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Linguistische Grundlagen 1. Sprache: Vorschau Gereon M ¨ uller Institut f¨ ur Linguistik Universit¨ at Leipzig www.uni-leipzig.de/muellerg/1001/grundlagen.html Gereon M ¨ uller (Institut f¨ ur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 1 / 40

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Linguistische Grundlagen1. Sprache: Vorschau

Gereon Muller

Institut fur LinguistikUniversitat Leipzig

www.uni-leipzig.de/∼muellerg/1001/grundlagen.html

Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 1 / 40

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Sprache als Forschungsgegenstand

Allgemeines

Linguistische Grundlagen

Dienstag, 11:15–12:45, HSG HS 20WiSe 2017/2018, Universitat LeipzigInstitut fur LinguistikGereon [email protected]://www.uni-leipzig.de/∼muellerg

Lekt ure : O’Grady et al. (1996), Jackendoff (1994), Grewendorf et al. (1987),Baker (2001), Roberts (2017) und mehr

2 Tutorien : Christina Dschaak, Luisa GramsZeit und Raum werden jeweils noch festgelegt.

Webseite : www.uni-leipzig.de/∼muellerg/1001/grundlagen.html

Kursstruktur : Zu jedem Thema mussen Aufgaben bearbeitet und weiterfuhrendeTexte gelesen (sowie Kontrollfragen dazu beantwortet) werden. Abgabe ist jeweilsbei einer/m TutorIn beim nachsten Tutorium.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

• Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

• Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.

• Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

• Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.

• Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.

• So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke:• Worter• Phrasen• Satze

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

• Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.

• Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.

• So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke:• Worter• Phrasen• Satze

• Grammatik: Regelapparat im Kopf (Sprache ist demgegenuber ein vielweiterer und weniger gut operationalisierbares Konzept: Sprache =Grammatik + X.)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Forschungsgegenstand

• Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.

• Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.

• Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.

• So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke:• Worter• Phrasen• Satze

• Grammatik: Regelapparat im Kopf (Sprache ist demgegenuber ein vielweiterer und weniger gut operationalisierbares Konzept: Sprache =Grammatik + X.)

• Lexikon: mentales Objekt

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Sprache als Forschungsgegenstand

Exkurs: Der Begriff der Einzelsprache

Sprache ist kein genuin linguistischer Begriff: “Fragen der Sprache sind letztlichFragen der Macht.” (Noam Chomsky) Oder auch: “Eine Sprache ist ein Dialektzusammen mit einer Armee und einer Flotte.”

• “Chinesisch” = eine Sprache mit verschiedenen, stark unterschiedlichenDialekten (Mandarin, Kantonesisch, ...)

• “Romanisch” = nicht eine Sprache mit verschiedenen Dialekten (Franzosisch,Italienisch, Spanisch, ...)

Grewendorf et al. (1987, 24): “Den Problemen im Zusammenhang mitMinderheitensprachen ist jeder schon einmal begegnet, und es ist bekannt, dasssich sog. ‘exotische’ Sprachen primar in Raumen eines Imperialismus-Vakuumserhalten.”

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Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache

Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:

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Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache

Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:

• Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu großeren Einheiten: Morpheme.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache

Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:

• Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu großeren Einheiten: Morpheme.

• Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroßeren Einheiten: Worter.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache

Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:

• Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu großeren Einheiten: Morpheme.

• Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroßeren Einheiten: Worter.

• Syntax:Verknupfung von Wortern zu Phrasen, von Phrasen zu Satzen.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache

Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:

• Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu großeren Einheiten: Morpheme.

• Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroßeren Einheiten: Worter.

• Syntax:Verknupfung von Wortern zu Phrasen, von Phrasen zu Satzen.

• Semantik:Interpretation so erzeugter sprachlicher Ausdrucke unter Einbeziehung desKontexts.

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Grammatiken als kreative Systeme 1Sprecher, die eine Sprache im naturlichen Erstspracherwerb erworben haben(sog. native speakers), haben damit ein kreatives System zur Verfugung, das eserlaubt, immer wieder neue Morpheme, Worter, Phrasen, Satze zu produzierenund zu verstehen.

(1) Nomina als Verben im Englischen:

a. keep the aeroplane on the ground – ground the aeroplaneb. stab the man with a knife – knife the manc. I wristed the ball over the net.d. She Houdini’d her way out of the locked closet.

