkrete Alltag sieht sehr ähnlich aus wie in einem Kindergarten in der Schweiz. «Unser Ziel ist es, dass sich die Kinder möglichst unbeschwert entwickeln können», fasst Peter Staudacher zusammen. ■

Tschetschenien: anders und doch gleichZehntausend Kilometer weiter östlich, in Tschetsche-nien, ist zwar die Situation ganz anders, aber die Bedürf-nisse der Kinder bleiben die gleichen. «Die Kinder inte-ressiert es wenig, warum in ihrer Familie Unruhe oder gar Gewalt herrscht», sagt Peter Staudacher, Projekt-verantwortlicher der Caritas. Die Kinder können sich an den Krieg, der 30 000 Menschenleben forderte und 2009 nur formell beendet wurde, selbst nicht erinnern, und trotzdem leiden sie unter seinen Folgen. Es sind ihre

Tschetschenien: Ihr Stück gerechtere Welt

Selbstbewusst ins Leben

Caritas setzt sich dafür ein, dass tschetschenische Kinder eine frühkindliche Förderung nach den Grund-sätzen moderner Pädagogik erhalten. Eine ganzheit-liche Förderung der Kinder unterstützt die friedliche Entwicklung der kriegsversehrten Gesellschaft. Die Kindergarten-Lehrpersonen erhalten die dazu notwen-dige Weiterbildung.

Gut zu wissen:– In vier Dörfern können derzeit 320 Kinder einen

Kindergarten der Caritas besuchen.– 1600 Kinder haben seit 2006 einen Caritas-Kinder-

garten erfolgreich durchlaufen.– Auch Kinder mit körperlichen oder geistigen Behin-

derungen finden in den Caritas-Kindergärten Platz.– Für 50 Franken kann eine grosse Kiste mit Holz-

Bauklötzen aus einer tschetschenischen Schreinerei gefüllt werden.

Bild: Initiativa/Grosny

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«Kinder» 2013 Caritas 11

Kinder in die Schule ■ Äthiopien

«Wie unterrichte ich 60 Kinder in einem Raum?»

Zwei Luzerner Lehrerinnen, Andrea Bühlmann und Anita Rüegg, unterrichteten Englisch an der von den Caritas-Patinnen und -Paten unter-stützten Schule im ostäthiopischen Bergdorf Midagdu. Ein Abenteuer.

« In der St. Mary School unterrichten 14 Lehrer über 800 Schüler. Es ist schwierig, für die länd-liche Schule Lehrer zu finden, denn die Löhne sind sehr tief. Der Schul-direktor stellt uns den Kindern vor und erklärt auf Amharisch, dass wir die nächsten fünf Wo-chen Englisch unterrich-ten. Wir blicken in die Klasse und merken erst, dass sie aus mehr als 60 Kindern besteht. Die

Schülerinnen und Schüler sitzen teils zu viert an einer Schulbank, bis zu acht teilen sie sich ein Schulbuch. Die Schule kostet pro Semester einen Franken, die Hefte zehn Rappen, die Bücher 50 Rappen und die Schuluniform

sechs Franken. Das können sich nicht alle Eltern für ihre Kinder leisten. Obwohl es an der Schule vieles zu ver-bessern gäbe – mehr Bücher, kleinere Klassen –, sind wir immer wieder froh zu sehen, dass es in Midagdu über-haupt eine Schule gibt und wie viele Kinder schon zur Schule gehen. Dies ist nicht selbstverständlich, denn von

Äthiopien: Ihr Stück gerechtere Welt

Schule für Bauernkinder

Auch Kinder auf dem Land sollen Zugang zu einer Schule haben. Das ist das Ziel der von Caritas geführten Schulen im Osten und Norden Äthiopiens. Sie ergänzen das Angebot der Regierung, das bei weitem noch nicht flächendeckend ist.

Gut zu wissen:– In Ostäthiopien unterstützt Caritas Schweiz

acht ländliche Primarschulen und einen Kinder-garten für 3000 Kinder.

– In der nördlichen Region Tigray fördert Caritas 18 Primarschulen, eine Sekundarschule und drei Kindergärten. Davon profitieren 3800 Kinder und Jugendliche.

– Zehn Volleybälle für den Sportunterricht kosten 150 Franken, acht Volleyballnetze für die acht Schulen 65 Franken.

der älteren Generation im Dorf hat kaum jemand eine Schule besucht. Früher hatte eine Frau nur die Möglich-keit, früh zu heiraten und Kinder zu kriegen.» ■

Text: Anita Rüegg, Andrea Bühlmann; Bilder: Schule Midagdu

Unterrichteten in der Schule im

ostäthiopischen Dorf Midagdu:

Anita Rüegg (links) und Andrea

Bühlmann (rechts) mit einer der

lokalen Lehrerinnen.

«Wir sind immer wieder froh zu sehen, dass es in Midagdu überhaupt eine Schule gibt.»

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12 Caritas «Kinder» 2013

Kinder in die Schule ■

Nicaragua: Ihr Stück gerechtere Welt

Den Anschluss nicht verpassen

In Nicaragua sorgt Caritas in San Lucas und Posoltega zusammen mit lokalen Partnerorganisationen dafür, dass arbeitende Kinder die Schule besuchen können. Beide Projekte können die Kinderarbeit zwar nicht kurzfristig abschaffen, diese aber einschränken und weniger gefährlich machen.

Gut zu wissen:– Dank den Partnerorganisationen Instituto de Promo-

ción Humana (INPRHU) und Asociación Los Quinchos können 860 Kinder die Schule besuchen.

– 350 Eltern werden in die Aktivitäten einbezogen.– Ein Basispaket mit Stiften, Heften und Schulranzen

kostet rund 13 Franken.

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«Kinder» 2013 Caritas 13

Kinder in die Schule ■ Nicaragua

Mehr Schule, weniger Arbeit

In Nicaragua ist Kinderarbeit Alltag. Dank Caritas können Kinder trotz Arbeit die Schule besuchen. Lígia Moreno, Caritas-Koordinatorin in Managua, erklärt, warum sich Schule und Arbeit nicht ausschliessen.

Kinderarbeit in Nicaragua – gibt es Zahlen dazu?Es wird geschätzt, dass in unserem Land rund 240 000 Kinder unter 15 Jahren einer Arbeit nachgehen. Das sind 15 Prozent aller Kinder. Damit

ist Nicaragua eines der Länder mit dem höchsten Anteil an Kinderarbeit in Lateinamerika.

Welche Arbeiten verrichten die Kinder?Kinderarbeit ist vor allem in armen ländlichen Regionen ein Problem. Da müssen Kinder in der Landwirtschaft Schwerstarbeit leisten: sie ernten Mais oder Kaffee, hü-ten Vieh oder hacken Brennholz. Die grossen Plantagen dürfen zwar keine Kinder unter 14 Jahren anstellen, doch die Kontrollen sind dürftig. In den Städten wiede-rum sind sie als fliegende Händler oder auf Märkten tä-tig, wo das Umfeld oft alles andere als kindergerecht ist.

Was unternimmt die Regierung dagegen?Nicaragua hat 1990 die Kinderrechtskonvention unter-zeichnet und damit anerkannt, dass die Menschenrechte auch für Kinder gelten. In der Folge wurde ein gutes Gesetz erarbeitet, und die Regierung setzte es sich zum Ziel, die Kinderarbeit bis 2020 abzuschaffen. Doch in der Praxis fehlt es an Investitionen in Bildung sowie an

Text: Dominique Schärer; Bilder: Elba Ileana Molina/Kanal 10, zVg

Aufklärung und Weiterbildung für die Eltern – denn Kinderarbeit ist nicht nur armutsbedingt, sondern auch ein kulturelles Problem.

