46
Skript zur Vorlesung Einf¨ uhrung in die Medizinische Informatik und Bioinformatik Modelle mit Differentialgleichungen Institut f ¨ ur Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie D.Barthel

Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

  • Upload
    lymien

  • View
    219

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

Skript zur Vorlesung

Einfuhrung in die Medizinische Informatik und Bioinformatik

Modelle mit Differentialgleichungen

Institut fur Medizinische Informatik, Statistik und EpidemiologieD.Barthel

Page 2: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

Bearbeitung Version 17.4.2001: Stefan HohmeVersion: 18. April 2002

1

Page 3: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

Inhaltsverzeichnis

1 Pharmakokinetik 3

1.1 Applikation eines Pharmakons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.1.1 Dosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2 Beispiel nach Dost: Eliminationskinetik von Penicillin im menschli-chen Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.3 Das 1-Kompartiment-Modell mit linearer Eliminationskinetik 1.Ordnung 12

1.3.1 ModelMaker, ein Modell-Simulationsprogramm mit einfacherHandhabung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1.3.2 Elimination eines Pharmakons nach einmaliger intravasaler Gabe 13

1.3.3 Elimination eines Pharmakons bei periodischer Gabe gleicherDosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.3.4 Ein klinisches Beispiel aus der Literatur . . . . . . . . . . . . 16

1.4 Ein 1-Kompartimentmodell mit anderer Eliminationskinetik . . . . . 16

2 Modelle von Epidemieverlaufen 21

2.1 Das klassische SIR - Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.2 Erweitertes SIR-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3 Wachstum von Populationen 33

3.1 Eine einzige Population, exponentielles Wachstum.Das Gesetz von Malthus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

3.2 Eine einzige Population, logistisches Wachstum.Das Gesetz von Verhulst-Pearl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3.3 Zwei konkurrierende Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

3.4 Rauber - Beute -Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2

Page 4: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 3

1 Pharmakokinetik

Die Pharmakokinetik untersucht die Gesetzmaßigkeiten bei Aufnahme eines Arznei-stoffs (Pharmakon) in den Organismus, das Verweilen im Organismus und die Elimi-nation aus dem Organismus.

1.1 Applikation eines Pharmakons

Intravasal

• Injektion intravenos (i.V.)

• Dauerinfusion

Extravasal

• Injektion subkutan

• Injektion intramuskular

Oral

• Tablette

• Tropfen

Rektal

• Zapfchen

Die Verteilung im Organismus erfolgt durch den Blutkreislauf.

Voraussetzung fur Wirksamkeit

DerBlutspiegeldes Pharmakons (genauer: die Konzentration im Serum, oder die Kon-zentration im Plasma) muß im therapeutischem Bereich liegen:cmin ≤ c≤ cmaxDarunter: keine oder zu schwache WirkungDaruber: Schadigung moglich

1.1.1 Dosierung

nach medizinisch erprobten Vorschriften. Trotzdem besteht, besonders bei schmalemtherapeutischen Bereich, die Gefahr einerUber- oder Unterdosierung.Applikation−→ Verteilung:−→ Blut (Elimination)←→ Gewebe,Organe

Elimination- Stoffwechsel: Abbau (Leber)- Niere:−→ Urin

Unvermutete Abweichungen bei Verteilung und bei Elimination (Geschwindig-keit) konnte zu unerwarteten Konzentrationen im Blut fuhren.

Page 5: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 4

• Applikationshaufigkeit

- einmalige Gabe

- wiederholte Gabe

- kontinuierliche Zufuhr

Zeitliche Anderung des Blutspiegels (schematisch):

mehrmalige Gaben: komplizierter.

Aus einer kurzlich erschienen Arbeit:(H.Plagge, Therapeutisches Drug Monitoring, Deutsche Apotheker Zeitung, 136.Jg.,Nr.43, S.3735-3746 - Tabellen und Abbildungen aus dieser Arbeit entnommen)

Die Arbeit bezieht sich auf eine retrospektive Untersuchung an einem StadtischenKrankenhausuber 3 Jahre (1993-95). Die Patienten wurden behandelt mit:

• Digoxin : (679) Behandlung von Herzinsuffizienz

• Gentamicin : (495) Antibiotikum, bei Infektionen (Intensivstation)

• Theophyllin : (201) bei Asthma, Lungenerkrankung

Alle drei Medikamente weisen eine geringe therapeutische Breite auf.

a) Digoxin

Page 6: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 5

• Therapeutischer Bereich: 0,8 ... 2,0µg/l

- 30% der Patienten unterhalb

- 18% der Patienten oberhalb

- Nur 52% im therapeutischen Bereich

• Mogliche Ursachen sind:

- die Interaktion mit anderen Arzneistoffen

- die falsche oder unzuverlassige Einnahme durch den Patienten

b) Gentamicin

Periodisch 1-3 taglich Kurzinfusion. Hohe Spitzen des Blutspiegels treten kurznach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf.EineUberdosierung kann Nierenschaden auslosen.Die Ausscheidung erfolgt fast nuruber die Nieren.Die therapeutische Wirkung entfaltet sich vor allem wahrend der Spitzen.Therapeutischer Bereich fur die Spitzen4...10 mg/l (bei Sepsis oder Lungenentzundung: 7...10 mg/l)

• Kommentar : Bei mindestens 26% der Patienten war der Spitzenspiegel zu nied-rig, bei 3% zu hoch.

