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Donnerstag, 5. März 2015, 20 Uhr Sonntag, 8. März 2015, 11 Uhr Michał Nesterowicz Veronika Eberle

Michał Nesterowicz - Das Orchester der Stadt: Münchner ... · theaterdirektor gefangen, der seine Puppen zwingt, ... Klänge bestimmen den Tanz der Ratte Schusche - ra. Die stürmische

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Donnerstag, 5. März 2015, 20 UhrSonntag, 8. März 2015, 11 Uhr

Michał NesterowiczVeronika Eberle

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Mieczys ław Samui lowicz Weinberg

„Das goldene Schlüsselchen“Suite Nr. 4 op. 55d

1. Burattinos Tanz mit dem Schlüsselchen: Allegretto – Presto – Allegro 2. Elegie für die Puppe Malwina: Andante tranquillo | 3. Tanz des Pudels Artemon: Allegretto 4. Tanz der sprechenden Grille: Moderato | 5. Tanz des Katers Basilio mit der Füchsin Alice:

Allegro moderato | 6. Tanz der Ratte Schuschera: Allegretto 7. Die Schulstunde: Allegretto – Allegro | 8. Die Verfolgungsjagd: Allegro – Presto – Prestissimo

Alban Berg

Konzert für Violine und Orchester„Dem Andenken eines Engels“

1. Andante – Allegretto | 2. Allegro – Adagio

Ludwig van Bee thoven

Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“

1. Allegro con brio | 2. Marcia funebre: Adagio assai 3. Scherzo: Allegro vivace | 4. Finale: Allegro molto

Michał Nesterowicz, DirigentVeronika Eberle, Violine

Donnerstag, 5. März 2015, 20 Uhr4. Abonnementkonzer t e5

Sonntag, 8. März 2015, 11 Uhr6. Abonnementkonzer t m

Spielzeit 2014/2015117. Spielzeit seit der Gründung 1893

Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)Paul Müller, Intendant

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Mieczysław Samuilowicz Weinberg (1919–1996)

„Das goldene Schlüsselchen“Ballett in 6 Bildern mit Prolog und Epilog nach Aleksej Nikolajewitsch Tolstoi op. 55Suite Nr. 4 op. 55d:

1. Burattinos Tanz mit dem Schlüsselchen: Allegretto – Presto – Allegro

2. Elegie für die Puppe Malwina: Andante tranquillo

3. Tanz des Pudels Artemon: Allegretto4. Tanz der sprechenden Grille: Moderato5. Tanz des Katers Basilio mit der Füchsin

Alice: Allegro moderato6. Tanz der Ratte Schuschera: Allegretto7. Die Schulstunde: Allegretto – Allegro8. Die Verfolgungsjagd: Allegro – Presto –

Prestissimo

Lebensdaten des KomponistenGeboren am 8. Dezember 1919 in Warschau; gestorben am 26. Februar 1996 in Moskau.

EntstehungWeinberg komponierte sein mit Alexej Tschaja-mow entworfenes Ballett „Das goldene Schlüs-selchen“ in den Jahren 1954/55. Als Vorlage diente ihm die erste russische Version von Carlo Collodis „Pinocchio“ (1883), die der Dichter Alek-sej Nikolajewitsch Tolstoi (1883–1945) unter dem Titel „Burattino“ 1936 publiziert hatte. 1962 wurde die Partitur für die bevorstehende Ur-aufführung gründlich überarbeitet; aus dieser Fassung stellte Weinberg 1964 vier Orchester-suiten zusammen.

UraufführungBallettfassung: Am 10. Juni 1962 in Moskau im Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater (Corps de Ballet und Orchester des Staatlichen Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheaters).

Russischer Pinocchio

Martin Demmler

Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“

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Mieczysław Samuilowicz Weinberg (1983)

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Zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus

Wenige Biographien sind so eng mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts verbunden wie die Mieczysław Weinbergs. 1919 in Warschau geboren und jüdischen Glaubens, floh er wäh-rend des Zweiten Weltkrieges vor den national-sozialistischen Besatzern zunächst nach Weiß-russland und später über Usbekistan nach Moskau, wo er mitten in den Kriegswirren eintraf und die restlichen 53 Jahre seines Lebens verbrach-te. Viele seiner jüdischen Verwandten wurden von den Nationalsozialisten ermordet, aber auch nicht wenige Familienmitglieder fielen dem stalinistischen Terror zum Opfer. Denn mit dem siegreichen Ende des Krieges wandelte sich das soziale und kulturelle Leben in der Sowjetunion massiv. Weinberg blieb von den mörderischen Repressionen gegenüber Künstlern während der Stalin-Zeit nicht verschont. Immer wieder wurden seine Werke in Reden und Artikeln der Kulturadministration gemaßregelt und scharf kritisiert. So urteilte Grigorij Bernandt 1948: „Das Streben nach Originalität um jeden Preis, die Neigung zu trockener Linearität, zu harmo-nischer Schroffheit, zum Aufbrechen der Melodie stranguliert tiefe Gedanken und Gefühle fast überall, wo sie in seiner Musik zum Vorschein kommen.“

Filmmusik und Folklorismus

Obwohl sich Weinberg weitgehend an die ästhetischen Vorgaben einer möglichst folklo-ristisch geprägten „Musik für das Volk“ hielt, landeten einige seiner Werke 1948 auf dem Index und durften nicht gespielt werden. Fünf

Jahre später wurde der Komponist sogar ver-haftet. Doch selbst diese Schikanen konnten sein Bekenntnis zur Sowjetunion nicht zerstören. Der nationalsozialistische Terror hatte Wein-berg so stark geprägt, dass er das sowjetische Regime als das kleinere Übel betrachtete – auch wenn das System ihm keineswegs wohl gesonnen war. Weinberg hielt sich in diesen schwierigen Jahren vor allem mit dem Kompo-nieren von Gebrauchsmusik über Wasser. Es entstanden zahlreiche Film- und Theater musiken, darunter auch die Musik zu Michail Kalatozows cineastischem Meisterwerk „Wenn die Kraniche ziehen“, das 1958 beim Festival in Cannes die „Goldene Palme“ gewann.

Beliebte Märchengeschichte

Mieczysław Weinbergs Film- und Theater-musiken erfreuten sich in den 1950er Jahren großer Beliebtheit. Heute sind die meisten von ihnen in Vergessenheit geraten. Lediglich seine in den Jahren 1954/55 entstandene Ballett-musik „Das goldene Schlüsselchen“ nach einem Volksmärchen des populären sowjetischen Autors Aleksej Tolstoi findet sich auch heute noch gelegentlich auf Spielplänen und Konzert-programmen. Tolstoi, ein entfernter Verwandter des berühmten Schriftstellers Lew Nikolaje-witsch Tolstoi (1828–1910), floh nach der Oktoberrevolution ins Berliner Exil, von wo er 1923 in die Sowjetunion zurückkehrte. Seine 1936 publizierte Erzählung über die Abenteuer des Burattino ist eine Neubearbeitung des beliebten Pinocchio-Themas, die auch andere Komponisten zur Vertonung reizte. So verhan-delte etwa Dmitrij Schostakowitsch mit dem Autor über eine Ballettmusik, zu der es allerdings

Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“

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nicht kam, weil der Komponist schwer erkrank-te. 1952 komponierte Aleksej Nikolajew eine Fassung dieses Stücks, die sich allerdings im Repertoire nicht durchsetzen konnte. Auch die Bearbeitung Weinbergs hatte zunächst einen schweren Stand. So dauerte es noch sieben Jahre, bis das Stück in erheblich revidierter Form und unter dem neuen Titel „Das goldene Schlüsselchen“ 1962 in Moskau uraufgeführt werden konnte. Der Erfolg der Premiere moti-vierte Weinberg schließlich zwei Jahre später, eine Reihe von vier Orchestersuiten aus der Ballettmusik auszukoppeln.

Die Abenteuer des Burattino

Im Zentrum des Märchens steht Burattino, eine spitznasige Puppe, die Papa Carlo aus einem sprechenden Holzstück geschnitzt hat. Kaum ist dieses Kerlchen aus Papa Carlos Händen gehüpft, gerät es auch schon in Schwierigkeiten. Burattino wird von einem bösartigen Puppen-theaterdirektor gefangen, der seine Puppen zwingt, Stücke zu spielen, die sie nicht mögen. Er verliebt sich in das Puppenmädchen Malwina und zettelt mit ihr eine Art Aufstand gegen den Direktor an. Immer wieder bevölkern verschie-dene Tiergestalten die Szenerie: ein Pudel, eine sprechende Grille oder auch eine wendige Ratte. Sie alle treten mit tanzartigen Weisen hervor und beleben dadurch das Bühnengeschehen. Vor allem zur Persönlichkeitsentwicklung des Burattino tragen sie bei, um die es in der Handlung des Balletts in erster Linie geht.

