66
Lyrikmappe Romantik und Expressionismus Annalena Kill Carl Friedrich von Weizsäcker-Gymnasium Ratingen Karl-Mücher-Weg 2 40878 Ratingen Deutsch GK Q2 2014/2015 Herr Weigandt Abgabe Datum: 09.03.2015

Lyrikmappe Romantik und Expressionismus · Romantik ca.1795-1840 Die Bezeichnung „Romantik“ stammt aus dem Französischen „romant“ was „zurückführen“ bedeutet

Embed Size (px)

Citation preview

Lyrikmappe

Romantik und Expressionismus

Annalena Kill

Carl Friedrich von Weizsäcker-Gymnasium Ratingen Karl-Mücher-Weg 2

40878 Ratingen Deutsch GK Q2 2014/2015

Herr Weigandt

Abgabe Datum: 09.03.2015

2

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.......................................................................................................4 2. Romantik ca.1795-1840............................................................................4

a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund....................................4 b. Weltbild und Lebensauffassung..................................................5 c. Literarische Epoche der Romantik............................................6

i. Frühromantik.........................................................................6 ii. Hochromantik.........................................................................9

iii. Spätromantik.........................................................................10 d. Allgemeine literarische Motive und Themen........................10 e. Autoren und Werke.........................................................................14

i. Karoline von Günderrode..................................................14 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine

Klage (1804) ..............................................................16 ii. Clemens Brentano ...............................................................17

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Spinnerin Nachtlied (1802) ...................................19

iii. Joseph von Eichendorff..................................................... 19 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das

zerbrochene Ringlein (1813).................................21 f. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff....21 g. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein...........................26

3. Expressionismus ca. 1910-1925...........................................................30 a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund..................................30 b. Weltbild und Lebensauffassung.................................................32 c. Literatur..............................................................................................33 d. Erörterung: Expressionismus Heute........................................37 e. Autoren und Werke........................................................................40

i. Elisabeth Lasker-Schüler...................................................40 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues

Klavier (1941) ............................................................42 ii. Georg Trakl.............................................................................43

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek (1914) ...........................................................................44

iii. Georg Heym............................................................................45 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der

Stadt (1910) ..............................................................46 f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym......................47 g. Standbilder .......................................................................................54

i. Apokalypse.............................................................................55 ii. Ich-Zerfall/Deformation.....................................................56

3

h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke.............................................................................57

i. Comic........................................................................................57 ii. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke..........57

i. Ophelia – Schönheit und Tod: Die Ästhetik des Hässlichen. ........................................................................................60

4. Fazit.................................................................................................................64

Literaturverzeichnis.............................................................................................65

4

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den literarischen Epochen der Romantik und des

Expressionismus, ihren Merkmalen sowie ihren Vertretern. Ich habe dabei versucht

einen kreativen Ansatz zu einem doch sehr theoretischen Thema zu finden, um

schwierige Sachverhalte einfacher darstellen zu können. Des Weiteren war es für mich

wichtig mein Verständnis für die Lyrik zu erweitern und das Verfassen von eigenen

Gedichten selbst einmal auszuprobieren.

Außerdem stellten sich mir Fragen, für die ich in der folgenden Arbeit Antworten

herausarbeiten möchte:

Was macht die Epoche der Romantik aus und wer sind ihre

Hauptvertreter?

Warum sind viele Gedichte des Expressionismus so düster?

Sind die Themen dieser Epochen heute noch aktuell?

2. Romantik ca.1795-1840

Die Bezeichnung „Romantik“ stammt aus dem Französischen „romant“ was

„zurückführen“ bedeutet. Das Adjektiv „romantisch“ bedeutet dabei so viel wie

„fantasievoll“ oder „ wunderbar“. Daraus lässt sich auch auf den Inhalt vieler

Schriftstücke dieser Epoche schließen, welche sich vor allem mit traumhaften,

verschönerten Realitäten beschäftigen.1

a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund

Die Romantik als gesamteuropäische Bewegung ist zeitlich schwer abzugrenzen, da sie

unterschiedliche Anfangs- und Endpunkte in jeder Nation besitzt. Die französische

Revolution 1789 und die darauffolgenden napoleonischen Kriege waren

ausschlaggebend für die Entwicklung dieser Epoche. Napoleon schaffte es bis 1815

unter anderem eine Reihe deutscher Mittelstaaten unter seine Führung zu bringen und

vor allem mit dem Code Napoleón politische und soziale Strukturen in Deutschland zu

modernisieren. Die Einführung des Code Napoleón oder auch Code Civil führte zu einer

1 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 222.

5

spürbaren Liberalisierung der Lebensverhältnisse, sodass das revolutionäre

Gesamtkonzept im Ganzen als fortschrittlich angesehen wurde.2 Dies bedeutete konkret

eine Umgestaltung des Staats- und Verwaltungsapparats, die kommunale

Selbstverwaltung der Armee und des Bildungssystem, sowie Mitspracherecht für die

einfachen Bürger, Gewerbefreiheit und die Befreiung der Bauern von ihren Pflichten

hinsichtlich der Abgaben an die Fürsten.3 Mit der Niederlage Napoleons in Waterloo

1814, begann in Deutschland die Zeit der Restauration. Auf dem Wiener Kongress

1814/1815 wurde Klemens Fürst von Metternich, auch österreichischer Staatskanzler,

gestattet die vorrevolutionäre Ordnung wiederherzustellen um Europa vor weiteren

Revolutionen zu bewahren. Im Zuge dieser Politik wurde in Deutschland wieder eine

monarchisch-feudale Staatsordnung hergestellt, den Fürsten und Adeligen wurden ihre

Vorrechte über dem einfachen Volk zurückgegeben. Um diese Ordnung

aufrechtzuerhalten, wurde auch der Deutsche Bund, ein lockerer Staatenbund, dem 35

Staaten und freie Städte angehörten, gegründet. Die Fürstentümer schlossen sich

zusammen um sich vor weiteren demokratischen Bedrohungen zu schützen. Die

einfache Bürgerschaft blieb somit ohne Besserung der Situation, sowie ohne Rechte.4

b. Weltbild und Lebensauffassung

Verursacht durch den Code Napoleón und die kurzzeitige Verbesserung und

Liberalisierung der Lebensverhältnisse erwarteten die einfachen Bürger eine Art

dauerhaften sozialen Aufstieg, welcher durch die restaurative postnapoleonische Politik

enttäuscht wurde. Im einfachen Volk herrschte daher eine Ablehnung gegen die Fürsten.

Verschiedene Studentenbewegungen und Burschenschaften äußerten im Zuge des

Vormärz ihren Unmut über die politische und gesellschaftliche Situation, so zum

Beispiel auf dem Wartburgfest 1817, wo hunderte von Studenten reaktionäre Schriften

ins Feuer warfen und verbrannten. Nachdem die Einschränkungen für die Opposition

der restaurativen Politik immer größer wurden, wie auch in den Karlsbader Beschlüssen

1819 festgehalten wurde, vergrößerte sich der Unmut bei den Studenten stetig. Diese

2 Freund, Winfried. Schnellkurs. Heinrich Heine. Köln. 2005. Seite 16. 3 Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011. Seite 378. 4 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 17-23.

6

Unzufriedenheit endete letztendlich in der Märzrevolution von 1848 die Einheit und

Freiheit für alle Bürger forderte.5

Aufgrund der einschränkenden politischen Situation und der Repression durch die

Fürstentümer begann das Individuum zur Zeit der Romantik sich in bessere, schönere,

freiere Welten zu träumen, was vor allem durch die Literatur funktionierte. So lässt sich

vor allem das für die Romantik typische Motiv der unerfüllbaren Sehnsucht erklären, in

diesem Fall die Sehnsucht nach einem besseren, erfüllteren Leben. Des Weiteren spielte

die Verbundenheit zur Natur bei diesem Eskapismus ebenso eine große Rolle, da die

Natur von politischen Restriktionen ausgenommen war und man dort freien Mutes

nachdenken konnte.

c. Literarische Epoche der Romantik

Die literarische Epoche der Romantik lässt sich in drei verschiedene Zeitfenster

einteilen.

i. Frühromantik

Die Frühromantik, auch Jenaer Romantik genannt, ist die erste Phase der literarischen

Epoche der Romantik. Der Name bezieht sich auf die Universität Jena, wo viele

Schriftsteller sich, auch aufgrund der Nähe zum Zentrum der klassischen Literatur

Weimar, versammelten.6 Der Anfang der Epoche orientiert sich an einer Wanderung von

Ludwig Tieck und Heinrich Wackenroder im Jahre 1793, auf der sie das Mittelalter als

„goldene[s] Zeitalter“ entdecken, welches es wiederherzustellen galt. Zur Zeit des

Mittelalters waren Religion und Kunst, besonders der ausgeprägte Katholizismus die

wichtigsten gesellschaftlichen Attribute. In der literarischen Epoche der Romantik fand

das Motiv des Mittelalters als Ideal großen Anklang. Die Ruhelosigkeit, die sich aufgrund

des Willens nach Veränderung breit machte, wird oft durch das Motiv des Wanderns

unterstrichen.

Friedrich Schlegel und Georg Friedrich von Hardenberg sind die bekanntesten

Vorkämpfer und Vordenker der Romantik.

5 Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Seite 380. 6 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. 1999. Seite 73.

7

Georg Friedrich von Hardenberg (1772-1801), welcher seine Schrifttücke unter dem

Pseudonym „Novalis“ veröffentlichte, stellte einige grundlegende poetische Thesen auf,

wie die romantische Literatur aufgebaut sei. So zum Beispiel in seiner Veröffentlichung

Romantisieren – Fragmente zur Poetik (1789-1800):

„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem

Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die

Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein

gebe, so romantisiere ich es.“7

Das Romantisieren, die Verschönerung der Realität ist eines der Merkmale, welches sich

in jedem romantischen Gedicht wiederfindet. Die Realität wird durch verschiedenste

Metaphern, Bilder und Vergleiche dargestellt, dabei geht es auch darum der Realität zu

entfliehen – ohne die Realität zu verleugnen, stellt der romantische Dichter sich diese

schöner vor als sie ist, und gibt so den negativen Aspekten nicht die Möglichkeit an ihn

heran zu treten. Er lebt in einer Art Sphäre, aus der er die Realität anders, besser,

verschönert sieht als sie ist.

Friedrich Schlegel, ein weiterer Vordenker der Romantik, entwickelte das Prinzip der

„progressiven Universalpoesie“ unter welchem sich alle romantischen Gedichte

vereinen:

„Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen

der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie

und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie

und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald

mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und

das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz

poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff

jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des

Humors beseelen.“8

Friedrich Schlegel hatte somit ähnliche Ziele wie Novalis, er wollte Sachgegenstände

miteinander verbinden, die normalerweise als gegensätzlich oder unverbindlich

7 Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Berlin. 2009. Seite 325. 8 Ebd.

8

angenommen werden. So entstehen in der Romantik zum Beispiel Gedichte, die ganze

grammatikalisch korrekte Sätze enthalten, also Prosa und Poesie miteinander verbinden.

Dies lässt sich zum Beispiel am Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano

(1818) erkennen: Die gesamte zweite Strophe bildet ein Satzgefüge: „Ich sing[e] und

kann nicht weinen und spinne so allein den Faden klar und rein[,] solang der Mond wird

scheinen“9. Natürlich gibt es noch einige Unterschiede zwischen der Prosa und der

Poesie, aber genau diese Unterschiede machen die Verbindung der beiden Textarten so

interessant.

Des Weiteren stammt die Theorie der „romantischen Ironie“ von Friedrich Schlegel.

Diese besagt, dass das Produzierende mit dem Produkt dargestellt werden soll, wobei

sich außerdem die Vorgänge der Selbsterhaltung und der Selbstvernichtung stets

abwechseln sollen. Praktisch angewendet hat diese Theorie Ludwig Tieck in seinem

Stück Der gestiefelte Kater (1797). Der Autor verbindet verschiedene ontologische

Ebenen in diesem Stück miteinander ohne den Leser vorher darauf aufmerksam zu

machen. So gibt es in dem Stück drei verschiedene Ebenen mit verschiedenen

Charakteren. Als erstes existiert die Ebene des Märchens mit den handelnden Personen

wie zum Beispiel dem gestiefelten Kater. Dann gibt es die Ebene des Schauspiels,

Schauspieler übernehmen also vor einem Publikum die Rolle der handelnden Personen

des Märchens, haben aber gleichzeitig auch noch eigene Charaktereigenschaften. Die

dritte Ebene, die Ebene des Stücks wird dann erreicht, wenn der Ludwig Tieck als

Dichter, Schauspieler, die Schauspieler und Publikum spielen, wir als Leser existieren.

Fordert nun der Dichter den Schauspieler, der die Rolle des Besänftigers spielt, dazu auf

das Publikum zu besänftigen, so geht der Dichter nur auf die Rolle des Besänftigers, die

Ebene des Märchens ein, die der Schauspieler in diesem Moment angenommen hat. Ob

der Schauspieler mit seinen Charaktereigenschaften wirklich in der Lage ist andere

Menschen zu besänftigen ist eine andere Frage. Stellt der Autor dann aber später fest,

dass der Besänftiger, also die Märchenperson zu weit entfernt sei um zu helfen, so

vermischt dieser noch einmal die Ebenen, da ja der Schauspieler des Besänftigers,

welcher zuerst angesprochen wurde, sich direkt hinter dem Vorhang befindet und nur

die Märchenperson weit entfernt ist. Das bedeutet, Ludwig Tieck stellt in seinem Stück

Der gestiefelte Kater das Produzierende, also den Schauspieler, der zum Beispiel den

9 Ebd. Seite 329.

9

Besänftiger spielt, im Produkt dar und verwirrt durch das Vermischen der ontologischen

Ebenen das Publikum.10

ii. Hochromantik

Die Hochromantik, auch aufgrund ihres Zentrums Heidelberger Romantik genannt,

rückte das volkstümliche Element der deutschen Literatur in den Vordergrund. Es

sollten französische Einflüsse ausgeschlossen und das vaterländische, deutsche

Kulturgut wieder hervorgehoben werden. So entstanden zu dieser Zeit Sammlungen

verschiedener Volkslieder, -dichtungen und –märchen, sowie eine Reihe der Märchen

der Gebrüder Grimm (Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859)).

Repräsentativ für die Volksgut Sammlungen kann das Werk Des Knaben Wunderhorn

(1804) von Achim von Arnim und Clemens Brentano betrachtet werden, in welchem

sowohl mündlich überlieferte als auch schriftliche Dokumente und Kompositionen

verschiedenster Art zu finden sind.

Zur Zeit der Hochromantik nahm das literarische Schaffen neue Dimensionen an und

nicht nur um Heidelberg herum konzentrierten sich literarische Gruppierungen,

sondern es gab viele verschieden weitere Orte, an denen romantische Literatur

geschaffen wurde. Insgesamt beschäftigte sich die Hochromantik auch mit den Themen

Dekomposition, Wandel, Neuanfang sowie Kontinuität, die in vielen Schriftstücken stark

ineinander verflochten sind. So werden zum Beispiel französische Einflüsse abgelegt

und deutsche Einflüsse wieder hervorgehoben. Gleichzeitig werden Denkweisen aus der

Frühromantik teils übernommen, teils ebenso abgelegt.11 Die Epoche der Hochromantik

ist nur sehr schwer zu generalisieren, da an den verschiedensten Orten, die

verschiedensten Ideen entstanden um die romantische Epoche weiterzuentwickeln.

Eine Generalisierung der Merkmale würde also den Ansprüchen der Autoren nicht

gerecht werden. Es lässt sich aber dennoch sagen, dass viele Schriftsteller des Zentrum

10 Friedrisch-Schiller-Universität Jena. Philosophische Fakultät. Institut für germanistische Literaturwissenschaft. Protokoll: Christian Hanke. 11.12.2013. https://www.uni-jena.de/unijenamedia/Downloads/faculties/phil/germ_lit/Materialien/Matuschek/WS+13_14/11_12_13.pdf. Stand:08.03.2015. 11 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 49.

10

Heidelberg sich auf die oben genannte Wiederherstellung und Komposition des

deutschen Volksgutes konzentrierten.12

Joseph von Eichendorff ist einer der bekanntesten Dichter, dessen Werk sich zum Teil

auf die volkstümliche Art bezieht, aber zu anderem Teil auch verschiedenste Motive der

Romantik in seine Werke einbrachte, wie zum Beispiel das Motiv der Sehnsucht, des

Wanderns oder der Nacht.

iii. Spätromantik

Die Spätromantik, auch Schwäbische Romantik genannt, ist die wohl unbekannteste

Phase der Romantik. In dieser Phase entstanden vor allem dichterische Werke, welche

sich mit historischen Themen und Motiven befassten. Zu ihren bekanntesten Vertretern

zählen Eduard Mörike und Wilhelm Hauff. Wilhelm Hauff (1802-1827) ist zum Beispiel

mit Der kleine Muck als deutscher Märchendichter im Gedächtnis geblieben. Das Werk

Maler Nolten von Eduard Mörike (1804-1875) entstand in Anlehnung an Goethes

Bildungsroman Wilhelm Meister. Andere Werke Mörikes sind durch Elemente der

Darstellung des Dämonischen schon dem Realismus zuzuordnen.13

d. Allgemeine literarische Motive und Themen

Die Schriftsteller waren damals philosophisch ausgerichtet und ihre Literatur basierte

auf der Klassik. In der Romantik wurden Aspekte aus der Klassik, wie auch aus der Zeit

des Sturm und Drang aufgegriffen und vertieft. Dies war aus der Klassik zum Beispiel die

Grundidee, dass der Mensch seinen Verstand, sowie Gefühle, künstlerisches Empfinden,

sowie wissenschaftliches Denken benutzt, wobei all dies in einer ausgewogenen

Harmonie stattfinden sollte. In der Romantik sollten ähnlich gegensätzliche Dinge

gleichzeitig behandelt werden, die Grundidee der Klassik also vertieft werden.14 Eine

Idee des Sturm und Drang, die in der Epoche der Romantik vertieft wurde, war der

Naturenthusiasmus. So wie während des Sturm und Drang das Leben in und nach der

Natur als Lebensideal galt, so flüchten sich viele Romantiker mit ihren Gedichten in die

Idealität der Natur und versuchen ebenso eine möglichst enge Verbindung zu dieser

aufzubauen.

12 Ebd. Seite 52f.. 13 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 71-84. 14 Deutsche Klassik (1786-1832). http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm. Stand:08.03.2015.

