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Mitteilungen DGPPN Der Nervenarzt 1 · 2004 | 101 Vollstationäre Einrichtungen der Psy- chiatrie und Psychotherapie sowie der Psy- chosomatik und Psychotherapie/Psycho- therapeutischen Medizin sind durch den Gesetzgeber vom DRG-System ausgenom- men worden. Damit hat der Gesetzgeber anerkannt, dass sich bei psychischen Krankheiten bisher keine Merkmale iden- tifizieren lassen,die bei vertretbarer Vari- anz prädiktiv für die Verweildauer, d.h. für die Aufwände (Kosten) sind. Psychi- sche Krankheiten sind damit bisher nicht „DRG-fähig“ (was weltweit akzeptiert wird). Wie z.B. vor über 20 Jahren in den USA exemplifiziert, ist die Gefahr zu groß, dass der mit DRGs verbundene ökonomi- sche Anreiz eine massive Unterversorgung psychisch Kranker nach sich zieht. Den- noch enthält das deutsche DRG-System in MDC19 und MDC20 DRGs für psychi- sche Krankheiten, soweit diese als Haupt- diagnose in somatischen Einrichtungen behandelt werden. Obwohl die Begrün- dung für die Herausnahme psychiatri- scher und psychosomatischer Einrichtun- gen aus dem DRG-System im Wesen psy- chischer Krankheiten liegt, wurden aus ordnungspolitischen Gründen nicht die Krankheiten, sondern die spezialisierten Einrichtungen ausgenommen. Die obligate Anwendung des DRG- Systems ab 01.01.2004 durch alle somati- schen Abteilungen nach § 109 SGB V zu- gelassener Krankenhäuser spitzt die Be- deutung der Behandlung psychisch Kran- ker unter psychiatrischer Hauptdiagnose in somatischen Abteilungen zu. Einerseits stellt sich die Frage, inwieweit die psychi- schen Krankheiten dort sachgerecht be- handelt werden können. Des weiteren, in- wieweit – um dies zu ermöglichen – ent- sprechende Konsiliarleistungen in An- spruch genommen werden müssen und tatsächlich in Anspruch genommen wer- den. Des weiteren, inwieweit hierfür die Kapazitäten überhaupt ausreichen. Des weiteren, wie häufig diese Behandlung letztlich abgebrochen wird und in die Ver- legung in eine psychiatrische oder psy- chosomatische Einrichtung mündet, und inwieweit hierzu schlicht ökonomische Motive – eben der vom DRG-System aus- gehende Anreiz – beitragen. Hier interes- siert auch, welche der beiden Einrich- tungstypen präferiert werden. Davon unabhängig bietet das DRG- System einen Anreiz, Komorbiditäten und hier auch psychische Komorbiditäten zu entdecken,indem sich dadurch bei aufge- teilten DRGs („DRG-Split“) eine Höher- gruppierung in eine besser dotierte DRG (z.B. von „***C“ nach „***B“) erreichen läßt. Im Jahr 2004 wird das DRG-System voraussichtlich 226 solche in bis zu 5 Schweregrade aufgeteilten DRGs enthal- ten. Man kann davon ausgehen, dass min- destens 10% der primär somatischen Krankenhausfälle gruppierungsrelevan- te psychische Komorbiditäten aufweisen. Wenn allerdings mehrere – auch soma- tische – Komorbiditäten bestehen (auch das wird häufig zutreffen), so führt die zusätzliche psychische Komorbidität nicht zwangsläufig zu einer weiteren Hö- hergruppierung, da die Komorbiditäten sich nicht additiv auf den „PCCL“ (pati- ent complexity and comorbidity level) auswirken. Hier stellt sich jedenfalls die Frage, wer mit welcher Qualität die Ko- morbidität diagnostiziert – am besten der fachärztliche Konsiliarius. Das ist recht- lich nicht geregelt. Das ist aber für die Versorgung psychisch Kranker von be- sonderer Bedeutung, weil daran die Ent- scheidung gebunden sein kann, den Kranken aus der somatischen in eine psychiatrische oder psychosomatische Abteilung zu verlegen. Damit bietet sich der Anreiz, eigentlich somatische Behand- lungskomponenten an psychiatrische Jürgen Fritze Obligate Anwendung des DRG-Systems ab 01.01.2004: Vollstationäre Behandlung psychischer Krankheiten in somatischen Einrichtungen Stellungnahme Nervenarzt 2004 · 75:101–103 DOI 10.1007/s00115-003-1666-3 © Springer-Verlag 2004 Redaktion U.Voderholzer, Freiburg M. Berger, Freiburg T. Messer, Augsburg

