Upload
lamtuyen
View
217
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 30 6. Wahlperiode Energieausschuss
K u r z p r o t o k o l l
der 30. Sitzung des
Ausschusses für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung
am Mittwoch, dem 27. März 2013, 10:00 Uhr,
Schwerin, Schloss, Plenarsaal
Vorsitz: Abg. Rudolf Borchert (SPD) TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung Kernfusionsforschung in Mecklenburg-Vorpommern hierzu: Anlagen 1 - 9
- 30/8 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung Kernfusionsforschung in Mecklenburg-Vorpommern hierzu: Anlagen 1 - 9 Vors. Rudolf Borchert begrüßt die Anwesenden und weist darauf hin, dass sich der
Ausschuss für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung bereits im vergangenen
Jahr darauf verständigt habe, eine umfassende öffentliche Anhörung zum Thema
Kernfusion in Mecklenburg-Vorpommern durchzuführen. In diesem Zusammenhang
solle im Wesentlichen die Beteiligung des Landes am Projekt „Wendelstein 7-X“ (W7-
X) am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald, die Finanzierung des
Projekts, die wissenschaftlichen Perspektiven, aber auch Sicherheitsfragen sowie die
energiestrategische Bedeutung für das Land erörtert werden. Zur Nutzung gebe es
unterschiedliche Positionen. Soweit ihm bekannt sei, sei man der erste Landtag in
Deutschland, der sich dieser Thematik so umfangreich widme. Es gehe um
grundlegende Weichenstellungen in der Energiepolitik, die auf viele Bereiche der
Gesellschaft und Wissenschaft Auswirkungen hätten. Vor diesem Hintergrund be-
dankt er sich für das Interesse der Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschafts-,
Sozial-, Bildungs- sowie des Finanzausschusses an der Anhörung. Er stellt im
weiteren Verlauf die Sachverständigen vor und dankt ihnen im Namen des
Ausschusses für die kurzfristige Beantwortung des umfangreichen Fragenkataloges
(Anlagen 1 bis 7) sowie ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Anhörung. Er setzt
die Anwesenden in Kenntnis, dass der Ausschuss in Vorbereitung der Anhörung vor
zwei Wochen eine auswärtige Sitzung am IPP in Greifswald durchgeführt habe.
Ebenso habe sich auch der Finanzausschuss im Vorfeld vor Ort ein Bild gemacht.
Für die Sachverständigen bestehe im Rahmen der Anhörung die Möglichkeit auf
besondere, auch über die Fragen des Ausschusses hinausgehende Sachverhalte
hinzuweisen. Hierzu werde jedem Sachverständigen 20 Minuten Zeit für sein
Statement eingeräumt. Die entsprechende Präsentationstechnik stehe zur
Verfügung. Zum Ablauf führt er aus, dass man die Anhörung in zwei
Sitzungsabschnitte gliedere. Nach den Statements der ersten vier Sachverständigen
werde sich eine etwa 20-minütige Fragerunde für die Abgeordneten anschließen. Im
weiteren Verlauf würden sich die übrigen Sachverständigen mit ihren Statements
- 30/9 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
anschließen, bevor man eine zweite Fragerunde durchführen werde. Weiterhin
macht er die Anwesenden darauf aufmerksam, dass die Veranstaltung aufgezeichnet
und ggf. im Wortlaut schriftlich wiedergegeben werde. Außerdem würden die
Antworten, Statements und Präsentationen der Sachverständigen (Anlagen 8 bis 9)
über die Website des Landtages öffentlich zugänglich gemacht werden. Des
Weiteren informiert er darüber, dass ihm als Vorsitzender gemäß der Hausordnung
des Landtages während der Anhörung die Ordnungsgewalt obliege. Er weist in
diesem Zusammenhang darauf hin, dass nur Abgeordnete sowie Sachverständige
die Möglichkeit hätten, das Wort zu ergreifen. Sollte es zu Zwischenrufen oder
Störungen kommen, werde er die Sitzung unterbrechen und die Ordnung wieder
herstellen.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger (Wiss. Leiter des IPP Greifswald) beginnt einleitend
mit einer kurzen Vorstellung der Max-Planck-Gesellschaft. Die Gesellschaft sei
bundesweit mit 80 Instituten vertreten. Zwei Institute befänden sich in Mecklenburg-
Vorpommern. Sämtliche Institute seien der Grundlagenforschung verpflichtet.
Darunter verstehe er eine Vorsorgeforschung für die Gesellschaft. Man erarbeite in
einem engen Verbund mit anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten
Grundlagen für Lösungen technischer und wissenschaftlicher Probleme mit hoher
gesellschaftlicher Relevanz. Die Themenfelder hätten in der Regel gewisse
Anwendungsperspektiven. In diesem Zusammenhang sei es ihm jedoch wichtig zu
betonen, dass man keine angewandte Forschung betreibe. Das IPP habe zwei
Standorte – Garching und Greifswald. Insgesamt beschäftige man etwa 1.100
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Seit der Gründung habe man sich an diesen
Standorten ausschließlich der Hochtemperaturplasmaphysik verschrieben. Die
Hochtemperaturplasmen ließen sich in einem astrophysikalischen Kontext erklären.
Der sichtbare Teil des Weltraums (Sterne) bestehe zum überwiegenden Teil aus
Materie in eben jenem Plasmazustand. Ein Plasma sei ein sehr heißes und dünnes
Gas, welches durch die extrem hohen Temperaturen elektrisch geladen sei. Die
Motivation zur Erforschung der Eigenschaften von Materie im Plasmazustand sei
reine wissenschaftliche Neugierde. Der Mensch wolle verstehen, wie Sterne
beschaffen seien und wie die Sonne ihre Energie generiere. Der physikalische
Prozess der Kernfusion sei erstmals Mitte des letzten Jahrhunderts erkannt worden.
- 30/10 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Mittlerweile habe die Physik theoretisch verstanden, wie die Kraftwerke des
Weltraums funktionierten. Eine logische Konsequenz sei die Frage, ob sich der
Fusionsprozess auf der Erde nachbilden lasse und unter welchen Parametern dies
möglich sei. Die Anwendungsperspektive der Hochtemperaturplasmen bestehe
langfristig in der Erschließung einer neuen Primärenergiequelle. Bereits seit über 100
Jahren werde dazu – unter anderem am Standort Greifswald – Plasmaphysik
betrieben; insofern spreche man über ein altes und wohl etabliertes Gebiet der
Physik. Die tiefe Verwurzelung der Plasmaphysik und die wissenschaftliche
Umgebung vor Ort seien wesentliche Gründe für die Ansiedlung der Max-Planck-
Gesellschaft für Plasmaphysik in Greifswald gewesen. Die ersten Ideen zur
Hochtemperaturplasmaphysik im Labormaßstab seien im Jahr 1951 entwickelt
worden. Damals sei an der Princeton University in den Vereinigten Staaten der
Gedanke aufgekommen, unter Zuhilfenahme von Magnetfeldern ähnliche
Bedingungen wie auf der Sonne zu schaffen. Im Rahmen der weltweiten Euphorie,
die sich anhand der theoretischen Möglichkeiten der Kernfusion ergeben hätten,
seien die Forscher überhört worden, die vor der Komplexität des Fusionsprozesses
gewarnt und lange Forschungszeiträume vorausgesagt hätten. In der Zwischenzeit
habe man viel gelernt und den Übergang vom Optimismus zum Realismus vollzogen.
Die Fortschritte in der Fusionsforschung seien anhand von internationalen
Erfolgsparametern messbar. Diese Parameter hätten sich seit den ersten Schritten
der Plasmaforschung um den Faktor 100.000 erhöht. Eine weitere Erhöhung um den
Faktor 10 stehe aber noch aus, um die Schwelle zur Energieerzeugung mittels
Kernfusion zu überschreiten. Eine Anlage, mit deren Hilfe man den Fusionsprozess
auslösen und kontrollieren könne, habe naturgemäß aufgrund der nötigen
Mindestvolumina des Plasmas eine gewisse Größe. Deshalb spreche man von
Großforschungsanlagen. Beim Prozess der Kernfusion handle es sich um einen
nuklearen Prozess zur Energiefreisetzung, bei dem leichte Kerne miteinander
verschmolzen würden und Radioaktivität entstehe. Vor diesem Hintergrund sei der
Strahlenschutz ein unverzichtbares Begleitelement der Forschung. Von
Großfusionskraftwerken spreche man bei Dimensionen von 1 bis 1,5 Gigawatt (GW)
Leistung. Klassische Großkraftwerke (Kohle, Gas) erzeugten in etwa eine ebenso
hohe Leistung. Der Unterscheid liege in der enormen Effizienz des Brennstoffs. In
einem 1,5-GW-Fusionskraftwerk befinde sich zu jedem Zeitpunkt lediglich die Masse
- 30/11 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
von 1 Gramm Brennstoff. Diese Effizienz sei beeindruckend, allerdings kaum
verwunderlich, da es sich bei der Fusion nicht um einen chemischen, sondern um
einen physikalischen Kernverschmelzungsprozess handle. Der Vorteil des
Brennstoffs liege in seiner weltweiten Verfügbarkeit. Durch die weltweite Verteilung
des Ausgangsstoffs sei die Möglichkeit eines politischen Missbrauchs der Ressource
ausgeschlossen. Weiterhin gebe es bei der Fusion gegenüber der Kernspaltung
keine Endlagerproblematiken. Der Prozess sei durch eine hohe passive Sicherheit
geprägt, da es sich bei der Fusion nicht um eine Kettenreaktion handle. Der
hochsensible Brennprozess erlösche bei einer Veränderung der Parameter
augenblicklich. Somit sei ein unkontrollierter Prozessablauf unmöglich. Grundsätzlich
vertrete er die Auffassung, dass Grundlastkraftwerke auch in Zukunft benötigt
würden. Aber man brauche neue Konzepte, denn generell sei Energie aus Sicht der
Physik schwer zu speichern. Die technologischen Herausforderungen hinsichtlich der
Lebensdauer, der Effizienz und der Umsetzung von Speichersystemen seien
immens. Die Max-Planck-Gesellschaft beschäftige sich in einem Institut in Mühlheim
an der Ruhr explizit mit der chemischen Speicherung von Energie. Parallel dazu
betreibe die Max-Planck-Gesellschaft die Fusionsforschung. Eine regelmäßige
strenge wissenschaftliche Evaluierung entscheide über das Fortbestehen bestimmter
Forschungsrichtungen. Im Falle der Max-Planck-Gesellschaft habe man sich
aufgrund des Potentials für beide Forschungsrichtungen entschieden: Die
Hauptaufgabe des IPP in Greifswald seien der Aufbau und die wissenschaftliche
Nutzung des Projektes W7-X. Bei der eigentlichen Maschine handle es sich um eine
Großforschungsanlage zur Kernfusion vom Typ Stellarator. Die Aufbauzeit betrage
mehr als 10 Jahre. Das Investitionsvolumen belaufe sich auf 370 Mio. Euro, wobei
ein Großteil der Finanzierung vom Bund komme. Die weiteren Anteile steuerten die
Europäische Kommission sowie die beteiligten Bundesländer bei. Während des
Aufbaus der Anlage, des Gebäudes und der Infrastruktur seien bislang über
250 Mio. Euro an Lohnkosten ausbezahlt worden. Diese Summen würden die
Dimensionen der Anlage verdeutlichen. Zur Anlagensicherheit merkt er an, dass es
in zehn Jahren Bauzeit bislang keinen Arbeitsunfall gegeben habe. Der
Strahlenschutz sei ein weiteres wichtiges Feld. Momentan erzeuge die Anlage keine
Strahlung, da sie sich noch im Aufbau befinde. Derzeit arbeite man auch intensiv an
den entsprechenden Berichten und Untersuchungen zum Strahlenschutz, welche in
- 30/12 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
der Antragsstellung für eine Betriebsgenehmigung münden würden. Der
Strahlenschutz werde mit ebenso großer Intensität wie an anderen
Forschungsstandorten betrieben. Als Beispiele benennt er das Forschungszentrum
DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg, die Gesellschaft für
Schwerionenforschung in Darmstadt oder das Forschungszentrum CERN (Conseil
Européen pour la Recherche Nucléaire) in Genf. Letztlich werde auch in Laboren und
Krankenhäusern ionisierende Strahlung erzeugt, vor der man sich durch bestimmte
Sicherheitsvorkehrungen schützen müsse. Das Ende der Montage des W7-X sei für
das Jahr 2014 geplant. Man werde nach der Montagephase im Frühjahr 2014
beginnen, die Anlage durch den Test der einzelnen Subsysteme auf ihre
Betriebsfähigkeit hin zu testen. Somit liege man in jeglicher Hinsicht (Zeit, Personal,
Finanzen) im Projektplan. Zweimal pro Jahr stelle man sich diesbezüglich einer
Überprüfung durch die Zuwendungsgeber. Im Jahr 2015 werde man nach Abschluss
der technischen Kommissionierungsphase mit dem Start der eigentlichen Forschung
beginnen. Nach Fertigstellung werde es sich bei dem Projekt W7-X um die
leistungsfähigste und modernste Maschine ihrer Art in ganz Europa handeln.
