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(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universiti~t Breslau [Direktor: Professor Dr. Johannes Lange].) Klinische Bemerkungen zu der Arbeit yon Karl Neubiirger: [Jber Hirnver[tnderungen nach Alkoholmii~brauch 1. Von Erich Guttmann. (Eingegangen am 22. September 1931.) AnlaB zu diesen Bemerkungen geben Neubi~rgers zurfickhaltende ~uBerung fiber die Zusammenhange der yon ihm so fiberzeugend dargestellten anatomischen Befunde mit den klinischen Erscheinungen bei chronischem AlkoholmiBbrauch. Er schreibt namlich: Zu der Frage nach den Beziehungen zwisehen klinischem Verlauf und anatomischen Befunden miisse er sich genau so reserviert auBern wie die anderen Autoren der letzten Zeit. ,,Okhuma sagt in fObereinstimmung mit Gamper, dal~ es ganz unmSg]ich ist, verschiedene Substrate ffir die verschiedenen Krankheitsbilder (Alkohol- delir, Polioencephalitis, Korssakow) aufzudecken. Verschiedenen der- artigen klinischen Bildern entsprechen g|eiehartige und gleichlokalisierte anatomische Ver/~nderungen, deren Intensit/tt und Akuit~t nur jeweils wechselnd ist. Doch lassen sich unserer Meinung nach auch durch diese graduelle Verschiedenheit die qualitativen Differenzen der klinischen Bilder nicht erkl/~ren. Und wir mfissen fiber die Feststellungen der anderen Autoren hinaus wiederholt betonen, dab klinische Ver/~nderungen eben auch fehlen oder so uncharakteristisch sein kSnnen, dab man gar nicht auf die Vermutung einer alkohologenen Hirnsch/~digung kommt." Wenn man die yon Neubi~rger mitgeteilten Krankengeschichten durchsieht, so erscheint es doch fraglich, ob eine solche Resignation notwendig ist, besonders wenn man sich sagt, dab der Autor, dem Zwecke seiner Arbeit entsprechend, wohl nicht den grSBten Wert auf die klinischen Befunde gelegt hat. Selbst aus seinen also mehr nebenbei gegebenen Angaben l~l~t sich doch verschiedenes entnehmen. Nur unter 5 yon diesen ja nach anatomischen Gesichtspunkten ausgew/~hlten 1 Diese Zeitschrift, 135, 159.

Klinische Bemerkungen zu der Arbeit von Karl Neubürger: Über Hirn Veränderungen nach Alkoholmißbrauch

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(Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universiti~t Breslau [Direktor: Professor Dr. Johannes Lange].)

Klinische Bemerkungen zu der Arbeit yon Karl Neubiirger: [Jber Hirnver[tnderungen

nach Alkoholmii~brauch 1.

Von

Erich Guttmann.

(Eingegangen am 22. September 1931.)

AnlaB zu diesen Bemerkungen geben Neubi~rgers zurfickhaltende ~uBerung fiber die Zusammenhange der yon ihm so fiberzeugend dargestellten anatomischen Befunde mit den klinischen Erscheinungen bei chronischem AlkoholmiBbrauch.

Er schreibt namlich: Zu der Frage nach den Beziehungen zwisehen klinischem Verlauf und anatomischen Befunden miisse er sich genau so reserviert auBern wie die anderen Autoren der letzten Zeit. ,,Okhuma sagt in fObereinstimmung mit Gamper, dal~ es ganz unmSg]ich ist, verschiedene Substrate ffir die verschiedenen Krankheitsbilder (Alkohol- delir, Polioencephalitis, Korssakow) aufzudecken. Verschiedenen der- artigen klinischen Bildern entsprechen g|eiehartige und gleichlokalisierte anatomische Ver/~nderungen, deren Intensit/tt und Akuit~t nur jeweils wechselnd ist. Doch lassen sich unserer Meinung nach auch durch diese graduelle Verschiedenheit die qualitativen Differenzen der klinischen Bilder nicht erkl/~ren. Und wir mfissen fiber die Feststellungen der anderen Autoren hinaus wiederholt betonen, dab klinische Ver/~nderungen eben auch fehlen oder so uncharakteristisch sein kSnnen, dab man gar nicht auf die Vermutung einer alkohologenen Hirnsch/~digung kommt."

