6
25 Differenzengleichungen Dynamische (d.h. zeitabhängige) Vorgänge heißen Prozesse und spielen in vielen Anwen- dungen eine große Rolle (siehe auch Kap.26). Wenn Prozesse nur zu bestimmten Zeitpunkten betrachtet werden (diskrete/diskontinuier- liche Betrachtungsweise), ergeben sich Differenzengleichungen bei der mathematischen Modellierung, so z.B. in der Technik bei der Untersuchung elektrischer Netzwerke und in der Signalverarbeitung und in den Wirtschaftswissenschaften bei Wachstums- und Kon- junkturuntersuchungen. Wenn bei einem Prozess von der diskreten/diskontinuierlichen Betrachtungsweise zur steti- gen/kontinuierlichen übergegangen wird, so gehen beschreibende Differenzengleichungen in Differentialgleichungen (siehe Kap.26) über. Umgekehrt ergeben sich Differenzenglei- chungen aus Differentialgleichungen durch Diskretisierung. Aus diesem Sachverhalt erklärt sich der enge Zusammenhang der Lösungstheorien für beide Arten von Gleichungen. 25.1 Problemstellung Differenzengleichungen werden auch als Rekursionsgleichungen (Rekursionsformeln) be- zeichnet, da sie Zahlenfolgen rekursiv definieren, wie bei folgender allgemeiner Diffe- renzengleichung m-ter Ordnung zu sehen ist (m gegebene ganze Zahlt1 ; n0,1,2,...): y(n+m) y(n+m 1) , y(n+m 2) , ... , y(n)) f( - - Hier ist jedes Glied y(n+m) der Folge eine Funktion der vorangehenden m Glieder. Bei Vorgabe von m Anfangswerten y(0), y(1) ,..., y(m-1) berechnen sich y(m), y(m+1), ... aus y(m) y(m 1) , y(m 2) , ... , y(0)) f( - - , y(m+1) y(m) , y(m ) , ... , y(1)) f( -1 ,... Bemerkung Es gibt noch eine zweite Schreibweise für Differenzengleichungen, die Indexschreibweise heißt: n+m n+m-1 n+m-2 n y y ,y , ... , y f( ) Wenn es sich um die Zeit handelt, wird statt n auch t verwandt, d.h. man schreibt t y bzw. y(t), so dass die Differenzengleichungen folgende Form haben: t+m t+m -1 t+m-2 t y y ,y , ... , y f( ) bzw. y(t m) f(y(t m-1) , y(t m-2),...,y(t)) 25.2 Lineare Differenzengleichungen Nur für den Spezialfall linearer Differenzengleichungen gibt es analog zu linearen Diffe- rentialgleichungen eine umfassende Lösungstheorie, wobei für konstante Koeffizienten die weitreichendsten Aussagen vorliegen. Zum besseren Verständnis der Problematik werden wichtige Eigenschaften linearer Diffe- renzengleichungen m-ter Ordnung kurz vorgestellt: x Sie haben die Form (n0,1,2,... und m eine gegebene ganze Zahl t1): H. Benker, Mathematik – Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME, DOI 10.1007/978-3-642-33894-6_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

  • Upload
    hans

  • View
    231

  • Download
    6

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

25 Differenzengleichungen Dynamische (d.h. zeitabhängige) Vorgänge heißen Prozesse und spielen in vielen Anwen-dungen eine große Rolle (siehe auch Kap.26). Wenn Prozesse nur zu bestimmten Zeitpunkten betrachtet werden (diskrete/diskontinuier-liche Betrachtungsweise), ergeben sich Differenzengleichungen bei der mathematischen Modellierung, so z.B. in der Technik bei der Untersuchung elektrischer Netzwerke und in der Signalverarbeitung und in den Wirtschaftswissenschaften bei Wachstums- und Kon-junkturuntersuchungen. Wenn bei einem Prozess von der diskreten/diskontinuierlichen Betrachtungsweise zur steti-gen/kontinuierlichen übergegangen wird, so gehen beschreibende Differenzengleichungen in Differentialgleichungen (siehe Kap.26) über. Umgekehrt ergeben sich Differenzenglei-chungen aus Differentialgleichungen durch Diskretisierung. Aus diesem Sachverhalt erklärt sich der enge Zusammenhang der Lösungstheorien für beide Arten von Gleichungen.