Wie wirken Caritas und ihre Partnerorganisationen der Kinderarbeit entgegen?Wir arbeiten mit den Familien sowie mit Schulen und Behörden zusammen. Die Kinder sollen Erwerbstätigkeit und Schule kombinieren können, indem sie die Arbeits-stunden reduzieren und Schulstunden nachholen. Wir geben auch Schulmaterial wie Hefte, Stifte und Schul-ranzen ab und bieten Mittagstische an. Solche Mass-nahmen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder die Schule kontinuierlich besuchen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Behörden und Schulen aus?Unsere Partnerorganisationen qualifizieren so genannte «ländliche Ausbildner», welche die Arbeit der Lehrer ergänzen, Elternarbeit leisten und den Kindern die Mög-lichkeit geben, tagsüber verpassten Unterricht abends nachzuholen. Denn gerade auf dem Land ist die Situa tion in den Schulen prekär – auf einen Lehrer kommen bis zu 120 Schüler.

Es geht also nicht darum, Kinderarbeit ganz abzuschaffen? Widerspricht Caritas damit nicht den eigenen Grundsätzen?Grundsätzlich ist Kinderarbeit ein Armutsproblem und eine Verletzung der Menschenrechte, das ist so. Nur dank Bildung können die Kinder ihre Rechte einfordern und der Armut entfliehen. Kurzfristig geht es jedoch darum, dass die Familie ihr Einkommen nicht verliert und die Kinder gleichzeitig die Schule besuchen können. Auch sollen sie ungefährliche, altersgerechte Arbeiten erledigen: also Hühner hüten und Gärten giessen statt mit gefährlichen Macheten Brennholz schneiden. ■

Harte Arbeit auf einer

Zuckerrohrplantage: der Alltag

vieler Kinder in Nicaragua.

Page 14: Kindermagazin Caritas Schweiz

14 Caritas «Kinder» 2013

«Ein kleines Stück Gerechtigkeit»

Reto Weber finanziert seit 16 Jahren sechs Caritas-Kinder-patenschaften. Er will das Glück teilen.

Im Alltag gelebter Umweltschutz, im Spendenverhal-ten soziales Engagement: dem gelernten Bahnbetriebs-disponenten Reto Weber ist beides wichtig. So hatte der 39-Jährige schon immer ein Flair für den öffentlichen Verkehr; er arbeitete als Velokurier und eine Saison lang für die Vierwaldstättersee-Schifffahrt, bevor er vor zehn

Jahren zur SBB zurückkehrte, wo er schon seine Lehre absolviert hatte. Heute ist er am Ticketschalter oder im Reisezentrum des Luzerner Bahnhofs anzutreffen – «eine Arbeit am Puls der Zeit und im Strudel des Alltags», wie er sagt. Er sei ein Bewegungsmensch mit Mass, sagt er über seine Hobbies, die vom Velofahren über Wandern bis hin zum Langlauf allesamt in der Natur stattfinden. In die Ferien reisen er und seine Frau nie mit dem Flugzeug: «Auch per Bahn und Schiff schafft man es nach Tunesien oder Marokko», sagt er fröhlich und erzählt von einer Velotour, die ihn von Luzern nach Istanbul führte.

Effizientes SpendenIn Webers Herz gibt es neben der Sorge zur Umwelt auch Platz für soziales Engagement: Nach seiner Ausbildung

liebäugelte er eine Weile mit einem sozialen Beruf und arbeitete während vier Jahren als Teilzeit-Verkäufer im Fairtrade-Laden Unica in Luzern. «Das Verkaufen hat mir schon immer Spass gemacht, und es war schön, für eine sinnvolle Organisation tätig zu sein», blickt er zu-rück. Via Fairtrade stiess er auch auf die Kinderpaten-

schaften; seit 16 Jahren finanziert er sechs davon. «Kin-der sind die schwächsten Glieder in der Gesellschaft, insbesondere in Entwicklungsländern», sagt Reto Weber dazu. Mit seiner Unterstützung möchte er das Glück ein wenig ausgleichen, dass er ohne sein Zutun in der rei-chen Schweiz geboren wurde. Das Spenden beschränkt er aus Effizienzgründen auf die Caritas-Kinderpaten-schaften, ohne ihnen inhaltlich viel Aufmerksamkeit zu schenken. «Ich hoffe, dass meine Spende ein kleines Stück Gerechtigkeit schafft, und überlasse den Rest der Caritas – im Vertrauen darauf, dass Caritas effiziente Arbeit leistet», sagt Weber pragmatisch. Und solange es sein Budget zulasse, sehe er auch keinen Grund, daran etwas zu ändern. ■

Text: Dominique Schärer; Bild: Pia Zanetti / Caritas Schweiz

«Ich möchte das Glück etwas ausgleichen, dass ich in der reichen Schweiz geboren wurde.»

Page 15: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 15

Kinder von der Strasse ■ Bolivien

«Ich will weg von der Strasse»

Elizabeth (17) lebt auf den Strassen von La Paz. Im Zentrum des Caritas-Partners Fundación La Paz fühlt sie sich aufgehoben und sicher.

« Die Nächte verbringe ich meist in einer Ab-steige. Am Morgen su-che ich meine Freunde. Wir betteln gemeinsam, stehlen und manchmal bieten wir uns an. Wir brauchen Geld fürs Es-sen und für Drogen. Alle meine Freunde schnüffeln Leim, wir nennen es «das Fliegen». Es hilft uns, den Hunger, die Kälte und die Schmerzen zu vergessen.

Wenn mir noch Geld übrig bleibt, kaufe ich meinen jün-geren Geschwistern Süssigkeiten. Ich lebe auf der Stras-se, seit ich zwölf Jahre alt bin. Meine Mutter hat uns

Bolivien: Ihr Stück gerechtere Welt

Start in ein neues Leben

Die Caritas-Partnerorganisation Fundación La Paz gibt Kindern und Jugendlichen, die auf der Strasse leben, eine neue Zukunftsperspektive, indem sie mit ihnen ein «Lebensprojekt» plant und umsetzt. Zum Gesamtprogramm gehören Krippen und Vorschul-einrichtungen, Unterkünfte, Workshops sowie Ange-bote zur Persönlichkeitsstärkung und zur Schul- und Berufsausbildung.

Gut zu wissen:– Dank den Kinderpatenschaften von Caritas

Schweiz erhalten jährlich rund 1000 Strassenkinder die Chance, ihr Leben zu verbessern.

– Bei nur 10 bis 20 Prozent der Kinder, die von ihrer Familie verstossen wurden, ist eine Rückkehr nach Hause möglich.

– Die medizinische Untersuchung eines Kindes kostet rund 20 Franken.

