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lethuan
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Linguistische Grundlagen1. Sprache: Vorschau
Gereon Muller
Institut fur LinguistikUniversitat Leipzig
www.uni-leipzig.de/muellerg/1001/grundlagen.html
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 1 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Allgemeines
Linguistische Grundlagen
Dienstag, 11:1512:45, HSG HS 20WiSe 2017/2018, Universitat LeipzigInstitut fur LinguistikGereon [email protected]://www.uni-leipzig.de/muellerg
Lekture: OGrady et al. (1996), Jackendoff (1994), Grewendorf et al. (1987),Baker (2001), Roberts (2017) und mehr
2 Tutorien: Christina Dschaak, Luisa GramsZeit und Raum werden jeweils noch festgelegt.
Webseite: www.uni-leipzig.de/muellerg/1001/grundlagen.html
Kursstruktur: Zu jedem Thema mussen Aufgaben bearbeitet und weiterfuhrendeTexte gelesen (sowie Kontrollfragen dazu beantwortet) werden. Abgabe ist jeweilsbei einer/m TutorIn beim nachsten Tutorium.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 2 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.
Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.
Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.
So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke: Worter Phrasen Satze
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.
Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.
So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke: Worter Phrasen Satze
Grammatik: Regelapparat im Kopf (Sprache ist demgegenuber ein vielweiterer und weniger gut operationalisierbares Konzept: Sprache =Grammatik + X.)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Forschungsgegenstand
Sprache ist die zentrale Fahigkeit des Menschen, die ihn von allen anderenLebewesen unterscheidet.
Sprache wird von Kindern in kurzer Zeit und ohne erkennbareSchwierigkeiten erworben.
Einzelsprachen sind hochkomplexe Systeme, die Informations-kodierendeSymbole manipulieren und sie immer neu zusammensetzen.
So entstehen fein strukturierte sprachliche Ausdrucke: Worter Phrasen Satze
Grammatik: Regelapparat im Kopf (Sprache ist demgegenuber ein vielweiterer und weniger gut operationalisierbares Konzept: Sprache =Grammatik + X.)
Lexikon: mentales Objekt
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 3 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Exkurs: Der Begriff der Einzelsprache
Sprache ist kein genuin linguistischer Begriff: Fragen der Sprache sind letztlichFragen der Macht. (Noam Chomsky) Oder auch: Eine Sprache ist ein Dialektzusammen mit einer Armee und einer Flotte.
Chinesisch = eine Sprache mit verschiedenen, stark unterschiedlichenDialekten (Mandarin, Kantonesisch, ...)
Romanisch = nicht eine Sprache mit verschiedenen Dialekten (Franzosisch,Italienisch, Spanisch, ...)
Grewendorf et al. (1987, 24): Den Problemen im Zusammenhang mitMinderheitensprachen ist jeder schon einmal begegnet, und es ist bekannt, dasssich sog. exotische Sprachen primar in Raumen eines Imperialismus-Vakuumserhalten.
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Sprache als Forschungsgegenstand
Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache
Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 5 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache
Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:
Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu groeren Einheiten: Morpheme.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 5 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache
Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:
Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu groeren Einheiten: Morpheme.
Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroeren Einheiten: Worter.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 5 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache
Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:
Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu groeren Einheiten: Morpheme.
Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroeren Einheiten: Worter.
Syntax:Verknupfung von Wortern zu Phrasen, von Phrasen zu Satzen.
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Sprache als Forschungsgegenstand
Bereiche der Grammatik als Kern der Sprache
Sprachliche Ausdrucke sind auf verschiedenen Ebenen der Grammatikreprasentiert; dies korreliert mit der Komplexitat der Ausdrucke:
Phonologie:Verknupfung von Phonemen (abstrakten Lauten als kleinstenbedeutungsunterscheidenden Einheiten) zu groeren Einheiten: Morpheme.
Morphologie:Verknupfung von Morphemen (kleinsten bedeutungstragenden Einheiten) zugroeren Einheiten: Worter.
Syntax:Verknupfung von Wortern zu Phrasen, von Phrasen zu Satzen.
Semantik:Interpretation so erzeugter sprachlicher Ausdrucke unter Einbeziehung desKontexts.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 5 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Grammatiken als kreative Systeme 1Sprecher, die eine Sprache im naturlichen Erstspracherwerb erworben haben(sog. native speakers), haben damit ein kreatives System zur Verfugung, das eserlaubt, immer wieder neue Morpheme, Worter, Phrasen, Satze zu produzierenund zu verstehen.
(1) Nomina als Verben im Englischen:
a. keep the aeroplane on the ground ground the aeroplaneb. stab the man with a knife knife the manc. I wristed the ball over the net.d. She Houdinid her way out of the locked closet.