25.1 Problemstellung Differenzengleichungen werden auch als Rekursionsgleichungen (Rekursionsformeln) be-zeichnet, da sie Zahlenfolgen rekursiv definieren, wie bei folgender allgemeiner Diffe-renzengleichung m-ter Ordnung zu sehen ist (m gegebene ganze Zahl 1 ; n 0,1,2,...):

y(n+m) y(n+m 1) , y(n+m 2) , ... , y(n))f( - -

Hier ist jedes Glied y(n+m) der Folge eine Funktion der vorangehenden m Glieder. Bei Vorgabe von m Anfangswerten y(0), y(1) ,..., y(m-1) berechnen sich y(m), y(m+1), ... aus

y(m) y(m 1) , y(m 2) , ... , y(0))f( - - , y(m+1) y(m) , y(m ) , ... , y(1))f( -1 ,...

Bemerkung

Es gibt noch eine zweite Schreibweise für Differenzengleichungen, die Indexschreibweise heißt:

n+m n+m-1 n+m-2 ny y , y , ... , yf ( )

Wenn es sich um die Zeit handelt, wird statt n auch t verwandt, d.h. man schreibt ty bzw. y(t), so dass die Differenzengleichungen folgende Form haben:

t+m t+m-1 t+m-2 ty y , y , ... , yf ( ) bzw. y(t m) f (y(t m-1) , y(t m-2) ,..., y(t))

25.2 Lineare Differenzengleichungen Nur für den Spezialfall linearer Differenzengleichungen gibt es analog zu linearen Diffe-rentialgleichungen eine umfassende Lösungstheorie, wobei für konstante Koeffizienten die weitreichendsten Aussagen vorliegen. Zum besseren Verständnis der Problematik werden wichtige Eigenschaften linearer Diffe-renzengleichungen m-ter Ordnung kurz vorgestellt:

Sie haben die Form (n 0,1,2,... und m eine gegebene ganze Zahl 1):

H. Benker, Mathematik – Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME,DOI 10.1007/978-3-642-33894-6_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Page 2: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

200 25 Differenzengleichungen

1 2 my(n m) a y(n m 1) a y(n m 2) ... a y(n) b(n)- -

bzw. in Indexschreibweise

n m 1 n m 1 2 n m 2 m n ny a y a y ... a y b

Die hier auftretenden Größen bedeuten Folgendes:

1 2 ma , a , ... , a gegebene reelle Koeffizienten.

Hängen die Koeffizienten nicht von n ab, so liegen lineare Differenzengleichung mit konstanten Koeffizienten vor.

{b(n)} bzw.{ nb } Folge der gegebenen rechten Seiten.

Sind alle Glieder dieser Folge gleich Null, so liegen homogene lineare Differenzen-gleichungen vor, ansonsten inhomogene.

{ y(n) } bzw.{ ny } Folge der gesuchten Lösungen (Lösungsfolge).

Sie haben folgende Eigenschaften: Die allgemeine Lösung hängt von m frei wählbaren reellen Konstanten ab. Wenn Anfangswerte y(0), y(1) ,..., y(m-1) bzw. 0 1 m-1y , y ,..., y gegeben sind, ist die

Lösungsfolge {y(n)} bzw.{ ny } unter gewissen Voraussetzungen eindeutig bestimmt und man spricht von einer zu den Anfangswerten gehörenden speziellen Lösung.

Die allgemeine Lösung inhomogener Differenzengleichungen ergibt sich als Summe aus allgemeiner Lösung der zugehörigen homogenen und spezieller Lösung der in-homogenen.