Zwischen Schostakowitsch und Hindemith

Der Musik Mieczysław Weinbergs hört man deutlich an, dass er sich zur Entstehungszeit des Werkes vornehmlich mit angewandter Musik für den Film und das Theater beschäf-tigte. Vieles in den oft heiteren, unkomplizier-ten Tanzweisen erinnert an entsprechende Werke Dmitrij Schostakowitschs. Aber auch die Harmonik des frühen Paul Hindemith hat ihre Spuren in der Musik Weinbergs hinterlas-sen. Melancholische Holzbläserklänge bestim-men etwa die Elegie für die Puppe Malwina. Den Tanz des Katers Basilio mit der Füchsin Ali-ce gestaltet Weinberg als beschwingten Länd-ler im Dreivierteltakt. Und dunkel-bedrohliche Klänge bestimmen den Tanz der Ratte Schusche-ra. Die stürmische Verfolgungsjagd, mit der die Orchestersuite schließt, entstammt übrigens nicht dem Finale der Ballettmusik, sondern aus dem dritten Akt, in dem der Puppentheater-direktor und die Polizei die rebellierenden Puppen verfolgen. Die Partitur wird bestimmt durch eine souveräne, aber stets klare Instru-mentation, die nicht selten auch extreme Re-gister bemüht. Es ist eine frische, oft beschwing-te und motorisch betonte Tonsprache, die auch klassizistische Anklänge zeigt.

Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“

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Alban Berg(1885–1935)

Konzert für Violine und Orchester„Dem Andenken eines Engels“

1. Andante – Allegretto2. Allegro – Adagio

Lebensdaten des KomponistenGeboren am 9. Februar 1885 in Wien; gestorben am 24. Dezember 1935 in Wien – Berichten der Familie zufolge jedoch bereits am 23. Dezember kurz vor Mitternacht.

EntstehungIm Februar 1935 erteilte der amerikanische Geiger Louis Krasner (1903–1995) Alban Berg den Auftrag zur Komposition eines Violin konzerts, dessen alleinige Aufführungsrechte er sich einige Zeit vorbehalten wollte. Durch den Tod der dem Komponisten nahestehenden Manon Gropius (1916–1935), der sich nur zwei Monate später ereignete, fühlte sich Berg veranlasst, sein Konzert zu einem „Requiem für Manon“ umzu-gestalten und bis zum 11. August 1935 zu voll-enden.

WidmungDem Auftraggeber und Solisten der Uraufführung Louis Krasner; darüber hinaus bildet der Unter-titel „Dem Andenken eines Engels“ eine post-hume Widmung an die am 22. April 1935 an spinaler Kinderlähmung verstorbene 18-jährige Manon Gropius, die Tochter Alma Maria Mahlers aus einer ihrer kurzen Liaisons, diesmal mit dem Architekten Walter Gropius.

UraufführungAm 19. April 1936 in Barcelona im Rahmen eines Musikfests der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ (Orchester unter Leitung von Hermann Scherchen; Solist: Louis Krasner); Hermann Scherchen sprang für den krankheits-halber verhinderten Anton Webern ein.

„Persönliches Bekenntnis zur Welt – zum Tod – zu Gott“

Tobias Niederschlag

Alban Berg: Violinkonzert

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„Dem Andenken eines Engels“

„Gestern hab’ ich das Violinkonzert beendet, hab’ zu der ganzen Arbeit (incl. Part.) also nur drei Monate gebraucht“, schrieb Alban Berg am 13. August 1935 an Rudolf Kolisch. Tatsäch-lich war die Komposition des Werkes – untypisch für Berg – erstaunlich schnell vonstatten ge-gangen, sie hatte lediglich von April bis August 1935 gedauert. Dies war keineswegs abzu sehen, gestaltete sie sich doch zunächst als sehr schwierig: Bereits im Februar hatte Berg von dem amerika-nischen Geiger Louis Krasner den Auftrag für ein Violinkonzert erhalten. Eigentlich wollte er ablehnen, er befand sich mitten in der Arbeit an seiner Oper „Lulu“. Aus finanziellen Gründen willigte er schließlich doch ein: Seitdem die Auf-führung seiner ersten Oper „Wozzeck“ in Nazi-Deutschland verboten war, die Tantiemen folg-lich ausblieben, kamen ihm die in Aussicht ge-stellten 1500 Dollar mehr als gelegen.

Das Geld alleine wollte Alban Berg allerdings nicht recht inspirieren. Zwar beschäftigte er sich mit geigerischen Spieltechniken, war sich jedoch lange unklar über die Form des neuen Werkes. Schon wenig später beklagte er: „Nach zweijähriger ununterbrochen bis zur Erschöp-fung von Nerven und Hirn erfolgter Arbeitsleis-tung an ‚Lulu‘ nun diese Viechsarbeit an einem ganzen Violinkonzert, das im Herbst vollendet sein muss !“ Erst ein erschütterndes Ereignis schuf ihm einen Zugang zu der Auftragsarbeit: Am Ostermontag, dem 22. April 1935, starb die 18-jährige Manon Gropius, genannt „Mutzi“, die Tochter Alma Mahlers aus der Ehe mit dem Architekten Walter Gropius. Das Mädchen litt an Kinderlähmung, eine kurzfristige, schwere

Erkrankung führte zu ihrem plötzlichen Tod. In einem Kondolenzschreiben brachte Helene Berg, die Ehefrau des Komponisten, ihre enge Ver-bundenheit – und sicherlich auch die ihres Mannes – zum Ausdruck: „Mutzi war nicht nur euer Kind – sie war auch meines. Wir wollen nicht klagen, daß Gott sie zu sich gerufen hat, denn sie war ein Engel.“

Als „Engel“ wurde das Mädchen auch von an-deren Augenzeugen, darunter Bruno Walter, bezeichnet. Berg fasste den Entschluss, das geplante Violinkonzert der Verstorbenen zu wid-men – und gab ihm den Titel „Dem Andenken eines Engels“. Damit wurde der Schaffensimpuls ausgelöst, in „fieberhaftem Tempo“ (Helene Berg) schritt die Arbeit nun voran. Am 12. August lag die Partitur – wie eingangs erwähnt – vollstän-dig vor. Der Musikwissenschaftler Constantin Floros wies darauf hin, dass sich Berg bei der Komposition selber unter großen Zeitdruck setzte: Er hatte sich vorgenommen, das Werk – neben Manon – auch Alma Mahler zu widmen und es bis zu ihrem 56. Geburtstag am 31. Au-gust 1935 fertig zu stellen (offizieller Widmungs-träger war allerdings Louis Krasner). Auf diese Weise wollte er Alma sein Mitgefühl bekunden, die einige Jahre zuvor den Druck seiner „Wozzeck“-Partitur ermöglicht und ihm damit indirekt zum Durchbruch verholfen hatte.

Neben der „Geburtstagshuldigung“ wurde die Komposition sicherlich auch dadurch beschleu-nigt, dass Berg die Arbeit an der Oper „Lulu“ so schnell wie möglich wieder aufnehmen wollte. Aber hat er – wie häufig vermutet – möglicher-weise auch gespürt, dass seine „eigene Zeit“ bald ablaufen würde ? Fünf Monate nach Voll-

Alban Berg: Violinkonzert

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endung des Konzerts, am 24. Dezember 1935, erlag er selber, gerade einmal 50-jährig, einer Blutvergiftung. Mit dem Violinkonzert, seiner letzten abgeschlossenen Komposition (die „Lulu“ konnte er nicht mehr vollenden), hatte er also quasi auch sein eigenes „Requiem“ komponiert. Entsprechend geheimnisumwittert ist die Aura, die das Werk von jeher umgibt.

„Rein musikalische Vision“

Alban Bergs Violinkonzert ist das erste Solo-konzert in strenger Zwölftontechnik. Berg folgte hier, wie in vielen anderen Werken, der Methode seines Lehrers Arnold Schönberg, „mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ zu komponieren. Allerdings macht schon die verwendete Zwölf-tonreihe an sich den Unterschied zum Lehrer deutlich: Bergs Reihe basiert weitgehend auf einer Folge von Moll- und Dur-Dreiklängen – was Schönberg in seinen Werken strikt vermied; die Dreiklänge von g-Moll (g-b-d), D-Dur (d-fis-a), a-Moll (a-c-e) und E-Dur (e-gis-h) folgen aufeinander, den Abschluss bilden drei Ganz-tonschritte (cis-dis-f). Darüber hinaus stimmen die Grundtöne der Dreiklänge mit den leeren Saiten der Violine überein, deren Quinten quasi mit Terzen „aufgefüllt“ werden. Durch die vie-len Terzen weist die an sich atonale Reihe einen hohen Grad an Tonalität auf. Der Berg-Schüler Theodor W. Adorno sprach daher in Bezug auf das Violinkonzert vom „Doppelsinn des Materials“.

