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SoSe 06 Hauptstudiumsprojekt Sprachdialogsysteme - Design, Implementation und Evaluation - Textstruktur und Pragmatik oder: Wie kann man Texte planen? oder: Dr. Oetkers Pragmatisches Kochbuch Walther v.Hahn Cristina Vertan

Linguistische Pragmatik - 1 - WebHome · Die Hauptaussagen der Linguistische Pragmatik - 2 - (3) Anlass sprachlicher Handlungen ist, Sprache und Welt durch Anpassung in einer Richtung

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SoSe 06 Hauptstudiumsprojekt

Sprachdialogsysteme - Design, Implementation und Evaluation -

Textstruktur und Pragmatik

oder: Wie kann man Texte planen?

oder: Dr. Oetkers Pragmatisches Kochbuch

Walther v.Hahn

Cristina Vertan

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Sinn dieses Abschnitts

Kenntnisse darüber, wie in einem Dialog ein Text entstehen kann, der für den Benutzer (und das System) in allen Beiträgen

• zusammenhängend ist (der Benutzer soll alle Fragen und Antworten aufeinander beziehen können),

• deutlich strukturiert ist (der Benutzer soll die Dialogschritte einsehen können),

• geschlossen ist (der Benutzer soll wissen, wann der Dialog erfolgreich abgeschlossen ist),

• semantisch klar ist (der Benutzer soll Bedeutungen, Inhalt und Sinn eindeutig verstehen können),

• Zielgerichtet ist (der Benutzer soll sein Ziel während des Dialogs immer wiederfinden können),

• Handlungrelevant ist (der Benutzer soll immer wissen, welche relevanten Aktionen vollzogen wurden).

Text-grammatik

Pragmatik

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Textgrammatik

Der Text ist die über der Satzebene liegende Strukturebene natürlicher Sprachen.

Unter „Text“ wird (anders als in der Umgangssprache) eine Folge mündlicher oder schriftlicher Sätze verstanden.

„Textlinguistik“ ist der Oberbegriff für Textgrammatik (Textsyntax etc.) und Textsemantik:

Wie bei Wörtern in einem Satz, so ist auch die Anordnung von Sätzen in einem Text nicht beliebig, sondern folgt den Regeln einer Sprache (und ihrer Sprechergemeinschaft) und bestimmt den Sinn des Textes. Die Textlinguistik beschreibt die systematischen linguistischen Eigenschaften von Texten, z.B. Regeln für die Erzeugung oder das Verstehen von zusammen gehörenden Sätzen.

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Regeln der Textgrammatik /-semantik

Textuelle Regeln legen z.B. fest,

• warum Texte als zusammenhängend (kohärent) verstanden oder markiert werden,

• wie man Textzusammenhang (Kohärenz) zwischen Sätzen erzeugt,• wie man einzelne Elemente aus verschiedenen Sätzen aufeinander

bezieht (durch Verweisstrukturen wie Deixis, Ellipsen und Pronomen), • Wie sich Texte in Teiltexte (zu je mehreren Sätzen) gliedern, d.h.• wie man Teil-) Texte beginnt oder schließt. • welche Merkmale Texte diskohärent machen

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Teiltexte und Teiltextreihenfolge - Beispiel -

• Zusammengehörigkeit von Teiltexten:

“... das mal gesehen hat. -- Du, Süße, ich spreche gerade mit jemand! -- so da bin ich wieder: Also ich sage Dir, da war vielleicht was los ...”

• (Gegen-) Beispiel für Reihenfolgeregeln:

„(Hmhm). Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Gestern ist mir etwas Eigenartiges passiert: ...“

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Wozu benutzt man Kohärenz?

Warum werden Texte als zusammenhängend (kohärent) verstanden oder markiert?

• Kommunikativer Grund: Dieselbe Kommunikationskonstellation dauert an• Sachzusammenhang:

Dasselbe Thema wird behandelt• Handlungsgrund

Dieselbe Handlungssequenz ist in Bearbeitung• Pläne

Dieselben Pläne werden verfolgt

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Wie markiert man Kohärenz zwischen Sätzen?