Text: Dominique Schärer; Bilder: Fundación La Paz

Von der Strasse wegkommen: ein

gemeinsames Ziel von Elizabeth

und der Fundación La Paz.

früh verlassen. Mein Vater ist meist betrunken. Er half mir auch nicht, als sich mein Stiefbruder an mir verging. Deswegen bin ich von zu Hause fortgelaufen. Ich habe mich an das Leben auf der Strasse gewöhnt. Ich bin froh, dass ich im Zentrum der Fundación La Paz ein warmes Mittagessen bekomme und danach Workshops besuchen kann. Wir backen Brot, basteln, lernen unseren Selbstwert kennen und waschen unsere Kleider. Es ist wichtig, dass ich zu meiner Gesundheit schaue, weil ich HIV-positiv bin. Im Zentrum fühle ich mich sicher und ruhig. Ich will weg von der Strasse. Aber ich habe auch Angst davor, denn meine Freunde sind meine Familie geworden.» ■

Page 16: Kindermagazin Caritas Schweiz

16 Caritas «Kinder» 2013

Kinder von der Strasse ■

Brasilien: Ihr Stück gerechtere Welt

Ein Recht auf die Zukunft

In Rio de Janeiro schützt Caritas zusammen mit der Organisation São Martinho Strassenkinder und ver-sucht, sie in ein normales Leben zurückzuführen. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter leisten Betreu-ungsarbeit auf der Strasse. Ein Mittagstisch, Stütz-unterricht und verschiedenste Freizeitaktivitäten bieten Struktur. Jugendliche werden auf die Arbeitswelt vor-bereitet und in Unternehmen vermittelt. Damit sie nicht auf der Strasse landen, unterstützt Caritas im Norden und Nordosten Brasiliens besonders gefährdete Kin-der und Jugendliche mit diversen Freizeitangeboten.

Ein weiterer Fokus liegt auf der Lobbyarbeit für Kinder-rechte. Das Programm stärkt die Kinder und Jugend-lichen darin, selbst für ihre Rechte einzustehen.

Gut zu wissen:– 240 Franken beträgt der Wochenlohn eines Sozial-

arbeiters, der mit rund 45 Strassenkindern arbeitet.– Jedes Jahr besuchen bei São Martinho rund

300 Jugendliche den Vorbereitungskurs für eine anschliessende Berufslehre.

– Mit 80 Franken kann ein Strassenkind einen Monat lang mit einem Frühstück und einem Mittagessen versorgt werden.

Page 17: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 17

Kinder von der Strasse ■ Brasilien

Text: Jörg Arnold; Bild: Jaime Silva

Sind Kinder Unrat?

Es soll ein Fest der Superlative werden. Mit den Fussball-Weltmeisterschaften 2014 und den Olympischen Spielen 2016 will sich Brasilien von seiner besten Seite zeigen. Was die präch-tigen Bilder von der Copacabana zu stören droht, wird weggeräumt. Dazu gehören die Stras senkinder.

In Brasilien laufen die Vorbereitungen auf die bedeut-samsten Sportereignisse der Welt auf Hochtouren. Die Fussball-Weltmeisterschaften 2014 und die Olympiade 2016 in Rio de Janeiro lösen Investitionen im zweistel-ligen Milliardenbereich aus. Fieberhaft wird an der In-frastruktur gearbeitet, neue Sportstadien, Hotels und Flugplätze entstehen. Zu den Investitionsbereichen ge-hört auch die Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Raum. Geschätzte 1,7 Milliarden Schweizer Franken lässt sich das der brasilianische Staat kosten. Die Verdrängung von Strassenkindern aus dem Strassenbild von Rio de Janeiro ist eine der Massnahmen. Denn bettelnde Sechs-jährige, drogenabhängige Jugendliche und raubende Kin-dergangs passen nicht zum Bild von Rio de Janeiro, das man Milliarden von TV-Zuschauern weltweit zeigen will.

Aus dem Auge, aus dem SinnMit Unterstützung der Militärpolizei hat die Wohlfahrts-behörde von Rio de Janeiro damit begonnen, Strassen-kinder einzusammeln und sie zwangsweise in Unter-künfte zu verfrachten, die ausserhalb des Stadtzentrums liegen. Dort bleiben sie sich selber überlassen. «Mit Gewalt werden die Kinder von der Strasse vertrieben. Das treibt sie nur noch tiefer ins Elend», sagt Leonardo

Costa von der Caritas-Partnerorganisation São Mar-tinho besorgt. «Diese Kinder sind aber vor der Armut und der Gewalt zu Hause geflohen. Sie brauchen eine Alternative, die attraktiver ist als die trügerische Freiheit auf der Strasse. Mit Polizeigewalt zerstört der Staat das Vertrauen der Kinder vollends, dass es diese Alternative überhaupt gibt.»

Fliehen und abtauchenDie staatliche Repression hat vor allem einen Effekt: Die Strassenkinder verstecken sich und sind für Hilfsorgani-sationen wie São Martinho, die sich mit Unterstützung von Caritas für sie einsetzt, immer schwerer erreichbar. «Es ist härter geworden auf der Strasse», berichtet der 17-jährige Strassenjunge Andrea. «Heute sind alle immer auf der Flucht vor der Polizei.»

Wichtige politische ArbeitAuf politischer Ebene setzt sich Caritas zusammen mit São Martinho dafür ein, dass die Strassenkinder durch die repressiven Massnahmen nicht in noch grösseres Elend geraten. Sie engagieren sich in sogenannten «Bür-gerräten» und versuchen auf diesem Weg, Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben. Es ist das Ziel von Caritas, dass die Rechte der Strassenkinder ge-wahrt bleiben und sie auch weiterhin eine faire Chance haben, einen Weg aus dem Teufelskreis von Gewalt und Armut zu finden. ■

Immer auf der Flucht vor

der Polizei: ein Strassenkind

von Rio de Janeiro.

Page 18: Kindermagazin Caritas Schweiz

18 Caritas «Kinder» 2013

Kinder von der Strasse ■ Ruanda

Zurück zur Familie

Ruandas Hauptstadt Kigali erlebt dank Investi-tionen aus China einen Wirtschaftsboom. Doch der neue Wohlstand ist ungleich verteilt. Immer weiter geht die Schere zwischen Reich und Arm auf. Zuunterst fristen die Strassenkinder ein trauriges Dasein. Caritas hilft ihnen, wieder zurück in ihre Familien zu finden.

Kinder prägen das Strassenbild von Kigali. Viele von ih-nen sind von zu Hause geflohen und kümmern sich selbst um ihr Überleben: leimschnüffelnde Strassenkinder, die schon längst nicht mehr zur Schule gehen. Je länger sie auf der Strasse leben, desto schwieriger ist der Weg zu-rück in die Familie oder in das verwandtschaftliche Netz.

Schutz und ZuwendungMit Unterstützung von Caritas kümmert sich die lokale Partnerorganisation Abadacogora-Intwari um die Stras-senkinder. Sie unterhält drei Zentren, in denen Kinder und Jugendliche zwischen sechs und fünfzehn Jahren betreut werden. Ziel ist es, sie wieder in die Gesellschaft einzu-gliedern – in die Familie, in die Schule, in den Beruf. Die Kinder nehmen an Alphabetisierungskursen, Nachhol- oder Fremdsprachenunterricht teil, sie erhalten Mahlzei-ten, psychologische und medizinische Betreuung, werden für gesundheitliche Themen wie HIV/AIDS sensibilisiert und profitieren von verschiedenen Freizeitangeboten. Den Jüngeren wird geholfen, den Weg zurück in die öffentli-che Schule zu finden, den Älteren werden Lehrstellen in verschiedensten Kleinunternehmen vermittelt.

Spiel und Erholung: Jonathan

(Zweiter von links) spielt mit

anderen Strassenkindern in

einem Zentrum, wo sie Schutz

und Betreuung gefunden haben.

Text: Ulrike Seifart; Bilder: Nadja R. Buser / Caritas Schweiz

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«Kinder» 2013 Caritas 19

Ein wichtiges Ziel ist die Rückkehr in die Familie. Denn trotz Armut bietet sie die besten Chancen für ein stabiles soziales Umfeld. Der zwölfjährige Jonathan Ndagiji-mana hat den Weg zurück gefunden.