• Mogliche Ursachen sind :

– starke interindividuelle Schwankungen

– die Halbwertszeit der Elimination nimmt mit steigendem Alter zu

– die Halbwertszeit ist bei eingeschrankter Nierenfunktion stark erhoht

Page 7: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 6

c) Theophyllin

Theophyllin wird in der Leber in ein interaktives Stoffwechselprodukt umge-wandelt.Dieses wird mit dem Urin ausgeschieden.Therapeutischer Bereich:8,0 ... 20,0 mg/l- daruber kommt es zu toxischen Nebenwirkungen- uber 35 mg/l sind epileptische Anfalle, sowie Herz- und Atmungsstillstand moglich

Kommentar:Bei 29% der Patienten war der Serumspiegel zu niedrig, bei 10% zu hoch.

Page 8: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 7

• Mogliche Ursachen:

– Interaktion mit anderen Arzneistoffen

– Erkrankungen der Leber u.a. konnen die Halbwertszeit erhohen

– bei starken Rauchern ist die Halbwertszeit verringert

Die Beipiele illustrieren die Bedeutung einer intelligentenUberwachung des Blutspie-gels eines applizierten Medikaments (Therapeutisches Drug Monitoring)Daran konnte auch ein Medizininformatiker beteiligt sein.

1.2 Beispiel nach Dost: Eliminationskinetik von Penicillin immenschlichen Korper

• Ablauf einer experimentellen Untersuchung.

– t = 0: Injektion einer Dosis=10000 I.E. Penicillin in Armvene

– Periodische Blutentnahme in Abstanden von 15 Minuten

– Ende der Blutentnahme nach 2 Stunden

– Danach wird der Serumspiegel bestimmt. (Konzentration des Pharmakonsim Serum)

Graphische Darstellung der Meßergebnisse:

Page 9: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 8

Interpolation mit Geradenstucken:

Interpolation mit Splines (Abschnitte kubischer Parabeln, ohne Knicke aneinandergefugt) :

Page 10: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 9

Logarithmische Darstellung (ln c uber t)

Berechnung und Einfugen der Regressionsgeraden

Gleichung der Regressionsgeraden:

lnc = lnc0 − k ∗ tlnco = −0, 0572k = 1, 335h−1

Die (fiktive) Anfangskonzentration betragt aberc0 = 0, 944 I.E.ml

Page 11: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 10

Rucktransformation

Gleichung der Ausgleichskurve

c = c0 ∗ e−ktc0 = 0, 944I.E./ml , extrapolierte fiktive Serumkonzentration am Anfang (t = 0)

Interpretation der vorgenommenen logarithmischen Transformation

Definition einer Hilfsgroßel = ln(c) .Weil sichc im Laufe der Zeitandert, hangt auchl von der Zeit ab.dldt = 1

c ∗dcdt (Kettenregel)

Kleine Zeitspanne∆t:∆l = ∆c

c∆c : absoluteAnderung der Konzentration∆l : relativeAnderung der Konzentration, bezogen auf Momentanwertc = c(t)c nimmt mit wachsendem t ab:

− dldt ist dierelative Eliminationsrate.

Interpretation des experimentellen Befunds:

− dldt = k = const

d.h. die relative Eliminationsrate ist zeitlich konstant.k heißtEliminationskonstanteAnschaulicher ist eine daraus abgeleitete Große,dieHalbwertzeit t 1

2, definiert durch

c(t 12) = 1

2c0

Page 12: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 11

Durch Einsetzen in die Gleichung der Ausgangskurve und Logarithmieren erhalt manln( c02 ) = lnc0 − k ∗ t 1

2

Aufgelost:t 1

2= ln2

k Fur das ermittelte k gilt:t 12

= 0, 52h

Neben der intensiven GroßeKonzentration(c) ist auch die extensive GroßeMenge desPharmakonsim Korper (m) von Bedeutung:

Bei t = 0 werde einmalig eine Menge D (Dosis, gemessen in kg, mol, I.E.,etc.)verabreicht.D = m(0)

Ware der menschliche Korper ein (gut umgeruhrtes) Gefaß vom Volumen V, dasmit Flussigkeit gefullt ist, in der die Pharmakonmenge D schnell aufgelost wird, waredarin die Anfangskonzentration:c0 = m(0)

V = DV

Sie kann gemessen werden durch Entnahme einer Probe mit der Menge∆m und demMeßvolumen∆V :c0 = ∆m

∆V

Die Verhaltnisse sind allerdings komplizierter:1. Der Organismus ist hochstrukturiert. Selbst das Blut ist keine Flussigkeit.2. Die Konzentrationc0 wurde nicht gemessen, sondern durch Extrapolation gewon-nen.

Daher liefert die BeziehungV = D

c0nur ein fiktives Volumen, dasVerteilungsvolumen.

Fur das untersuchte Beipiel ist

V = 104

0.944ml = 10, 6lDamit kann manV = m(t)

c(t) = const fur alle Zeitpunkte t anzunehmen.Es ist plausibel, Proportionalitat zwischen Mengem und Konzentration fur alleZeitpunkte t anzunehmen:

m(t) = V ∗ c(t) fur allet ≥ 0

Eine solche Annahme mußte allerdings durch Sachuberlegungen gestutzt wer-den. Unter Voraussetzung ihrer Gultigkeit erfullen c undm die Beziehungen

dcdt = −k ∗ c dm

dt = −k ∗m

Jede dieser Beziehungen ist eine lineare Differentialgleichung (DG) erster Ord-nung. Eine solche verknupft eine Funktion (c;m) einer unabhangigen Variablen (t) mitder ersten Ableitung nach der unabhangigen Variablen (dcdt ;

dmdt ) .