Verstärkt wird der Eindruck von Tonalität über-dies durch die Verwendung tonaler Zitate: In

einer Art Montage fügte Berg in das Violin-konzert eine „Kärntner Volksweise“ – das Lied „Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“ – sowie den 1723 komponierten Sterbechoral „Es ist genug“ aus der Kantate „O Ewigkeit, Du Donner-wort“ BWV 60 von Johann Sebastian Bach ein. Beide Zitate, und das ist bemerkenswert, weisen einen engen Bezug zur Reihe auf. Sie werden mit Hilfe von Bergs häufig gerühmtem „Struktur-prinzip des kleinsten Übergangs“ nahtlos in das atonale Umfeld integriert.

Hinsichtlich der Form entschied sich Berg letzt-lich für zwei große Abteilungen, die jeweils aus zwei Sätzen bestehen (Andante – Allegretto und Allegro – Adagio). Die Temporelationen (langsam – schnell und schnell – langsam) weisen in ihrer Gegenläufigkeit eine symmet-rische Anlage auf. Willi Reich, ein anderer Schü-ler Bergs, erklärte noch zu Lebzeiten seines Lehrers, dass Berg beabsichtigt habe, in den Sätzen „die Tragödie jenes wunderbaren Wesens [gemeint ist Manon Gropius] als rein musika-lische Vision“ zu gestalten. Handelt es sich also um Programmmusik ? Laut Reich gehöre das Werk in gleicher Weise der „absoluten Musik“ wie der „symphonischen Dichtung“ an. Im ersten Teil habe Berg versucht, die „Wesenszüge des jungen Mädchens in musikalische Charaktere“ umzusetzen; der zweite Teil lasse sich dagegen in „Katastrophe und Lösung“ gliedern. Durch den nachweislich engen Austausch zwischen Reich und Berg können diese Aussagen in ge-wisser Weise als vom Komponisten „autorisiert“ gelten.

Alban Berg: Violinkonzert

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Die letzte Aufnahme Alban Bergs, die 1935 kurz vor seinem Tod entstand

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„Manons Wesenszüge“: Andante – Allegretto

In der Tat scheint der erste Teil, mit seinen vom Charakter her so unterschiedlichen Sätzen, zwei Seiten der Persönlichkeit Manons zu symbo-lisieren. Das Andante zeigt eine eher ernste Seite ihres Wesens, in der Partitur veranschau-licht durch Angaben wie „espressivo“, „delicato“ und „grazioso“. Der Satz hebt mit einer berühmt gewordenen Einleitung an: Scheinbar improvi-sierend fährt der Solist über die leeren Saiten der Violine, fünfmal werden die fahlen Quinten – zugleich das Grundgerüst der Reihe – auf ver-schiedenen Tonhöhen wiederholt. Adorno bezog dieses „unbeseelte Ausprobieren der leeren Saiten“ auf die Entstehung des Werkes: Ähnlich wie der Solist habe auch Berg sich erst auf den Kompositionsauftrag „einstimmen“ müssen. Der eigentliche Satz beginnt in Takt 11, wo die Solovioline im pianissimo „ma espressivo“ die Zwölftonreihe vorstellt. Nach einem bewegte-ren Mittelteil kehrt der dreiteilige Satz (A-B-A) am Schluss zur Ausgangsstimmung zurück.

Ohne Pause schließt das Allegretto an, mit einer beschwingten Ländlermelodie in Klarinetten und Solovioline. Dieser Satz ist als Scherzo an-gelegt – möglicherweise ein Spiegelbild von Manons unbeschwerter Jugend. Der Part des Soloinstruments zeichnet sich durch Doppel griffe und lebhafte Intervallsprünge aus. Die fünf teilige Form ist erneut symmetrisch (Scherzo – Trio I – Trio II – Trio I’ – Scherzo’), wobei die einzelnen Abschnitte durch starke Kontraste voneinander getrennt sind. Gegen Ende zitiert Berg überra-schend die erwähnte Kärntner Volksweise („Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“) in Horn und

Trompete, sanft umspielt von der Violine – eine nachdenkliche Chiffre für das Irdische, Dies-seitige im Gegensatz zum jenseitigen Choral. Mit Ausdrucksbezeichnungen wie „scherzando“, „wienerisch“ und „rustico“ überwiegt in diesem Satz ein heiterer Charakter; nicht selten aber scheinen sich die Walzer- und Ländler anklänge „am Rande des Abgrunds“ zu bewegen. Auf-grund dieser Wesensverwandtschaft empfand Adorno das Allegretto als den „mahlerischsten Satz“ des Werkes.

„Katastrophe und Lösung“: Allegro – Adagio

Ganz anders dann der Beginn des zweiten Satz-paars: Das Allegro wird durch eine dramatische Türmung von Dissonanzen eröffnet. Die Kulmi-nation erinnert an den „Todesschrei“ aus der Oper „Lulu“; hier wie dort bringt die Musik eine „Katastrophe“ zum Ausdruck. Der Satz gestal-tet sich zunächst als virtuose Kadenz für Violine und Orchester. Ab Takt 23 – der Schicksalszahl Bergs ! – tritt ein unerbittlicher Rhythmus in den Vordergrund („molto ritmico“), er ist in allen Stimmen präsent. Einen Gegensatz bildet der „ruhige“ Mittelteil, dessen zarte Klanglichkeit an das Allegretto erinnert: „Der Rückgriff auf das ‚Allegretto‘ an dieser Stelle hat den Cha-rakter einer Reminiszenz, wirkt im Angesicht des Todes wie eine Vision des vergangenen Lebens“ (Floros). Nach einer Solokadenz kommt es zu einer variierten Reprise des dramatischen Satzbeginns. Die Musik gipfelt – mit dem schicksal haften Rhythmus – in einem so be-zeichneten „Höhepunkt“. Insgesamt liegt auch diesem Satz eine Bogenform (A-B-A’) zugrunde.

Alban Berg: Violinkonzert

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Der Klang schwillt allmählich ab, bis mit dem Adagio die „Lösung“, vielmehr die „Erlösung“, einsetzt: Die Solovioline intoniert den Bach-Choral „Es ist genug“, der „den Sterblichen durch ein Tor ins Dunkel geleitet, so dicht, als müsste das endliche Licht darin sich entzün-den“ (Adorno). Tröstlich beantwortet wird die Violinstimme von den Klarinetten, welche die Vorlage „in der Bach’schen Harmonisierung“ anstimmen. Im Vergleich zum Original ist der Choral hier von 20 auf 22 Takte erweitert: Ma-non starb am 22. April, sicherlich kein Zufall ! Die Übereinstimmung des Choralbeginns mit dem Ende von Bergs Zwölftonreihe allerdings (in beiden Fällen eine aufsteigende Ganzton folge) ist ein Zufall: Wie Reich nachwies, hatte Berg ursprünglich geplant, einen eigens für diesen Zweck komponierten Choral zu verwenden. In einer Choralsammlung stieß er während der Komposition dann auf den Bach-Choral, der sich – neben der identischen Melodiefolge – auch vom textlichen Gehalt her perfekt in das bisher Komponierte einfügte. Eine schicksalhafte Fügung ?

Im weiteren Verlauf des Adagios wird die Bach’sche Vorlage in drei Choralvariationen zwölftönig „verarbeitet“. In der Solovioline erklingt eine „espressive“ Linie, von Reich als „Klagegesang“ bezeichnet, die nach und nach auf die übrigen Streicher übergreift und sich zu einem weiteren „Höhepunkt“ steigert. Nach der zweiten Variation taucht dann noch einmal – „wie aus der Ferne“ – die Kärntner Volksweise auf, diesmal bitonal verfremdet. Als dritte Choral-variation verbindet die Coda anschließend den „Klagegesang“ der Violine mit einem filigranen Netz von Choralfragmenten im Orchester. Am

Ende verliert sich die Solovioline mit den Reihen-tönen in höchster Höhe, dazu ein polytonaler Mischklang in Bläsern und Harfe, schließlich ein letztes Aufflackern der leeren Quinten in den Violinen.

„Abschied Alban Bergs von dieser Welt“

Die posthume Uraufführung des Violinkonzerts am 19. April 1936 bei einem Musikfest der Inter-nationalen Gesellschaft für Neue Musik in Barce-lona war ein großer Erfolg. Seitdem konnte sich das Konzert als Bergs meistgespielte Kompo-sition im Repertoire etablieren. Mehr noch: Es gilt heute als die womöglich „populärste“ Zwölf-tonkomposition überhaupt. Ist es die Idee eines programmatischen „Requiems für Manon“ (Reich), mit der Solovioline als „Engel“, die das Publikum immer wieder fasziniert ? Oder sind es die erstaunlich tonalen, romantisierenden Züge des Werkes ? Sicher trug auch der autobiographische und in dieser Hinsicht „wahrhaftige“ Charakter der Komposition einen entscheidenden Teil bei. Die Bezüge zu Bergs eigener Biographie wurden von Helene Berg gestützt, die am 12. August 1958 (auf den Tag genau 23 Jahre nach Abschluss des Konzerts) erklärte: „Das Violinkonzert ist ja der Abschied Alban Bergs von dieser Welt, eine schmerzvoll-wehmütig-ergebene Sprache (die letzte), zu allem, was ihm hier lieb war, ein rein persönliches Bekenntnis seiner Beziehung zur Welt – zum Tod – zu Gott.“

Alban Berg: Violinkonzert

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Ludwig van Beethoven(1770–1827)

Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“

1. Allegro con brio2. Marcia funebre: Adagio assai3. Scherzo: Allegro vivace4. Finale: Allegro molto

Lebensdaten des KomponistenGeburtsdatum unbekannt: geboren am 15. oder 16. Dezember 1770 in Bonn, dort Eintragung ins Taufregister am 17. Dezember 1770; gestorben am 26. März 1827 in Wien.