«In die Schule bin ich kaum mehr gegangen»Jonathan lebte zwei Jahre lang auf der Strasse. «Ich habe Alteisen gesammelt und damit ein bisschen Geld verdient, um Essen zu kaufen. Für die Schule hatte ich keine Zeit mehr», blickt er zurück. Eines Tages hätten ihn Mitarbeiter ins Nyamirambo-Zentrum eingeladen. «Ich habe gedacht, da kriege ich was, und habe mal vor-beigeschaut. Und dann war es richtig toll dort. Ich habe gespielt und getanzt, und es waren Erwachsene dort, die mich verstanden haben.»

Trotzdem dauerte es einige Zeit, bis die Beziehung zu ihm so gefestigt war, dass eine Kontaktaufnahme mit seiner Familie möglich wurde. «Die Wiedereingliederung in die Familie ist ein längerer Prozess», erläutert Gisèle Bankundiye, Projektleiterin von Abadacogora-Intwari. «Zuerst gibt es vorbereitende Besuche bei der Familie,

dann die Rückkehr des Kindes und die Nachbetreuung durch uns, bis sich die Situation wieder stabilisiert hat.» Manchmal sind sehr intensive Vorbereitungen für eine Rückkehr nötig, da das Verhältnis zwischen Kind und Eltern praktisch neu aufgebaut werden muss.

Wieder zuhauseBei Jonathan kam es zum Happy-End. Als er nach über zwei Jahren Strassenleben endlich wieder vor seiner Mut-ter Séraphine stand, war diese überglücklich. «Nachdem Jonathan weg war, konnte ich nicht mehr schlafen. Ich habe ihn überall gesucht», erzählt die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern. Séraphine unternimmt alles, um ihre Familie durchzubringen, doch das Leben ist hart: «Ich gehe täglich von Haus zu Haus und biete mich als Waschfrau an. Nicht jeden Tag finde ich Arbeit, aber wir schlagen uns durch», meint sie.

Heute lebt Jonathan wieder unter einem Dach mit seiner Mutter und seinen vier Geschwistern. Mit Un-terstützung von Abadacogora-Intwari besucht er die Schule. Mittlerweile ist er sogar der beste Schüler seiner

Ruanda: Ihr Stück gerechtere Welt

Geborgenheit für Strassenkinder

In Ruanda treibt die Armut viele Kinder auf die Strasse. Die Caritas-Partnerorganisation Abadaco-gora-Intwari nimmt in drei Zentren Strassenkinder auf, wo sie psychologische und medizinische Be-treuung, Ausbildung und Mahlzeiten erhalten. Die Kinder spielen in einer sicheren Umgebung und bekommen liebevolle Zuwendung. Gleichzeitig wird versucht, die Kinder wieder in ihre Familien zu inte-grieren. Oberstes Ziel ist es, den Kindern ein stabiles Umfeld und bessere Zukunftschancen zu geben.

Gut zu wissen:– In Ruanda gibt es gemäss einer neuen Studie

zwischen 7000 und 11 000 Strassenkinder.– 500 Kinder werden in den Zentren der Caritas

betreut.– 80 Prozent der Kinder, die von den Zentren

aufgenommen werden, gehen zur Schule. 100 Franken kosten die jährlichen Sekundar-schulgebühren für drei Kinder.

«Jetzt gehe ich jeden Tag in die Schule. Ich habe Erfolg, und meine

Mutter ist stolz auf mich.»

Klasse: «Jetzt, wo ich nicht mehr auf der Strasse lebe, gehe ich jeden Tag in die Schule. Ich habe Erfolg und meine Mutter ist stolz auf mich», sagt er – und lacht. ■

Page 20: Kindermagazin Caritas Schweiz

20 Caritas «Kinder» 2013

«Jedes Kind braucht Liebe und Sicherheit»

Hebamme und Ständerätin Liliane Maury Pasquier weiss aus Erfahrung, dass Armut Kinder in ihrer Entwicklung behindert.

Frau Ständerätin Maury Pasquier, welches sind aus Ihrer Sicht als Hebamme die Grundbedürfnisse eines Kindes?Jedes Kind braucht Liebe, das heisst emotionale Sicher-heit. Aber auch materielle Sicherheit braucht es. Diese ermöglicht es den Eltern, sich unbelastet ihrem Kind zu widmen. Die materielle Sicherheit ist damit wichtig für eine harmonische Entwicklung durch die ganze Kindheit und bis zur Pubertät. Diese Sicherheit muss man allen Eltern auf der Welt zu geben versuchen, unter Berück-sichtigung der unterschiedlichen Standards. Wir müssen zum Beispiel – und das sage ich jetzt als Hebamme – den Frauen zeigen, wie sie gebären können, ohne ihr Leben und das des Neugeborenen in Gefahr zu bringen. Die Re-duktion der Mütter- und Kindersterblichkeit ist schliess-lich eines der Millennium-Entwicklungsziele. Vorrangig müssen Mütter unterstützt werden, da meistens sie es sind, die für Ernährung, Pflege und Erziehung der Kinder aufkommen.

Treten Mädchen und Jungen ihren Lebensweg mit denselben Chancen an?Laut weltweiten Statistiken werden kleine Jungen länger gestillt als Mädchen, weil unsere patriarchalen Gesell-

schaften ihnen einen höheren Wert beimessen. Solche Ungleichheiten gilt es zu bekämpfen. Man muss beson-ders die Abtreibungen weiblicher Föten verhindern, wie sie in Indien vorkommen. Die Ungleichheiten gehen in der Kindheit weiter, beim Schuleintritt, in der Jugend und dann beim Eintritt in die Berufswelt.

Welches sind die dringendsten Themen der Kinder, die in Entwicklungsländern aufwachsen?In den Entwicklungsländern – da gibt es so viel zu tun. Zunächst einmal müssten sie selber ihren Weg und ihre Bedürfnisse bestimmen. Es ist wichtig, dass die Betrof-fenen bei ihrer eigenen Entwicklung eine aktive Rolle spielen. Ein grosses Problem ist, dass viele Kinder und Jugendliche kaum Perspektiven haben, kaum Zugang zu Bildung und Arbeit, und damit auch keine Hoffnung auf ein würdiges Leben. Die Herausforderung besteht darin, allen Kindern auf der Welt eine wirklich nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

Was können wir tun, um die Perspektiven der Kinder in diesen Ländern zu verbessern?Solidarität soll kein leeres Wort bleiben. Sie richtet sich an jede einzelne Staatsbürgerin und jeden Staatsbürger,

Text: Katja Remane; Bild: Stéphane Maury

Page 21: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 21

aber auch an unsere Politiker, an unsere Wirtschaft und an die globale Ordnung. Um ein Beispiel zu geben: Die von der Welthandelsorganisation durchgesetzte Abschaf-

fung von Zollgrenzen mag für den internationalen Handel gut sein, aber in den armen Ländern fördert sie vor allem die Exportlandwirtschaft. Nun erzeugt aber kommerzielle Landwirtschaft eine völlige Abhängigkeit der Produzen-ten von Marktschwankungen und zerstört die Lebens-grundlage von Subsistenzbauern. Sie geht also zu Lasten der Ernährungssicherheit, worunter gerade die Kinder leiden. Man kann in den Ländern des Südens nicht nach denselben Prinzipien verfahren wie im Norden.

