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MITTEILUNGEN - NEWS deckung der R6ntgenstrahlen vor 100 Jahren zum modernen Stand der Forschung und Anwendung der Synchrotronstrahlung. Die im Rahmen der 59. Physikertagung durchgefiihrte VI. Physikhistorische Tagung 5 bestand aus zwei Teilen. Im ersten befaBte man sich in 9 Vort~gen aus gegebenem Anla8 mit der 150jtihrigen Geschichte der Gesellschaft, wobei eine Reibe yon Aspekten, die in der Festschrift6 nur gestreift werden konnten, detaillierter vertieft wurden so u.a. von W. Hergert (Halle) iiber das Grtindungs- mitglied Hermann Knobloch, yon R. Tobies (Kaiserslautern/Berlin) tiber das Zusammenwirken der DPG mit der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, von H. Rechenberg (Mtinchen) tiber Quanten- und Relativit~itstheorie im Spiegel der Tagungen und Publikationsorgane der DPG, yon H. Kant (Berlin) tiber die DPG unter dem Vorsitz yon Peter Debye 19371940, yon D. Hoffmann/Th. Stange (Berlin/Zeuthen) tiber die Widerspiegelung der DDR-Physik in den Physikalischen Bltittern. Der zweite Teil war eine gemeinsam mit der European Physical Society und der International Union for the History and Philosophy of Science veranstaltete Tagung zum Thema Emergence of Modern Physics. Schwerpunkt der etwa 45 Vortrtige waren hier die Entdeckung der R6ntgenstrahlen und der Radioaktivit~it und ihre Folgen for die Physikentwicklung am Anfang des 20. Jahrhunderts. aber auch Fragen der Entwicklung der Quanten- und Festk6rperphysik, tier Forschungsmethodik oder der Beziehungen zwischen Physik und Industrie. Dabei wurde neben einer detaillierten Analyse yon Entdeckungsgeschichten und Anwendungsentwicklungen insbesondere das Bemtihen deutlich, verallgemeinernde and tibergreifende Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Speziell in den einleitenden Vortr~igen von H. Kragh (Aarhus/D~inemark) und E. Hiebert (Cambridge/USA) wurde versucht zu zeigen, wie wissenschaftliche Entwicklung and kultureller ,,Zeitgeist" bei der Entdeckung und Interpretation der betrachteten Entdeckungen ihren EinfluB austibten. T. Shinn (Paris) thematisierte den Zusammenhang zwischen der Entstehung der modernen Physik und der Entstehung einer spezifischen ,,research technology" Es ist hier nicht m6glich, die Vortrlige im Detail zu besprechen. Der lnteressent sei auf den Proceedings-Band verwiesen (Hrsg. yon F. Bevilacqua, D. Hoffmann und R. Stuewer). der im kommenden Jahr erscheinen soil.7 Kolloquium ,,Wissenschaft und Stadt/Region" Am 3. April 1995 fand in Berlin ein Kolloquium zum Thema,,Wissenschaft und Stadt/Region" statt, das dem 60. Geburtstag von Hubert Laitko gewidmet war. Das Thema war mit Bezug auf einen spezifischen Ausschnitt aus dem weiten philosophisch-wissenschaftstheoretischen und wissen- schaftshistorischen T,-itigkeitsfeld von Hubert Laitko gewtihlt worden, nfimlich das yon ihm 1987 herausgegebene Buch ,,Wissensehaft in Berlin" - wohl wissend, dab dieses Thema wiederum eine gewisse Einengung des eigentlich gemeinten Sinnzusammenhanges yon Wissenschaft und urbaner Entwicklung darstellt, das, wie nicht zuletzt dieses Kolloquium zeigte, breite Resonanz unter den Wissenschaftshistorikern gefunden hat. Hubert Laitko hatte sich bald nach dem Studium der Philosophie and Journalistik in Leipzig philosophischen Problemen der Naturwissenschaftsentwicklung zugewandt und war 1969 an die 5 Die Tradition der zweij~ihrig stattfindenden Physikhistorischen Tagung wurde 1985 im Rah- men der Jahreshaupttagung tier Physikalischen Gesellschaft der DDR begriindet und nach der Wiedervereinigung im Rahmen der DPG fortgef0hrt. Wie in den Vorjahren konnte diesmal erneut mit Genugtuung vermerkt werden, daB die Physikhistorische Tagung auch bei Teilneh- mere anderer Fachkonferenzen der DPG-Jahrestagung auf Resonanz stieB, was weiterhin fur eine entsprechende Kopplung dieser Tagungen spricht. 6 Festschrift 150 Jahre Deutsche Physikalische Gesellschaft. Hrsg. yon Theo Mayer-Kuckuk; VCH Weinheim 1995, 240 S.; ISSN: 0031-9279. - Auch erschienen als Sonderteil tier Physikalischen Bl~itter 51 (1995) l, S. F-l - F-240. 7 Die Kurzfassungen der Vortriige wurden ver6ffentlicht in: Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Reihe V130 (1995) 7, S. 1901-192 I. 272