Beziehe man sich auf den Bautyp Stellarator könne man diese Aussage auf eine
weltweite Einmaligkeit ausdehnen. Das wissenschaftliche Interesse an der Anlage
sei bereits im Vorfeld gewaltig. Man habe Verträge mit den Vereinigten Staaten,
Japan, Spanien, Frankreich, Polen und Ungarn abgeschlossen. Er fasst zusammen,
dass mit der Anlage W7-X in Greifswald ein internationales Großforschungszentrum
mit Auswirkungen auf die Stadt, die Region und das Land entstehen werde. Zudem
steigere sich die Attraktivität der Universität Greifswald im Fachbereich Physik. Ob
die Erforschung der Fusionstechnologie zu einem kommerziellen Kraftwerk führen
werde, bleibe abzuwarten. Seiner fachlichen Einschätzung nach räume die
Wissenschaft dieser Möglichkeit jedoch hohe Chancen ein. Weltweit werde bei der
Bewältigung der bestehenden Herausforderungen von Fusionstechnologien
arbeitsteilig vorgegangen. Er zeigt sich überzeugt, dass man die Fusion zukünftig als
Primärenergiequelle brauchen werde. Mecklenburg-Vorpommern könne stolz auf den
Forschungsstandort Greifswald und das IPP sein.
- 30/13 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Ref. Prof. Dr. Michael Herbst (Prorektor der Ernst-Moritz-Arndt Universität
Greifswald) weist darauf hin, dass er in seiner Funktion als Prorektor für Forschung
und Lehre die Rektorin, Frau Prof. Dr. Hannelore Weber, vertrete. Ihm gehe es vor
allem um die Bedeutung der Plasmaphysik sowie der ansässigen Institute für
Greifswald aus Sicht der Hochschulleitung. Man betrachte die Entwicklungen der
vergangenen Jahre auf diesem Gebiet im Kontext der gesamten Entwicklung der
Hochschule, die einen Anstieg der Studierendenzahlen verzeichne. Die Zahl der
Studentinnen und Studenten in Greifswald sei von etwa 3.500 Anfang der 1990er
Jahre auf aktuell etwa 11.500 Studierende angewachsen. Die Naturwissenschaften
würden zudem erheblich zur Drittmittelstärke der Universität beitragen. Momentan
bewege man sich in einem Bereich von etwa 35 Mio. Euro. Jeder Euro, den das
Land der Universität zur Verfügung stelle, werde somit um etwa 40 Cent aus
Drittmitteln veredelt. Was die Bautätigkeiten anbelangt, so verweist er insbesondere
auf den Neubau des Instituts für Physik auf dem neuen Campus am Beitz-Platz in
Greifswald. Zunehmend richte man das Augenmerk auch auf Aspekte der
Gleichstellung innerhalb der Forschungsbereiche. Mit Zufriedenheit könne man
konstatieren, dass die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität
mit 22 % Anteil an Professorinnen weit über dem Bundesdurchschnitt liege. Zum
Standort der Universität führt er aus, dass Greifswald von industrie- und struktur-
schwachen Regionen umgeben sei. Umso wichtiger sei ein intaktes Forschungs-
umfeld für die Universität. Die Universität allein sei nicht stark genug, um für die
notwendigen Voraussetzungen allein zu sorgen. Die außeruniversitären Forschungs-
bereiche hätten somit eine große Bedeutung für den Wissenschaftsstandort
Greifswald. Das grundsätzliche Problem bei Antragsstellungen sei, dass man im
Bundesvergleich wenig strukturiert und mit kleinen Fakultäten aufgestellt sei. Man
habe beispielsweise die kleinste juristische Fakultät und den kleinsten Fachbereich
Kommunikationswissenschaften in Deutschland. Insofern fehle es den Forschungs-
zweigen in vielen Bereichen an „wissenschaftlicher Masse“, um entsprechende
Forschungsanträge erfolgreich zu platzieren. Vor diesem Hintergrund könne man die
Bedeutung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gar nicht hoch genug
schätzen. Das Löffler-Institut, die Leibniz-Gemeinschaft und das Max-Planck-Institut
seien ein Segen für den Wissenschaftsstandort Greifswald, die Region und die Stadt.
Mit Blick auf die Arbeitsplatzkapazitäten hätten die Institute ebenfalls eine große
- 30/14 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Bedeutung für die Region. Das Rektorat der Universität fokussiere sich im engeren
Sinne auf die Physik und auf die Plasmaforschung. Das Leibniz-Institut für Plasma-
forschung und Technologie sowie das Max-Planck-Institut für Fusionsforschung
bildeten zusammen mit dem Physikalischen Institut der Universität einen ausge-
sprochen starken und bedeutenden Forschungsverbund. In Deutschland gebe es
keinen zweiten Standort, an dem so viel Expertise im Bereich Plasmaphysik
konzentriert sei wie in Greifswald. Perspektivisch hoffe man auf eine zunehmende
Internationalisierung und Zuwanderung von Wissenschaftlern in der Region. Aus den
genannten Gründen stelle die Plasmaphysik einen der fünf Forschungsschwerpunkte
der Universität dar. Die Plasmaphysik sei im Bereich der Lehre eng mit anderen
Bereichen der Universität verknüpft. Um die Bedeutung des Bereichs für die
Universität zu verdeutlichen, verweist er auf zwei Ereignisse, die in den vergangenen
Wochen stattgefunden hätten. Im Rahmen der Begutachtung des Sonderforschungs-
bereichs (SFB) „Transregio 24“, der Greifswald und Kiel miteinander verbinde, sei es
zu einer Begehung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Kiel
gekommen. Dies sei einer der ersten auswärtigen Auftritte der neuen Rektorin
gewesen. Sie habe in Kiel programmatisch ihre Haltung zur Plasmaphysik deutlich
gemacht. Der SFB „Transregio 24“ befasse sich mit Grundlagen komplexer Plasmen.
Die Hochschulleitung stehe geschlossen hinter der Plasmaphysik in Greifswald. Man
sei entschlossen, diesen Standort auch zukünftig intensiv zu fördern. Im Anschluss
an die Begehung des SFB in Kiel habe eine zweite Begehung in Zusammenarbeit mit
der Universität in Rostock im Zusammenhang mit dem SFB „652“ stattgefunden.
Wenn man insgesamt auf die vorhandenen Sonderforschungsbereiche schaue, lasse
sich die Bedeutung der Plasmaphysik darstellen: Lange Zeit sei es so gewesen, dass
die Plasmaphysik den einzigen SFB für Mecklenburg-Vorpommern innegehabt habe.
Nunmehr sei er zuversichtlich, dass beide Forschungsbereiche (SFB „Transregion24“
und SFB „652“) in Zukunft erfolgreich geführt und gehalten werden könnten und die
DFG-Begutachtung positiv ausfallen werde. Zusammenfassend weist er nochmals
auf die Bedeutung der Plasmaphysik für den Universitätsstandort Greifswald hin.
Weiterhin bekräftigt er, dass insbesondere das neue Rektorat hinter der
Plasmaforschung stehe und die Hochschulleitung diesen Bereich an der Universität
sowie die Zusammenarbeit mit den Forschungsinstituten intensiv fördern werde.
- 30/15 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Ref. Dr. Arthur König (Oberbürgermeister der Hansestadt Greifswald) verweist
einleitend auf den umfangreichen Fragenkatalog und merkt an, dass er stattdessen
ein allgemeines Statement über die Bedeutung der Plasmaforschung für den
Wissenschaftsstandort Greifswald darlegen wolle. Die Stadt bekenne sich zur
Kernfusionsforschung und damit auch zum Projekt W7-X. Man freue sich, Standort
eines Max-Planck-Institutes zu sein. Die Stadt verfüge über eine einzigartige
Konzentration von wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen, die sich mit
der Plasmatechnologie beschäftigten. Dazu zähle das Leibniz-Institut für
Plasmaforschung und Technologie, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die
medizinische Fakultät und das physikalische Institut der Universität, die Neoplas
GmbH als Ausgründung im Bereich der Plasmaphysik sowie zahlreiche andere
Forschungsunternehmen. Sie alle trügen dazu bei, dass sich der Standort Greifswald
zu einem international anerkannten Zentrum der Plasmatechnologie entwickelt habe.
Davon würden auch die zahlreichen internationalen Tagungen in Greifswald zeugen.
Letztlich werde nicht allein das Renommee der Stadt, sondern auch des Landes
gestärkt. Greifswald sei ein Wissenschaftsstandort von überragender bundesweiter
und weltweiter Bedeutung. Dies gelte auch hinsichtlich der Mitarbeiterzahlen sowie
der eingeworbenen Drittmittel. Gegenwärtig seien in den verschiedenen Forschungs-
bereichen der Plasmatechnologie 650 Mitarbeiter beschäftigt. Damit habe Greifswald
die höchste Dichte an Plasmaphysikern zu verzeichnen. Die Chancen der
Umsetzung der Plasmaforschung in eine wirtschaftliche Weiterentwicklung der
Technologie seien vor Ort gegeben. Zukunftsträchtige Bereiche wie die
Plasmamedizin böten Möglichkeiten, eine weltweite Spitzenposition einzunehmen.
Die starke Vernetzung regionaler Akteure, das fachlich und technisch unterstützende
Umfeld sowie die gemeinsamen Visionen und die wirtschaftliche Verwertung der
Forschungsergebnisse seien der Anspruch, den man in Greifswald habe. Die
Plasmatechnologiebranche sei ein innovativer Antriebsmotor und verantwortlich für
wirtschaftliche Ausgründungen in der Region. Von der erwerbstätigen Bevölkerung in
Greifswald sei fast ein Drittel in der Forschung, Entwicklung und Hochschulbildung
beschäftigt. Das IPP gehöre mit rund 480 Mitarbeitern zu den größten Arbeitgebern
in Greifswald. Somit würden die Institute auch in erheblichem Umfang zu den
Steuereinnahmen der Stadt und des Landes beitragen. Zudem werde die Kaufkraft in
der Region erhöht. Dies wiederum trage zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei.
- 30/16 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Darüber hinaus profitierten viele Firmen der Region als Auftragnehmer des IPP. Mit
den durch die Zusammenarbeit mit dem IPP erworbenen Kompetenzen könnten
Firmen weitere Geschäftsfelder für sich erschließen und somit ihre Marktposition
festigen. Der Energiebedarf in der Zukunft werde weder allein durch konventionelle
noch durch regenerative Erzeugung zu decken sein. Vielmehr werde es eines
ausgewogenen Energiemix aus verschiedenen Quellen bedürfen. Insbesondere
unter dem internationalen Aspekt sehe er in der Fusionsforschung enorme
Potentiale. Im Unterschied zu Kernspaltungsreaktoren könne es bei einem
Fusionsreaktor trotz der hohen Temperaturen zu keiner unkontrollierten
Kettenreaktion kommen. Von der Greifswalder Bevölkerung würden das Projekt und
das IPP im Allgemeinen positiv gesehen. In diesem Zusammenhang verweist er
nochmals auf die positiven Effekte für die gesamte Region. Der
Wissenschaftsstandort Greifswald stärke zudem auch das Land Mecklenburg-
Vorpommern. Nach einer Studie von Focus-Money (12/2011) zur Wirtschaftskraft der
Landkreise und der kreisfreien Städte habe Greifswald innerhalb Mecklenburg-
Vorpommerns gut abgeschnitten. Im bundesweiten Vergleich liege die Stadt
Greifswald auf dem 156. Platz von 393 Kreisen und kreisfreien Städten. Im Jahr
2010 habe man noch auf Platz 243 gelegen. Ausschlaggebend für diesen Erfolg sei
die enge Vernetzung von Forschung, Wissenschaft und Technologie in der Region.
