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leitlinien - konsensus-statements 1 3 Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter Zusammenfassung Off-Label-Use ist die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer Zulassung für Alters- gruppen, Indikationen, Darreichungsformen und Do- sierungen. Viele Psychopharmaka sind im Kindes- und Jugendalter aufgrund strenger gesetzlicher Hürden für die klinische Prüfung bei besonders schützenswerten Probanden, sowie hoher Entwicklungskosten und be- grenzter Gewinnerwartungen, in bestimmten Indikatio- nen oder Altersgruppen nicht zugelassen. Stehen für eine Indikation keine für Minderjährige zugelassenen Medikamente zur Verfügung, steht der Arzt vor der Wahl, eine für Erwachsene zugelassene erapie off-label durchzuführen, oder mangels zu- gelassener Alternative gar keine erapie durchzufüh- ren. Eine „Nichtbehandlung“ ist allerdings schon aus ethischen Gründen nicht haltbar und muss mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Haftungsprozess als Ver- letzung der strengen ärztlichen Sorgfaltspflicht bewertet werden. Im Falle des Off-Label-Use von Medikamenten be- steht eine erhöhte Aufklärungspflicht des Arztes, die sich aus einem erhöhten Informationsbedarf der Patien- ten, bzw. Erziehungsberechtigten ergibt. Die vorliegende Leitlinie gibt Kinder- und Jugendpsy- chiatern Empfehlungen für die zulassungsüberschrei- tende Anwendung von Psychopharmaka unter Einhal- tung der ärztlichen Sorgfaltspflicht sowie rechtlichen und ethischen Überlegungen. Schlüsselwörter Zulassungsüberschreitung · Psycho- pharmaka · Aufklärungspflicht · Arzthaftung Guideline for off-label use of psychotropic drugs in children and adolescents Summary Off-label use is the practice of prescribing pharmaceuticals for an unapproved indication or in an unapproved age group, unapproved dose or unapproved form of administration. Many psychotropic drugs are not put through the rigorous formal process required to officially approve the drug for use in children and adolescents. If no approved drugs are available for a specific in- dication, child psychiatrists have to decide, whether to utilize the corresponding product authorized for adults, or not to treat with drugs. In many cases non-treatment would not be in line with the legal and moral duty to care and would be assessed as a breach of statutory duty of care in a liability proceeding. Off-label use of drugs requests extended obligation to inform because of enlarged needs of information of patients and parents. e present guideline makes recommendations for child and adolescent psychiatrists of the principle of the obligation to care as well as legal and moral considerations. Keywords Off-label use · Psychotropic drugs · Obliga- tion to inform · Obligation to provide care Einleitung Unter Off-Label-Use versteht man die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer Zulassung. Eine Zulas- sung erfolgt für bestimmte Indikationen, Darreichungs- formen, Dosierungen und Altersgruppen. Es bedeutet Neuropsychiatr DOI 10.1007/s40211-013-0071-9 Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter Evaluierungs- und Qualitätssicherungskommission der ÖGKJP · Christine Vesely Ass. Prof. Dr. C. Vesely, MD () . Evaluierungs- und Qualitätssicherungskommission der ÖGKJP Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, Österreich E-Mail: [email protected] Eingegangen: 15. Mai 2013 / Angenommen: 17. Mai 2013 © Springer-Verlag Wien 2013 Elektronisches zusätzliches Material Zusätzliche Information ist in der online Version dieses Beitrags (doi: 10.1007/s40211-013-0071-9) enthalten.

Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter

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1 3 Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter 1

Zusammenfassung Off-Label-Use ist die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer Zulassung für Alters-gruppen, Indikationen, Darreichungsformen und Do-sierungen. Viele Psychopharmaka sind im Kindes- und Jugendalter aufgrund strenger gesetzlicher Hürden für die klinische Prüfung bei besonders schützenswerten Probanden, sowie hoher Entwicklungskosten und be-grenzter Gewinnerwartungen, in bestimmten Indikatio-nen oder Altersgruppen nicht zugelassen.