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie

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Mitteilungen DGPPN

Der Nervenarzt 1 · 2004 | 101

Vollstationäre Einrichtungen der Psy-chiatrie und Psychotherapie sowie der Psy-chosomatik und Psychotherapie/Psycho-therapeutischen Medizin sind durch denGesetzgeber vom DRG-System ausgenom-men worden. Damit hat der Gesetzgeberanerkannt, dass sich bei psychischenKrankheiten bisher keine Merkmale iden-tifizieren lassen,die bei vertretbarer Vari-anz prädiktiv für die Verweildauer, d.h.für die Aufwände (Kosten) sind. Psychi-sche Krankheiten sind damit bisher nicht„DRG-fähig“ (was weltweit akzeptiertwird).Wie z.B. vor über 20 Jahren in denUSA exemplifiziert, ist die Gefahr zu groß,dass der mit DRGs verbundene ökonomi-sche Anreiz eine massive Unterversorgungpsychisch Kranker nach sich zieht. Den-noch enthält das deutsche DRG-Systemin MDC19 und MDC20 DRGs für psychi-sche Krankheiten,soweit diese als Haupt-diagnose in somatischen Einrichtungenbehandelt werden. Obwohl die Begrün-dung für die Herausnahme psychiatri-scher und psychosomatischer Einrichtun-gen aus dem DRG-System im Wesen psy-chischer Krankheiten liegt, wurden ausordnungspolitischen Gründen nicht dieKrankheiten, sondern die spezialisiertenEinrichtungen ausgenommen.

Die obligate Anwendung des DRG-Systems ab 01.01.2004 durch alle somati-schen Abteilungen nach § 109 SGB V zu-gelassener Krankenhäuser spitzt die Be-deutung der Behandlung psychisch Kran-ker unter psychiatrischer Hauptdiagnosein somatischen Abteilungen zu.Einerseitsstellt sich die Frage, inwieweit die psychi-schen Krankheiten dort sachgerecht be-handelt werden können.Des weiteren,in-wieweit – um dies zu ermöglichen – ent-sprechende Konsiliarleistungen in An-spruch genommen werden müssen undtatsächlich in Anspruch genommen wer-den. Des weiteren, inwieweit hierfür dieKapazitäten überhaupt ausreichen. Desweiteren, wie häufig diese Behandlungletztlich abgebrochen wird und in die Ver-legung in eine psychiatrische oder psy-chosomatische Einrichtung mündet,undinwieweit hierzu schlicht ökonomischeMotive – eben der vom DRG-System aus-gehende Anreiz – beitragen.Hier interes-siert auch, welche der beiden Einrich-tungstypen präferiert werden.

Davon unabhängig bietet das DRG-System einen Anreiz,Komorbiditäten undhier auch psychische Komorbiditäten zuentdecken,indem sich dadurch bei aufge-teilten DRGs („DRG-Split“) eine Höher-

gruppierung in eine besser dotierte DRG(z.B. von „***C“ nach „***B“) erreichenläßt. Im Jahr 2004 wird das DRG-Systemvoraussichtlich 226 solche in bis zu 5Schweregrade aufgeteilten DRGs enthal-ten.Man kann davon ausgehen,dass min-destens 10% der primär somatischenKrankenhausfälle gruppierungsrelevan-te psychische Komorbiditäten aufweisen.Wenn allerdings mehrere – auch soma-tische – Komorbiditäten bestehen (auchdas wird häufig zutreffen), so führt diezusätzliche psychische Komorbiditätnicht zwangsläufig zu einer weiteren Hö-hergruppierung, da die Komorbiditätensich nicht additiv auf den „PCCL“ (pati-ent complexity and comorbidity level)auswirken. Hier stellt sich jedenfalls dieFrage, wer mit welcher Qualität die Ko-morbidität diagnostiziert – am besten derfachärztliche Konsiliarius. Das ist recht-lich nicht geregelt. Das ist aber für dieVersorgung psychisch Kranker von be-sonderer Bedeutung,weil daran die Ent-scheidung gebunden sein kann, denKranken aus der somatischen in einepsychiatrische oder psychosomatischeAbteilung zu verlegen. Damit bietet sichder Anreiz,eigentlich somatische Behand-lungskomponenten an psychiatrische

Jürgen Fritze

Obligate Anwendung desDRG-Systems ab 01.01.2004:Vollstationäre Behandlungpsychischer Krankheiten insomatischen EinrichtungenStellungnahme

Nervenarzt 2004 · 75:101–103DOI 10.1007/s00115-003-1666-3© Springer-Verlag 2004

RedaktionU.Voderholzer, FreiburgM. Berger, FreiburgT. Messer, Augsburg

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oder psychosomatische Einrichtungen zudelegieren.

