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Kolloquium für Psychotherapie und Psychosomatik (Montagskolloquium):
KurzZEITtherapie bei Binge Eating Störung
Prof. Simone Munsch
University of FribourgDepartment of PsychologyClinical Psychology and Psychotherapy
Binge Eating DisorderErscheinungsbild
1. Subjektiver Kontrollverlust
2. Gestörtes Essverhalten auch zwischen den Essanfällen
3. Unregelmässige Ernährung
4. Negatives Körperbild
5. Interpersonelle Defizite
6. Gestörte Hunger- und Sättigungsregulation
7. Essens-, Gewichts- und Körpersorgen (mehrere Stunden pro Tag/ an mehreren Tagen der Woche)
8. Assoziiert mit kontinuierlich steigendem BMI
9. Erhöhte allgemeine Psychopathologie (Depressivität, Ängstlichkeit, geringe Lebenszufriedenheit und Selbstwirksamkeit)
Binge Eating Störung bei Kindern, Besonderheiten:
• Kontrollverlust unabhängig von der Menge der
Nahrungszufuhr
• Kontrollverlust während regulärer Mahlzeiten, Snacks, bei
Parties oder im Restaurant
• „Horten“ von Nahrungsmitteln
• Erhöhte allgemeine Psychopathologie (geringer Selbstwert,
externalisierende/ internalisierende Verhaltensauffälligkeiten)
• Hohe Fluktuation, jedoch scheint Psychopathologie nicht von
Fluktuation abhängig zu sein
Hilbert & Munsch (2005); Munsch (2009); Tanofsky-Kraff et al. (2008); Hilbert & Czaja (2009).
Was löst Essanfälle aus?
• Negativer Affekt (allg. intensive Affekte)– Interpersonelle Stressoren– Körperbezogenes Hänseln
• Isolation, Langeweile
• Lernprozesse– Antizipierte Belohnung durch Nahrungsmittelzufuhr:
nahrungsbezogene Belohnungssensitivität, Spannungsreduktion
– Geruch, Örtlichkeiten
Binge Eating Disorder im DSM-V (307.51; F50.8)A) Wiederkehrende Episoden von Essanfällen
– Abgrenzbare Zeitspanne, Nahrungsmenge ist größer, als die meisten Menschen in einer vergleichbaren Zeit/ unter ähnlichen Umständen essen würden
– Ein Gefühl des Kontrollverlustes während des Essanfalles
B) Mindestens drei der folgenden Symptome:– Wesentlich schneller essen
– Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
– Heimlich essen, Scham wegen der Menge, die gegessen wird
– Essen ohne sich körperlich hungrig zu fühlen
– Ekel vor sich selbst, depressive Gefühle und Schuldgefühle nach dem Essen
C) Deutliches Leiden
D) Während mind. 3 Monaten, mind. 1 Tag pro Woche
E) Keine unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen, nicht ausschliesslich im Verlauf einer AN oder BN
• Spezifizieren: – Teilremission oder Vollremission
– Schweregrad: mild (1-3 Episoden von Essanfällen/ Woche); moderat (4-7); schwer (8-13); extrem (14 und mehr)
• Internet basierte Studie 2009-2010 der Universitäten Lausanne & Basel/ Fribourg: – 1514 Erwachsene, 18-26 Jahre
– Subklinisch gestörtes Essverhalten bei bis zu 20% der Befragten
– AN: 0.3 %, BN: 1.3 %, BES: 3.4 %
• Repräsentative Querschnittstudie im Auftrag des BAG:– 10’038 Frauen und Männer, 15-60 Jahre
– Lebenszeitprävalenz in der Schweiz: 3.5 %
Essstörungen in der Schweiz
Prävalenz Beginn Dauer
AN F: 1.2 %, M: 0.2% M = 17.9 J. (SD = 3.9) M = 2.2 J. (SD = 2.7)
BN F: 2.4%, M: 0.9% M = 21.3 J. (SD = 10.2) M = 5.3 J. (SD = 5.9)
BED F: 2.4%, M: 0.7% M = 23.2 J. (SD = 10.5) M = 5.8 J. (SD = 8.5)
Fischer & Munsch et al., 2012; Schnyder et al., 2012
Ätiologie der BED
Adaptiert nach Schlup, B.; Munsch (2003; 2011)
Manifestation der BED
Auslösende Faktoren:Negatives Selbst- und KörperkonzeptDefizite bei der Impuls- und EmotionsregulationBelastende Lebensereignisse
Aufrechterhaltende Faktoren:Ess- und ErnährungsverhaltenKonditionierungsmechanismenSpannungsreduktion
Multifaktorielles Entstehungsmodell
Behandlung bei BES
• Unterschiedliche Ansätze sind wirksam bei der Reduktion von Essanfällen und assoziierter Essstörungspathologie
APA: American Psychological Association (2006). www.psych.orgNICE: National Institute of Clinical Excellence Guidelines (2004). www.nice.org.uk Wilson et al. (2007); Vocks et al. (2009); Herpertz et al., (2012).
