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Thema Im Alltagssprachgebrauch ist, wenn von Thema die Rede ist, meist nicht nur gemeint, worum es geht, sondern auch was über den zentralen Gegenstand der Kommunikation ausgesagt wird. Insofern liegen Thema und Inhalt, zumindest in Form von Grund- oder Leitgedanken über den Gegenstand, in der Alltagssprache nicht weit auseinander. Unter textlinguistischer Perspektive kann und wird dagegen beides in zahlreichen Ansätzen deutlich unterschieden. Wenn man sich bei der Definition des Begriffes Thema an diesem Alltagsprachgebrauch orientiert, kann man den Begriff Thema als den "Kern des Textinhalts" (Brinker 1985/2001 , S. 56, Hervorh. d. Verf.) ansehen. Dabei bezeichnet der Begriff Textinhalt "den auf einen oder mehrere Gegenstände (d. h. Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Vorstellungen usw.) bezogenen Gedankengang eines Textes." (ebd., S.56) Wo steckt eigentlich und wie findet man das Textthema? Was jemand für das Thema eines Textes hält und dann gegebenenfalls mit anderen im Gespräch zum Thema macht, kann grundverschieden sein. Denn das Textthema ist weder eine objektive Größe, noch besitzt es eine bestimmte Gestalt. Und selbst unter textlinguistischer Betrachtung ist der Begriff - wie auch der Begriff der thematischen Entfaltung - nur eine Analysekategorie. Sie geht von der "Annahme aus, dass Texte einen thematischen Kern, ein Thema haben, das nach bestimmten (letztlich wohl kommunikativ gesteuerten) Prinzipien zum Gesamtinhalt des Textes entfaltet wird." (Brinker 1985/2001 , S. 55) 1

Linguistische Textanalyse (Dilbilim Calismalari)

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Doc. Dr. Canan Senöz-Ayata 2010/2011 Ders Notlari

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Page 1: Linguistische Textanalyse (Dilbilim Calismalari)

ThemaIm Alltagssprachgebrauch ist, wenn von Thema die Rede ist, meist nicht nur gemeint, worum es geht, sondern auch was über den zentralen Gegenstand der Kommunikation ausgesagt wird. Insofern liegen Thema und Inhalt, zumindest in Form von Grund- oder Leitgedanken über den Gegenstand, in der Alltagssprache nicht weit auseinander. Unter textlinguistischer Perspektive kann und wird dagegen beides in zahlreichen Ansätzen deutlich unterschieden.

Wenn man sich bei der Definition des Begriffes Thema an diesem Alltagsprachgebrauch orientiert, kann man den Begriff Thema als den "Kern des Textinhalts" (Brinker 1985/2001, S. 56, Hervorh. d. Verf.) ansehen. Dabei bezeichnet der Begriff Textinhalt "den auf einen oder mehrere Gegenstände (d. h. Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Vorstellungen usw.) bezogenen Gedankengang eines Textes." (ebd., S.56)

Wo steckt eigentlich und wie findet man das Textthema?

Was jemand für das Thema eines Textes hält und dann gegebenenfalls mit anderen im Gespräch zum Thema macht, kann grundverschieden sein. Denn das Textthema ist weder eine objektive Größe, noch besitzt es eine bestimmte Gestalt. Und selbst unter textlinguistischer Betrachtung ist der Begriff - wie auch der Begriff der thematischen Entfaltung - nur eine Analysekategorie. Sie geht von der "Annahme aus, dass Texte einen thematischen Kern, ein Thema haben, das nach bestimmten (letztlich wohl kommunikativ gesteuerten) Prinzipien zum Gesamtinhalt des Textes entfaltet wird." (Brinker 1985/2001, S. 55)

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Haupt- und NebenthemenDie Frage, was das Thema eines Textes ist, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Denn im Allgemeinen befasst sich ein Text mit mehr als einem Thema oder berührt verschiedene Themen.