Ebenso werde die Stadt positiv bewertet, wenn es um zukünftige Ansiedlungen in der
Region gehe. Nicht zuletzt habe man dafür entsprechende Möglichkeiten mit dem
Biotechnikum und dem Technologiezentrum geschaffen. Beide Technologieförder-
einrichtungen seien nahezu ausgebucht. Die wirtschaftliche Bedeutung der
Plasmatechnologie ergebe sich aus einer Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten,
wie zum Beispiel der Fusionsforschung oder der Oberflächenbehandlung, aber auch
des Maschinenbaus oder der Fahrzeugindustrie. Weitere Bereiche der Anwendung
seien in der Informationstechnologie, der Elektrotechnik oder im Bereich des
Umweltschutzes sowie verstärkt im Bereich der Medizin und Biologie zu suchen. Das
IPP als großer Arbeitgeber der Region werde zukünftig etwa 100 Forscher und 50
Gastforscher, etwa 200 Ingenieure und Techniker, 50 Doktoranden und
Postdoktoranden sowie 60 Mitarbeiter im Servicebereich beschäftigen. Die
Beschäftigten würden sich in Greifswald oder der Umgebung ansiedeln und so die
Wirtschaftskraft der Region stärken. Von 1995 bis heute sei eine Summe von etwa
- 30/17 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
236 Mio. Euro an Gehältern an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Max-Planck-
Instituts geflossen. Eine weitere Überlegung sei, die Ingenieure und Techniker nach
Fertigstellung der Anlage W7-X in der Region zu halten. Vor diesem Hintergrund
habe sich die Stadt entschlossen, zentral am Universitätscampus zusammen mit
dem Biotechnikum und dem Plasmatechnikum ein Forschungs- und
Dienstleistungszentrum zu errichten. Die Fertigstellung sei für das Jahr 2015/2016
geplant. Das Max-Planck-Institut habe einer Projektpartnerschaft zugestimmt. Die
Stadt Greifswald wolle zusammen mit dem Land eine Investitionssumme von
26 Mio. Euro für den Ausbau des Wissenschaftsstandortes aufbringen. Als Stadt sei
man darauf angewiesen, die wissenschaftlichen Einrichtungen vor Ort in das
Stadtmarketing mit einzubinden. Gemeinsam mit der Universität, den
wissenschaftlichen Instituten, Stadtplanern und Wirtschaftsförderern entwickle man
Möglichkeiten und Konzepte für die Zukunft. Der Standortwettbewerb unter den
Wissenschaftsstandorten in Deutschland entscheide sich derzeit zugunsten von
mittelgroßen Standorten wie Greifswald. In wirtschaftlichen Krisenzeiten seien
Wissenschaftsstandorte zudem meist besser aufgestellt als Industriestandorte. An
Orten, an denen Hochschulen und hochschulnahe Einrichtungen die größten
Arbeitgeber seien, blieben Jobs relativ stabil. Abschließend erklärt er, dass die
vorgetragenen Standpunkte nicht allein die Meinung der Stadtverwaltung
widerspiegelten, sondern auch bei der Greifswalder Bürgerschaft auf eine breite
Mehrheit stießen; entsprechende Beschlusslagen reichten von 1990 bis 2012.
Zudem zeigte er sich überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der
Bewohnerinnen und Bewohner Greifswalds seine Auffassung teilten. Er appelliert an
die Landespolitik, den geplanten Weg zur Unterstützung des Fusionsprojektes W7-X
beizubehalten. Man stärke dadurch den Wissenschaftsstandort Greifswald und die
Region Vorpommern, erhöhe zudem die nationale sowie internationale Reputation
von Forschung und Entwicklung vor Ort und halte hochqualifizierte Menschen im
Bundesland. Ebenso verbreitere man somit die Palette der möglichen
Energieerzeugung. Er fasst zusammen, dass man mit einer positiven Entscheidung
zur Nutzung von Fusionsanlagen das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in
erheblichem Maße stärken könne.
- 30/18 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Ref. Heinz Smital (GREENPEACE e. V.) räumt zu Beginn seines Statements ein,
dass er die Faszination, die von der Kernfusion ausgehe, zum Teil nachvollziehen
könne, da er während seiner kernphysikalischen Ausbildung am Institut für
Radioforschung und Kernphysik der Universität Wien selbst Kernfusionsforschung
betrieben habe. Vor diesem Hintergrund sei er mit den physikalischen
Zusammenhängen vertraut. Er bemerkt, dass Prof. Dr. Klinger in seinem Statement
betont habe, dass sich Energie nicht ohne Probleme speichern lasse. Diese Aussage
müsse man differenzieren. Man könne Energie in Druckspeichern sehr wohl mit
hoher Effizienz speichern. Darüber hinaus böten sich weitere Möglichkeiten der
Speicherung, wie zum Beispiel die Methanisierung mittels vorgeschalteter
Elektrolyse von Wasser, durch Pumpspeicherkraftwerke oder sogenannte Central-
Solarpower-Kraftwerke, an. Letztere speicherten die Sonnenenergie in Form von
Wärme in einer Flüssigkeit mit mehreren 100 Grad und erzeugten auf diese Weise
Dampf. Mit dieser Form solarthermischer Kraftwerke sei es möglich,
tageszeitenunabhängig Strom zu erzeugen. Die Speicherung von Energie sei somit
technisch möglich. Wenn die Sonneneinstrahlung intensiv sei, so betrage die
Leistung der Sonneneinstrahlung auf Deutschland etwa 350 Mio. Megawatt (MW).
Allein die Fläche von Schwerin besitze eine theoretische Solarleistung von 130 GW.
Dieser Wert entspreche etwa dem doppelten Verbrauch der Bundesrepublik zu
Spitzenzeiten. Sonnenenergie sei günstig, da sie keine Brennstoffkosten verursache.
Sie sei zwar fluktuierend, jedoch sehr verlässlich. Durch die Erneuerbaren Energien
werde Strom in Deutschland immer günstiger. Es sei für eine Technologie von
entscheidender Bedeutung, zu welchem Preis man Energie erzeugen könne. Der
Preis an der Strombörse in Deutschland sei zuletzt rund 60 % niedriger als der
Börsenstrom in Frankreich gewesen. 2012 habe Deutschland trotz der Abschaltung
von acht Atomkraftwerken mehr Strom exportiert als jemals zuvor. Dies sei eben
keine Frage der Versorgungssicherheit, sondern eine Frage des Preises. Wenn man
einen Blick in die Zukunft wage, bleibe festzustellen, dass es weitere
Effizienzsteigerungen im Bereich Erneuerbare Energien geben werde. Zudem werde
der Brennstoff weiterhin zuverlässig zur Verfügung stehen. Insofern sehe er keine
Relevanz für eine gesellschaftliche Verwertung der Fusionsforschung. Im Weiteren
äußert er sich zur Gefahreneinschätzung der Reaktoren und dem Gefahrenpotential
der Anlage W7-X selbst. Grundsätzlich habe er sehr viel Respekt vor der Aufgabe
- 30/19 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
der Atomaufsichtsbehörden. Greenpeace habe beim Störfall des Atomkraftwerks
Brunsbüttel im Jahr 2001 Akteneinsicht bei der zuständigen Atomaufsichtsbehörde
gefordert. Es sei interessant gewesen, auf welche Weise der Betreiber mit Gutachten
darzulegen versucht habe, dass eine Wasserstoffexplosion als mögliche Ursache
einer Störung auszuschließen sei. Eine einzelne Behörde habe insofern gegen die
geballte Expertise eines Betreibers kaum eine Chance, ihre Auffassungen
durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund appelliert er an die Politik, die Atomaufsicht
entsprechend stark mit Personal und Ressourcen auszustatten. Zwar stehe er der
Fusionsforschung sehr positiv gegenüber, dennoch vertrete er die Auffassung, dass
insbesondere die Tritiumforschung gewisse Gefahrenpotentiale in sich berge.
Atombomben könnten um den Faktor 100 an Effizienz gewinnen, wenn man Tritium
einarbeite. Bei der Explosion entstehe ein Fusionsprozess, der zur Energie der
Atombombe selbst so gut wie nichts beitrage. Vielmehr gehe es darum, dass beim
Fusionsprozess energiereiche Neutronen emittiert werden, die bei der atomaren
Spaltung eines Kernes wesentlich höhere Mengen an Neutronen freisetzten. Dieses
Prinzip bewirke ein wesentlich steileres Anwachsen der Kettenreaktion. Die
Beherrschung der Tritiumneutronenphysik könne somit möglicherweise zur
Herstellung effizienterer Kernwaffen führen. Die weltweiten Proliferationsprobleme
begründeten sich auf dem Transfer von Wissen im Rahmen militärtechnischer
Forschung. Vielfach komme das entsprechende Knowhow aus deutschen Anlagen
zur militärischen Anwendung in Ländern wie Pakistan oder Nordkorea. Als Beispiele
benennt er die Nutzung von Ultrazentrifugen zur Urananreicherung sowie die
Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen aus Kernkraftwerken mittels
Plutoniumabtrennung. Insofern seien die kerntechnische Forschung und deren
militärische Anwendbarkeit mit Vorsicht zu sehen. Insgesamt scheine ihm die
Akzeptanz von Fusionsanlagen vor dem Hintergrund der technischen Gefahren
(Kühlung, Transport radioaktiver Substanzen, militärische Anwendbarkeit, etc.) sehr
fraglich. Zudem sei die Erforschung der Fusionsenergie wirtschaftlich nicht
notwendig. Er sehe in der Kernfusion keine Relevanz für eine zukunftsweisende und
gesellschaftsverträgliche Energiepolitik.
- 30/20 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Abg. Jürgen Seidel bittet Herrn Prof. Dr. Klinger um eine Erläuterung der
Möglichkeiten und Qualitäten einer Zusammenarbeit des IPP mit der mittelständi-
schen Wirtschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern. In diesem Zusammenhang
betont er die großen Defizite im Bereich Forschung und Entwicklung bei
Unternehmen im Land. Zweitens wolle er von Herrn Smital erfahren, wie er bei einem
von ihm postulierten „reinen wissenschaftlichen Interesse“ an der Fusionsforschung
die internationalen Milliardeninvestitionen und das weltweite Interesse erkläre.
Abg. Johann Georg-Jaeger betont die positiven Aspekte des Forschungsprojektes
für die Region Greifswald. Im Kern gehe es seiner Fraktion aber darum, die
Fördermittel für die Fusionsforschung in einen anderen Bereich zu überführen,
dessen Erforschung man für sinnvoller erachte. Konkret wolle er von Herrn Prof. Dr.