Jede Funktion der unabhangigen Variablen, die die DG identisch erfullt, ist eineLosung der DG.Durch Einsetzen pruft man leicht, daß

m(t) = D ∗ e−kt

Page 13: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 12

eine Losung der DG furm ist.Entsprechend ist

c(t) = c0 ∗ e−kt mit c0 = DV

eine Losung der DG fur c.

1.3 Das 1-Kompartiment-Modell mit linearer Eliminationskinetik1.Ordnung

(Kompartiment dt., compartment engl.)Das Kompartiment ist ein Modellbaustein, der vielfach als ganzes Modell genugt.Ein Kompartiment ist ein raumlich oder auch nur funktionell abgegrenztes Gebilde,dem ein Gehalt (z.B. eine Stoffmenge) m sowie eine einheitliche Kinetik zugeordnetist.dmdt = f(m[...])

Beim Kompartiment mit linearer Eliminationskinetik 1. Ordnung gilt spe-zielldmdt = −k ∗m wobei k=const, k>0dmdt = −F

Fur ein Modell, das nur ein einziges Kompartiment enthalt, ergibt sich folgen-des Schema:

F : Fluß aus dem Kompartiment,F = k ∗mDer FlußF verringert die Mengem:Das Modell wird durch die Differentialgleichungdmdt = −k ∗m (Modellgleichung)

beschrieben. Beispiel: Siehe 1.2

• Ein spezieller Vorgang wird festgelegt durch eine Vorgabem(0) = D furm zurZeit t=0 (Anfangsbedingung)

• Die Modellgleichung hat unendlich viele Losungenm(t) = a ∗ e−kt a reell, sonst beliebigMan kann zeigen, daß es keine weiteren Losungen gibt.

Page 14: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 13

• Zur Anfangsbedingungm(0) = Dpasst aber nur eine einzige Losung, namlichm = D ∗ e−ktund zur Berechnung der Werte vonm(t) fur beliebige Zeitent genugt ein Ta-schenrechner.

• Fur kompliziertere Situationen (z.B. mehrfache Gaben D zu verschiedenen Zei-tent = 0, τ , 2τ , ...−→ Anstucken von Teil-Losungen) ist die Benutzung einesSimulationsprogrammes bequemer als der Taschenrechner.

• Fur vernetzte Kompartimente wird die analytische Behandlung unpraktikabel.

1.3.1 ModelMaker, ein Modell-Simulationsprogramm mit einfacher Handha-bung

Entwickelt: Cherwell, U.K.

• Versionen: ab Version 3 lauft der Model Maker stabil unter Windows95, 98, NT

• Arbeitsgrundlage: Verfahren der numerischen Mathematik (z.B. Runge-Kutta-Verfahren zur Losung von Systemen von Differentialgleichungen)

• Man kann mit ModelMaker:

– Modelle formulieren (mittels graphischer Benutzeroberflache)

– Modelle durchrechnen

– Zeitverlaufe graphisch darstellen

– Parameter anpassen (Fit von experimentellen Daten)

Die nachstehenden Bildausdrucke wurden mit Version 2 erzeugt. Anwendung auf dasBeispiel 1.2:

1.3.2 Elimination eines Pharmakons nach einmaliger intravasaler Gabe

Es sei angenommen, daß die Werte der Modellparameter(k, V ) bereits bekannt seien.Nun soll gepruft werden, ob das Modell mit beobachteten Daten vertraglich ist. DieDaten bestehen aus einer Folge von Konzentrationenc(ti), gemessen zu den Zeitenti.Deshalb muß im Modelmaker das oben beschriebene Modell neben den Kompartmentsm und OUT noch 2 Variablec = m

V undlc = ln(c) enthalten.Mit den im Abschnitt 1.2. ermittelten Parametern fur Penizillin erhalt man folgendeVerlaufe:(vgl. Modelldateienaufg01.mod, aufg02.mod)

Page 15: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 14

Falls die Parameter nicht bekannt sind mussen sie in geeigneter Weise grob geschatztwerden. Durch sukzessiveAnderung der Werte kann man versuchen, Meßdaten undModellvoraussetzungen inUbereinstimmung zu bringen.Außerdem kann man die Moglichkeiten von ModelMaker (Optimieren) nutzen.

1.3.3 Elimination eines Pharmakons bei periodischer Gabe gleicher Dosen

Dosis D zur Zeitt = 0,τ ,2τ ,... (τ : Zeitintervall)

• Bei erster Gabe (t = 0) ist die Anfangsmenge die soeben verabreichte Dosis D .

• Bei spateren Gaben ist noch ein Rest vorhanden, zu dem sich die neue Dosisaddiert. Deshalb ist der neue Startwert großer als D.

• Bei Kinetik erster Ordnung ist der Abstrom proportial zur vorhandenen Menge.Zunahme der Menge−→ Zunahme des Abstroms

• Nach etlichen Wiederholungen erfolgt derUbergang zu einem periodischen Ab-lauf (Sagezahnprofil).

• Dann ist der mittlere Fluss durch das KompartimentF1 = Dτ

• Bei gegebenem mittlerem Fluss sind Schwankungen der Blutkonzentration umeinen mittleren Wertc = F

V ∗1k

bei oftmaligen kleinen Dosen klein,bei seltenen großen Dosen groß!