Vor diesem Hintergrund ist es wich-tig, über möglichst aktuelle Daten zurHäufigkeit psychischer Morbidität in so-matischen Einrichtungen zu verfügen.Deshalb ist es sehr verdientsvoll,dass FrauDr. E. Maylath und Mitarbeiter im Rah-men ihrer Tätigkeit für den MDK Ham-burg sämtliche Krankenhausfälle des Jah-res 2001 der Deutschen Angestellten Kran-kenkasse (DAK), insgesamt 1.258.620 in-klusive 67.907 mit psychiatrischer Haupt-diagnose (Kapitel F der ICD-10), analy-sieren konnte (Maylath,Spanka,Nehr: Inwelchen Krankenhausabteilungen wer-den psychisch Kranke behandelt? EineAnalyse der Krankenhausfälle der DAKim Vorfeld der DRGs. Gesundheitswesen65 (2003) 486-494). Hoch anzuerkennenist auch die Bereitschaft der DAK, dieseDaten öffentlich zu machen. Es handeltsich um die erste jemals durchgeführtebundesweite Erhebung.Wegen der aktu-ellen Bedeutung werden die wesentlichen

Ergebnisse nachfolgend zusammenge-fasst; für Details ist auf die Originalarbeitzu verweisen.

Die Ergebnisse sind eindrucksvoll: ImMittel erfolgt ein Drittel der Behandlun-gen unter psychiatrischer Hauptdiagnosein somatischen Abteilungen,überwiegendin Abteilungen für Innere Medizin,gefolgtvon neurologischen Abteilungen.Das ge-ringste „Interesse“ somatischer Abteilun-gen besteht an den Schizophrenien undPersönlichkeitsstörungen (⊡ Abb.1).Wievon den Autoren zutreffend diskutiert,lassen andere Prävalenzstudien es wahr-scheinlich erscheinen, dass die wirklicheGrößenordnung noch höher liegt.

Die Verweildauern differieren drama-tisch zwischen den psychiatrischen Ab-teilungen einerseits und den somatischenandererseits, in psychiatrischen Abteilun-gen 31,2 Tage gegenüber 10,3 Tagen in so-matischen.Die Unterschiede sind beson-ders ausgeprägt bei den Schizophrenien,affektiven Störungen und sog. Neurosen(⊡ Abb. 2). Die Unterschiede können so

interpretiert werden,dass in somatischenEinrichtungen mit gänzlich anderem Auf-trag, Konzept und Ziel behandelt wird.Das bedeutet, das die Verweildauern insomatischen Einrichtungen nicht als Mo-dell für psychiatrische Einrichtungen her-angezogen werden können.

Auffällig – fast unverständlich – ist,dass selbst in Krankenhäusern, die übereine eigene psychiatrische Abteilung ver-fügen, der Anteil in somatischen Abtei-lungen behandelter Patienten kaum ge-ringer ist (⊡ Abb. 3).

Zur Prognose stellen Maylath et al. –vermutlich nur zu zutreffend – fest,es seiillusorisch zu erwarten, dass psychiatri-schen Einrichtungen bei der abzusehen-den Übernahme zumindest eines Teils derbisher in somatischen Einrichtungen er-folgenden Versorgung zusätzliche Res-sourcen zur Verfügung gestellt werden.Vielmehr müsse der bisher nur ca. 10%der somatischen Einrichtungen zugängli-che psychiatrische Konsiliardienst erwei-tert werden. Maylath et al. erwarten, dass

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Abb. 1 ▲ Psychiatrische Diagnosen in ausgewählten Fachgebieten, zusam-mengefasst in Diagnosegruppen

Abb. 2 ▲ Verweildauer psychiatrischer Diagnosegruppen in psychiatri-schen und somatischen Einrichtungen

Abb. 3 � Psychiatrische Fälle in soma-tischen Abteilungen – Vergleich vonKrankenhäusern mit bzw. ohne eigenepsychiatrische Abteilung

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die Qualität der Behandlung psychischKranker in somatischen Einrichtungenim DRG-System abnehmen wird, insbe-sondere bei den Suchtkranken.Leider er-laubten die DAK-Daten anscheinend kei-ne Analyse,wie häufig die Behandlung indie Verlegung von der somatischen in ei-ne psychiatrische Einrichtung mündete.Solche Verlegungen können sowohl thera-peutisch hinderlich wie auch gesundheits-ökonomisch ineffizient sein.

