11
Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang Klaus Gottstein, emeritiertes Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Physik (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident Peter Gruss die Ehrennadel für 50jährige Mitgliedschaft. Klaus Gottstein (geboren 1924 in Stettin, Abitur 1941 in Berlin-Dahlem) wurde Anfang 1950 als Diplomand in die von Prof. Karl Wirtz geleitete experimentelle Abteilung des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen aufgenommen, in der Dr. Martin Teucher mit der mikroskopischen Untersuchung der Spuren von Teilchen der Kosmischen Strahlung in kernphotographischen Platten begonnen hatte. Die Platten waren von Teucher auf der Zugspitze und später auf der noch höheren Wildspitze exponiert worden. Gottstein erhielt die Aufgabe, die Vielfachstreuung der Teilchen in den Emulsionsschichten der Photoplatten als Messgröße zusätzlich zu Körnchendichte und Reichweite zur Bestimmung der Eigenschaften der Teilchen zu nutzen. Dies war damals wegen der nur sehr kleinen Streuwinkel in den Spuren energiereicher Teilchen und wegen der dagegen nicht vernachlässigbaren fiktiven Streuung, die von der mechanischen Unvollkommenheit des Vorschubs des Mikroskoptischs verursacht wurde, eine noch ungelöste Aufgabe. Nach einigen Versuchen in Göttingen besuchte Gottstein im September 1950 das damals in der Kernemulsionstechnik führende Laboratorium von Prof. C.F.Powell an der Universität Bristol in England. (Im November 1950 erhielt Powell den Nobelpreis für die Entwicklung der kernphotographischen Methode und die mit deren Hilfe gelungene Entdeckung des π-Mesons.) Aus dem vorgesehenen Besuch Gottsteins von rund zwei Wochen wurden auf Einladung von Powell und mit Genehmigung von Heisenberg acht Monate. In dieser Zeit wurde die gestellte Diplomaufgabe gelöst, Gottstein war an zwei Veröffentlichungen aus Bristol beteiligt und hatte die Grundlagen für eine Dissertation legen können. Die Diplomprüfung legte er im November 1951 an der Universität Göttingen ab. Der Titel der Diplomarbeit lautete: „Die Messung

Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

Klaus Gottstein

Wissenschaftlicher Werdegang

Klaus Gottstein, emeritiertes Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Physik (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident Peter Gruss die Ehrennadel für 50jährige Mitgliedschaft.

Klaus Gottstein (geboren 1924 in Stettin, Abitur 1941 in Berlin-Dahlem) wurde Anfang 1950 als Diplomand in die von Prof. Karl Wirtz geleitete experimentelle Abteilung des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen aufgenommen, in der Dr. Martin Teucher mit der mikroskopischen Untersuchung der Spuren von Teilchen der Kosmischen Strahlung in kernphotographischen Platten begonnen hatte. Die Platten waren von Teucher auf der Zugspitze und später auf der noch höheren Wildspitze exponiert worden. Gottstein erhielt die Aufgabe, die Vielfachstreuung der Teilchen in den Emulsionsschichten der Photoplatten als Messgröße zusätzlich zu Körnchendichte und Reichweite zur Bestimmung der Eigenschaften der Teilchen zu nutzen. Dies war damals wegen der nur sehr kleinen Streuwinkel in den Spuren energiereicher Teilchen und wegen der dagegen nicht vernachlässigbaren fiktiven Streuung, die von der mechanischen Unvollkommenheit des Vorschubs des Mikroskoptischs verursacht wurde, eine noch ungelöste Aufgabe.