Kolloquium “Wissenschaft und Stadt/Region”

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M I T T E I L U N G E N - NEWS

deckung der R6ntgenstrahlen vor 100 Jahren zum modernen Stand der Forschung und Anwendung der Synchrotronstrahlung.

Die im Rahmen der 59. Physikertagung durchgefiihrte VI. Physikhistorische Tagung 5 bestand aus zwei Teilen. Im ersten befaBte man sich in 9 Vort~gen aus gegebenem Anla8 mit der 150jtihrigen Geschichte der Gesellschaft, wobei eine Reibe yon Aspekten, die in der Festschrift 6 nur gestreift werden konnten, detaillierter vertieft wurden so u.a. von W. Hergert (Halle) iiber das Grtindungs- mitglied Hermann Knobloch, yon R. Tobies (Kaiserslautern/Berlin) tiber das Zusammenwirken der DPG mit der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, von H. Rechenberg (Mtinchen) tiber Quanten- und Relativit~itstheorie im Spiegel der Tagungen und Publikationsorgane der DPG, yon H. Kant (Berlin) tiber die DPG unter dem Vorsitz yon Peter Debye 19371940, yon D. Hoffmann/Th. Stange (Berlin/Zeuthen) tiber die Widerspiegelung der DDR-Physik in den Physikalischen Bltittern.

Der zweite Teil war eine gemeinsam mit der European Physical Society und der International Union for the History and Philosophy of Science veranstaltete Tagung zum Thema Emergence of Modern Physics. Schwerpunkt der etwa 45 Vortrtige waren hier die Entdeckung der R6ntgenstrahlen und der Radioaktivit~it und ihre Folgen for die Physikentwicklung am Anfang des 20. Jahrhunderts. aber auch Fragen der Entwicklung der Quanten- und Festk6rperphysik, tier Forschungsmethodik oder der Beziehungen zwischen Physik und Industrie. Dabei wurde neben einer detaillierten Analyse yon Entdeckungsgeschichten und Anwendungsentwicklungen insbesondere das Bemtihen deutlich, verallgemeinernde and tibergreifende Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Speziell in den einleitenden Vortr~igen von H. Kragh (Aarhus/D~inemark) und E. Hiebert (Cambridge/USA) wurde versucht zu zeigen, wie wissenschaftliche Entwicklung and kultureller ,,Zeitgeist" bei der Entdeckung und Interpretation der betrachteten Entdeckungen ihren EinfluB austibten. T. Shinn (Paris) thematisierte den Zusammenhang zwischen der Entstehung der modernen Physik und der Entstehung einer spezifischen ,,research technology"

Es ist hier nicht m6glich, die Vortrlige im Detail zu besprechen. Der lnteressent sei auf den Proceedings-Band verwiesen (Hrsg. yon F. Bevilacqua, D. Hoffmann und R. Stuewer). der im kommenden Jahr erscheinen soil. 7