Stehen für eine Indikation keine für Minderjährige zugelassenen Medikamente zur Verfügung, steht der Arzt vor der Wahl, eine für Erwachsene zugelassene Therapie off-label durchzuführen, oder mangels zu-gelassener Alternative gar keine Therapie durchzufüh-ren. Eine „Nichtbehandlung“ ist allerdings schon aus ethischen Gründen nicht haltbar und muss mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Haftungsprozess als Ver-letzung der strengen ärztlichen Sorgfaltspflicht bewertet werden.

Im Falle des Off-Label-Use von Medikamenten be-steht eine erhöhte Aufklärungspflicht des Arztes, die sich aus einem erhöhten Informationsbedarf der Patien-ten, bzw. Erziehungsberechtigten ergibt.

Die vorliegende Leitlinie gibt Kinder- und Jugendpsy-chiatern Empfehlungen für die zulassungsüberschrei-tende Anwendung von Psychopharmaka unter Einhal-tung der ärztlichen Sorgfaltspflicht sowie rechtlichen und ethischen Überlegungen.

Schlüsselwörter Zulassungsüberschreitung · Psycho-pharmaka · Aufklärungspflicht · Arzthaftung

Guideline for off-label use of psychotropic drugs in children and adolescents

Summary Off-label use is the practice of prescribing pharmaceuticals for an unapproved indication or in an unapproved age group, unapproved dose or unapproved form of administration. Many psychotropic drugs are not put through the rigorous formal process required to officially approve the drug for use in children and adolescents.

If no approved drugs are available for a specific in-dication, child psychiatrists have to decide, whether to utilize the corresponding product authorized for adults, or not to treat with drugs. In many cases non-treatment would not be in line with the legal and moral duty to care and would be assessed as a breach of statutory duty of care in a liability proceeding.

Off-label use of drugs requests extended obligation to inform because of enlarged needs of information of patients and parents.

The present guideline makes recommendations for child and adolescent psychiatrists of the principle of the obligation to care as well as legal and moral considerations.

Keywords Off-label use · Psychotropic drugs · Obliga-tion to inform · Obligation to provide care

Einleitung

Unter Off-Label-Use versteht man die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer Zulassung. Eine Zulas-sung erfolgt für bestimmte Indikationen, Darreichungs-formen, Dosierungen und Altersgruppen. Es bedeutet

NeuropsychiatrDOI 10.1007/s40211-013-0071-9

Leitlinie zum „Off-Label-Use“ von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter

Evaluierungs- und Qualitätssicherungskommission der ÖGKJP · Christine Vesely

Ass. Prof. Dr. C. Vesely, MD () . Evaluierungs- und Qualitätssicherungskommission der ÖGKJP Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,Medizinische Universität Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

Eingegangen: 15. Mai 2013 / Angenommen: 17. Mai 2013© Springer-Verlag Wien 2013

Elektronisches zusätzliches Material Zusätzliche Information ist in der online Version dieses Beitrags (doi: 10.1007/s40211-013-0071-9) enthalten.

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daher genau genommen eine Zulassungsüberschreitung, wenn eine oder mehrere dieser Grenzen überschritten werden. Allerdings deckt der Umfang der Zulassung in der Regel nicht alle Anwendungen ab, die medizinisch sinnvoll sind. Die Zulassung setzt einen Antrag des Her-stellers oder Importeurs voraus. Der Antrag kann aus Gründen unterbleiben, die mit Wirkung oder Gefähr-lichkeit des Arzneimittels nichts zu tun haben: z. B. (zu) hohe Entwicklungskosten, begrenzte Gewinnerwartun-gen in bestimmter Indikation oder Altersgruppe, strenge gesetzliche Hürden für die klinische Prüfung bei beson-ders schützenswerten Probanden.