• Fur beides gibt es Indikationen und Kontraindikationen

Page 16: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 15

• Die periodische Applikation wird im ModelMaker mit einem Independent Event

vgl. Modelldateienaufg03.mod, aufg03b.mod

Fur die Parameterwertek = 1.37h−1 , V = 10l erhalt man bei stundlicher Ga-be (τ = 1h) einer DosisD = 10000I.E. den rechts oben skizzierten Verlauf derSerumkonzentration. Gibt man stattdessen nur ein Viertel dieser Dosis, dafur aberin Zeitabstanden von nur einer Viertelstunde. erhalt man bei gleicher mittlerer Kon-zentration einen Zeitverlauf mit erheblich geringeren Schwankungen (rechts unten) .Jedoch bleiben der mittlere Fluss

F1 = 10000 I.E.hund die mittlere Konzentration

c = 0, 73 I.E.mlungeandert.

Page 17: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 16

1.3.4 Ein klinisches Beispiel aus der Literatur

Einer Patientin wurdeuber mehrere Wochen hinweg taglich fruh 8:00 Uhr eineDosis von 200µg Digoxin verabreicht. Klinische Beobachtung deutete aus einenerhohten Digoxinspiegel hin. Am 40. Tage um 14:00 Uhr wurde eine Konzentrationvon 3, 42µgl festgestellt - weit außerhalb des therapeutischen Bereichs. Bei Annahmeeines Verteilungsvolumens von 363 l ergibt sich eine Eliminationskonstante von6, 983 ∗ 10−3h−1 (entspricht einer Eliminationshalbwertzeit von 99 h, unerwartetlang). Aussetzen fur 4 Tage und nachfolgende Halbierung der taglichen Dosis fuhrtezu einem akzeptablen weiteren Verlauf.Vgl. Modelldateienaufg04.modundaufg05.mod

Therapeutisches Drug Monitoring (Digoxin)

1.4 Ein 1-Kompartimentmodell mit anderer Eliminationskinetik

Problem: Elimination von Athylalkohol aus dem menschlichen Organismus

• Alkohol, ein Pharmakon im weitesten Sinne

• Er wird prinzipiell extravasal verabreicht.

A) Realistisches Modell:

Page 18: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 17

• Ubergang m1 (Magen/Darm) nach m2 (Blut)Kinetik 1. Ordnung:F1 = k1 ∗m1

• Beobachtbar ist der Blutalkoholspiegel.Besonderheit: Gemessen in Promille:1o/oo = 1gAlkohol

1000gBlut = 1gAlkohol1lBlut

Zeitverlauf:

Das Zeitprofil widersprichtgrundsatzlich einer Eliminationskinetik 1. Ordnung furm2.Mit dem linearen Endstuck ist allerdings folgende Annahme vertraglich:dcdt = −β = constBedeutung fur den Abstrom F2: In gleichen Zeiten dt Abtransport gleicher Mengendm, solange noch etwas da ist.

B) Vereinfachtes Modell:Die konsumierte Alkoholmenge D wird sofort vollstandig ins Blutuberfuhrt. (d.h. k1sehr gross)

Bilanz: dm2dt = −F2

Abstrom: F2 =

{B, falls m2 > 0 (B = const,B > 0)0, sonst

Anfangsbedingung:m2(0) = D

Losung :m2 =

{D −B ∗ t , falls 0 ≤ t ≤ D

B

0 , sonst

Ubergang zum Blutalkoholspiegelc:Ansatz:Alkoholspiegel:c = m2

r∗w wobei w: Korpergewicht r: individueller Faktor

Anfangsteil:c(t) = Dr∗w −

Br∗w ∗ t

Page 19: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 18

Alkoholbelastungsversuch:Daten fur t > 1h naherungsweise zu beschreiben durchc = c0 − β ∗ tc0,β an Ausgleichsgerade abgelesen (siehe Abbildung).

Entsprechungen Modell und Ausgleichgerade:r = Dc0∗w , β = B

r∗w(unabhangig von D !)

Auswertung: Schatzung der Modellparameterr undB durchr = Dc0∗w ,B = β ∗ r ∗w

Erfahrung der Pharmakologen und Gerichtmediziner:

• β ist relativ einheitlich

– 0,1500/00 (Promille)∗h−1 bei Mannern srel ≈ 20%

– 0,1560/00 (Promille)∗h−1 bei Frauen

• Der Faktor r ist individuell verschieden.

Alkoholbestimmung nach Widmark

Delinquent, Blutentnahme zur Zeit t nach Alkoholkonsum, Blutspiegel ct .Alkoholbelastungstest wird angeordnet und durchgefuhrt. r undβ werden auf denBlutspiegel ct, der zum Delikt fuhrte, angewandt:Eine Gerade in der t-c Ebene, die durch den Punkt [t,ct] mit dem Gefalle β geht,schneidet die c-Achse beim Wert c0 .Ruckschluss auf die Dosis, die zum Delikt fuhrte:D = r ∗ w ∗ c0

C) Modell mit endlichen Wert von k1

Kompart.1 Kompart.2

Bilanz: dm1dt = −F1 dm2

dt = F1− F2

Flusse: F1 = k1 ∗m1 F2 =

{β ∗ r ∗ w , falls m2 > 00 , sonst

Anfangsbedingung: m1(0) = D m2(0) = 0

1. Beispiel:

Ein Mann trinkt in grossen Zugen ein grosses Bier aus:D = 20g (reiner Alkohol)Anfluten des Alkohols im Blut wird bestimmt durchk1 = 2.0h−1

Page 20: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 19

Korpergewicht: w = 60 kgIndiv. Faktor: r = 0,833

Zeitlicher Verlauf des Blutalkoholspiegels (vgl. Modelldateiaufg06.mod) :

Mann, Blutalkohol nach 20g Alkohol

2. Beispiel: Die Zeche

• Periodische Gabe von D in regelmaßigen Zeitabstandenτ .