EntstehungErste Anregungen zu einer Symphonie auf Napoléon Bonaparte empfing Beethoven mög-licherweise schon 1798 von Général Bernadotte, dem französischen Gesandten in Wien; einzelne Skizzen gehen zwar auf die Jahre 1801/02 zu-rück, aber der größte Teil der Partitur entstand von Juni bis Oktober 1803 in Baden und Oberdöb-ling bei Wien; Anfang 1804 beendete Beethoven in Wien die Partiturerstschrift, die angeblich den später wieder zurückgenommenen Titel „Sinfonia grande, intitolata Bonaparte“ trug.

WidmungAls Beethoven das wohl ursprünglich Napoléon Bonaparte zugedachte Werk nach Paris senden

wollte, traf ihn die Nachricht, dass Napoléon am 18. Mai 1804 sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte – worauf Beethoven nach nicht authen-tischen Augenzeugen-Berichten die angeblich bereits feststehende Widmung aus der Partitur tilgte; für die Drucklegung im März 1806 im Wiener Verlag „Bureau des Arts et d’Industrie“ (= Kunst- und Industrie-Comptoir) wählte er jedenfalls den neuen Titel „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire d’un grand‘ uomo“ (= Heroische Symphonie, k omponiert um das Andenken eines großen Mannes zu feiern); konkreter Widmungsträger wurde nun Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz (1772–1816), einer der reichsten und großzügigsten Förderer Beethovens: „A sua altezza serenissima il principe di Lobkowitz“.

UraufführungErste öffentliche Aufführung: Am 7. April 1805 in Wien im Rahmen einer „Musikalischen Aka-demie“ des Geigers Franz Clement, nachmaliger Widmungsträger von Beethovens Violinkonzert, im „Theater an der Wien“ ( Orchester des „The-aters an der Wien“ unter Leitung von Ludwig van Beethoven). Interne Voraufführungen: Am 20. Januar 1804 in Wien in einem „Sonntag- Vormittags-Konzert“ der Bankiers Würth und Fellner sowie am 9. Juni 1804 in Wien in einem sog. „Subskriptionskonzert“ des Fürsten Lobko-witz in dessen Palais (jeweils unter Leitung von Ludwig van Beethoven).

„Sinfonia eroica“

Thomas Leibnitz

Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur

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Joseph Willibrod Mähler: Portrait Ludwig van Beethovens als Orpheus in arkadischer Landschaft (um 1805)

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„Il sovvenire d’un grand’ uomo“

Für viele Musikfreunde ist sie „die“ Beethoven-Symphonie schlechthin, und auch jene, die ihr diesen absoluten Sonderstatus nicht zubilligen, sehen sie als ein Schlüsselwerk, sowohl im Schaffen Beethovens als auch in der Gesamt-geschichte der Symphonie: die „Eroica“. Wem sie heute allerdings als der Inbegriff des Klas-sischen gilt, der wird erstaunt feststellen, dass die Zeitgenossen des Komponisten keineswegs diese Auffassung vertraten, sondern eher ratlos vor einem Werk standen, das rücksichtslos die bisher gültigen Normen sprengte. Und zwar nicht nur die rein formalen Gattungstraditionen, son-dern auch die Dimension des musikalischen Sprachcharakters: Hier erklingt nicht mehr bloß Musik im Rahmen ihrer Eigengesetzlichkeit, sondern hier spricht ein Mensch auf radikal persönliche und suggestive Weise.

Dem „Andenken eines großen Mannes” ist die 3. Symphonie gewidmet, und wenn jemand über die „Eroica“ auch so gut wie nichts weiß, dann doch dies: Ursprünglich sei sie Napoléon zuge-dacht gewesen, doch hätte Beethoven bei der Nachricht von Napoléons Kaiserkrönung wut-entbrannt „das Titelblatt zerrissen“. Dies geht auf eine Schilderung des Beethoven-Schülers Ferdinand Ries zurück, der die Szene – allerdings erst 34 Jahre später – in folgender Weise dar-stellte: „Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Bonaparte hätte sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‚Ist der auch nichts anders wie ein gewöhnlicher Mensch ! Nun wird er auch alle Menschenrech-te mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröh-nen; er wird sich nun höher wie alle Andern

stellen, ein Tyrann werden  !’ Beethoven ging an den Tisch, faßte das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrieben, und nun erst erhielt die Symphonie den Titel ‚Sinfonia eroica’“. Dieses Autograph ist nicht erhalten; dem Titelblatt von Beethovens Arbeitskopie – sie befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – ist nur zu entnehmen, dass Beethoven darauf einen Eintrag ausradier-te, dies allerdings so heftig, dass an der Stelle ein Loch im Papier entstand. Es wird wohl der Name „Bonaparte“ gewesen sein.

Prototyp des „Heldischen“ in der Musik

Da nun Napoléon als ideeller Widmungsträger ausfiel und nur noch ein anonymer, nicht näher charakterisierter „grand’ uomo“ übrig blieb, blühten die Spekulationen, wer hier gemeint sein könnte. Der große, heldische Mensch an sich als Idealtypus, oder doch ein Zeitgenosse, den Beethoven bloß nicht nennen wollte ? Oder gar – und dies schien vielen plausibel – Beet-hoven selbst, der 1802, bereits in der Komposi-tionsphase der „Eroica“, in seinem „Heiligen-städter Testament“ eine erschütternde Offen-barung seiner persönlichen Auseinandersetzung mit seiner Ertaubung gegeben hatte ? In jedem Fall lag das „Heldische“ geradezu in der Luft, man befand sich in einem Zeitalter von Revo-lution, Krieg und Umsturz, und auch Beethovens persönlicher Habitus war mehr auf Konfronta-tion denn auf harmonische Einordnung in die gesellschaftlichen Verhältnisse angelegt.

Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur

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Das „Heldische“ der „Eroica“ gewann im Ver-lauf des 19. Jahrhunderts immer mehr an Eigen leben, und wurde von der deutschen Na-tionalbewegung okkupiert, die im „Freiheits-kampf“ gegen Napoléon ihren Anfang genom-men hatte. Solche Indienstnahme des Werkes für nationales Pathos erlebte ihren negativen Höhepunkt, als 1892 Hans von Bülow das zweite Finalthema mit einem Huldigungstext an Otto von Bismarck versah: „Des Volkes Hort, Heil Dir, o Held. Es schuf Dein Wort die neue deutsche Welt !“ 1927 stellte der natio-nalsozialistische „Chefideologe“ Alfred Rosen-berg pathetisch fest: „Wir leben heute in der ‚Eroica’ des deutschen Volkes.“ Im Vergleich mit solchen Aussagen mutet die Meinung des ebenfalls höchst „national“ denkenden Richard Wagner über den Charakter der „Eroica“ geradezu zurückhaltend-objektiv an: „Denn – nochmals – die absolute Musik kann nur Ge-fühle, Leidenschaften und Stimmungen in ih-ren Gegensätzen und Steigerungen, nicht aber Verhältnisse irgend welcher socialen oder politischen Natur ausdrücken. Beethoven hat hiefür einen herrlichen Instinct gehabt…“

1. Satz: Allegro con brio

In ihren Dimensionen sprengt die „Eroica“ die Maße des Alt-Hergebrachten; sie steht am Beginn einer Entwicklung, die die Symphonie zur Königsdisziplin der Komponisten machte, zum Forum höchst persönlicher Auseinander-setzung, wobei der Bezugspunkt Beethoven auch in der Folgezeit immer maßgeblich blieb. Zwei wuchtige Orchesterschläge in der Grund-tonart Es-Dur eröffnen das Werk: Der Charak-ter des Lapidaren, Kämpferischen ist damit

bereits in den ersten Takten gegeben. Unmit-telbar daran schließt sich das Hauptthema an, das im Es-Dur-Dreiklang auf- und absteigt, aber nicht zu einem eindeutigen Abschluss gelangt, sondern durch den überraschenden Abstieg in das Cis eine vorwärtsdrängende Entwicklung einleitet. Bereitete Beethoven bereits mit dieser Themenbehandlung seinen Zeitgenos-sen Schwierigkeiten, so machte er es ihnen – was die nachvollziehbare formale Disposition des Satzes betrifft – auch im Folgenden nicht leichter, denn die Funktion des Seitenthemas, des dialektischen Gegenpols zum Hauptthema, wird hier von einer ganzen Themengruppe über-nommen, die in den unterschiedlichsten Färbungen erscheint. Zunächst tritt ein einfaches, absteigen-des Dreitonmotiv (g-f-e) hervor, durchwandert die Instrumente und wird von einem zweiten thematischen Komplex abgelöst, einem akkordisch pulsierenden Gesang in B-Dur, der dem energe-tischen Kopfmotiv eine episodische Ruhe phase entgegensetzt.