Arzneimittelrechtlich (§ 7 Abs 1 AMG) ist die Abgabe eines Arzneimittels an die Zulassung gebunden, nicht aber die Anwendung. Die Zulassungsvorschriften nach dem AMG richten sich primär an pharmazeutische Unternehmer, Importeure und Apotheke, nicht aber an Ärzte. Ärzte sind also bei der Anwendung eines Arznei-mittels nicht an die Existenz, bzw. an die konkrete Reich-weite der Zulassung gebunden. (Ausnahme: klinische Prüfungen – §§ 28 ff AMG).

Der zulassungsüberschreitende Einsatz ist absolut kein Indiz für eine Sorgfaltswidrigkeit (keine Schutz-gesetzverletzung iSd §  1311 ABGB), es kann im Gegen-teil eine zulassungsüberschreitende Anwendung nach § 49 Abs 1 ÄrzteG auch geboten sein, wenn sie medizi-nisch indiziert und therapeutisch notwendig ist. Es wäre ethisch und rechtlich nicht haltbar, wenn ein Patient nicht behandelt würde, nur weil für eine Indikation keine zugelassenen Medikamente zur Verfügung stehen.

Steht unter mehreren Therapiealternativen ein zuge-lassenes Arzneimittel zur Verfügung, ist dies – wenn keine medizinischen Gründe wie z.  B. vorhersehbare Unverträglichkeiten, bekannte unzumutbare Nebenwir-kungen oder Spätfolgen, bzw. sonstige Risiken dagegen sprechen – das Mittel der Wahl [1]

Erst wenn unter ausreichend langer Behandlung mit allen zugelassenen Arzneimitteln einer Indikation kein Behandlungserfolg eintritt, sollte ein nicht zugelassenes Medikament angewendet werden.

Eine Ausnahme von dieser Richtlinie stellen Indi-kationen dar, wo nur Medikamente mit bekannt unzu-mutbarem Nebenwirkungsprofil, hohem Risiko oder bekannten unzumutbaren Spätfolgen zugelassen sind – hier sollten nach Maßgabe von Leitlinien, wissen-schaftlichen Studien und klinischen Erfahrungen nicht zugelassene Medikamente zur Anwendung kommen.

Die zulassungskonforme Anwendung ist rechtlich ein Indiz für Übereinstimmung mit den fachspezifischen leges artis. Bei Off-Label-Use von Medikamenten muss die Rechtfertigung der Anwendung aus anderen Quel-len legitimiert werden: Leitlinien, Empfehlungen von Fachgesellschaften, wissenschaftliche Studien, klinische Erfahrungen. Das heißt, es muss in Fachkreisen über die Indikation der zulassungsüberschreitenden Anwendung Konsens bestehen, Risiken und NW müssen hinreichend bekannt und abschätzbar sein.

Arzthaftung

Steht unter mehreren Therapiemöglichkeiten ein zuge-lassenes Arzneimittel zur Verfügung, ist dies – wenn keine Kontraindikationen, Unverträglichkeiten oder andere medizinische Gründe dagegen sprechen – Mittel der Wahl [1].

Erst wenn das/die zugelassene/n Arzneimittel nach-weislich (Überprüfung der Compliance) keinen Erfolg erzielt, kann ein nicht zugelassenes Medikament einge-setzt werden.

Stehen für eine Indikation keine für Minderjährige zugelassenen Medikamente zur Verfügung, steht der Arzt vor der Wahl, eine für Erwachsene zugelassene The-rapie off-label durchzuführen, oder mangels zugelasse-ner Alternative gar keine Therapie durchzuführen. Eine „Nichtbehandlung“ ist schon aus ethischen Gründen nicht haltbar und muss mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Haftungsprozess als Verletzung der strengen ärzt-lichen Sorgfaltspflicht bewertet werden [1].

Dasselbe Prinzip gilt, wenn für Minderjährige zuge-lassene, alte Medikamente aufgrund des Nebenwir-kungsspektrums nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht zumutbar sind.