(2) Beschrankungen:
a. Julia summered in Paris.b. They honeymooned in Hawaii.c. *Jerome midnighted in the streets.d. *Andrea nooned at the restaurant.
Hier und im Folgenden steht ein Stern * vor einer sprachlichen Einheit (Satz,Phrase, Wort) fur Ungrammatikalitat (bzw. Inakzeptabilitat). (In der historischenLinguistik steht der Stern * auch fur erschlossene, nicht belegte Formen.)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 6 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Grammatiken als kreative Systeme 2
(3) Mogliche und unmogliche Worter im Englischen:
a. praspb. flibc. trafd. *psapre. *bflif. *ftra
(4) Ein neues Wort: soleme
a. Morphologie:(i) soleme: ein neu entdecktes Atomteilchen(ii) solemic: wenn etwas die Eigenschaften eines soleme hat(iii) solemicize: etwas solemic machen(iv) solemicization: Der Vorgang des solemic-Machens
b. Phonologie:(i) c wird in solemicize als s ausgesprochen, in solemic aber als k.(ii) Betonung: soLEmicize, nicht SOlemicize oder solemiSIZE
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 7 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Grammatik und sprachliche Kompetenz
Wenn ein native speaker die Grammatik einer Einzelsprache L erworben hat,verfugt er uber sprachliche Kompetenz oder sprachliches Wissen, also einRegelwerk, das alle (und nur die) grammatischen, wohlgeformtensprachlichen Einheiten L abzuleiten gestattet.
Von der sprachlichen Kompetenz zu unterscheiden ist die sprachlichePerformanz: Begrenzungen des Arbeitsgedachtnisses machen sehr langeSatze in der Praxis schwierig; aus unterschiedlichsten Grunden gibt es in dertatsachlichen Sprachverwendung jede Menge Fehler und Gerausche.
Aus dieser Festlegung des Begriffs Grammatik ergeben sich automatischeinige weitreichende Konsequenzen.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 8 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Allgemeinheit: Alle Sprachen haben eine Grammatik 1
Ein Fehler: Sprache X hat keine Grammatik (Chinesisch, Swahili, deutscheDialekte; in Amerika Acadisches Franzosisch, Cree, etc.). Ursache: Diebetreffende Sprache hat eine andere Grammatik.
(5) Walbiri (Australien, Ken Hale (1983)):
a. Ngarrka-ngkuMann-Erg
kaPrasImpf
wawirriKanguru
panti-rnijagen-Nprat
b. WawirriKanguru
kaPrasImpf
panti-rnijagen-Nprat
ngarrka-ngkuMann-Erg
c. Panti-rnijagen-Nprat
kaPrasImpf
ngarrka-ngkuMann-Erg
wawirriKanguru
d. Ngarrka-ngkuMann-Erg
kaPrasImpf
panti-rnijagen-Nprat
wawirriKanguru
e. Panti-rnijagen-Nprat
kaPrasImpf
wawirriKanguru
ngarrka-ngkuMann-Erg
f. WawirriKanguru
kaPrasImpf
ngarrka-ngkuMann-Erg
panti-rnijagen-Nprat
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Sprache als Forschungsgegenstand
Allgemeinheit: Alle Sprachen haben eine Grammatik 2
Beobachtung:Walbiri hat gegenuber dem Englischen eine sehr (aber nicht ganz, vgl. dasElement in der zweiten Position) freie Wortstellung; aber dafur verfugt es uberspezielle Marker wie ngku, die die grammatische Funktion eines Nomensfestlegen (Subjekt oder Objekt).
Dasselbe gilt auch fur Varietaten einer Sprache, die von der Standardspracheabweichen (Dialekte, Soziolekte, Idiolekte). Auch hier gibt es eine Grammatik; siesieht nur etwas anders aus.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 10 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Gleichheit: Alle Grammatiken sind gleich gut
Die Grammatik des Englischen ist weder besser noch schlechter als die desThai, oder die des African American English Vernacular (AAVE).
Die Grammatik des Standarddeutschen ist weder besser noch schlechter alsdie der sachsischen oder pfalzischen Umgangssprache.
(6) a. Wir haben nachste Woche padagogischer Planungstag.b. Hol mir mal der Eimer.c. Ich wunsch Ihnen noch ein guter Tag.
Die moderne Linguistik ist deskriptiv, nicht praskriptiv. Eine praskriptive Linguistikist keine Wissenschaft.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 11 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Universalitat: Grammatiken gleichen sich in elementarenEigenschaften
(7) Stellung der Negation in den Sprachen der Welt:
a. Not Pat is here. (selten)b. Pat not is here.c. Pat is not here.d. Pat is here not. (selten Ist Deutsch eine Ausnahme? Nein.)