In der Durchführung werden diese thema tischen Elemente in kühnen rhythmischen Umakzen-tuierungen gegeneinander gestellt; ohne Zweifel findet hier der „Kampf“ statt, den der Held der Symphonie zu bestehen hat. Das Geschehen wird dramatischer und strebt einem eindrucks-vollen Höhepunkt entgegen: Im Fortissimo des Orchesters erklingt ein F-Dur-Akkord, dem das scharf dissonante E beigefügt wird. Diesem Aufschrei, dessen emotioneller Wirkung man sich kaum entziehen kann, folgt unmittelbar ein neues, hier erstmals auftretendes Gesangsthe-ma in den Oboen. Es ist, als ob auf den Ver-zweiflungsschrei eine Friedens- und Trostbot-schaft folgte – und gleichzeitig entzieht sich

Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur

16 Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur

Beethoven damit allen Traditionen der Sonaten-form, indem er in der Durchführung ein neues Thema exponiert. Von geradezu provo kanter Eigenwilligkeit ist auch der Eintritt der Reprise, die Wiederkehr der Eingangsthematik. Vor dem eigentlichen Auftritt des Hauptthemas erfolgt ein Reprisenauftakt, in dem Es-Dur und B-Dur, also Tonika und Dominante des Werkes gleich-zeitig erklingen, während das Horn – bereits in der Haupttonart – das Thema vorwegnimmt: eine Kühnheit, die in der Folgezeit auch schlicht als „falsche Stelle“ bezeichnet wurde.

2. Satz: Marcia funebre – Adagio assai

Eine andere Welt des „Heldischen“ erschließt der zweite Satz; er ist als Trauermarsch angelegt und folgt damit unmittelbar der thematischen Vorgabe der Symphonie, der „Erinnerung an einen großen Mann“. Gleich einem dumpfen Trommelwirbel bilden die Triolenvorschläge der tiefen Streicher den Unterbau, auf dem sich die Trauer marsch-Melodik der Violinen erhebt. Ein Symphoniesatz als Trauermarsch: Damit leitet Beethoven eine große Tradition ein, die über Wagners Trauer-musik in der „Götterdämmerung“ und Bruckners Adagio der 7. Symphonie zu Mahlers symphoni-schen Trauermusiken führt. Der Satz entfaltet sich in klar nachvollziehbarer Dreiteiligkeit, wo-bei zwei Moll-Teilen in der Mitte ein visionärer Dur-Teil gegenübersteht. C-Moll als Tonart der Trauer und Heldenklage, C-Dur als Tonart der Verklärung und Erhöhung – diese Antithetik wur-de später von Wagner und Bruckner mit unver-kennbarem Bezug auf die „Eroica“ übernommen. Nach fugierten Abschnitten in der Reprise des Rahmenteils bringt die Coda, der Schlussteil des

Satzes, abermals Neues und Zukunftsweisendes: Das Hauptthema löst sich vor dem Hörer gleich-sam in seine Bestandteile auf, es zerrinnt im Nichts. Eindrucksvoller kann „Tod“ in der Musik nicht dargestellt werden.

3. Satz: Scherzo – Allegro vivace

Der dritte Satz darf als erstes der für Beethovens Symphonien charakteristischen großen Scherzi gelten. Zwar wurde bereits in den ersten beiden Symphonien die Tradition des alten, seine Abkunft vom Tanz nicht verleugnenden „Menuetts“ ver-lassen, aber noch nicht so deutlich wie hier. Drängende Motorik, geheimnisvolle, geradezu unheimliche Klangfärbung, jähe Stimmungs-wechsel: Dies sind die Ingredienzien des für Beethoven typischen Scherzos der Folgezeit. Aus einem Streicherstaccato wächst fast un-merklich das Hauptthema heraus, das kurz darauf in ungebärdiger Wildheit vom vollen Orchester wiederholt wird. Diesem spukhaften Wechsel von Laut und Leise, größtenteils über den pulsierenden Achteln der Einleitung, wird im Trio eine andere Welt gegenüber gestellt, eine Welt der beschaulichen Naturverbunden-heit, symbolisiert durch drei Hörner, die diesen Abschnitt fast allein bestreiten, nur kurz unter-brochen von zurückhaltenden Einwürfen des Orchesters.

4. Satz: Finale – Allegro molto

Ungewöhnlich in Form und Struktur ist auch der vierte und letzte Satz des Werkes, ein groß an-gelegter Variationensatz über zwei Themen, die gelegentlich kombiniert auftreten und durch fugierte Abschnitte erweitert werden. Nach

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Titelblatt der Originalausgabe der Symphonie Nr. 3. Es-Dur op. 55 „Eroica“

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kurzer, ungestümer Einleitung wird ein lapidares Thema im Pizzicato der Streicher vorgestellt, ein Thema, das im Folgenden seine Eignung als Bassthema kontrapunktischer Gebilde erweist. Als Oberstimmenthema erscheint bald darauf eine Melodie, der man bei Beethoven auch an anderer Stelle begegnet: Es spielt im Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ eine promi-nente Rolle. In fünf großen Variationskomplexen wird nun diese Doppelthematik durchgeführt, verändert, neu beleuchtet. Einen Ruhepunkt bildet die fünfte Variation, in der sich das Tem-po zum „Poco andante“ verlangsamt und die fröh-lich schwingende Melodik des „Prometheus“-Themas zum feierlichen Choral wird. Umso energetischer wirkt der Presto-Abschluss des Satzes, ein Ende in Jubel und Orchesterglanz.

Erste Aufführungen

Mit der Widmung der 3. Symphonie an Franz Joseph Maximilian Fürst von Lobkowitz durch Beethoven war auch die Übertragung des Rechtes zur privaten Nutzung verbunden – ein Recht, das dem Komponisten durch Honorar abgegolten wurde. Ferdinand Ries berichtet in seinen Erin-nerungen von 1838, dass „der Fürst Lobkowitz diese Composition von Beethoven zum Gebrauche auf einige Jahre“ erworben habe, „wo sie dann in dessen Palais mehrmals gegeben wurde. Hier geschah es, dass Beethoven, der selbst dirigierte, einmal im zweiten Theile des ersten Allegros, wo es so lange durch halbirte Noten gegen den Tact geht, das ganze Orchester so herauswarf, dass wieder von vorn angefangen werden mußte.“ Wann nun wirklich die erste Auffüh-rung der „Eroica“ im Palais Lobkowitz (dem heu-tigen Österreichischen Theatermuseum) statt-

fand, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt wer-den; es muss um den 9. Juni 1804 gewesen sein, wobei dieses Datum aufgrund zeitgenössischer Rechnungen für Kerzenlieferungen anlässlich einer neuen Symphonie von Beethoven nach-weisbar ist. Ebenfalls im Palais Lobkowitz dürf-ten in der Folge noch weitere Aufführungen in privatem Rahmen stattgefunden haben.

In einem allgemein zugänglichen Konzert erklang die „Eroica“ erstmals am 7. April 1805, in einer „Akademie“ des Geigers Franz Clement im Theater an der Wien. Die Symphonie stand am Beginn des zweiten Teils dieses Konzertes und fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Der Beethoven-Schüler Carl Czerny erinnerte sich an einen Galeriebesucher, der ausgerufen habe: „Ich gäb’ noch einen Kreuzer, wenn ’s nur auf-hört.“ Haydns Biograph Griesinger hingegen weiß von „ungemessenem Beyfall“ zu berichten. In der „Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ findet sich eine typische „sowohl-als auch“-Bewertung: „Diese lange, für die Aus-führung äußerst schwierige Komposition ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist ihres Schöp-fers erkennen muss: sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren.“ Diese Rezension hat die Es-Dur-Symphonie sicherlich „verkannt“. Trotzdem: Solange die hier bei allem Unverständnis geahnte Kraft des Provokativen erlebbar bleibt, läuft Beethovens Werk nicht Gefahr, im Museum der „Klassik“ seine eigent-liche Botschaft zu verlieren.

Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur

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Beethoven gilt als Anhänger der französischen Revolution und damit als Verfechter von Republik und Demokratie. Doch befragt man die über-lieferten Dokumente, so stellt man fest, dass Beethoven gerade zu diesen Themen, den großen politischen Fragen seiner Zeit, nie eindeutig Stellung bezogen hat.