Zu den Gründen,warum der Behand-lung psychisch Kranker in somatischenEinrichtungen eine derart große quanti-tative Bedeutung zukommt, vermeidenMaylath et al. jede Aussage. Das ist ver-ständlich und berechtigt, denn es kannnur spekuliert werden. An dieser Stelleaber darf spekuliert werden: Zu den we-sentlichen Gründen gehört vermutlich dasunverändert psychiatrischen Einrichtun-gen und den von ihnen versorgten Kran-ken anhaftende Stigma. Die Behandlungin somatischen Einrichtungen vermeidet,in diese Stigmatisierung einbezogen zuwerden.Weitere Gründe mögen aber auchdarin liegen,dass sich psychiatrische Ein-richtungen noch nicht hinreichend attrak-tiv präsentieren. In einem nunmehr zu-nehmend wettbewerblich ausgerichtetenGesundheitswesen wird das noch wichti-ger.

Korrespondierender AutorProf. Dr. med. Jürgen Fritze

Asternweg 6550259 Pulheim

Klinische Studien: Künftig auch vom Bundesforschungs-ministerium (BMBF) und vonder Deutschen Forschungs-gemeinschaft (DFG) gefördert

men der gewerblichen Wirtschaft ein un-mittelbares Interesse haben (z. B. Zulas-sungsstudien) oder die in anderen Förder-programmen von BMBF oder DFG bean-tragt wurden oder unterstützt werden,blei-ben von der Förderung ausgeschlossen.

Das Begutachtungsverfahren ist zwei-stufig.Zunächst erfolgt bis zum 29.02.2004das Einreichen von englischsprachigenAntragsskizzen (bis zu 5 Seiten).Das Pro-gramm ist für 5 Jahre ausgelegt, so dassin diesem Zeitraum zu fixen Terminen inetwa jährlichem Abstand erneut Antrags-skizzen einreichbar sind.Im 1.Schritt po-sitiv begutachtete Antragsteller könnendem internationalen unabhängigen Gut-achtergremium einen vollständig ausfor-mulierten englischsprachigen Antrag ein-reichen.

Korrespondierender AutorProfessor Dr. Wolfgang Maier

Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie desUniversitätsklinikums Bonn Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn

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Mitteilungen DGPPN

Das Bundesforschungsministerium(BMBF) und die DFG kündigen in zweiparallelen Ausschreibungen vom 11.11.03die schon länger angekündigte Förderungvon wissenschaftsinitiierten multizentri-schen prospektiven kontrollierten klini-schen Studien bzw. von systematischenReviews von klinischen Standards in dergesamten Medizin an.http://www.gesund-heitsforschung-bmbf.de/foerderung/be-kanntmachungen_bmbf/klin_Studien,http://www.dfg. de/forschungsfoerde-rung/aktuelles_mitteilungen/index.html)

In der Ausschreibung wird einerseitsdie hohe Relevanz und der erhebliche Um-fang solcher Studien betont,andererseitsaber auch die im Vergleich zum interna-tionalen wissenschaftlichen Standard un-zureichende methodische Qualität sol-cher Untersuchungen an deutschen Uni-versitätskliniken beklagt.

Erfreulicherweise motiviert diese Kri-tik die Auflage dieses Forschungspro-gramms.

Es werden dabei sowohl pharmakolo-gische (BMBF) wie auch nicht-pharma-kologische (DFG) Therapiestudien als för-derbar genannt (Studiendauer bis zu 3Jahren). Neben Therapiestudien könnenauch Diagnosestudien, Prognosestudienund kontrollierte Studien zur Sekundär-prävention gefördert werden.Es gelten dieLeitlinien für „Gute Klinische Praxis“(GCP).

Antragsberechtigt sind Hochschulen,außeruniversitäre Forschungseinrichtun-gen und Krankenhäuser. Forschungsvor-haben, an deren Ergebnissen Unterneh-