Als Nationalratspräsidentin reisten Sie zu einem offizi-ellen Staatsbesuch nach Südafrika. Wie ist die Situa-tion der Kinder dort und wie können wir ihnen helfen?Ich bin nach Südafrika gereist, um zwei Schweizer Ak-tionsprogramme zu besichtigen, von denen eines vor allem Kinder unterstützt. Dieses Programm widmet sich dem Kampf gegen HIV/AIDS, der in Südafrika ein Hauptpro-blem darstellt und mir als Präsidentin des Schweizeri-schen Hebammenverbands und ehemaligem Mitglied des Stifungsrats der Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz ganz besonders am Herzen liegt. Die Situation ist dra-matisch; ganze Generationen werden ausgelöscht. In gewissen Dörfern gibt es fast keine Eltern und keine Lehrpersonen mehr. In einem Dorf habe ich eine ster-bende Frau gesehen, und um sie herum standen alle ihre Kinder. Ich habe auch Kinder gesehen, die völlig auf

sich allein gestellt lebten. Es sollte möglich sein, dass verwaiste Geschwister zusammenbleiben können, un-ter der Verantwortung der ältesten Schwester oder des

ältesten Bruders vielleicht, aber mit Unterstützung einer Bezugsperson, die den Kindern bei schulischen oder ge sundheitlichen Fragen beisteht, und mit der nötigen materiellen Absicherung.

Welches sind die Herausforderungen, um allen Kindern, auch in unserem Land, eine optimale Ent-wicklung zu ermöglichen?Wir müssen unbedingt die Diskriminierung und die Ar-mut bekämpfen. Was für eine Zukunft bieten wir Kin-dern, die ausgegrenzt werden, wie den Roma-Kindern zum Beispiel? Die Tatsache, dass Kinder in Armut aufwach-sen, in der Schweiz oder anderswo, stellt eine Verletzung der Rechte des Kindes dar. Denn das Risiko ist gross, dass solche Kinder in ihren Entwicklungsmöglichkeiten lebenslang behindert sind. Armut ist eines der grössten Verbrechen, das man an Kindern begehen kann. ■

Liliane Maury Pasquier

Als Hebamme und Präsidentin des Schweizerischen Hebammen-

verbands engagiert sich Ständerätin Liliane Maury Pasquier für die

Rechte der Frauen und setzt sich für Mutterschaftsunterstützung

und soziale Sicherheit ein. Von November 2001 bis November

2002 präsidierte sie den Nationalrat. Liliane Maury Pasquier ist

1956 in Genf geboren, hat vier Kinder und fünf Enkelkinder.

«Armut ist eines der grössten Verbrechen, das man an Kindern begehen kann.»

Page 22: Kindermagazin Caritas Schweiz

22 Caritas «Kinder» 2013

Lebensmut für Kinder ■ Kuba

«Mein Kind gehört dazu»

Für autistische Kinder gibt es in Kuba kaum Platz. Betroffene Eltern engagieren sich zusam-men mit Caritas für eine individuelle Förderung ihrer behinderten Kinder.

Die dunklen Augen der zwölfjährigen Gabriela schauen ins Leere. Ihr Gesicht bleibt unbewegt. Was denkt sie gerade? Was fühlt sie? Niemand weiss es. Gabriela war drei Jahre alt, als bei ihr Autismus diagnostiziert wurde. Für ihre Mutter Mercedes Castro brach damals eine Welt zusammen: «Ich habe so viel weinen müssen», sagt sie. Keiner hat ihr erklären können, was es mit der Krankheit auf sich hat, was ihr Kind bewegt, wie viel es überhaupt von seiner Umwelt mitbekommt. Mercedes musste ihre anspruchsvolle Arbeit als Pflegefachfrau im weit entfern-ten städtischen Krankenhaus aufgeben und nahm eine Teilzeitstelle als Gemeindepflegerin an. So hatte sie mehr Zeit, um für ihre kleine Tochter zu sorgen. Während der Arbeit wurde Gabriela im staatlichen Zentrum für Autismus «Dora Alonso» betreut, doch vor einigen Jah-ren musste die Mutter den Platz für «schwierigere Fälle» freigeben, und sie blieb fortan mit ihrer Tochter zuhause.

Zwar zahlt der kubanische Staat Eltern, die ihr behin-dertes Kind zuhause betreuen, eine kleine Rente, doch kommen Mercedes und ihre Familie mit den rund 30 Franken, die sie pro Monat erhalten, nicht sehr weit. Manchmal helfen bei finanziellen Engpässen Familien-angehörige aus, manchmal kann sie mit dem Verkauf von selbstgebackenen Pizzas das Budget etwas aufbessern.

Professionelle HilfeMercedes Castro wollte aber mehr tun, als zu Hause zu sitzen. Sie wollte mehr tun für ihre Tochter. Deshalb gründete sie vor fünf Jahren gemeinsam mit anderen betroffenen Müttern und zusammen mit Caritas Ha-vanna ein kleines Tageszentrum für autistische Kinder.

Dort führen ausgebildete Fachkräfte auf freiwilliger Basis Massnahmen zur frühkindlichen Förderung und Verhaltenstherapien durch. Zweimal pro Woche geht nun Gabriela mit 52 anderen Kindern dorthin. Neben den Therapiestunden organisiert das Zentrum für Kinder und Eltern regelmässig kleine Ausflüge. Mercedes legt grossen Wert auf diese Treffen: «Hier bei Caritas sind wir frei, uns so zu organisieren, wie wir es für richtig halten. Es zählt, was für unsere Kinder am wichtigsten ist», sagt sie. Ausserdem könne man bei diesen Anlässen wertvolle Erfahrungen austauschen.

Mehr Wissen über Autismus«Noch wissen wir sehr wenig über Autismus», erzählt Gilliam Gutiérrez, die Koordinatorin des Zentrums in Havanna und Spezialistin für Autismus. Dank Caritas konnte sie an einem Austausch mit Autismus-Selbst-hilfegruppen in den USA teilnehmen. Die dort gewonne-nen Erkenntnisse werden jetzt im Zentrum Havanna aufgenommen und angewendet. Da die Zahl der Kinder mit Autismus in Kuba zunimmt, plant Caritas Kuba die Eröffnung eines zweiten Autismus-Zentrums in Santiago de Cuba. Für Mercedes sind die Bemühungen ein grosser Fortschritt. Sie selbst lernt noch heute jeden Tag neu hinzu: «Der behutsame Umgang mit Gabriela gibt mir einen Einblick in eine Welt, die vielen fremd ist und bleibt.» ■

Text: Ulrike Seifart; Bild: Pia Zanetti / Caritas Schweiz

Platz schaffen für autistische

Kinder: Gabriela im Tageszentrum

von Caritas Havanna.

Page 23: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 23

Lebensmut für Kinder ■ Kuba: Ihr Stück gerechtere Welt

Raum für behinderte Kinder

Caritas unterstützt in elf Diözesen Kinder mit Behinde-rungen, wie Autismus oder Down Syndrom. Die Eltern werden von Fachpersonen begleitet und vernetzen sich, um besser auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ein-gehen zu können. Die Kinder erhalten psychologische und medizinische Begleitung, eine warme Mahlzeit und einen geschützten Raum, um ihre Fähigkeiten zu entfalten.

Gut zu wissen:– Insgesamt unterstützt Caritas Schweiz in Kuba

1600 Kinder und deren Familienangehörige.– 440 Freiwillige engagieren sich im Programm und

erhalten Weiterbildungen.– 60 Koordinatorinnen und Koordinatoren des

Caritas-Netzwerks werden fachliche Weiterbildun-gen vermittelt.

