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IV. Kleinere Beitr tge zur normalen und pathologischen Anatomie des 6ehi rorganes, VO~ Dr. Max Fleseh~ Privatdocen~ und Prosec~or zu Wfir~burg. I. Zur Dehiseenz des Tegmen tympanl. Seit einer friiheren Mittheilung tiber die Ltieken des Daehes der PaukenhShle 2) babe ich bei einer grossen Zahl yon Leiehen bei der Section jene Stelle untersucht. Wenn ieh auch statisti- sehe Aufzeiehnungen unterlassen habe, so glaube ieh doeh einen Punkt ergi~nzen zu mtissen. Wirkliche Dehiseenz der Art, dass naeh Li~sung der Dura eine klaffende LUeke im Paukendaeh er- seheint, geh~rt jedenfalls zu den Seltenheiten; bei vorsichtiger Priiparation bleibt fast immer eine durehseheinende, zuweilen biegsame Deeke zurtick; nach der Maceration wird nattlrlieh eine solche dtinne, in manehen Fallen wahrseheinlieh der Kalk- salze schon ermangelnde Lamelle einreissen und Ltieken zeigen kiinnen. Eine sichere Unterscheidung yon wirklich praexistiren- den Ltieken ist dann kaum mi/glieh. Ftir die Stgtistik ergibt sich daraus, dass wahrseheinlieh, wo maeerirte Schiidel bentltzt werden, eine zu grosse Zahl yon Fallen als, Dehiseenz" gez~hlt wird. Unter 27 Verbrecherschiideln~ tiber welche ieh Notizen aus dem Sectionsprotokolle babe, land ich 4 real (2 M~nner, 2 Weiber) dtinnes Tegmen, 1 real Dehiscenz, in letzterem Falle war indess nieht die Paukenhiihle oder eine lufthaltige Warzen- zelle~ sondern ein markhaltiger Hohlraum blossgelegt. Fast mSchte ieh glauben, dass ausnahmslos eine vielleieht i~usserst 1) Zur Kenntniss der sogenannten Dehiscenz des Tegmen tympani. Dieses Archiv Bd. XV. S. 15--35. Die Literatur findet sich bei Blirkner: Kleine Beitx~ge zur normalenund pathologischenAnatomic des GehSrorganes. Dieses Archly Bd. XIV. Archly f~ Ohrenheilkunde. XVIIL Bd. 5

Kleinere Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie des Gehörorganes

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IV.

Kleinere Beitr tge zur normalen und pathologischen Anatomie des 6ehi rorganes,

VO~

D r . M a x F le seh~ Privatdocen~ und Prosec~or zu Wfir~burg.

I. Zur Dehiseenz des Tegmen tympanl .

Seit einer friiheren Mittheilung tiber die Ltieken des Daehes der PaukenhShle 2) babe ich bei einer grossen Zahl yon Leiehen bei der Section jene Stelle untersucht. Wenn ieh auch statisti- sehe Aufzeiehnungen unterlassen habe, so glaube ieh doeh einen Punkt ergi~nzen zu mtissen. Wirkliche Dehiseenz der Art, dass naeh Li~sung der Dura eine klaffende LUeke im Paukendaeh er- seheint, geh~rt jedenfalls zu den Seltenheiten; bei vorsichtiger Priiparation bleibt fast immer eine durehseheinende, zuweilen biegsame Deeke zurtick; nach der Maceration wird nattlrlieh eine solche dtinne, in manehen Fallen wahrseheinlieh der Kalk- salze schon ermangelnde Lamelle einreissen und Ltieken zeigen kiinnen. Eine sichere Unterscheidung yon wirklich praexistiren- den Ltieken ist dann kaum mi/glieh. Ftir die Stgtistik ergibt sich daraus, dass wahrseheinlieh, wo maeerirte Schiidel bentltzt werden, eine zu grosse Zahl yon Fallen a l s , Dehiseenz" gez~hlt wird. Unter 27 Verbrecherschiideln~ tiber welche ieh Notizen aus dem Sectionsprotokolle babe, land ich 4 real (2 M~nner, 2 Weiber) dtinnes Tegmen, 1 real Dehiscenz, in letzterem Falle war indess nieht die Paukenhiihle oder eine lufthaltige Warzen- zelle~ sondern ein markhaltiger Hohlraum blossgelegt. Fast mSchte ieh glauben, dass ausnahmslos eine vielleieht i~usserst