(2) Beschrankungen:

a. Julia summered in Paris.b. They honeymooned in Hawaii.c. *Jerome midnighted in the streets.d. *Andrea nooned at the restaurant.

Hier und im Folgenden steht ein Stern * vor einer sprachlichen Einheit (Satz,Phrase, Wort) fur Ungrammatikalitat (bzw. Inakzeptabilitat). (In der historischenLinguistik steht der Stern * auch fur erschlossene, nicht belegte Formen.)

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Grammatiken als kreative Systeme 2

(3) Mogliche und unmogliche Worter im Englischen:

a. praspb. flibc. trafd. *psapre. *bflif. *ftra

(4) Ein neues Wort: soleme

a. Morphologie:(i) soleme: ein neu entdecktes Atomteilchen(ii) solemic: wenn etwas die Eigenschaften eines soleme hat(iii) solemicize: etwas solemic machen(iv) solemicization: Der Vorgang des solemic-Machens

b. Phonologie:(i) c wird in solemicize als s ausgesprochen, in solemic aber als k.(ii) Betonung: soLEmicize, nicht SOlemicize oder solemiSIZE

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Grammatik und sprachliche Kompetenz

• Wenn ein native speaker die Grammatik einer Einzelsprache L erworben hat,verfugt er uber sprachliche Kompetenz oder sprachliches Wissen, also einRegelwerk, das alle (und nur die) grammatischen, wohlgeformtensprachlichen Einheiten L abzuleiten gestattet.

• Von der sprachlichen Kompetenz zu unterscheiden ist die sprachlichePerformanz: Begrenzungen des Arbeitsgedachtnisses machen sehr langeSatze in der Praxis schwierig; aus unterschiedlichsten Grunden gibt es in dertatsachlichen Sprachverwendung jede Menge Fehler und Gerausche.

• Aus dieser Festlegung des Begriffs Grammatik ergeben sich automatischeinige weitreichende Konsequenzen.

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Allgemeinheit: Alle Sprachen haben eine Grammatik 1

Ein Fehler: “Sprache X hat keine Grammatik” (Chinesisch, Swahili, deutscheDialekte; in Amerika Acadisches Franzosisch, Cree, etc.). Ursache: Diebetreffende Sprache hat eine andere Grammatik.

(5) Walbiri (Australien, Ken Hale (1983)):

a. Ngarrka-ngkuMann-Erg

kaPrasImpf

wawirriKanguru

panti-rnijagen-Nprat

b. WawirriKanguru

kaPrasImpf

panti-rnijagen-Nprat

ngarrka-ngkuMann-Erg

c. Panti-rnijagen-Nprat

kaPrasImpf

ngarrka-ngkuMann-Erg

wawirriKanguru

d. Ngarrka-ngkuMann-Erg

kaPrasImpf

panti-rnijagen-Nprat

wawirriKanguru

e. Panti-rnijagen-Nprat

kaPrasImpf

wawirriKanguru

ngarrka-ngkuMann-Erg

f. WawirriKanguru

kaPrasImpf

ngarrka-ngkuMann-Erg

panti-rnijagen-Nprat

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Sprache als Forschungsgegenstand

Allgemeinheit: Alle Sprachen haben eine Grammatik 2

Beobachtung:Walbiri hat gegenuber dem Englischen eine sehr (aber nicht ganz, vgl. dasElement in der zweiten Position) freie Wortstellung; aber dafur verfugt es uberspezielle Marker wie ngku, die die grammatische Funktion eines Nomensfestlegen (Subjekt oder Objekt).

Dasselbe gilt auch fur Varietaten einer Sprache, die von der Standardspracheabweichen (Dialekte, Soziolekte, Idiolekte). Auch hier gibt es eine Grammatik; siesieht nur etwas anders aus.

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Gleichheit: Alle Grammatiken sind gleich gut

• Die Grammatik des Englischen ist weder besser noch schlechter als die desThai, oder die des African American English Vernacular (AAVE).

• Die Grammatik des Standarddeutschen ist weder besser noch schlechter alsdie der sachsischen oder pfalzischen Umgangssprache.

(6) a. Wir haben nachste Woche padagogischer Planungstag.b. Hol mir mal der Eimer.c. Ich wunsch Ihnen noch ein guter Tag.