(8) Stellung von Verb, Subjekt und Objekt in den Sprachen der Welt:
a. Australians like cricket. (Englisch, Franzosisch)b. Australians cricket like. (Turkisch, Koreanisch)c. Like Australians cricket. (Walisisch, Irisch, Chamorro)d. Like cricket Australians. (selten; Malagasy)e. Cricket like Australians. (selten; Hixkaryana)f. Cricket Australians like. (selten; Warao, Apurina)
(Wo steht das Deutsche?)
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Sprache als Forschungsgegenstand
Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 1
Grammatisches Wissen unterscheidet sich fundamental von bewusst erworbenemWissen (Rechnen, Straenverkehrsordnung, Texteditor, Excel/Access,Geographiekenntnisse, usw.): Es wird ohne Unterrichtung erworben und bleibt imGroen und Ganzen das ganze Leben uber unbewusst. Tatsachlich ist es unsunmoglich, die grammatischen Regularitaten explizit zu machen, die unsererMuttersprache zugrunde liegen. (Ware dies moglich, ware es das Ende derForschung in groen Teilen der Linguistik.) Drei Beispiele:
(9) Prateritalbildungen im Englischen:
a. hunted idb. slipped tc. buzzed d
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Sprache als Forschungsgegenstand
Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 2
(10) Konsonantencluster im Englischen:
a. pint *paynkb. fiend *fiempc. locked *lockfd. wronged *wrongve. next *nextkf. glimpse *glimpk
Regel: Wenn ein Vokal lang ist und zwei Konsonanten vorangeht, oder wenn einVokal kurz ist und drei Konsonanten vorangeht (also wenn die Silbe einebestimmte Schwere hat), dann muss der letzte Konsonant immer mitangehobener Zungenspitze gebildet werden.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 14 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 3
Sprachliche Auerungen konnen verschiedene Lesarten haben: Ambiguitat.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 15 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Unzuganglichkeit: Das grammatische Wissen istunbewusst 4
(11) a. Jeder Junge, den die Frau interviewte, glaubt, dass er ein Genie ist.(Beide Lesarten sind moglich: Ambiguitat)
b. Die Frau, die jeden Jungen interviewte, glaubt, dass er ein Genie ist.(Nur die eine Lesart ist moglich.)
(12) a. Ein Mann liebt jede Frau.(Beide Lesarten sind moglich.)
b. Eines der Bucher hat jeder von uns gelesen.(Beide Lesarten sind moglich.)
c. Jeder von uns hat eines der Bucher gelesen.(Nur die eine Lesart ist moglich.)
(13) Maria glaubt, dass sie schwanger ist.(Beide Lesarten sind moglich)
(13) Sie glaubt, dass Maria schwanger ist.(Nur eine Lesart ist moglich.)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 16 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Sprachschutz
Weil die Sprachwissenschaft nicht praskriptiv ist, gibt es fur Sprachschutz keinenPlatz.
(14) a. Du brauchst das nicht (zu) machen.b. Er hat ja dieselbe/die gleiche Krawatte wie ich.c. Sie hat zwei Kinder, Fritz und Karl. Dieser ist arbeitslos, jener studiert
noch.d. ein lila(nes) Kleid, eine zu(e)(n)e Tur, ein okaye(ne)r Vorschlage. der Bruder Fritzens, Fritzens Bruder, der Bruder von Fritz, dem Fritz
sein Bruderf. Ihr habt zu der Zeit in Hamburg gearbeitet./Ihr arbeitetet zu der Zeit in
Hamburg.g. Wir sollten mal wieder brainstormen. Die sind total abgespaced.h. Das macht/ergibt schon Sinn!
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 17 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Biologische Spezialisierung
Die sog. Sprachorgane des Menschen waren und sind unabhangig notwendig furprimare Uberlebensfunktionen des Organismus insgesamt; sie sind aber sehr gutan die Bedurfnisse der Sprachproduktion angepasst.
Organ Uberlebensfunktion Sprachfunktion
Lungen fuhren CO2-Austausch durch sichern Luftversorgung fur SpracheStimmbander erzeugen Verschluss des Lungenzugangs produzieren Stimmhaftigkeit fur
SprachlauteZunge bewegt Nahrung zum Hals artikuliert Vokale und KonsonantenZahne zerkleinern Nahrung stellen Artikulationsorte fur
Konsonanten zur VerfugungLippen versiegeln die Mundhohle artikulieren Vokale und KonsonantenNasenhohlen sind beteiligt an der Atmung ermoglichen nasale Resonanz
Ein neueres Forschungsergebnis:Identifikation des FoxP2-Gens als relevant fur Muskelbewegungen im Mundraum, die wesentlich derSprachproduktion dienen (Sprachgen); vgl. Enard et al. (2002).