11

Die Romantik war eine sehr vielschichtige Epoche: Die Themen variierten von tiefster

Traurigkeit und Melancholie, einer Epoche ohne echtes Ziel, auf der ewigen Suche und

getrieben von der Hoffnung des Findens bis hin zu einer ironischen, helleren Seite der

Romantik. Aus der melancholischen Seite entwickelten sich vor allem Motive wie die

Sehnsucht, die Unterschiede zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und

Gegenwart, die sich miteinander verbinden sollten, während sich aus der helleren Seite

zum Beispiel die romantische Ironie oder unbeschwerte Volkslieder entwickelten.15

Die Beschäftigung mit sich selbst und seinem Inneren, sowie das Ausschmücken fiktiver

Vorstellungen durch märchenhafte Verhältnisse und die idyllischen Bilder der Natur

waren großer Bestandteil der romantischen Epoche. Dies beruht darauf, dass die

gesellschaftliche Struktur die Menschen soweit einschränkte und in ihren Hoffnungen

enttäuscht hatte, dass die Literatur einen Ort der Freiheit für sie darstellte. Der

Eskapismus aus der Realität ist Hauptmotiv in der Epoche der Romantik. Der einfache

Bürger träumte sich auf der Suche nach den Wurzeln der deutschen Geschichte und

einer geregelten Ordnung und Kultur zurück in die als ideal angesehene Welt des

Mittelalters.16

Aus diesen Träumen entwickelte sich ein großes Motiv der Romantik: Die Sehnsucht. Die

Sehnsucht in der Romantik hatte meist kein benennbares Motiv und wenn doch so

bezog sie sich auf etwas Unerreichbares, Fernes oder nicht Existentes – die romantische

Sehnsucht war also unerfüllbar. Aus diesem Sehnsuchtsmotiv ergibt sich weiterführend

das Motiv der ewigen Suche. Da die romantische Sehnsucht unerfüllbar ist, hat das

lyrische Ich in vielen Gedichten keine Hoffnung darauf eine Lösung für das Problem oder

die Sehnsucht zu finden, es sucht also ewig oft irrsinnig nach einer Lösung, ohne diese je

zu erreichen.

Auch das Motiv des Wanderns, welches die Ruhelosigkeit der Schriftsteller nach einer

Besserung der Situation ausdrücken soll, bezieht sich auf das Motiv der unerfüllbaren

Sehnsucht. Durch das Wandern wird zum einen die enge Verbindung zur Natur

dargestellt, auf der anderen Seite aber auch die Unmöglichkeit der Lösungsfindung

verkörpert. Die ständige Bewegung ist eines der beliebtesten Motive die ewige Suche

darzustellen.

15 Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Berlin. 2007. Seite 31. 16 Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 326.

12

Des Weiteren unterstreicht der Aufbau eines romantischen Gedichtes oft den Inhalt.

Auch dies lässt sich auf Schlegels Universalpoesie zurückführen, da Inhalt und Aufbau

bzw. äußere Form in vielen Textarten keine Verbindung zueinander haben. In der

romantischen Poesie wird allerdings aus Inhalt und Aufbau eine Einheit, da zum Beispiel

das Reimschema, die Kadenz oder der Klang der Vokale oft die vermittelte

Grundstimmung des Inhaltes unterstreichen. Um noch einmal das oben genannte

Beispiel aufzugreifen unterstreicht die Regelmäßigkeit des Kadenzwechsels und des

Reimschemas im Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano (1818), den

inhaltlichen Aufbau. Jeweils die Strophen zwei, vier und sechs behandeln das gleiche

Thema, sowie die ungeraden Strophen eins, drei und fünf ein anderes Thema behandeln.

Aus diesem Grund ist auch im Inhalt eine Wiederholung zu erkennen. Des Weiteren

strahlt das Gedicht auf der einen Seite eine traurige Stimmung aus, auf der anderen Seite

zeigt es auch die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einer besseren Zukunft durch die

Wiederherstellung der Vergangenheit. Durch die Wiederholung beider Aspekte, also der

melancholisch geprägten aktuellen Situation, sowie der Hoffnung auf eine bessere

Zukunft, wird diesen große Aufmerksamkeit entgegengebracht und die äußere, sich

wiederholende Form unterstreicht diese repetitive inhaltliche Struktur.

Ein weiteres Merkmal der romantischen Epoche ist das madische Zeitverhältnis. Dies

bedeutet, dass die Vergangenheit in romantischen Gedichten oft als besser dargestellt

wird als die Gegenwart. Die Gegenwart ist dabei meist traurig und unerfüllt, während

die Zukunft wiederum durch eine Wiederherstellung der Vergangenheit Hoffnung auf

bessere Zeiten lässt.

Die Romantiker drückten ihre Sehnsucht nach einer engen Verbindung mit der Natur oft

dadurch aus, dass sie viele Sachverhalte durch verschiedene Bildnisse aus der Natur

beschrieben oder diese metaphorisch mit der Natur verbunden. Die Natur galt als Ideal,

unveränderlich und schön und der Romantiker wollte, auf seiner ewigen Suche nach der

Erfüllung der Sehnsucht und des Verlangens, oft in die Natur. So entstanden viele

Gedichte, die die Schönheit und die Sehnsucht nach der Natur zum Thema hatten, wie

zum Beispiel das Gedicht Sehnsucht von Joseph von Eichendorff.17

Das zentrale Symbold der Romantik ist die „blaue Blume“ von Novalis. Diese führt er in

seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ durch einen Traum ein. Der Protagonist

17 Siehe Gedichtanalyse Sehnsucht

13

Heinrich träumt in diesem Roman von verschiedenen, wunderlichen Orten, bis er zum

Ende seines Traums an einem Berghang eine glänzende blaue Blume entdeckt. Die

Beschreibungen in dem gesamten Textauszug um die blaue Blume weisen

verschiedenste Merkmale der Romantik auf: die Sehnsucht nach etwas Wunderschönem,

Unerreichbaren, die Lebhaftigkeit und Schönheit der Natur, sowie die Sehnsucht die

Natur zu empfinden und sich mit dieser zu vereinen. Diese blaue Blume, beschrieben als

breitblättrig, glänzend, lichtblau und wohlriechend, wurde zum zentralen Symbol der

Romantik, da ihre Beschreibung die Merkmale der Romantik bündelt. Blaue Blumen sind

in der Realität äußerst selten zu finden, das Motiv der Sehnsucht nach der idealen Natur,

sowie der Vorgang des Romantisierens vereinen sich in der blauen Blume zu dem wohl

bekanntesten Symbol für die Epoche der Romantik.18

Das Motiv der Nacht ist eines der beliebtesten der Romantik, da die Theorie der

Romantiker wie folgt lautete: In der Nacht sei das Wesentliche zu erkennen, was der

helle Tag sonst bedeckt. Diese Theorie bezieht sich vor allem darauf, dass über Tag die

nicht zufriedenstellende Politik die Regeln bestimmt, bei Nacht allerdings diese Regeln

nicht unbedingt einzuhalten sind, da sie niemand kontrolliert. Das bedeutet in der Nacht

steht die Natur, das Wesentliche, das Ideale im Vordergrund und hat die Möglichkeit

sich auszubreiten. So entstand auch die Theorie des Verschmelzens von Wirklichkeit

und Traum, Himmel und Erde. Die Nacht hebt die am Tag existierenden Grenzen auf und

macht das Unmögliche möglich.19

Die Synästhesie beschreibt den Vorgang der Verbindung vieler verschiedener

Sinnesreize zu einem Gesamtbild. So macht der romantische Dichter oft Gebrauch davon

Düfte, Gefühle, Töne und Anblicke zu vereinen, wie zum Beispiel in Eduard Mörikes

Gedicht Er ist’s (1829), welches die Ankunft des Frühlings beschreibt.

18 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. Seite 78f.. 19 siehe eigenes Gedicht Mondschein

14

Er ist's (1829) – Eduard Mörike 1 Frühling läßt sein blaues Band 2 wieder flattern durch die Lüfte; 3 süße, wohlbekannte Düfte 4 streifen ahnungsvoll das Land. 5 Veilchen träumen schon, 6 wollen balde kommen. 7 Horch, von fern ein leiser Harfenton! 8 Frühling, ja du bist's! 9 Dich hab ich vernommen!

Dabei lässt sich in Vers 1 die bildliche, metaphorische Beschreibung des Frühlings erkennen. In Vers 3 das Reizen des Geruchssinns, in Vers 4 durch das Verb „streifen“ der Tastsinn und in Vers 7 das Gehör. Das Ansprechen aller Sinnesorgane verursacht nun beim Leser ein positives Gesamtbild des Frühlings.

e. Autoren und Werke i. Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Nach dem

frühen Tod ihres Vaters trat sie 1797 mit 17 Jahren als Stiftsfräulein in den

Cronstetten Hynspergischen Damenstift für evangelische Adelige in Frankfurt am

Main ein. Dort absolvierte Günderrode ihr Studium in Philosophie und Literatur.

Die wahre echte Liebe ist meist eine unglückliche Erscheinung, man quält sich selbst und wird von der Welt misshandelt. – Karoline von Günderrode

15

Durch lesen verschiedenster Bücher eignete sie sich ein zeitgemäßes Bildungsniveau an

und erkannte bald die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft.20

Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) trat als erste große Liebe in ihr Leben ein,

welche allerdings im Unglück endete, da er anstatt die hochgebildete Karoline von

Günderrode lieber eine ihrer weniger gebildeten Freundinnen Gunda Brentano zur Frau

nahm. Nach dieser Trennung widmete sich Günderrode vor allem dem Schreiben von

Dramen, wie zum Beispiel Mora, die alle heldenhafte, starke, emanzipierte Frauen als

Protagonisten hatten.

Exkurs: Das Drama Mora handelt von verschiedenen Kämpfern: Carul, Frothal,

Karmor und Thormod. Mora ist die Tochter des Königs Torlat und liebt Frothal.

Nachdem Frothal und Mora auf der Jagd waren und nachts in einer Höhle schlafen,

fordert Karmor Frothal zum Kampf um Mora auf. Allerdings tritt dabei Mora selbst zum

Kampf an und stirbt dabei. Als Frothal erwacht ist Mora bereits tot und er trauert um

die Königstochter. An Moras Verhalten lässt sich hier die eigenständige Frau erkennen,

die Günderrode stets versuchte darzustellen und auch selbst zu sein.21

Später trat der verheiratete Philologe Friedrich Creuzer (1771-1858) in ihr Leben,

doch auch dieser konnte den Liebesansprüchen Günderrodes nicht gerecht werden. In

ihrem Sonett Die Malabarischen Witwen (1805-1806) betont Günderrode aufgrund ihrer

gescheiterten Liebe ihr Unglück und, dass die Bereitschaft für die Liebe zu sterben,

die höchste Hingabe sei.22

Günderrode nahm somit ihren Liebesschmerz zum Anlass sich am 26. Juli 1806 in

Winkel am Rhein das Leben zu nehmen. Dies tat sie, indem sie sich einen Dolch ins

Herz stach. Sie war in ihrem Leben durch die patriarchalische Gesellschaft so beschränkt,

20 Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode. http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/karoline-von-guenderrode. Stand: 08.03.2015. 21 Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht. Mora Karoline von Günderode. http://nddg.de/gedicht/20635-Mora-Günderode.html. Stand: 08.03.2015. 22 Stein, Peter/Stein, Hartmut. Chronik der deutschen Literatur. Stuttgart. 2008. Seite 319.

16

obwohl sie ein freiheitsstrebender Mensch war, sodass sie ihr Leben nicht mehr als

lebenswert betrachten konnte. Außerdem war sie durch ihre unglückliche Liebe zu

Creuzer noch einmal enttäuscht worden. Dennoch hinterließ die junge Schriftstellerin

weitreichenden Eindruck durch die „Radikalität und Unbedingtheit“, mit welcher sie

ihre Gefühle auslebte und ihre Ziele zu erreichen versuchte.23

Günderrode wird aufgrund ihres freiheitsstrebenden Charakters und ihrer

anspruchsvollen Literatur oft als „Vordenkerin der weiblichen

Emanzipation“ angesehen.24

Außerdem veröffentlichte sie unter dem männlichen Pseudonym Tian zwei

Gedichtsammlungen, Gedichte und Phantasien (1804) und Poetische Fragmente (1805),

welche thematisch ihre Träume von einem selbstbestimmten, eigenständigen Leben und

ihrem inneren Konflikt zwischen Liebe und Freiheitsdrang behandeln. Der Höhepunkt

ihres dichterischen Schaffens ist das Gedicht Die Idee der Erde, in welchem sie zu dem

Schluss kommt, dass Natur und Mensch um zur Perfektion zu gelangen eine Einheit

bilden müssen.25

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine Klage (1804)26

Das Gedicht scheint von einer typischen Trennungssituation zu handeln. Die Autorin

stellt den Schmerz dar, den eine Person nach einer Trennung verspürt und die

Verzweiflung, nie wieder glücklich zu werden. Ich finde das Gedicht strahlt eine

melancholische Grundstimmung aus, auch wenn es die schönen Dinge einer Beziehung

ebenso wie die negativen darstellt. Dennoch überwiegt hier der Trennungsschmerz und

das nächste Glück scheint fern zu sein. Das Gedicht ist somit typisch für Günderrodes

Schaffen, da ihre unglücklichen Liebesbeziehungen sie letztendlich in den Tod getrieben

haben.

23 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 74. 24 Ebd. Seite 73. 25 Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode. 26 Das Gedicht ist zu finden bei: Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 34.

17

i. Clemens Brentano

Clemens Brentano, geboren am 09. September 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz, war

Sohn einer reichen Kaufmannsfamilie. Nachdem er, sowohl seine Kaufmannslehre als

auch Studiengänge in Medizin sowie Kameralwissenschaft (Lehre von der Gestaltung

der Staatseinkünfte), abgebrochen hatte, widmete er sich der Literatur. Er verbrachte

sein Leben an vielen verschiedenen Orten. 1801 zog er nach Göttingen um mit Achim

von Arnim zusammen an der Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1804) zu

arbeiten. Die zwei verband eine enge Freundschaft. Ebenfalls in Göttingen, wo er

eigentlich sein Medizinstudium hätte beenden sollen, wo er aber anstattdessen

Freundschaften mit verschiedenen Literaten führte, entstand 1801 sein Roman Godwi

oder Das steinerne Bild der Mutter. 1803 heiratete Brentano Sophie Mereau, welche ein

Kind mit in die Ehe brachte. Die beiden hatten zwei weitere Kinder miteinander,

allerdings lebte keines länger als einige wenige Woche. Sophie Mereau starb 1806.28

27 Bildquelle: Spiegel Online Kultur. Clemens Brentano. http://gutenberg.spiegel.de/autor/clemens-brentano-75. Stand: 08.03.2015. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Clemens Brentano. http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=753_Clemens+Brentano&seite=6. Stand:08.03.2015. 28 Wunderlich, Dieter. Dieter Wunderlich Buchtipps und Filmtipps. Clemens Brentano (Biografie). http://www.dieterwunderlich.de/Clemens_Brentano.htm. Stand:08.03.2015.

Nur die Menschen, die vom Leben

durchströmt werden, indem sie es

durchströmen, sind schöne, glückliche,

reine Menschen. – Clemens Brentano27

18

Danach lebet er von 1804 bis 1809 in Heidelberg, wo er zusammen mit von Arnim an

der „Zeitung für Einsiedler“ arbeitete, welche als „Sprachrohr der Romantik“29 gilt.

Von 1809 bis 1818 lebte er überwiegend in Berlin, wo er sich ab 1815 dem

Katholizismus zuwandte. Dort begann er eine Affäre mit Auguste Bußmann (1791-

1832). Die beiden heirateten 1807, doch auch diese Beziehung währte nicht lange und

1814 wurde die Scheidung eingereicht. 1816 verliebte er sich dann in die

Pastorentochter Luise Hensel, welche seine Heiratsanträge allerdings ablehnte. In den

Jahren darauf geriet Brentano in eine Art Lebenskrise, in welcher er sich stark auf den

katholischen Glauben konzentrierte. Dabei entstand zum Beispiel das Werk Das bittere

Leiden unseres Herrn Jesu Christi nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina

Emmerick, Augustinerin des Klosters Agnetenberg zu Dülmen, nebst dem Lebensumriss

dieser Begnadigten, in welchem er sich auf das Leben der oben genannten Nonne berief,

die er bis in den Tod begleitet hatte, indem er täglich ihre Visionen aufschrieb und diese

später zu seinem Werk zusammenfügte.30 Ab 1824 führte er ein Wanderleben mit

Stationen wie Berlin, Bonn, Frankfurt, Koblenz und München. 1833 lernte er in

München die Schweizer Malerin Emilie Linder (1797-1867) kennen, doch auch diese

lehnte seine Heiratsanträge ab. Am 28. Juli 1842 starb Brentano in Aschaffenburg.31

Brentanos Frühwerk zeichnet sich vor allem durch die Wiederherstellung des

deutschen Volksgutes aus, womit er in Zusammenarbeit mit Achim von Arnim

versuchte in Deutschland ein nationalstaatliches Gemeinschaftsgefühl hervorzubringen.

Sie veröffentlichten gemeinsam drei Teile der Sammlung Der Knabe des Wunderhorn, in

welcher sich sowohl mündlich überlieferte, als auch aus anderen Textquellen

stammende Volks-, Soldaten-, Kinderlieder, Märchen und Gedichte für jeden Anlass

fanden.32 Des Weiteren entstanden während seiner Lebenskrise vor allem an den

katholischen Glauben angelehnte Werke (siehe oben). Insgesamt lässt sich sagen, dass

Brentano sich in seiner Literatur vor allem mit der verzweifelten Suche nach einer

höheren, gottgegebenen Ordnung auseinandersetzte.

29 Ebd. 30 Ebd. 31 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 65ff.. 32 Kraft, Thomas. Lyrik. Ein Schnellkurs. Seite 55.

19

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Spinnerin Nachtlied (1802)33

Das Gedicht lässt sich auf den ersten Blick in drei verschiedene Handlungen einteilen.

Zum einen die aktuelle Situation des lyrischen Ichs, welches traurig mitten in der Nacht

einen Faden spinnt. Dann die Gedanken des lyrischen Ichs an die glückliche

Vergangenheit mit einer bestimmten Person, sowie den Ausblick in die Zukunft und die

Hoffnung auf Wiedervereinigung mit der vermissten Person. Das Gedicht erscheint mir

auf der einen Seite als sehr melancholisch, auf der anderen Seite scheint der Ausblick in

die Zukunft das lyrische Ich glücklich zu machen. Die Wiederholungen einzelner Phrasen

des Gedichts verstärken diesen Eindruck.

ii. Joseph von Eichendorff

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wurde am 10. März 1788 auf Schloss

Lubowitz in Oberschlesien geboren und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der

Hochromantik.

Von 1805 bis 1808 studierte er Philosophie und Jurisprudenz in Halle und

Heidelberg. Während dieses Studiums lernte Eichendorff andere erfolgreiche und

angesehene Vertreter der Romantik kennen, so zum Beispiel Achim von Arnim. Nach

seinem Studium geriet Eichendorff in Wien in Kontakt mit dem Frühromantiker

33 Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 329. 34 Bild- und Zitatquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Joseph von Eichendorff. http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff. Stand: 08.03.2015.

„Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des

Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern

der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der

Abfahrt“ – Rüdiger Safranski von Theodor W.

Adornos übernommen und ergänzt34

20

Friedrich Schlegel unter wessen Einfluss dann auch sein erster Roman (Ahnung und

Gegenwart, 1815) entstand.35

Von 1813 bis 1815 kämpfte Eichendorff in den Befreiungskriegen, er nahm

unterschiedliche Stellungen im Militär ein und blieb noch bis Ende des Jahres 1815 bei

den Besatzungstruppen. Erst danach kehrte er nach Breslau zurück. 1815 heiratete er

Luise von Larisch, mit der er vier Kinder hatte, wovon eines allerdings mit einem Jahr

starb. Als 1818 Eichendorffs Vater ablebte, wurden Großteile des Familiengutes, so wie

auch das Schloss Lubowitz, verkauft. Eichendorff kam nie richtig über den Verlust seiner

Kindheit hinweg.