Die moderne Linguistik ist deskriptiv, nicht praskriptiv. Eine praskriptive Linguistikist keine Wissenschaft.

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Universalitat: Grammatiken gleichen sich in elementarenEigenschaften

(7) Stellung der Negation in den Sprachen der Welt:

a. Not Pat is here. (selten)b. Pat not is here.c. Pat is not here.d. Pat is here not. (selten – Ist Deutsch eine Ausnahme? Nein.)

(8) Stellung von Verb, Subjekt und Objekt in den Sprachen der Welt:

a. Australians like cricket. (Englisch, Franzosisch)b. Australians cricket like. (Turkisch, Koreanisch)c. Like Australians cricket. (Walisisch, Irisch, Chamorro)d. Like cricket Australians. (selten; Malagasy)e. Cricket like Australians. (selten; Hixkaryana)f. Cricket Australians like. (selten; Warao, Apurina)

(Wo steht das Deutsche?)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 1

Grammatisches Wissen unterscheidet sich fundamental von bewusst erworbenemWissen (Rechnen, Straßenverkehrsordnung, Texteditor, Excel/Access,Geographiekenntnisse, usw.): Es wird ohne Unterrichtung erworben und bleibt imGroßen und Ganzen das ganze Leben uber unbewusst. Tatsachlich ist es unsunmoglich, die grammatischen Regularitaten explizit zu machen, die unsererMuttersprache zugrunde liegen. (Ware dies moglich, ware es das Ende derForschung in großen Teilen der Linguistik.) Drei Beispiele:

(9) Prateritalbildungen im Englischen:

a. hunted idb. slipped tc. buzzed d

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Sprache als Forschungsgegenstand

Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 2

(10) Konsonantencluster im Englischen:

a. pint *paynkb. fiend *fiempc. locked *lockfd. wronged *wrongve. next *nextkf. glimpse *glimpk

Regel: Wenn ein Vokal lang ist und zwei Konsonanten vorangeht, oder wenn einVokal kurz ist und drei Konsonanten vorangeht (also wenn die Silbe einebestimmte Schwere hat), dann muss der letzte Konsonant immer mitangehobener Zungenspitze gebildet werden.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 3

Sprachliche Außerungen konnen verschiedene Lesarten haben: Ambiguitat.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 4

(11) a. Jeder Junge, den die Frau interviewte, glaubt, dass er ein Genie ist.(Beide Lesarten sind moglich: Ambiguitat)

b. Die Frau, die jeden Jungen interviewte, glaubt, dass er ein Genie ist.(Nur die eine Lesart ist moglich.)

(12) a. Ein Mann liebt jede Frau.(Beide Lesarten sind moglich.)

b. Eines der Bucher hat jeder von uns gelesen.(Beide Lesarten sind moglich.)

c. Jeder von uns hat eines der Bucher gelesen.(Nur die eine Lesart ist moglich.)

(13) Maria glaubt, dass sie schwanger ist.(Beide Lesarten sind moglich)

(13) Sie glaubt, dass Maria schwanger ist.(Nur eine Lesart ist moglich.)

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Sprachschutz

Weil die Sprachwissenschaft nicht praskriptiv ist, gibt es fur Sprachschutz keinenPlatz.

(14) a. Du brauchst das nicht (zu) machen.b. Er hat ja dieselbe/die gleiche Krawatte wie ich.c. Sie hat zwei Kinder, Fritz und Karl. Dieser ist arbeitslos, jener studiert

noch.d. ein lila(nes) Kleid, eine zu(e)(n)e Tur, ein okaye(ne)r Vorschlage. der Bruder Fritzens, Fritzens Bruder, der Bruder von Fritz, dem Fritz

sein Bruderf. Ihr habt zu der Zeit in Hamburg gearbeitet./Ihr arbeitetet zu der Zeit in

Hamburg.g. Wir sollten mal wieder brainstormen. Die sind total abgespaced.h. Das macht/ergibt schon Sinn!

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Sprache als Forschungsgegenstand

Biologische Spezialisierung

Die sog. Sprachorgane des Menschen waren und sind unabhangig notwendig furprimare Uberlebensfunktionen des Organismus insgesamt; sie sind aber sehr gutan die Bedurfnisse der Sprachproduktion angepasst.