Abgesehen hiervon muss die Sprachfahigkeit aber speziell im menschlichen Gehirn verankert sein(Sprachzentrum, Universalgrammatik).
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 18 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Konsequenzen der Sprachfahigkeit
Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 19 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Konsequenzen der Sprachfahigkeit
Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur
Ausdruck des Denkens
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 19 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Konsequenzen der Sprachfahigkeit
Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur
Ausdruck des Denkens
Effiziente Kommunikation
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 19 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Konsequenzen der Sprachfahigkeit
Verfugbarkeit eines solchen symbolischen Systems ist notwendig fur
Ausdruck des Denkens
Effiziente Kommunikation
Daruber hinaus u.U. fur:
Argumentieren
Problemlosen
Entscheidungen treffen
Mathematische Kompetenz
...
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 19 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Bedeutung des Forschungsgegenstands
Sprache ist unerlasslich fur die Entwicklung samtlicher kulturellerErrungenschaften des Menschen.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 20 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Bedeutung des Forschungsgegenstands
Sprache ist unerlasslich fur die Entwicklung samtlicher kulturellerErrungenschaften des Menschen.
Der Versuch, das Phanomen Sprache zu verstehen, bleibt eine derwesentlichen Aufgaben der Grundlagenforschung im Bereich dessen, wasuns zum Menschen macht.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 20 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Interdisziplinare Herangehensweise
Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 21 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Interdisziplinare Herangehensweise
Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:
Produkte einer Einzelsprache: Auerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 21 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Interdisziplinare Herangehensweise
Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:
Produkte einer Einzelsprache: Auerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile
Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 21 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Interdisziplinare Herangehensweise
Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:
Produkte einer Einzelsprache: Auerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile
Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate
Konsequenzen der selektiven Storung: Aphasien
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 21 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Interdisziplinare Herangehensweise
Beobachtung:Das Phanomen der Sprache ist direkter Beobachtung nicht zuganglich.Der direkten Beobachtung zuganglich sind:
Produkte einer Einzelsprache: Auerungen, Texte, Grammatikalitatsurteile
Effekte der Manifestation im Gehirn: neurokognitive Korrelate
Konsequenzen der selektiven Storung: Aphasien
Konsequenz:(i) Diese Produkte der Sprachfahigkeit bilden die Basis der Theoriebildung.(ii) Keiner der Evidenztypen ist gegenuber den anderen primar.(iii) Das Phanomen Sprache muss interdisziplinar erforscht werden, mit demFernziel einer der Konvergenz auf einer einzigen Interpretation.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 21 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Status der Linguistik
Aufgrund der Natur ihres Forschungsgegenstands vereint die LinguistikEigenschaften verschiedener Wissenschaftstypen in sich:
1 Geisteswissenschaft
2 Humanwissenschaft
3 Naturwissenschaft
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 22 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zwei wichtige Forscher
Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 23 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zwei wichtige Forscher
Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:
1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 23 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zwei wichtige Forscher
Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:
1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)
2 Noam Chomsky (Sprache als kognitives System)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 23 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zwei wichtige Forscher
Die Linguistik (= moderne Sprachwissenschaft) geht in ihrer gegenwartigen Formwesentlich zuruck auf zwei Forscher:
1 Ferdinand de Saussure (Sprache als symbolisches System)
2 Noam Chomsky (Sprache als kognitives System)
Noam Chomsky ist (emeritierter, aber nach wie vor sehr aktiver undeinflussreicher) Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) undam Linguistics Department der University of Arizona und als politischer Aktivistund Publizist fast noch beruhmter als als Sprachwissenschaftler. Er ist der ammeisten zitierte lebende Autor; die Bezeichnung als greatest living intellectual(New York Times) wird weithin akzeptiert.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 23 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
Rekursion
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte Artikulation
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).
Kompositionalitat
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).
KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).
KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.
MinimalitatSprachliche Abhangigkeiten sind minimal.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Zentrale Eigenschaften von Grammatiken naturlicherSprachen
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit derMoglichkeit wiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale Einheiten, dieBedeutung tragen (Morpheme), und (b) minimale Einheiten, die Bedeutungunterscheiden (Phoneme).
KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich alleinaus der systematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.
MinimalitatSprachliche Abhangigkeiten sind minimal.
Andere Symbol-manipulierende Systeme haben diese Eigenschaften nicht(naturliche Systeme, z.B. Bienentanz) oder nur zum Teil (kunstliche Systeme,z.B. Programmiersprachen).
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 24 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Rekursion
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
(15) a. [[Die [Freundin [meiner [groen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen
Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die
man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 25 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Rekursion
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
(15) a. [[Die [Freundin [meiner [groen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen
Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die
man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.