• durch gemeinsame Formeigenschaften

– [Visuelle Eigenschaften Layout, Auszeichnung, Druck, …] – „Formulare“: hier z.B. erkennbares systematisches Vorgehen– Lautliche Form: einheitlicher Sprecher und Prosodie

• durch Verweise (Deixis)

– linguistisch• Anaphorik: Rückverweis „diese Bescheinigung ...“• Kataphorik: Vorausverweis „die folgende Frage...“

– Paralinguistisch hier z.B. Multimedia-Material

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Kohärenz durch Visuelle Textform

• Formale Gliederung

durch (fehlende) Absätze und typographische Auszeichnung

Beispiel: diese Folie• Text“formulare“ und -strukturen

Viele Textsorten folgen einem festen „Formular“ (Begrüßung, Bestellung, Predigt, etc) mit lexikalisch festgelegten Partien. Oft haben Texte als Ganzes festliegende Teile in fester Folge (z.B. Märchen, Predigten, Politikerreden)

Beispiel: Definition, Satz, Beweis

Nummer, Artikel, Menge, Einzelpreis, Gesamtpreis

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Kohärenz durch Prosodie

• Nicht-beendende Sätze haben eine andere Prosodie als Endsätze:

Gestern habe ich doch Jens vor dem Rathaus getroffen. .... (in mittlerer Stimmlage gehalten)

Das war also die Geschichte von Jens und seinem Photoapparat (sinkender Satzton)

Prosodie =

Tonhöhe, Lautstärke, Lautdauer, Sprechtempo

• Änderung der Textbezüge durch Prosodie

Ich habe meinen Maserati nicht verkauft. Du warst es!

Ich habe meinen Maserati nicht verkauft. Es war Deiner!

Ich habe meinen Maserati nicht verkauft. Die ganze Behauptung ist falsch!

Ich habe meinen Maserati nicht verkauft. Ich habe ihn nur verliehen!

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Folgerungen

Alle Teiltexte mit Kohärenzmarken zusammenhängen! Das festigt das Bewußtsein für einen festen Ablauf. Durch Rückverweise kann man gut implizite Bestätigungern unterbringen.

Kohärente Antworten und Fragen des Systems verhindern “Ausbrecher”

Einheitlicher Aufbau für einheitliche Aufgaben prüfen!

Wenn möglich Teilaufgaben und Abschluss prosodisch markieren!

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Situative und textuelle Deixis

Unter Deixis versteht man außer der direkten Zeigehandlung den relativen Bezug einzelner Ausdrücke ("indexikalische Ausdrücke") auf die Situation oder Teile der Äußerung selbst. Deixis erzeugt Kohärenz, z.B.

personale Deixis: „ich“ (der Sprecher),

„du“ (der jeweilige Zuhörer), „dieser Mann“

zeitliche Deixis: „jetzt“ (die Sprechzeit), „vorher“, „später“,

„dann“, „gestern“, „in drei Tagen“,

räumliche Deixis: „hier“ (der Ort des Sprechers), „dort“,

„rechts“, „vor mir“.

textuelle Deixis: „damit meine ich …“ (der vorherige Text),

SituativeDeixis

TextuelleDeixis

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Textuelle Deixis

Es gibt zwei Typen von textueller Deixis:

Anaphorik: Rückverweisende Ausdrücke wie

„Er“ ( der Fahrer), „In dieser Stadt“ ( Hamburg, wie zuvor genannt), „damit“ ( dem genannten Gerät), „deshalb“ ( aus den zuvor genannten Gründen), ...

Diese Ausdrücke verweisen auf vorherige Teile der Äußerung

Kataphorik: Vorverweisende Ausdrücke wie

„Im folgenden ...“, „... werde ich gleich erläutern“, <der Doppelpunkt>

Viele Regeln der Kohärenz beruhen auf textueller Deixis.

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Anaphorik - Beispiele 1 -

• Pronomen"Der Roadster ist eine Neuentwicklung. Er hat jetzt“

• Rekurrenz• „Der Beklagte muss… . Der Beklagte hat allerdings das Recht …“

• Definite Beschreibung Sie erhalten dort Materialien. Die Mappe enthält alles, was Sie brauchen.

