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Vorbemerkungen Für bakterielle Infektionen des Neuge- borenen gelten einige Besonderheiten: führen häufig zur Sepsis und zum septischen Schock, hohes Risiko einer Meningitis bei protrahiertem Verlauf vor Therapie, zu Beginn unspezifische Sympto- matik entsprechend einer systemi- schen Entzündungsreaktion, keine eindeutig definierbare Eintrittspforte des Erregers, rasche Progredienz. Keimspektrum der Neugeborenen- infektionen Das Erregerspektrum einer bakteriel- len Infektion eines Neugeborenen ist altersabhängig. Erreger, die innerhalb der ersten 3 Lebenstage zur Infektion führen, entstammen der mütterlichen Vaginalflora. Derzeit dominieren Strep- tokokken der Gruppe B und E. coli. Aber auch mit Staphylococcus aureus, Listerien, Anaerobiern und anderen Erregern ist zu rechnen. Beginnt die Infektion später, han- delt es sich meist um eine nosokomiale Infektion im engeren Sinne, d.h. der Erreger entstammt der patienteneige- nen Flora oder den Hospitalkeimen der Klinik. Eine Überwachung der Besie- delung und der klinikspezifischen Re- sistenzsituation sind deswegen hilf- reich. Leitsymptome Die frühen klinischen Symptome einer Infektion des Neugeborenen sind un- spezifisch. Veränderungen des Haut- kolorits (rosig blaß, rosig-ikterisch grün-ikterisch), Störungen der At- mung (Apnoe, Dyspnoe, Stöhnen, Atemnotsyndrom) bzw. des Kreislaufs (verlängerte Rekapillarisierungszeit >3 s) sind sensible, aber nicht spezifi- sche Zeichen einer Infektion. Kein Symptom, abgesehen von eindeutigen Hautinfektionen wie Pusteln, Abszes- sen oder Omphalitis beweist aber eine Infektion. Diagnostik Laboruntersuchungen bei Infektions- verdacht Blutbild mit Differentialblutbild (I/T-Quotient), Thrombozyten, evtl. nach 4–8 h wiederholen. Bei der Be- nutzung des I/T-Q ist auf das morpho- logische Kriterium der Abgrenzung segmentierter von stabkernigen Gra- nulozyten zu achten und auf die Ab- hängigkeit von bestimmten Faktoren (z.B. Gestationsalter, Wachstumsre- tardierung, HELLP-Syndrom). C-reaktives Protein. Ein CRP <10 mg/L bei der Erstuntersuchung schließt aber eine bakterielle Infektion nicht aus [1]. Urin (Streifentest, Zählkammer). Lumbalpunktion bei Verdacht auf Meningitis Zellzahl mit Ausstrichpräparat zur Leukozytendifferenzierung und Su- che nach Bakterien (Zytozentrifugen- präparat), Liquorkultur. Bakteriologische Untersuchungen Bei der Mutter: – vor der Geburt Vaginalabstrich (möglichst Zervix), – wenn möglich, Plazentaabstrich zwischen den Eihäuten. Beim Kind: Blutkultur aerob und anaerob Trachealsekret bei Beatmung, – Urinkultur (suprapubische Punk- tion, Zelldifferenzierung), – Ohrabstriche beidseits (nur kurz nach der Geburt). Therapie Prinzipien bei der antibakteriellen Therapie Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie ist der frühzeitige Beginn beim ersten klinischen Verdacht. Wichtig ist, die kalkulierte antibio- tische Therapie so zu gestalten, daß die klinikspezifischen Erreger erfaßt wer- Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen des Neugeborenen* R. Roos PerinatalMedizin (1997) 9: 85 – 86 Empfehlung © Springer-Verlag 1997 * Erarbeitet von einer Kommission und dem Vorstand der Deutsch-Österreichischen Ge- sellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin

Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen des Neugeborenen

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Page 1: Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen des Neugeborenen

Vorbemerkungen

Für bakterielle Infektionen des Neuge-borenen gelten einige Besonderheiten:

• führen häufig zur Sepsis und zumseptischen Schock,• hohes Risiko einer Meningitis beiprotrahiertem Verlauf vor Therapie,• zu Beginn unspezifische Sympto-matik entsprechend einer systemi-schen Entzündungsreaktion, keineeindeutig definierbare Eintrittspfortedes Erregers,• rasche Progredienz.

Keimspektrum der Neugeborenen-infektionen

Das Erregerspektrum einer bakteriel-len Infektion eines Neugeborenen istaltersabhängig. Erreger, die innerhalbder ersten 3 Lebenstage zur Infektionführen, entstammen der mütterlichenVaginalflora. Derzeit dominieren Strep-tokokken der Gruppe B und E. coli.Aber auch mit Staphylococcus aureus,Listerien, Anaerobiern und anderenErregern ist zu rechnen.

• Beginnt die Infektion später, han-delt es sich meist um eine nosokomialeInfektion im engeren Sinne, d.h. derErreger entstammt der patienteneige-nen Flora oder den Hospitalkeimen der

Klinik. Eine Überwachung der Besie-delung und der klinikspezifischen Re-sistenzsituation sind deswegen hilf-reich.

Leitsymptome

Die frühen klinischen Symptome einerInfektion des Neugeborenen sind un-spezifisch. Veränderungen des Haut-kolorits (rosig ⇒ blaß, rosig-ikterisch⇒ grün-ikterisch), Störungen der At-mung (Apnoe, Dyspnoe, Stöhnen,Atemnotsyndrom) bzw. des Kreislaufs(verlängerte Rekapillarisierungszeit>3 s) sind sensible, aber nicht spezifi-sche Zeichen einer Infektion. KeinSymptom, abgesehen von eindeutigenHautinfektionen wie Pusteln, Abszes-sen oder Omphalitis beweist aber eineInfektion.