Zur Frage der Dosierung bei Minderjährigen müssen auf publizierte Wirkungs- und Verträglichkeitsstudien, Empfehlungen von Fachexperten und klinische Erfah-rungen zurückgegriffen werden.

Kann der Arzt sein Handeln aus den Empfehlungen von Experten, auf der Grundlage des aktuellen For-schungsstandes, allgemein anerkanntem Wissensstand und klinischen Erfahrungen lückenlos legitimieren, und sind die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkun-gen hinreichend bekannt, kann ihm aus medizinrechtli-cher Sicht im Falle eines Schadens eines Minderjährigen durch den Off-Label-Use keine Sorgfaltsverletzung vor-geworfen werden.

Aufklärungspflicht und Zustimmung

Jede medizinische Behandlung bedarf der Zustimmung des informierten, einsichts- und urteilsfähigen Minder-jährigen (§  173 ABGB). Im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei mündigen Minderjährigen (ab dem 14. Lj.) vermutet. Vor diesem Lebensalter (unmündige Minderjährige) wird jeweils abhängig vom Einzelfall vom behandelnden Arzt zu beurteilen sein, ob die nötige Einsichtsfähigkeit vorliegt [3]. Es gilt der Grundsatz, dass der Wunsch des Kindes so früh wie möglich zu berücksichtigen ist!

Mangelt es an der nötigen Einsichts- und Urteilsfähig-keit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit Pflege und Erziehung betraut ist (§ 173, Abs.1 ABGB).

Das heißt, dass Patienten/innen ab dem 14. Lj. die Zustimmung grundsätzlich selbst geben müssen.

Ist der Arzt der Meinung, dass der mündige Minder-jährige (ab 14. Lj.) aufgrund seiner fehlenden Einsichts-fähigkeit die Zustimmung nicht geben kann, kann er,

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bzw. die Person, die ganz oder teilweise mit der Obsorge betraut ist, das Vormundschaftsgericht gemäß §  175 ABGB anrufen [3]. Der Arzt muss den Umstand der fehlenden Einsichtsfähigkeit dokumentieren. In offen-sichtlichen Fällen der fehlenden Einsichtsfähigkeit (z. B. schwere geistige Behinderung) muss das Gericht nicht befasst werden, sondern der behandelnde Arzt kann von sich aus feststellen, dass die nötige Einsichtsfähigkeit nicht vorliegt [3].

In diesem Fall muss darauf geachtet werden, dass die Einsichtsfähigkeit zu Beginn einer Behandlung fehlen kann, im Laufe der Behandlung aber durch deren Wirk-samkeit wieder hergestellt sein kann!

Das Gesetz unterscheidet bei medizinischen Behand-lungen zwischen:

• einer„leichten“(§ 173Abs1ABGB)und• einerschwerenodernachhaltigen(§ 173Abs.2ABGB)

Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder Persönlichkeit durch die Behandlung.

Bei Psychopharmaka wird eine leichte Beeinträchti-gung angenommen, wenn sie nicht länger als 24 Tage ver-abreicht werden. Eine schwere Beeinträchtigung wird bei einer länger als 24 Tage dauernden Verabreichung von Medikamenten angenommen [3] Im Fall einer „leichten“ Beeinträchtigung ist die alleinige Zustimmung des mün-digen Minderjährigen ausreichend, bei einer „schwe-ren“ Beeinträchtigung muss zusätzlich auch die Person zustimmen, die Pflege und Erziehung hat. Es wird sich also im Alltag der medizinischen Verschreibung von Psy-chopharmaka bewähren, von Beginn an die Zustimmung nicht nur des mündigen Minderjährigen, sondern auch des Erziehungsberechtigten einzuholen, da in vielen Fäl-len anzunehmen ist, dass die Psychopharmaka länger als 24 Tage eingenommen werden sollten [3].

Bei Verabreichung von Psychopharmaka im Off-La-bel-Bereich ist diese Vorgangsweise in jedem Fall zu empfehlen.