Page 24: Kindermagazin Caritas Schweiz

Lebensmut für Kinder ■ Philippinen

Der Albtraum hat ein Ende

Ungezählte Mädchen und junge Frauen werden auf den Philippinen missbraucht. Im Heim der Organisation Preda finden sie Ruhe und einen sicheren Ort. Fachleute helfen ihnen, einen neuen Lebensweg zu finden.

Olongapo City ist eine philippinische Hafen-Stadt – eine Stadt sexueller Ausschweifungen für viele. Hier werden Mädchen angepriesen. Die Stadt ist bekannt für ihre unzähligen Stundenhotels, Bars und Saunas. Laut Schät-zungen von Ecpat International, einem internationalen Netzwerk zum Kinderschutz, werden hier rund 500 000 Frauen feilgeboten. Ein Fünftel von ihnen ist minderjäh-rig. Grund für die Prostitution ist die Armut. Mehr als

20 Prozent der philippinischen Bevölkerung leben mit weniger als einem Dollar pro Tag, weitere 60 Prozent müssen mit zwei Dollar auskommen. Kinder werden als Arbeitskräfte gebraucht; nicht selten werden Mädchen als Haussklaven oder in die Prostitution verkauft.

Verarbeitung durch TherapienIm Heim der philippinischen Caritas-Partnerorganisation Preda finden die Mädchen und jungen Frauen Ruhe und Geborgenheit. Preda geht gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern vor. Sie rettet Mädchen, die in Bordellen, auf der Strasse oder in der eigenen Familie missbraucht wurden.

So wie Rina, J. B., Jessa, Sheila und Rose. Ihr neues Zuhause befindet sich ausserhalb von Olongapo City, auf einem Hügel, umgeben von vielen Bäumen. Eine Idylle.

Text: Ulrike Seifart; Bilder: Kristine Wee24 Caritas «Kinder» 2013

Der Start in eine Zukunft:

im Heim der philippinischen

Caritas-Partnerorganisation

Preda.

Page 25: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 25

Ein Ort, an dem die traumatisierten Kinder wohnen, spielen, lernen, sich erholen und vor allem gesund wer-den können. «Ich war anfangs sehr nervös. Aber jetzt fühle ich mich sehr wohl», erzählt Rina. Sie wurde von ihrem Vater missbraucht und verarbeitet nun bei Preda ihre traumatischen Erlebnisse. In der Befreiungstherapie etwa schreien die Mädchen ihre Qualen regelrecht her-aus. Man müsse aber auch die stummen Schreie hören können, sagt María Eresa Catubig, Psychotherapeutin bei Preda. «Ich gebe jeden Tag mein Bestes. Aber die Geschichten der Kinder zu hören, das ist auch für mich schrecklich», fügt die Therapeutin hinzu.

Vertrauen gewinnenDa ist J. B. (17), deren Leiden mit 12 Jahren begannen. Erst missbraucht durch den eigenen Vater, bot dieser seine Tochter später in Bars an. Drei Fehlgeburten hat das Mädchen hinter sich und eine Vielzahl von Suizid-versuchen. Da ist Jessa (15), die von einem Freund der Familie vergewaltigt wurde; Sheila (14), deren Gross-vater sich seit ihrem 9. Lebensjahr an ihr verging; Rose, die von Menschenhändlern nach Manila verschleppt und dort zur Prostitution gezwungen wurde.

Marilyn Carpio-Richter, Sozialarbeiterin bei Preda, kennt alle Geschichten. Das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen, sei die schwierigste, aber auch die wichtigste Aufgabe. Es ist für sie sehr hilfreich, dass sie selber ein Preda-Kind ist. So kann sie den Mädchen ihre eigene Geschichte erzählen. «Ich hoffe, ich kann durch meine Erlebnisse und auch durch meinen Erfolg den Kindern dazu verhelfen, ihre schlimmsten Albträume zu überwin-den – so dass sie sich trotz ihrer Vergangenheit auf eine bessere Zukunft freuen.»

Selbstbewusste junge FrauenMarilyns Ansatz scheint aufzugehen: Bei J. B. ist der Genesungsprozess dank Medikamenten und Therapie gut vorangeschritten. Das Mädchen, das bei Ankunft in Preda weder lesen noch schreiben konnte, ist nun eine der Besten in der Schule. «Ich möchte eines Tages aufs College», sagt J. B. Auch Jessa schwärmt: «Jetzt kann ich jeden Tag lernen. Am liebsten habe ich Englisch, und ich weiss, wenn ich darin gut bin, habe ich gute Zukunftschancen.» Die Mädchen werden so auf ihre Wiedereingliederung in die öffentlichen Schulen vorbe-reitet, die Älteren erhalten zudem Unterricht im Nähen, Backen und Kochen.

Philippinen: Ihr Stück gerechtere Welt

Kinder vor Missbrauch schützen

Preda setzt sich auf den Philippinen für sexuell missbrauchte Kinder ein. Mit therapeutischen Mass-nahmen und Kursen für die Schule und den Beruf werden sie auf ein neues Leben vorbereitet. Zudem unterstützt Preda die Mädchen in juristischen Be-langen, etwa wenn gegen die Täter Strafanzeige eingereicht wird.

Gut zu wissen:– Das Preda-Heim kann jährlich 70 sexuell aus-

gebeutete Mädchen aufnehmen.– Rund 60 Mädchen und ihr Umfeld werden wäh-

rend eines Jahres von Preda begleitet.– 100 Franken kostet ein medizinischer Check-up

von vier Kindern.

Mit der Hilfe von Fachleuten können die Kinder einen Neuanfang wagen. Aus den traumatisierten Mädchen werden so im Laufe der Zeit selbstbewusste und fröhli-che junge Frauen. «Trotz des emotionalen Drucks kann ich am Ende eines Tages lächeln. Denn ich weiss, ich habe nicht nur das Leben eines, sondern vieler Kinder berührt», resümiert Ivy Christine Manzano, Kranken-schwester in Preda, stolz. ■

Page 26: Kindermagazin Caritas Schweiz

26 Caritas «Kinder» 2013

Lebensmut für Kinder ■

Tadschikistan: Ihr Stück gerechtere Welt

Schule für alle

Dank der Unterstützung von Caritas Schweiz nehmen in Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan, zwei integrative Schulen und zwei integrative Kinder-gärten behinderte Kinder auf. Sie lernen dort zusam-men mit anderen, gesunden Kindern. Die Kinder und ihre Lehrer und Lehrerinnen werden von vierzehn Spezialisten der NGO Sitorai Umed, der lokalen Partnerorganisation von Caritas, begleitet.

Gut zu wissen:– Während der Pilotprojektphase von 2007 bis 2011

haben sechzehn Kinder erfolgreich die Primar-schule in einer integrativen Klasse beendet. Elf von ihnen wurden in einer weiterführenden normalen Schule aufgenommen. Von sechs Kindern, die den Kindergarten besucht haben, sind drei in integrative Klassen und drei in Klassen der Regelschule über-getreten.

– Im Jahr 2012 wurden bereits 86 behinderte Kinder in einer integrativen Schule und 36 Kinder in einem integrativen Kindergarten eingeschrieben.

Page 27: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 27

Lebensmut für Kinder ■ Tadschikistan

«Behinderte Kinder? Das gab es nicht»

Ein behindertes Kind zu haben, das ist in Tad-schikistan noch immer ein Makel. Möglichkeiten für schulische Bildung gibt es für behinderte Kinder kaum. Die integrative Schule von Caritas bietet ihnen neue Perspektiven. Wir haben mit Safargul Kurbanova, der Leiterin dieses Programms, über die Chancen von behinderten Kindern in Tadschikistan gesprochen.