(16) die Freundin meiner groen Tochter
a. N + A = [N A N] (groen Tochter)b. D + [N A N] = [D D [N A N]] (meiner groen Tochter)c. N + [D [N A N]] = [N N [D D [N A N]]] (Freundin meiner groen Tochter)d. D + [N N [D [N A N]]] = [D D [N N [D D [N A N]]]]
(die Freundin meiner groen Tochter)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 25 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Rekursion
RekursionHierarchische Strukturierung komplexer sprachlicher Ausdrucke mit der Moglichkeitwiederkehrender Muster innerhalb der Struktur.
(15) a. [[Die [Freundin [meiner [groen Tochter]]]] [glaubt, [dass [die Sonne] [scheinen wird]]]].b. Das ist ein Buch mit einer alten Geschichte uber einen Bruder eines Kalifen eines fernen
Landes.c. Man sagt, sie habe geglaubt, dass man dort der Meinung sei, dass die Geschichte, die
man dem Kalifen erzahlt hatte, nicht stimme.
(16) die Freundin meiner groen Tochter
a. N + A = [N A N] (groen Tochter)b. D + [N A N] = [D D [N A N]] (meiner groen Tochter)c. N + [D [N A N]] = [N N [D D [N A N]]] (Freundin meiner groen Tochter)d. D + [N N [D [N A N]]] = [D D [N N [D D [N A N]]]]
(die Freundin meiner groen Tochter)
Rekursion erlaubt es, mit begrenzten Mitteln beliebig viele sprachliche Ausdrucke zu erzeugen:Sprache ist Ausdruck der kreativen Moglichkeit, unendlichen Gebrauch von endlichen Mitteln machenzu konnen (infinite use of finite means), Wilhelm von Humboldt uber Noam Chomsky in dessenCartesian Linguistics von 1966.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 25 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Doppelte Artikulation
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale bedeutungstragende Einheiten(Morpheme), und (b) minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme).
(17) Du verdanktest diesen Buchern viel.
a. /d/-/u/ /f/-/E/-//-/d/-/a/-/N/-/k/-/t/-/@/-/s/-/t/ /d/-/i/-/z/-/@/-/n/ /b/-/y/-/c/-/@/-//-/n/ /f/-/i/-/l/b. Du ver-dank-te-st dies-en Buch-er-n viel
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 26 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Doppelte Artikulation
Doppelte ArtikulationSeparierung sprachlicher Ausdrucke in (a) minimale bedeutungstragende Einheiten(Morpheme), und (b) minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten (Phoneme).
(17) Du verdanktest diesen Buchern viel.
a. /d/-/u/ /f/-/E/-//-/d/-/a/-/N/-/k/-/t/-/@/-/s/-/t/ /d/-/i/-/z/-/@/-/n/ /b/-/y/-/c/-/@/-//-/n/ /f/-/i/-/l/b. Du ver-dank-te-st dies-en Buch-er-n viel
Doppelte Artikulation erlaubt es, mit einem kleinen Inventar von einfachen Zeichen (Phonemen, z.B.im Deutschen 35-37) eine potentiell unendlich groe Zahl von Informations-kodierenden Symbolen zuerzeugen.
Alternative zur doppelten Artikulation:
Die minimalen bedeutungstragenden Einheiten sind nicht zusammengesetzt, sondern Primitive.
Konsequenz: Kein Morphem steht in irgendeinem Form-Zusammenhang mit irgendeinemanderen Morphem; (17-b) ware etwas wie (18).
(18) ^-Z-- -
--
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 26 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Kompositionalitat
KompositionalitatDie Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich allein aus dersystematischen Kombination der Bedeutungen seiner Teile.
(19) [[Kein [Mensch [in Leipzig]]] [kennt [Robert Forster]]].
a. ~Robert Forster = Robert Forsterb. ~kennt = {: x kennt y}c. ~kennt R.F. = ~kennt+~R.F. = {x: x kennt Robert Forster}d. ~Leipzig = Leipzige. ~in = {: x ist in y}f. ~in Leipzig = ~in+~Leipzig = {x: x ist in Leipzig}g. ~Mensch = {x: x ist ein Mensch}h. ~Mensch in Leipzig = ~Mensch+~in Leipzig = {x: x ist ein Mensch und x ist in Leipzig}i. ~kein = {: PQ = } (P, Q: {x: ...x...})j. ~kein Mensch in Leipzig = ~kein+~Mensch in Leipzig = {Q: kein Mensch in Leipzig hat
Q}k. ~Kein Mensch in L. kennt R.F. = ~kein Mensch in Leipzig+~kennt R.F. = wahr genau
dann, wenn {x: x kennt Robert Forster} {Q: kein Mensch in Leipzig hat Q}
Kompositionalitat erlaubt es, noch niemals vorher gehorte Satze beliebiger Komplexitat problemlos zuverstehen.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 27 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Minimalitat
Minimalitat:Abhangigkeiten in sprachlichen Strukturen sind so kurz wie moglich.