Wenn man die yon Neubi~rger mitgeteilten Krankengeschichten durchsieht, so erscheint es doch fraglich, ob eine solche Resignation notwendig ist, besonders wenn man sich sagt, dab der Autor, dem Zwecke seiner Arbeit entsprechend, wohl nicht den grSBten Wert auf die klinischen Befunde gelegt hat. Selbst aus seinen also mehr nebenbei gegebenen Angaben l~l~t sich doch verschiedenes entnehmen. Nur unter 5 yon diesen ja nach anatomischen Gesichtspunkten ausgew/~hlten

1 Diese Zeitschrift, 135, 159.

592 Erich Guttmann: Bemerktmgen zu der Arbeit yon Karl Neubiirger:

F~llen fanden sieh keine brauchbaren klinisehen Angaben. Bei 16 geht einwandfrei hervor, dab sie delirant gewesen sind, meistens mit charak- teristischer alkoholischer F~rbung in der Psychose. Bei 4 Kranken besteht ein Korssakowscher Symptomenkomplex, und bei 10 Fiillen wird ausdrficldich eine lange bestehende oder besonders tiefe Somnolenz hervorgehoben. Bei 5 Kranken schlieBlich sind Augenmuskelerschei- nungen angegeben.

Die zurfickhaltenden AuBerungen von Neubi~rger und Ohkuma beziehen sich auf die Tatsache, dab man den anatomischen Befund bei den verschiedenen alkoholischen Psychosen nieht differenzieren kann. Die Resignation ist also nur eine Folge zu hoch gespannter Erwartungen. Geht man n~mlich an das Material mit der Einstellung heran, dab dem anatomischen Syndrom nicht eine bestimmte Psychose, sondern vielleicht nur ein klinisches Syndrom zugeordnet werden k~nnte, das sich bei allen Psychosen nachweisen ls so lassen sich vielleicht positivere Ergebnisse erzielen. Am naheliegendsten erscheint es im Hinblick auf die Lokalisation der Ver~nderungen, in der BewuBtseinstrfibung die klinische Parallele zu den histopathologischen Befunden zu sehen. Wenn OMatma dagegen anfiihrt, dab unter seinen 4 F~llen eine Korssakow- kranke ohne BewuBtseinstrfibung sich befand, so erseheint die wieder- gegebene Kral~kengeschichte nicht ausffihrlich genug, um diese negative Behauptung zu reehtfertigen. Einerseits war die Kranke E. 0. unruhig, bot einen ausgesprochenen Besch~ftigungsdrang, war schlecht orientiert und verkannte die Umgebung, so dab man daran denken kSnnte, dab doch delirante Zfige im Krankheitsbild nicht fehlten. Andererseits ist fiber die finalen Erseheinungen nichts bekannt. ~berhaupt fehlt bei den meisten anatomisch untersuchten F~llen eine Angabe fiber die terminalen Erscheinungen. Selbst Beobachtungen fiber die vegetativen StSrungen vor dem Tode, wie sie etwa in der Wfirzburger Klinik an Paralysen gemacht worden sind, existieren nicht. Aber auch fiber die neurologischen Erscheinungen, die besonders yon seiten des Augen- bewegungsapparates zu erwarten sind, fehlen, kann man vorli~ufig nur sagen, die Angaben. Naeh meinen eigenen Erfahrungen, die jeweils an den anatomisehen Befunden von Neubiirger kontrolliert worden sind, kann man das in Rede stehende anatomische Syndrom, die sogenannte Polioencephalitis haemorrhagica superior Wernicke (man sollte ffir dieses anatomische Syndrom eine andere Bezeichnung einfiihren) nicht nur aus dem klassischen Symptomenbild, dem Delirium tremens, dem alkoholisch gef~rbten Delir anderer ~tiologie und dem Korssakow diagnostizieren, sondern auch aus dem Zusammentreffen tie/er Bewuflt- seinstri~bung mit Augenmuskelerscheinunge~ und Polyneuritis. Fiir letztere spricht Druckschmerzhaftigkeit der Nervenst~mme und der Muskulatur ; die Erscheinungen yon seiten des Augenbewegungsapparates sind hs repr~isentiert durch Nystagmus, der sich unter Umst~nden nur nach

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kompensatorischen Augenbewegungen bei Kopfdrehungen zeigen 1/~13t. Selbstverst/~ndlich mul3 vor allem sin hirndrucksteigernder ProzeB als Ursaehe der Benommenheit ausgeschlossen werden. Chronischer Alko- holismus in der Anamnese ist sine Stiitze fiir die Diagnose. Jedenfalls erseheint es notwendig, bevor man sich zu der diagnostischen Resignation entschlie$t, einerseits F/tile, bei denen auf eine anatomische Klarstellung gerechnet werden kann, auch klinisch nach den angedeuteten Gesichts- punkten zu untersuehen, andererseits F/~lle, die klinisch Syndrome der BewuBtseinstriibung geboten haben, anatomisch im Hinblick auf die Gamper.Neubiirgerschen Ver~ndsrungen zu durchforschen.