Nach einigen Versuchen in Göttingen besuchte Gottstein im September 1950 das damals in der Kernemulsionstechnik führende Laboratorium von Prof. C.F.Powell an der Universität Bristol in England. (Im November 1950 erhielt Powell den Nobelpreis für die Entwicklung der kernphotographischen Methode und die mit deren Hilfe gelungene Entdeckung des π-Mesons.) Aus dem vorgesehenen Besuch Gottsteins von rund zwei Wochen wurden auf Einladung von Powell und mit Genehmigung von Heisenberg acht Monate. In dieser Zeit wurde die gestellte Diplomaufgabe gelöst, Gottstein war an zwei Veröffentlichungen aus Bristol beteiligt und hatte die Grundlagen für eine Dissertation legen können. Die Diplomprüfung legte er im November 1951 an der Universität Göttingen ab. Der Titel der Diplomarbeit lautete: „Die Messung

Page 2: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

2

der Vielfachstreuung geladener Teilchen in photographischen Emulsionen und ihre Anwendung zur Bestimmung der Ladung, Masse und Geschwindigkeit dieser Teilchen.“

Dr. Martin Teucher folgte im April 1952 als Oberassistent dem an die Universität Bern berufenen Prof. Fritz Houtermans. Die Leitung der Göttinger Kernemulsionsgruppe wurde Gottstein übertragen. In dieser Gruppe arbeiteten zu dieser Zeit neben Gottstein ein Diplomand, zwei ausländische Gäste und drei Laborantinnen an der Auswertung der Kernemulsionen.

Vom 21. Mai bis 5. Juli 1952 und vom 19. Juni bis 3. August 1953 nahm Gottstein als einziges deutsches Mitglied an zwei internationalen, von Prof. Powell (Bristol) und Prof. Amaldi (Rom) organisierten Expeditionen teil, bei denen von Neapel und einem Militärflugplatz auf der Insel Sardinien aus mit unbemannten Ballonen Pakete von Kernemulsionen in etwa 30 Kilometer Höhe der kosmischen Strahlung ausgesetzt wurden. (Zum Auffinden der nach vorbestimmter Zeit per Fallschirm über dem Mittelmeer abgeworfenen Pakete standen den beiden Expeditionen zwei Schiffe der italienischen Kriegsmarine und ein Wasserflugzeug zur Verfügung.)

Gottstein wurde am 12. Juni 1953 in Göttingen promoviert. Seine Dissertation hatte den Titel: „Über die schweren Kerne in der kosmischen Strahlung und die von ihnen ausgelösten Kernreaktionen.“

Die Göttinger Kernemulsionsgruppe erhielt einen Teil der bei diesen Expeditionen in großen Höhen exponierten „Stacks“ von Kernemulsionen und untersuchte in ihnen die von energiereichen primären Teilchen, insbesondere von schweren Kernen, ausgelösten Kernreaktionen und die Eigenschaften der erzeugten Sekundärteilchen, insbesondere von Mesonenschauern und schweren Mesonen. So konnte erstmals die assoziierte Produktion eines τ-Mesons und eines geladenen Hyperons nachgewiesen werden.

Kernemulsionen, die Gottstein 1955 im Elektronenstrahl des Linearbeschleunigers Mark III der Stanford University in Palo Alto mit Hilfe von W.K.H. „Pief“ Panofsky exponiert hatte, dienten dann in Göttingen der Untersuchung von Elektronen-Photonen-Kaskaden und der direkten Paarerzeugung von Elektronen und Positronen durch Elektronen.

Bis in die Mitte der 1950er Jahre war die Kosmische Strahlung die einzige nutzbare Quelle hochenergetischer Teilchen für das Studium von Kernreaktionen. An der internationalen Zusammenarbeit bei diesen