Im Falle einer Unterbringung nach UBG im sta-tionären Bereich ist die Zustimmung des mündigen Minderjährigen zur medizinischen Behandlung nach Unterbringungsgesetz nicht erforderlich, es wird aber zur Absicherung des behandelnden Arztes und zur Her-stellung eines guten Arbeitsklimas sinnvoll sein, die Zustimmung des Erziehungsberechtigten einzuholen. Cave: Nach Ablauf der Unterbringung muss die Zustim-mung des mündigen Minderjährigen zur Fortsetzung der Behandlung eingeholt werden!

Unter Unterbringungsbedingungen ist natürlich besonders darauf zu achten, dass die Grundsätze des evi-denzbasierten Handelns eingehalten werden!

Für die Zustimmung zur medizinischen Behandlung muss sichergestellt werden, dass Patient und/oder Erzie-hungsberechtigter die Aufklärung verstanden haben. Die Zustimmung des Patienten und/oder des Erziehungsbe-rechtigten ist nur dann rechtswirksam, wenn ihr eine hin-reichende, vor allem aber verständliche Aufklärung über die Bedeutung der Behandlung, sowie mögliche Risiken

und Folgen vorausgegangen ist. Auch über die mögli-chen Risiken und Folgen von unterlassener Behandlung muss informiert werden [1].

Im Falle des Off-Label-Use von Medikamenten besteht eine erhöhte Aufklärungspflicht des Arztes, die sich aus einem erhöhten Informationsbedarf des Patienten ergibt:

• Information über den Einsatz außerhalb der Zulas-sung [1, 2]

• InformationüberzugelasseneAlternativenundderenVor- und Nachteile – insbesondere Risiken [1]!

• Patientengerechte Information über Wirksamkeit,Nebenwirkungen und Risiken des Medikamentes im off-label-use [1] (bisherige Erfahrungen, Datenlage, Leitlinien).

• Information über eingeschränkte Haftung des Her-stellers [1, 2]

Die Zustimmung von Patient und/oder Erziehungsbe-rechtigten sollte unbedingt schriftlich erfolgen, emp-fehlenswert ist ein Aufklärungsformular, in dem die vom Arzt zur Verfügung gestellte Information ersichtlich ist. Die Aufklärung sollte in einem beratenden Gespräch erfolgen, in dem der Patient und/oder Erziehungsbe-rechtigter auch Gelegenheit hat, Fragen zu stellen – auch diese sollten dokumentiert werden. Nach der derzeitigen Judikatur ist es nicht ausreichend, dem Patienten und/oder Erziehungsberechtigter den Beipacktext zur Verfü-gung zu stellen, oder vorzulesen [2]! Es ist für Compliance und Patientensicherheit von Bedeutung, dass Patien-ten und Erziehungsberechtigte den Wirkungsverlauf und erfahrungsgemäß häufig auftretende und relevante Nebenwirkungen verstehen und dazu befähigt werden, auftretende Nebenwirkungen sofort dem behandelnden Arzt zu melden. In Bezug auf Arzthaftung und Sorgfalts-pflicht empfiehlt es sich, dass dies aus der Dokumenta-tion des Aufklärungsgespräches ersichtlich wird.

Die Aufklärung ist nicht nur ein einmaliges Ereignis vor Behandlungsbeginn, sondern ein fortdauernder Pro-zess im Rahmen der gesamten Behandlung. Über Wir-kungsverlauf und mögliche Nebenwirkungen sollte auch im Rahmen der Kontrollbesuche des Patienten wieder-holt informiert werden, um Compliance und Behand-lungserfolg sicherzustellen und Ängste der Patienten abzubauen. Diese fortgesetzte Aufklärung sollte mit Datum nachvollziehbar dokumentiert werden.

Im Rahmen einer laufenden Behandlung muss auch beachtet werden, dass im Falle einer notwendigen Dosi-serhöhung eines Medikamentes über den empfohlenen Bereich auch die Voraussetzung eines Off-Label-Use gegeben ist und eine erneute Zustimmung dafür einge-holt werden muss.