• Zähladverben"Der Bürgermeister und der Vorsitzende kamen. Ersterer ... ... ... „

ReferentAntezendent

Anapherkoreferent

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Komplexere Anaphorik - Beispiele 2 -

• NP-Umschreibungen"John ging nach Hause. Der arme Junge hatte Pech gehabt"

• Verdeckte Anaphora"John wollte Gitarrist werden. Er fand es so ein schönes Instrument"

• Satzpronomen"Die Netzverbindung brach zusammen. Es verursachte einen Datenverlust"

• Man/einen-Anaphora"Sie schlug ihn zusammen. Man rastet ja manchmal aus"

• Proverben"A bestellte eine Drehbank. B tat dasselbe"

• Zeitadverben"1960 wurden die ersten Teile gebaut. Wenig später …"

• Ortsadverben"In Hamburg entstand eine große Halle. Hier können sportliche und kulturelle Massenveranstaltungen stattfinden"

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Kohärenz durch Kataphorik = sprachlicher Vorverweis

„Damit meine ich das Folgende: .....“

Auch einige inhaltliche Konnektoren (Konjunktionen) kann man als Vorverweise auffassen:

„Leider kann ich jetzt keine Tasse Kaffee trinken, daher setze ich meinen Vortrag fort“ (Erst die Begründung, danach die Hauptaussage)

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Folgerungen

Alle Ausdrücke auf Deixis prüfen! z.B. Ist mit “jetzt” wirklich der augenblickliche Zeitpunkt gemeint?

Alle Fragen und Antworten des Systems mit Anaphorik anbinden!

Anaphorik auf Eindeutigkeit prüfen: Sy: “Geben Sie Ihren Studienplan beim Ausschussvorsitzenden ab und stecken Sie ihn in eine Plastiktüte”

In wichtigen Fällen die Anaphorik durch Rekurrenz ersetzen. Sy: “... den Studienausweis. Dieser Studienausweis muss jedes Semester ...

Kataphorik vermeiden, da diese vor allem bei schriftlichen Texten oder Reden verwendet wird! Möglicherweise für Strukturinformation einsetzen: Sy: “Bei den nächsten Fragen geht es um Personaldaten, diese werden nach der Beratung sofort gelöscht: ...”

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Satzkonnektoren

Treten auf als Konjunktionen, aber auch als Adverbien / PPs oder andere strukturelle Textbezüge wie bei

Jerry Hobbs: Konnektoren bei der Newsweek-Analyse:

Temporal Succession dann, danach, eine Woche später

Cause weil, aus diesem Grunde,

Contrast allerdings, demgegenüber

Violated expectation aber, eigenartigerweise

Paraphrase mit anderen Worten

Example z.B., etwa,

Parallel so auch in diesem Falle, ebenso

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Zwischen Semantik, Textlinguistik und Pragmatik gibt es fließende Übergänge

• Wie man aus den Kohärenzgründen bereits gesehen hat, wird ein Text u.a. durch einen Handlungszusammenhang konstituiert.

• Präsuppositionen und Implikaturen regeln u.a. gemeinsame Handlungsannahmen

Die Lehre von den (sprachlichen) Handlungen ist die Pragmatik

Unter Bedeutung versteht man die Semantik von Wörtern, unter Inhalt die Semantik von Sätzen und unter Sinn (meistens) die kommunikative (pragmatische) Absicht eines Textes.

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Präsuppositionen

sind logisch mitbehauptete Aussagen eines Satzes (seiner Proposition). Die Präsupposition bleibt wahr, auch wenn die Proposition negiert ist. Das heißt, dass ein Gesprächspartner Präsuppositionen nicht durch Ja!“ oder „nein!“ zurücksetzen kann.

• Harmloses Beispiel: Existentielle Präsuppositionen„Die Sonderangebote der Frühjahrsaktion sind bis heute begrenzt “

⇒ Präsupposition: Es gibt Sonderangebote, eine Frühjahrsaktion, Begrenzungen• Kritische Beispiele:

„Schließen Sie jetzt ihre Bestellung mit Taste 7 ab“⇒ Präsupposition: die Bestzellung ist noch offen

„Wir holen Ihren PC zuhause ab“⇒ Präsupposition: ich habe einen PC, keinen Macintosh

„Haben Sie aufgehört, Spam-Mails zu schreiben?“⇒ Präsupposition: Sie haben Spam-Mails geschrieben

„Die Seiten mit dem KVV finden Sie unter der URL ... “⇒ Präsupposition: Sie wollen das KVV sehen

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Folgerungen

Alle Äußerungen auf Präsuppositionen prüfen!

Die Beiträge des Systems dürfen nur Präsuppositionen enthalten, die anerkannt sind oder sich aus dem Text ergeben.