Page 3: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

3

Untersuchungen, insbesondere über die aufgefundenen schweren Mesonen, war die Göttinger Kernemulsionsgruppe intensiv beteiligt. In ihr entstanden bis 1958 vier weitere Diplomarbeiten und eine weitere Dissertation sowie 10 Publikationen in Fachzeitschriften. Dann übernahmen die in den USA in Dienst gestellten großen Protonensynchrotrone (Cosmotron 1953, 3 GeV; Bevatron 1954, 6 GeV) in zunehmendem Maße die Rolle der Lieferanten der zu untersuchenden Teilchen. Auch die Göttinger Gruppe erhielt Emulsionspakete, die in Berkeley dem K+-Strahl des Bevatron exponiert worden waren und konnte 1956 Ergebnisse über die Streuung von K+-Mesonen und ihre Wechselwirkungen mit Wasserstoffkernen, über die Eigenschaften von τ+-Mesonen und über die Zerfallsarten und die mittlere Lebensdauer gestreuter K+-Mesonen publizieren. Einige dieser Ergebnisse trug Gottstein 1956 auf der Sixth Annual Conference on High Energy Nuclear Physics in Rochester (USA) vor. (Zu dieser Konferenz waren aus Deutschland nur zwei Physiker eingeladen worden; der andere war Wolfgang Paul aus Bonn.)

Die Untersuchungen an K-Mesonen aus Berkeley führten in Göttingen zu weiteren vier Diplomarbeiten und drei Dissertationen. Der personelle Bestand der Kernemulsionsgruppe war 1956 einschließlich Diplomanden und Doktoranden auf 13 Wissenschaftler, darunter drei Italiener, 2 Inder und ein Argentinier, und 8 Laborantinnen angewachsen.

Parallel zur Entstehung einer neuen Quelle hochenergetischer Elementarteilchen in Protonen- und Elektronenbeschleunigern war mit der von Donald Glaser erfundenen Blasenkammer den Physikern ein neues Messinstrument erwachsen. Luis Alvarez nutzte es in großem Stil in Berkeley am Bevatron in Gestalt einer „72-Inch-Wasserstoffblasenkammer“ mit einer entsprechend großen Spurenmesskapazität in Verbindung mit der leistungsfähigsten der damals erhältlichen elektronischen Rechenmaschinen (IBM 709). Gottstein wurde im Herbst 1956 für ein Jahr beurlaubt und schloss sich der Alvarez-Gruppe an. In der Leitung der Göttinger Kernemulsionsgruppe wurde er inzwischen sehr erfolgreich von Dr. Marcello Ceccarelli (Padua) vertreten.

In Berkeley konnte sich Gottstein an mehreren Experimenten in der Wasserstoffblasenkammer beteiligen. Auf vier Publikationen der Alvarez-Gruppe aus den Jahren 1957 und 1958 über die Eigenschaften von Hyperonen und schweren Mesonen erscheint auch sein Name.

Nach seiner Rückkehr nach Göttingen gegen Anfang November 1957 nahm seine Gruppe die Vermessung und Auswertung von Blasenkammerfilmen

Page 4: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

4

zusätzlich in ihr Programm auf. Aus Berkeley hatte Gottstein Filme von einem Experiment mitgebracht, in dem die Wasserstoffblasenkammer von Alvarez einem Strahl von π--Mesonen von 1 GeV/c aus dem Bevatron ausgesetzt worden war. In ihnen konnte in Göttingen die π - - Proton-Streuung untersucht werden. Die Ergebnisse wurden von Derado, Lütjens und Schmitz veröffentlicht.

Zugleich wurden die Arbeiten in Kernemulsionen fortgesetzt, die am Bevatron in Berkeley exponiert worden waren. Auch mit dieser Methode gab es – zum Teil in Kollaboration mit Gruppen in Bologna, Paris und Parma - wesentliche Ergebnisse über die Streuung und den Zerfall von K-Mesonen und die bei ihrem Einfang erzeugten Hyperonen, die zu einer Reihe von Publikationen und von mehreren Diplom- und Doktorarbeiten führten.

Nach dem Umzug des Max-Planck-Instituts für Physik von Göttingen nach München setzte das Institut für Physik als Teilinstitut des neuen Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik seine Arbeit fort. In München wurden für die Durchmusterung und Spurenvermessung von und in Blasenkammerfilmen Projektionstische errichtet, weitere Messhelferinnen eingestellt und Computerprogramme zur Analyse der Geometrie, Kinematik und Dynamik der aufgefundenen „Ereignisse“ an einem eigenen Großrechner (IBM 7090) entwickelt.