Zwischen 1816 und 1844 entfernte Eichendorff sich beruflich vom Schriftstellerischen

und arbeitete als hoher preußischer Beamter in verschiedenen Ämtern. In diesem Zug

musste die Familie 1831 nach Berlin umziehen. 1841 wurde Eichendorff zum Geheimen

Regierungsrat ernannt.

Nach weiteren Umzügen rund um den Berliner Raum und Dresden starb Joseph von

Eichendorff 1857 in Neiße (Schlesien).36

Eichendorffs literarische Werke zählen zu den bedeutendsten der Hoch- und

Spätromantik. Vor allem Eichendorffs Gedichte ähnelten durch ihre Schlichtheit und

einfache Ausführung sehr Volksliedern, wie auch Brentano und von Arnim sie während

der Hochromantik in Sammlungen zusammengestellt hatten (siehe oben). So zum

Beispiel das Gedicht Neue Liebe (1837), in dem Eichendorff in einem unbeschwerten

Ton sein Glück beschreibt.37

Des Weiteren ist er der Dichter, dessen Werke in großer Zahl vertont wurden. Dies

geschah zum Beispiel durch Robert Schumann (1810-1856), der zu Mondnacht (1837)

eine Melodie komponierte. Eichendorffs Schriftstücke befassen sich vor allem mit der

Schönheit der Natur, die er durch verschiedenste Motive und Metaphern beschreibt,

wobei er dabei nicht zu euphemistisch, sondern verhältnismäßig realitätsnah schreibt.

Außerdem behandelt Eichendorff das Motiv der Sehnsucht und des

35 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 78. 36 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 83. 37 Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 32.

21

Trennungsschmerzes, wobei auch die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit

offensichtlich wird (siehe unten).38

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das zerbrochene Ringlein (1813)

Das Gedicht erscheint mir als relativ traurig, das lyrische Ich, vermutlich ein Mann,

wurde von seiner Frau verlassen und sucht nun Hilfe in seiner Arbeit. Obwohl er traurig

ist, hat er dennoch, so scheint es, seine Lebensfreude nicht verloren. Er möchte nun

Abenteuer erleben und zum Beispiel in Schlachten ziehen und sein Leben genießen. Das

Gedicht zeigt für mich sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte einer

Trennung auf.

b. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff

Das Gedicht „Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff, entstanden im Jahre 1830/3,

handelt von der unerfüllbaren Sehnsucht des lyrischen Ichs die Schönheit der Natur zu

erleben. Dabei steht das lyrische Ich in einer klaren Sternennacht in der ersten Strophe

am Fenster und träumt davon mit dem Postwagen mitreisen zu können, als es dessen

Horn vernimmt. Die zweite Strophe handelt von zwei Gesellen, welche singend durch die

Natur wandern. Ihr Gesang handelt von unterschiedlichen Naturvorkommnissen,

beispielsweise von Quellen und Flüssen. Die dritte Strophe befasst sich weiterhin mit

dem Wandererlied sowie weiteren Aspekten der Natur. Außerdem spricht das lyrische

Ich von Palästen im Mondschein. Der Inhalt des Gedichts verliert an Realitätsnähe.

Das lyrische Ich in diesem Gedicht steht in der ersten Strophe am Fenster und betrachtet

sehnsüchtig die Natur. Dabei bleibt es an zwei Wanderern und ihrem Lied hängen,

wobei sich die Sehnsucht nun darin zeigt mit den Wanderern zu gehen. In der dritten

Strophe kommen träumerische Illusionen des lyrischen Ichs hinzu.

Das Gedicht besteht aus drei Strophen a sechs Versen. Das Reimschema ist der

Kreuzreim, wobei jeweils der sechste und der achte Vers jeder Strophe sich

strophenübergreifend reimt. (abab-cdcd efef-gdgd –hihi-kdkd)

Dies sorgt für eine gewisse Regelmäßigkeit und erinnert an den Refrain in einem

Volkslied. Dies könnte eine Anlehnung an Brentano und von Arnims Volkslieder -

38 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 78.

22

Sammlung sein. Außerdem verleiht die Wiederholung dem Gedicht eine beruhigende

Wirkung. Das Metrum ist regelmäßig, allerdings nicht nur einem Reimschema

zuzuordnen. Es handelt sich um einen zweihebigen Daktylus mit anschließendem

Trochäus, wobei jeder Vers mit einem Auftakt beginnt, was die inhaltliche Sehnsucht

nach Abenteuer in der Natur unterstreicht und Spannung aufbaut. Die erste Strophe des

Gedichts beginnt mit verschiedenen Sinneswahrnehmungen des lyrischen Ichs, wie zum

Beispiel „hör[en]“ (V.3), oder dem Beobachten der Sterne. Dabei steht es sehnsüchtig am

Fenster und blickt in die Natur hinaus. (vgl. V1)

Die Verwendung des Wortes „golden“ (V.1) um die Sterne zu beschreiben impliziert

deren Wert für das lyrische Ich und deren wunderlichen Schimmer, der beim lyrischen

Ich eine Art Bewunderung der Freiheit der Sterne, als auch der Schönheit der Natur

auslöst. Außerdem ist der Stern ein Symbol für etwas Unerreichbares, Schönes,

Mystisches. Der zweite Vers steht in starkem Kontrast zur natürlichen Freiheit, die in

Vers 1 ausgeführt wird, da dort das lyrische Ich sein unglückliches Dasein als

Gefangener beschreibt; es „stand einsam am Fenster“ (V.2). Wiederum im Gegensatz

dazu steht der dritte Vers, in welchem das lyrische Ich „aus weiter Ferne“ (V.3) einen

Ton eines „Posthorns“ (V. 3) vernimmt. Das lyrische Ich träumt ergo davon diese Weite

selbst zu erleben anstatt hinter Glas gefangen am Fenster zu stehen. Diese unendliche,

aber unerreichbare Sehnsucht wird in Vers 5 deutlich: „Das Herz mir im Leib

entbr[a]nnte“ (V. 5). Die Metapher des brennenden Herzens verstärkt die Leidenschaft

und die Emotionen das lyrischen Ichs.

Diese Motive, die Liebe und die Leidenschaft, sowie das Motiv der unerfüllbaren

Sehnsucht sind typisch für die literarische Epoche der Romantik, in welcher sich viele

Schriftsteller aufgrund der unglücklichen politischen und gesellschaftlichen Situation

sich in ihr Inneres flüchteten und sich als Eskapismus aus der schrecklichen Wirklichkeit

mit der Idylle und Schönheit der Natur beschäftigten. Das Problem an der

gesellschaftlichen Situation war die durch Napoleon und den Code Civil etablierte

Hoffnung auf eine Besserung der gesellschaftlichen Ordnung, wie zum Beispiel gleiche

Rechte für alle Bürger. Nach der Niederlage Napoleons und dem Ende seines Einflusses

auf Deutschland aber, begann die Epoche der Restauration, Fürstentümer nahmen die

Macht wieder an sich und die einst positiven Gesetze wurden wieder abgeschafft. Dies

führte dazu, dass viele Bürger sich in Deutschland unwohl fühlten und versuchten durch

die Literatur in eine bessere Welt zu flüchten.

23

Vers 6 impliziert die nicht vorhandene Freiheit der Gedanken. Das lyrische Ich darf nicht

laut über seine Träume und Sehnsüchte sprechen, sondern muss diese „heimlich“ (V. 6)

behandeln. Aus dem Verhaltensschema des lyrischen Ichs und seiner Gefangenschaft

innerhalb des Hauses lässt sich schließen, dass das lyrische Ich weiblich ist. Frauen

waren grundsätzlich nach dem patriarchalischen Gesellschaftsbild dem Mann

untergestellt und hatten wenig Freiheiten. Auch die Gedanken des lyrischen Ichs

verstärken noch einmal seine weibliche Identität. Die beiden letzten Verse der ersten

Strophe bilden einen Ausruf, es liegt also ein Enjambement, ein versübergreifender Satz,

vor (vgl. V. 7). Vers 7 beginnt mit einer Emphase mit seufzendem Unterton: „ Ach...!“ (V.

7), welcher die Verzweiflung und Melancholie der Frau widerspiegelt.

Diese Melancholie ist auch ein Motiv der Romantik, da viele Schriftsteller sich in ihrer

Lebenssituation oder Gesellschaftsordnung gefangen fühlten, da sie während der

Epoche der Restauration kein Mitspracherecht mehr hatten und somit schutzlos den

machthabenden Fürstentümern untergeordnet waren.

Der letzte Teil des Ausrufs: „...in der prächtigen Sommernacht!“ (V.8), repräsentiert die

hohe Bedeutung, die das Posthorn als Motiv der Freiheit für das lyrische Ich hat. Die

Wortwahl „prächtig“ (V. 8) unterstreicht diesen Eindruck und verleiht der Natur einen

hohen Stellenwert, sowie eine positive Konnotation. Den Wunsch des lyrischen Ichs an

dieser Stelle seine Gefühlslage als Ausruf zu formulieren, verleiht diesem ein Maximum

an Ausdruckskraft (vgl. V. 9).

In der zweiten Strophe wird der Wunsch nach Freiheit nun spezifiziert und auf zwei

wandernde, singende „Gesellen“ (V. 9) projiziert. Durch den Gesang der Gesellen wir nun

die Schönheit und Vielfalt der Natur beschrieben, z. B. „die stille Gegend“ (V. 12) zeigt

die Ruhe, die durch die Natur ausgelöst wird. Außerdem werden Felsschluchten, Wälder

und Quellen positiv beschrieben (vgl. V. 13-15). Die Quellen werden durch das Verb

„sich stürzen“ (V. 16) personifiziert, was den Eindruck erweckt als wären die Quellen

lebendig und hätten, im Gegensatz zum lyrischen Ich, Entscheidungskraft.

Im letzten Vers der Strophe werden all die vorher genannten Eindrücke mit dem

Neologismus „Waldesnacht“ (V. 16) zusammengefasst. Die Zusammensetzung aus den

Wörtern Wald und Nacht zeigt zum einen die Schönheit und die Sehnsucht nach der

Natur und zum anderen wird durch den Wortteil Nacht eine geheimnisvolle,

abenteuerliche Stimmung verursacht (vgl. V. 16).

24

Insgesamt sorgt die Häufung hier vorhandener Alliterationen für einen beruhigenden,

harmonischen Klang, welcher Form und Inhalt als Ort der Erholung und Ruhe verbindet

(vgl. V. 9, V. 11, V.14, V.16).

Außerdem ist das Aufgreifen des Motives des Wanderns für Joseph von Eichendorff sehr

typisch. Als Wanderer, so war die Einstellung zur Zeit der Romantik, war man der Natur

am nächsten. Man durfte mit eigenen Augen die Perfektion des natürlichen Seins

betrachten, ohne durch die gesellschaftlichen Missstände abgelenkt zu werden.

In der dritten Strophe wird der Inhalt des Liedes der Wanderer wiedergegeben. Die

erste Hälfte der Strophe (V. 17-19) handelt von Orten in der Natur, an denen der Mensch

eingegriffen und aus natürlichen Dingen etwas Neues geschaffen hat. So geht es zum

Beispiel um Marmorbilder, Gärten und Lauben als Dinge, die jeder Leser kennt und

welche einfach zu verstehen sind (vgl. V. 17-19). Durch diese einfachen Begriffe wird

noch einmal die Volkstümlichkeit des Gedichtes hervorgehoben: Es soll für jeden

zugänglich und verständlich sein und auch wenn man sich nicht eingehend mit den

Themen der Romantik beschäftigt hat, ist es einfach zu verstehen.

Vers 20 dient als Zusammenfassung der vorangegangenen Aspekte in der Natur. Diese

fasst das lyrische Ich für sich unter dem Begriff „Pal[a]st[ ] im Mondenschein“ (V. 20)

zusammen. Dieser Vergleich der Natur mit einem Palast verdeutlicht die Sehnsucht, aber

gleichzeitig auch die Unerreichbarkeit der Natur für das lyrische Ich.

Im zweiten Teil der Strophe findet nun ein Perspektivenwechsel von der Ich-

Perspektive zum Erzähler/Sprecher der 3. Person statt. Dies lässt das Gedicht

universeller/allgemeiner wirken, so als könnte sich jeder mit dem lyrischen Ich und

seinen Sehnsüchtigen identifizieren und als wäre die Situation übertragbar auf jede

andere Person (vgl. V. 21).

Nach dem Perspektivenwechsel werden nun mehrere Mädchen beschrieben wie sie am

Fenster stehen. Das Aufgreifen der Anfangsthematik stellt einen umrahmenden

Rückbezug her und erzeugt die Geschlossenheit des Gedichtes in sich (vgl. V. 2, 21).

Auch der Aspekt des Geräusches, dieses Mal von einer Laute, welches die Freiheit der

außenliegenden Welt und der Natur verkörpert, wiederholt sich und verstärkt so noch

einmal das anfangs entstandene Bild des melancholisch sehnsüchtigen lyrischen Ichs

(vgl. V. 22).

25

Außerdem lässt sich erkennen, dass die gesamte dritte Strophe ein einziger Satz ist. Dies

stellt die Verbindung des lyrischen Ichs zur Natur dar. Obwohl diese nicht offensichtlich

zu erkennen ist, sind das lyrische Ich und die Natur durch die Sehnsucht verbunden.

Die Intention des Autors war mit diesem Gedicht die unerfüllbare Sehnsucht der

Menschen nach der Natur bzw. der in der Natur verkörperten/vorhandenen Schönheit

und Ruhe zu beschreiben. Der Titel „Sehnsucht“ impliziert hier schon den Wunsch nach

etwas, das unerreichbar ist. Das Sehnsuchtsmotiv fand vor allem in der Romantik

häufige Verwendung, da die Bevölkerung sich aufgrund der unveränderbaren

gesellschaftlichen Zustände nach innen kehrte und sich durch die Literatur in die Idylle

und Ruhe der Natur flüchtete. Oft waren die Sehnsüchte der damaligen Zeit so

unerreichbar wie hier die Natur und das Abenteuer für das am Fenster stehende

Mädchen, welches aufgrund der patriarchalischen Familienstruktur das Haus nicht

verlassen durfte.

Die adressierte Bevölkerungsgruppe ist in diesem Fall die gesamte Bevölkerung, da sich

jeder mit dem Gefühl der Sehnsucht nach etwas identifizieren kann, während der

Romantik eben besonders mit der Sehnsucht nach Ruhe und Natur. Außerdem wird

besonders die weibliche Bevölkerung durch das lyrische Ich angesprochen, da diese sich

mit der exakten Situation des Mädchens auseinandersetzen musste.

Dass eine Frau das lyrische Ich eines Gedichtes darstellt, war vor der Epoche der

Romantik undenkbar, doch genau durch diese Veränderungen bekamen auch Frauen zur

Zeit der Romantik den Zugang zur Literatur. Des Weiteren trugen sogenannte Salons,

wie der von Rahel Varnhagen von Else, in welchen Frauen ihre Literatur austauschen

konnten, dazu bei vielen Frauen die Literatur näher zu bringen.39

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der

Schönheit der Natur durch verschiedene sprachliche und stilistische Mittel sowie den

Inhalt ausgedrückt und vertieft wird. Besonders die genauen Beschreibungen der

natürlichen Begebenheiten tragen dazu bei.

Das Gedicht erscheint mir mit seiner Thematik perfekt in die Epoche der Romantik zu

passen. Außerdem finde ich, dass durch die Identifikation mit dem lyrischen Ich sowie

39 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 77.

26

durch den Perspektivenwechsel ein Spannungsbogen bis zum Ende des Gedichts

entsteht.

Auch auf die heutige Zeit lässt sich die Thematik der Sehnsucht projizieren, zum Beispiel

auf die Sehnsucht nach Erholung oder eben auch auf die Sehnsucht nach der Natur,

welche im Zeitalter der großen Ballungszentren und Städte wieder zugenommen hat.

Aus diesem Grund empfinde ich dieses Gedicht als durchaus immer noch aktuell und die

Behandlung im Deutsch-unterricht sinnvoll.

c. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein (Annalena Kill, 2015)

Mondschein

1 Es war so warm, es war so klar, 2 Die Sterne glitzten wunderbar. 3 Es war so still, als alles schlief, 4 Nur aus der Fern’ ein Keuzchen rief. 5 Es war so magisch, war so schön, 6 Mit ihm umschlungen da zu steh’n. 7 Es war so fein, als er mich fragte, 8 Als eine Sternschnupp’ vom Himmel jagte 9 Es war so perfekt die Nacht, 10 In der er hat es nun vollbracht. 11 Es war mein Traum sein’ Frau zu sein, 12 Für immer wie hier im Mondschein. 13 Fast hätte ich den Sonnenaufgang versäumt, 14 So wunderbar hab ich geträumt.

Das vorliegende Gedicht, habe ich, Annalena Kill, im Jahre 2015, selbst geschrieben um

einige Merkmale der Romantik einmal selbst anzuwenden.

Dabei habe ich mich auf das Nachtmotiv der Romantik bezogen, die Nacht war in der

Romantik die Zeit, in der die festen, klaren Regeln und Umrisse sich auflösten und Erde

und Himmel, Wirklichkeit und Traum fließend ineinander übergingen. Demnach sind in

der Nacht der Fantasie keine Grenzen gesetzt, die Natur als Idealbild in der Romantik

erscheint als geheimnisvoll und wunderbar.

Das Gedicht befasst sich mit einem weiblichen lyrischen-Ich, welches von der

besonderen Nacht berichtet, in der ihr Freund oder Mann ihr einen Heiratsantrag macht.

Das Gedicht besteht aus nur einer Strophe zu 14 Versen. Das Reimschema ist der

Paarreim, wobei dieser an einer Stelle eine Assonanz aufweist (vgl. V. 5,6). Die Wörter

27

„schön“ (V.5) und „steh’n“ (V.6) reimen sich nur unrein, sie haben zwar einen ähnlichen

Klang, weisen aber nicht die gleichen Vokale auf. Außerdem muss festgestellt werden,

dass ein Paarreim zum einen durch den Reim und zum anderen durch die inhaltliche

Verbundenheit als eine Einheit wahrzunehmen ist. Jedes Paar bildet nämlich gleichzeitig

auch ein Enjambement, einen versübergreifenden Satz (vgl. V1f.).

Das Metrum ist der vier-hebige Jambus, welcher einen regelmäßigen Rhythmus in das

Gedicht bringt. Dieser ist allerdings an einigen Stellen unterbrochen, wie in Vers 8 und

13. In Vers 8 liegen zwei aufeinanderfolgende Jamben vor, darauf folgt ein Anapäst und

noch ein Jambus, welcher allerdings dann mit einem Auftakt auf einer weiblichen

Kadenz endet. Diese Unterbrechung des regelmäßigen Metrums unterstreicht hier den

Inhalt. Eine Sternschnuppe ist ein seltenes, plötzliches und faszinierendes

Naturphänomen, dem besondere Aufmerksamkeit zugesprochen wird. In Vers 13 ist

eine weitere Unterbrechung des Metrums zu erkennen, dort folgt auf den vier-hebigen

Trochäus noch ein Anapäst. Auch in diesem Fall unterstreicht die Unterbrechung die

Gefühle die durch den Inhalt vermittelt werden. Das lyrische-Ich schreckt hoch und stellt

mit Entsetzen fest, dass es „fast [...] den Sonnenaufgang versäumt“ (V. 13) habe. Dieser

plötzliche Gefühlwandel der ruhigen, entspannten Atmosphäre wird durch das

Aufschrecken unterbrochen, so wird auch das regelmäßige Metrum an dieser Stelle

unterbrochen.