(20) Abhangigkeiten in der Syntax:
a. Bewegung:Was hat Maria dem Fritz geschenkt?
b. Kontrolle:Maria uberzeugte Fritz, das Rad zu reparieren.
c. Bindung:Kein Mensch glaubt, dass er immer im Recht ist.
d. Kongruenz:Du arbeite-st zu viel.
(21) Minimalitatsprinzip: kann nur dann mit eine Abhangigkeitsbeziehung vom Typ eingehen, wenn (a) und (b)gelten.
a. hat die Eigenschaft .b. Es gibt kein , so dass (i) und (ii) gelten:
(i) ist strukturell naher an als .(ii) hat die Eigenschaft .
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 28 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Minimalitat bei der Arbeit in der Syntax(22) W-Bewegung (Erganzungsfragen):
a. Wen denkt sie, dass ich einladen soll?b. *Wen denkt wer, dass ich einladen soll?
(23) Kopf-Bewegung (Ja/Nein-Fragen):
a. Eagles that fly can swim.b. Can eagles that fly swim?c. *Fly eagles that can swim?
(24) Kontrolle (Bestimmung der Referenz von mitverstandenen Subjekten von Infinitiven):
a. Maria uberzeugte Fritz, das Rad zu reparieren.b. *Maria uberzeugte Fritz, das Rad zu reparieren.
(25) Bindung (hier: Festlegung der Referenz von Reflexivpronomina)
a. Karl denkt, dass Fritz sich waschen sollte.b. *Karl denkt, dass Fritz sich waschen sollte.
(26) Kongruenz (hier: von Verb und nominalem Argument im Satz)
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.
Achtung: Zu allen diesen Minimalitatseffekten gibt es, zumindest auf den ersten Blick, Gegenevidenz(u.a. sog. Objektkontrolle), haufig aus typologisch unterschiedlichen Sprachen (u.a. sog. langeReflexivierung, Objektkongruenz)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 29 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Leistung des Minimalitatsprinzips allgemein
Weitere Bereiche der Sprache, in denen das Minimalitatsprinzip wirkt:
Syntax:Viele weitere Bereiche
Morphologie:Synkretismusverteilungen in Paradigmen
Phonologie:z.B. Assoziationslinien in der autosegmentale Phonologie
Sprachverarbeitung:Minimales Parsing: de Vincenzi (1991), Bornkessel & Schlesewsky (2005,2007), Grillo (2007) u.v.m
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 30 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Optimales Design
Konklusion:Sprache hat in mancherlei Hinsicht Zuge optimalen Designs.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 31 / 40
Sprache als Forschungsgegenstand
Optimales Design
Konklusion:Sprache hat in mancherlei Hinsicht Zuge optimalen Designs.
RekursionDoppelteArtikulation
Kompositionalitat Minimalitat
optimales Design
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 31 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune
Anfange der Sprachtypologie:
Georg von der Gabelentz
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune
Anfange der Sprachtypologie:
Georg von der Gabelentz
Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune
Anfange der Sprachtypologie:
Georg von der Gabelentz
Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)
Dependenzgrammatik: Lucien Tesniere
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition
Spates 19. Jhd./fruhes 20. Jhd.: Leipzig als Weltzentrum fur die Erforschung derSprache
Junggrammatische Forschung: Karl Brugmann, Wilhelm Streitberg, AugustLeskien, Eduard Sievers, Wilhelm Braune
Anfange der Sprachtypologie:
Georg von der Gabelentz
Strukturalismus: Jan Baudouin de Courtenay, Nikolaj Trubetzkoy, LeonardBloomfield, Ferdinand de Saussure (hat in Leipzig promoviert!)