Klaus Gottstein habilitierte sich 1960 an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Habilitationsschrift unter dem Titel „Einige Experimente mit einer Wasserstoffblasenkammer.“ An der Universität München richtete er in separaten Räumen ein Praktikum für Studenten ein, in dem die Auswertung von Blasenkammerfilmen und kernphotographischen Platten erlernt werden konnte. In diesen Räumen der LMU arbeiteten auch einige Diplomanden und Doktoranden der Gruppe Gottstein. 1961 wurde Gottstein zum „Wissenschaftlichen Mitglied am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik“ ernannt.

In den 1960er Jahren wurden auch an den europäischen Zentren in Saclay, Hamburg (Universität und DESY) und CERN und am Rutherford Lab in Großbritannien große Wasserstoffblasenkammern gebaut, die am CERN PS und am DESY eingesetzt wurden, so dass nun auch dort aufgenommene Blasenkammerfilme zur Auswertung zur Verfügung standen. Daran beteiligte sich unsere Gruppe in Kollaborationen mit Gruppen aus Aachen, Birmingham, Bonn, Genf und Hamburg und später auch Zeuthen (DDR). Untersucht wurden u.a. π - - und π + - Wechselwirkungen bei 4 GeV/c, darunter die Erzeugung von

Page 5: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

5

ρπ – Resonanzen, sowie π - - Proton-Wechselwirkungen bei 10 GeV/c. Als Mitglied einer Kooperation der deutschen Blasenkammer-Auswertegruppen untersuchte die Münchner Gruppe 1965/66 die Photoproduktion verschiedener Resonanzen bis zu 5.8 GeV. In einer deutsch-britischen Kollaboration mit der am CERN PS eingesetzten britischen Wasserstoffblasenkammer wurden Zwei-Körper-Prozesse bei 6 GeV/c von der Gruppe studiert.

Kernemulsionen wurden von der Münchner Gruppe weiterhin als Nachweismittel eingesetzt, so bei der Messung des magnetischen Moments des Ʌ° - Hyperons hinter einem Target an einem Strahl des CERN PS.

Zur Messung des magnetischen Moments des Ʃ+-Hyperons wurde im Münchner Institut in Zusammenarbeit mit einer Gruppe der Vanderbilt University (Nashville, USA) eine kleine Wasserstoffblasenkammer (HYBUC) in einem supraleitenden Magneten von 11.5 Tesla gebaut, die am CERN PS installiert und exponiert wurde. Durch das Ergebnis der Messungen wurde die Kenntnis des Werts des magnetischen Moments des Ʃ+-Hyperons signifikant verbessert.

1965 wurde K. Gottstein nach dem Auszug der plasmaphysikalischen Abteilung nach Garching zum Leiter der experimentellen Abteilung des Instituts für Physik ernannt. Eine zweite experimentelle Abteilung unter der Leitung von Ulrich Stierlin wurde 1966 eingerichtet. Nach der Habilitation von Norbert Schmitz und seiner Ernennung zum „Wissenschaftlichen Mitglied“ (1969) teilten sich Gottstein und Schmitz die Leitung der ersten experimentellen Abteilung. Diese Abteilung bestand Ende 1970 aus den folgenden Gruppen: HYBUC, andere Blasenkammerexperimente, Experimente mit Kernemulsionen, Zähler- und Streamerkammerexperimente. Zusätzlich zu den in ihnen tätigen 39 Physikern (einschließlich Diplomanden, Doktoranden und Gästen) und zusätzlich zu den Angehörigen der allgemeinen Institutswerkstatt waren Ende 1970 für die Abteilung Gottstein-Schmitz 20 Messhelfer für die Durchmusterung und Vermessung von Blasenkammerfilmen und Kernemulsionen, vier Programmierer und Operateure und neun Techniker und Ingenieure tätig.