Kolloquium ,,Wissenschaft und Stadt/Region" Am 3. April 1995 fand in Berlin ein Kolloquium zum Thema,,Wissenschaft und Stadt/Region" statt, das dem 60. Geburtstag von Hubert Laitko gewidmet war. Das Thema war mit Bezug auf einen spezifischen Ausschnitt aus dem weiten philosophisch-wissenschaftstheoretischen und wissen- schaftshistorischen T,-itigkeitsfeld von Hubert Laitko gewtihlt worden, nfimlich das yon ihm 1987 herausgegebene Buch ,,Wissensehaft in Berlin" - wohl wissend, dab dieses Thema wiederum eine gewisse Einengung des eigentlich gemeinten Sinnzusammenhanges yon Wissenschaft und urbaner Entwicklung darstellt, das, wie nicht zuletzt dieses Kolloquium zeigte, breite Resonanz unter den Wissenschaftshistorikern gefunden hat.

Hubert Laitko hatte sich bald nach dem Studium der Philosophie and Journalistik in Leipzig philosophischen Problemen der Naturwissenschaftsentwicklung zugewandt und war 1969 an die

5 Die Tradition der zweij~ihrig stattfindenden Physikhistorischen Tagung wurde 1985 im Rah- men der Jahreshaupttagung tier Physikalischen Gesellschaft der DDR begriindet und nach der Wiedervereinigung im Rahmen der DPG fortgef0hrt. Wie in den Vorjahren konnte diesmal erneut mit Genugtuung vermerkt werden, daB die Physikhistorische Tagung auch bei Teilneh- mere anderer Fachkonferenzen der DPG-Jahrestagung auf Resonanz stieB, was weiterhin fur eine entsprechende Kopplung dieser Tagungen spricht.

6 Festschrift 150 Jahre Deutsche Physikalische Gesellschaft. Hrsg. yon Theo Mayer-Kuckuk; VCH Weinheim 1995, 240 S.; ISSN: 0031-9279. - Auch erschienen als Sonderteil tier Physikalischen Bl~itter 51 (1995) l, S. F-l - F-240.

7 Die Kurzfassungen der Vortriige wurden ver6ffentlicht in: Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Reihe V130 (1995) 7, S. 1901-192 I.

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Akademie der Wissenschaften der DDR gekommen, um am Autbau eines lnstituts ftir Wissen- schaftstheorie und -organisation mitzuwirken. Mehr und mehr verschrieb er sich der Wissenschafts- geschichte, ~tindete und leitete im Rahmen des nunmehrigen Akademieinstituts for Theorie, Geschichte und Organisation tier Wissenschaft erfolgreich den Bereich Wissenschaftsgeschichte. 1979 erhielt er eine Akademieprofessur. Mit der Abwicklung des Instituts nach der Wende befindet er sich seit 1992 im sogenannten Alters~ibergang. Trotz dieser widrigen Umst,~nde wurde seine Schaffenskraft nicht gebremst, wie seine Mitwirkung an zahlreichen wis~nschaftlichen Projekten beweis t - und nicht zuletzt sein eigener Beitrag auf diesem Kolloquium unter Beweis stellte. Sein wissenschaftshistorischer Arbeitsschwerpunkt ist die lnstitutionalge~hichte der Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, und er befa6te sich in letzter Zeit insbesondere mit Aspekten der Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sowie der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Das Kolloqui um wurde eingeleitet mit einem Beitrag yon RiJdiger vom Bruch (Berlin) tiber ,,Die Stadrals St~tte der Begegnung", worin er sich insbesondere mit der gelehrten Geselligkeit im Berlin des 19. und 20. Jahrhunderts befaBte. Martin Guntau (Rostock) behandelte das Problem Wissenschaft und Region unter dem Blickwinkel ,,Bildung und Forschung in der Peripherie'" am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns. An diesen Aspekt knfipfte auch Bernhard vom Brocke (Marburg) mit seinem Vortrag ,,Friedrich Althoff und die Wissenschaft in Marburg. Konturen einer Strategie, oder: Hochschulpolitik als Mittel der Integration einer annektierten Provinz in den preugischen Staat" an. Horst Kant (Berlin) diskutierte unter dem Titet ,,Physik in Berlin vor der Jahrhundertwende im Kontext ihrer kommunikativen Strukturen - Eine Betrachtung zu m6glichen Untersuchungsfeldern'" die kommunikativen Vernetzungen und ihre Funktionsbedingungen, die die Berliner Wissenschafts- landschaft zu jener Zeit so fruchtbar werden lieBen. Mit seinem Beitrag ,,Der Raum der Wissen- schaft" gab Hubert Laitko dem Ganzen nicht nur eine wissenschaftstheoretische Klammer, sondern stellte zugleich methodologische IJberlegungen t'tir eine weitere Bearbeitung dieser Thematik zur Diskussion.