Der Einbau existentieller Präsuppositionen kann Mißverständnisse sichtbar machen: Sy: “Ein Studium nach dem Master wir in diesem Fach nicht angeboten”. Us: “Ich habe aber gar keinen Master” vs Sy: “Es wird nicht angeboten”. Us: “Schade eigentlich”.

Adjektive sind gute Träger für Präsuppositionen zur VerständnissicherungSy: “Ihre reduzierte Gebühr wurde errechnet”

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Konversationale Implikaturen

sind durch soziale Gemeinsamkeit mitverstandene (aber nicht logisch mitgenannte) Inhalte einer Äußerung,

Ihre Wirkung in der Kommunikation ist in entscheidendem Maße davon abhängig, ob die Partner kooperativ sind und die Implikaturen (implizit) erkannt werden.

Der Wahrheitswert der Implikaturen ändert sich (anders als bei den Präsuppositionen) mit dem der Proposition

Beispiele:

„Politik ist Politik“

⇒ Implikatur: Es gelten besondere Regeln, etc. (semantisch eine Tautologie).

„Wer kommt morgen zu Besuch?“ „Frau Müller“

⇒ Implikatur: Herr Müller kommt nicht

„Wie viele Mitarbeiter hat die Abteilung B3?“ „11 Mitarbeiter“

⇒ Implikatur: genau 11 und nicht mehr oder weniger

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Folgerung

Konversationelle Implikaturen sind durch ihre Kulturabhängigkeit nicht hilfreich. Sie müssen expliziert werden.

Sy: “Die Studentenheime sind für Studenten und Studentinnen zugelassen.” Sy: “Im Studentenheim ist wie im ganzen Land kein Alkoholkonsum erlaubt.”

Sy: “Man darf nicht mehr als 10 Semester dort wohnen; diese Regel wird strikt eingehalten. Versuchen Sie nicht, den Heimleiter mit Geschenken zu beeinflussen, das kann zu rechtlichen Konsequenzen führen.”

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Pragmatik

Ist in der Linguistik die Lehre von den Handlungen, die sprachlich vollzogen werden, gegenüber den „physikalischen“ (z.B. gehen, ohrfeigen) oder symbolischen Handlungen (z.B. grüßen durch Hutabnehmen, lächeln). Von den Handlungen ist das nichtkommunikative Verhalten zu trennen.

Sprachliche Handlungen (z.B. Befehl) stehen oft mit nichtsprachlichen in einer Handlungs- und Planungskette.

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Die Hauptaussagen der Linguistische Pragmatik - 1 -

(1) Jede sprachliche Äußerung ist eine Handlung. Sie hat wie andere Hand-lungen auch (mindestens zwei) Agenten, bestimmte konstitutive (typische) Voraussetzungen, Aktionen und Ergebnisse.Beispiele: Ohrfeigen und Beleidigen

Handlung der Agenten A und B A ist beleidigt worden, B ist nicht höherrangig als A

Ohrfeigen: B steht in Reichweite von A Beleidigen: B steht in Hörweite von AAusfahren der Hand A auf Backe B Ausrufen von „Sau!!“ zu B durch A

A geht es besser, B ist wütend

(2) Jede Äußerung hat neben dem semantischen Inhalt einen pragmatischen Sinn; beide können stark differierenBeispiel: "Haben Sie eine Uhr?"

semantisch: Besitzen Sie eine Uhr?pragmatisch: Sagen Sie mir bitte die Uhrzeit!

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Die Hauptaussagen der Linguistische Pragmatik - 2 -

(3) Anlass sprachlicher Handlungen ist, Sprache und Welt durch Anpassung in einer Richtung in Einklang zu bringen, D.h. man sagt etwas, um etwas zu ändern (Nichtwissen, Handlungsunfähigkeit, Logische Blockade, etc.)

Beispiele: Feststellen = Sprache an Welt anpassen„Hier ist es sehr finster!“ Es ist finster und ich äußere das

Befehlen = Welt an Sprache anpassen„Machen Sie die Tür zu!“ Die Tür wird dem Befehl angepasst

(4) Bestimmte Handlungen sind nur sprachlich ausführbar (die Sprechakte).

Beispiel: Verurteilen

(5) Die Bindung von Sprache an Handlungen ist konventionell.