• Im ModelMaker realisiert durch periodisches Event: Schluck:m1 := m1 + D,Periodeτ

• Voreinstellung in aufg7.mod

D = 20g

τ = 1h

β,r,w wie beim 6. Problem

• D, τ sollen variiert werden.

Bei Ubernahme der Werte fur D, k1, β, r, w vom ersten Beispiel und Annahme vonτ = 1h (1 Glas Bier pro Stunde) erhalt man den Zeitverlauf der nachsten Abbildung(vgl. auch Modelldateiaufg07.mod)

Kann man durch passende Wahl von D undτ erreichen, daß der Spiegel um einmittleres, moglichst angenehm empfundenes Niveau pendelt ?

Page 21: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

1 PHARMAKOKINETIK 20

Blutalkoholspiegel eines Zechers

Page 22: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 21

2 Modelle von Epidemieverlaufen

1780, Bernoulli: Einfluß der Kuhpockenimpfung auf Ausbreitung der Pocken.

2.1 Das klassische SIR - Modell

Kermack und McKendrick , 1927

Ausbreitung einer Infektionskrankheit in einer Population, in der alle Individuenuntereinander Kontakt haben konnen.3 Gruppen:

Susceptibles

• Anzahl S

• Gesund, konnen angesteckt werden

Infectives

• Anzahl I

• Krank, konnen Suszeptible anstecken

Removals (auch:Recovered)

• Anzahl R

• Verschiedene Auslegungen:

– krank gewesen, nun immun– krank gewesen, gestorben– noch krank, aber isoliert . . .

Kompartiment-Modell

Kompartiment S:

- Bei AnsteckungUbergang von Individuen in Komp. I (Fluß F1)- Ansteckung setzt Kontakt Suszeptibler mit Infektiosen voraus.Hangt ab von der jeweiligen Anzahl (S,I).

dSdt = −F1 F1 = β ∗ S ∗ I (2.1)

dSdt = −β ∗ S ∗ I β > 0,const,infection rate

Page 23: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 22

Kompartiment I

- Zustrom (F1) infolge Ansteckung- Abstrom (F2) infolge Genesung / Isolierung / Tod ...,proportional Anzahl I

dIdt = F1− F2 F2 = α ∗ I (2.2)

dIdt = β ∗ S ∗ I − α ∗ I α > 0, const,removal rate

Kompartiment R:

- Zustrom (F2)- kein Abstrom infolge Modellannahme(permanente Immunisierung, ...)

dRdt = F2dRdt = α ∗ I (2.3)

Anfangsbedingungen:

S(0) = S0 > 0I(0) = I0 > 0R(0) = R0 ≥ 0 (bevorzugt : R0 = 0)

S0 + I0 +R0 = N wobei N = Gesamtanzahl der Individuen.

Beachte: Laut Modellannahmeandert sich die Anzahl der Individuen nicht.Formal: Addition der 3 Modell - DG: (2.1− 2.3)

ddt (S + I +R) = 0

oder: S + I +R = N fur beliebige t.

Wegen der konstanten Gesamtanzahl N kann der Zustand der Population bereitsdurch 2 Modellgroßen beschrieben werden, z.B. durch S und I:

dSdt = −β ∗ S ∗ I

dIdt = β ∗ S ∗ I − α ∗ I

Anfangsbed.:S(0) = S0, I(0) = I0R erhalt man durch einfache Substitution:

R = N − (S + I)

Modellparameter sind:α, β,N

Page 24: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 23

Graphische Darstellungen:

Falls wir die LosungS = S(t) , I = I(t) gefunden haben, konnen wir, wiegewohnt,Zeitdarstellungenanfertigen:S bzw.I ubert:

Nutzliche Alternative:Graphische Darstellung in derPhasenebenemit den Koordinadenachsen S und I(2 dimensionaler Phasenraum):

• Weil S, I undR weder negativ und großer als N sein konnen liegt jeder mo-mentane Zustand: Punkt [S,I] im Innern oder auf dem Rand des rechtwinkligenDreiecks

• Im Zustand [S,I] schreiben die Modell-DG eine Zustandsanderung vor.Jedem Punkt [S,I] ist ein Vektor V mit den KomponentenVS = −β ∗ S ∗ IVI = β ∗ S ∗ I − α ∗ Izugeordnet. Er beschreibt die Richtung und Geschwindigkeit der Zustandsande-rung

• Graphische Reprasentation der Vektoren durch Pfeile ergibt das

Page 25: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 24

Phasenportrat.

Beispiel (Grippeepidemie in einem englischen Knabeninternat)

Je langer der Pfeil, desto schnellerandert sich der Zustand.Diskussion:- S-Achse: I=0−→ dS

dt = 0 , dIdt = 0 stationar- Hypotenuse des Dreiecks, d.h. , GeradeS + I = N : (R = 0):wenn am Anfang noch keine removals, liegt Anfangszustand auf dieser Geraden.

• Abgeleiteter Parameterρ = αβ relative removal rate

• Eingezeichnet wurde vertikale Gerades = ρ (gestrichelt)dabei wurde angenommenρ < N

– Anfangszustand rechts von dieser Geraden (S0 > ρ) :Pfeile zeigen schrag nach oben,I nimmt zu.Interpretation: Epidemie bricht aus.

– Anfangszustand links von dieser Geraden (S0 < ρ) :Pfeile zeigen schrag nach unten,I nimmt gleich ab.Interpretation: Keine Epidemie. (Vgl. folgende Skizze)

Page 26: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 25

Punkte im Inneren des Dreiecks:

Gegen-Annahme:ρ > N :Dann liegt die GeradeS = ρ außerhalb des Dreiecks und enthalt keine zulassigenZustande. Eine Epidemie kann nicht ausbrechen.