Die Verse des Gedichts enden normalerweise auf eine männliche Kadenz, wobei es auch

dort einige Unterbrechungen gibt. Diese sind in Vers 7 und 8 vorzufinden. Vers 7 und 8

bilden die Mitte des Gedichts und nur in diesen Versen geht wirklich eine Handlung von

Personen vor. Das lyrische Ich erfährt in diesen zwei Versen seinen lang ersehnten

Traum, welcher noch längere Nachwirkungen haben wird. Um den Moment als etwas

länger anhaltend darzustellen, wird hier die weibliche Kadenz verwendet, da diese dem

Vers den Eindruck verleiht als würde er ausklingen (vgl. V. 7f.).

Das Gedicht beginnt mit einer Exposition (V. 1-4) der nächtlichen Begebenheiten, in

denen sich die Handlung abspielt. Die Verwendung der Adjektive „warm“ (V.1),

„klar“ (V.1), „still“ (V.3) betonen die angenehme, geheimnisvolle Situation in der Nacht.

Das Glitzern der Sterne, kann hier als bildhafte Beschreibung für die knisternde

Spannung stehen, die zwischen dem lyrischen Ich und seinem Begleiter besteht. Der Ruf

des Keuzchens (V. 4) steht dabei für die Nähe zur Natur, die vor allem romantische

28

Dichter oft suchten. Es entsteht der Eindruck als stände das lyrische Ich als eine Einheit

mit der Natur im Wald und als genösse es die geheimnisvolle, ruhige Atmosphäre der

Nacht. Des Weiteren lässt sich am Gebrauch überwiegend hell klingender Vokale in den

ersten 4 Versen eine positive Grundstimmung erkennen. Es stehen insgesamt circa 24

helle Vokale circa sieben dunklen Vokalen gegenüber. Die Stimmung ist von Hoffnung

und positiver, aufregender Spannung geprägt.

Vers 5-8 beschreiben dann die tatsächliche Situation, in der das lyrische Ich und sein

Partner erst gemeinsam die Natur genießen, bis sie dann einen Heiratsantrag bekommt.

Die Situation ist durch das Verbinden von magischen Symbolen und der Realität

euphemistisch dargestellt. Die magischen Symbole sind hier die Sternschnuppe die „vom

Himmel jagte“ (V. 8), da es höchst unwahrscheinlich ist, dass genau in dem Moment eine

Sternschnuppe vom Himmel kommt. Allerdings wird dadurch die Ekstase, die Freude

und das Glück ausgedrückt, welche das Paar in der Situation verspürt. Des Weiteren

wird der Zustand selbst als „magisch“ (V.5) bezeichnet, was dazu führt, dass auch der

Leser sich in einen träumerischen Zustand versetzt fühlt. Der Leser hat die Möglichkeit

sich auf dem Gerüst der Informationen, die im Gedicht gegeben werden, seine eigene

Illusion und Vorstellung der Situation aufzubauen.

Die Anapher „als er mich fragte,/als eine Sternschnuppe vom Himmel jagte“ (V. 7f.)

deutet auf die Gleichzeitigkeit der Vorgänge hin, wodurch die Handlung beschleunigt

wird. Die Wortwahl „umschlungen“ (V.7) um die beiden Personen zu beschreiben zeigt

ihre enge Verbundenheit zur Natur auf. Umschlingen ist ein biologischer Vorgang von

Schlingpflanzen, welcher auf der einen Seite eine negative Konnotation hat, welche aber

auf der anderen Seite durch die Schönheit der Situation hier entkräftet wird. Dass der

Mann die Frau in diesem Moment umschlungen in den Armen hält, deutet daraufhin,

dass die zwei eine unzertrennliche Einheit bilden und der Mann dem lyrischen-Ich

Schutz bietet.

Der nächste inhaltliche Abschnitt (V. 9-12) zeigt, wie das lyrische-Ich über die

vorhergegangene Handlung denkt. Es betont seinen Unglauben und die Faszination

durch die Betonung „so perfekt“(V.9) bei der Beschreibung der Nacht. Daraufhin spricht

das lyrische Ich davon, dass ein lang ersehnter „Traum“ (V.11) „nun vollbracht“ (V.10)

ist. Das heißt das Motiv der Sehnsucht, welche normalerweise in der Epoche der

29

Romantik kein Motiv und keinen Erfolg hat wird hier erfüllt. Im Gegensatz zu den

typisch romantischen Gedichten scheint hier die Sehnsucht erfüllt zu sein.

Das lyrische Ich beteuert außerdem, dass es „im Mondschein“ (V.12) die Frau des

Mannes sein will, wodurch die Wichtigkeit und die Außergewöhnlichkeit des

Nachtmotives klar wird. Der Leser hat hier noch einmal die Möglichkeit über die

Beziehung des lyrischen-Ichs nachzudenken: Vielleicht ist die Nacht die einzige

Möglichkeit für diese Beziehung um zu existieren. Nur im Geheimen, wenn

gegensätzliche, bzw. eigentlich abgegrenzte Dinge miteinander zu einer Einheit

verschmelzen können, kann die Beziehung zwischen Mann und Frau bestehen. Bezieht

man dies nun auf den allgemeinen historischen Kontext der Epoche der Romantik, so

lässt sich erkennen, dass die Ständegesellschaft oft Beziehungen zwischen Ständen

verbat und demnach einige geheime Beziehungen stattfanden, wie zum Beispiel auch in

dem Drama „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, in welchem die bürgerliche Luise

Miller und der adelige Ferdinand versuchten eine Liebesbeziehung zu führen, welche

letztendlich im Tod der beiden endete. Demnach geht aus dem Gedicht

„Mondschein“ nicht hervor, ob das Liebespaar auch in der Öffentlichkeit gemeinsam

auftreten kann, oder ob dies nur durch die Verschleierung der Wahrheit der Nacht

möglich ist.

Der letzte Teil des Gedichts (V.13-14) rundet die Handlung dann ab, indem die Nacht

durch den Sonnenaufgang beendet wird und somit auch die Träume des lyrischen Ichs.

Es gibt nun zwei verschiedene Möglichkeiten das Ende zu interpretieren. Zum einen

könnte die Handlung, die das lyrische Ich vorher beschreibt wirklich passiert sein und es

setzt die Handlung mit dem letzten Vers einem Traum gleich. Das lyrische Ich verbindet

also Traum und Realität miteinander, wie es nach der progressiven Universalpoesie

nach Friedrich Schlegel in romantischen Gedichten der Fall ist. Zum anderen könnte

man die letzten beiden Verse so interpretieren, dass das lyrische Ich aus einem Traum

erwacht und die vorher beschriebene Handlung nur im Traum geschieht, es also mit den

letzten beiden Versen in die Realität zurückkehrt. An dieser Stelle bleibt es dem Leser

überlassen, in welche Richtung er die Handlung interpretieren möchte.

Der Gebrauch rhetorischer Mittel zieht sich durch das gesamte Gedicht. Die

Wiederholung des Satzanfangs „Es war...“ ist sowohl als Anapher als auch als

Parallelismus zu erkennen. Diese Wiederholung zeigt, dass das lyrische Ich immer

30

wieder von neuen Eindrücken angetan ist, die es in möglichst einfacher und deutlicher

Form dem Leser zu vermitteln versucht. Außerdem bewirkt dieser Satzanfang eine Art

Wiedererkennungswert, der Leser gewöhnt sich an diese kurzen Unterbrechungen des

Handlungsverlaufs.

Meine Intention mit diesem Gedicht war es, wie oben schon genannt, selbst

auszuprobieren wie man mit verschiedenen Motiven, Themen und Merkmalen der

Romantik umgehen könnte und wie diese sich hinterher zu einem großen Bild

miteinander verbinden. Ich fand es spannend zu erleben, wie schwer es tatsächlich ist

zuerst einmal ein relativ regelmäßiges Metrum in ein Gedicht einzubringen und damit

gleichzeitig noch eine zusammenhängende, sich reimende Geschichte oder Handlung zu

beschreiben.

b. Expressionismus ca. 1910-1925

Der Begriff „Expressionismus“ leitet sich aus dem Lateinischen „expremere“ ab, welches

sich aus den Wortteilen „ex“ = aus, heraus, weg und „premere“ = drücken, pressen,

zusammensetzt. Im übertragenen Sinne bedeutet es dann Ausdruckskunst.40

a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund

Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 unter Kaiser Wilhelm II und im Zuge

der Industrialisierung entwickelte sich Deutschland bis 1914 zu einer der führenden

Wirtschaftskräfte. Dies ist unter anderem zurückzuführen auf Kaiser Wilhelms Ansicht,

dass Deutschland ein „Platz an der Sonne“ gebühre und es diesen vor allem durch die

Kolonialpolitik erreichen könne. Auch trugen eine niedrige Arbeitslosenquote und eine

Wohlstandsvermehrung in großen Teilen der Bevölkerung zu diesem wirtschaftlichen

Wohlstand bei. Das Obrigkeitssystem im wilhelminischen Kaiserreich wurde von

Großgrundbesitzern und der höheren Beamtenschaft regiert. Großteile des einfachen

Volkes waren diesen angesehenen Autoritäten unterstellt. Außerdem verfolgte Kaiser

Wilhelm II eine nationalistische Außenpolitik, Deutschland sollte als eine Einheit

wahrgenommen werden. Im Zuge dessen wurde auch eine imperialistische

Wirtschaftspolitik durchgeführt, wozu auch eine starke und umfassende Aufrüstung

gehörte. Die Spannungen innerhalb Europas erreichten ihren Höhepunkt als am 28. Juni

40 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 228.

31

1914 beim Attentat von Sarajewo Franz Ferdinand, der Thronfolger von Österreich-

Ungarn, erschossen wurde. Dies brachte die Situation zum Eskalieren, sodass

Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte. Durch verschiedenste Bündnisse waren

zahlreiche andere Nationen wie auch Deutschland in den Krieg miteinbezogen. Mit dem

Kriegsbeginn 1914 machte sich in Deutschland eine große Kriegsbegeisterung breit,

welche vor allem durch die vorherige Aufrüstung und Militarisierung der gesamten

Gesellschaft ausgelöst wurde. Auch in der Bevölkerung machte sich so das Gefühl breit,

dass die politischen Spannungen in Europa nicht mehr auf rechtlichem Wege, sondern

nur durch Gewalt gelöst werden könnten.

Im ersten Weltkrieg standen sich somit Deutschland und sein verbündeter

Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und Frankreich, England und Russland, das

sogenannte Triple Entente, gegenüber. Das Ziel des Triple Entente Bündnisses war die

politische Isolation Deutschlands. Deutschland war somit von Feinden umzingelt und

konnte auf keine Hilfe mehr hoffen. 1915 etablierte sich der Stellungskrieg oder

Grabenkrieg, da die Kämpfe an den Fronten zu ausgeglichen waren. Diese Kriegsart

forderte, auch aufgrund der technischen Fortschritte und Massenvernichtungswaffen

Millionen von Menschenleben. Durch die Nachrichten des langsamen Vorankommens

der deutschen Truppen und der vielen Toten, machte sich in Deutschland ab 1916

Kriegsmüdigkeit bemerkbar. Deutschland befand sich in einer militärischen

Pattsituation und der Krieg war aussichtslos. Im Jahre 1917 traten die Vereinigten

Staaten Amerikas in den Krieg ein mit dem Ziel diesen schnellstmöglich zu beenden.

Parallel entbrannte in Russland die Oktoberrevolution, die die Regierung stürzte

woraufhin die kommunistischen Bolschewiki die Macht ergriffen. Dies war der Beginn

des späteren „Ostblocks“, sowie dem lang andauernden Ost-West Konflikt. Mit dem

Kriegseintritt der USA und dem bedingungslosen U-Boot Krieg gegen Deutschland,

gewannen Deutschlands Feinde bald die Überhand und der Krieg endete im November

1918. Danach wurde Europa vor allem durch den Friedensvertrag von Versaille 1919

neu strukturiert. Für Deutschland begann eine Phase strikter Überwachung durch die

Siegesmächte und schwerer Auflagen, wie zum Beispiel hoher Reparaturzahlungen,

Rüstungsverbot und Gebietsabtretungen.

Auch wurde die in Deutschland durch die Weimarer Republik neu etablierte Demokratie

von großen Teilen der Bevölkerung strikt abgelehnt. Der deutsche Bürger sehnte sich

nach einer klaren Gesellschaftsordnung wie sie unter Kaiser Wilhelm II zu finden

32

gewesen war. Außerdem trugen die psychologisch schlechte Verfassung der Nation, die

die alleinige Kriegsschuld zu tragen hatte, die Weltwirtschaftskrise 1929 sowie die

politisch gespaltene Bevölkerung dazu bei, dass die Weimarer Republik bald vom

Hoffnung und strikte Organisation ausstrahlenden Nationalsozialismus abgelöst

wurde.41

b. Weltbild und Lebensauffassung

Die deutsche Bevölkerung litt zu Beginn der Epoche des Expressionismus stark unter

der wilhelminischen Gesellschaft, welche nur zwischen Adelig und Nicht-Adelig

unterschied, nicht aber das Individuum in der Gesellschaft anerkannte. Der Autor

Heinrich Mann greift dieses Problem in seinem Roman Der Untertan auf, Diederich

Heßling der Sohn eines Papierfabrikanten, verehrt den Kaiser so sehr, dass er dafür

sogar seine Flitterwochen abbricht um für den Kaiser nach Rom zu reisen, wobei er nur

einer von Millionen von Menschen ist, die dem Kaiser dort zujubeln. Für den Kaiser

existiert die Gesellschaft als eine große Masse, die er regiert. Dem Individuum, der

individuellen „Seele“ eines Menschen schenkt er dabei keine Beachtung.

Nach dem Krieg, durch den viele Menschen sowohl materielle als auch familiäre Verluste

verzeichnen mussten, machte sich in Deutschland ein Antikriegsgefühl breit. Im

Nachhinein stellte man fest, dass der Krieg die gesellschaftliche Situation nicht

verbessert hatte. Die Weimarer Republik als neues politisches und gesellschaftliches

Modell wurde von vielen abgelehnt, da sie ebenfalls Neuerungen und Veränderungen

forderte, die die Menschen noch nicht bereit waren zu verarbeiten. Insgesamt zeichnet

sich die Nachkriegszeit durch eine melancholische, pessimistische Grundstimmung aus.

Die apokalyptische Grundstimmung zur Zeit des Expressionismus hatte verschiedene

Gründe. Zum einen wurde diese durch das Erscheinen des Kometen Halley 1910, sowie

den Untergang der Titanic 1912 und den Kriegsbeginn 1914 ausgelöst.42

41 GK Geschichte Siegel Unterrichtsmaterialien. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011.

42 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 13-24.

33

Exkurs: Der Komet Halley ist ein alle 74-79 Jahre wiederkehrender Komet. Er ist einer

der wenigsten Kometen, die gut mit bloßem Auge zu erkennen sind. Die Angst der

Menschen bestand 1910 darin, dass man kurz vor der Berührung mit der Erde

feststellte, dass der Komet giftige Gase absonderte. Heute weiß man, dass die geringe

Menge, die der Komet an Giftgasen in sich trägt das menschliche Leben nicht

beeinflusst.43

Zum anderen stand man den Neuerungen in Technik, Transport und Kommunikation im

Zuge der Industrialisierung skeptisch gegenüber, die Auffassung war, dass etwas Neues

nur dann entstehen kann, wenn das Alte zugrunde ginge. Der Untergang der Titanic, als

das damals modernste Schiff, schien für viele die Bestätigung dieser Theorie zu sein..

Des Weiteren war die Bevölkerung mit den Neuerungen überfordert, Großstädte

sprießten aus dem Boden, die Massenproduktion wurde eingeführt. Viele Menschen

waren orientierungslos innerhalb der neuen, technisierten Welt und wollten ihre alten

Werte nicht aufgeben.

Außerdem war auch die Urbanisierung ein neues Phänomen für die Gesellschaft.

Großstädte wie Berlin, München oder Wien wuchsen in rasantem Tempo, da durch die

Industrialisierung die Arbeitsplätze vom Land in die Stadt verlagert wurden, wo der

Bedarf an Arbeitern durch die Großindustrie und die riesigen Produktionshallen wuchs.

Dabei wurde den Arbeitern oft bewusst, wie ersetzbar sie waren und, dass ständig die

Gefahr drohte in der Gesellschaft abzurutschen.

c. Literatur

Die Literatur diente im Expressionismus als Experimentierfeld um oft viele Gefühle auf

einmal auszudrücken, die Gesellschaft zu kritisieren oder die Aufmerksamkeit auf

bestimmte Missstände zu lenken.

43 Planet Wissen. Halleyscher Komet – Wanderer durch die Zeiten. https://www.planet-wissen.de/natur_technik/weltall/kometen/halleyscher_komet.jsp. Stand:08.03.2015.

34

Themen während des Expressionismus waren oft Leidensthemen wie Tod, Abschied,

Monotonie, Großstadt und Krieg, die subjektive Wahrnehmung eines Einzelnen oder

Überhöhung des Realen.

Die Literatur des Frühexpressionismus äußerte besonders vor Kriegsausbruch den

Wunsch nach radikaler gesellschaftlicher Veränderung, trotz oder wegen des

wachsenden, allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstandes durch die Industrialisierung.

Besonders für Schriftsteller war es während der wilhelminischen Zeit ein Problem, dass

das Individuum, die eigene „Seele“ in der Masse der Gesellschaft unterging. Der

wachsende Wohlstand durch die Industrialisierung erzeugte aber gleichzeitig

Verwirrung und Orientierungslosigkeit in den Köpfen der Menschen, da diese mit den

vielen Neuerungen im technischen Bereich, sowohl als auch mit neuen

Produktionsabläufen in der Massenproduktion überfordert waren.

Nach dem Kriegsausbruch wurde offensichtlich, dass der Krieg allein durch die neuen

technischen Möglichkeiten hinsichtlich der Bewaffnung unendlich viele Menschenleben

fordern würde, so schwang während des Kriegs die Stimmung um und der Krieg wurde

eher als sinnloses, gewaltsames Unheil angesehen, welches dann Motiv vieler

literarischer Schriftstücke wurde.

Nach der Kriegsniederlage war, in den Augen der Expressionisten, eine

Menschheitserneuerung notwendig um eine bessere, gesunde Gesellschaft zu schaffen,

die dann eine neue Welt schaffen könne. Durch ihre Literatur versuchten die

Schriftsteller auf die Missstände aufmerksam zu machen und so den Mensch dazu

anzuregen sich zu verändern.

Auch die literarischen Merkmale des Expressionismus spiegeln Gefühle wie

Ernüchterung, Orientierungslosigkeit und Verzweiflung und Hass wider.