In seinen Briefen äußert er sich nur selten zu politischen Ereignissen, und wenn er es tut, dann versteckt er sich hinter einer Maske, die sein wahres Gesicht nicht erkennen lässt. Als das von Wiener Studenten um den Jakobiner Franz Hebenstreit im Juli 1794 geplante Attentat auf Kaiser Franz II. durch die Verhaftung der Verschwörer vereitelt wurde, schrieb Beethoven an einen Freund: „Man sagt, es hätte eine Revolution ausbrechen sollen – aber ich glaube, so lange der österreicher noch Braun’s Bier und würstel hat, revoltirt er nicht.“ In diesem Satz kommt zwar eine gehörige Portion Verachtung für das sogenannte „Volk“ zum Ausdruck, doch Beethovens eigene politische Position bleibt unklar. Dass er den Geschehnissen seiner Zeit mit Skepsis begegnete, veranschaulicht die im gleichen Brief verwendete Formulierung von „ unsern demokratischen Zeiten“, die selbst-verständlich ironisch gemeint war.

Viele noble Geister stimmten im Jahre 1801 in den allgemeinen Jubel über den Frieden von Lunéville ein, so Friedrich Hölderlin mit seiner

Hymne „Versöhnender, der du nimmergeglaubt, nun da bist“. Beethoven dagegen stellte diesen Friedensschluss, noch ehe er überhaupt gültig war, durch seine Apostrophierung als „ goldenen Frieden“ in Frage. Bedeutsam erscheint dies auch deshalb, weil man allgemein Bonaparte, den Ersten Konsul der französischen Republik, als den Bringer dieses Friedens ansah.

Bonaparte, nach dem Beethoven seine 3. Sym-phonie ursprünglich benannte, spielt auch im folgenden Zitat eine interessante Rolle. Im Jahre 1802 quittierte Beethoven das an ihn herange-tragene Ansinnen, eine Sonate mit Bezug auf die Revolution zu schreiben, mit den häufig zitierten Worten: „Reit euch denn der Teufel insgesammt meine Herren ? – mir Vorzuschla-gen eine Solche Sonate zu machen – zur Zeit des Revoluzionsfieber’s nun da – wäre das so was gewesen aber jezt, da sich alles wieder in’s alte Gleiß zu schieben sucht, ‚buonaparte‘ mit dem Pabste das ‚Concordat‘ geschlossen – so eine Sonate ? – wär’s noch eine ‚Missa pro sanc-ta maria a tre vocis‘ oder eine ‚Vesper etc‘ – nun da wollt ich gleich den Pinsel in die hand nehmen – und mit großen Pfundnoten ein ‚Credo in unum‘ hinschreiben – aber du lieber Gott eine Solche Sonate – zu diesen neuangehenden christlichen Zeiten – hoho – da laßt mich aus – da wird nichts draus“. Was sich hier wiederum mehr als deutlich äußert, ist Beethovens tiefe Skepsis gegenüber den politischen Ereignissen seiner

Beethoven und die PolitikAnmerkungen zur „Eroica“

Egon Voss

„Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ?

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Zeit und deren Wandel. Einen Blick auf die Haltung des Schreibers dagegen gewährt der geradezu polternde Sarkasmus nicht.

Da die persönlichen Äußerungen Beethovens keinen eindeutig-verbindlichen Schluss auf seine politische Haltung zulassen, ist man ver-sucht, diese von seinen Kompositionen abzu-lesen. Auch sie aber sind kein zuverlässiges Auskunftsmittel, weil sie nur sehr selten Bezug auf die politischen Ereignisse der Zeit nehmen. Zudem gibt es Widersprüche. Im Jahre 1803, als gerade ein neuer Krieg zwischen England und Frankreich ausgebrochen war, veröffentlich-te Beethoven Klaviervariationen über die eng-lischen Nationallieder „God save the King“ und „Rule Britannia“. Das könnte als Parteinahme für die englische Seite aufgefasst werden. Doch was hat man davon zu halten, wenn nahezu zur gleichen Zeit die 3. Symphonie den Beinamen „Bonaparte“ erhielt bzw. Bonaparte gewidmet werden sollte ?

Als junger Mann in Bonn schrieb Beethoven Kantaten auf den Tod Kaiser Josephs II. und zur Inthronisierung von dessen Nachfolger Leopold II. In beiden Werken rühmen die Texte die Herrscher als weise und grundgütige Väter des Volkes im Sinne der Aufklärung. Das muss nicht heißen, dass Beethoven die in den Texten geäußerten Überzeugungen vertreten hat. Immerhin aber besteht eine eigenartige Verbin-dung von der Kantate auf den Tod Josephs II. zum „Fidelio“. Sie lässt daran zweifeln, ob dieses oft als „Freiheits“- und „Revolutions“-Oper ver-standene Werk so prinzipiell gegen Aristokratie und Absolutismus gerichtet und ein Plädoyer für republikanische und demokratische Verhältnisse

ist, wie es meist dargestellt wird. Beethoven zitiert im Finale der Oper bei der Stelle „O Gott ! Welch ein Augenblick !“ eine Melodie, auf die in der Bonner Kantate gesungen wird: „Da stiegen die Menschen ans Licht, da drehte sich glücklicher die Erd’ um die Sonne, und die Sonne wärmte mit Strahlen der Gottheit.“ Das Zitat im „Fidelio“ ruft also den Text der Bonner Kantate herauf, der unmissverständlich die Aufklärung preist und als deren Repräsentan-ten Joseph II., einen aristokratischen Herrscher.

Im Jahre 1793 schrieb Beethoven in ein Stamm-buch die Zeilen: „Wohltuen, wo man kann, Frey-heit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht, verleugnen.“ Die humanis-tischen Ideale sind hier offenkundig mit einem Weltbild verbunden, in dem der „Thron“ die höchste Instanz ist, und es ist gewiss nicht zu viel vermutet, wenn man darin nicht nur den jenseitigen Thron Gottes, sondern auch den diesseitigen des weltlichen Herrschers sieht. Er scheint für Beethoven eine Selbstverständ-lichkeit gewesen zu sein.

Konform mit dieser Einstellung geht Beethovens lebenslange Nähe zur Aristokratie. Er verkehrte in vielen Wiener Adelshäusern, wohnte zeit-weise sogar dort und war mit etlichen Aristo-kraten befreundet. Fürst Lichnowsky zahlte ihm zeitweise eine Apanage, und von Erzherzog Rudolph und den Fürsten Lobkowitz und Kinsky erhielt er ab 1809 eine Rente. Aufschlussreich ist nicht zuletzt, dass die überwältigende Mehr-heit seiner Kompositionen Adelspersonen gewidmet ist. Wohl nicht zufällig fand sich in Beethovens Nachlass August von Kotzebues Buch „Vom Adel“, eine Abhandlung, die bei

„Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ?

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allen kritischen Tönen gegenüber dem Miss-brauch ererbter Macht doch ein Loblied auf den Adel darstellt. Dessen Ideale galten Kotzebue als unverzichtbar für eine humane Gesellschaft. Dahinter steht die Idee einer gleichsam evolu-tionären Verschmelzung von Adel der Geburt mit Adel des Geistes und der Leistung, eine Vorstellung, die um 1800 weit verbreitet war.

Dass Beethoven dennoch allgemein als revolu-tionär gilt, hat seinen Grund wohl darin, dass seine Musik nicht nur kompositorisch neue, revolutionär anmutende Wege ging, sondern zugleich einen Tonfall ausprägte, dessen Elan, dessen Brio, dessen Explosivkraft an Revolution denken lassen. Der Versuch allerdings, diese Qualität auf die Musik der französischen Revolu-tion zurückzuführen, ist zum Scheitern verur-teilt, weil die französische Revolutionsmusik gerade diese Qualität nicht besitzt, sich neben Beethoven vielmehr brav und geradezu bieder ausnimmt.

Ähnlich wie mit Beethovens Verhältnis zur franzö-sischen Revolution verhält es sich mit der Be-ziehung der „Eroica“ zur Politik. Die berühmte Geschichte nämlich, dass Beethoven Bonaparte hochgeschätzt habe, solange dieser Konsul der französischen Republik war, dann jedoch, als er von der Erhebung Bonapartes zum Kaiser erfuhr, angeblich das Titelblatt der nach Bonaparte benannten 3. Symphonie zerrissen habe, ist in ihrer politischen Aussage falsch; denn Beethoven nannte die 3. Symphonie auch noch „ Bonaparte“, als er längst wusste, dass aus dem Konsul Bonaparte der Kaiser Napoléon geworden war. Der Grund für die Änderung von „Bonaparte“ in „Sinfonia eroica“ war also nicht die Verteidigung

der konsularischen Republik gegen die Inthroni-sierung eines Kaisers, das Eintreten für demo-kratische gegenüber absolutistischen Verhält-nissen. Der Grund muss ein anderer gewesen sein, auch wenn man diesen nicht kennt. Gewiss ist aber, dass man den Bericht, so berühmt er ist, nicht als Beleg für Beethovens republikanische und demokratische Gesinnung nehmen kann.

„Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ?

22 Die Künstler

Michał NesterowiczDirigent

Seit Michał Nesterowicz 2008 den europäischen Dirigentenwettbewerb des Orquestra de Cadaqués gewann, hat er viele der wichtigsten Klangkörper und Ensembles in Spanien, der Schweiz, Italien, Polen und Großbritannien dirigiert.

In der Spielzeit 2014/15 debütiert Michał Nes-terowicz mit dem WDR Sinfonieorchester, dem NDR Sinfonieorchester Hamburg, dem Orches-tre Philharmonique du Luxembourg, dem Bilbao Orkestra Sinfonikoa, dem Tampere Philharmo-nic Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de Nice und dem Orchestra Filarmônica de Mi-

nas Gerais. Er kehrt zudem zum Orquestra Sim-fònica de Barcelona, zum Sinfonieorchester Basel, zum Orquesta Sinfónica de Galicia, zum Staatsorchester Athen und zum Royal Philhar-monic Orchestra zurück. In der letzten Spielzeit feierte er erfolgreiche Debüts mit dem Royal Scottish National Orchestra, dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine, dem Orchestra della Svizzera Italia und dem National Taiwan Symphony Orchestra. Er dirigierte zudem das Tonhalle- Orchester Zürich und das Royal Liver-pool Philharmonic Orchestra.

In seiner dritten Spielzeit als Künstlerischer Lei-ter des Orquesta Sinfónica de Tenerife setzt Michał Nesterowicz die Arbeit an den sympho-nischen Zyklen von Mahler, Brahms und Schu-mann fort. Auch die späten Dvorák-Symphonien und Lutosławskis Konzert für Orchester stehen auf dem Programm.

Michał Nesterowicz studierte bis 1997 an der Karol-Lipinski-Musikakademie Breslau bei Ma-rek Pijarowski. Er gehörte zu den Gewinnern des 6. Inter nationalen Grzegorz Fitelborg Dirigenten-wett bewerbs in Kattowitz. In der Vergangen-heit war er Künst lerischer Leiter der Baltischen Philharmonie (Danzig) und Chefdirigent des Or-questa Sinfónica de Chile.

2323Die Künstler

Veronika EberleVioline

Die junge Geigerin Veronika Eberle, 1988 in Donauwörth geboren, wurde als 10-Jährige Jung-studentin bei Olga Voitova am Richard-Strauss-Konservatorium München. Von 2001 bis 2012 studierte sie an der Musikhochschule München bei Ana Chumachenco. Internationale Aufmerk-samkeit erlangte sie 2006 im ausverkauften Fest-spielhaus der Salzburger Osterfestspiele in einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Simon Rattle, wo sie mit Beethovens Violinkonzert begeisterte. Weitere Glanzlichter ihrer bisherigen Karriere waren Konzerte mit den New Yorker Philharmonikern, dem Los Angeles

Philharmonic Orchestra, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem NHK-Symphonieorchester und dem Philharmonischen Orchester Rotterdam.

Erst kürzlich feierte Veronika Eberle Erfolge beim London Symphony Orchestra, wiederum mit Beet-hovens Violinkonzert unter Simon Rattle, beim Orchestre symphonique de Montréal unter Kent Nagano mit Mendelssohns Violinkonzert und beim Royal Concertgebouw Orchestra unter Heinz Holliger mit dem Violinkonzert von Berg. Zu den Höhepunkten ihrer kommenden Konzertenga-gements zählen das Debüt mit dem Seoul Phil-harmonic Orchestra sowie Wiedereinladungen zu den Bamberger Symphonikern unter Robin Ticciati und dem Münchener Kammerorchester als Solistin und Dirigentin. Zudem wird sie ge-meinsam mit Antoine Tamestit und dem Insula Orchestra unter Leitung von Laurence Equilbey Mozarts „Sinfonia concertante“ auf historischen Instrumenten aufführen.

Als begeisterte Kammermusikerin musiziert Veronika Eberle u. a. regelmäßig mit Shai Wosner, Lars Vogt, Martin Helmchen, Renaud Capuçon und Antoine Tamestit. In der Mozartwoche 2015 in Salzburg stand sie in einem Trio-Projekt gemeinsam mit Mitsuko Uchida und Marie- Elisabeth Hecker auf der Bühne.

Veronika Eberle spielt die im Jahr 1700 gebaute Stradivari „Dragonetti“, eine freundliche Leih-gabe der Nippon Music Foundation.

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„Lorin Maazel war einer der genialsten Musi-ker, seine dirigentische Brillanz von nahezu einzigartiger Qualität. Er hat mich immer wie-der beeindruckt mit einer zutiefst humanen Grundhaltung. Er war überzeugt, dass Musik das menschliche Leben gerade unter extremen Bedingungen verbessert. Dafür hat er seine ganze Leidenschaft und Energie investiert. Da-rum hat er sich so intensiv für junge Musiker eingesetzt, sie gefördert, für sie ein eigenes Festival auf seiner Farm in Castelton/ Virginia gegründet. Das wird ihn zu einem wichtigen Vor-bild für junge Musiker machen.

Dass er mit uns zusammen seinen 85. Geburts-tag feiern wollte, empfinden wir als große Ehre. Wir wollen daher die Konzerte an diesem Wo-chenende ihm, unserem verehrten Maestro, widmen. Nicht nur ich, auch die Kolleginnen und Kollegen aus Direktion und Orchester ver-missen ihn – als genialen Musiker und groß-artigen Menschen.“

Paul MüllerIntendant der Münchner Philharmoniker

„Ich bin seit 1984 im Orchester – und mein allererstes Konzert bei den Philharmonikernwar unter der Leitung von Lorin Maazel mit Mo-zarts Prager Symphonie und der 5. Symphonie von Tschaikowsky.

Mit Lorin Maazel verbinde ich seine unglaubli-che Präsenz und Präzision. Er hat eine solche Sicherheit und Souveränität ausgestrahlt, die mich immer wieder verblüfft und begeistert hat.“

Stefan GagelmannSolo-Paukist

Zu Ehren Lor in Maaze ls

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„Uns Münchner Philharmonikern war es ver-gönnt, Lorin Maazel als Chefdirigenten so zu genießen, wie es vielleicht kein anderes Or-chester zuvor konnte: altersmilde, aber trotz-dem unnachgiebig qualitätsfordernd an uns Musiker – und an sich selbst.

Am bewegendsten war für mich sein Antritts-konzert im September 2012 mit Mahlers 9. Sym-phonie, einer „Liebeserklärung an das Leben“, wie im damaligen Programmheft stand.

Ich hätte mir sehr gewünscht, noch viel mehr Zeit und Musik mit Lorin Maazel zu erleben.“

Alexandra Gruber,Solo-Klarinettistin

„Ich durfte mit Lorin Maazel neben seiner Po-sition als Chef des Orchesters und neben mei-ner Vorstandsarbeit einige Zeit verbringen.Wir haben zusammen die Oper „La voix hu-maine“ von Francis Poulenc für sein Castleton-Festival umarrangiert und viele Stunden auf dem Sofa nebeneinander sitzend verbracht. Bei unserer gemeinsamen Arbeit an der Partitur durfte ich nicht nur sein unfassbares Können und Wissen bewundern, sondern vielmehr sei-ne Liebe zur Musik, seine warmherzige Ernst-haftigkeit, Sensibilität und seinen so trockenen Humor. Er war ernsthaft an jeder Idee oder mu-sikalischen Meinung interessiert und hatte gro-ßen Spaß daran, quasi unlösbare Probleme in der Orchestrierung stundenlang zu diskutieren, analysieren und mit ins Bett zu nehmen, um die Lösung am nächsten Tag voller Stolz zu präsen-tieren. Auch wenn er ein bisschen Unbehagen ob der Spielbarkeit mit „…das können meine fantastischen Musiker schon…“ oder „…ganz schön viele Doppelgriffe. Ich hoffe, es verletzt sich niemand…“ beruhigte.

Ich hoffe, er konnte sein Buch vollenden, aus dessen Manuskript (auf dem Laptop!) er immer wieder Passagen vorlas und herrliche, rührende Anekdoten etwa von einem Sabbatical auf ei-ner Südseeinsel erzählte.

Er war an allem interessiert, was echt war. Am Leben und an den Menschen. Und er war offen für Neues, war interessiert an jeder Verbesse-rung oder Veränderung. So musste ich ihm un-

Zu Ehren Lor in Maaze ls

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„Uns Münchner Philharmonikern war es ver-gönnt, Lorin Maazel als Chefdirigenten so zu genießen, wie es vielleicht kein anderes Or-chester zuvor konnte: altersmilde, aber trotz-dem unnachgiebig qualitätsfordernd an uns Musiker – und an sich selbst.