Klinger in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit einer Fusionsanlage erfahren, inwieweit er
den in seiner schriftlichen Stellungnahme angenommenen Preis von 3 bis 5 Cent pro
Kilowattstunde für realistisch halte. Beim Besuch des IPP habe er in einem
Informationsheft der Helmholtz-Gemeinschaft zum Thema Kernfusion gelesen, dass
diese zur Wirtschaftlichkeit von Fusionsanlagen von einem Preis von 5 bis 10 Cent
pro Kilowattstunde ausgehe. Vor diesem Hintergrund sehe er einen deutlichen
Unterschied in der Einschätzung. Grundsätzlich sei die Frage zu stellen, auf
welchem Gutachten die Annahmen beruhen würden und ob man dem Ausschuss
ggf. diese Gutachten zugänglich machen könne. Eine weitere Nachfrage bezieht sich
ebenfalls auf den Besuch des Ausschusses beim IPP. Von der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN sei die Frage gestellt worden, ob es in Garching jemals einen
Störfall gegeben habe. Diese Frage sei klar verneint worden. In diesem
Zusammenhang zitiert er aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage des
Bayerischen Landtages aus dem Jahr 1992: „Im Februar 1989 kam es aufgrund
einer Überhitzung eines Tritiumspeicherbehälters zu einem Störfall und dabei zu
einer nicht geplanten Tritiumabgabe“. Darüber hinaus würden in der Antwort einzelne
technische Details und Verfahrensschritte ausgeführt. Konkret wolle er wissen, ob
dem Vertreter des IPP dieser Störfall bekannt sei und ob man nähere Informationen
dazu erhalten könne. Seine letzte Nachfrage bezieht sich auf den Komplex zur
Forschungspolitik der Bundesrepublik: Der aktuelle sechste Energieforschungs-
bericht unterscheide sich aus seiner Sicht deutlich vom fünften Bericht, in dem die
- 30/21 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Bundesregierung dem Thema Fusionsforschung noch fünf Seiten gewidmet habe. In
dem aktuellen Bericht hingegen sei es nicht einmal mehr eine Seite. Des Weiteren
sollen die finanziellen Mittel bei 120 Mio. Euro gedeckelt werden. Betrachte man
zudem das ITER-Projekt, sei festzustellen, dass die Projektplanung völlig aus dem
Ruder laufe. Mittlerweile sei man bei Annahmen von 17 Mrd. Euro bis zur
Fertigstellung. Damit verdreifache sich die ursprünglich veranschlagte Summe. Vor
diesem Hintergrund wolle er von den Sachverständigen wissen, wie die starke
Kostenzunahme für die Kernfusionsforschung beurteilt werde. Weiterhin interessiere
ihn, ob eine Konkurrenz zum Thema „Erneuerbare Energien“ gesehen werde, da
beide Bereiche aus dem Bundesforschungshaushalt bestritten würden.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger führt bezugnehmend auf die Nachfrage zur
Zusammenarbeit mit der mittelständischen Wirtschaft im Land aus, dass mehr als
70 Mio. Euro des Investitionsvolumens direkt an Unternehmen im Land geflossen
seien. Es handle sich dabei um ein breites Spektrum von Unternehmen. Als
Beispiele benennt er die Firma Dockweiler in Neustadt-Glewe oder Anlagen- und
Kraftwerksrohrleistungsbau in Greifswald. Grundsätzlich sei man laut Vergaberecht
ab einem Auftragsvolumen von 50.000 Euro stets verpflichtet, eine europäische
Ausschreibung durchzuführen. Somit befänden sich die Unternehmen im Land in
einer Konkurrenzsituation zu europaweiten Anbietern. Die Bewertung erfolge nach
ökonomischen und technologischen Maßstäben. In einigen Fällen wirke sich eine
lokale Nähe durchaus positiv auf die Vergabeentscheidung aus. Insgesamt sei neben
dem Auftragsvolumen auch der Trainingseffekt für die beteiligten Unternehmen von
ausschlaggebender Bedeutung. In Zusammenarbeit mit den Unternehmen habe man
oftmals neue Lösungswege für technisch anspruchsvolle Fertigungsverfahren finden
müssen. Dieses technologische Knowhow stärke nachhaltig die Marktposition der
beauftragten Unternehmen und erweitere deren Produktportfolio. Zu den
Kostenschätzungen (Cent/kWh) führt er aus, dass man von unsicheren Annahmen
bezüglich des Strommarktes im Jahr 2050 ausgehe. Insofern sei die Frage nach der
Wirtschaftlichkeit von Fusionsanlagen eher systemisch zu beantworten. Die
Bandbreite der verschiedenen Modellberechnungen belaufe sich auf einen Wert
zwischen 3 und 10 Cent/kWh. Man habe diesbezüglich eigene Studien zur
wirtschaftlichen Verwertbarkeit an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät
- 30/22 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
der Universität Greifswald in Auftrag gegeben. Der entsprechende Abschlussbericht
befinde sich in Arbeit. Zur Nachfrage in Bezug auf den Zwischenfall in Garching führt
er aus, dass es sich nicht um einen Störfall der Maschine Asdex Upgrade an sich
gehandelt habe, sondern es zu einem Zwischenfall in einem externen Tritiumlabor
gekommen sei. Die Konsequenzen dieses Vorfalls seien für den Standort in
Greifswald nicht unmittelbar relevant, da dort keine Tritiumforschung durchgeführt
werde. Zur dritten Nachfrage merkt er an, dass es richtig sei, dass die Energiewende
dazu geführt habe, dass die Prioritäten innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft, die
für die Verteilung der Bundesforschungsmittel zuständig sei, verändert worden seien.
Nichtsdestotrotz geschehe die Bewertung der Forschungsvorhaben in einem
gutachterlichen Sinne innerhalb forschungspolitischer Vorgaben. Diese Vorgaben
würden von der Bundesregierung aufgestellt und liefen derzeit auf eine Deckelung
der Fusionsforschung hinaus. Er sei der Überzeugung, dass die Investitionen in die
Fusionsforschung nach wie vor gut investiertes Geld seien. Die zentrale Frage sei,
welche Höhe als Voraussetzung gesehen werde, um vernünftige Forschungs-
fortschritte zu machen. Unterhalb einer kritischen Grenze werde die weitere
Forschungsarbeit sinnlos. Mit der aktuellen Förderung ließe sich die
Fusionsforschung durchaus in einem gewissen Umfang weiter betreiben. Die Ziele
von W7-X seien nicht gefährdet. Ferner werde man auch die Anlage in Garching
weiterhin in einem sinnvollen Umfang betreiben können. Den Bezug zum ITER-
Projekt wolle er an dieser Stelle zurückweisen. Er könne mannigfaltige Gründe
darlegen, warum die Kosten bei ITER so hoch seien. Problematisch sei vor allem,
dass die Hauptbeiträge der Partner des Projektes durch die Erstellung von Bauteilen
erbracht würden. Manche Partner legten die Entwicklungskosten allerdings nicht
offen. Insofern seien die Kostenannahmen nicht mehr als grobe Schätzungen.
Ref. Heinz Smital merkt an, dass er die Frage so verstanden habe, dass am ITER-
Projekt viele Staaten beteiligt seien. Vor diesem Hintergrund mutmaßt er, dass es
weitere Gründe als das von ihm dargelegte rein wissenschaftliche Interesse an der
Fusionsforschung gebe.
- 30/23 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Abg. Jürgen Seidel präzisiert seine Nachfrage, indem er anführt, dass am W7-X-
Projekt in Greifswald ein großes Interesse verschiedener Staaten bestehe. Vor
diesem Hintergrund frage er sich, ob man die Fusionsforschung als „wissenschaft-
liche Spielwiese“ diskreditieren könne oder ob nicht doch unter der Maßgabe der
Grundlagenforschung in einem abgesteckten Zeitkorridor entsprechende Ergebnisse
unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit zu erwarten seien.
Ref. Heinz Smital führt aus, dass man die Sachlage historisch einordnen müsse. Ab
den 1950er-Jahren sei die Förderung der Atomkraft prominenter Bestandteil aller
relevanten internationalen Verträge (Römische Verträge, EU-Verträge, Abrüstungs-
verträge, IAEA-Gründung) gewesen. All diese Verträge verfolgten das Ziel, den
Ausbau der Atomkraft zum Wohle der Menschheit zu fördern. Diese Entwicklung sei
jedoch gescheitert. Heute würden weltweit nur 2 % des Stroms aus Atomkraft
erzeugt. Wasserkraft erzeuge deutlich mehr Strom als Atomkraft. Nichtsdestotrotz
habe es in der Ära der Atombegeisterung sehr viele Konzepte gegeben. Eines davon
sei die Fusionsforschung gewesen. Insofern könne man von einer politischen
Abhängigkeit der Atomforschung sprechen. Dieser Pfad münde derzeit im ITER-
Projekt. Der Eindruck, dass es sich bei der Fusionsforschung um eine
„wissenschaftliche Spielwiese“ handle sei ein ganz persönlicher. Als Physiker habe
er selbst einen Eindruck davon gewinnen können, wie faszinierend die
Fusionsforschung sein könne. Politisch sei eine Fokussierung auf die
Fusionsforschung jedoch aus der historischen Entwicklung zu verstehen. Er sehe
diesbezüglich allerdings eine stark abnehmende Tendenz. Die Kürzung bzw.
Deckelung der Forschungsgelder sei als ein erster Schritt zu verstehen. Eine Reihe
von unklaren Variablen in Hinsicht auf die Wirtschaftlichkeit von Fusionsanlagen sei
dafür verantwortlich, dass die Forschung heute im globalen energiewirtschaftlichen
Kontext in Frage gestellt werden könne.
Abg. Dr. Mignon Schwenke betont, dass die Fraktion DIE LINKE sich zum Projekt
W7-X bekenne. Sie wolle jedoch nicht verschweigen, dass es Skeptiker innerhalb
ihrer Fraktion gebe. Zum Thema „Anlagensicherheit“ merkt sie an, dass zum
Ausdruck gebracht worden sei, dass es faktisch keine Gefahren gebe. In diesem
Zusammenhang weist sie darauf hin, dass Genehmigungen aber unter den
- 30/24 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung erteilt würden. Ganz unproblematisch
könne der Betrieb der Anlage dementsprechend nicht sein. Zum anderen laufe
derzeit ein Begutachtungsprozess, ob die Sicherheitsarchitektur der Anlage
(Wandstärken, Materialien, etc.) den atomrechtlichen Anforderungen entspreche.
Eine weitere Nachfrage richtet sie an Prof. Dr. Herbst, der ausgeführt habe, dass
man mit Hilfe der Plasmaphysik und des zugehörigen Forschungsverbundes in
Greifswald einen „Leuchtturm der Plasmaforschung“ etablieren wolle. Sie
interessiere sich in diesem Zusammenhang dafür, wie sich die Studierendenzahlen
im Fachbereich Physik entwickelten. Weiter wolle sie wissen, ob man nachweisen
könne, dass die gute Forschungszusammenarbeit zwischen der Universität und dem
IPP der Grund für einen Anstieg der Studierendenzahlen sei. Drittens wolle sie von
Herrn Smital erfahren, inwieweit er die militärische Anwendbarkeit der
Fusionsforschung für eine reale Gefahr erachte. Ergebnisse der
Grundlagenforschung könnten in vielen Bereichen auch missbräuchlich verwendet
werden. Ihrem Kenntnisstand nach sei die Gefahr einer Effektivierung von
Atomwaffen durch die Fusionsforschung jedoch nicht gegeben.
Abg. Johann-Georg Jaeger stellt wiederholt eine Nachfrage zu den Forschungs-
geldern: Der Bericht der Helmholtz-Gemeinschaft (Geschäftsbericht 2012) weise aus,
dass im Jahr 2011 insgesamt 294 Mio. Euro an Forschungsmitteln im Bereich
Energie ausgereicht worden seien. 47 % (etwa 150 Mio. Euro) davon seien für den
Bereich der Kernfusion und lediglich 17 % für den Bereich der Erneuerbaren
Energien ausgegeben worden. Wenn die aktuelle Deckelung auf 120 Mio. Euro für
die Fusionsforschung wirksam werden solle, stelle sich die Frage, an welcher Stelle
man die Differenz von 30 Mio. Euro einsparen wolle.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger führt aus, dass die Helmholtz-Gemeinschaft nur eine
neben weiteren Forschungsgemeinschaften sei, die Energieforschung betreibe.