Ein Text enthält also eine ganze Reihe von Themen. Doch diese Themen sind für sowohl für den Verfasser des Textes als auch den Leser des Textes nicht gleich wichtig. Sie besitzen daher eine unterschiedliche thematische Relevanz. Aus dieser unterschiedlichen Relevanz der einzelnen Themen eines Textes lässt sich eine Rangordnung (Hierarchie) ermitteln. In dieser Themenhierarchie gibt es ein- oder auch mehrere Hauptthemen und Nebenthemen.

Um herauszufinden, welche Themen Haupt- oder Nebenthemen sind, kann man nach Brinker (1985/2001, S. 57) neben den impliziten und expliziten Formen der Wiederaufnahme, zwei Prinzipien heranziehen:

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Das Thema bestimmenUm das Thema bzw. die Themenhierarchie (Hauptthema bzw. Hauptthemen und Unterthemen) in einem Text zu bestimmen, hat man gerade auch in derTextlinguistik verschiedene Ansätze verfolgt. So hat man hat verschiedentlich versucht, die Bestimmung des Textthemas streng zu operationalisieren, d. h. bestimmte Verfahren festzulegen, mit denen das Thema eines Textes zweifelsfrei ermittelt werden könne. Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass das, was ein Rezipient eines Textes für dessen Thema hält, sehr unterschiedlich ausfallen kann. Und dies ist wiederum von vielfältigen Faktoren abhängig.

Die Bestimmung des Themas eines Textes erfolgt im Rahmen eines Rezeptionsprozesses, der den Leser von seinem Vorverständnis zu seinem Gesamtverständnis des Textes führt. Was dabei passiert, ist ein konstruktiver und interpretativer Vorgang, der vor allem auch die vermuteten Textintentionen umfasst. Es gibt also kein einfaches Schema und auch keine simple Prozedur, mit der man zielgenau auf das einzig richtig formulierte Thema eines Textes zusteuern könnte. Dies gelingt auch deshalb nicht, weil ein Text meist mehrere Themen behandelt oder berührt, die vom Autor und dem Leser in eine, durchaus auch unterschiedliche, Rangfolge gebracht werden können. ( Haupt- und Nebenthemen)

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Prinzipien und Verfahren zur Themenanalyse

Das Textthema stellt nach Brinker 1985/2001 "die größtmögliche Kurzfassung des Textinhalts" dar. (ebd., S. 56, Hervorh. d. Verf.). Um zu ermitteln, was ein Leser für das Hauptthema eines Textes hält, kann man drei Verfahren anwenden:

1. Man kann untersuchen, ob das Thema eines Textes an einer bestimmten Textstelle, in einem bestimmten Textsegment, mehr oder weniger explizit genannt wird. Dies sind häufig Überschriften, können aber auch Sätze sein, die an irgendeiner anderen Stelle des Textes stehen.

2. Ist dies nicht der Fall kann man den Text zusammenfassend und zugleich verkürzendparaphrasieren. Was am Ende als "Kern des Textinhalts" (Brinker, ebd.) übrig bleibt, lässt sich dann als Thema auffassen.

3. Schließlich kann man die Grammatik zu Hilfe nehmen und die verschiedenen Formen der Wiederaufnahme untersuchen, um festzustellen, was Thema ist bzw. welches Thema Haupt- und welche Themen eher Nebenthemen darstellen.

» Haupt- und Nebenthemen

Auf ein Textbeispiel angewendet lassen sich die von Brinker 1985/2001 ausgeführten Prinzipien und Verfahren für eine textthematische Analyse wie folgt zusammenfassend darstellen:

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Das Thema bestimmenZimmer ausgebrannt

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Aachener Nachrichten, 17.2.1973

Aachen. – Gegen 15 Uhr wurde die Aachener Berufsfeuerwehr alarmiert. Sie rückte in die Thomashofstraße ein, wo es in einer Wohnung brannte. Die Feuerwehrleute löschten mit drei C-Rohren. Oberbrandrat Starke war ebenfalls am Einsatzort. Zwei Zimmer brannten vollkommen aus. Drei weitere wurden in Mitleidenschaft gezogen. Die Ursache des Brandes ist noch nicht bekannt. Die Kripo hat sich inzwischen eingeschaltet. Die Feuerwehrleute mussten aus einem oberen Geschoss ein Kleinkind retten. Während des Brandes befand sich niemand in der heimgesuchten Wohnung.