Bis 1971 war Gottstein Mitglied des Wissenschaftlichen Rats des Deutschen Elektronensynchrotrons (DESY, Hamburg), des European Committee for Future Accelerators, ECFA (CERN, Genf) und des Hochenergie-Ausschusses des Arbeitskreises Kernphysik im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft.

1971 ließ sich Gottstein im Einvernehmen mit Institutsdirektor Heisenberg und Präsident Butenandt für zunächst drei Jahre beurlauben, um die ihm angebotene

Page 6: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

6

Position als Wissenschaftsattaché an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Washington anzunehmen. Bis dahin hatte er 29 Diplomarbeiten und 27 Doktorarbeiten betreut.

In seiner Eigenschaft als Wissenschaftsattaché war Gottstein von 1971 bis 1974 für das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) für Verhandlungen und für die Zusammenarbeit mit den USA in den Bereichen Energiepolitik, Luft- und Weltraumforschung, Umweltpolitik, Verkehrstechnologien sowie für die Unterstützung deutscher Besucher zuständig, die sich für Vorgänge auf diesen Gebieten in den USA interessierten. Gelegentlich waren auch deutsche Wissenschaftler zu betreuen, die in den USA arbeiteten und sich mit Anliegen an die Botschaft wandten.

Ende 1974 nahm unter dem Vorsitz von Carl Friedrich von Weizsäcker ein vom Bundesminister für Forschung und Technologie eingesetzter „Beratender Ausschuss für Forschung und Technologie“ (BAFT) in Bonn seine Arbeit auf, der den Bundesminister laufend bei der Formulierung der deutschen Forschungs- und Technologiepolitik beraten sollte und dafür zu den verschiedenen Themen Begehungen von Forschungszentren, Kolloquien und internationale Arbeitstagungen veranstaltete. Gottstein wurde von v. Weizsäcker im Einverständnis mit dem Minister gebeten, an den Sitzungen des BAFT teilzunehmen und bei der Formulierung von dessen Arbeitsprogrammen und Ergebnisprotokollen mitzuwirken. Gottstein übernahm diese Aufgabe, seine Beurlaubung vom MPI für Physik wurde verlängert, er zog als Weizsäckers Gast im Herbst 1974 in das Starnberger MPI zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt ein.

Bei einem Wechsel in der Leitung des BMFT Ende 1977 wurde der BAFT aufgelöst. Gottstein hatte schon vorher zusätzlich zu der Arbeit für den BAFT weitere wissenschaftspolitische Aufgaben erhalten und wurde auch nach der BAFT-Auflösung für solche Tätigkeiten in Anspruch genommen. In Absprache zwischen C. F. von Weizsäcker, dem Präsidenten (Lüst) der MPG und dem Direktorium des MPI für Physik verblieb Gottstein mit einer kleinen, ihm zugeordneten Arbeitsgruppe von 1974 bis zu Weizsäckers Emeritierung (1980) als Gast im Starnberger Institut. In dieser Zeit übte er neben bzw. nach der BAFT-Tätigkeit die folgenden Funktionen aus:

• Von 1975 bis 1979 war Gottstein Verbindungsmann zwischen der MPG und dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Die MPG vertrat in dieser Zeit die

Page 7: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

7

Bundesrepublik Deutschland im Council des IIASA. Als stellvertretendes Council-Mitglied nahm Gottstein an den Sitzungen des Council teil. In Rundschreiben unterrichtete er interessierte Wissenschaftler in der Bundesrepublik über die einzelnen Projekte des IIASA und vermittelte Kooperationen. Deutsche Interessentengruppen existierten in den Feldern Nahrung, Rohstoffe, Gesundheit, Transport, Industrialisierung, Infrastruktur, Sonnenenergie, Dokumentation, Patentwesen, Geographie, Sozialwissenschaft, Wasser, Recht und Umwelt.