Wirksamkeit
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) A
Behaviorale Gewichtsreduktionsprogramme (BGR) B
Selbsthilfeprogramme (SH) B
Interpersonelle Psychotherapie (IPT) A
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) B
Pharmakotherapie B
KVT/ IPT = Therapien der Wahl bei BES
Die Zeit, die Zeit...
mit der Zeit wird‘s gut?
Anzahl Wochen seit Behandlungsbeginn
Wö
che
ntli
che
Ess
an
fälle
(M
itte
lwe
rt)
Behandlungsende 12-Monate
p<.001
p<.001
Wirksamkeit einer kürzeren Behandlung?
Wann setzen Effekt ein?
Munsch et al. (2007).
Behandlungsinhalte
Phase Session CBT-L CBT-S
ACTIVE
TR.MENT
1 Psychoeducation
Clarifying treatment motivation
Individual goal setting
Identification of binge eating cues
Psychoeducation
Clarifying treatment motivation
Individual goal setting
Identification of binge eating cues
2
3
4
5
Symptom management (developing strategies for individual binge eating cues)
Symptom management (developing strategies for individual binge eating cues)
6 Cognitive therapy for irrational cognitions associated with binge eating
Basic information about balanced/ fat-reduced nutrition
7
8 Stabilizing reductions in binge eating
New goal setting
Relapse prevention
9 Modification of body concept
10
11 Cognitive therapy for irrational cognitions associated with binge eating and shape concerns
12
13 Introduction of balanced nutrition
Increasing physical activity14
15 Relapse prevention
Introduction of follow-up treatment16
BOOSTER 1-5 Stabilizing changes in binge eating behavior
Stabilizing changes in binge eating behavior
Die Zeit...
Je länger (Behandlung) dauert, umso besser wirkt sie?
Behandlungsbeginn Behandlungsende 12-Monats-Katamnese
KVT-L KVT-K KVT-L KVT-K
KVT-L KVT-K
Abstainer rate (%)EDE
0% 0% 86% 46% 90% 64%
Objektive Essanfälle (M)EDE
14.8 14.6 0.43 2.36 0.01 1.91
Wöchentliche Essanfälle (M)Selbstbeobachtung
2.7 2.4 0.3 0.8 0.2 0.5
• Remission (Abstainer rate) bei Behandlungsende: KVT-L > KVT-K• Vergleichbare Langzeiteffekte• Höhere Dropout Rate in der KVT-K (p<.05)
Effekte nach Behandlung und 1 Jahr später
Schlup, Munsch, Meyer & Wilhelm, 2009. BRAT
p<.01
n.s. n.s.
n.s.
Dropouts:14% KVT-K 35% KVT-L
Die Zeit...
Langfristige Effekte der Kurzzeittherapie
(4 Jahre nach Behandlungsabschluss)
Die Zeit, Stichproben
und Längsschnitt-
studien...
KVT-K: Stichprobe im 4- Jahresverlauf
KVT-K: Wirksamkeit im Verlauf
Die Zeit...
Kommt mit der Zeit alles für alle gut?
Wirksamkeit der KVT-L und KVT-K 4 bzw. 6 Jahren nach Abschluss der Behandlung
KVT-L:
60% Abstainer rate
BED Diagnose (2.1%) bei 6-Jahres FU (7.7%)
BMI Reduktion von 33.1 auf 31.5
Einzig stabiler positiver Prädiktor vor Behandlungsbeginn auf Behandlungseffekt nach 6 Jahren: Rapid response zu Behandlungsbeginn
Munsch, Meyer & Schlup (2012) BRAT.
KVT-K:
66.8% Abstainer rate
BED Diagnose (4.2%) bei 4-Jahres FU (4.4%)
BMI Reduktion von 34.4 auf 32.4
Negative Prädiktoren bei Behandlungsende auf Behandlungseffekt nach 4 Jahren: Gewichtssorgen, Sorgen um das Essen, häufigere Essanfälle
Fischer, Munsch, Meyer & Dremmel (resubmitted, BRAT).
Mehr als 30% profitieren auch langfristig nicht von der Behandlung!
Mögliche Gründe:
Behandlung fokussiert auf
Rückgang der Essanfälle und Regulation von Hunger und Sättigung
Und vernachlässigt
Basale psychologische (psychophysiologische) Mechanismen wie Emotions- und Impulsregulation
Einfluss des sozialen Umfelds (Partnerschaft)
Subjektiven Leidensdruck durch erhöhten BMI und negatives Körperbild
Kognitiven Stil
Munsch, Meyer & Schlup (2012) BRAT.
Emotions-/ Impulsregulation und Essanfälle
Hilbert & Tuschen-Caffier (2007); Stein et al. (2007); Munsch et al. (2007), Munsch et al., (2009).