(aus: Aachener Nachrichten 17.2.1973, vgl. Brinker 1997, S.58)

Arbeitsanregungen:1. Fassen Sie unter Berücksichtigung der von Ihnen vermuteten Intentionen des Verfassers Ihr

Gesamtverständnis des Textes knapp zusammen, wie es sich nach der erstmaligen Lektüre ergeben hat.

2. Arbeiten Sie das Hauptthema / die Hauptthemen des Textes heraus.o Stellen Sie dazu fest, welche inhaltlichen Gesichtspunkte im Zentrum des Textes

stehen.o Belegen Sie Ihre Behauptungen durch die Formen expliziter und impliziter

Wiederaufnahme im Text.

Das Textthema der Zeitungsnachricht »Zimmer ausgebrannt« aus den Aachener Nachrichten kann unter Berücksichtigung der Wiederaufnahmestrukturen wie folgt bestimmt werden.

Am häufigsten werden die beiden Ausdrücke (Lexeme) »Feuerwehr« und  »Wohnung« wieder aufgenommen. Sie sind daher die

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wichtigsten Textgegenstände(Referenzträger) des Textes. Die thematische Progression der beiden wichtigsten Textgegenstände folgt vor und nach der Unterbrechung durch die Segmente (7) und (8) (=Teil 3) dem Prinzip des Nebeneinander.

 Die Bestimmung des Hauptthemas nach dem Ableitbarkeitsprinzip

Die beiden Themen des Textes sind unter diesem Aspekt also der »Feuerwehreinsatz« und der »Wohnungsbrand«. Die weitere Untersuchung gilt der Frage, welches der beiden Themen das Hauptthema des Textes darstellt.

Beurteilt man nun diese beiden Hauptthemen danach, inwieweit sie sämtliche Gedanken (Propositionen) des Textes umfassen (subsumieren) können, dann zeigt sich, dass dafür allein das Thema »Wohnungsbrand« in Frage kommt (Ableitbarkeitsprinzip).

In einem weiteren Schritt kann nun ermittelt werden, inwiefern die so ermittelten Hauptthemen des Textes mit der kommunikativen Textfunktion (der vermuteten Textintention) kompatibel sind. Im vorliegenden Beispiel sind die beiden Hauptthemen mit der informativen Textfunktion vereinbar: der Rezipient soll über ein bestimmtes, in der Vergangenheit liegendes Ereignis informiert werden.

Will man darüber hinaus noch textsortenspezifische Merkmale zur Themenformulierung heranziehen, dann gehören bei der journalistischen Darstellungsform Nachricht die Merkmalskombination "bestimmtes, räumlich und zeitlich fixiertes Ereignis" (vgl. Brinker 1997, S.47) in die Themenformulierung mit hinein.

Das Thema

Nominalstil Verbalstil

Der Wohnungsbrand am 17.2.1973 gegen 15 Uhr in der Thomashofstraße Aachen

Am 17.2.1973 kam es gegen 15 Uhr zu einem Wohnungsbrand in der Thomashofstraße in Aachen.

Thematische Entfaltung

Die Analyse der thematischen Entfaltung stellt neben der Bestimmung des Textthemas den zweiten wichtigen Aspekt der  textthematischen Analyse  dar.  wird dabei mit dem Der Begriff thematische Entfaltung bezeichnet die Art und Weise, wie ein Thema gedanklich ausgeführt wird.Die thematische Entfaltung hängt von verschiedenen Bedingungsfaktoren ab, die in jeweils besonderer Weise zusammenwirken. Ihre Grundformen entwickeln jeweils ein typisches Verhältnis zwischen Textinhalt und Textthema, das in der

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zweischrittigen Analyse der thematischen Entfaltung berücksichtigt werden muss. 