Wenn man die gesamte Forschungsgemeinschaft betrachte, verschiebe sich die
Schwerpunktsetzung. Die Fraunhofer-Gesellschaft sei sehr stark im Bereich Erneuer-
bare Energien vertreten. Auf die Frage zur Einsparung des durchaus beträchtlichen
Finanzvolumens führt er aus, dass jedes der drei Institute (Forschungszentrum
Karlsruhe, Forschungszentrum Jülich, IPP) seinen Beitrag leisten müsse. Die
- 30/25 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Forschungszentren Karlsruhe und Jülich seien Mischforschungszentren, in denen es
in diesem Zusammenhang zu gewissen Reorientierungen komme. Was sein Institut
betreffe, könne er konstatieren, dass man nicht besonders glücklich über die
Anpassungen sei. Der Betrieb von W7-X sei jedoch nicht gefährdet.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm (Direktor Institut für Energie- und Klimaforschung Jülich)
führt aus, dass die Kürzungen in Jülich am höchsten seien. Infolge dessen komme
es zu einer erheblichen Umorientierung der Forschung. Am wenigsten werde am
Projekt W7-X gekürzt. Die Fusionsforschung habe in forschungspolitischen Vorgaben
ganz klar die höchste Priorität. Die Folge der Energiewende für die Forschung sei
eine erhebliche Umorientierung. Zum ITER-Projekt führt er aus, dass man die
Finanzierung sehr differenziert betrachten müsse. ITER werde nicht direkt mit
deutschen Mitteln finanziert. Deutschland habe nicht einmal einen Beteiligungs-
vertrag. Die Finanzierung laufe allein über die Europäische Union. Probleme im
Zusammenhang mit der Finanzierung müsse somit die Europäische Union lösen.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger stellt bezugnehmend auf die Nachfrage von
Abg. Dr. Schwenke klar, dass es keine Technologien ohne Gefahren gebe. Im
Gegensatz zur Kernspaltung unterscheide sich ein Fusionskraftwerk jedoch
signifikant durch seine passive Sicherheit von konventionellen Atomkraftwerken. Zum
einen benötige man sehr wenig Brennstoff, zum anderen führten kleinste
Abweichungen (Stromausfall, menschliches Versagen, etc.) zum Zusammenbruch
des Plasmazustandes ohne weitere Folgen für die Umgebung. Nichtsdestotrotz
handle es sich aber um eine nukleare Technologie und die Freisetzung ionisierender
Strahlung erfordere Abschirmungsmaßnahmen. Diese Maßnahmen würden
selbstverständlich sehr ernst genommen und auf vielen Ebenen gutachterlich
begleitet. Das Sozialministerium habe sich entschieden, die Strahlenschutz-
maßnahmen nochmalig einer Sonderbegutachtung zu unterziehen. Diese
Maßnahme habe man ausdrücklich begrüßt. Der Schutz der Mitarbeiter und der
Bevölkerung habe höchste Priorität.
- 30/26 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Ref. Prof. Dr. Michael Herbst führt hinsichtlich der Entwicklung der Zahlen der
Physikstudenten am Fachbereich aus, dass diese noch nicht befriedigend seien.
Generell sei man der Überzeugung, dass die Universität ihr standortgegebenes
Potential hinsichtlich der Studierendenzahlen im Fachbereich Physik nicht nutze. Das
Rektorat sei deshalb bestrebt, diese Situation zu verändern und in Abstimmung mit
dem Land gezielt Marketingstrategien umzusetzen. Insbesondere sei man daran
interessiert, vermehrt weibliche Studierende für den Bereich der Naturwissen-
schaften zu gewinnen.
Ref. Heinz Smital ergänzt zum Gefahrenpotential von Fusionsanlagen, dass die
Kettenreaktion bei einer Veränderung externer Faktoren zum Erliegen komme. Dies
bedeute allerdings im Umkehrschluss keineswegs, dass keine schweren Unfälle
eintreten könnten. In diesem Zusammenhang verweist er auf das Beispiel der
Leichtwasserreaktoren und das Unglück von Fukushima. Aus den physikalischen
Prozessen in Leichtwasserreaktoren würden sich ähnlich dem Fusionsprozess nur
geringe Gefahren ergeben. Die Folgen eines unvorhersehbaren Zwischenfalls, wie
die Wasserstoffexplosion im Reaktor nach dem Beben in Japan, seien jedoch nur
schwer kalkulierbar und hätten zumeist mit dem atomaren Prozess direkt nichts zu
tun. Schlussfolgernd könne man festhalten, dass man die Folgen eines Abbruchs der
Kettenreaktion bei Leistungsfusionsreaktoren nicht einschätzen könne. Grundsätzlich
sei die Energiegewinnung aus atomaren Prozessen mit hohen Risiken behaftet. Dies
könne man mit der Einheit Sievert (Sv) verdeutlichen. Bereits 4 Sv seien für einen
Menschen tödlich. Der Jahresgrenzwert liege bei 1 mSv. Thermodynamisch sei 1 Sv
jedoch verschwindend gering. Ein Liter Wasser würde von der Dosisleistung von
1 Sv nicht einmal um eintausendstel Grad erwärmt. Man müsse extrem hohe Werte
voraussetzen, um die entsprechende Wärme zu erzeugen. In Versuchsreaktoren sei
dies nicht nötig. Denke man indes in Richtung von Leistungsfusionsreaktoren mit
einer angestrebten Leistung von 1,5 GW müsse man mit Blick auf die
Neutronenemission und die Aktivierung von Materialien von völlig anderen
Verhältnissen ausgehen. Momentan könne man die Gefahr nicht abschätzen. Zum
Thema der Proliferation führt er aus, dass man von einer prinzipiellen Gefahr im
Umgang mit der Kernfusion ausgehen müsse. Als Beispiele für eine militärische
Nutzung nennt er Prozesse wie die Laseranreicherung oder die Extraktion von
- 30/27 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Tritium aus Meerwasser. Ein militärisches Gefahrenpotential sei bei der Anlage W7-X
jedoch nicht gegeben. Allerdings müsse man weiterdenken und gewisse
Entwicklungsrisiken in die Diskussion mit einbeziehen. Die Leistung der notwendigen
Rechner zur Berechnung bestimmter Szenarien erhöhe sich fortlaufend. Vor diesem
Hintergrund wolle er erneut auf die Gefahren der Atomforschung hinweisen.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger erwidert auf den Vergleich des Fusionsprozesses mit
dem Ablauf in einem Leichtwasserreaktor, dass es sich bei der Fusion nicht um eine
Kettenreaktion handle. Darin liege der entscheidende physikalische Unterschied
zwischen beiden Prozessen.
Abg. Johann-Georg Jaeger führt aus, dass in der Verwaltungsvereinbarung eine
Bundeszuwendung in Höhe von 47,5 Mio. Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2019
ausgewiesen werde. Ihn interessiere, wie stark sich die Kürzung auf diese Summe
auswirke oder ob die Summe bereits eine Kürzung beinhalte.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger merkt an, dass die genannte Summe bereits die
Kürzung berücksichtige.
Vors. Rudolf Borchert beendet die erste Fragerunde und leitet den zweiten
Sitzungsabschnitt mit der Bitte um die verbleibenden Statements ein.
Ref. Prof. Dr. Thomas Hamacher (Technische Universität München) verweist auf
die Zusammenarbeit der Länder Bayern und Mecklenburg-Vorpommern im Bereich
der Plasmaphysik, die sich aus Sicht der TU München weiter ausbauen ließe. Zu
seiner Person führt er an, dass er zum einen den Lehrstuhl für Energie- und
Anwendungstechnik der TU München vertrete, zum anderen sei er Direktor der
Munich School of Engineering. Diese Einrichtung sei darauf ausgerichtet, die
Energieforschung an der TU München in den Bereichen Lehre und Forschung zu
bündeln. Man sei dabei, die Energiewende, die für Bayern eine deutlich größere
Herausforderung darstelle als für viele andere Bundesländer, zu organisieren.
Grundsätzlich weist er auf die hohe Bedeutung der Energieversorgungssicherheit für
die Weltwirtschaft hin. Deshalb müsse man die globale Vernetzung stärker in den
Fokus rücken. Insbesondere der Bundesrepublik als Exportnation falle dabei eine
- 30/28 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
besondere Bedeutung zu. Die TU München trage dieser Entwicklung Geltung, indem
man weltweit Standorte und Büros eröffnet habe. Es sei wichtig, die Internationalität
Deutschlands auch in der Forschung herauszustellen. In Bezug auf seinen Lehrstuhl
führt er aus, dass man Mitarbeiter auch in Singapur beschäftige. Parallel dazu
gestalte man ein gemeinsames Projekt mit Simbabwe. Auf globaler Ebene sei die
Bereitstellung von Energie die zentrale Voraussetzung für das Wachstum von
Volkswirtschaften. Beim Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs bewege man
sich derzeit an der oberen Grenze der berechneten Szenarien, wobei der
Energieverbrauch von abstrakten Größen wie der Wirtschaftsleistung und dem
Bevölkerungswachstum abhängig sei. In erster Linie sei der Lebensstil einer
Gesellschaft ausschlaggebend für den Energieverbrauch. Weltweit näherten sich
jedoch die Lebensstile in Bezug auf den Fleischkonsum, Autobesitz und das
Reiseverhalten denjenigen westlicher Industrienationen an. Folgernd müsse man
davon ausgehen, dass man zukünftig weltweit wesentlich mehr Energie benötige, als
man heute produzieren könne. Die Erneuerbaren Energien könnten den
Mehrverbrach an Energie derzeit nicht decken. Vielmehr seien weltweit Rückfälle in
Verhaltensmuster des 19. Jahrhunderts zu beobachten. Der Indikator des CO2-
Anteils der Primärenergie sei über das gesamte 20. Jahrhundert gesunken und mit
Beginn des 21. Jahrhunderts wieder angestiegen. Der Einsatz von Stein- und
Braunkohle zur Stromproduktion nehme seit geraumer Zeit massiv zu. Parallel dazu
könne man eine weitere Entwicklung beobachten: Die Nutzung nicht konventioneller
Erdgas- und Erdölreserven werde einen nachhaltigen Einfluss auf die globale
Energiewirtschaft haben. Wenn sich nur die Hälfte bisheriger Prognosen
bewahrheite, werden sich die Energiemärkte in 10 bis 15 Jahren deutlich verändert
haben. Man müsse davon ausgehen, dass die USA zukünftig mit Sicherheit auf die
Erschließung nicht konventioneller Erdgas- und Erdölreserven (Fracking) setzen
werden. Bereits heute könne man erste Absetzbewegungen energieintensiver
Unternehmen in Richtung USA feststellen. Nichtsdestotrotz müsse man sich bewusst
werden, dass fossile Energieträger endlich seien und auch die weltweite
Klimaveränderung neue Realitäten schaffe. Angesichts dieser Entwicklungen sei es
wichtig, auf eine Vielzahl von Technologien zu setzen. Die Kernfusion könne eine
dieser Technologien sein. In Deutschland liege die Priorität in Politik und Forschung
beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Er spricht sich in diesem Zusammenhang für
- 30/29 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
eine Umschichtung der Finanzmittel und eine Erhöhung der Forschungsetats
insgesamt aus. Man müsse Mut haben und Änderungen fordern. Die Politik müsse
eine eindeutige Prioritätensetzung vornehmen. Ein Streit um Gelder innerhalb der
bestehenden Forschungsetats sei weder sachdienlich noch zukunftsgerecht. Zu der
Fragestellung, wie sich die Kernfusion in ein zukünftiges Energiesystem einbetten
könne, führt er aus, dass die Kostenabschätzungen auf einer Vielzahl unsicherer
Faktoren beruhten. Man habe in diesem Zusammenhang vor kurzem ein
interessantes Rechenmodell vorgestellt. Ausgangspunkt sei ein europäisches
Stromnetz, welches hauptsächlich von Erneuerbaren Energien gespeist würde.
Weiter habe man Fusionskraftwerke mit unterschiedlichen Kostenstrukturen platziert.
Im Ergebnis der Berechnungen würde die Fusionstechnologie selbst bei weiterhin
sinkenden Kosten für Photovoltaik- und Windenergie sowie bei hohen
Bauinvestitionen für Fusionskraftwerke im europäischen Kontext bestehen können.
Zur Nachhaltigkeit und Sicherheit von Fusionsanlagen führt er aus, dass es einen
fundamentalen Unterschied zwischen einem Leichtwasserreaktor und einen
Fusionskraftwerk in Form der Leistungsdichte gebe. Die Leistungsdichte eines
Leichtwasserreaktors liege bei 70 MW pro Kubikmeter. Im Gegensatz dazu liege die
Leistungsdichte eines Fusionskraftwerkes bei 1 MW pro Kubikmeter. Im
Umkehrschluss habe man eine ganz andere Nachwärmeproduktion und -abfuhr. Das
Problem in Fukushima sei der Ausfall einer kontrollierten Nachwärmeabfuhr
gewesen. Durch die steigenden Temperaturen sei es zu einer Wasserstofffreisetzung
gekommen. Bei der Kernfusion sei eine Katastrophe wie in Japan nicht möglich, da
man eine wesentlich geringere Leistungsdichte habe. Zum Projekt W7-X führt er aus,
dass man die Anlage in ihrer Bedeutung für die Freiheit der Wissenschaft nicht
überbewerten dürfe. Die Stellarator-Technologie sei seit den 1970er-Jahren im
Prinzip nicht mehr weiterverfolgt worden. Es habe jedoch wenige Wissenschaftler am
Max-Planck-Institut und in Princeton gegeben, die parallel zum Tokamakprinzip
weiter am technologischen Aufbau von Stellerator-Anlagen geforscht hätten.