Zwei weitere Kolloquiumsbeitr~ige nahmen st~rkeren Bezug auf den J ubilar - so Gi.inter Kr6ber (Berlin) mit einer wissenschaftsmetrischen Analyse der Publikationstfitigkeit von Hubert Laitko und Ernst R6hl (Berlin) mit launigen Anmerkungen zum Verhfiltnis Wissenschaft und Presse.

Der Tagungsband wird unter dem gleichen Titel (Hrsg. H. Kant) Ende des Jahres im ,,Verlag ftir Wissenschafts- und Regionalgeschichte Dr. Michael Engel, Berlin" erscheinen, vermehrt nicht nut um den wegen widriger Umst~inde leider ausgefallenen Vortrag von Lubo~ Novy (Prag) fiber ,,Entwicklungslinien der tschechischen Mathematik 1850-1918". sondern um sechs weitere Be itrfige zum Thema von Schiitem und Freunden Hubert Laitkos sowie einer Bibliographie der Laitkoschen Publikationen.

Horst Kant (Berlin)

Achim Thom 60 Jahre alt

Achim Thom, seit 1977 am Karl-Sudhoff-lnstitut far Geschichte der Medizin und Naturwissenschaf- ten ttitig und von 1982 bis 1995 sein Direktor, wurde am 14. August 1995 sechzig Jahre alt.

Nach Kriegsende hatte es den damals noch jungen, langen, diinnen Thorn - ein ,Gewichtiger", wie er in einer Laudatio zum 50. Geburtstag genannt wurde, ist er hie gewesen - aus dem heutigen Polen in den Harz verschlagen, hungrig - hungrig nach Essen, Wissen und Leben. Zu verlieren hatte er, wie viele Menschen, denen der Krieg nahe Verwandte, Heimat, Hab und Gut geraubt hatte, nichts.

Der 1949 gegriindete ostdeutsche Staat, die DDR, er6fthete ihm eine Zukunft, brauchte junge Leute, die sich mit Engagement fiar den Wiederaufbau und die sozialistische Idee einsetzten. Achim Thorn tat das: Er studierte Philosophie und begann an der Medizinischen Fakulttit der Universittit Leipzig Medizinstudenten und ~,rzte in Philosophie zu unterrichten und weiterzubilden. Die Akzep- tanz und Toleranz, mit denen er jedem Diskussionspartner entgegentrat, und die Griindlichkeit, Differenziertheit und Entwicklungsf'~aigkeit seines Denkens brachten ihm trotz und wegen seiner marxisti~hen Grundhaltung allseitig Anerkennung und Vertrauen ein.

Als Achim Thorn 1977 den Lebrstuhl f~ir Geschichte der Medizin am Karl-Sudhoff-Institut erhielt, war er nicht nur ein bereits erfahrener und bei Studenten wie Kollegen geschtitzter Hoch-

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