Im Zuge dieser Gefühle bricht der Expressionismus mit den bisher verfolgten Idealen

der Lyrik. Literarische Merkmale dieser Epoche sind vor allem:

Die Strukturarmut expressionistischer Gedichte unterstreicht die Orientierungslosigkeit

der Menschen. Dazu trug vor allem eine Variation der gebräuchlichen Syntax und

Grammatik bei. Die Lyrik des Expressionismus zeichnet sich durch einen Bruch mit den

üblichen Regeln aus, Telegrammstil und Sprachverknappung, das Weglassen von

Artikeln oder Füllwörtern, sowie der Gebrauch von Ellipsen sind dafür typisch.

35

Parataktische Einheiten, wie ganze Sätze oder Satzgefüge zerfallen in Einzelstücke,

sodass der Leser unterschiedlichste Brocken einer Situation wahrnimmt, die er dann

selbst zusammensetzten muss. Dabei zerfällt oft im Zuge der Ästhetik des Hässlichen das

Schöne ins Kranke, Abstoßende, Ekelige, um die Folgen einer kaputten, vom Krieg

gezeichneten Gesellschaft aufzuzeigen. Des Weiteren soll diese Aufsplitterung eines

Elements in seine Einzelteile die Unfähigkeit der Menschen beschreiben verschiedene

Eindrücke zu einem großen Bild zusammenzusetzen. Dieses Merkmal nennt sich

Dissoziation. Zwar sind die Einzelteile erkennbar, aber das Bewusstsein über die

Zusammenhänge geht verloren.

Ein weiteres großes Thema zur Zeit des Expressionismus war der Ich-Zerfall, sowohl

psychischer als auch physischer Art. Der körperliche Zerfall einer Person, der oft mit

Kriegsfolgen einherging wird im Expressionismus zum ersten Mal Thema in der Lyrik.

So finden sich häufig Darstellungen des Peinlichen und Hässlichen, Tabuthemen, wie

Krebserkrankungen, Wahnsinnige oder deformierte Menschen. Dies lässt sich oft in

Verbindung mit dem Großstadtmotiv wiederfinden, wobei meist die Armut, das Elend

und Leid in den Großstädten aufgegriffen wurde.

Der Ich-Zerfall im psychischen Sinn ist auch mit der Entfremdung von sich selbst zu

vergleichen. In einer großen Stadt geht das Individuum verloren, es existiert

ausschließlich die Gesellschaft und deren Charaktereigenschaften, auch wenn diese oft

nicht mit den Werten und Anschauungen des Individuums übereinstimmen. 44

Dieser Zerfall einer Person lässt sich exemplarisch an Kafkas Erzählung Die

Verwandlung bei Gregor Samsa beobachten. Der fleißige Tuchhändler findet sich eines

Tages in der Gestalt eines Käfers in seinem Bett wieder. Aufgrund seines Käferdaseins

verliert er immer weiter die Beziehung zu seiner Familie, er verwandelt sich vom

Geliebten zur Bedrohung im eigenen Hause und stirbt letztendlich an einer Verletzung,

die sein Vater ihm mit einem faulen Apfel zufügte. 45

Gregor wird unfreiwillig in die Gestalt eines Käfers verwandelt. Er kann mit dem

gesellschaftlichen Druck, der auf ihm lastet, nicht umgehen und die Verwandlung ist das

Stadium der Entfremdung Gregors von sich selbst, bevor er letztendlich jedes Merkmal

44 Weigandt, Tim-Julian. Kennzeichen expressionistischer Lyrik. Ratingen. 2015. 45 Kafka, Franz. Franz Kafka: Die Verwandlung Brief an den Vater Weitere Werke. Braunschweig. 2003.

36

seines Individuums verliert und stirbt. Die Entfremdung, die hier bei Kafka durch die

Gestalt des Käfers stattfindet, fand bei vielen Menschen zur Zeit des Expressionismus

aufgrund des zunehmenden Leistungsdruckes statt. Dieser stieg aufgrund der

Industrialisierung und der im Zuge dieser eingeführten Massenproduktion. Der Arbeiter

wurde ersetzbar, da die Arbeitslosigkeit hoch war und die Qualifikationsansprüche

niedrig. Der Arbeiter wurde zu einer Maschine umfunktioniert. Erbrachte er seine

Leistungen nicht, so wurde er ersetzt, wurde nicht mehr bezahlt und war somit zur

Obdachlosigkeit gezwungen. Die stetige Angst entlassen zu werden und kein Gehalt

mehr zu erhalten endete in einer Dehumanisierung der Gesellschaft. Jeder dachte an

seinen eigenen Vorteil, anstatt gesellschaftlich zu denken. Die Gewinner der

Industrialisierung ignorierten die Missstände, die diese simultan schuf.

Aufgrund der vielen technischen Neuerungen und den Veränderungen der

Gesellschaftsstruktur während und nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Menschen

mit neuen Eindrücken, Gefühlen und Gedanken überhäuft, welche sie dann möglichst

gleichzeitig in der Literatur darstellten. Die Simultaneität ist dabei ein Symbol für die

Dynamik im Expressionismus. Satzteile mit unterschiedlichem, zusammenhanglosen

Inhalt werden wahllos aneinandergereiht um möglichst viele Eindrücke, Gefühle und

Gedanken gleichzeitig darstellen zu können. So wird deutlich, dass der Autor in seiner

Orientierungslosigkeit und Verwirrung in der neuen Situation nicht mehr in der Lage ist

die einzelnen Eindrücke auseinanderzuhalten und zu einem großen Gesamteindruck zu

ordnen.

Außerdem wurde der Wille nach Veränderung durch die Dynamisierung der Sprache

ausgedrückt. Eine Vielzahl an Verben der Bewegung deuten auf die verschiedensten

Gefühle der Schriftsteller hin, welche in unterschiedlicher Art und Weise verfolgt

wurden.46

Die Vielseitigkeit des Expressionismus:

Die oben genannten Merkmale des Expressionismus beziehen sich auf die Interessen

und Merkmale, die bei den meisten expressionistischen Schriftstellern zu finden sind,

allerdings gibt es eine weitere Strömung den „messianischen Expressionismus“, dessen

Anhänger die Welt verbessern wollten. Diese Strömung ist wohl eine der

46 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 30.

37

unbekanntesten und ihre Anhänger, wie zum Beispiel Franz Werfel (1890-1945) oder

Walter Hasenclever (1890-1940), beschäftigten sich mit Themen wie Brüderlichkeit und

Gemeinschaft der Menschen. Sie strebten nach „Menschlichkeit, Güte, Gerechtigkeit,

Kameradschaft [und] Menschenliebe aller zu allen“. Auch wenn diese Strömung

heutzutage weniger bekannt ist, so war sie zur Zeit des Expressionismus umso wichtiger

- in Pinthus’ Sammlung47war ein Großteil ihrer Gedicht vertreten.48

d. Erörterung: Expressionismus Heute

Im Zuge dieser Arbeit, habe ich mir die Frage gestellt, ob der Expressionismus auch auf

die heutige Gesellschaft übertragbar ist. Oft ist die Rede davon, dass Literatur veraltet

und man da „sowieso nix mehr mit am Hut hat“, ich sehe das anders. Der

Expressionismus, die Probleme und die Motive, die die Menschen damals hatten, die sie

dazu verleiteten ihre Literatur so zu gestalten wie sie es taten, sind topaktuell.

Während der Industrialisierung und der Einführung der Massenproduktion, brach

plötzlich ein Kampf zwischen Mensch und Maschine aus. Maschinen waren

kostengünstiger und hatten keine begrenzten Arbeitszeiten oder gar Urlaub. Sie waren

rund um die Uhr verfügbar und hatten im Vergleich zu Lohnkosten sehr niedrige

Wartungskosten. Der menschliche Arbeiter allerdings, er hatte den Vorteil, dass er

denken konnte, identifizieren konnte, wenn es ein Problem gab und dieses melden. Die

Arbeitslosigkeit stieg mit der Einführung von Maschinen, sie übernahmen einfache Jobs,

die sonst unqualifizierte Niedriglohnarbeiter ausführten. Ohne Qualifikation, hatte man

damals versagt. Auch heute noch stellt sich jeder beim Erlernen einer Arbeit die Frage:

Wie lange werde ich dieser Arbeit ausführen können? Ist sie zukunftssicher? Werde ich

damit genug Geld verdienen um meine Familie zu ernähren? Maschinen und Menschen

stehen heute noch im Konkurrenzkampf um jeden einzelnen Arbeitsplatz. Auch heute

noch sind Menschen in ihrer Arbeit ersetzbar, entweder eine Maschine wird den

Arbeitsplatz übernehmen, oder es gibt eben noch viele andere menschliche Bewerber

47 Kurt Pinthus (geb. 1886), war einer der Vermittler und Vorkämpfer des Expressionismus in Deutschland. Er entdecke verschieden begabte Schriftsteller und verhalf diesen durch Publikationen in den Zeitungen für die er arbeitete zum Erfolg. Viele weitere Publikationen sind auf ihn zurückzuführen. Quelle: Munzinger Archiv GmbH. Biografien. Kurt Pinthus. https://www.munzinger.de/search/portrait/Kurt+Pinthus/0/8924.html, Stand: 06.03.2015. 48 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Berlin. 1999. Seite 27.

38

auf die Arbeitsstelle. Ja, heutzutage gibt es Kündigungsfristen und soziale Sicherheit,

doch im großen und ganzen spielt das Problem des Expressionismus Arbeit zu finden

und nicht ersetzbar zu sein auch heute noch eine wichtige Rolle.

In einigen Gedichten des Expressionismus, so zum Beispiel in „Die Vorstadt“ von Georg

Heym, wird eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die Armen, Kranken, Leidenden

stereotypisch dargestellt. Sie tragen „Lumpenzeuge“ (V.7), leben in einem Kellerloch,

haben wenig zu essen und riechen unangenehm (vgl. Die Vorstadt, Georg Heym). Diese

stereotypische, überzogene Darstellung soll hier Aufmerksamkeit auf die Missstände in

der Gesellschaft lenken. Auch heute existieren noch viele Vorurteile und stereotypisch

denkende Menschen – für mich sind das die Missstände unserer heutigen Gesellschaft.

Anstatt, dass freundlich, offen und neugierig miteinander umgegangen wird, bringen

Menschen sich gegenseitig oft bestimmte Vorurteile gegenüber. Im Zuge der

Globalisierung, so heißt es, würden sich die Menschen mehr und öfter mit anderen

Kulturen auseinandersetzen, doch genau das Gegenteil ist der Effekt. Lieber hält man an

seiner eigenen Kultur fest und beschimpft, ja verachtete alles „Andersartige“, die

Stereotype nehmen zu und auch die Vorurteile gegenüber bestimmten

Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel den Muslimen. Eine kleine Gruppe

terroristischer Islamisten sorgt dafür, dass ganz Deutschland in Aufruhr gerät und

Ausländerfeindlichkeit wieder Medienthema Nummer 1 ist. Da fragt man sich doch – in

welchem Jahrhundert leben wir? Im 21. Jahrhundert, in dem internationale

Arbeitsteilung, Geschäftsreisen ins Ausland und Auslandspraktika an der Tagesordnung

sind oder etwa doch im 20. Jahrhundert wo Stereotype gegenüber anderen Menschen

sie ihr Leben kosteten?

Nun gut: Fakt ist Stereotype gibt es und sowohl zur Zeit des Expressionismus als auch

heute noch werden sie zum Abschrecken vor bestimmten Bevölkerungsgruppen

verwendet, sei es in der Literatur oder im täglichen Leben.

Rücksichtslosigkeit und Machtliebe waren zur Zeit der Großindustrie in Deutschland an

der Tagesordnung. Wie konnte man seine Konkurrenz auf dem Markt ausschalten?

Damals und auch heute: durch den günstigsten Preis und gute Qualität. Wie erreicht

man als Unternehmer diese beiden Ziele? Zur Zeit des Expressionismus noch öfter als

heute hatten Geschäftsführer keine Gnade mit ihren Arbeitern, entweder man war fit

und hat schnell genug und effizient gearbeitet, oder man wurde gefeuert und ersetzt.

39

Des Weiteren existierten für die Gewinner, die Unternehmen, die Armen, Leidenden

nicht. Die Industrialisierung war für sie ein Segen und so auch die hunderttausende von

Arbeitern, die sie wahlweise in ihrer Fabrik einsetzten und zum Teil ruinieren konnten.

Auch heute noch entwickeln sich Geschäftsführer, wenn es darum geht Profit für das

Unternehmen einzuheimsen, zu rücksichtslosen, hinterhältigen Tieren. Die

Entmenschlichung, die Rücksichtslosigkeit und das einzige Ziel des Geld Gewinnens

spielt auch in der heutigen Gesellschaft eine unverzichtbare Rolle. Wer bis ganz nach

oben will muss sich oft gegen andere Konkurrenten durchsetzen, klar entscheiden

welche Firma als Kooperationspartner geeignet ist und bei welcher Lösung am meisten

für das Unternehmen abspringt. Dabei werden oft Dinge wie soziale Lage der Arbeiter

oder die familiäre Situation nicht beachtet. Sie beantragen Elternschutz – „Oh nein, das

geht leider nicht, besser entlasse ich sie und hol mir, im Zweifelsfall sogar günstigeren,

Ersatz“. SO schnell sitzt man auch heutzutage trotz sozialem Netz und Sozialstaat

Deutschland auf der Straße oder steht ohne Einkommen da. Einzuschränken ist dieses

Bild in der Hinsicht, dass viele Unternehmen durch politische Maßnahmen gezwungen

sind, sich mit den Folgen ihres Handelns auseinanderzusetzen und Arbeiter nicht ohne

Existenzgrundlage verkümmern zu lassen. Doch auch diese Rechte und Gesetze

existieren nur in Deutschland, nicht aber jedoch in den Produktionsländern wie China

oder Teilen Afrikas. In diesen Ländern nämlich herrschen exakt dieselben Zustände wie

in Deutschland zur Zeit des Expressionismus. Neue Großstädte entwickeln sich, wie zum

Beispiel Mumbai in Indien, Slums, Barracken, findet man direkt

Insgesamt lässt sich also erkennen, dass der Expressionismus, oder die Probleme, die

dieser anspricht und die Mittel mit denen die Schriftsteller arbeiteten, auch in der

heutigen Gesellschaft noch existieren. Stereotypische Darstellungen kennt jedermann

aus dem Alltag, die Angst plötzlich entlassen zu werden, ersetzbar zu sein plagt jeden

Arbeiter und ja, auch die großen Firmenbosse sind heute nicht weniger rücksichtslos als

damals. Auch wenn die Literatur und ihre Gegenstände sich seit der Zeit des

Expressionismus verändert haben, so sind die offensichtlichen, gesellschaftlichen

Probleme simultan.

40

e. Autoren und Werke i. Elisabeth Lasker-Schüler

„Else“ Lasker-Schüler wurde 1869 in Elberfeld, einem heutigen Stadtteil von

Wuppertal, als jüngste von 6 Kindern einer jüdischen Familie geboren. Mit 4 Jahren

konnte Else bereits lesen und schreiben. In der Schule, welche sie mit 11 Jahren verließ,

galt sie als Außenseiterin. Daraufhin bekam sie zu Hause Privatunterricht.

1895 heiratete sie Arzt Berthold Lasker und zog mit diesem nach Berlin um. Dort

ermöglichte er ihr eine Ausbildung als Malerin zu machen. Lasker war auch der Vater

ihres Kindes Paul (geboren 1899), obwohl Else zu diesem Zeitpunkt schon tief in eine

andere Gesellschaft die „Neue Gemeinschaft“, eine Gruppe von Künstlern, eingetreten

war. Allerdings hielt diese Ehe nicht lange und 1903 ließ das Paar sich scheiden.

Verursacht wurde dies durch ihren neuen Freundeskreis von exzentrischen Künstlern.

Im selben Jahr schloss Lasker-Schüler eine neue Ehe mit dem 10 Jahre jüngeren Georg

Lewin. Dieser veröffentlichte unter dem Pseudonym Herwarth Walden

Kompositionen, hielt Vorträge und Lesungen und passte somit deutlich besser in Lasker-

Schülers Lebensbild. Allerdings trennte sich Walden 1912 von ihr um eine Schwedin,

Nell Roslund, zu heiraten. Ohne Einkommen stieß Lasker-Schüler auf harte finanzielle

Probleme. Nur durch die Unterstützung ihrer Freunde der „Neuen

Gemeinschaft“ konnte sie sich über Wasser halten. Als sie 1912 Gottfried Benn traf, 49 Deutschland Lese. Ein Projekt des Bertuch Verlags Weimar und des Trägerwerk Soziale Dienste. Bildquelle: http://www.deutschland-lese.de/files_deutschland_lese/elselaskersch__ler_1907.jpg. Stand: 07.03.2015. Gute Zitate. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995. Stand:07.03.2015.

„Der Mensch, das sonderbare Wesen, mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in den Sternen.“ ―Else Lasker-Schüler49

41

entwickelte sich mit ihm eine kurze Liebesbeziehung, die dann in einer intensiven

Freundschaft endete und wodurch Else Lasker-Schüler zu vielen Liebesgedichten

angeregt wurde.

Als 1927 ihr Sohn Paul starb verfiel Lasker-Schüler in eine tiefe Krise. Von den

wenigen Bildern, die sie als Künstlerin verkaufte, konnte sie kaum leben und mit dem

Aufstieg des Nazi Regimes in Deutschland musste Else Lasker-Schüler 1933 in die

Schweiz fliehen. Doch auch dort wurde sie nach sechs Jahren Aufenthalt ausgewiesen

und zog mit 70 Jahren nach Palästina, wo sie 1945 verarmt und vereinsamt starb. 50

Ihre ersten Gedichtsammlungen veröffentliche Else Lasker-Schüler rund um die

Jahrhundertwende. Dazu zählen zum Beispiel Styx (1902), welches allerdings von

Kritikern abgelehnt wurde. Lasker-Schüler ließ sich nicht entmutigen und

veröffentlichte einige weitere Werke, darunter ein weiterer Gedichtband mit dem Titel

Meine Wunder (1911), mit dem sie als expressionistische Dichterin bekannt wurde.

Ihr wichtigstes Werk ist der Gedichtband Hebräische Balladen (1913), in welchem

besonders Else Lasker-Schülers eigener Stil im Expressionismus klar wird. Sie lebte in

der Welt, die sie sich durch ihre Gedichte schuf. Viele ihrer Gedichte spielen daher im

Orient oder an anderen weit entfernten Fantasieorten. Des Weiteren erkennt man in

diesem Band die Themen, mit denen sich Lasker-Schüler hauptsächlich befasste:

Liebeslyrik und biblische Gedichte und Gebete. Dabei wird dem Leser ihr tiefer

eigener Glaube deutlich.