1) Zur Kenntniss der sogenannten Dehiscenz des Tegmen tympani. Dieses Archiv Bd. XV. S. 15--35. Die Literatur findet sich bei Blirkner: Kleine Beitx~ge zur normalen und pathologischen Anatomic des GehSrorganes. Dieses Archly Bd. XIV.

Archly f~ Ohrenheilkunde. XVIIL Bd. 5

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dtinne aueh,der Kalksalze ermangelnde Lamelle die Continuitiit der Knoehenoberfl~iche fortsetzt, die sich allerdings leieht mit der Data abheben, eventuell bei der Maceration zu Grunde gehen wird. In dieser Hinsieht erseheint eine Neuaufnahme der Sta- tistik auf Grund yon Befunden bei Sectionen an Stelle der Un- tersuchunff maeerirter Sch~del wUnschenswcrth.

I I . Stenose des inneren fiehifrganges dureh Hyperostosis eranii.

Ueber diese Beobachtung soll hier nur das auf das Geh~r- organ BezUgliche mitgetheilt wcrden, da eine ausft~hrliche Be- schreibung des Falles an anderer Stelle (in einer demn~iehst er- seheinenden Abhandlung tiber Verbrechergehirne) verSffentlicht werden soil.

Die 25j~thrige J. S. starb im Zuehthaus plStzlich, nachdem sic nut wenige Stunden tiber Unwohlsein geklagt hatte. Als einziger wesentlieher Seetionsbefund hatte sieh fettige Entartung des Herzens gefunden neben peritonitisehen Verwachsungen und Schrumpfung tier Gallenblase mit Concrementbildungen. Lttngere Zeit naeh dem Tode wurde mir der maeerirte Seh~tdel vorgelegt. Derselbe zeigte nun eine erhebliche Verdiekunff aller Knochen, namentlich der Basis; vor Allem auff~tllig ist dieselbe, wo soust in ti'eie seharfe Kanten auslaufende Knoehenplatten sind, so am kleinen Keilbeinittigel, der Crista galli, dem Tubereulum sellae, die zu dicken Wulsten g.estaltet sind. Aueh das Felsenbein ist dicker als normal, seine Fl~tchen gewt~lbt, die Verdickung be- trifft hinten vornehmlich die Umgebung des Meat. audit, internus. Letzterer bildet eine querstehende Spalte, die in ihrem mittleren Theile sich etwas erweitert (etwa 1,5 Mm. both). Der gauze Spalt ist kaum gr~sser, als sonst etwa der sog. Hiatus subareuatus, der bier kaum angedeutet ist. Der Hiat. aquaeduetus vestibuli ist nach Lage und Grt~sse normal. Von sonstigen Unregelm~tssig- keiten des Sehl~tfenbeines, soweit sic ohne Zerlegung des Sehtt- dels in seine einzelnen Knoehen kenntlich waren, ist noch zu erw~thnen: Die Furche far den Sin. petros, sup. ist kaum ange- deutet. Die Sutura petrosquamosa war reehts in ihrem medialen Theile deutlich, links ist sic lang, im Grunde eines tiefen Sule. meningeus gelegen. Der Hiat. spurins can. Fallopiae ist als soleher nicht sichtbar; die Stelle der Furche, die gew(ihnlich

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den Verlauf des Nerv. petros, supertie, major anzeigt, nimmt eine Spalte ein~ welche ein yore Foram. lacer, anterius ausgehendes unter der Fclsenbeinspitze und Lingula des Kcilbeines verbor- genes Kanalchen fortsetzt, der Spalt ist oftenbar durch Ueber- dachung der ursprUnglichen Furche durch die sich entgegenwaeh- senden iiberh~ingenden Knochenauflagerungen entstanden; im Grunde der Spalte ist wohl der Hiat. spurius enthalten. Noch sei erwiihnt, dass die Schliifenbeinschuppe sieh an der Seiten- fi~iche des Schi~dcls leicht gewulstet zeigt, dass ferner die Um- randung des ausseren Gehi~rganges unten yon fiachen Osteo- phyten besetzt ist.