Wirkung einer Schutzimpfung

Es seiρ < N , durch Impfung wird ein Teil der Population immunisiert. (AnzahlR0)Anfangszustand liegt dann auf der GeradenS + I = N −R0

(Hypotenuse parallelverschoben nach links)FallsR0 > N −ρ, liegt kein moglicher Anfangszustand rechts von der GeradenS = ρund es breitet sich keine Epidemie aus.

Verfolgt man viele Anfangszustande, erhalt man eine Kurvenschar.

Page 27: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 26

Beispiel

Grippeepidemie in einem englischen Internat fur JungenN = 763 Jungen, davon schleppte ein einziger die Krankheit ein.Die Epidemie dauerte ungefahr 2 Wochen und erfaßte die meisten Jungen.

t I0 13 254 74... ...

Daten: Wertetabellet(Tage), I Vgl. DateiAufg10.txtAnfangsbedingungen:S0 = 762, I0 = 1, R0 = 0.

Parameteranpassung liefert Werte fur α undβ.Zusatzfrage:Wieviele Kinder hatten vorbeugend gegen Grippe geimpft werden mussen, um einenAusbruch der Epidemie zu verhindern ?

Zeitverlauf mit geratenen Parametern

α = 0, 9d−1

β = 0, 0027d−1

(Vgl. auch Modelldateiaufg10.mod)

Page 28: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 27

Die Parameterwerte passen offensichtlich nicht zu den Daten.Ausnutzung der Parameteranpassungsroutinen des ModelMaker (Levenberg-Marquardt-Algoritmus) liefert die Parameterwerte:α = 0, 4425d−1

β = 0, 002185d−1

Zeitverlaufe: Siehe nachste Abbildung (Vgl. auch Modelldateiaufg10a.mod)

2.2 Erweitertes SIR-Modell

Kleine Abanderungen des Modells fuhren unter Umstanden zu ganz anderem Verhal-ten.Beispiel: Zeitlich begrenztes Immunisieren

- Removals seien Lebende, die gegen die Erkrankung immun gewordensind- Die Immunisierung kann aber wieder verlorengehen.⇒ Ruckfluß ins Kompartiment der Suszeptiblen.

Modellgleichungen fur S, I,R.

dSdt = −β ∗ S ∗ I + γ ∗R

Page 29: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 28

dIdt = β ∗ S ∗ I − α ∗ I

dRdt = α ∗ I − γ ∗R

Anfangszustand :

S(0) = S0 I(0) = I0 R(0) = R0 S0 + I0 +R0 = N

Wie beim ursprunglichen Modell istS(t) + I(R) +R(t) = N = const

und das Modell laßt sich beschreiben durch 2 Variable, z.B.S undI :

dSdt = −β ∗ S ∗ I + γ ∗ (N − S − I)dIdt = β ∗ S ∗ I − α ∗ I

Das geanderte Modell hat die Eigenschaft derAquifinalit at :Fur beliebige Anfangsbedingungen [S0, I0] geht das System fur t −→ ∞ gegen dengleichen Endzustand [S∞, I∞] . Das war beim ursprunglichen Modell nicht so ! Dortverteilen sich die Endzustandeuber ein Gebiet auf der S-Achse.

Hier:S-Achse (I = 0) ist nicht mehr durchgehend stationar:dSdt = 0 + γ ∗R = γ ∗ (N − S − 0) > 0 fur S < N

Fallunterscheidung

• 1. ) ρ = αβ > N Große relative removal rate:

Stabiler EndzustandS∞ = N , I∞ = 0

Krankheit verschwindet.

• 2. ) ρ < N Kleine relative removal rate:

- Wegen Wiederansteckung stellt sich einendemisches Gleichgewichtein :

S∞ = ρ

I∞ = N−ρ1+α

γ

Dabei kann es sich sowohl um stationare Knoten, oder um einen stabilen Focus(Strudelpunkt) handeln.Dagegen ist der ZustandS = N , I = 0 instabil (Sattelpunkt)Die folgenden Abbildungen zeigen ausgewahlte Trajektorien in der Phasenebene undZeitverlaufe fur drei Parameterkonstellationen:- relative removal rate groß- relative removal rate klein, endemisches Gleichgewicht: stabiler Knoten- relative removal rate klein, endemisches Gleichgewicht: stabiler Focus

Man beachte, daß die Abbildungen fur normierte Großen

Page 30: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 29

S∗ = SN , I∗ = I

N , β∗ = βN berechnet wurden.

Je nach weiteren Unterscheidungsbedingungen handelt es sich um einen stabilen Kno-ten oder einen stabilen Fokus (Strudelpunkt).Dagegen ist fur ρ < N die GleichgewichtspunktS = N , I = 0 instabil (Sattelpunkt).

1. Fall: Relative removal rate groß

Page 31: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 30

Page 32: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 31

2. Fall: Relative removal rate klein. Stabiler Knoten.

Page 33: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

2 MODELLE VON EPIDEMIEVERLAUFEN 32

3. Fall: Relative removal rate klein. Stabiler Focus.

Page 34: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 33

3 Wachstum von Populationen

Population von Einzellern, Tieren, Pflanzen, Menschen, ...Beschreibung der Große von Populationen:

- Zahl der Individuen ,N

- ZahlderIndividuenV olumen : Dichte,X

- Biomassem

Populationsgroße ist im allgemeinen zeitabhangig.Zunahme wird als Wachstum bezeichnet.Abnahme kann zum Aussterben fuhren (muß nicht).