Organ Uberlebensfunktion Sprachfunktion

Lungen fuhren CO2-Austausch durch sichern Luftversorgung fur SpracheStimmbander erzeugen Verschluss des Lungenzugangs produzieren Stimmhaftigkeit fur

SprachlauteZunge bewegt Nahrung zum Hals artikuliert Vokale und KonsonantenZahne zerkleinern Nahrung stellen Artikulationsorte fur

Konsonanten zur VerfugungLippen versiegeln die Mundhohle artikulieren Vokale und KonsonantenNasenhohlen sind beteiligt an der Atmung ermoglichen nasale Resonanz

Ein neueres Forschungsergebnis:Identifikation des FoxP2-Gens als relevant fur Muskelbewegungen im Mundraum, die wesentlich derSprachproduktion dienen (‘Sprachgen’); vgl. Enard et al. (2002).

Abgesehen hiervon muss die Sprachfahigkeit aber speziell im menschlichen Gehirn verankert sein(‘Sprachzentrum’, ‘Universalgrammatik’).

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Sprache als Forschungsgegenstand

Konsequenzen der Sprachfahigkeit

Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur

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Sprache als Forschungsgegenstand

Konsequenzen der Sprachfahigkeit

Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur

• Ausdruck des Denkens

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Sprache als Forschungsgegenstand

Konsequenzen der Sprachfahigkeit

Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur

• Ausdruck des Denkens

• Effiziente Kommunikation

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Sprache als Forschungsgegenstand

Konsequenzen der Sprachfahigkeit

Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur

• Ausdruck des Denkens

• Effiziente Kommunikation

Daruber hinaus u.U. fur:

• Argumentieren

• Problemlosen

• Entscheidungen treffen

• Mathematische Kompetenz

• ...

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Sprache als Forschungsgegenstand

Bedeutung des Forschungsgegenstands

• Sprache ist unerlasslich fur die Entwicklung samtlicher kulturellerErrungenschaften des Menschen.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Bedeutung des Forschungsgegenstands

• Sprache ist unerlasslich fur die Entwicklung samtlicher kulturellerErrungenschaften des Menschen.

• Der Versuch, das Phanomen Sprache zu verstehen, bleibt eine derwesentlichen Aufgaben der Grundlagenforschung im Bereich dessen, wasuns zum Menschen macht.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Interdisziplinare Herangehensweise

Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:

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Sprache als Forschungsgegenstand

Interdisziplinare Herangehensweise

Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:

• Produkte einer Einzelsprache: Außerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile

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Sprache als Forschungsgegenstand

Interdisziplinare Herangehensweise

Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:

• Produkte einer Einzelsprache: Außerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile

• Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate

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Sprache als Forschungsgegenstand

Interdisziplinare Herangehensweise

Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:

• Produkte einer Einzelsprache: Außerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile

• Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate

• Konsequenzen der selektiven Storung: Aphasien

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Sprache als Forschungsgegenstand

Interdisziplinare Herangehensweise

Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:

• Produkte einer Einzelsprache: Außerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile

• Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate

• Konsequenzen der selektiven Storung: Aphasien

Konsequenz:(i) Diese Produkte der Sprachfahigkeit bilden die Basis der Theoriebildung.(ii) Keiner der Evidenztypen ist gegenuber den anderen primar.(iii) Das Phanomen Sprache muss interdisziplinar erforscht werden, mit demFernziel einer der Konvergenz auf einer einzigen Interpretation.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Status der Linguistik

Aufgrund der Natur ihres Forschungsgegenstands vereint die LinguistikEigenschaften verschiedener Wissenschaftstypen in sich:

1 Geisteswissenschaft

2 Humanwissenschaft

3 Naturwissenschaft

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zwei wichtige Forscher

Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zwei wichtige Forscher

Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:

1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zwei wichtige Forscher

Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:

1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)

2 Noam Chomsky (Sprache als kognitives System)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zwei wichtige Forscher

Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:

1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)

2 Noam Chomsky (Sprache als kognitives System)

Noam Chomsky ist (emeritierter, aber nach wie vor sehr aktiver undeinflussreicher) Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) undam Linguistics Department der University of Arizona und als politischer Aktivistund Publizist fast noch beruhmter als als Sprachwissenschaftler. Er ist der ammeisten zitierte lebende Autor; die Bezeichnung als “greatest living intellectual”(New York Times) wird weithin akzeptiert.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• Rekursion

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte Artikulation

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).