• 1976 wurde Gottstein in den Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und zum Sprecher der deutschen Pugwash-Gruppe gewählt. In dieser Eigenschaft war er Vorsitzender des Organisationskomitees für die 27 th International Pugwash Conference on Science and World Affairs, die im August 1977 in München stattfand. Sie wurde vom BMFT finanziert und von Bundesminister Matthöfer in Vertretung von Bundeskanzler Schmidt eröffnet. Bundespräsident Scheel sandte ein Grußtelegramm. Es war die bis dahin größte Pugwash-Konferenz überhaupt. Der bayerische Ministerpräsident und der Präsident der MPG gaben Empfänge für die Teilnehmer aus aller Welt.

• 1979 veranstalteten die Vereinten Nationen in Wien eine United Nations Conference on Science and Technology for Development (UNCSTD), an der sich die Bundesrepublik Deutschland unter Federführung des BMFT beteiligte. Gottstein wurde vom BMFT gebeten, die wissenschaftlichen Beiträge aus der Bundesrepublik Deutschland zu koordinieren. Zur Vorbereitung berief Gottstein einen „Workshop on Science and Technology for the Third World“ im November1978 nach Feldafing ein, auf dem deutsche Erfahrungen, Anliegen, Anregungen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern diskutiert und mögliche Beiträge für die Wiener UN-Konferenz diskutiert wurden.

• In der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, Helsinki 1975) wurde in Korb II u. a. eine Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technik und Umwelt vereinbart. Zur Vereinbarung der Einzelheiten einer solchen Zusammenarbeit lud der damalige Bundesaußenminister Scheel die 35 Teilnehmerstaaten zu einem „Wissenschaftlichen Forum“ der KSZE nach Hamburg ein. Zur

Page 8: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

8

Vorbereitung von dessen Tagesordnung lud die Bundesregierung wissenschaftliche Delegationen aus diesen Staaten zu einem Expertentreffen ein, das vom 20. Juni bis zum 28. Juli 1978 in der Bonner Beethovenhalle tagte. Gottstein war vom Auswärtigen Amt (AA) gebeten worden, die bundesdeutsche Delegation zu koordinieren. Nach schwierigen Ost-West-Verhandlungen gelang es, eine sinnvolle Tagesordnung zu definieren. Gottstein wurde von den 35 Delegationen zum Exekutivsekretär des „Wissenschaftlichen Forums“ der KSZE gewählt, das er dann in Zusammenarbeit mit dem AA vorbereitete und das vom 18. Februar bis 2. März 1980 in Hamburg stattfand und brauchbare Ergebnisse lieferte.

Nach der Emeritierung von C. F. v. Weizsäcker (Ende Juni 1980) zog Gottstein mit seiner kleinen Arbeitsgruppe von Starnberg wieder nach München-Freimann ins MPI für Physik um. Dort war nach Auszug des Instituts für Astrophysik nach Garching eine Reihe von Zimmern frei geworden. Von 1980 bis 1984 war Gottstein Direktor der Arbeitsgruppe Gottstein (Arbeitsgebiet: Fragen im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Politik) im Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik und Wissenschaftliches Mitglied von dessen Teilinstitut für Physik. Im Jahrbuch 1981 der MPG sind 13 Veröffentlichungen der 4 Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Gottstein verzeichnet, im Jahrbuch 1982 sind es 15 Veröffentlichungen von 3 Wissenschaftlern. Sie betrafen wissenschaftliche Fragen der Rüstungskontrolle, der Energieversorgung, der Technologien für Entwicklungsländer und der Ost-West-Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik.

Als Vorsitzender der Studiengruppe „Kulturelle Identität und wissenschaftlich-technische Entwicklung“ der VDW veranstaltete Gottstein mit Unterstützung von Max-Planck-Gesellschaft, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und Volkswagen-Stiftung einen „International Workshop on Islamic Cultural Identity and Scientific-Technological Development“ (Schloß Ringberg am Tegernsee, April 1983) und zusammen mit dem Entwicklungspolitischen Forum der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung eine „International Conference on Cultural Development, Science and Technology in Sub-Saharan Africa (Villa Borsig, Berlin, 27. – 30.9.1983).“

Von 1981-83 war Gottstein Mitglied des Advisory Panel on Science, Technology and Society der UNESCO in Paris. Der Deutschen UNESCO-Kommission gehörte er von 1983-91 an. Mitglied des Advisory Panel on

Page 9: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

9

Science Policy der UNESCO beim Wissenschaftsministerum der Russischen Föderation wurde er 1993.