Safargul Kurbanova, welche Bil-dungschancen haben behinderte Kinder in Tadschikistan?Vor der Einführung des integrativen Bildungsprojekts von Caritas waren behinderte Kinder in Kindergärten

und öffentlichen Schulen schlicht nicht zugelassen. Den Eltern standen nur zwei Möglichkeiten offen: ihr behin-dertes Kind zu Hause zu verstecken oder es in einem Behindertenheim unterzubringen, wo es keinerlei Bildung erhielt. Ein behindertes Kind zu bekommen, das wird in Tadschikistan als eine Strafe Gottes für die Mutter an-gesehen. Häufig lässt sich der Ehemann scheiden. Dies führt dazu, dass die Mutter Ressentiments gegen ihr Kind hegt, weil sie seinetwegen aus der Gesellschaft aus-geschlossen wird.

Wie sieht die Situation heute in der Hauptstadt Du-schanbe aus, wo sich Caritas im Bereich der Integra-tion von Behinderten schon seit einiger Zeit engagiert?Dank den integrativen Schulen und der Sensibilisierungs-kampagne von Caritas hat sich die Situation verbessert. Behinderte Kinder werden besser akzeptiert. Zu Beginn

hatten wir Mühe, die Kinder für unser Programm zu fin-den. Heute kommen mehr und mehr Mütter zu uns und möchten ihr behindertes Kind in der integrativen Schule einschreiben. Doch wir mussten einen langen Weg bis dahin gehen. Ich habe früher als Gynäkologin im Spital gearbeitet. Kinder, die mit einer Behinderung zur Welt kommen, werden bei uns registriert. Dank einer Spe-zialbewilligung bekamen wir ihre Adressen, und wir ha-ben die Familien aufgesucht, um den Eltern zu erklären, dass ihr Kind zu seiner Entwicklung soziale Kontakte benötigt. Bevor die Kinder eingeschult werden, werden sie von unseren Spezialisten untersucht und erhalten eine Therapie. Die Kinder lernen, wie man das Hemd richtig zuknöpft und wie man spielt. Wir hatten mit Kindern zu tun, die nur auf dem Boden herumlagen, und haben Physiotherapeuten zu ihnen nach Hause geschickt, um sie gehen zu lehren.

Wie funktionieren integrative Schulen?Die Idee ist, Kindergärten und Primarschulen für behin-derte Kinder zugänglich zu machen und sie in Klassen mit anderen, nicht behinderten Kindern zu integrieren. Kinder lernen sehr viel, indem sie andere Kinder imi-tieren. Das Lehrpersonal wurde für diese Aufgabe spe-ziell aus- und weitergebildet. Neben den eigentlichen Unterrichtsstunden werden die behinderten Kinder von Pädagoginnen, Logopäden, Musiktherapeutinnen und Psychologen betreut.

Was geschieht mit den Kindern später?Einigen der Kinder gelingt es, in der fünften Klasse in eine normale Schule überzuwechseln. Andere wieder-holen die vierte Klasse. Für Kinder mit schweren Behin-derungen gibt es Organisationen wie die Vereinigung der Eltern behinderter Kinder APCD. Im Heim der APCD lernen junge Behinderte zum Beispiel auch Kochen und Nähen. ■

Text: Katja Remane; Bilder: Pia Zanetti / Caritas Schweiz

Mirzo (8 Jahre) besucht die

erste Klasse der integrativen

Schule in Duschanbe.

Page 28: Kindermagazin Caritas Schweiz

28 Caritas «Kinder» 2013

Lebensmut für Kinder ■ Bolivien

Bolivien: Ihr Stück gerechtere Welt

Das Recht auf eine Familie

Die Caritas-Partnerorganisation Infante vermittelt verlassene und vernachlässigte Kinder in ausgebil-dete Pflegefamilien, damit sie nicht in Heimen un-tergebracht werden müssen. Wenn sie nicht in ihre Familien zurückkehren können, unterstützt Infante eine Adoption im Land selbst. Zudem leistet die Organisation Lobbyarbeit für Kinderrechte.

Gut zu wissen:– Infante bringt in der Stadt Cochabamba jährlich

rund 45 Kinder in einer Pflegefamilie unter.– Sechs Kinder konnten im ersten Halbjahr 2012

zu ihrer Ursprungsfamilie zurückkehren.– Mit einer Spende von 100 Franken können sieben

Kinder-Badewannen des Projekts finanziert werden.

«Eine Familie ist das Wichtigste»

Die elfjährige Gaby wurde drei Monate nach ihrer Geburt zur Adoption freigegeben – und hatte Glück mit ihren neuen Eltern.

«Glückliches Mädchen aus Cochabamba» – so lautet der Steckbrief von Gaby über sich selbst. «Ich tanze und singe oft und gehe gern zur Schu-le. Doch das Wichtigste ist meine Familie: Meine Eltern und mein Bruder sind das Beste, was ich habe.» Gaby wurde in einem Frauenhaus ge-boren und kam mit drei

Monaten zu Marcelo und Inés Mejía, die sich seit über zehn Jahren sehnlichst ein Kind gewünscht hatten. Über die Lebenssituation ihrer leiblichen Mutter weiss Gaby kaum etwas. Und bis heute ist Gaby nicht bereit, Ge-naueres über die Geschichte ihrer Herkunft zu erfahren. Doch seit sie zwei Jahre alt ist, haben ihr ihre Adoptiv-eltern immer wieder davon erzählt, wie sie als Pflegekind zu ihnen stiess und sie sie dann adoptieren konnten. «Wir schlossen Gaby vom ersten Moment an ins Herz, und die Liebe ist seither immer stärker geworden», sa-gen Marcelo und Inés. «Wir sind so stolz auf unsere Tochter und glücklich, sie in jeder neuen Lebensphase zu begleiten.» Und Gaby, die sich auch gut mit ihrem sechsjährigen, ebenfalls adoptierten Bruder Bernardo versteht, ergänzt: «Alle Kinder sind gleich viel wert – egal ob adoptiert oder nicht adoptiert. Das Wichtigste ist, eine Familie zu haben.» ■

Gaby: «Das Wichtigste ist,

eine Familie zu haben.»

Text: Dominique Schärer; Bilder: Infante

Page 29: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 29

Lebensmut für Kinder ■ Palästina

nach einiger Zeit habe ich erfahren, dass er noch immer das Bett nässt», erzählt Psychologin Zekrayat. Es brauch-te viel Geduld, bis die Arbeit mit Mohammed und seinen Eltern Früchte zu tragen begann. «Es ist jetzt schön zu sehen, wie sich das Verhalten der Mutter verändert und wie Mohammed sich in der Schule aufgefangen hat. Langsam kehrt sein Lebensmut zurück.» ■

Eigentlich möchte niemand hier wohnen. Das Haus ist von Bomben halb zerstört, die Woh-nungen sind feucht, der Hühnerhof verbreitet einen unerträglichen Gestank. Bait Lahia im Norden von Gaza: hier treffen sich Armut und Krieg. Mittendrin der zehnjährige Mohammed.

«Als wir Mohammeds Familie zum ersten Mal besuch-ten, war es auch für uns nur schlimm: bitterarm, trau-matisiert vom Krieg, die Eltern überfordert mit der Er-ziehung ihrer Kinder, eine enge und dunkle Wohnung, nirgends Hoffnung», berichtet Zekrayat Al-Arini betrof-fen. Sie ist Psychologin des Caritas-Partners YEC und Betreuerin der Familie.