Deskriptive Themenentfaltung Narrative Themenentfaltung

Explikative Themenentfaltung Argumentative Themenentfaltung

Die Grundformen thematischer Entfaltung werden in einer Sprachgemeinschaft durch Konvention geregelt. Sie gehören zum Alltagswissen der Sprachteilnehmer, die über die jeweils besonderen semantisch-thematischen Kategorien bzw. die Verbindungen von Kategorien miteinander verfügen.

Dominanz einer Grundform in Texten

In Texten kommen die verschiedenen Grundformen thematischer Entfaltung in unterschiedlicher Ausprägung und Kombination miteinander vor. Daher findet man wohl selten einen Text, der ein Thema einzig und allein in einer bestimmten Form entfaltet. Mischformen und vielfältige Kombinationen sind daher weit verbreitet. Und dennoch kann man davon ausgehen, dass eine Grundform für die thematische Entfaltung besonders wichtig ist und damit in gewissem Sinne die anderen dominiert. Daher spricht man bei der textthematischen Analyse am besten "von einer primär deskriptiven, narrativen, explikativen oder argumentativen Textstruktur." (Brinker 1997, S.64)

Deskriptive ThemenentfaltungDas Thema aufgegliedert in seine Einzelkomponenten (Teilthemen) und eingeordnet in einen raum-zeitlichen Zusammenhang – das ist der Kern der deskriptiven Themenentfaltung.Ausprägung

enTextsorten Thematisch

er Textaufbau

 

Sprachliche Merkmale

Thematische Kategorien

Einmaliger Vorgang, historisches Ereignis

Ereignisbericht(Nachricht, Bericht)

orientiert am zeitlichen Ablauf des Geschehens

Vergangenheits-tempora, Temporal- und Lokalbestim-mungen 

Spezifizierung(Aufgliederung), 

Situierung(Einordnung)

Regelhaft dargestellter Vorgang

Vorgangs-beschreibung   (Bedienungs-, Spielanleitung, Gebrauchsan-weisung, Arbeitsbeschrei-bungen)

übersichtlich und knapp in ihrem zeitlichen Nacheinander

Dominanz von Handlungsverben, Infinitiv in absolutem Gebrauch oder Vorgangspassiv, Wegfall des Artikels,insgesamt: einfach, knapp, ökonomisch  

Lebewesen oderGegenstand

Gegenstands-beschreibung, Perso nen-beschreibung

Teil-Ganzes- oder Enthaltenseins-Relation,

Durchgehende explizite und implizite Wiederaufnah-

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Merkmale mit ihren wesentlichen Bestandteilen 

mestrukturen

In folgenden Textsorten erfolgt die Themenentfaltung vorwiegend deskriptiv: (vgl. Textsortenklassifikation)

Informative Texte: Nachricht, Bericht, Lexikonartikel, ...; Instruktive Texte: Bedienungsanleitung, Spielanleitung, Gebrauchsanweisung, Kochrezept

…; Normative Texte: Gesetz, Vertrag, Vereinbarung, Testament …

Die Entfaltung eines Themas erfolgt für einen gesamten Text natürlich selten ausschließlich nach einem Muster. Daher können auch in anderen Textsorten Teile / Teilthemen enthalten sein, die ein Thema deskriptiv entfalten. Dies trifft z. B. für appellative Texte wie politische Kommentare zu. Darin stellen Teile, die das Thema deskriptiv entfalten, häufig erst die Informationen bereit, auf die sich dieArgumentation zum Thema anschließend bezieht.

Explikative Themenentfaltung

Die explikative Themenentfaltung lässt sich mit dem so genannten H-O-Schema, benannt nach C. G. Hempel und P. Oppenheim, darstellen. Allerdings muss eingeräumt werden, dass das Schema in konkreten Texten "häufig nur implizit (und unvollständig) realisiert ist (vor allem in Alltagstexten, aber auch in manchen wissenschaftlichen Texten)." (Brinker 1997, S.71) Mischformen sind daher durchaus üblich, wobei die explikative Themenentfaltung im Kontext mit anderen Grundformen eine unterschiedliche Rolle spielen kann. Ob sie sich einer anderen Grundform im Text im Ganzen unter- oder überordnet oder sich dazu gleichrangig verhält, muss im Einzelfall entschieden werden.