Insbesondere die fortgeschrittene Computertechnik habe es ermöglicht, Stellaratoren
zu bauen. Diese Entwicklung zeige, wie wichtig wissenschaftlicher Freiraum sei.
Wendelstein sei ein Symbol für das hohe Gut wissenschaftlicher Freiheit. Zum
Abschluss seines Beitrages weist er darauf hin, dass man nicht verkennen dürfe,
dass Deutschland ein Land sei, das nur innerhalb eines bestimmten
- 30/30 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Produktportfolios weltweit besonders stark sei. Die Herstellung von Fusionskraft-
werken setzte diejenigen Eigenschaften voraus, in denen Deutschland stark sei. Man
benötige hochqualifizierte Ingenieure und Handwerker, die zusammenarbeiten und
ein hochqualitatives Produkt herstellten. Bei der Umsetzung anspruchsvoller
Entwicklungsaufgaben sei Deutschland im weltweiten Vergleich sehr gut. Diese
Entwicklung müsse man bei der Frage nach zukünftigen wirtschaftlichen
Entwicklungsmöglichkeiten und Absatzmärkten berücksichtigen. Die Fusionstechno-
logie werde seiner Auffassung nach Teil dieser Entwicklung sein. Die Wende hin zu
Erneuerbaren Energien werde große Anstrengungen nach sich ziehen. Insofern
seien Politik und Wissenschaft gleichermaßen gefordert. Man solle nicht den Fehler
machen und die Forschung in diesem Bereich zurückfahren. Vielmehr solle man in
diesen Bereich investieren und mehr Mittel für die Energieforschung bereitstellen.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm erklärt anhand seiner Präsentation (Anlage 8), dass das
Forschungszentrum Jülich mit etwa 5.000 Mitarbeitern eines der größten
Forschungszentren in Deutschland sei. Die Energieforschung habe in Jülich eine
sehr große Bedeutung. Neben der Brennstoffzellenforschung, der Dünnschichtphoto-
voltaik, der Boden- und Pflanzenforschung sei für den Energiebereich auch die
nukleare Forschung relevant. Vor dem Hintergrund der Energiewende sei der Druck
innerhalb der Forschungsbereiche hoch. Dementsprechend habe man die
Forschungsschwerpunkte in Jülich verändert. Zudem gründe man neue Institute zur
Erforschung von Energiespeichern. Die Fusionsforschung sei in erheblichem Maße
von den Änderungen betroffen. Dennoch seien im Augenblick etwa 100
Wissenschaftler in diesem Bereich beschäftigt. Die gesamte Energieforschung am
Standort Jülich sei in einem Institut (Institut für Energie- und Klimaforschung)
gebündelt. Etwa 800 Personen arbeiteten derzeit am Institut. Ein zentraler
Forschungszweig sei die Materialforschung. Durch das hohe Maß an
Synergieeffekten mit anderen Bereichen sehe man eine große Zukunftschance für
diesen Forschungsbereich. Die Fusionsforschung hingegen werde zurückgefahren.
In diesem Jahr werde die Fusionsforschungsanlage des Tokamaktyps „TEXTOR“
nach 30 Jahren Betrieb stillgelegt. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Anlagen
TEXTOR und W7-X seien hinsichtlich des Strahlenschutzes und der
Sicherheitsbestimmungen sehr groß. Aus diesem Grund wolle er von seinen
- 30/31 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Erfahrungen mit der Anlage in Jülich berichten. Die größte Gemeinsamkeit sei, dass
beide Anlagen nicht nuklear seien. Er stellt klar, dass in Greifswald keine
Kernforschung betrieben werde und somit auch keine Tritiumtransporte stattfänden.
Man simuliere die heißen Plasmen, indem man Wasserstoff oder Deuterium zuleite
und das Plasma mit externen Heiztechniken auf 100 Mio. °C aufheize. Ziel sei es, zu
studieren, wie man die Energie im Plasma einschließen könne. Die
Fusionsforschung beschäftige sich nicht mit den eigentlichen Kernprozessen.
Demzufolge sei Greifswald keine Kernforschungsanlage, sondern eine
Plasmaforschungsanlage. Die Anlagen JET und zukünftig auch ITER hingegen seien
nukleare Forschungsanlagen, die man mit Tritium betreibe. Der wesentliche
Unterschied zu den Anlagen in Jülich und Greifswald bestehe darin, dass dort die
Fusion selbst das Plasma signifikant aufheizen würde. Er verdeutlicht, dass sich die
Fusionsforschung am Standort grundsätzlich mit dem Wärmeeinschluss und der
Isolation des Plasmas beschäftige. Seit Langem gehe es nicht mehr um die Frage
des wissenschaftlichen Beweises der Fusion. Vielmehr beschäftige man sich mit der
Effizienz derartiger Anlagen, um die Kosten für Reparaturen und Umbauten zu
minimieren. Deshalb konzentriere man sich derzeit hauptsächlich auf die
Materialbeschaffenheit der Wände, die durch die hohe Energiefreisetzung extremen
Belastungen ausgesetzt seien. Die Forschungen hierzu hätten unmittelbaren Einfluss
auf die Prognosen zur Kosteneinschätzung der Energiebereitstellung. Der letzte
Umbau der Anlage in Jülich habe sich mit der Forschungsidee beschäftigt, wie man
durch die gezielte Anordnung und Formung der Spulen das Plasma so beeinflussen
könne, dass man die Lebensdauer der Wände erhöhe. Am Ende des
Entwicklungsprozesses habe man 2003 den Dynamischen Ergodischen Divertor
(DED) eingebaut. Beim Einbau der Magnetspulen hätten die Monteure ohne
Schutzbekleidung oder Ähnliches im Inneren der Anlage arbeiten können. Dieser
risikofreie Zugang habe strenge Regelungen und Vorkehrungen vorausgesetzt. In
jeder Anlage, in der Teilchen beschleunigt oder extrem hohe Temperaturen erzeugt
würden, entstehe Strahlung. Die gelte sowohl für Beschleuniger als auch für
Röntgenanlagen in Krankenhäusern. Es seien in allen Fällen die strengen
Strahlenschutzgesetze anzuwenden. Die beim Betrieb der TEXTOR-Anlage
emittierten Strahlen (vor allem Röntgen- und Neutronenstrahlung) entstünden, wenn
das Plasma heiß sei. Sobald das Plasma erkalte, sei die Strahlung abgeklungen.
- 30/32 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Allerdings würden Bauteile und Wandelemente aktiviert. Diese würden für eine
gewisse Zeit noch Strahlung abgeben. Die Dauer liege im Bereich zwischen
Sekunden und einer Stunde. Die Schutzmaßnahmen bestünden darin, dass man
Überwachungsbereiche einrichte. Die TEXTOR-Anlage stehe beispielsweise in
einem Betonbunker. Dieser schirme die unmittelbare Strahlung ab. Außen habe man
zudem einen Überwachungsbereich eingerichtet. In diesem Bereich seien
Messgeräte zur Kontrolle der Strahlenemission vorgeschrieben. Die Werte seien
jedoch so gering, dass selbst Besucher den Außenbereich betreten dürften.
Innerhalb des Bunkers sei die Anlage während des Plasmabetriebs gesperrt. In der
kurzen Zeitspanne nach dem Abschalten der Anlage dürften nur Personen die
Anlage betreten, die gem. den Bestimmungen des Strahlenschutzgesetzes
überwacht würden. Während der vergangenen 30 Jahre des Forschungsbetriebes
der TEXTOR-Anlage seien immer Strahlungswerte weit unterhalb der zulässigen
Grenzwerte gemessen worden. Auch die Mitarbeiter seien intensiv überwacht
worden. Keiner der Mitarbeiter sei zu irgendeinem Zeitpunkt einer messbar erhöhten
Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Vor diesem Hintergrund müsse man sich um
die Belastungen von Besuchern oder der Bevölkerung vor Ort keine Sorgen machen.
In nuklearen Forschungsanlagen würden andere Bestimmungen gelten und
strengere Maßnahmen ergriffen. In diesem Zusammenhang verweist er nochmals auf
die einzige nukleare Forschungsanlage in Europa (JET) in Großbritannien. Aufgrund
der Ergebnisse der JET-Forschungsanlage wisse man, dass ITER etwa 500 MW
Leistung erbringen werde. Bei der ITER-Anlage werde man aufgrund der
Strahlenbelastung bei der Wartung und Montage auf Fernbedienungsinstallationen
unter Zuhilfenahme von Robotern zurückgreifen müssen. In diesem Zusammenhang
betont er nochmals, dass in Greifswald keine nukleare Anlage entstehe. Der Fokus in
der Fusionsforschung liege momentan auf der Anlage W7-X und dem darauf
aufbauenden ITER-Projekt in Frankreich. Er führt abschließend aus, dass die
wissenschaftliche Welt die nächsten 20 Jahre auf die Experimente in Greifswald
schauen werde.
Ref. Prof. Dr.-Ing. Harald Weber (Universität Rostock) führt anhand seiner
Präsentation (Anlage 9) zunächst aus, dass er in seiner Funktion das Institut für
Elektrische Energietechnik an der Universität in Rostock und speziell den Lehrstuhl
- 30/33 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
für Elektrische Energieversorgung leite. Er wolle sich als Elektrotechniker in seinem
Statement den Fragen der Energieversorgung im Allgemeinen und im Besonderen in
Mecklenburg-Vorpommern zuwenden. Das Institut gehöre keiner großen
Forschungsgemeinschaft an und finanziere sich somit fast ausschließlich über
Drittmittel, die man durch Industrieprojekte einwerbe. Zur globalen
Energieversorgung führt er aus, dass der Reichtum der Menschheit anhand des
Stromverbrauchs dargestellt werden könne. Satellitenbilder würden Aufschluss
darüber geben, welche Regionen der Erde nachts hell erleuchtet würden.
Nordamerika, Europa, Japan und Südkorea würden in besonderer Weise
hervorstechen. Dies ließe den Schluss zu, dass die Menschen in diesen Regionen
über einen besonderen Reichtum verfügten. Die Verteilung des Reichtums auf der
Welt bestätigte diese Annahme. Folglich sei der Stromverbrauch ein direkter
Indikator für Reichtum. In zweiter Reihe stünden die Regionen China und Indien, in
denen zusammen fast 3 Mrd. Menschen lebten. Beide Regionen strebten ebenfalls
den energieintensiven Lebensstandard der reichen Industrienationen an. Hierbei
verweist er auf Bereiche wie Mobilität und Wohnsituation. Weiter ließen die
Satellitenaufnahmen den Schluss zu, dass in weiten Teilen Asiens und Afrikas Armut
herrsche. Zur Deckung der Grundbedürfnisse (sauberes Wasser, Nahrung, etc.)
werde jedoch ebenfalls Strom (bspw. für Düngemittelherstellung, Klärwerke, etc.)
benötigt. Zum Vergleich führt er an, dass das Bruttosozialprodukt des afrikanischen
Kontinents zusammen so groß sei wie das Bruttosozialprodukt der Niederlande und
Belgien. Diese weltweite Entwicklung habe man zur Kenntnis zu nehmen. Zur
Bevölkerungsentwicklung führt er weiter aus, dass im Jahr 1800 etwa bei 1 Mrd.
Menschen die Erde bevölkert hätten. Durch die industrielle Revolution habe es einen
rasanten Anstieg der Bevölkerung gegeben. Man erwarte, dass die Grenze von 10
Mrd. Menschen in naher Zukunft überschritten werde. Zudem könne man von einer
voranschreitenden Abwanderung aus ländlich geprägten Regionen in große Städte
ausgehen. In zunehmendem Maße würde für den Betrieb von Klimaanlagen und
Wasser-/Abwasserbehandlungsanlagen sowie für den Transport- und Verkehrsbe-
reich mehr Energie benötigt werden. Er fasst zusammen, dass ohne die
Bereitstellung von Strom ein weiteres Wachstum und Überleben der Menschheit
nicht vorstellbar sei. Beim Strombedarf erwarte man in Europa einen Zuwachs um
50 % bis zum Jahr 2030. Global gehe man sogar von Zuwachsraten von 100 % aus.