• Kompositionalitat

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).

• KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).

• KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.

• MinimalitatSprachliche Abhangigkeiten sind minimal.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).

• KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.

• MinimalitatSprachliche Abhangigkeiten sind minimal.

• Andere Symbol-manipulierende Systeme haben diese Eigenschaften nicht(naturliche Systeme, z.B. Bienentanz) oder nur zum Teil (kunstliche Systeme,z.B. Programmiersprachen).

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Sprache als Forschungsgegenstand

Rekursion

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

(15) a. [[Die [Freundin [meiner [großen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen

Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die

man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Rekursion

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

(15) a. [[Die [Freundin [meiner [großen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen

Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die

man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.

(16) die Freundin meiner großen Tochter

a. N + A = [N A N] (großen Tochter)b. D + [N A N] = [D D [N A N]] (meiner großen Tochter)c. N + [D [N A N]] = [N N [D D [N A N]]] (Freundin meiner großen Tochter)d. D + [N N [D [N A N]]] = [D D [N N [D D [N A N]]]]

(die Freundin meiner großen Tochter)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Rekursion

• RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.

(15) a. [[Die [Freundin [meiner [großen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen

Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die

man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.

(16) die Freundin meiner großen Tochter

a. N + A = [N A N] (großen Tochter)b. D + [N A N] = [D D [N A N]] (meiner großen Tochter)c. N + [D [N A N]] = [N N [D D [N A N]]] (Freundin meiner großen Tochter)d. D + [N N [D [N A N]]] = [D D [N N [D D [N A N]]]]

(die Freundin meiner großen Tochter)

Rekursion erlaubt es, mit begrenzten Mitteln beliebig viele sprachliche Ausdrucke zu erzeugen:Sprache ist Ausdruck der kreativen Moglichkeit, unendlichen Gebrauch von endlichen Mitteln machenzu konnen (“infinite use of finite means”), Wilhelm von Humboldt uber Noam Chomsky in dessenCartesian Linguistics von 1966.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Doppelte Artikulation

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale bedeutungstragende Einheiten(Morpheme), und (b) minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme).

(17) Du verdanktest diesen Buchern viel.

a. /d/-/u/ /f/-/E/-/ö/-/d/-/a/-/N/-/k/-/t/-/@/-/s/-/t/ /d/-/i/-/z/-/@/-/n/ /b/-/y/-/c/-/@/-/ö/-/n/ /f/-/i/-/l/b. Du ver-dank-te-st dies-en Buch-er-n viel

Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 26 / 40

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Sprache als Forschungsgegenstand

Doppelte Artikulation

• Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale bedeutungstragende Einheiten(Morpheme), und (b) minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme).

(17) Du verdanktest diesen Buchern viel.

a. /d/-/u/ /f/-/E/-/ö/-/d/-/a/-/N/-/k/-/t/-/@/-/s/-/t/ /d/-/i/-/z/-/@/-/n/ /b/-/y/-/c/-/@/-/ö/-/n/ /f/-/i/-/l/b. Du ver-dank-te-st dies-en Buch-er-n viel

Doppelte Artikulation erlaubt es, mit einem kleinen Inventar von einfachen Zeichen (Phonemen, z.B.im Deutschen 35-37) eine potentiell unendlich große Zahl von Informations-kodierenden Symbolen zuerzeugen.

Alternative zur doppelten Artikulation:

• Die minimalen bedeutungstragenden Einheiten sind nicht zusammengesetzt, sondern Primitive.

• Konsequenz: Kein Morphem steht in irgendeinem Form-Zusammenhang mit irgendeinemanderen Morphem; (17-b) ware etwas wie (18).

(18) ♣ ^-Z-♯-� ∞-¶⊗

-ů-♠ ‡

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Sprache als Forschungsgegenstand

Kompositionalitat

• KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich allein aus dersystematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.