Mohammed ist das älteste von fünf Geschwistern. Eine Hirnhautentzündung hat seinen Start ins Leben belastet, und immer wieder wurde er als Kleinkind von seiner Mutter geschlagen – Schläge, die er bald an seine beiden Schwestern weitergab. In der Schule isolierte er sich mit seinem aggressiven Verhalten, und seine Lern-schwäche machte ihn zum Gespött der Kameraden. «Bei unserem ersten Gespräch war er sehr verschlossen. Erst

Palästina: Ihr Stück gerechtere Welt

Der Angst die Stirn bieten

Mit Unterstützung der Caritas engagiert sich die lokale Hilfsorganisation YEC (Youth Empowerment Center) in Gaza für Kinder und Jugendliche. Schwerpunkt: psychosoziale Betreuung, öffentliche Gesundheitspro-gramme und die Erweiterung des Bildungsangebotes. YEC betreibt in Gaza drei eigene Zentren sowie drei Stationen in Kindergärten und Schulen.

Gut zu wissen:– Pro Tag besuchen etwa 600 Kinder die drei Haupt-

zentren – das sind 187 000 Kindertage pro Jahr.– 356 Buben und 337 Mädchen haben im letzten

Jahr ihre Kriegserlebnisse in Gruppentherapien verarbeitet.

– Die 100 Kinder des Zentrums in Bait Lahia haben für die neu eröffnete Bibliothek mehr als 6000 Bücher gesammelt.

Angst und Armut fressen die Seele auf

Text: Jörg Arnold; Bild: DCA

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30 Caritas «Kinder» 2013

Lebensmut für Kinder ■

Kolumbien: Ihr Stück gerechtere Welt

Der Gewalt entkommen

Die Partnerorganisation Crear Jugando bietet Kindern in Bogotá einen sicheren Ort, damit sie ihre Freizeit nicht auf der Strasse verbringen müssen. Das zweite Patenschaftsprojekt Combos engagiert sich in den gewaltbetroffenen Armenvierteln von Medellín für Kinder, damit sie die Schule abschliessen können.

Gut zu wissen:– 150 Kinder und Jugendliche profitieren in Bogotá

vom Angebot des Zentrums von Crear Jugando.– Zwei Franken kostet ein warmes Mittagessen für

ein Kind.– 170 Kinder und Jugendliche besuchen dank Caritas

die Primar- oder Sekundarschule von Combos in Medellín.

Page 31: Kindermagazin Caritas Schweiz

«Kinder» 2013 Caritas 31

Lebensmut für Kinder ■ Kolumbien

In den Armenquartieren der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá ist das Leben hart. Der 14- jährige Luís* konnte sich nur dank dem Caritas-Partner Crear Jugando aus den Fängen einer bewaffneten Jugendbande befreien.

Rund 61 000 Menschen leben in Bogotás Armenviertel Diana Turbay, das von intern Vertriebenen und Mig-ranten gegründet worden ist. Auch die Eltern von Luís flüchteten sich vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat Toli-ma hierher. 1997 liessen sie sich in Diana Turbay nieder. Und hier kam bald Luís auf die Welt. Die Familie schlug sich durch: Der Vater fand eine Stelle als Nachtwächter, die Mutter briet Hühnchen an einem Verkaufsstand. Doch wie in allen Armenvierteln Kolumbiens beherr-schen auch in Diana Turbay Gewalt und Kriminalität den Alltag. Es fehlt an Spielplätzen, Parks und sicheren Orten, an denen Kinder spielen und sich austoben kön-nen. So waren die Eltern von Luís froh um das Angebot des Caritas-Partners Crear Jugando. In dessen Quar-tierzentrum werden Kinder und Jugendliche ganztägig betreut. Ein kreatives Bildungsprogramm ergänzt das Angebot des Stützunterrichtes, und es werden zahlreiche Spielmöglichkeiten nach einem eigenen pädagogischen Konzept angeboten. Hier verbrachte Luís die Freizeit, wenn seine Eltern arbeiteten.

Drohungen und PrügelDas änderte sich abrupt, als Luís dreizehn Jahre alt wur-de. Der Junge wurde plötzlich aggressiv, und die Eltern wandten sich an Crear Jugando. Bald stellte sich heraus,

«Für dich gibt es kein Zurück»

Text: Dominique Schärer; Bild: Luca Zanetti / Caritas Schweiz * Der Name wurde zum Schutz von «Luís» geändert.

Dank Caritas und Crear

Jugando aus den Fängen

einer Jugendbande: Luís (14).

dass Luís Marihuana rauchte und von einer bewaffneten Jugendbande unter Druck gesetzt wurde. «Wenn ich mit der Bande unterwegs bin, bekomme ich als Lohn einen Joint. Die Kollegen begehen Raubüberfälle, verkaufen Drogen und prügeln sich mit anderen Banden», er zählte Luís schliesslich. Das Geständnis brachte ihn jedoch gleich doppelt in Bedrängnis. Der Vater reagierte mit harten Körperstrafen, und die Anführer der Jugendbande drohten Luís sogar mit dem Tod. Um diesem Teufelskreis ein Ende zu setzen, schickten die Eltern Luís für vier Wochen zu Verwandten aufs Land.

Flucht ins InternatDoch die Probleme waren nicht zu Ende, als Luís zurück-kam. «Du bist einer von uns und kannst nicht mehr zurück» – der Anführer der Jugendbande setzte Luís so lange unter Druck, bis dieser nachgab. Schnell war er wieder in Gang-Kämpfe verwickelt. Aufhören konnte er nicht, zu gross war die Angst. Drei Tage lang versteckte er sich zu Hause. Die Mitarbeiter von Crear Jugando, welche die Familie die ganze Zeit über begleitet hatten, wandten sich schliesslich an die Behörden des Distrikts, um eine Lösung zum Schutz des Jungen zu finden. Nur so konnte Luís in ein Internat ausserhalb von Bogotá eintreten, wo er heute in Sicherheit ist und ungestört lernen kann. ■

Page 32: Kindermagazin Caritas Schweiz

Paten fragen – Kinder antworten

Was möchten Sie von den Kindern aus den Caritas-Patenschaftsprojekten wissen? Richten Sie Ihre Fragen per E-Mail an [email protected] oder schicken Sie uns eine Postkarte.

Caritas SchweizPatenschaften Telefon: +41 41 419 22 22 Internet: www.caritas.chLöwenstrasse 3, Postfach Telefax: +41 41 419 24 24 Postkonto 60-7000-4CH-6002 Luzern E-Mail: [email protected]

Cristián (13), Bolivien«Es macht mich glück-lich, wenn ich gut be-handelt werde, wenn die Erwachsenen mir weder drohen noch mich schlagen. In meiner Freizeit spiele ich am liebsten mit Spielzeug-autos.»

Izzatova Shirin (5), Tadschikistan«Am glücklichsten bin ich, wenn meine Mutter bei mir ist, wenn der Himmel blau ist und die Sonne scheint.»

Alpona (17), Bangladesch«Einer der glücklichsten Momente in meinem Leben war jener, als ich meine Familie zum ersten Mal mit selbst-verdientem Geld unter-stützen konnte. Ich bin stolz auf mein eige-nes Näh atelier.»

Was macht dich froh und glücklich?

Lilo Kunz (53) aus Fajauna,

Patin «Kinder in die Schule»

von Bangladesch und

Tschetschenien, möchte

wissen, was die Kinder

aus Bolivien, Tadschikistan

und Bangladesch am

glücklichsten macht.