Generell liegt aber dann eine explikative Entfaltung des Themas oder ein primär explikativ gestalteter Text (Erklärungstext) vor, "wenn die Einteilung in einExplanandum (das, was erklärt werden soll) und Explanans (das, was erklärend ist, d. h. die Erklärung) erkennbar (bzw. rekonstruierbar) ist." (Brinker 1997, S.71, Hervorh. d. Verf.)

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Die explikative Themenentfaltung, die häufig in Verbindung mit der argumentativen und deskriptiven Themenentfaltung vorkommt, weist die folgenden Merkmale auf.

Ausprägungen Textsorten Thematischer Textaufbau

 

Sprachliche Merkmale

Thematische Kategorien

Sachverhalte(Ereignisse, Vorgänge, Handlungen ...), die meist kausal erklärt werden

In Textsorten, die auf Wissenser-weiterung zielen besonders häufig(z. B. Lehrbuch, wissenschaft-liche oder populärwissen-schaftliche Texte)

zwei Teile: Explanans und Explanandum, welches das Textthema repräsentiert.

Gewisse Dominanz von Konjunktionen, Adverbien und Präpositionen), die Kausalbezie-hungen (Ursache, Grund, Bedingung, Folge) anzeigen: weil, denn, deshalb, darum; folglich, wegen …) 

Erklärung: Einteilung des Textes in einExplanandum (= das, was erklärt werden soll) und ein Explanans (= die Erklärung bzw. das, was erklärt werden soll)

Schema zur AnalyseMan kann die Erklärung eines Sachverhaltes in folgender Art und Weise schematisch darstellen:

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Beispiel:

Wegen der plötzlichen Eisglätte auf den Straßen ist es am frühen Montagmorgen zu zahlreichen Unfällen auf Deutschlands Straßen gekommen. Viele Autofahrer wurden offensichtlich von dem Kälteeinbruch überrascht und zahlreiche Autos, die in die Unfälle verwickelt waren, hatten noch keine Winterbereifung. Dazu erreichten die Streufahrzeuge wegen des morgendlichen Berufsverkehrs und der zahlreichen unfallbedingten Staus nur sehr mühsam und zum Teil sehr verspätet ihren Einsatzort. Zu der Blitzeisbildung war es gekommen, weil Regen auf den noch durch und durch gefrorenen Boden gefallen war.

Schematische Analyse:

A1 Kälteeinbruch hat am Montag zu plötzlicher Eisglätte auf den Straßen geführt.

A2 Viele Autos waren ohne Winterbereifung.

A3 Die Streufahrzeuge erreichten nur schwer und verspätet ihre Einsatzorte.

G1 Regen auf gefrorenem Boden erzeugt "Blitzeis".

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E Es gab zahlreiche Unfälle auf Deutschlands Straßen.

Der vorstehende Text ist als Nachricht verfasst und legt somit nahe, den Text als Ereignisbericht mit informativer Funktion aufzufassen. Dementsprechend wäre ihm eine deskriptive Themenentfaltung zuzuschreiben. In der Tat berichtet er über Ereignisse auf Deutschlands Straßen nach einem überraschenden Kälteeinbruch. Betrachtet man den Text allerdings etwas genauer, wird sichtbar, dass der Text aber auch Zusammenhänge erklärt.

Erklärt wird vor allem, warum es zu der großen Zahl von Unfällen gekommen ist. Erklärt wird aber auch, warum die Streufahrzeuge nur mühsam und zum Teil verspätet

ihren Einsatzort erreichen konnten. (Dieser Erklärungszusammenhang ist im obigen Schema nicht berücksichtigt.)

Für den vorstehenden Text, der nach dem Kompatibilitätsprinzip, also der Zuordnung zu einer bestimmten Textsorte, als Zeitungsnachricht unter den Textklasse Bericht fällt, lassen sich

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demnach implizit explikative Strukturen nachweisen. Im vorliegenden Fall ließe sich daher trotz der Kompatibilitätsprüfung von einer dem Text zugrunde liegenden primär explikativen Textstruktur und insgesamt von einer Mischform sprechen.