(19) [[Kein [Mensch [in Leipzig]]] [kennt [Robert Forster]]].

a. ~Robert Forster� = Robert Forsterb. ~kennt� = {<x,y>: x kennt y}c. ~kennt R.F.� = ~kennt�+~R.F.� = {x: x kennt Robert Forster}d. ~Leipzig� = Leipzige. ~in� = {<x,y>: x ist in y}f. ~in Leipzig� = ~in�+~Leipzig� = {x: x ist in Leipzig}g. ~Mensch� = {x: x ist ein Mensch}h. ~Mensch in Leipzig� = ~Mensch�+~in Leipzig� = {x: x ist ein Mensch und x ist in Leipzig}i. ~kein� = {<P,Q>: P∩Q = Ø} (P, Q: {x: ...x...})j. ~kein Mensch in Leipzig� = ~kein�+~Mensch in Leipzig� = {Q: kein Mensch in Leipzig hat

Q}k. ~Kein Mensch in L. kennt R.F.� = ~kein Mensch in Leipzig�+~kennt R.F.� = wahr genau

dann, wenn {x: x kennt Robert Forster} ∈ {Q: kein Mensch in Leipzig hat Q}

Kompositionalitat erlaubt es, noch niemals vorher gehorte Satze beliebiger Komplexitat problemlos zuverstehen.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Minimalitat

• Minimalitat:Abhangigkeiten in sprachlichen Strukturen sind so kurz wie moglich.

(20) Abhangigkeiten in der Syntax:

a. Bewegung:Was hat Maria dem Fritz <was> geschenkt?

b. Kontrolle:Maria uberzeugte Fritz, <Fritz> das Rad zu reparieren.

c. Bindung:Kein Mensch glaubt, dass er immer im Recht ist.

d. Kongruenz:Du arbeite-st zu viel.

(21) Minimalitatsprinzip:α kann nur dann mit β eine Abhangigkeitsbeziehung vom Typ δ eingehen, wenn (a) und (b)gelten.

a. β hat die Eigenschaft δ.b. Es gibt kein γ, so dass (i) und (ii) gelten:

(i) γ ist strukturell naher an α als β.(ii) γ hat die Eigenschaft δ.

Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 28 / 40

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Sprache als Forschungsgegenstand

Minimalitat bei der Arbeit in der Syntax(22) W-Bewegung (Erganzungsfragen):

a. Wen denkt sie, dass ich <wen> einladen soll?b. *Wen denkt wer, dass ich <wen> einladen soll?

(23) Kopf-Bewegung (Ja/Nein-Fragen):

a. Eagles that fly can swim.b. Can eagles that fly <can> swim?c. *Fly eagles that <fly> can swim?

(24) Kontrolle (Bestimmung der Referenz von mitverstandenen Subjekten von Infinitiven):

a. Maria uberzeugte Fritz, <Fritz> das Rad zu reparieren.b. *Maria uberzeugte Fritz, <Maria> das Rad zu reparieren.

(25) Bindung (hier: Festlegung der Referenz von Reflexivpronomina)

a. Karl denkt, dass Fritz sich waschen sollte.b. *Karl denkt, dass Fritz sich waschen sollte.

(26) Kongruenz (hier: von Verb und nominalem Argument im Satz)

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.

Achtung: Zu allen diesen Minimalitatseffekten gibt es, zumindest auf den ersten Blick, Gegenevidenz(u.a. sog. Objektkontrolle), haufig aus typologisch unterschiedlichen Sprachen (u.a. sog. langeReflexivierung, Objektkongruenz)

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Sprache als Forschungsgegenstand

Leistung des Minimalitatsprinzips allgemein

Weitere Bereiche der Sprache, in denen das Minimalitatsprinzip wirkt:

• Syntax:Viele weitere Bereiche

• Morphologie:Synkretismusverteilungen in Paradigmen

• Phonologie:z.B. Assoziationslinien in der autosegmentale Phonologie

• Sprachverarbeitung:Minimales Parsing: de Vincenzi (1991), Bornkessel & Schlesewsky (2005,2007), Grillo (2007) u.v.m

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Sprache als Forschungsgegenstand

Optimales Design

Konklusion:Sprache hat in mancherlei Hinsicht Zuge optimalen Designs.

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Sprache als Forschungsgegenstand

Optimales Design

Konklusion:Sprache hat in mancherlei Hinsicht Zuge optimalen Designs.