• Essanfälle erfasst mittels elektronischer Tagebücher (Ecological
Momentary Assessment, EMA)
7 Tage, 5 fixe Zeitpunkte und immer nach Essanfällen
Unmittelbare Auslöser oder steigende Anspannung?
Essanfälle treten nachunmittelbarem Erleben negativen Affekts, Spannung, Drang nach Nahrungsmitteln und Hungergefühlen auf
Hinweis auf: defizitäre Impuls- und Emotionsregulation
• Implikationen für die Behandlung
Munsch et al. 2011
acceptance, intimacy
Rejection sensitivity
emotion regulation
LOC eating
Die Rolle der interpersonalen Emotionsregulation bei Essanfällen in der Adoleszenz (daily longitudinal data sampling)
• Wahrgenommene Zurückweisungssensitivität (rejection sensitivity) durch den Partner und Essanfälle
(during the first two weeks after entering group-therapy (N = 30))
Schoebi, Munsch, et al. (in preparation)
Befunde
Welche Faktoren moderieren das Risiko?
negative body image
negative affect
dieting and inhibition
eating disorder pathology
Sociocultural factors:media
familial and peer role models
Moderatorcognitive factorsModeratorcognitive factors
Moderatoremotion regulationModeratoremotion regulation
Impaired emotion recognition and maladaptive regulation strategies
Thought -Shape Fusion, TSF
Adaptiert nach Munsch, Wyssen, Biedert & Frei; Stice, 2001; 2011; Dittmar, 2006
Computerbasierte Erfassung der Emotionserkennung
• Zur korrekten Identifikation von Emotionen notwendige Informationsquantität (decoding facial expression of emotions)Design: 20 männliche und 20 weibliche Gesichter (Karolinska Directed Emotional Faces (KDEF) face database; Grill-Spector & Kanwisher (2005) ): Dauer der Durchführung: 10-15 minutes
Emotionaler Gesichtsausdruck: glücklich, traurig, ängstlich, wütig, überrascht, Abscheu und neutral
• Erste Ergebnisse: 15 Kontrollpersonen und 15 Personen mit Essstörungen
→ Patientinnen mit bulimischen Essstörungen (BN und BED) benötigen allgemein mehr Informationen zur korrekten Identifikation eines Gefühlsausdrucks
→ signifikanter Unterschied im Vergleich zu gesunden Probanden Gesichtsausdrucks “glücklich” und “neutral”
Munsch, Caldara et al. in preparation.
Kognitiver Stil: Thought-Shape Fusion, TSF?
– Kognitive Faktoren wie die Sorge um das Gewicht/ die Figur sind Kernmerkmale von Essstörungen (Shafran et al., 1996, 1999; Coelho et al., 2008, 2010, 2012, Radomsky et
al., 1999, 2002)
“Wenn ich an schlanke Körper denke, werde ich zunehmen”
“Wenn ich an schlanke Körper denke, fühle ich mich dicker”
TSF Induktion mit idealisierten Körperbildern beeinflusst Stimmung und biologische Variablen junger gesunder Frauen und Frauen mit Bulimia Nervosa. Patientinnen mit Anorexia Nervosa zeigen einen Trend zur Beeinträchtigung. BED?
→ Stimmung wird im Vergleich zur Kontrollgruppe negativer (wenig Effekt auf Körperbild), HR steigt, Alpha-Amylase steigt
Psychological and physiological consequences of exposure to mass media in young women – the role of moderators (SNF Nr.:100014L_149416; Schweizerische Anorexia Nervosastiftung)Munsch & Wyssen, in preparation/ in Kooperation mit G. Milos (Zürich), S.Trier (Aadorf), B.Isenschmid (Zofingen), H.P. Flury (Rheinfelden) & Schneider, S., Assion, H. (Universität Bochum).
Ausblick: Modulartiger Aufbau von Behandlungsschritten über die ZEIT
Störungsspezifische Diagnostik der Essstörungen
Diagnostik der assoziierten Psychopathologie
Erfassen von Defiziten in der Emotions- und Impulsregulation
Erfassen des kognitiven Stils und Beziehungsqualität
Störungsspezifische Diagnostik der Essstörungen
Diagnostik der assoziierten Psychopathologie(insbesondere Sorgen ums Gewicht/Essen, Essanfälle bei BED, weitere assoziierte Restsymptomatik)
Erfassen von Defiziten der Emotions- und Impulsregulation
Erfassen der Beziehungsqualität
Manualisierte Selbsthilfe oder Standardtherapie gemäss Evidenz: KVT/ IPT (Rapid response!)
+ Förderung der Emotions-/Impulsregulation/ Kognitives Training/ Paarberatung
+ Therapiemodule: Partnerschaft, Körperbild und kognitiver Stil, Emotions- und
Impulsregulation)
vor
The
rapi
ebeg
inn
nach
The
rapi
e-E
nde
In Anlehnung an Fischer, S.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!