25.2.1 Exakte Lösung mit Ansatz

Lösungen einer homogenen linearen Differenzengleichung mit konstanten Koeffizienten m-ter Ordnung ergeben sich mittels des Ansatzes (in Analogie zu Differentialgleichungen)

nny ,

der folgende charakteristische Polynomgleichung m-ten Grades liefert: m m 1 m 2

1 2 m 1 ma a ... a a 0

Der einfachste Fall liegt vor, wenn die charakteristische Polynomgleichung m paarweise verschiedene reelle Lösungen

1 2 m, ,...,

besitzt. In diesem Fall lautet die allgemeine Lösung ( ic - beliebige Konstanten): n n n n

n 1 1 2 2 3 3 m my c c c ... c

Page 3: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

25.2 Lineare Differenzengleichungen 201

Die Konvergenz der Lösungsfolge hängt von den Werten der Lösungen der charakteristi-schen Polynomgleichung ab.

Bemerkung

Zur Lösungskonstruktion bei mehrfachen bzw. komplexen Lösungen der charakteristischen Polynomgleichung wird auf die Literatur verwiesen. Mittels MATHCAD und MATHCAD PRIME lassen sich diese Differenzengleichung prob-lemlos lösen, wenn Lösungen der charakteristischen Polynomgleichung exakt berechenbar sind (siehe Beisp.25.1). Weiterhin lässt sich auch die z-Transformation zur Lösung anwen-den (siehe Abschn.25.2.2).

Beispiel 25.1: Lösung der folgenden inhomogenen linearen Differenzengleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten (n 2,3,...)

n n-1 n-2y - 10 y 24 y 30

mit Anfangsbedingungen

0 1y 3 , y 12

durch Anwendung des Ansatzes n

ny .

Das Einsetzen des Ansatzes in die homogene Differenzengleichung liefert folgende charak-teristische quadratische Polynomgleichung:

2 -10 24 0 , die folgende beiden Lösungen besitzt:

1 26 , 4 .

Damit ergibt sich die allgemeine Lösung der homogenen Differenzengleichung n n

n 1 2y c 6 c 4

Um die allgemeine Lösung der inhomogenen Differenzengleichung zu erhalten, ist noch ei-ne spezielle Lösung erforderlich, die sich hier einfach mittels Ansatz ny k konstant zu

ny 2 berechnen lässt.

Damit ergibt sich die allgemeine Lösung der inhomogenen Differenzengleichung n n

n 1 2y c 6 c 4 2

Die beiden Konstanten 1 2c ,c berechnen sich durch Einsetzen der Anfangsbedingungen aus dem linearen Gleichungssystem

1 23 c c 2 , 1 212 6 c 4 c 2

zu 1 2c 3,c -2 , so dass sich folgende Lösung der Aufgabe ergibt: n nny 3 6 -2 4 2

Page 4: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

202 25 Differenzengleichungen

25.2.2 Exakte Lösung mit z-Transformation

z-Transformationen lassen sich zur exakten Lösungsberechnung für lineare Differenzenglei-chungen mit konstanten Koeffizienten anwenden (siehe auch Abschn.24.4). Das Prinzip bei der Anwendung der z-Transformation zur Lösung von Differenzenglei-chungen besteht analog zur Anwendung der Laplacetransformation zur Lösung von Diffe-rentialgleichungen (siehe Abschn.26.3.2) in folgenden drei Schritten: I. Zuerst wird die Differenzengleichung (Originalgleichung) für die Funktion (Original-

funktion) y(n) mittels z-Transformation in eine algebraische Gleichung (Bildgleichung) für die Bildfunktion Y(z) überführt. Bei linearen Differenzengleichungen mit konstanten Koeffizienten ist die Bildgleichung eine lineare Gleichung, die sich einfach lösen lässt.

II. Danach wird die Bildgleichung nach Y(z) aufgelöst. III. Abschließend wird durch Anwendung der inversen z-Transformation (Rücktransforma-

tion) auf die Bildfunktion Y(z) die Lösung y(n) der gegebenen Differenzengleichung erhalten.