RekursionDoppelteArtikulation

Kompositionalitat Minimalitat

optimales Design

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

• Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

• Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune

• Anfange der Sprachtypologie:

• Georg von der Gabelentz

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

• Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune

• Anfange der Sprachtypologie:

• Georg von der Gabelentz

• Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

• Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune

• Anfange der Sprachtypologie:

• Georg von der Gabelentz

• Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)

• Dependenzgrammatik: Lucien Tesniere

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Linguistik in Leipzig

Tradition

Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache

• Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune

• Anfange der Sprachtypologie:

• Georg von der Gabelentz

• Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)

• Dependenzgrammatik: Lucien Tesniere

• Psychologie: Wilhelm Wundt

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Tradition 2

Zweite Halfte des 20. Jhd: Leipzig als einziger Ort der DDR mit einemStudiengang Allgemeine Sprachwissenschaft und international sichtbareruniversitarer Forschungstatigkeit. Einige Professoren:

• Rudolf Ruzicka, Gerhard Helbig, Wolfgang Fleischer, Manfred Bierwisch

• Anita Steube (Grundung des Instituts fur Linguistik in den Neunzigerjahren)

Was war eigentlich dazwischen?⇒ Bekenntnis der deutschen Professoren zuAdolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat 1933, mitorganisiert von derUniversitat Leipzig in Leipzig: Theodor Frings (Germanistische Linguistik),Heinrich Junker (Allgemeine Sprachwissenschaft), Reinhold Trautmann(Slawistische Linguistik), Bruno Borowski (Anglistische Linguistik), Ottmar Dittrich(Psycholinguistik)

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Der Frings-Preis

Aus der Ordnung zur Verleihung des Theodor-Frings-Preises der SachsischenAkademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Universitat Leipzig vom 18.November 2013

“In ehrendem Gedenken an das verdienstvolle Wirken von Prof. Dr. TheodorFrings, 1927-1968 Ordinarius an der Alma mater Lipsiensis und 1946-1965Prasident der Sachsischen Akademie der Wissenschaften, wird ein gemeinsamerPreis verliehen. Der Theodor-Frings-Preis wird in Anerkennung hervorragenderLeistungen auf dem Gebiet der germanistischen Sprach- undLiteraturwissenschaft sowie fur germanistische Forschungen mitinterdisziplinarem Ansatz zuerkannt.”

Gez.:Prasident der Sachsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Prof. Dr.phil. Pirmin Stekeler-WeithoferRektorin der Universitat Leipzig, Prof. Dr. med. Beate A. Schucking

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Sprachforschung in Leipzig

• >30 Professuren zur Sprachwissenschaft in 3 geisteswiss. Fakult.

• Sprache als zentrales Forschungsobjekt von >20 Professuren inPsychologie, Informatik, Biologie, Medizin und Philosophie

• Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG):Interaction of Grammatical Building Blocks (IGRA)

• Diverse außeruniversitar finanzierte Drittmittelprojekte zu aktuellenForschungsthemen, z.B. zu Hierarchieeffekten in algischen undKiranti-Sprachen, zu Portmanteau-Morphemen, zu neurophsyiologischenKorrelaten von Flexionsmorphologie, Dokumentation bedrohter Sprachen inBolivien (der Arawak-Sprachen Paunaka und Baure), zur lokalenModellierung nicht-lokaler Abhangigkeiten in der Syntax, zum syntaktischenStrukturabbau, zu abstrakten Merkmalsaffixen, zu Anaphern und Kongruenz,zu Open-Access-Worterbuchern fur wenig erforschte Sprachen, usw.

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Ausgewahlte Fragestellungen in Forschungsvorhaben 1

Grammatiktheorie:

1 Was ist die Natur von Merkmalen in den vier grammatischen Bereichen (alsoden kleinsten Einheiten, uber die Regeln und Beschrankungen dieserKomponenten reden konnen)?

2 Sind Synkretismen (identische Endungen mit unterschiedlicher syntaktischerFunktion) in der Morphologie einheitlich erfassbar?

3 Warum gibt es das Phanomen der Bewegung in der Syntax, und welchenLokalitatsprinzipien unterliegt es?

4 Wodurch unterscheiden sich ergativische und akkusativischeKodierungsmuster?

5 Wieviel von der Bedeutung eines Verbs im Satz ist tatsachlich im mentalenLexikon gespeichert, wieviel wird aus dem Kontext erschlossen?