Am bewegendsten war für mich sein Antritts-konzert im September 2012 mit Mahlers 9. Sym-phonie, einer „Liebeserklärung an das Leben“, wie im damaligen Programmheft stand.

Ich hätte mir sehr gewünscht, noch viel mehr Zeit und Musik mit Lorin Maazel zu erleben.“

Alexandra Gruber,Solo-Klarinettistin

„Ich durfte mit Lorin Maazel neben seiner Po-sition als Chef des Orchesters und neben mei-ner Vorstandsarbeit einige Zeit verbringen.Wir haben zusammen die Oper „La voix hu-maine“ von Francis Poulenc für sein Castleton-Festival umarrangiert und viele Stunden auf dem Sofa nebeneinander sitzend verbracht. Bei unserer gemeinsamen Arbeit an der Partitur durfte ich nicht nur sein unfassbares Können und Wissen bewundern, sondern vielmehr sei-ne Liebe zur Musik, seine warmherzige Ernst-haftigkeit, Sensibilität und seinen so trockenen Humor. Er war ernsthaft an jeder Idee oder mu-sikalischen Meinung interessiert und hatte gro-ßen Spaß daran, quasi unlösbare Probleme in der Orchestrierung stundenlang zu diskutieren, analysieren und mit ins Bett zu nehmen, um die Lösung am nächsten Tag voller Stolz zu präsen-tieren. Auch wenn er ein bisschen Unbehagen ob der Spielbarkeit mit „…das können meine fantastischen Musiker schon…“ oder „…ganz schön viele Doppelgriffe. Ich hoffe, es verletzt sich niemand…“ beruhigte.

Ich hoffe, er konnte sein Buch vollenden, aus dessen Manuskript (auf dem Laptop!) er immer wieder Passagen vorlas und herrliche, rührende Anekdoten etwa von einem Sabbatical auf ei-ner Südseeinsel erzählte.

Er war an allem interessiert, was echt war. Am Leben und an den Menschen. Und er war offen für Neues, war interessiert an jeder Verbesse-rung oder Veränderung. So musste ich ihm un-

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bedingt bei einem Glas Wein und einer Banane den Umgang mit einem Notensatzprogramm am Computer erklären, weil ihm das Notenschrei-ben mit der Hand viel zu langsam ging. Er war mit einer Auftragskomposition für einen Wett-bewerb beschäftigt und hatte Sorge, nicht recht-zeitig fertig zu werden.

Mit 83 Jahren wurde Lorin Maazel noch quasi ein Fussballfan. Er erkannte die Chance, als ich ihm die Partitur für die FC Bayern Hymne zeigte, Millionen von noch nicht Klassikfans zu errei-chen und vielleicht nur für einen Moment deren Neugier zu wecken. Er sagte sofort seine Mit-wirkung zu und war voller Begeisterung sogar im Wembley Stadion zum Champions League Finale in London. Dass er bei der Aufnahme das Trikot trug, was aus einer „Anzug noch im Hotel“-Notsituation resultierte, reute ihn bei aller Kri-tik in keiner Sekunde. Wir haben uns mit ihm halb schlapp gelacht.

Ich erzählte ihm, dass einige wenige Stimmen zu vernehmen waren, dass die Aktion unseriös sei. Darauf entgegnete er völlig entspannt, dass er diese Leute kenne, die nicht auch mal über sich selbst lachen können. Sie täten ihm Leid und seien in seinen Augen selten wirklich seri-ös.

Seine Professionalität, seine unfassbar genia-len Fähigkeiten und seine Intelligenz konnten wohl auf den ersten Blick distanziert oder kühl wirken. Bei genauerem Hinsehen musste man

allerdings den warmherzigen, vertrauenden, selbstkritischen und zutiefst idealistischen Men-schenfreund erkennen, der sein ganzes Leben darauf verwendet hat, die Welt mit seiner Mu-sik besser zu machen.Ich werde ihn sehr vermissen.“

Matthias AmbrosiusOrchestervorstand der Münchner Philharmoniker

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bedingt bei einem Glas Wein und einer Banane den Umgang mit einem Notensatzprogramm am Computer erklären, weil ihm das Notenschrei-ben mit der Hand viel zu langsam ging. Er war mit einer Auftragskomposition für einen Wett-bewerb beschäftigt und hatte Sorge, nicht recht-zeitig fertig zu werden.

Mit 83 Jahren wurde Lorin Maazel noch quasi ein Fussballfan. Er erkannte die Chance, als ich ihm die Partitur für die FC Bayern Hymne zeigte, Millionen von noch nicht Klassikfans zu errei-chen und vielleicht nur für einen Moment deren Neugier zu wecken. Er sagte sofort seine Mit-wirkung zu und war voller Begeisterung sogar im Wembley Stadion zum Champions League Finale in London. Dass er bei der Aufnahme das Trikot trug, was aus einer „Anzug noch im Hotel“-Notsituation resultierte, reute ihn bei aller Kri-tik in keiner Sekunde. Wir haben uns mit ihm halb schlapp gelacht.

Ich erzählte ihm, dass einige wenige Stimmen zu vernehmen waren, dass die Aktion unseriös sei. Darauf entgegnete er völlig entspannt, dass er diese Leute kenne, die nicht auch mal über sich selbst lachen können. Sie täten ihm Leid und seien in seinen Augen selten wirklich seri-ös.

Seine Professionalität, seine unfassbar genia-len Fähigkeiten und seine Intelligenz konnten wohl auf den ersten Blick distanziert oder kühl wirken. Bei genauerem Hinsehen musste man

allerdings den warmherzigen, vertrauenden, selbstkritischen und zutiefst idealistischen Men-schenfreund erkennen, der sein ganzes Leben darauf verwendet hat, die Welt mit seiner Mu-sik besser zu machen.Ich werde ihn sehr vermissen.“

Matthias AmbrosiusOrchestervorstand der Münchner Philharmoniker

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Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt.

ImpressumHerausgeberDirektion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 4, 81667 MünchenLektorat: Christine MöllerCorporate Design:

Graphik: dm druckmedien gmbh, MünchenDruck: Color Offset GmbH,Geretsrieder Str. 10,81379 München

Textnachweise Martin Demmler, Tobias Niederschlag, Thomas Leibnitz, Egon Voss, Paul Müller, Stefan Gagelmann, Alexandra Gruber und Matthias Ambrosius schrieben ihre Texte als Original - beiträge für die Programm hefte der Münchner Philharmoniker. Lexikalische Angaben und Kurzkommentare: Stephan Kohler. Künstlerbiographien: Christine Möller. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig.

BildnachweiseAbbildung zu Mieczysław Wein - berg: David Fanning, Mieczysław Weinberg – Auf der Suche nach Freiheit, Hofheim 2010; Abbildung zu Alban Berg: Anthony Pople (Hrsg.), Alban Berg und seine Zeit, Laaber- Verlag, Laaber 2000. Ab bildungen zu Ludwig van Beethoven: Joseph Schmidt-Görg und Hans Schmidt (Hrsg.), Ludwig van Beethoven, Bonn / Hamburg / Braunschweig 1969; H. C. Robbins Landon, Beethoven – A documentary study, New York / Toronto 1970. Künstlerphotographien: Roberto de Armas (Nesterowicz), Bernd Noelle (Eberle). Abbildungen von Lorin Maazel: Petra Coddington, Christian Beuke, Severin Vogl, wildundleise.de.

Fr. 06.03.2015, 20:00 Uhr 3. Abo h5

Antonín Dvorák Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104

Richard Strauss „Also sprach Zarathustra“ op. 30

Richard Strauss „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ op. 28

Valery Gergiev, DirigentSol Gabetta, Violoncello

Do. 19.03.2015, 20:00 Uhr 3. Abo k5Fr. 20.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo cSo. 22.03.2015, 19:00 Uhr 5. Abo g5

Franz Schubert Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417 („Tragische“)

Gustav Mahler Symphonie Nr. 5 cis-Moll

Robert Trevino, Dirigent

Do. 26.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo bFr. 27.03.2015, 20:00 Uhr 6. Abo d

Wolfgang Rihm Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2

Anton Bruckner Symphonie Nr. 9 d-Moll (Originalfassung 1894)

Christoph Eschenbach, DirigentTzimon Barto, Klavier

Karten € 61 / 51,50 / 45 / 36,90 / 31,20 / 18,10 / 12,30Informationen und Karten über München TicketKlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de

Mikhail GlinkaOuvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“

Bruno HartlKonzert für Schlagwerk und Orchester op. 23

Modest Mussorgskij „Bilder einer Ausstellung“(Instrumentierung: Maurice Ravel)

Weiterer Termin: Mittwoch, 29.04.2015, 20 Uhr

Sonderkonzert Dienstag, 28.04.2015, 20 UhrPhilharmonie im Gasteig

Martin Grubinger Percussion

Eivind Gullberg Jensen Dirigent

117. Spielzeit seit der Gründung 1893Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)

Paul Müller, Intendant