Dependenzgrammatik: Lucien Tesniere
Psychologie: Wilhelm Wundt
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 32 / 40
Linguistik in Leipzig
Tradition 2
Zweite Halfte des 20. Jhd: Leipzig als einziger Ort der DDR mit einemStudiengang Allgemeine Sprachwissenschaft und international sichtbareruniversitarer Forschungstatigkeit. Einige Professoren:
Rudolf Ruzicka, Gerhard Helbig, Wolfgang Fleischer, Manfred Bierwisch
Anita Steube (Grundung des Instituts fur Linguistik in den Neunzigerjahren)
Was war eigentlich dazwischen? Bekenntnis der deutschen Professoren zuAdolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat 1933, mitorganisiert von derUniversitat Leipzig in Leipzig: Theodor Frings (Germanistische Linguistik),Heinrich Junker (Allgemeine Sprachwissenschaft), Reinhold Trautmann(Slawistische Linguistik), Bruno Borowski (Anglistische Linguistik), Ottmar Dittrich(Psycholinguistik)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 33 / 40
Linguistik in Leipzig
Der Frings-Preis
Aus der Ordnung zur Verleihung des Theodor-Frings-Preises der SachsischenAkademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Universitat Leipzig vom 18.November 2013
In ehrendem Gedenken an das verdienstvolle Wirken von Prof. Dr. TheodorFrings, 1927-1968 Ordinarius an der Alma mater Lipsiensis und 1946-1965Prasident der Sachsischen Akademie der Wissenschaften, wird ein gemeinsamerPreis verliehen. Der Theodor-Frings-Preis wird in Anerkennung hervorragenderLeistungen auf dem Gebiet der germanistischen Sprach- undLiteraturwissenschaft sowie fur germanistische Forschungen mitinterdisziplinarem Ansatz zuerkannt.
Gez.:Prasident der Sachsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Prof. Dr.phil. Pirmin Stekeler-WeithoferRektorin der Universitat Leipzig, Prof. Dr. med. Beate A. Schucking
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 34 / 40
Linguistik in Leipzig
Sprachforschung in Leipzig
>30 Professuren zur Sprachwissenschaft in 3 geisteswiss. Fakult.
Sprache als zentrales Forschungsobjekt von >20 Professuren inPsychologie, Informatik, Biologie, Medizin und Philosophie
Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG):Interaction of Grammatical Building Blocks (IGRA)
Diverse aueruniversitar finanzierte Drittmittelprojekte zu aktuellenForschungsthemen, z.B. zu Hierarchieeffekten in algischen undKiranti-Sprachen, zu Portmanteau-Morphemen, zu neurophsyiologischenKorrelaten von Flexionsmorphologie, Dokumentation bedrohter Sprachen inBolivien (der Arawak-Sprachen Paunaka und Baure), zur lokalenModellierung nicht-lokaler Abhangigkeiten in der Syntax, zum syntaktischenStrukturabbau, zu abstrakten Merkmalsaffixen, zu Anaphern und Kongruenz,zu Open-Access-Worterbuchern fur wenig erforschte Sprachen, usw.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 35 / 40
Linguistik in Leipzig
Ausgewahlte Fragestellungen in Forschungsvorhaben 1
Grammatiktheorie:
1 Was ist die Natur von Merkmalen in den vier grammatischen Bereichen (alsoden kleinsten Einheiten, uber die Regeln und Beschrankungen dieserKomponenten reden konnen)?
2 Sind Synkretismen (identische Endungen mit unterschiedlicher syntaktischerFunktion) in der Morphologie einheitlich erfassbar?
3 Warum gibt es das Phanomen der Bewegung in der Syntax, und welchenLokalitatsprinzipien unterliegt es?
4 Wodurch unterscheiden sich ergativische und akkusativischeKodierungsmuster?
5 Wieviel von der Bedeutung eines Verbs im Satz ist tatsachlich im mentalenLexikon gespeichert, wieviel wird aus dem Kontext erschlossen?
6 Sind grammatische Regeln und Beschrankungen verletzbar?
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 36 / 40
Linguistik in Leipzig
Ausgewahlte Fragestellungen in Forschungsvorhaben 2
Sprachtypologie:
1 Wievele und welche Variablen braucht man, um alle bekannten Spielartenvon Grammatiken erfassen und unterscheiden zu koennen? (Z.B. brauchtman fur Verbkongruenz eine Variable, die bestimmt, welche Merkmalebetroffen sind, etwa Genus oder Person, eine Variable dafur, ob dieKongruenz nur von Subjekten im Nominativ oder auch von solchen inanderen Kasus ausgelost werden kann, usw.)
2 Welche Faktoren bestimmen in welchem Ma die Verteilung der Wertesolcher Variablen auf der Welt? Herkunft? Kontakt mit anderen Sprachen?Soziale Traditionen? Kombinationen davon?
3 Haben Unterschiede in diesen Variablen eine Folge fur die Art und Weise,wie wir Sprache verwenden (z.B. wie wir Geschichten erzahlen), wie wirdenken (z.B. wie wir uns Dinge merken), wie wir Sprache verarbeiten oderwie wir sie als Kinder lernen? Korrelieren solche Unterschiede mitUnterschieden in sozialen und kulturellen Traditionen?
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 37 / 40
Linguistik in Leipzig
Grundfrage
Wie funktioniert Sprache?
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 38 / 40
Linguistik in Leipzig
Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?
1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 39 / 40
Linguistik in Leipzig
Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?
1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).