6 Sind grammatische Regeln und Beschrankungen verletzbar?

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Ausgewahlte Fragestellungen in Forschungsvorhaben 2

Sprachtypologie:

1 Wievele und welche Variablen braucht man, um alle bekannten Spielartenvon Grammatiken erfassen und unterscheiden zu koennen? (Z.B. brauchtman fur Verbkongruenz eine Variable, die bestimmt, welche Merkmalebetroffen sind, etwa Genus oder Person, eine Variable dafur, ob dieKongruenz nur von Subjekten im Nominativ oder auch von solchen inanderen Kasus ausgelost werden kann, usw.)

2 Welche Faktoren bestimmen in welchem Maß die Verteilung der Wertesolcher Variablen auf der Welt? Herkunft? Kontakt mit anderen Sprachen?Soziale Traditionen? Kombinationen davon?

3 Haben Unterschiede in diesen Variablen eine Folge fur die Art und Weise,wie wir Sprache verwenden (z.B. wie wir Geschichten erzahlen), wie wirdenken (z.B. wie wir uns Dinge merken), wie wir Sprache verarbeiten oderwie wir sie als Kinder lernen? Korrelieren solche Unterschiede mitUnterschieden in sozialen und kulturellen Traditionen?

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Grundfrage

Wie funktioniert Sprache?

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Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?

1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).

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Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?

1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).

2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)

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Linguistik in Leipzig

Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?

1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).

2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)

3 Von mehreren Theorien, die dieselben Daten erfassen, ist die einfachste undeleganteste zu wahlen.

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Linguistik in Leipzig

Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?

1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).

2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)

3 Von mehreren Theorien, die dieselben Daten erfassen, ist die einfachste undeleganteste zu wahlen.

4 Die Theorie wird mit neuer empirischer Evidenz konfrontiert; auf der Basisneuer Generalisierungen wird die Theorie entweder verandert oderzugunsten einer neuen, besseren Theorie verworfen.

Bemerkung:Dies ist mit dafur verantwortlich, dass fur Laien der Zugang zu den Ergebnissenlinguistischer Forschung nicht einfach ist.

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Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

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Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.

(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.

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Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.

(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.

(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (“Kongruenz”, “Subjekt” sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; “Subjekt” = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)

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Linguistik in Leipzig

Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.

(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.

(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (“Kongruenz”, “Subjekt” sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; “Subjekt” = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)

(31) Neue Daten

a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].

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Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.

(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.

(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (“Kongruenz”, “Subjekt” sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; “Subjekt” = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)

(31) Neue Daten

a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].

(32) Theorie (spater):

a. Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt, falls es ein solches gibt, und falls das Subjekt thematisch zum Verb gehort.b. Im Deutschen kongruiert ein Subjekt mit einem finiten Verb, wenn es ein Argument davon ist.

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Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen

(27) Daten

a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.

(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.

(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.

(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (“Kongruenz”, “Subjekt” sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; “Subjekt” = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)

(31) Neue Daten

a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].

(32) Theorie (spater):

a. Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt, falls es ein solches gibt, und falls das Subjekt thematisch zum Verb gehort.b. Im Deutschen kongruiert ein Subjekt mit einem finiten Verb, wenn es ein Argument davon ist.

(33) Noch mehr Daten:

a. Es scheint [ dass Karl nicht arbeiten will ].b. Karl scheint [ nicht arbeiten zu wollen ].

(34) Theorie (noch viel spater):

a. T hat eine Person-/Numerus-Sonde.b. Person und Numerus sind Zielmerkmale von D.c. Abgleich unterliegt dem Minimalitatsprinzip

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Literatur

Literatur :

Baker, Mark (2001): The Atoms of Language. Basic Books, New York.Enard, W., M. Przeworski, S. E. Fisher, C. S. L. Lai, V. Wiebe, T. Kitano, A. P.

Monaco & S. Paabo (2002): Molecular Evolution of FOXP2, a Gene Involved inSpeech and Language, Nature 418, 869–872.

Grewendorf, Gunther, Fritz Hamm & Wolfgang Sternefeld (1987): SprachlichesWissen. Suhrkamp, Frankfurt.

Jackendoff, Ray (1994): Patterns in the Mind. Basic Books, New York.O’Grady, William, Michael Dobrovolsky & Francis Katamba (1996): Contemporary

Linguistics. An Introduction. 3 edn, Longman, Harlow, Essex.Roberts, Ian (2017): The Wonders of Language. Cambridge University Press,

Cambridge.

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