Hinsichtlieh der Literatur tiber Hyperostosis cranii sei bier auf die Abhandlung yon H u s e h k e 1) ,Ueber Cranioselerosis to- falls rhachitica" verwiesen; den innern Geh(irgang schildert H. in einem Fall als eine mehr quere Spalte dutch sin Loch dar- stellend, ,es mag vielleicht wohl der Nervus facialis, wenn auch dilnner vorhanden, der acusticus dagcgen g~nzlich geschwunden gewesen sein."

In H u s c h k e 's Fall war der Hiat. spurius can. Fallopiae vor- handen aber engcr als normal; Ankylose des Steigbi~gels in der Fen. ovalis~ Enge der Halbcirkelgange und der Schnecke liessen auf Taubheit zurUckschliessen. (Der Fall war im Leben nicht beobachtet.) Hinsichtlich der Antccedentien unseres Falles muss ich auf die obencrw~hnte anderweitige Publication verweisen. Das For. ovale war am macerirten Schiidel often, der Stcigbtigel ausgefallen; das innere Ohr wurde nicht untersueht, da die Kran- kengeschichte hierzu keine Veranlassung bot. Genaue Erkun- digungen haben nichts ergeben, was auf Gch(irschwiiehe oder Hallucinationen sehliessen liess. Nach Mitthcilung des behan- delnden Arztes h(irte die Patientin gut, gab allerdings etwas langsam Antwort, wohl mehr aus Unwilligkeit als wegen schleeh-

l) Programm zu dem 300 j~hr. Jubelfest der Universit~tt Jena. Quart. Jena bei Fromann 1858. Die Literatur ist dort ausfilhrlich zusammengestellt. Weitere Angaben tiber die Hyperostosls cranii finden sich bei Virchow, Die krankhaften Geschwiilste. II. Bd. A 1 b e r s, Bericht tiber 84 Leichen- 5ffnungen. Deutsche Klinik 1850. Nr. 38--52 u. 1851. 1--4. Durham, Guy's Itosp. report. X. p. 348. 1864 (letztere nach Sehmidt's Jahrbiichern citirt) u. a. a. 0. Ein Vergleich unseres FalIes mit dem vonHuschke, einer wahren Leontiasis ossea hinsichtlich des Grades der Affection ist tibrigens ganz aus- zuschliessen; gerade well es sich um einen sonst relativ geringen Grad der Krankheit handelt, erscheint die bedeutende Stenose der Nervenl(icher auf- faltend.

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ten Verst~ndnisses. Zur Aetiologie liegt nichts Sicheres vor~ Rhachitis und Syphilis k~nnten vielleicht herangezogen werden. Patientin war uneheliches Kind elner N~herin; selbst mehffach wegen Diebstahl und Landstreicherei bestraft, k~rperliehe Missbil- dung fehlte, wohl aber zeigten quergefurchte Sehneide- und Eek- z~hne, abgeplattcte und etwas eingesunkene Spitzen zweier Back- z~thne vielleicht auf Rhaehitis resp. Syphilis eranii him Unscre Beobachtunff verdient vielleicht trotz ihrer Unvoll st~ndlgkeit einiges Interesse auch vom Standpunkte der Pathologie des Ge- h~rganges, indem sie beweist, eine wie erhebliche Einengung der HSrnerven ohne wenigstens objeetiv nachweisbare Reizerschei- nungen entsteheu und ohne GehSrsehw~che fortdauern kann.