25.3 Lösung mit MATHCAD und MATHCAD PRIME Zur Berechnung von Lösungen für Differenzengleichungen bieten MATHCAD und MATHCAD PRIME folgende Möglichkeiten: Bei nichtlinearen Differenzengleichungen bleibt nur die Möglichkeit, einzelne Glieder

der Lösungsfolge mittels der Rekursionsgleichung aus Abschn.25.1 zu berechnen. Anwendung der Ansatzmethode aus Abschn.25.2.1 und Berechnung der Lösungen der

charakteristischen Polynomgleichung mittels des Schlüsselworts solve. Dies ist aber nur zu empfehlen, wenn alle Lösungen exakt berechnet werden.

Anwendung der z-Transformation, wobei Folgendes zu beachten ist: zu lösende Gleichungen sind auf eine Form zu bringen, in der Null auf der rechten

Seite steht. Die Transformation ist dann auf den Ausdruck der linken Seite der Glei-chung anzuwenden (siehe Beisp.25.2).

bei der Eingabe in das Arbeitsblatt dürfen keine Indizes verwendet werden, sondern es ist die Form y(n) zu schreiben.

lineare Differenzengleichungen m-ter Ordnung sind statt in der Form

1 2 my(n) a y(n-1) a y(n-2) ... a y(n-m) b(n) (mit n m, m+1,...)

in der Form (mit n 0,1,...)

1 2 my(n m) a y(n m-1) a y(n m-2) ... a y(n) b(n m)

einzugeben.

Page 5: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

25.3 Lösung mit MATHCAD und MATHCAD PRIME 203

Beispiel 25.2: Folgende Beispiele illustrieren die Anwendung der z-Transformation zur Lösung linearer Differenzengleichungen (siehe auch Beisp.32.1b): a) Ein einfaches elektrisches Netzwerk aus T-Vierpolen lasse sich durch eine homogene

lineare Differenzengleichung zweiter Ordnung der Form

u(n 2) - 3 u(n 1) u(n) 0

für die auftretenden Spannungen u beschreiben. Diese Differenzengleichung wird für die Anfangsbedingungen

u(0) 0 , u(1) 1

mit dem Schlüsselwort ztrans gelöst, wofür MATHCAD eingesetzt wird. Bei Anwen-dung von MATHCAD PRIME besteht der einzige Unterschied darin, dass hier das Schlüsselwort über dem symbolischen Gleichheitszeichen steht. Folgende Vorgehensweise ist erforderlich: I. Zuerst wird ztrans direkt auf die linke Seite der gegebenen Differenzengleichung

angewandt:

u(n+2) - 3 u(n+1) + u(n) ztrans, n 2 2z (u(n),n, z) -z u(0)ztrans

-3 z ztrans(u(n),n,z) + 3 z u(0) - z u(1) + ztrans(u(n),n,z)

II. Anschließend werden die z-Transformierte (Bildfunktion)

ztrans(u(n),n,z)

durch die Funktion U(z), die Anfangswerte u(0) und u(1) durch die konkreten Werte 0 bzw. 1 ersetzt und der Ausdruck mit dem Schlüsselwort solve (siehe Abschn.18.5) nach U(z) aufgelöst:

2z U(z) - 3 z U(z) - z + U(z) solve, U(z) 2

zz -3 z 1

III. Abschließend liefert die inverse z-Transformation mit dem Schlüsselwort invztrans die gesuchte Lösung u(n) der Differenzengleichung

2

zz -3 z 1

invztrans, z

n5 35

2 25

-

n3 55 -2 25

b) Lösung der linearen Differenzengleichung zweiter Ordnung aus Beisp.25.1 (n 2,3,...)

n n-1 n-2y - 10 y 24 y 30

mit Anfangsbedingungen 0 1y 3 , y 12

Page 6: Mathematik-Problemlösungen mit MATHCAD und MATHCAD PRIME || Differenzengleichungen

204 25 Differenzengleichungen

analog zu Beisp.a, wobei die Gleichung in folgender Form zu schreiben ist:

y(n 2) - 10 y(n 1) 24 y(n) - 30 = 0

Die einzelnen Schritte werden dem Leser überlassen und nur die inverse z-Transforma-tion angegeben, die die Lösung

n nny(n) y 3 6 -2 4 2

in folgender Form liefert: 2

3 2

z -7 z 163 z , zz -11 z 34 z-24

invztrans n n 1 2 n 12 3 -2 2