- 30/34 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Zur Historie der Nutzung von Energiequellen führt er aus, dass bis zum
18. Jahrhundert vorwiegend der nachwachsende Rohstoff Holz als Energieträger
genutzt worden sei. Mit der Erfindung der Dampfmaschine sei Kohle zum zentralen
Energieträger der Menschheit geworden. In den 1950er-Jahren habe der Mensch die
Kernspaltung kommerziell zur Energieerzeugung zu nutzen begonnen. In der
allgemeinen Euphorie der Atomkraftnutzung seien die damit verbundenen Probleme
als zweitrangig angesehen worden. Die Begeisterung habe ebenfalls zu einer
Forcierung der Fusionsforschung geführt. Ab der Jahrtausendwende hätten in
zunehmendem Maße Erneuerbare Energien an Bedeutung gewonnen. Zur weiteren
Prognose führt er an, dass man ab dem Jahr 2060 einen signifikanten Rückgang
hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger erwarte. Bei der zu erwartenden
Bevölkerungsentwicklung sei bislang unklar, wie man die Abnahme fossiler
Brennstoffressourcen kompensieren wolle. Selbst bei einem massiven Ausbau
Erneuerbarer Energien könne der globale Energiebedarf nicht allein durch diese
Quellen gedeckt werden. Insofern komme der Fusionstechnologie zukünftig eine
wichtige Bedeutung zu. Die Zeit des ungebremsten Energieverbrauchs sei durch
natürliche Ressourcen begrenzt. Man sei davon ausgegangen, dass man mit der
Einführung der Dampfmaschine bis 2080 etwa 15 Generationen lang (1 Generation =
25 Jahre) das Privileg der uneingeschränkten Energieverfügbarkeit nutzen könne.
Erst dann würden die fossilen Energieträger verbraucht sein. Bis dahin müsse es
aber gelingen, die zurückgehenden fossilen Energieträger durch regenerative
Quellen, Kernspaltung oder Fusion zu kompensieren. Andernfalls werde man den
heutigen Lebensstandard in der westlichen Welt nicht halten können. Zum Bereich
der CO2-Emissionen führt er aus, dass die großen Zuwächse momentan in den USA
und China, aber auch in Indonesien zu verzeichnen seien. Der massive Ausbau der
Erneuerbaren Energien lasse erwarten, dass man in Deutschland bei der
Windenergie bis zum Jahr 2025 etwa 50 GW und im Photovoltaikbereich ebenfalls
etwa 50 GW installiert haben werde. Insgesamt werde man in Deutschland bis zum
Jahr 2025 etwa 102 GW Leistung in Wind- und Solaranlagen installiert haben. An
einem kalten Wintertag liege der Verbrauch bei etwa 80 GW Leistung. Auf den ersten
Blick könne man behaupten, dass es bereits einen Energieüberschuss gebe. Man
müsse jedoch bedenken, dass die Sonne nur am Tag scheine und die Windkraft von
den thermischen Luftströmungen abhinge. Addiere man die Leistung und berechne,
- 30/35 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
wie viel Arbeit man gewinnen könne, sehe die Rechnung anders aus. Aus Wind und
Sonne ließen sich im Jahr 2025 voraussichtlich 200 TWh an Energie gewinnen. Der
prognostizierte Verbrauch liege allerdings bei etwa 600 TWh, allein für Strom. Zähle
man den Mobilitätsbedarf und die benötigte Energie zur Wärmeerzeugung hinzu, so
komme man in der Summe auf etwa 2.500 TWh in Deutschland. Ziel müsse es
langfristig sein, Energie für 2.500 TWh pro Jahr unter Berücksichtigung des
Rückgangs fossiler Energieträger zur Verfügung zu stellen. Vor diesem Hintergrund
prognostiziert er – sollte die Fusionstechnologie scheitern –, eine Rückkehr der
konventionellen Atomwirtschaft in Deutschland. Die Vorgaben der Bundesregierung
zur Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien auf 80 % bis zum Jahr 2050
erforderten einen massiven und konsequenten Ausbau. Er betont, dass er keine
Konkurrenz zwischen dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Fusion sehe.
Langfristig sei aber ein Mix der Energiequellen zielführend. Zur Erforschung von
Speichertechnologien führt er aus, dass Energiespeicher aufgrund ihrer geringen
Wirkungsgrade von unter 35 % als Energievernichter bezeichnet werden könnten.
Demzufolge müsse man sich zukünftig auf ein minimal nötiges Maß von Speichern
beschränken. Vielmehr benötige man innovative Kraftwerkstechnologien, um die
natürlichen Schwankungen der Erneuerbaren Energiequellen zu kompensieren.
Zudem werde man erst ab dem Jahr 2025 in nennenswertem Maße einen
Energieüberschuss produzieren. Erst ab diesem Zeitpunkt werde es sich lohnen,
über Speichermöglichkeiten nachzudenken. Die aus seiner Sicht effektivsten
Speichermöglichkeiten böten die indirekt chemischen Speichertechnologien
(Methanspeicher). In dieser Technologie sehe er die größten Potentiale. Zur
Speicherung des Methans eigneten sich Salzkavernen, die in Mecklenburg-
Vorpommern in ausreichender Anzahl zur Verfügung stünden. Die Kopplung des
elektrischen Energieversorgungssystems und des Gasnetzes böte eine weitere
Möglichkeit der Speicherung. Die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff,
insbesondere im Mobilitätsbereich, sei ein weiterer unverzichtbarer Grundpfeiler zur
Umsetzung der Energiewende. Die Fusionskraftwerke könnten daher neben der
Stromproduktion für den Verbrach auch bei der Generierung von Wasserstoff eine
wesentliche Bedeutung haben. Der auf diese Weise gewonnene Wasserstoff könne
im Verkehrsbereich somit die fossilen Kraftstoffe ablösen. Er fasst seinen Vortrag
dahingehend zusammen, dass man sich der steigenden Bevölkerungszahl und dem
- 30/36 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
damit verbundenen massiven Anstieg des globalen Energiebedarfs bewusst werden
müsse. Vor diesem Hintergrund müsse man sich das Wirtschaftspotential des
Landes Mecklenburg-Vorpommern vor Augen halten und den Ausbau der
alternativen Energien konsequent vorantreiben. Hierzu sei Weitsicht in der Politik und
eine fundierte Ausbildung an den Universitäten und Forschungsstätten notwendig.
Vors. Rudolf Borchert dankt allen Sachverständigen für ihre Statements und
eröffnet die zweite Fragerunde.
Abg. Johann-Georg Jaeger stellt in Kenntnis der vorliegenden Wirtschaftlichkeits-
prüfungen fest, dass ein zukünftiger Fusionsreaktor eine Leistung über 1.000 MW
erbringen müsse. Insgesamt nehme man auf Grundlage des McKinsey-Gutachtens
eine thermische Leistung von 9.000 MW an. Sollten den Sachverständigen
anderslautende Gutachten bekannt sein, bittet er darum, diese zu benennen bzw.
vorzulegen. Bezüglich der Kraftwerkssicherheit bedeute dies, dass bei geringsten
Problemen einer Fusionsanlage 3.000 MW innerhalb kürzester Zeit vom Netz
genommen werden müssten. Hierbei sehe er ein großes Problem für eine stabile
Stromversorgung. Vor diesem Hintergrund interessiere ihn, wie man sich konkret die
Integration eines Fusionsreaktors (>1.000 MW) in Deutschland vorstelle. Besondere
Relevanz erlange seine Nachfrage durch das Prinzip des Einspeisevorrangs
regenerativer Energien. Aus seiner Sicht sei kein wirtschaftlicher Spielraum gegeben,
um ein Grundlastkraftwerk wie eine Fusionsanlage zu betreiben.
Vors. Rudolf Borchert fragt konkret nach, wann man mit der Industriereife von
Fusionskraftwerken rechnen könne. Bezüglich der Ausführungen von Prof. Dr.-
Ing. Weber zum zukünftigen Energiebedarf merkt er an, dass die Einführung
derartiger Kraftwerke möglicherweise zu spät komme, um den weltweit steigenden
Energiehunger decken zu können.
Ref. Prof. Dr. Thomas Hamacher führt zur Frage der Integration Erneuerbarer
Energien aus, dass man eine Vielzahl von Modellen durchgerechnet habe. Allen
Annahmen unterlägen verschiedene Voraussetzungen. Zum einen unterstelle man,
dass man zukünftig mehr und effizientere Speichermöglichkeiten nutzen könne als
- 30/37 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
heutzutage. Zum anderen gehe man von einer deutlich stärkeren flexiblen Last aus.
Grundsätzlich gehe man in allen Berechnungen von einem sehr viel großräumigeren
Stromnetz in Europa aus. Die Optimierungsmodelle mit einem Anteil von bis zu 80 %
Erneuerbare Energien gingen von einem Großteil der Windkraftnutzung in Europa
aus. Darüber hinaus gebe es die Photovoltaik, die gegenüber der Windkraft deutlich
weniger Anteil besitze. Der Vorteil der Windkraftnutzung bestehe darin, dass sich die
Auslastung der über Europa verteilten Windenergieanlagen – statistisch betrachtet –
zu einer Form der Grundlast aufrechnen lasse. Somit werde die Windkraft in Europa
in Zukunft die Aufgabe der Mittellastkraftwerke übernehmen. Fusionsanlagen ließen
sich hervorragend zur Abdeckung der Grundlast einbinden. Voraussetzung dafür sei
die Schaffung der technischen Bedingungen, wie der Ausbau der Netze. Er bietet
dem Ausschuss an, diesem Optimierungsmodellrechnungen zukommen zu lassen.
Im Ergebnis entstünde zwischen dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der
der Nutzung von Fusionsanlagen kein Widerspruch. Zu der Nachfrage des
Zeitpunktes der Marktreife von Fusionsanlagen führt er an, dass er davon ausgehe,
dass um 2050 weltweit ein großer politischer Druck bestehe, die heute gebauten
großen Kohlekraftwerke zu ersetzen. Dabei werde die Fusion eine wichtige
Bedeutung haben.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm hebt die Tatsache hervor, dass die Kernfusion eine
völlig neue Primärenergiequelle erschließe. Man sehe sich in der Lage, der
Menschheit aus den Rohstoffen Wasser und Lithium eine neue Energiequelle mit
ungeheurem Potential zur Verfügung zu stellen. Der einzig vernünftige Grund,
Fusionsforschung zu betreiben, sei, dass man für zukünftige Generationen
Verantwortung trage. Die Entscheidung zum Einsatz von Fusionsanlagen sei von
zukünftigen Generationen zu treffen. Heute habe man noch kein Energieproblem.
Vielmehr forsche man, um der Menschheit in Zukunft die Möglichkeit zu geben,
selbst zu entscheiden, welche Möglichkeiten man nutzen wolle.
Ref. Prof. Dr.-Ing. Harald Weber vertritt die Auffassung, dass der Stromverbrauch in
Deutschland trotz der Effizienzbemühungen grundsätzlich auf hohem Niveau inner-
halb eines bestimmten Rhythmus (Tag/Nacht) verbleibe. Windkraft- oder Photovol-
taikanlagen produzierten Strom, wenn die natürlichen Rahmenbedingungen dafür
- 30/38 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
gegeben seien. Diese Voraussetzungen (ausreichend Wind oder Sonne) deckten
sich nicht in jedem Fall mit den Verbrauchsanforderungen. Vor diesem Hintergrund
müsse man technisch dafür sorgen, ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen. Dies
könne man bis 2025 durch den Betrieb von konventionellen Kraftwerken ausglei-
chen. Ab dem Jahr 2025 werde man den Ausbau von Energiespeichern massiv vor-
antreiben müssen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse um den Faktor 10
des heutigen Niveaus gesteigert werden, um den zukünftig prognostizierten Energie-
bedarf decken zu können. Fusionskraftwerke würden in erster Linie zur Abdeckung
der Grundlast entwickelt. Zukünftig werde sich jedoch auch die Frage stellen, mit
welchem Energieträger die Mobilität aufrechterhalten werden solle. Er vertrete die
Auffassung, dass sich Wasserstoff als Energieträger durchsetzen werde. Zur Herstel-
lung des Wasserstoffs im industriellen Maßstab eigneten sich Fusionskraftwerke
hervorragend. Spätestens im Jahr 2080 werden die fossilen Energieträger weltweit
verbraucht sein. Bis dahin müsse man technische Lösungen zur alternativen Gewin-
nung von Energie für die Bereiche Strom, Verkehr und Wärme verwirklicht haben.