Diagnostik

Laboruntersuchungen bei Infektions-verdacht

• Blutbild mit Differentialblutbild(I/T-Quotient), Thrombozyten, evtl.nach 4–8 h wiederholen. Bei der Be-nutzung des I/T-Q ist auf das morpho-logische Kriterium der Abgrenzungsegmentierter von stabkernigen Gra-nulozyten zu achten und auf die Ab-hängigkeit von bestimmten Faktoren(z.B. Gestationsalter, Wachstumsre-tardierung, HELLP-Syndrom).• C-reaktives Protein. Ein CRP<10 mg/L bei der Erstuntersuchung

schließt aber eine bakterielle Infektionnicht aus [1].• Urin (Streifentest, Zählkammer).

Lumbalpunktion bei Verdacht auf Meningitis

• Zellzahl mit Ausstrichpräparat zurLeukozytendifferenzierung und Su-che nach Bakterien (Zytozentrifugen-präparat),• Liquorkultur.

Bakteriologische Untersuchungen

• Bei der Mutter:– vor der Geburt Vaginalabstrich(möglichst Zervix),– wenn möglich, Plazentaabstrichzwischen den Eihäuten.• Beim Kind:– Blutkultur aerob und anaerob– Trachealsekret bei Beatmung,– Urinkultur (suprapubische Punk-tion, Zelldifferenzierung),– Ohrabstriche beidseits (nur kurznach der Geburt).

Therapie

Prinzipien bei der antibakteriellenTherapie

• Entscheidend für eine erfolgreicheTherapie ist der frühzeitige Beginnbeim ersten klinischen Verdacht.• Wichtig ist, die kalkulierte antibio-tische Therapie so zu gestalten, daß dieklinikspezifischen Erreger erfaßt wer-

Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen des Neugeborenen*R. Roos

PerinatalMedizin (1997) 9: 85–86

Empfehlung© Springer-Verlag 1997

* Erarbeitet von einer Kommission und demVorstand der Deutsch-Österreichischen Ge-sellschaft für Neonatologie und PädiatrischeIntensivmedizin

Page 2: Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bakterieller Infektionen des Neugeborenen

den (s. auch oben). Dabei ist zuberücksichtigen, daß Listerien undEnterokokken von Zephalosporinennicht erfaßt werden und gramnegativeErreger zunehmend resistent gegenAmpicillin und seine Derivate sind. Eskann keine einheitliche und quasi ver-bindliche Empfehlung für eine be-stimmte kalkulierte Antibiotikakom-bination geben.• Auswahl der Antibiotika, Dosie-rung und Applikationsform sollen ent-sprechend dem Handbuch und denLeitlinien der DGPI erfolgen [2].

Die folgenden Empfehlungen grün-den sich auf die klinischen Erfahrun-gen der Autoren. Kontrollierte Studienzur Therapiedauer liegen nicht vor.

• Dauer der Therapie:– >10 Tage

– bei Meningitis je nach Verlauf2–3 Wochen. Bei Osteomyelitisnicht unter 3 Wochen i.v.

– <10 Tage– bei klinisch blandem Verlaufohne Erregernachweis kürzer, evtl.nur bis zur Normalisierung derCRP-Werte.

– maximal 2 Tage– wenn sich der Verdacht durch denklinischen Verlauf und die Labor-kenngrößen nicht bestätigt.

– keine Therapie– Positive Abstrichkulturen ohneklinische Symptomatik

• Kontrolle des Therapieerfolgs: DerBehandlungserfolg wird durch denklinischen und labordiagnostischenVerlauf kontrolliert und dokumentiert.

Laboruntersuchungen nach Abschlußder antibiotischen Therapie sind nichterforderlich.

Prophylaxe

Die Ergebnisse kontrollierter Studienzur Prophylaxe bakterieller Infektio-nen bei Neugeborenen erlauben bisherkeine allgemeine Empfehlung.

Einzig zur Prävention von Infektio-nen durch Streptokokken der Gruppe B(GBS) gibt es durch Studien gut abge-sicherte Empfehlungen [3]:

Eine intrapartale antibiotische Pro-phylaxe ist sinnvoll, wenn• die Gebärende vaginal oder rektalmit Streptokokken besiedelt ist und– eine Frühgeburt bevorsteht,– oder der Blasensprung >18 h vorder Geburt erfolgt ist,– oder mütterliches Fieber von>38,5°C rektal besteht,– oder das mütterliche CRP >40 mg/Lbeträgt;

• das Kind einer voraufgegangenenSchwangerschaft mit GBS infiziertwar;• während der Schwangerschaft einesignifikante Bakteriurie durch GBSbestand.

Die antibiotische Prophylaxe kann mit

• Ampicillin 2 g initial, dann 1 g alle4 h bis zur Geburt oder• Penicillin G initial 5 Mio. E, dann2,5 Mio. E alle 4 h bis zur Geburt oderbei Penicillinallergie mit Clindamycinoral 0,6–1,2–(1,8) g in 3–4 Einzel-gaben oder Erythromycin 1–2 g in2–4 Einzelgaben.

Literatur

1. Mathers NJ, Pohlandt F (1987) Diagno-stik audit of C-reactive protein in neona-tal infection. Eur J Pediatr 146:147–151

2. Deutsche Gesellschaft für PädiatrischeInfektiologie e.V. (1995) Handbuch, In-fektionen bei Kindern und Jugendlichen.Neonatale bakterielle Infektionen. Futu-ramed, München, S. 598–607

3. Centers for Disease Control and Preven-tion (1996) Prevention of perinatal group Bstreptococcal disease: a public health per-spective. MMWR 445:1–24

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