1908 veröffentlichte sie ihr erstes Drama Die Wupper, in welchem ihr Vater eine

tragende Rolle spielte. Ein weiteres Drama, welches sie allerdings nie fertigstellte,

entstand als eine Fortsetzung von Goethes Faust. IchundIch, wurde wegen seiner

Handlung, in welcher Mephisto und Faust aus der Hölle heraus den Aufbau des

Naziregimes beobachten und Mephisto anerkennt, dass das Böse nicht unterstützt

werden darf bis, dass Deutschland unter Hitler in Flammen aufgeht, kontrovers

diskutiert. Auf der einen Seite wurde Lasker-Schüler als Prophetin angesehen, da sie

wusste, was in der Zukunft passieren würde, andererseits dachten viele Leute sie wäre

50 Wunderlich, Dieter. Hintergrundinformationen zu Buchtipps und Filmtipps von Dieter Wunderlich. http://www.dieterwunderlich.de/Lasker_Schuler.htm, Stand: 06.03.2015. Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Hollfeld. 2008. Seite 38ff.

42

wahnsinnig geworden. Das Stück wurde bis 1969 nicht komplett veröffentlicht und erst

1979 aufgeführt. 51

Insgesamt war Lasker-Schüler in ihrem Leben eher einsam und arm und lebte daher in

der Traumwelt, die sie sich durch ihre Gedichte erschuf. Sie ist die wohl bedeutendste

expressionistische Dichterin.

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues Klavier (1941)52

Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht eine traurige Stimmung beim Leser. Das blaue

Klavier, welches eigentlich Hoffnungsmotiv ist, scheint das lyrische Ich traurig zu

machen, da es kein Klavier spielen kann. Das Klavier scheint etwas verlorenes Schönes

darzustellen, was nun nur noch Schmerzen beim lyrischen Ich auslöst, da es das Schöne

nie zurückerlangen wird. In der letzten Strophe scheint das lyrische Ich den Tod, bzw.

die Aufnahme ins Himmelreich zu erbitten.

51 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl. http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Schüler. Stand: 07.03.2015. Lasker-Schüler. Ich und Ich. Der Spiegel 29. 1961. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43365055.html. Stand: 07.03.2015. 52 Skrodzki, Karl Jürgen. Homepage. Else Lasker-Schüler Mein blaues Klavier. http://www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_024.htm. Stand: 08.03.2015.

43

ii. Georg Trakl

Georg Trakl wurde am 03. Februar 1887 in Salzburg geboren und wuchs als fünftes

von sieben Kindern bei seiner Familie in Salzburg auf. Die Familiensituation war,

aufgrund seiner drogenabhängigen Mutter kompliziert. Die Erziehung der Kinder

übernahm eine Gouvernante, Marie Boring, wodurch Trakl schön früh mit

französischer Literatur in Berührung kam. In der Familie nahm seine Schwester

Margarethe eine Sonderstellung ein. Trakl hatte zu ihr eine inzestuöse Beziehung, er

sah das perfekte weibliche Gegenstück zu sich selbst in ihr. Trakl besuchte das

humanistische Staatsgymnasium in Salzburg, welches er allerdings aufgrund seiner

mangelhaften Leistungen ohne Abschluss verließ und eine Ausbildung zum Apotheker

begann. Schon während seiner Zeit im Gymnasium 1904 startete Trakl erste literarische

Versuche. Während seiner Ausbildung gelangte er problemlos an Rauschmittel, mit

denen er erste Drogenexperimente durchführte. Als seine 1906 veröffentlichten

Theaterstücke Totentag und Fata Morgana keinen Erfolg hatte, verbrannte er seine

Arbeit und trat in eine literarische Schaffenspause ein. Die Misserfolge erhöhten seinen

Drogenkonsum, doch als er 1907 ein Pharmaziestudium in Wien begann, schien sich

die Zukunft zu verbessern. Nach dem Tod seines Vater 1910 geriet die Familie in

finanzielle Schwierigkeiten und Trakls Psyche, durch Drogenexzesse, die unbeständige

53 Zitate.eu. Georg Trakl. www.zitate.eu/de/autor/5268/georg-trakl. Stand:08.03.2015. Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl.

„Alle Straßen münden in schwarze

Verwesung“ – Georg Trakl53

44

Beziehung zu seiner Schwester und extreme Geldnot, wurde immer instabiler. Während

des Studiums veröffentlichte er weitere Werke, die auch außerhalb Salzburgs

veröffentlicht wurden wie zum Beispiel Andacht oder Vollendung im Neuen Wiener

Journal. Nach dem Abschluss seines Pharmaziestudiums meldete er sich als einjähriger

Freiwilliger zum Militärdienst. In diesem Zug wurde er nach Galizien versetzt, wo er

zum Teil 100 Schwerverletzte allein versorgen musste. Im Militärlazarett entstand sein

wohl bekanntestes Gedicht Grodek (1914), welches vom Leiden und dem Tod dort

berichtet. Durch seine traumatischen Kriegserfahrungen und einen

Nervenzusammenbruch wurde er selbst zum Kriegsopfer und starb am 03. November

1914 an einer Überdosis Kokain im Krankenhaus.54

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek (1914)55

Das Gedicht beschreibt sehr düster und mit vielen bildlichen Umschreibungen den Tod,

Verletzte und insgesamt die Kriegssituation, besonders die Situation in den Lazaretten.

Die Anrufe an Gott scheinen Zorn auszudrücken darüber, dass Gott die Massenmorde

zulässt. Die Farbe rot soll hier mit Sicherheit für vergossenes Blut stehen, wobei es noch

einmal den Eindruck, dass es um Verletzte geht, verstärkt. Der letzte Vers lässt den

Leser mit einem Schock allein, dass nicht nur die Soldaten im Krieg gefallen sind,

sondern noch viele potenzielle Kinder mehr.

54 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Trakl. Stand:07.03.2015. Die Lyrik Georg Trakls anhand exemplarischer Beispiele. Georg Trakl Biographie. http://www.georgtrakl.de/georg-trakl-biographie.html. Stand:08.03.2015. 55 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Seite 26.

45

iii. Georg Heym

Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg (Schlesien) als Sohn des

Staats- und späteren Reichsmilitärstaatsanwalts Hermann Heym geboren. Er hatte eine

zwei Jahre jüngere Schwester namens Gertrud. Aufgrund der Arbeit seines Vaters

musste Heym in seiner Kindheit oft umziehen.

In seiner Schulzeit musste er aufgrund von mangelhafter Noten und schlechten

Benehmens die Schule wechseln, bis er 1907 sein Abitur erhielt. Bereits 1899, mit 15

Jahren begann Heym erste literarische Werke zu schaffen. Auf den dringenden Wunsch

seines Vaters hin begann er 1907 ein Jura Studium, welches er in Berlin, Jena und

Würzburg absolvierte. 1910 tritt Heym in den „Neuen Club“ in Berlin ein, wo er

verschiedenste Schriftsteller kennenlernt, die ihn inspirierten und zu seinem eigenen

Stil führten.

Nachdem er aufgrund von Fehlverhalten von seinem Jurastudium suspendiert wird,

denkt er zwiespältig über seinen weiteren Lebensweg nach und bewirbt sich sowohl für

eine Offizierslaufbahn als auch für ein Chinesisch Studium. Als Heym Hildegard Krohn

im Sommer 1911 kennenlernte, widmete er einige seiner Gedichte. Am 16. Januar 1912

56 Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Heym. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Aphorismen.de. www.aphorismen.de/suche?f_autor=1742_Georg+Heym. Stand:07.03.2015.

„Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben“- Georg Heym56

46

ertrank er in der Havel bei dem Versuch jemanden nach einem Schlittschuhunfall zu

retten.

Georg Heym gilt trotz seins kurzen Lebens als einer der wichtigsten Vertreter des

Frühexpressionismus. Sein erster Gedichtband Der ewige Tag (1911) gilt als das erste

bedeutende Werk des lyrischen Expressionismus. Viele seiner Werke entstanden in

Anlehnung an französische Dichter wie zum Beispiel Arthur Rimbaud (1854-1891) oder

Charles Baudelaire (1821-1867).

Seine Prosatexte lehnen sich noch an die Symbolik der Neuromantik, er übernimmt die

Themen des übernatürlichen und exotischen. So zum Beispiel in seiner Prosa Die

Athener Ausfahrt, welche von der Absurdität der menschlichen Existenz handelt.57

In seinen Gedichten beschäftigt sich Heym vor allem mit dem Großstadtmotiv, Krieg und

Gefühlen der Angst. Er beschreibt zum Teil detailliert Untergangsszenarien, aber auch

biblische Motive finden in seiner Lyrik Verwendung. Insgesamt hinterließ er rund 500

Gedichte und lyrische Entwürfe, sowie Prosastücke und wenige dramatische Arbeiten.58

Das oben genannte Zitat Heyms spiegelt seine eigene Situation wider. Er fühlte sich von

seiner Familie, besonders von seinem Vater unverstanden und hegte schon früh

Selbstmordgedanken. In Menschen mit ebenso „zerrissenem Herzen“ sah er quasi

Verbündete mit ähnlichen Problemen.59

1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der Stadt (1910)60

Das Gedicht handelt von einer Großstadt und ihrem Herrscher, welcher ein düsteres

Verhältnis zu seiner Stadt hat. Der Gott ist erzürnt über die Zustände, was beim Leser

ein Gefühl des Unbehagens auslöst. Auf der anderen Seite scheint der Gott von den

Abgasen der Fabriken, die er mit Weihrauch vergleicht angetan zu sein. Außerdem wird

57 Lebendiges Museum Online. Georg Heym. https://www.dhm.de/lemo/biografie/georg-heym. Stand:08.03.2015. dibb.de. Biografien. Georg Heym. http://dibb.de/georg-heym.php. Stand:08.03.2015. 58 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. 59 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 50. 60 Lyrikwelt. Gedichte. Georg Heym. http://www.lyrikwelt.de/gedichte/heymgeorgg1.htm. Stand:08.03.2015.

47

die Macht deutlich, die der Gott über die Stadt hat, indem er in der letzten Strophe

einfach eine Gasse in Flammen aufgehen lässt. Das Thema ist hier eindeutig die

Großstadt und dabei vor allem die Auswirkungen der Industrialisierung.

f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym

Das Gedicht „Die Vorstadt“ von Georg Heym, erschienen im Jahr 1910, handelt vom

unüberwindlichen Elend in der Großstadt.

Das Gedicht behandelt verschiedene Schicksale von Menschen, die unter der Großstadt

leiden oder deren Leid in der Großstadt gründet. Dabei werden viele Einzelschicksale

repräsentativ für das Gesamtelend dargestellt.

Die Handlungen und Situationen werden von einem Außenstehenden detailliert

dargestellt. Zuerst werden die äußerlichen Zustände beschrieben, in welchen sich die

Handlung des Gedichtes abspielt (vgl. V. 1-4). In der zweiten Strophe geht es um

verschiedene Personen („sie“ V.5) und ihre körperliche Verfassung und ihre

inakzeptable Lebenssituation in Lumpen (vgl. V. 7). Daraufhin geht es um einen

Behinderten mit amputierten Armen, einen lallenden Irren und einen alten Mann. Die

nächste Strophe handelt von bettelnden, verkrüppelten Kindern sowie einem Blinden

und einem Bettler, die versuchen sich in einem Kellerloch von Dreck oder Müll zu

ernähren. Außerdem werden ältere Frauen und ihre elenden, abgemagerten Kinder

dargestellt. Noch einmal wird das Bild des Blinden aufgegriffen, allerdings diesmal in

Verbindung mit einem Lahmen, welcher zu einem französischen Revolutionslied tanzt.

Die letzte Strophe zeigt einen Hoffnungsschimmer, welcher aber letztendlich nicht

überwiegen kann.

Das vorliegende Gedicht besteht aus acht Strophen, wobei dies im Gegensatz zum

Original um drei Strophen gekürzt wurde. Jeder der Strophen besteht aus vier Versen

von denen sich im umarmenden Reim jeweils der erste und der letzte, sowie die beiden

mittleren reimen (abba-cddc usw.).

Das Metrum ist der 5-hebige Jambus, auch Blankvers genannt. Dieser strahlt eine

gleichmäßige Ruhe aus und gibt dem Leser ein Gefühl von Harmonie, welches hier in

totalem Gegensatz zum Chaos des Inhalts des Gedichtes steht.

48

Die Kadenz ist bis zur 4. Strophe durchgehend männlich. Klar und deutlich werden die

Tatsachen des Elends ohne Beschönigung, eher mit Dramatisierungen beschrieben. Ab

der 4. Strophe haben jeweils der erste und der letzte Vers einer Strophe eine männliche

Kadenz und die beiden mittleren eine weibliche. Dies führt zu einem weichen,

wohlklingenden Klang, der Leser bekommt das Gefühl, dass die beiden inneren Verse

durch die äußeren geschützt und abgeschottet bleiben. Die 7. Strophe ist eine Ausnahme

hinsichtlich der Kadenz, da die gesamte Strophe auf eine weibliche Silbe endet.

Inhaltlich lässt sich dies auf den musikspielenden Leierkasten und die Kastagnette

beziehen, welche auch einen melodischen Klang besitzen. Der Inhalt wird hier durch die

Form unterstützt (vgl. V. 21ff.).

Der Titel „Die Vorstadt“ lässt die Meinung des Autors außen vor und gibt dem Leser die

Möglichkeit sich selbst Gedanken über diesen Ort zu machen. Wenn man sich allerdings

einmal mit Georg Heym beschäftigt hat, weiß man, dass er der Großstadt sehr skeptisch

gegenüberstand und die Armut, das Elend, Hunger und Krankheit in seinen Werken oft

unbeschönigt darstellte. Kennt man ihn allerdings als Autor nicht, hat man die

Möglichkeit sich auch mit den schönen Aspekten der Großstadt, den erfolgreichen

Unternehmen und der Forschung und Entwicklung zu beschäftigen, welche durchaus

Nervenkitzel und positive Spannung auslösen. Diese Vorstellungen werden allerdings

direkt im ersten Vers zunichte gemacht und es wird klar, dass der Autor sich mit der

Schattenseite der Vorstadt auseinandersetzt.

Der Neologismus „Gassenkot“ (V.1) impliziert die miserable Situation in den ärmeren

Vierteln der Vorstadt und die schlechten sanitären Bedingungen, er zeigt, dass die

schlechten Einflüsse der Großstadt sich sogar auf die weiter außen liegenden Bezirke

ausweitet. Das Wort scheint alles auf den Punkt zu bringen, was man sich unter Dreck,

Müll oder sogar Abwässern in einer dunklen Gasse vorstellen könnte. Zu diesen sowieso

schon unangenehmen Eindrücken kommt eine gruselige Gesamtstimmung hinzu, welche

durch den Mond ausgelöst wird, welcher hier als „Schädel, weiß und tot“ (V. 4)

charakterisiert wird. Die „Dünste“ (V.2) stehen vermutlich für Wolken am Nachthimmel,

allerdings intensiviert die Wortwahl noch einmal die ungeheure Gesamtstimmung. Des

Weiteren könnte man sich in der heutigen Zeit vorstellen, dass Dünste wie zum Beispiel

der Smog in asiatischen Großstädten gemeint ist, also industrielle Abgase, welche die

sonst klare Nachtluft verpesten.

49

Der Mond als Lichtquelle schafft es kaum die Stadt zu erleuchten und gegen die Dünste

als Symbol für die Industrie und Fabriken anzukämpfen, die Naturgewalten verlieren

ihre Kraft und geraten vollkommen in den Hintergrund (vgl V. 2ff). Dies lässt sich auch

sehr gut auf den Epochenwandel von der Romantik zum Expressionismus beziehen, die

Romantik beschäftigte sich intensiv mit der Natur und ihrer Schönheit, während diese

im Expressionismus aus dem Themenbereich verdrängt wird. Andere gesellschaftliche

Themen und die Konfrontation des Lesers mit den Missständen spielen im

Expressionismus eine größere Rolle.

Der 3. Vers, welcher sich auf den zweiten zurückbezieht, ergänzt das negative Bild der

großstädtischen Umwelt. Der Himmel wird als „nieder“ (V.3) und der Mond als

„sinkend“ (V.3) bezeichnet, womit die gesamte Natur in dieser Strophe degradiert und

noch einmal deutlicher als zerstört dargestellt wird. Der letzte Vers der ersten Strophe

vervollständigt das gruselige, kalte Bild des Mondes indem er als „ungeheurer

Schädel“ (V.4) bezeichnet wird. Die Ergänzung „weiß und tot“ (V.4) verstärkt hier den

Eindruck des Leidens und des Elendes in der Großstadt. Der Mond, welcher

normalerweise in der Nacht als Lichtquelle funktioniert wird hier dramatisiert und

repräsentiert als toter Schädel den Charakter der Großstadt, den der Autor hier

vermittelt. Insgesamt verkörpert die erste Strophe durch die Häufung der Vokale o und

ü eine negative, beklagenswerte Stimmung.

Die zweite bis sechste Strophe bezieht sich auf jeweils unterschiedliche Personen, die

stark vom Elend der Großstadt betroffen sind. Die zweite Strophe bezieht sich auf eine

Personengruppe, die mit „sie“ (V. 5) angesprochen wird. Das Bild der „Warme[n]

Sommernacht“ (V.5), welches normalerweise eine positive Konnotation trägt wird in

den nächsten Versen widerlegt. Der Autor arbeitet gezielt mit diesen Bildern, zu denen

sich der Leser selbstständig Gedanken machen kann und leitet ihn absichtlich in eine

falsche Richtung, sodass die Realität, die der Autor beschreibt an Dramatik gewinnt und

dieser Eindruck durch den starken Kontrast noch einmal verstärkt wird. Die

Sommernacht wird aus diesem Grund dann mit „Höhlen“ (V. 6) und der „schwarzen

Unterwelt“ (V.6) in Verbindung gebracht. Die Unterwelt könnte, übertragen auf die

heutige Zeit, das U-Bahn Linien Netz sein, welches in jeder Großstadt vorzufinden ist

und wo man oft auch Bettler oder Straßenmusikanten auffindet. Eine andere Hypothese

für die Funktion dieser Beschreibung, welche besser in das Zeitalter des

Expressionismus passt., wäre, dass mit der schwarzen Unterwelt die Straßen und

50

Gassen gemeint sind, welche im Schatten der Hochhäuser liegen und niemals ans Licht

gelangen. Auch könnte man es auf die Personen beziehen, von denen in dieser Strophe

die Rede ist, diese gelten als „Unterwelt“, weil niemand sie sehen und akzeptieren will,

sondern sie als Symbole des Elend ignoriert werden. In diesem Milieu leben Personen

gekleidet „im Lumpenzeuge“ (V.7), ein Neologismus, der auf die zerrissene, dreckige

Kleidung der Menschen hinweist. Eine Steigerung dieses Bildes wird durch die

Ergänzung „das vor Staub zerfällt“ (V. 7) erzielt. In Vers 8 wird der Höhepunkt dieser

Klimax erreicht, als „aufgeblähte Leiber“ (V. 8) unter der Kleidung zum Vorschein

kommen. Eine derartige Klimax erzeugt im Leser zuerst ein Entsetzen, welches der

Autor dann versucht beizubehalten und sogar noch zu verstärken. Dieses Entsetzen,

oder auch das Bild, welches die beschriebenen Extremzustände im Kopf des Lesers

erzeugen, bleiben ihm noch lange in Erinnerung. Ein aufgeblähter Bauch ist dabei ein

Symptom, welches bei akutem Eiweißmangel, also absoluter Mangelernährung, auftritt.