Vors. Rudolf Borchert zitiert bezüglich des Zeitpunkts der Kraftwerkstauglichkeit von
Fusionsanlagen aus verschiedenen schriftlichen Stellungnahmen der Sachverstän-
digen. Prof. Dr.-Ing. Weber habe darauf verwiesen, dass erste Demonstrations-
anlagen ab 2040 und erste Kraftwerke ab 2050 denkbar seien. Der
Europaabgeordnete Norbert Glante gehe in seiner Stellungnahme hingegen nicht
davon aus, dass die Kernfusion bereits 2050 einen nennenswerten Beitrag zur
Reduktion der CO2-Emissionen leisten könne. Auf lange Sicht werde die
Fusionstechnik allerdings als CO2-freier Energielieferant an Bedeutung zunehmen.
Vor dem Hintergrund der abweichenden Positionen bittet er um eine Einschätzung
zur Industriereife von Fusionsanlagen.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm verdeutlicht, dass das Entwicklungstempo maßgeblich
von der Politik und den Geldgebern bestimmt werde. Sofern man ähnlich wie bei der
Erforschung Erneuerbarer Energien ein Crashprogramm mit 10 bis 15 Mrd. Euro pro
Jahr allein in Deutschland ins Leben gerufen hätte, wäre man längst viel weiter. Im
Moment könne man jedoch nur von einem Forschungsprogramm sprechen. Es
- 30/39 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
könne bislang keine Industriestruktur zur Errichtung von Fusionskraftwerken
entwickelt werden.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger verweist zur Beantwortung der Nachfrage auf den
Fahrplan zur europäischen Fusionsenergie. Das erste Demonstrationskraftwerk
werde etwa 2045 bis 2050 zur Verfügung stehen. Zu der Anmerkung von Abg.
Jaeger führt er aus, dass ihm keine Kraftwerksstudie mit einer Leistung von 9 GW
bekannt sei. Alle ihm bekannten Studien gingen von bis zu 3 GW thermischer und 1
bis 1,5 GW elektrischer Energie aus.
Ref. Heinz Smital betont, dass die Kernfusion bis 2050 keine Bedeutung bei der
kommerziellen Erzeugung von Energie haben werde. Innerhalb dieser Zeit würden
sich jedoch die Erforschung und die Effizienzsteigerung der Erneuerbaren Energien
rasant weiterentwickeln. Vor diesem Hintergrund überzeuge es ihn nicht, an einer
Technik zu forschen, die innerhalb der nächsten Jahrzehnte keine Bedeutung mehr
haben werde, während die alternativen Konzepte bereits vorlägen und ausgebaut
werden müssten.
Abg. Rainer Albrecht dankt allen Sachverständigen für die Ausführungen. Er betont
im Namen der SPD-Fraktion, dass das Projekt W7-X für die Region Greifswald und
für das Land Mecklenburg-Vorpommern eine große Bedeutung habe. Selbstver-
ständlich unterstütze man die Forschung und halte die landesseitigen Zusagen ein.
Ihm erscheine es sinnvoll, parallel zur Erforschung und dem Ausbau der Erneuer-
baren Energien auch die Fusionstechnologie voranzutreiben. Man wisse nicht, ob in
30 oder 50 Jahren die Energieversorgungssicherheit gewährleistet werden könne.
Bei allen Bereichen sei es jedoch von oberster Priorität, die Sicherheitsaspekte in
den Vordergrund zu stellen. Ihn interessierten vor diesem Hintergrund die
Unterschiede zwischen dem ITER-Projekt und der Anlage in Greifswald.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm stellt klar, dass ITER in der Tat eine Anlage sei, mit der
zukünftig Kernfusion betrieben werden könne. Im Gegensatz dazu handle es sich bei
W7-X in Greifswald um eine Anlage zur Erforschung der plasmaphysikalischen
Vorgänge.
- 30/40 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Abg. Johann-Georg Jaeger benennt die von ihm genannte Studie: „Die wahre
Solarkraft - Status und Zukunft der Fusion“. Er vermutet, dass es sich dabei um die
sogenannte McKinsey-Studie handle. In der Studie würden Reaktortypen mit einer
installierten Leistung von 1,5 MW gegenüber Anlagen mit 3 MW verglichen. Er
wiederholt seine Bitte an Prof. Dr. Klinger, dem Ausschuss die erwähnte McKinsey-
Studie zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund der Ausführungen von
Prof. Dr.-Ing. Weber hinsichtlich einer nötigen Verzehnfachung der installierten
Leistung führt er an, dass man momentan 32.000 MW Photovoltaikanlagen und
31.000 MW Windkraftanlagen am Netz habe. Eine Verzehnfachung würde bedeuten,
dass man über eine installierte Leistung von über 600.000 MW spreche. Um 600
TWh zu erzeugen, benötige man etwa 250.000 MW installierte Leistung. Ihm sei
nicht ersichtlich, wie man auf eine benötigte Leistung von über 600.000 MW komme.
Ref. Prof. Dr.-Ing. Harald Weber führt aus, dass er bei dieser Berechnung alle
Energiebereiche (Strom, Verkehr, Wärme, etc.) kumuliert habe.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger verweist auf die Standardreferenzkraftwerksstudien.
Diese gingen von 3 GW thermischer und 1,5 GW elektrischer Leistung aus. Zur
genannten McKinsey-Studie führt er aus, dass er diese nicht zur Verfügung stellen
könne. Die Rechte an der Studie lägen beim Auftraggeber. Er sagt aber zu, Abg.
Jaeger den Kontakt zu vermitteln.
Abg. Jürgen Seidel zieht aus den Vorträgen die Schlussfolgerung, dass die
zukünftige Bereitstellung von Energie in ausreichendem Maße eine gewaltige
Aufgabe sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei es nur vernünftig, sich so viele
Optionen wie möglich offen zu lassen.
Abg. Rainer Albrecht unterstreicht die Auffassung von Prof. Dr. Samm, dass die
Grundlagenforschung der Plasmaphysik eine Aufgabe sei, die mit der Verantwortung
für nachfolgende Generationen einhergehe.
Vors. Rudolf Borchert schlägt vor, dass zum Ende jeder der Sachverständigen die
Möglichkeit bekomme, ein kurzes Abschlussstatement vorzutragen.
- 30/41 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Ref. Prof. Dr.-Ing. Harald Weber führt aus, dass die Sicherstellung der Energie-
versorgung die Kernaufgabe der Zukunft darstellen werde. Verantwortung gegenüber
kommenden Generationen bedeute, sich so viele Optionen wie möglich offen zu
halten. Was Mecklenburg-Vorpommern anbelange, so bestehe neben der Tradition
der Plasmaforschung in Greifswald auch die Tradition der elektrischen Versorgung
im Allgemeinen. Hier könne man auf lange Erfahrungen zurückblicken. Mecklenburg
sei als zweite Provinz nach Bayern elektrifiziert worden. Zudem habe die Windkraft
aufgrund der Küstennähe eine besondere Bedeutung für das Land. Er spreche sich
für den massiven Ausbau der Windenergie in der Region aus. In diesem
Zusammenhang müsse ebenfalls massiv an der Bildung und Ausbildung junger
Menschen gearbeitet werden. Er wünsche sich, dass Mecklenburg-Vorpommern
ganz vorne mit dabei sei, wenn es um die Frage der Energiewende gehe.
Ref. Prof. Dr. Ulrich Samm räumt ein, dass Energie grundsätzlich unbegrenzt
vorhanden sei. Bei der Lösung der Energiefrage komme es jedoch nicht auf die
Energie selbst, sondern auf deren Kosten an. Man arbeite, um sich Energie leisten
zu können. Diese Energie setzte man wiederum ein, um die eigene beschränkte
Arbeitsleistung zu erweitern. Wenn der Einsatz, den man leisten müsse, um die not-
wendige Energie zu erhalten, größer sei als der Nutzen, der aus der
Energieerzeugung resultiere, sei diese Herangehensweise sinnlos. Es sei daher
nicht die zentrale Frage, ob Energie vorhanden, sondern wie teuer diese sei. Diese
fundamentale Frage sei sogar physikalisch erklärbar. Energie müsse als
Arbeitskraftverstärker gesehen werden. Der Mensch verfüge über eine dauerhafte
Arbeitsleistung von 100 W. Indem er sich Energie zu Nutzen mache, könne er diese
Arbeitsleistung multiplizieren. Die Frage der Kosten sei allein entscheidend. Weiter
unterstreicht er die Bedeutung der Fusionsforschung für die Menschheit. Er fordert
die politische Unterstützung für das Projekt W7-X ein und beglückwünscht das Land
zu dem entstehenden Zentrum der internationalen Plasmaphysik in Greifswald.
Ref. Prof. Dr. Thomas Hamacher betont, dass es nicht viele Forschungs-
einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern gebe, die forschungspolitisch so
wahrgenommen würden wie die Anlage W7-X. Er prognostiziert, dass Greifswald in
den nächsten Jahren das Zentrum der weltweiten Fusionsforschung werde. Dies
- 30/42 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
bedeute im Umkehrschuss eine enorme Stärkung der Position der Region und des
Landes. Darauf könne man stolz sein und die Politik solle diese Entwicklung fördern.
Unabhängig davon müsse Mecklenburg-Vorpommern seine großen Chancen im
Rahmen der Energiewende wahrnehmen. Der Aufbau und Umbau der
Energiewirtschaft sei eine Herausforderung, die Energieforschung selbst eine
andere. Für den ersten Bereich gebe man mittlerweile 17 Mrd. Euro über das EEG
aus. Für die Energieforschung selbst sei man von solchen Beträgen weit entfernt.
Dies in der Diskussion zu vermischen, halte er für unklug.
Ref. Heinz Smital verweist im Zusammenhang mit der Nachfrage, ob eine
Energieversorgung im Jahr 2050 allein durch Erneuerbare Energien möglich sei, auf
die Beantwortung der Frage 70 im Fragenkatalog. Hier seien eine Reihe von Studien,
u. a. vom Sachverständigenrat für Umweltfragen oder dem Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt genannt, die anhand von soliden Berechnungen nahelegten,
dass eine zukünftige Versorgung national wie global durch regenerative
Energiequellen möglich sei. Innerhalb all dieser Szenarien habe die Kernfusion keine
Bedeutung. Weiterhin spricht er sich für eine Umschichtung der Forschungsmittel hin
zum Bereich Erneuerbaren Energien aus.
Ref. Dr. Arthur König sieht in Zukunft den Mix aus verschiedenen Energien als
entscheidend an. Die Kernfusion trage ihren Teil bei. Der Aufbau des Max-Planck-
Instituts und des Projekts W7-X in Greifswald steigere die Attraktivität der Region und
des Landes. Er bittet den Ausschuss um die weitere ideelle und finanzielle
Unterstützung des Projekts.
Ref. Prof. Dr. Thomas Klinger verweist auf den Charakter der Grundlagen- und
Vorsorgeforschung in Greifswald. Nach allen Maßstäben wissenschaftlicher Praxis
habe die Fusionstechnologie das Potential als Energiequelle zur Lösung der
Energiefrage in erheblichem Maße beizutragen. Das Projekt W7-X sei dazu weltweit
ein Schlüsselexperiment. Das Land Mecklenburg-Vorpommern habe das Projekt von
der Gründung des Standortes bis heute stets ausdrücklich und nachhaltig unterstützt.
Er sei dankbar, wenn dies auch zukünftig der Fall sei.
- 30/43 -
___________________________ Energieausschuss – 27. März 2013
Vors. Rudolf Borchert zeigt sich beeindruckt vom hohen fachlichen Niveau der
Anhörung. Die Ergebnisse der Beratungen würden die Grundlage für weitere
Diskussionen bilden. Das Thema der Fusionsforschung bleibe auf lange Sicht ein
aktuelles. Er bedankt sich nochmalig bei allen Sachverständigen für die fundierte
Untersetzung der Thematik und beendet die Anhörung.
Ende der Sitzung: 13:41 Uhr
Gu/Sch/Na
Rudolf Borchert Vorsitzender