2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 39 / 40
Linguistik in Leipzig
Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?
1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).
2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)
3 Von mehreren Theorien, die dieselben Daten erfassen, ist die einfachste undeleganteste zu wahlen.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 39 / 40
Linguistik in Leipzig
Wie erfolgt linguistische Theoriebildung?
1 Auf der Basis empirischer Evidenz werden Generalisierungen vorgenommen(Daten werden idealisiert, Irrelevantes wird ausgeblendet).
2 Fur die Generalisierungen werden unter Abstraktion auf der Basis vonprimitiven Konzepten (= theoretisches Vokabular) Theorien erstellt, die sieerfassen.(Die Axiome der Theorie verwenden die abstrakten Konzepte. Allgemein gilt:Abstrakte Konzepte sind einzig und allein dadurch gerechtfertigt, dass esAxiome gibt, die uber sie reden.)
3 Von mehreren Theorien, die dieselben Daten erfassen, ist die einfachste undeleganteste zu wahlen.
4 Die Theorie wird mit neuer empirischer Evidenz konfrontiert; auf der Basisneuer Generalisierungen wird die Theorie entweder verandert oderzugunsten einer neuen, besseren Theorie verworfen.
Bemerkung:Dies ist mit dafur verantwortlich, dass fur Laien der Zugang zu den Ergebnissenlinguistischer Forschung nicht einfach ist.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 39 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.
(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.
(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.
(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (Kongruenz, Subjekt sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; Subjekt = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.
(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.
(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (Kongruenz, Subjekt sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; Subjekt = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)
(31) Neue Daten
a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.
(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.
(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (Kongruenz, Subjekt sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; Subjekt = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)
(31) Neue Daten
a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].
(32) Theorie (spater):
a. Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt, falls es ein solches gibt, und falls das Subjekt thematisch zum Verb gehort.b. Im Deutschen kongruiert ein Subjekt mit einem finiten Verb, wenn es ein Argument davon ist.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Linguistik in Leipzig
Kongruenz von Subjekt und Verb im Deutschen
(27) Daten
a. Gestern hat er die Katzen gefuttert.b. *Gestern haben er die Katzen gefuttert.c. #Gestern hast, ahh, ich meine, hat er die Katzen gefuttert.
(28) Generalisierung (Anfang):Im Deutschen stimmen manche Ausdrucke in Bezug auf manche Merkmale mit manchen anderen Ausdrucken uberein.
(29) Generalisierung (spater):Im Deutschen stimmen manche Substantivgruppen mit dem finiten Verb in Bezug auf Person und Numerus uberein.
(30) Theorie (Anfang):Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt in Bezug auf Person und Numerus. (Kongruenz, Subjekt sind durch Abstraktion gewonneneprimitive Konzepte; Subjekt = ranghochstes nominales Argument eines Pradikats.)
(31) Neue Daten
a. Gestern wurde hier nicht gearbeitet.b. Der Konig lasst [ die Sklaven den Wein reinbringen ].
(32) Theorie (spater):
a. Im Deutschen kongruiert ein finites Verb mit dem Subjekt, falls es ein solches gibt, und falls das Subjekt thematisch zum Verb gehort.b. Im Deutschen kongruiert ein Subjekt mit einem finiten Verb, wenn es ein Argument davon ist.
(33) Noch mehr Daten:
a. Es scheint [ dass Karl nicht arbeiten will ].b. Karl scheint [ nicht arbeiten zu wollen ].
(34) Theorie (noch viel spater):
a. T hat eine Person-/Numerus-Sonde.b. Person und Numerus sind Zielmerkmale von D.c. Abgleich unterliegt dem Minimalitatsprinzip
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Literatur
Literatur:
Baker, Mark (2001): The Atoms of Language. Basic Books, New York.Enard, W., M. Przeworski, S. E. Fisher, C. S. L. Lai, V. Wiebe, T. Kitano, A. P.
Monaco & S. Paabo (2002): Molecular Evolution of FOXP2, a Gene Involved inSpeech and Language, Nature 418, 869872.
Grewendorf, Gunther, Fritz Hamm & Wolfgang Sternefeld (1987): SprachlichesWissen. Suhrkamp, Frankfurt.
Jackendoff, Ray (1994): Patterns in the Mind. Basic Books, New York.OGrady, William, Michael Dobrovolsky & Francis Katamba (1996): Contemporary
Linguistics. An Introduction. 3 edn, Longman, Harlow, Essex.Roberts, Ian (2017): The Wonders of Language. Cambridge University Press,
Cambridge.
Gereon Muller (Institut fur Linguistik) 04-006-1001: Linguistische Grundlagen 10. Oktober 2017 40 / 40
Sprache als ForschungsgegenstandLinguistik in LeipzigLiteratur