Die Grundbedürfnisse dieser Personengruppe, dem allgemeinen „sie“ (V.5), werden

nicht gestillt. Somit kann Strophe 2 als allgemeines Bild der Deformation des Menschen

interpretiert werden.

Strophe 3 setzt sich mit weiteren Merkmalen der Großstadt auseinander. Die

wiederholte Ortsangabe „hier“ (V.9 und 10) dient als eine Art Aufzählung der

verschiedenen Dinge, die an diesem Ort geschehen. Das „zahnlos“ (V. 9) „klaff[ende]

Maul“ (V.9) und die Armstümpfe in Vers 10 verdeutlichen den menschlichen Zerfall in

der Großstadt.

Auch das Adjektiv „schwarz“ (V. 10) in Bezug auf die verkrüppelten Arme löst beim

Leser Ekel aus. Eventuell wird mit diesem Bild eine Seuche dargestellt werden, bei der

die Haut verödet wie zum Beispiel Lepra. Dies erinnert noch einmal an die schlechte

medizinische Versorgung und die unhygienischen Lebensbedingungen, welche um die

Jahrhundertwende in den Ballungszentren auftreten.

Die letzten beiden Verse der dritten Strophe beziehen sich repräsentativ auf zwei

verschiedene Bevölkerungsgruppen. In Vers 11 wird Bezug auf einen lallenden Irren

genommen, in Vers 12 auf einen Greis, dessen Haare sich weiß färben, was auf seinen

Alterungsprozess hinweist (vgl. V11f.). Auch diese beiden Individuen sind Außenseiter

der Gesellschaft. Alkohol war für viele inmitten des harten Arbeiterlebens der einzige

Fluchtweg in eine andere, zumindest vorübergehend bessere Welt. Auch der

51

Alterungsprozess wird durch die viele Arbeit und die damals herrschenden schlechten

Sicherheitsbedingungen beschleunigt. Oft standen also die positiven Aspekte in

direktem Zusammenhang mit den negativen, denn es waren die Fabriken, die nicht

darauf achteten welche und wie viele Gase ihre Arbeiter einatmeten. Starb jemand oder

fiel er aus, wurde er einfach durch einen neuen Arbeiter ersetzt.

Im Kontrast zu Strophe 3, der älteren Bevölkerung der Großstadt, geht es in Strophe 4

um die Großstadtkinder. Die Strophe beginnt mit einem Enjambement, einem

versübergreifenden Satz, welcher hier den inhaltlichen Zusammenhang der Verse durch

die Form unterstreicht. Die Kinder, welche grundsätzlich für Hoffnung und Zukunft

stehen, werden hier genau entgegengesetzt der Erwartungen dargestellt. Ihnen „brach

[man] früh die Gliederchen“ (V.14), was zum einen die erschreckende Grausamkeit der

Großstadt, und womit zum anderen ein typisches Merkmal des Expressionismus, die

Deformation des Menschens dargestellt wird. Auch der nächste Satz ist ein

Enjambement, sowohl als auch ein Paradoxon. Die Kinder, welche durch ihr Verhalten –

sie „springen“ (V.14) und „humpeln voll Entzücken“ (V.14) – als lebensfroh

charakterisiert werden können, müssen an Krücken gehen und betteln (vgl. V. 16). Ihr

physischer Zustand steht hier in direktem Gegensatz zu ihrer psychischen Verfassung,

ihrer kindlichen Lebensfreude und ihrer unbeschwerten Ausstrahlung.

Die nächste Strophe befasst sich mit der Beschreibung eines Kellers, wo Bettler leben

(vgl. V. 17-20). Diese starren böse auf Fischgräten, woran sich erkennen lässt, dass sie

Hunger leiden. Der nächste Vers in ein in sich geschlossener Satz. Die Bettler „füttern

einen Blinden mit Gekröse“ (V.19). Hier zeigt sich auf deinen Seite das unglaubliche

Elend der Großstadt, auf der anderen Seite zeigt sich, wie die Verlierer untereinander

zusammenhalten und sich gegenseitig kümmern und versorgen. Trotz der

Rücksichtslosigkeit und Brutalität in der Großstadt, zeigt sich hier, dass das soziale

Verhalten nicht komplett durch den reinen Kapitalismus verloren hat.

Auch der nächste Vers ist ein in sich geschlossener Satz, der Leser wird durch diese

Aufzählung von vollendeten Sätzen mit jedem Satz vor vollendete Tatsachen, vor Fakten

gestellt, die er nicht wagt anzuzweifeln. Diese kurzen Sätze sind ausdrucksstarke

Statements des Autors. In diesem Satz wird nun der Blinde beschrieben wie er auf ein

Tuch erbricht (vgl. V.20.). Das Elend nimmt also eine Steigerung an. Die Farbe

„schwarz“ (V.20) steht dabei symbolisch für das Schlechte, den Tod und natürlich für das

52

Grauen der Großstadt. Es bleibt für diese Personen, den Abschaum der Gesellschaft, kein

Hoffnungsschimmer auf eine Besserung der Situation übrig. Der Neologismus

„Hemdentuch“ (V.20) symbolisiert hier die Lumpen, die die Bettler tragen. Das Tuch ist

nicht mehr klar als Hemd definierbar, vielleicht ist es zerschunden oder zerrissen, daher

wird diese Mischung als „Hemdentuch“ (V.20) bezeichnet. Es steht für die schlechten

Lebensbedingungen und die nicht erfüllten Grundbedürfnisse der Bettler.

Die 6. Strophe behandelt das Sexualleben der Armen in der Großstadt. Die Metapher

„Lust löschen“ (V.21) zeigt hier wie wichtig das Sexleben für die Elenden ist um für

einen kurzen Moment der grausamen Realität zu entfliehen. Allerdings stellen die

vermeintlichen Prostituierten hier „alte Weiber“ (V.21) dar, welche mit „welker

Brust“ (V.24) beschrieben werden. Insgesamt erscheinen sie dem Leser als unattraktiv,

zerfallen und alt. Vergleichbar mit einer welken Blume, haben auch diese Frauen die

Hochzeiten ihres Lebens lang hinter sich gelassen. Die Imagination, welche sich beim

Leser bezüglich der Frauen entwickelt, ist eher abstoßend. Der zweite Teil der Strophe

handelt von den verkümmerten Kindern der Frauen. Sie liegen in „morschen

Wiegen“ (V.23), was ihre mangelhafte Lebenssituation und schlechte

Zukunftsperspektiven unterstreicht. Eine Klimax der schlechten Lebensbedingungen

zeigt sich im nächsten Vers: die Kinder sind „mager“ (V. 24) und können auch, von den

oben genannten ausgezehrten Frauen nur wenig Nahrung erwarten. Ihr Leben ist schon

am Anfang dem Tode geweiht.

Auch die vorletzte Strophe behandelt noch einmal das Elend in der Großstadt. Es wird

noch einmal das Bild des Blinden aufgegriffen, auch das Symbol der schwarzen Farbe,

diesmal allerdings in Verbindung mit einem Bett, welches hier erscheint wie ein Sarg.

Auch der Blinde ist, ähnlich wie die Kinder, dem Tode geweiht. Dazu spielt er auf einem

Leierkasten ein französisches Revolutionslied, die „Carmagnole“ (V.20). Dies zeigt, dass

die Leidenden in der Großstadt in dieser aussichtslosen Situation zurück an die Zeiten

der französischen Revolution denken und diese zum Vorbild für einen neuen

Widerstand haben. Sie haben noch einen kleinen Hoffnungsschimmer durch einen

Bürgeraufstand eine Verbesserung der Lebenssituation erreichen zu können. Auf der

anderen Seite ist die Ironie in dieser Passage nicht zu übersehen. Wie sollten die

Elenden, die Versager, ja die Außenseiter der Gesellschaft einen Bürgeraufstand

erzeugen, wenn sie doch so oder so schon dem Tode geweiht sind und nur noch kraftlos

auf den Tag der Erlösung hoffen? Auf der anderen Seite lässt sich im Folgenden

53

erkennen, dass ein Hoffnungsschimmer durch einen musizierenden und tanzenden

Lahmen dargestellt wird. Diese Antithese intensiviert den Eindruck der Ironie bezüglich

der Hoffnung auf eine Besserung. Ein Lahmer kann nicht tanzen, physisch gesehen

unmöglich, genau so unmöglich wie auch ein Bürgeraufstand der Besiegten (vgl. V. 27-

29).

Auch der helle Klang der Kastagnette steht in ironischem Gegensatz zu der

Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Menschen, welche in den vorherigen

Strophen beschrieben werden.

Diese Strophe nimmt ironisch all die vorher genannten negativen Aspekte der Großstadt

auf und verstärkt diesen Eindruck noch einmal, da nicht im Entferntesten die Hoffnung

auf Besserung besteht. Dennoch zeigt die Strophe, dass die Armen bereit sind

aufzustehen und aufzubrechen um sich ihrem Schicksal zu stellen. Die Stimmung

verändert sich in dieser Strophe dadurch, dass die Vokale im Gegensatz besonders zur

ersten Strophe überwiegend einen hellen Klang aufweisen (a, e).

Die letzte Strophe greift das Bild des letzten Hoffnungsschimmers auf. Die Farbe grün

steht eindeutig für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und auch die Himmelsglocke

erzeugt ein positiveres Denken beim Leser als die Strophen zuvor. Der Neologismus

„Krüppeleitelkeit“ (V. 29) ist ein Widerspruch in sich, denn ein Krüppel, ein Verlierer in

der Gesellschaft hat nichts worauf er stolz sein könnte.

Durch den letzten Vers und das Bild der Meteore, einem Himmelskörper, wird der Bezug

zur ersten Strophe hergestellt wo der Mond beschrieben wird. Das Gedicht erhält eine

Art Rahmen und kann als geschlossene Einheit verstanden werden.

Die Intention des Autors in diesem Gedicht ist offensichtlich. Er klagt die Missstände der

Gesellschaft an, welche nicht nur im Zentrum der Großstadt, sondern sogar in ihren

Vorstädten herrschen, und zeigt sie an Beispielen symbolisch auf. Es lässt sich erkennen,

dass obwohl der Autor einen Hoffnungsschimmer, besonders zum Ende hin anspricht,

dieser nicht überwiegt. Der Autor kritisiert diese Missstände vor allem durch seinen

elaborierten Sprachcode, seine durchdachte Wortwahl und den Aufbau des Gedichtes in

verschiedene Phasen des Dramas. Die Großstadt war zur Zeit des Expressionismus ein

zwiespältiges, oft behandeltes Phänomen, besonders im literarischen Bereich. Das

54

Gedicht ist vor allem an die ignorante, eigensinnige, reiche Bevölkerung der Großstadt

zur damaligen Zeit adressiert um auf die unteren Klassen aufmerksam zu machen.

g. Standbilder

Ich habe diese Standbilder erstellt um einen kreativen, künstlerischen Zugang zu den

Merkmalen des Expressionismus zu bekommen. Dabei habe ich versucht mit jeder der

drei kreativen Arbeiten ein Merkmal oder Thema des Expressionismus darzustellen. Oft

verhilft mir die kreative Betrachtung schwieriger Zusammenhänge diese besser

nachvollziehen zu können. Die inneren Monologe zu den beiden ersten Arbeiten

spiegeln mögliche Gefühle der Person auf den Bildern wieder. Dabei habe ich versucht

mich in die Zeit des Expressionismus, der Industrialisierung zurückzuversetzen und

möglichst nah an dieser Zeit die Gefühle wiederzugeben.

Die dritte Arbeit ist eine Collage ausgeschnittener Köpfe aus verschiedensten Zeitungen.

Die Menschen, zu denen die Köpfe gehören, kommen aus verschiedenen sozialen Lagen,

aber haben alle eine Verbindung zu Deutschland, da sie alle in deutschen Zeitungen

abgebildet waren. Durch diese Collage wollte ich die deutsche Gesellschaft heute

darstellen, in der das Individuum auch heute noch verloren geht. Oft teilen wir

heutzutage in Gehaltsklassen oder soziale Milieus ein und vergessen dabei den Wert

jedes einzelnen. Aus diesem Grund habe ich auch mein Gesicht zwei mal in die Collage

eingearbeitet, sowie die Gesichter von zwei guten Freundinnen. Eine Person kann mich

als Individuum noch so gut kennen, doch immer noch gehen wir manchmal in der Masse

der Gesellschaft unter. Damit wollte ich das Gefühl in der Masse allein zu sein oder sich

unverstanden zu fühlen, welches viele Expressionisten hatten, kreativ darstellen und es

auch auf die heutige Gesellschaft übertragen.

55

Apokalypse

Und was jetzt? Wohin? Weg? Hier bleiben? Gestank. Dünste. Nebel. Ich kann nichts

sehen. Deformation, nur noch ein Auge übrig. Was ist passiert? Die Apokalypse naht, ich

bin mir sicher. Diese Welt wird nicht mehr lang existieren. Existenzminimum. Was ist

das? Davon träume ich. Abhängigkeit von den Monstern. Monster der Industrie, riesige

Hallen ohne Charakter, krank. Einen Arm verloren in der Fabrik. Ein Auge verätzt im

Chemielabor. Unzählige Arbeiten, Jobs. Was hat es geholfen? Nichts. Immer noch auf der

Straße. Immer noch arm. Immer noch krank. Chancenlos. Abschaum der Gesellschaft,

doch wen interessiert’s? Verkümmern zwischen den Ratten, Dreck. Denkt niemand über

unsere Welt nach? Das Auge allein erkennt die Missstände. Alles andere überbewertet.

Einäugig, fast blind, reicht gerade noch für diese verschwommene Welt aus Nichts,

Gewinn fern, unerreichbar. Wohin gehe ich? Wohin geht diese Welt? Meine Stadt?

Wohin? Apokalypse. Verderben der Welt.

56

Ich-Zerfall/Deformation

Schmerz. Schrei. Tod. Ich. Wo bin ich? Wer bin ich? Inmitten der Gesellschaft zerstört.

Aber sie lebt. Warum darf ich nicht leben? Warum muss ich sein wie alle anderen?

Warum muss ich mich verbiegen? Was ist mit den anderen? Wie fühlen sie sich? Ich

habe Schmerzen. Im Herzen. Im Kopf. Ich ertrage es nicht mehr. Diese Gesellschaft.

Zerstörend. Die Straßen, voll von Elend. Ratten. Bettler. Dreck. Wo ist Gott? Wo ist der

Helfer? Ein Helfer? Die Fabriken zerstören diese Stadt. Diese Gesellschaft, getrübt vom

Abfall der Industrie. Wer kriegt den Gewinn? Nicht Ich. Ich. Wer ist das? Zerstört. Wo bin

ich? Was bin ich? Noch Mensch oder schon Staub? Klein. Nichtig. Krank. Arbeit. Wohin?

Was kann ich tun? Verzerrt. Verzerrt durch Arbeit. Gesellschaft. Industrialisierung.

Monster der Industrie. Was bin ich? Wo ist mein? Kaputt. Tod. Zerrissen. Verzerrt.

57

h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke

i. Comic

Beigefügt ist ein Comic zu meinem Gegengedicht zu Gottfried Benns Mann und Frau gehn

durch die Krebsbaracke. Jede Strophe ist in einem Bild symbolisch dargestellt. Der Comic

zieht das eigentlich schwerwiegende Thema der Krebserkrankung hier vereinfacht ins

Lächerliche, indem zum Beispiel der Tumor als ein kleines Monster dargestellt ist.

Dieser kreative Ansatz sollte dazu beitragen zwar erst über den Comic lachen zu können,

sich aber danach umso ernster mit dem wirklichen Gedicht auseinanderzusetzen. Auch

dient der Comic dazu sich vor dem Lesen des Gedichtes Gedanken dazu zu machen, wie

das Gegengedicht aussehen könnte.

i. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke (Annalena Kill, 2015)

Die Frau in der Krebsbaracke

1 Die Frau: 2 Schockstarre. Gestank. Frauen. Enge. 3 Welke Brust an krummem Rücken.

4 Entblößt aufs Letzte. Unkontrolliert zuckend. 5 Gespickt von Blasen. Warm rinnen Säfte. 6 Blut. Eiter. Stunk.

7 Tumor frisst alles. Warm. Weich. 8 Dunkle, tiefe Höhlen. Augen? 9 Krüppeldasein unbekümmert 10 Schrei auf, Schmerzen.

11 Rot. Dunkelrot. Frisch. Rot. 12 Hoffnung versprüht, keine Chance, 13 Na, du Elend. Wohin?

14 Dies Haar verklebt, schweißüberströmt, 15 Fühln sie noch? 16 Decken zum Schutz doch was 17 Was soll es nutzen?

18 Nahrung verwehrt den Tod 19 Zu beschleunigen. 20 Schwestern. Roboter am Krankenbett. 21 Sie wechseln stündlich.

22 Alle Liebenden vergangen

58

23 Bloß Leere Hüllen übrig 24 Wer trägt sie von der Welt 25 Aus in der Krebsbaracke.

Dieses Gedicht entstand in Anlehnung an das Gedicht „Mann und Frau gehn durch die

Krebsbaracke“ von Gottfried Benn. Das Original ist aus der Sicht eines Mannes,

vermutlich einem Arzt in der Krebsbaracke, welcher eine Frau durch die Reihen

krebserkrankter Menschen führt und dieser die verschiedenen Personen zeigt,

geschrieben. Das Gedicht umfasst 7 reimlose Strophen, wobei 3 Strophen Quartette

(Strophe 1,2,4) und 4 Strophen Triplette (Strophe 3,5,6,7) vorweisen. Des Weiteren

lassen sich im Originalgedicht viele rhetorische Mittel wie zum Beispiel Parallelismen,

Repetitionen und ganze Sätze innerhalb des Gedichtes finden. Die einzelnen Strophen

beschreiben den abstoßenden, unaufhaltsamen Verfallsprozess der Krebskranken.

Dabei greift Gottfried Benn auf die Thematik des Todes, der Vergänglichkeit und des Ich-

Zerfalls zurück. Dies zeigen vor allem die detaillierten Beschreibungen der hoffnungslos

Erkrankten wie zum Beispiel „Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.“ (V. 12). Der

Ich-Zerfall wird vor allem dadurch deutlich, dass die Menschen in der Baracke wie in

einem riesigen Vorratslager von verschiedenen Dingen aufgebahrt und verstaut sind.

Während der Arzt die Frau durch die Reihen führt zeigt er ihr verschiedene „Reihen“ (V.

2), wodurch der Eindruck entsteht als würde es sich nicht mehr um menschliche Wesen,

sondern um Dinge handeln. Außerdem wird den Menschen ihre letzte Würde

genommen, indem der Arzt sie vor der Frau entblößt und ihre Decken anhebt um ihr die

Verletzungen zu präsentieren, ja er lässt sie sogar einen Kranken anfassen (vgl. V.9-11).

Außerdem macht der Autor Gebrauch von der „Ästhetik des Hässlichen“. Dies lässt sich

besonders daran erkennen, dass er die Krebsgeschwüre mit einem „Rosenkranz von

weichen Knoten“ (V. 10) vergleicht und das bloße Fleisch als „weich“ (V. 11) bezeichnet.

Der Autor versucht durch diese Ironie den Sachverhalt übertriebener, krasser

darzustellen um beim Leser ein Gefühl des Ekels auszulösen.