Komplizierte Verhaltnisse durch Wechselwirkung zwischen Populationen.

3.1 Eine einzige Population, exponentielles Wachstum.Das Gesetz von Malthus

Die Zahl der Individuen,N andert sich in der Zeit:N = N(t)Die relative Wachstumsrate (relative growth rate) ist definiert durch:1

N ∗dNdt

Modellannahme: Die relative Wachstumsrate ist konstant:

1N ∗

dNdt = r r > 0, konstant. Dimension: reziproke Zeit.

Anfangsbedingung:N(0) = N0

−→ N(t) = N0 ∗ ert exponentielles Wachstum, auch Gesetz von Malthus

Ist die Modellannahme realistisch ?Beobachtungen an Einzellern, Zellkulturen zeigen:Zutreffend fur Anfangteil von Wachstumskurven.

Page 35: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 34

Mit zunehmender Populationsgroße schwacht sich jedoch Wachstum ab.Beispiel: Wachstum einer Hefekultur (Carlsson, 1913)

(vgl. auch ModelMaker Dateienaufg11.mod, aufg11a.mod)

3.2 Eine einzige Population, logistisches Wachstum.Das Gesetz von Verhulst-Pearl

Mehr oder weniger deskriptiv:Man postuliert eine Abnahme der relativen Wachstumsrate mit zunehmender Popula-tionsgroße, ohne nahere Begrundung:

1N ∗

dNdt = r ∗ (1− N

K ) N(0) = 0

Parameter:

r > 0 , intrinsische relative Wachstumsrate (intrinsic growth rate)K > 0 , Kapazitat (carrying capacity)

Relative Wachstumsrate nimmt linear mitN ab.Absolute Wachstumsrate:dNdt = r ∗N ∗ (1− N

K ) durchlauft Parabel

Wachstumsrate ist beschrieben durch logistische Funktion:

N(t) = N0 ∗ ert

1+N0K ∗(ert−1)

Verhulst : 1804 - 1849Pearl : 1920: Bevolkerungswachstum der USA

Page 36: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 35

Page 37: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 36

3.3 Zwei konkurrierende Arten

Konkurrenz um gemeinsame Ressourcen (z.B. Nahrung, Revier)Ansatz geht zuruck auf Lotka und Volterra.Relative Wachstumsrate einer Art

• nimmt linear ab mit zunehmender Große der eigenen Population (siehe Verhulst-Pearl)

• nimmt nimmt wegen der Konkurenz außerdem ab mit der Große der Populationdes Konkurrenten

dN1dt = r1 ∗N1 ∗ (1− N1+α12∗N2

K1) N1(0) = N1,0

dN2dt = r2 ∗N2 ∗ (1− N2+α21∗N1

K2) N2(0) = N2,0

Parameter: Zu den vom logistischen Wachstum bekannten Parameternr und K,die separat fur jede Art vorhanden sind, kommen noch die Kompetitionskoeffizienten,die die Wechselwirkungen zwischen den Arten beschreiben.

α12 : Kompetitionskoeffizient (2 auf 1)α21 : Kompetitionskoeffizient (1 auf 2)

Der Ansatz von Lotka-Voltera fuhrt auf den Spezialfallα12 = 1α21

.

Page 38: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 37

Analytische Losung: Ziemlich hoffnungslos.Selbst das Phasenportrat hangt entscheidend ab von der Wahl der 6 Modellparameterri, ki, α12, α21 (i=1,2)Bewahrtes Hilfsmittel:Null-Isoklinen (nullclines)Sind Kurven in der Phasenebene, die von allen durchgehenden Trajektorien in dergleichen Richtung geschnitten werden, und zwar:

dieN1 - Isoklinen: dN1dt = 0 : vertikal,

dieN2 - Isoklinen: dN2dt = 0 : horizontal

Ein Schnittpunkt einerN1 - und einerN2 - Isokline ist ein Gleichgewichtspunkt(stationarer Zustand).Das Gleichgewicht kann stabil, labil oder indifferent sein.

• N1 Isoklinen:

* N1 = 0 (N2 - Achse)

* N1K1

+ N21α12∗K1

= 1

(Gerade mit AchsenabschnittenN1 = K1 ,N2 = 1α12∗K1)

• N2 Isoklinen:

* N2 = 0 (N1-Achse)

* N11α21∗K2

+ N2K2

= 1

* (entspechend) (Gerade nit AchsenabschnittenN1 = 1α21∗K2, N2 = K2)

Stationare Zustande:

1. N1 = K1 ,N2 = 0 (Verhulst-Pearl fur Population 1 allein)

2. N2 = 0 ,N2 = K2 (Verhulst-Pearl fur Population 2 allein)

3. Falls die beiden Geraden sich im 1.Quadranten schneiden, ein weiterer Zustand[N∗1 ,N∗2 ] .

In welchen Endzustand geht das System, das sich zunachst in einem Zustand [N1,N2]befand, fur t→∞ uber ?Stabilitatsuntersuchung: Es ist zweckmaßig, den kompetitiven Effekt einer Art auf dieandere zu charakterisieren:

1K1

: Effekt Art 1 auf sich selbst,α21K2

Effekt Art 1 auf Art 2

α21K2

< 1K1

: Schwacherkompetitiver Effekt Art 1 auf Art 2α21K2

> 1K1

: Starker kompetitiver Effekt Art 1 auf Art 2

Fur Art 2 entsprechendes.