Wird ein Patient mit weiter verschriebener Medikation im Off-Label-Bereich aus einem stationären Aufenthalt entlassen und von einem niedergelassenen Arzt wei-ter behandelt, muss die Zustimmung erneut eingeholt werden. Dies ist auch sinnvoll, da ja mit dem Patienten

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ein neuer „Behandlungsvertrag“ abgeschlossen werden muss.

Kostenerstattung durch die Sozialversicherungsträger

Die soziale Krankenversicherung ist nach österreichi-scher Rechtslage für den Off-Label-Use im Sinne der Altersüberschreitung und Indikationsüberschreitung von Arzneimitteln bei Kindern leistungspflichtig, da auf-grund der für Erwachsene vorliegenden Studien und vorhandener Zulassung in fast jedem Fall von Wirksam-keit bei Kindern ausgegangen werden kann [1]

Die durch Studien und Erfahrungen belegte und daher anzunehmende Wirksamkeit der Behandlung, sowie das Fehlen zumutbarer zugelassener Medikamente ist nach der Richtlinie über die ökonomische Verschreibweise (RÖV) die Grundlage für die Verpflichtung zur Kosten-übernahme [2].

In der Praxis erfolgt in den meisten Fällen die Kosten-übernahme für Medikamente, die nur für Erwachsene zugelassen sind, für Kinder problemlos [1], ebenso bei Off-Label-Use im Rahmen von Indikationsüberschrei-tungen, wenn das Medikament in anderen Indikationen bei Kindern und/oder für Erwachsene zugelassen ist.

Falls die Kostenübernahme in Ausnahmefällen vor-erst abgelehnt wird, muss dem chefärztlichen Dienst eine Begründung vorgelegt werden, die folgende Punkte enthält:

Eine zumutbare, erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztli-chen Kunst steht in Österreich unter Zulassungsbedin-gungen nicht zur Verfügung oder blieb erfolglos [1, 2]

• („zumutbar“umfassthierdieNebenwirkungenman-cher „alter“ zugelassener Medikamente)

• DieBehandlungmitdemnichtzugelassenenArznei-mittel war bisher erfolgreich

Oder:

• VonderBehandlungkannErfolgerwartetwerden,dawissenschaftliche Erfahrungsberichte oder Studien vorliegen, ausreichend klinische Erfahrung gesam-

melt wurde, Leitlinien von wissenschaftlichen Gesell-schaften vorliegen

Die oben genannten Kriterien für die Erteilung einer Bewilligung für die Kostenübernahme sind in § 6 Absatz 1 Z 1 der Richtlinien über die ökonomische Verschreib-weise geregelt (abrufbar im Internet unter www.avsv.at Nr 5/2005 idF Nr 29/2006).

Danksagungen

1. Wir bedanken uns für die rechtliche Überprüfung der Leitlinie durch Herrn SR Mag. Dr. Leopold-Michael Marzi.

2. Herzlicher Dank geht auch an die Mitglieder der Eva-luierungs- und Qualitätssicherungskommission der ÖGKJP für die aktive und engagierte Mitarbeit im Rahmen vieler Sitzungen: Karl Ableidinger, Ralf Göss-ler, Christian Kienbacher, Till Preissler, Karl Steinber-ger, Wolfgang Wladika.

IntressenskonfliktIch erkläre als Autorin, dass kein Interessenskonflikt vor-liegt.

Literatur

1. Bachinger G, Plank. M-L. Recht der Medizin – Ökonomie & Gesundheit 2008; 5;21–27.

2. Christian Kopetzki: „Off-Label-Use“ von Arzneimittel.2008 http://www.univie.ac.at/medizinrecht/forschung/beitrag/offlabel.pdf

3. Gabriela Visy. Die neue Rechtsstellung des Kindes bei medizinischen Heilbehandlungen. LAUT GEDACHT – Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte 2002; 1–4 http://www.patientenanwalt.com.pdf