Argumentative ThemenentfaltungDie argumentative Themenentfaltung lässt sich ausgehend vom Argumentationsmodell Stephen Toulmins (1958, dt. 1975/1996) darstellen. (vgl. Brinker 1997, S.74-82) 

Eine strittige These/Schlussfolgerung wird durch Argumente begründet. Der Begründungsvorgang bzw. die Schlussfolgerung wird durch eine allgemein gehaltene Schlussregel ermöglicht, deren Relevanz für gleichartige Argumentationsgegenstände und für die vorliegende Argumentation gestützt wird. Um denWahrscheinlichkeitsgrad oder Geltungsanspruch einer Schlussfolgerung zu gewichten, kann man die Aussage mit Operatoren modifizieren. Um die Anfechtbarkeit der implizierten Schlussregel zu vermindern, können im Rahmen der Argumentation Ausnahmebedingungen formuliert werden.

Da Toulmin jedoch sein Modell nur auf  einzelne Sätze angewendet hat, kann es nicht ohne Weiteres für die Analyse ganzer Texte eingesetzt werden. In seinem Modell der argumentativen Themenentfaltung ergänzt Klaus Brinker (1997 das Modell noch um die Kategorien Einbettung und Wertbasis.

Einbettung

So hat Klaus Brinker (1997, S.76ff.) bei seiner exemplarischen Analyse von (politischen) Kommentaren festgestellt, dass es in einem überwiegend argumentativ verfahrenden Text auch Aussagen (Propositionen) gibt, die eine "These in einen größeren historisch-politischen Zusammenhang einordnen." (ebd. S. 80) Diese Aussagen versteht er demzufolge als eine thematische Kategorie und bezeichnet sie mit dem Begriff Einbettung.

Die Einbettung

schafft die Informationsgrundlage und vermittelt damit zwischen Bericht und Kommentar

ordnet These und Argumente in einen bestimmten Kontext ein

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kann den Argumentationsbereich eines Textes einschränken und kann damit auch in gewisser Hinsicht die Argumentation stützen

WertbasisFür die argumentative Themenentfaltung in (politischen) Kommentaren ist dazu eine bestimmte Wertbasis konstitutiv. Ihre wertorientierten Vorstellungen und Konzepte glaubt der Verfasser (Emittent) mit seinen Lesern (Adressaten) zu teilen oder er unterstellt dies einfach. Allerdings wird die Wertbasis meist nicht ausdrücklich formuliert, sondern ist nur implizit vorhanden. (vgl. Brinker 1997, S.80ff.)

Die argumentative Themenentfaltung besitzt u. a. die folgenden Merkmale: 

Ausprägungen

Textsorten Thematischer Textaufbau

Sprachliche Merkmale

Thematische Kategorien

 Behauptungen über etwas Strittiges werden begründet

Appellative Texte (z. B.politische Kommentare, …),aber auch in normativen Texten (z. B. Gerichtsent-scheidungen) und in bestimmten informativen Texten (z. B. wissenschaftliche Abhandlungen, Rezensionen) 

Zusammenhangvon Einbettung, These, Argumenten, Schlussregel, Stützung der Schlussregel, Operatoren, Ausnahmebe-dingungen und Wertbasis ohne schematische Reihenfolge

Prinzip der Subordination bei den Satzkonstruktio-nen dominiert (Haupt-Gliedsatz-Konstruktion); vorwiegend kausale, konditionale, konsekutive und adversative Formen der Satzverknüpfung

 

Einbettung(=Situierung von These und Argumenten),These, Argument, Schlussregel, Stützung, Modaloperato-ren, Ausnahmebe-dingung, Wertbasis

Leitende Hauptthese als Textthema

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in argumentativ verfahrenden Texten, das Textthema am besten durch die Hauptthese (leitende These) des jeweiligen Verfassers repräsentiert wird. (vgl. Brinker 1997, S.60) Dieses Textthema wird am besten in Form eines Aussagesatzes (mit Referenz- und Prädikationsteil) formuliert.

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