Beispiel: Was eine Aufforderung ist, wird bestimmt durch vereinbarte Höflichkeitsformeln und die Rolle der Sprechpartner, nicht durch strukturelle Eigenschaften von Äußerungen (z.B. Satztypen oder formale textuelle Eigenschaften)

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Folgerung

Äußerungen auf obligatorische sprachliche Form prüfen: Möglicherweise DTMF (Dual Tone Multiple Frequency) einsetzen.

Pragmatisches Ziel der Äußerungen analysieren: Änderung des Weltzustandes oder Übereinkunft über eine Beschreibung (Änderung der Sprache)

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Sprechakttheorie

Entwickelt in zwei Varianten von Austin (1962) und Searle (1969)

Prinzipien:

(1) Jede sprachliche Äußerung vollzieht gleichzeitig drei Teile:

- den lokutiven (lokutionären) Akt. Er besteht aus den formalen Eigenschaften, wie Lexik, Syntax, Semantik, einschließlich der Proposition

- den illokutiven (illokutionären) Akt. Er ist der Handlungstyp (Sprechakttyp)

- den perlokutiven (perlokutionären) Akt. Er ist das konventionell erwartete oder beabsichtigte Ergebnis der Handlung

• Beispiel: "Haben Sie eine Uhr?"

- lokutiver Akt: (syntaktische Form), (Satztyp), (Wortwahl) Frage nach Besitz

- illokutiver Akt: Aufforderung (Zeit zu sagen)

- perlokutiver Akt: Die Zeit sagen sollen (oder diese Aufforderung zurückweisen)

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Sprechakttheorie

(2) Benutzungsformen von Sprechakten sind:

a. Direkter Sprechakt: Mit einem performativen Element (in der Lokution) wird die Illokution selbst

„benannt“: "Ich möchte Sie bitten, dass <Proposition>…“

Bestimmte Sprechakttypen sind nur direkt ausführbar.

b. Indirekter Sprechakt: Bei ihnen ist die Illokution nur konventionell zugeordnet.„Haben Sie eine Uhr?“ (und wenn ja, fordere ich Sie auf, mir die Zeit dieser

Uhr zu sagen)

Fast alle Sprechakte in realistischen Situationen sind indirektFast alle Sprechakte in realistischen Situationen sind indirekt

Unterdrücktes Performativ

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Typen von Sprechakten - 1 -

Repräsentative Sprechakte (Repräsentativa)• Beispiel: "Das ist falsch!"• Verben: behaupten, feststellen, beschreiben• Sprache-Welt-Anpassung: Sprache an Welt anpassen

Direktive Sprechakte (Direktiva)• Beispiel: "Ist es nicht besser,zu schweigen?"• Verben: befehlen, auffordern, erlauben, raten• Sprache-Welt-Beziehung: Welt an Sprache anpassen

Kommissive Sprechakte (Kommissiva)• Beispiel: "Mach das noch einmal!"• Verben: versprechen, ankündigen, drohen• Sprache-Welt-Beziehung: Welt an Sprache anpassen

Satztypen (Aussagesatz, Fragesatz, Ausrufsatz, etc.) und Illokutionen haben keinen „natürlichen“ Zusammenhang

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Sprechakttypen - 2 -

Expressive Sprechakte (Expressiva)• Beispiel: "Da bin ich aber erleichtert!"• Verben: danken, gratulieren, sich entschuldigen• Sprache-Welt-Beziehung: Welt an Sprache anpassen(?)

Deklarative Sprechakte (Deklarativa)• Beispiel: "Ich kündige hiermit fristlos!"• Verben: heiraten, kündigen, taufen• Sprache-Welt-Beziehung: Die Übereinstimmung zwischen

Proposition und Welt ist mit der Illokution bereits hergestellt• Anmerkung: Dieser Sprechakttyp kann nur direkt geäußert

werden.

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Folgerung

Prüfen Sie jede Frage/Antwort auf Eindeutigkeit des Sprechaktes. Die Oberflächenform des Satzes ist kein Indikator. Ein Aussagesatz kann eigentlich eine Aufforderung sein und ein Fragesatz eine Befehl.

Versuchen Sie, nur direkte Sprechakte zu erzeugenSy: “Wenn Sie jetzt die Einschreibung noch einmal mit “ja” bestätigen, stimmen Sie einer Abbuchung von 500 Euro zu.” stattSy: “Gut, wir haben jetzt 500 Euro abgebucht.”