Page 39: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 38

Kombination der verschiedenen Moglichkeiten:

• eine Art stark, die andere schwach:- Die Geraden schneiden sich nicht im Innern des 1.Quadranten.- Die starke Artuberlebt, die schwache stirbt aus

• beide Arten schwach- Schnittpunkt im ersten Quadranten existiert und ist stabil- Zustand der Koexistenz

• beide Arten stark- Zwar schneiden sich die Geraden im 1.Quadranten, aber der Gleichgewichts-zustand ist instabil.- Nur eine Artuberlebt.- Welche das aber ist, hangt von den Anfangsbedingungen ab (Startchancen)

Viel zitiert als Stutze des Modells:Messungen von Gause an Einzellern.

Page 40: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 39

1. Paramecium(Pantoffeltierchen)- Art 1: Paramecium caudatum- Art 2: Paramecium aurelia(vgl. auch ModelMaker Datei aufg.12)

Page 41: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 40

2. Hefe- Art 1: Saccearomyces cerevisia- Art 2: Schizosaccharomyces kephir(vgl. auch ModelMaker Datei aufg13.mod)

Durch Kurvenanpassung bestimmte Parameterwerte:r1 = 0, 218h−1 K1 = 13, 0 α12 = 3, 15r2 = 0, 061h−1 K2 = 5, 8 α21 = 0, 439

Art 1 wachst viel schneller (intrinsisch) als 2, auch hohere KapazitatAber:Art 2 hat viel starkeren kompetitiven Einfluß auf Art 1 als umgekehrt:α12K1

= 0, 2420 > 1K2

= 0, 1720 starker Effekt 2 auf 1α21K2

= 0, 0757 < 1K1

= 0, 0769 schwacher Effekt 1 auf 2

Anpassungskurve fur Art 1: Leicht abwarts am EndeExtrapolation−→ Art 1 ware nach 190h verschwunden (gewesen)Es wurde aber nur 50h gemessen.

Page 42: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 41

3.4 Rauber - Beute -Gesellschaften

• Klassisches Modell:

- Lotka und Volterra, 1925/26 (Fische der Adria)

• Beute (Populationsgroße X) :dxdt = x ∗ (rx − a ∗ y)

• Rauber (Populationsgroße Y):dydt = y ∗ (−ry − b ∗ x)

• Parameter:

rx, ry, a, b : Samtlich positiv, konstant, reziproke Zeiten

• Anfangszustand:

x(0) = x0

y(0) = y0

• ErsteUberlegungen:

Beute ohne Rauber: Exponentielles Wachstum:x = x0 ∗ erx∗t

Rauber ohne Beute: Exponentielles Aussterben:y = y0 ∗ e−ry∗t

• Null-Isoklinendxdt = 0 : Horizontale Gerade:y = rx

a

dydt = 0 : Vertikale Gerade:x = ry

b

Schneiden sich im GleichgewichtspunktS = [ ryb ,rxa ]

Page 43: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 42

Trajektorien sind geschlossene Kurven, die den stationaren PunktS im Gegen-uhrzeigersinn umlaufen.−→ x(t), y(t) sind periodische Zeitfunktionen.x-Maxima (Beute) liegen fruher als y-Maxima (Rauber)

Man kann am Modell auch Eingriffe ins System diskutieren:(3. Volterasches Gesetz):

1. Vertilgt man Rauber wie Beute proportional zur jeweiligen Populationsgroße(Beute:rx verkleinern, Rauber:ry vergroßern), verschiebt sich der stationarePunkt in Richtung großere Beute- ,aber kleinere Rauberpopulation.

2. Vermehrter Schutz der Beute (a und b verkleinern) laßt Beute und Rauber zu-nehmen.

S ist einZentrum (neutrales bzw. indifferentes Gleichgewicht)Kurzzeitige Storung−→ System lauft auf neuergeschlossener Kurve umS, kehrtnichtauf die ursprungliche Trajektorie zuruck.Quantitative Beobachtungen:Referenzbeispiel ist die Statistik der Hudson Bay Company, die fur die Jahre 1845 -1935 die Zahl der erbeuteten Felle von Schneeschuhhase und Luchs registriert, nichtdie Populationsgroßen.Die Oszillationen sind deutlich zu erkennen.

Page 44: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 43

Page 45: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 44

Die Zeit 1875 - 1887 fallt aber aus dem Rahmen:Maximum der Luchse erscheint fruher, als das der Hasen.Deutlich in vergroßerter Darstellung des Ausschnitts:

In der Phasenebene: Uhrzeigersinn

Das loste eine Diskussion, um die provozierende Frage:

Fressen Hasen Luchse ?

aus.

Page 46: Modelle mit Differentialgleichungen - imise.uni- · PDF fileInjektion subkutan Injektion intramuskular ... nach der Applikation, ein tiefes Tal kurz vor der nachsten auf

3 WACHSTUM VON POPULATIONEN 45

Es gibt darauf fragwurdige (z.B. eine Krankheit) und ernsthafte Antworten: Fangzahlenund Populationsgroßen mussen nicht proportional sein, weil die Jager vor allem durchgroße Luchszahlen zur Jagd motiviert sein konnten. Das neutrale Gleichgewicht beiS sieht man als ein Kunstprodukt an, das nur durch den ganz speziellen Ansatz zuerklaren ist. (Strukturelle Instabilitat)

Die unendlich große Kapazitat der Beute ist unrealistisch.

Die Modell - Differentialgleichungen legen nahe, daß ein einzelner Rauber desto mehrBeutetiere frißt, je mehr es davon gibt. Das hat seine Grenzen. Es gibt inzwischen auchandere Modelle