In meinem Gegengedicht habe ich die gleiche Situation aus Sicht der Frau dargestellt, sie

wird herumgeführt, stellt Fragen und wundert sich. Allerdings habe ich mein Gedicht

formal gesehen exakt entgegengesetzt zum Gedicht von Gottfried Benn formuliert. In

meinem Gedicht sind 4 Strophen Quartette und zwar die Strophen 3,5,6 und 7, welche

bei Benn nur Terzette sind. Demnach bestehen bei mir die Strophen 1,2 und 4 aus

Terzetten. Des Weiteren habe ich kein Reimschema eingebaut, da dies meiner Meinung

59

nach eines der auffälligsten Merkmale des Expressionismus ist. Im Gegensatz zu Benns

Gedicht enthält meins keine ganzen Sätze, das Ziel war es die Strukturarmut als Mittel zu

nutzen um die Verwirrung der Frau über den menschlichen Zerfall erfolgreich

darzustellen.

Außerdem habe ich versucht möglichst viele Merkmale des Expressionismus in dieses

Gedicht einzubringen, deshalb werde ich im Folgenden kurz auf jeden Vers eingehen:

V.1: Kennzeichen des Gegengedichts, Gedanken der Frau werden widergespiegelt V.2: Telegrammstil, Simultaneität, Dissoziation, verschiedenste Eindrücke wirken auf die Besucherin V.3: Deformation des Menschen, Zerfall, Vergänglichkeit V.4: Darstellung des Tabuthemas Krebserkrankung und des Peinlichen und Hässlichen V.5: Ästhetik des Hässlichen, Dissoziation, Dynamisierung der Sprache durch „rinnen“ V.6: Telegrammstil, Simultaneität der Eindrücke, Dissoziation V.7: Dynamisierung der Krankheit, sie breitet sich aus, Telegrammstil, Personifizierung des Tumors V.8: Deformation des Menschen, rhetorische Frage -> Verwirrung, Orientierungslosigkeit V.9: Neologismus, Brechen mit Regeln der Syntax, Telegrammstil V.10: Deformation des Menschen, Sprachverknappung V.11: Farbintensität um Eindrücke zu verstärken, Telegrammstil V.12: Dynamisierung der Hoffnung -> verloren, Antithese V.13: Personifizierung des Elend, rhetorische Frage -> Schock, Ratlosigkeit V.14: Darstellung des Hässlichen, Dynamisierung der Krebskrankheit, elliptischer Satzbau V.15: Ich-Zerfall, Darstellung des einzelnen in einer Gruppe, rhetorische Frage V.16: Euphemismus –> „Schutz“ vor Krebs gibt es nicht, Ironie V.17: Paradoxon, Aussichtslosigkeit der Situation V.18: Personifizierung der Nahrung, Paradoxon, Nahrung schützt vor dem Tod, normalerweise, Tod als Erlösung dargestellt V.19: Variation der gebräuchlichen Syntax, Enjambement V.20: Telegrammstil, Antithese: Roboter können nur einfache Aufgaben erledigen, Depersonalisierung der Krankenschwestern V.21: V.22: Beginn des Schlusses, Hoffnungslosigkeit, Dynamisierung V.23: Depersonalisierung, V.24: rhetorische Frage: Verwirrung, Orientierungslosigkeit V.25: Auflösung des Ortes, Schluss

60

j. William Shakespeares Ophelia als expressionistisches Motiv der Lyrik61

Ophelia, ein Charakter aus William Shakespeare’s Tragödie Hamlet, ertrinkt beim

Binden von Blumenkränzen in einem Fluss. Doch was macht Ophelia so interessant für

die Expressionisten? Es erschienen zahlreiche Bilder und Gedichte verschiedenster Art

von und zu Ophelia, die alle versuchen die Schönheit Ophelias mit ihrem Tod in Einklang

zu bringen. Dabei ging es im Expressionismus vor allem um das Merkmal der „Ästhetik

des Hässlichen“, wobei Todes- und Zerfallsprozesse künstlerisch mit einer gebrochenen,

zerstörten Schönheit verbunden werden.

Exkurs: Ophelia ist die Tochter von Polonius, des obersten Beraters des Königs

Claudius. Im Laufe der Tragödie beweist Ophelia unterschiedliche Charakterzüge. Auf der

einen Seite ist sie ein unschuldiges, nettes, wunderschönes junges Mädchen, dass sich in

ihrer Unschuld in Hamlet, den Thronfolger verliebt. Sie ist aufrichtig und gehorcht ihrem

Vater bedingungslos. Als Hamlet sie allerdings zurückweist wird dem Leser erst bewusst

wie sehr Ophelia Hamlet liebt, und dass sie mit der neuen Situation nicht umgehen kann.

Außerdem ist Ophelia ein intelligenter, aufmerksamer Charakter, sie versteht Ironie und

weiß wie sie darauf zu reagieren hat. Des Weiteren ist sie gegenüber ihrem Bruder

Laertes, der versucht ihr Ratschläge zu geben sehr schlagfertig. Als ihr Vater Polonius

ermordet wird bricht für Ophelia eine Welt zusammen und sie wird wahnsinnig, was

allerdings nicht ihren durch und durch intelligenten Charakter einschränkt.

Arthur Rimbaud: Ophelia I (1870)

1 Auf stiller, schwarzer Flut, im Schlaf der Sternenfeier, 2 Treibt, einer großen Lilie gleich, Ophelia, 3 Die bleiche, langsam hin in ihrem langen Schleier. 4 Man hört im fernen Wald der Jäger Hallala.

5 So, weißes Traumbild, länger schon als tausend Jahre, 6 Ophelia auf dem schwarzen Wasser traurig zieht; 7 Ihr sanft verstörter Geist, schon mehr als tausend Jahre, 8 Singt leis im Abendhauche sein romantisch Lied.

9 Der Wind küsst ihre Brust und bauscht des Schleiers Seide 10 Wie eine Dolde auf, vom Wasser sanft gewiegt,

61 Die Ausarbeitung dieser Wahlaufgabe basiert auf der Literaturstation: Schönheit und Tod – Ein Motiv der Lyrik: Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte Themen und Strukturen. S. 405-409.

61

11 Auf ihre Schulter, leis erschauernd, weint die Weide, 12 Auf ihrer großen Stirne Traum das Schilfblatt liegt.

13 Die Wasserrose seufzt, berührt von ihrem Schweben, 14 Zuweilen, aus dem Schlaf in einem Erlenbaum, 15 Weckt sie ein Vogelnest, draus bang sich Flügel heben. 16 Geheimnisvoll fällt Sang aus goldner Sterne Raum.

Arthur Rimbaud nimmt besonders die schönheitlichen Aspekte der Shakespeare Version

auf. Er legt weniger Wert auf den Ablauf des Todes oder auf Bewegung als auf Ophelias

Schönheit und die Beschreibung ihrer Person. Rimbaud beschreibt Ophelias Körper wie

er auf dem Fluss treibt und vergleicht sie mit einer Lilie (vgl. V. 2). Des Weiteren

beschreibt er durch verschiedene Bilder und Symbole ihre Nähe zur Natur wie zum

Beispiel in der dritten Strophe: „der Wind küsst ihre Brust“ (V. 9).

Die erste Strophe bildet die Exposition der Situation, Ophelia liegt im Wasser und trägt

ein Kleid mit einem Schleier.

Die zweite Strophe bezieht sich auf die Stelle in Shakespeare’s Version, an der Ophelia

nichts ahnend beginnt ein Lied zu singen. Ihr „weißes Traumbild“ (V.5) steht dabei in

Kontrast zum „schwarzen Wasser“ (V.6). Hier wird klar, dass bei Rimbaud klare Ansätze

eines Eskapismus aufzufinden sind: Die Flucht in eine bessere, hellere Traumwelt um

vor der dunklen Realität zu fliehen, so wie auch bei Ophelia nicht klar ist, ob sie

Selbstmord beging oder ihr Tod ein unglücklicher Unfall war. Des Weiteren spielt die

Farbe weiß als Farbe Ophelias eine weitere sehr symbolische Rolle: Ophelia war

unschuldig, frei von Sünden, eine Jungfrau, sodass die Farbe weiß ihren Charakter als

Symbol perfekt zusammenfasst.

In der dritten Strophe (V. 9-12) personifiziert Rimbaud die Umwelt um die Trauer um

Ophelia darzustellen und ihre enge Beziehung zur Natur zu unterstreichen. So „weint die

Weide“ (V.11) zum Beispiel um Ophelia.

Die vierte Strophe (V. 13-16) zeigt noch einmal die Reaktion der Umwelt auf Ophelias

Tod, ein Vögelchen erhebt sich und der „Sang aus goldner Sterne Raum“ (V.16) scheint

eine Art Trauerlied der Natur für Ophelie darzustellen.

In Shakespeare’s Version allerdings wird wirklich die Handlung bzw. der Prozess des

Sterbens von Ophelia wiedergegeben. Dies geschieht in einzelnen Schritten: Zuerst

knotet sie Blumenkränze aus verschiedenen Blumen, dann bricht der Ast, auf dem sie

62

sitzt, sie fällt ins Wasser, singt und erkennt ihre Notlage nicht, ihre Kleider saugen sich

voll und sie ertrinkt.

Georg Heym: Ophelia I (1910)

Mit dem Fortschreiten des Expressionismus verändert sich auch das Ophelia-Motiv.

Während es sich bei Rimbaud wirklich noch um eine als wunderschön beschriebene

Ophelia handelt, so verändert sich dies bei Georg Heym eindeutig zum Merkmal der

„Ästhetik des Hässlichen“.

Dabei geht es oft auch um die morbide gewordene Gesellschaft und die psychischen als

auch die physischen Verfallsprozesse, die er hier repräsentativ für den Expressionismus

am Beispiel der Ophelia, präsentiert.

Ophelias Körper wird mit den verschiedensten Lebewesen und Naturgegebenheiten

verglichen. So wird zum Beispiel Ophelias Haar als „Nest von jungen Wasserratten“ (V.1)

beschrieben um die gebrochene, tote Schönheit Ophelias darzustellen. Des Weiteren

vergleicht er ihre Hände mit „Flossen“ (V.3), Ophelia wird in eine Art Ungeheuer

verwandelt, welches im Schatten des Urwaldes durch den Fluss treibt.

Die Verwendung dunkler Orte wie „im Schatten“ (V.3), „im dunklen Wasserlauf“ (V.12)

oder des Vergleiches „Wie Nachtgewölk“ (V.13) wird eine negative Grundstimmung

vermittelt, was für expressionistische Gedichte typisch ist. Allerdings steht dies in

direktem Gegensatz zum Gedicht Rimbauds, welcher Ophelia als Schönheit beschreibt.

Im Gegensatz zu den dunklen Orten stehen andere helle Attribute wie die Sonne, „ein

langer, weißer Aal“ (V.13) oder ein „Glühwurm“ (V.14), der Licht spenden kann. Dies

sind die Dinge, die direkt in Verbindung mit Ophelia stehen. Das Symbol der weißen

Farbe in Bezug auf Ophelia hat Heym also von Rimbaud übernommen, auch wenn das

Gedicht insgesamt eine negativere, abstoßendere Gesamtwirkung hat.

Außerdem zeigt Heym hier bildlich, dass sich die letzten Sonnenstrahlen in Ophelias

Kopf versenken. Durch die bildliche Sprache „versenkt sich tief in ihres Hirnes

Schrein“ (V.6) wird allerdings auch dieser Anblick wieder hässlich dargestellt, als wäre

Ophelia depersonalisiert, ein Gegenstand.

63

Gottfried Benn: Schöne Jugend (1912)

Vergleicht man das Gedicht Gottfried Benns mit Ophelia von Rimbaud und Heym, so

wird schnell klar, dass jedes dieser Gedichte eine Steigerung der Ästhetik des Hässlichen

ist. Gottfried Benn beschreibt in seinem Gedicht eine namenlose Wasserleiche eines

jungen Mädchens. Es „sah so angeknabbert aus“ (V.3) stellt der Autor fest, um danach in

der Reihenfolge einer pathologischen Untersuchung die Innereien des Mädchens zu

untersuchen. Dabei spielt das Bild der Ratte eine große Rolle, da sich diese ein Nest in

des Mädchens Körper gebaut hatten. Die Ästhetik des Hässlichen verbindet hier die

Faszination eines jungen, schönen, toten Mädchens mit der Realität des menschlichen

Verfallsprozesses nach dem Tod. Dazu gehört zum Beispiel das Bild der aufgebrochenen

Brust des Mädchens, worunter eine „löcherig[e] Speiseröhre“ (V.3) zum Vorschein kam.

Gesteigert wird dies noch dadurch, dass das einst so schöne Mädchen nun für ein

abstoßendes, ekeliges Tier ein Heim bietet. Obwohl die Vorstellung absolut

ekelerregend ist, bleibt doch die Schönheit oder der gute Charakter des Mädchens

erhalten, da sie, rein biologisch gesehen, der Rattenfamilie gute Dienste leistet.

Allerdings wird dieser Eindruck in den letzten beiden Versen des Gedichts wieder

aufgehoben, da jemand, eine unbekannte Person oder Kraft die Ratten ins Wasser

schmeißt. Der Beobachter scheint sich perverser Weise am Schreien der Ratten zu

erfreuen, wodurch auch das Symbol der Dehumanisierung der expressionistischen

Gesellschaft noch einmal aufgegriffen wird.

Insgesamt lässt sich also eine chronologische Steigerung der Ästhetik des Hässlichen in

diesen drei Gedichten erkennen. Die Faszination einer Wasserleiche lag also für die

Expressionisten darin einen gut erhaltenen, oft wie Ophelia schön aussehenden

Menschen zu haben, welchen sie dann durch abstoßende, ekelerregende bildliche

Beschreibungen hässlich darstellen können um die gebrochene, tote, zerfallene

Schönheit darzustellen.

64

c. Fazit

Mit dieser Arbeit konnte ich meine anfangs gestellten Fragen hervorragend beantworten

und sogar darüber hinaus viele neue Informationen sammeln. Die Recherchearbeit war

besonders für die Epochenüberblicke sehr umfassend und zeitaufwendig, sowohl die

Informationen aus Nachschlagewerken, als auch die aus dem Internet musste man

sorgfältig filtern und durcharbeiten um an die wesentlichen Informationen zu gelangen.

Das Schreiben der Gedichtanalysen war insgesamt ein gutes Training, auch wenn ich in

der nahen Zukunft damit nicht mehr konfrontiert werde. Besonders bei den kreativen

Wahlaufgaben hat es mir Freude bereitet meine eigenen Ideen einzubringen. Insgesamt

war dies eine sehr arbeits- und zeitintensive Arbeit, welche mich mit Sicherheit gut auf

die zukünftigen Hausarbeiten im Studium vorbereitet hat.

65

A. Literaturverzeichnis

1. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Aphorismen.de. Georg Heym.

www.aphorismen.de/suche?f_autor=1742_Georg+Heym. Stand:07.03.2015. 2. Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock

bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. 3. Cambridge University Press. Shakespeare’s Hamlet. Cambridge. 2014. 4. Deutsche Klassik (1786-1832).

http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm. Stand:08.03.2015. 5. Deutschland Lese. Ein Projekt des Bertuch Verlags Weimar und des Trägerwerk

Soziale Dienste. http://www.deutschland-lese.de/files_deutschland_lese/elselaskersch__ler_1907.jpg. Stand: 07.03.2015.

6. dibb.de. Biografien. Georg Heym. http://dibb.de/georg-heym.php. Stand:08.03.2015.

7. Die Lyrik Georg Trakls anhand exemplarischer Beispiele. Georg Trakl Biographie. http://www.georgtrakl.de/georg-trakl-biographie.html. Stand:08.03.2015.

8. Dr. Prietzel, Kerstin. Königs Abi-Trainer. Reflexion über Sprache. Hollfeld. 2012. 9. Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart.

Berlin. 2007. 10. Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode.

http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/karoline-von-guenderrode. Stand: 08.03.2015.

11. Freund, Winfried. Schnellkurs. Heinrich Heine. Köln. 2005. 12. Friedrisch-Schiller-Universität Jena. Philosophische Fakultät. Institut für

germanistische Literaturwissenschaft. Protokoll: Christian Hanke. 11.12.2013. https://www.uni-jena.de/unijenamedia/Downloads/faculties/phil/germ_lit/Materialien/Matuschek/WS+13_14/11_12_13.pdf. Stand:08.03.2015.

13. Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. 1999.

14. Gute Zitate. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995. Stand:07.03.2015.

15. http://www.dieterwunderlich.de/Lasker_Schuler.htm. Stand: 06.03.2015. 16. Kafka, Franz. Franz Kafka: Die Verwandlung Brief an den Vater Weitere Werke.

Braunschweig. 2003. 17. Kraft, Thomas. Lyrik. Ein Schnellkurs. Köln. 2009. 18. Lasker-Schüler. Ich und Ich. Der Spiegel 29. 1961.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43365055.html. Stand: 07.03.2015. 19. Lebendiges Museum Online. Georg Heym.

https://www.dhm.de/lemo/biografie/georg-heym. Stand:08.03.2015. 20. Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Berlin.

1999. 21. Lyrikwelt. Gedichte. Georg Heym.

http://www.lyrikwelt.de/gedichte/heymgeorgg1.htm. Stand:08.03.2015. 22. Munzinger Archiv GmbH. Biografien. Kurt Pinthus.

https://www.munzinger.de/search/portrait/Kurt+Pinthus/0/8924.html, Stand: 06.03.2015.

66

23. Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht. Mora Karoline von Günderode. http://nddg.de/gedicht/20635-Mora-Günderode.html. Stand: 08.03.2015.

24. Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Hollfeld. 2008.

25. Planet Wissen. Halleyscher Komet – Wanderer durch die Zeiten. https://www.planet-wissen.de/natur_technik/weltall/kometen/halleyscher_komet.jsp. Stand:08.03.2015.

26. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011.

27. Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. 28. Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Berlin. 2009. 29. Skrodzki, Karl Jürgen. Homepage. Else Lasker-Schüler Mein blaues Klavier.

http://www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_024.htm. Stand: 08.03.2015. 30. Spiegel Online Kultur. Clemens Brentano.

http://gutenberg.spiegel.de/autor/clemens-brentano-75. Stand: 08.03.2015. 31. Sprachgewalten. Was ist eigentlich....der Expressionismus.

http://www.youtube.com/watch?v=ZILRB_PfLn4. Stand:08.03.2015. 32. Stein, Peter/Stein, Hartmut. Chronik der deutschen Literatur. Stuttgart. 2008. 33. Weigandt, Tim-Julian. Kennzeichen expressionistischer Lyrik. Ratingen. 2015. 34. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Else Lasker-Schüler.

http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Schüler. Stand: 07.03.2015. 35. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Heym.

http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. 36. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Trakl. Stand:07.03.2015. 37. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Joseph von Eichendorff.

http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff. Stand: 08.03.2015. 38. Wunderlich, Dieter. Dieter Wunderlich Buchtipps und Filmtipps. Clemens

Brentano (Biografie). http://www.dieterwunderlich.de/Clemens_Brentano.htm. Stand:08.03.2015.

39. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995, Stand:07.03.2015.