Sy: “Sie müssen jetzt eine bindende Zusage abgeben, dass Sie ...” stattSy:” Wollen Sie ...”

Da Sprechakte soziale Konventionen sind, keine sprachlichen Regeln, müssen Illokutionen immer explizit gemacht werden: Sy: “Sie haben hiermit die Verpflichtung übernommen, …”

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Erfolgsbedingungen von Sprechakten -

Ein Sprechakt kann nur gelingen unter

• normalen Kommunikationsbedingungen (z.B. kein ohrenbetäubender Lärm)• der Propositionalen Bedingung: Ein Sprecher muss mit dem Sprechakt eine

Proposition verbinden.Beispiel: Eine Behauptung muss etwas (eine Proposition) behaupten

• Einleitungsbedingungen: Der Aufgeforderte muss das Geforderte nicht bereits getan haben, er muss in der Lage sein es zu tun, etc.

• Aufrichtigkeitsbedingung: Der Sprecher muss den Sprechakt wollen• Der Sprecher muss die Perlokutionen auch einhalten wollen• Die Äußerung muss (besonders bei indirekten Sprechakten) konventionell

den Vollzug der Illokution bedeuten

(nach Searle 1969)

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Folgerung

Propositionalen Bedingung: Keine Aufforderungen ohne klare Proposition:

Sy: “Bitte wählen Sie jetzt ihr Praktikum aus!” statt

Sy: “Bitte sprechen Sie jetzt!”

Einleitungsbedingung: • Bei Überbeantwortungen des Benutzers nicht das bereits Gesagte erneut

abfragen• Durchführbarkeit einer Aktion durch den Benutzer unter allen denkbaren

Randbedingungen überprüfen!

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Die Grice´schen Maximen für erfolgreiche Kommunikation

• Die Maxime der QuantitätMache Deinen Beitrag so informativ wie erforderlich!Mache Deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich!

• Maxime der QualitätVersuche Deinen Beitrag zu einem wahren zu machen!Sage nichts, von dem Du glaubst, es sei falsch!Sage nichts, für das Dir eine angemessene Evidenz fehlt!

• Die Maxime der Beziehung:Sei im Gesprächsverlauf relevant!

• Die Maxime der Art und Weise:Sei klar und deutlich, Vermeide Vagheit des Ausdrucks!Vermeide Mehrdeutigkeit!Sei kurz!Sei folgerichtig!

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Bedeutung der Konversationsmaximen

Sie sind nicht als moralischer Appell oder stilistische Vorschrift zu verstehen sondern

• als normative Regeln des ungestörten Gesprächs,• beschreiben die Annahmen von Sprechern und Hörern über

normale Kommunikation,• helfen Konversationsprobleme zu entdecken,• helfen Konversationsprobleme zu vermeiden.

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Folgerungen

Quantität: - Überinformativität ist sprecherabhängig. Keine überinformativen Fragen stellen (Sy: “Was wollen Sie wann in welcher Universität studieren?”),- aber mit Überinformativität des Antwortenden rechnen (Us:“Ich

möchte Informatik im 5. Semester in Hamburg fortsetzen”).Qualität: - Nicht mit Fangfragen rechnen (Us: ”Ich möchte Informatik in Klein-

Kleckersdorf studieren”), - keine Antworten geben, die der Fragende erst verifizieren muß (Sy:“dem wird der Prüfungsausschuss wohl zustimmen”).

Beziehung: - Topikwechsel mitmachen (Sy: “Das ist eine weitere Frage, Sie können dafür einen Antrag an den Prüfungsausschuss stellen”), - Kohärente Fragen stellen (Sy: “Wollen Sie diesen Studiengang in Hamburg studieren?”, - Kohärente Antworten geben “damit gehen Sie dann zum

Einwohnermeldeamt”).Art und Weise: - Keine unklaren Fragen stellen (Sy: “Möchten Sie einen schweren

Studiengang wählen?”) oder - unklare Antworten geben (Sy: “Das ist wichtig für Examina”)- Klare Reihenfolge der Fragen/Antworten aus der Sicht des Benutzers

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Literatur

Th. Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch. 5. Aufl Heidelberg.1990

Lexikon der Germanistischen Linguistik. 2. Aufl. Tübingen 1980

Sh. Kameyama, Verständnissicherndes Handeln. Münster 2004