Im Jahre 1984 gründete die MPG eine selbständige „Forschungsstelle Gottstein in der Max-Planck-Gesellschaft“ (Direktor: K. Gottstein) mit dem Arbeitsgebiet „Fragen im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Politik“. Sie wurde in neu angemieteten Räumen (ein halbes Stockwerk in einem Bürohaus am Frankfurter Ring) untergebracht. Gottstein blieb „Weiteres Wissenschaftliches Mitglied im Werner-Heisenberg-Institut des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik.“ Das Jahrbuch 1984 der MPG verzeichnet 16 Veröffentlichungen von 5 Wissenschaftlern (darunter 3 wissenschaftliche Gäste und Stipendiaten) für dieses Jahr.

Die Forschungsstelle Gottstein existierte von 1984 bis zu Gottsteins Emeritierung im Jahre 1992. In dieser Zeit veranstaltete sie mehrere internationale Workshops und Konferenzen, in denen u.a. mit Unterstützung der American Academy of Arts and Sciences, der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Dezember 1986 die impliziten und expliziten Annahmen, die dem amerikanischen SDI-Programm (Strategic Defense Initiative) zugrundelagen, unter Beteiligung des SDI Chief Scientist und deutscher Experten untersucht wurden. Eine Reihe weiterer internationaler Konferenzen und Workshops der Forschungsstelle beschäftigte sich 1987, 1989, 1990 und 1991 mit

• Western perceptions of long-range goals of Soviet policy (Schloss Ringberg),

• Mutual Perceptions of Long-Range Goals in the East-West Conflict (Evangelische Akademie Tutzing)

• Eastern and Western perceptions of the future (Schloss Ringberg) • Perceptions of the Europe of Tomorrow. The Role of Individual East

European and West European Countries, of the U.S.S.R and the United States in a Future Europe, and the Role of Europe between East and West, and in North-South Relations (Schloss Ringberg)

Die Ergebnisse wurden in einer Reihe von fünf Büchern veröffentlicht.

Von 1989-95 war Gottstein Vorsitzender des Vorstands des Arbeitskreises "Kultur und Entwicklung“ (AKE) in der Bundesrepublik Deutschland. Der AKE war ein Zusammenschluss von etwa 60 Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland, die in der Auswärtigen Kulturpolitik und in der

Page 10: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

10

Entwicklungspolitik tätig waren und ihre Tätigkeit wissenschaftlich begleiteten. Dazu gehörten u. a. der Deutsche Entwicklungsdienst, die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung, das Goethe-Institut, das Haus der Kulturen der Welt, das Zentrum für technische Zusammenarbeit der Technischen Universität Berlin (diese fünf Institutionen waren im Vorstand vertreten) sowie der DAAD, die Deutsche Welle, die Carl-Duisberg-Gesellschaft, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, die Kultusministerkonferenz, zahlreiche Universitätsinstitute, einige Bundesministerien, einige Stiftungen und viele andere, einschließlich einiger einschlägig interessierter Individuen. Der AKE veranstaltete jährliche Tagungen über aktuelle Themen, die reihum bei einer der Mitgliedsinstitutionen ausgerichtet wurden.

In den Jahren 1990 bis 1996 hatte Gottstein den Vorsitz des Vorstands des Chapter München der Society for International Development (SID) inne. Das Chapter lud Experten zu entwicklungspolitisch interessanten Vorträgen zu seinen Treffen in München ein, die bis zu sechsmal jährlich stattfanden, teils im Hörsaal des MPI für Physik, teils im Vortragssaal der Siemens-Stiftung, teils bei anderen Münchner Mitgliedsorganisationen.

1986 war Gottstein zusammen mit einer kleinen Anzahl europäischer Wissenschaftler vom Präsidenten der U. S. National Academy of Sciences (NAS) zu Gesprächen nach Washington eingeladen worden, um die Beteiligung europäischer Wissenschaftler an den regelmäßigen Zusammenkünften eines Committee on International Security and Arms Control (CISAC) der NAS und eines entsprechenden Komitees der sowjetischen Akademie der Wissenschaften über Fragen der Rüstungskontrolle und der nuklearen Abrüstung zu erörtern. Als Ergebnis entstanden die sog. Internationalen Amaldi-Konferenzen der nationalen Akademien und nationalen wissenschaftlichen Gesellschaften über wissenschaftliche Fragen von Rüstungskontrolle und nuklearer Abrüstung, deren erste drei 1988, 1989 und 1990 auf Einladung der Accademia Nazionale dei Lincei in Rom stattfanden. In den folgenden Jahren waren die nationalen wissenschaftlichen Gesellschaften anderer europäischer Länder die Gastgeber, so die Royal Society 1991 in Cambridge und die MPG zusammen mit der Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften 1992 in Heidelberg. Gottstein gehörte dem internationalen Organisationskomitee der Amaldi-Konferenzen an. Er nahm – mit einer Ausnahme krankheitshalber – an allen 18 bisherigen Amaldi-Konferenzen teil. 1992 wurde Gottstein zum Beauftragten der Konferenz (später: Union) der deutschen Akademien der Wissenschaften für die deutsche Beteiligung an den Amaldi-Konferenzen ernannt. Dieses Amt

Page 11: Klaus Gottstein Wissenschaftlicher Werdegang · (Werner-Heisenberg-Institut) erhielt auf der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Düsseldorf am 14. Juni 2012 von Präsident

11

behielt er bis Ende 2008. In dieser Zeit koordinierte er die Auswahl und die Beiträge der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Amaldi-Konferenzen und leitete die Organisationskomitees von weiteren zwei in Deutschland veranstalteten Amaldi-Konferenzen (1999 in Mainz und 2008 in Hamburg). Als Berater wird er weiterhin zu den Amaldi-Konferenzen hinzugezogen, so 2010 zu der Amaldi-Konferenz in Rom.

Mit der Emeritierung von Gottstein Ende Januar 1992 wurde die Forschungsstelle Gottstein geschlossen. Unter dem Namen „Emeritusarbeitsplatz Gottstein“ arbeitete sie als Einrichtung der MPG weiter, um noch zwei Konferenzen abzuwickeln, und zwar

• die schon erwähnte „5th International Amaldi Conference of Academies of Sciences and National Scientific Societies, ‚International Security in a Transformed World‘, Heidelberg, Anfang Juli 1992“, in Zusammenarbeit mit dem MPI für Völkerrecht und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

• ISODARCO Summer Course "Aspects of Security Policy in a New Europe", Politische Akademie Tutzing in Zusammenarbeit mit der italienischen Pugwash-Gruppe, Ende Juli 1992

Im Herbst 1992 wurde der Emeritusarbeitsplatz Gottstein als Außenstelle des MPI für Physik auf den Campus der Universität der Bundeswehr München verlegt. Die Universität der Bundeswehr übernahm die Bibliothek und das Archiv der Forschungsstelle Gottstein und räumte im Gegenzug Gottstein und seiner Sekretärin (diese wurde 1996 pensioniert) Arbeitsplatz und das Recht zur Nutzung der Infrastruktur der Universität ein. Seither ist Gottstein dort als Gast der Universität der Bundeswehr mit der Herausgabe von Konferenzberichten, dem Halten von Vorträgen, dem Verfassen von Stellungnahmen, Gutachten und Zeitzeugenberichten sowie mit einer umfangreichen internationalen Korrespondenz beschäftigt. Im Sommer 2011 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Werdegang Gottstein