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Politik & Wirtschaft dmz 04/2017 deutsche-molkerei-zeitung.de 9 Molkerei 2017: Worauf es mehr denn je ankommt! Klar ist: Die Zukunft gehört jenen Molke- reien, die sich sehr bewusst mit den Ent- wicklungen im Marktumfeld und den ent- sprechenden Chancen beschäftigen. Doch in welche Bereiche sollten Molkerei- en künftig ihre Anstrengungen investie- ren? Eine Orientierung bieten die Trends des „W&P Trendometers 2017“: Trend 1 – Digitalisierung Ein wesentlicher Treiber von Regelverän- derungen ist die Digitalisierung. Digitali- sierung spielt in der Lebensmittelbranche kaum eine Rolle? Diese durchaus verbrei- tete Annahme basiert auf zwei Missver- ständnissen: Zum einen wird Digitalisie- rung zu eng als E-Commerce (Home Deli- very) definiert und nicht die gesamte Bandbreite der Digitalisierungseffekte be- trachtet. Zum anderen wird damit auf den noch sehr geringen E-Commerce-Anteil bei Lebensmitteln und insbesondere im Bereich der „Frische“ hingewiesen und damit auf geringes Potenzial des E-Com- merce geschlossen. Wird Digitalisierung jedoch umfassend verstanden, wird offensichtlich, dass sie auch in der Lebensmittelindustrie drama- tische Veränderungen verursacht. Die lü- ckenlose Verzahnung und Integration der Wertschöpfungskette „in Echtzeit“ – also von der Kuh bis hin zum Konsumenten – ist keine Zukunftsvision mehr. An allen Prozessstufen und Schnittstellen wird an digitalen Lösungen gearbeitet. So werden Prozessstörungen mit innovativen Analy- setools in kurzer Zeit erkannt und opti- miert, die Zusammenarbeit mit Milchbau- ern zur Qualitäts- und Kostenoptimierung wird immer enger und Konsumenten wer- den durch zielgenaue Kommunikation – immer öfter im echten Dialog – stärker an die Marke gebunden. Die intensiven An- strengungen zur Prozessoptimierung im Handel lassen nur einen Schluss zu: Die Anforderungen für die Lieferanten wer- den signifikant steigen. Von verbesserter Datennutzung bzw. -austausch, genaue- 2016 war ein herausforderndes Jahr für die gesamte Milchbranche. Und obwohl die Geschäftsergebnisse noch nicht finalisiert sind, muss der Blick schon wieder nach vorne gerichtet sein. Denn auch 2017 wird wieder ungeahnte politische Entscheidungen, überraschende Rohstoffpreisentwicklungen, aggressive Wettbewerbsaktivitäten, überzogene Handelsforderungen und zunehmend vegane Konsumenten mit sich bringen. Alles in allem: ein schwieriges Umfeld für die Industrie, das einiges an Anstrengung und Kreativi- tät einfordert. Paul Polman, CEO von Unilever, formulierte treffend: „In these environments (…) to get the same results, you clearly need to work twice as hard as probably five years or ten years ago.“ Foto: pixabay

Molkerei 2017: Worauf es mehr denn je ankommt!...Trend 1 – Digitalisierung Ein wesentlicher Treiber von Regelverän-derungen ist die Digitalisierung. Digitali-sierung spielt in der

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Page 1: Molkerei 2017: Worauf es mehr denn je ankommt!...Trend 1 – Digitalisierung Ein wesentlicher Treiber von Regelverän-derungen ist die Digitalisierung. Digitali-sierung spielt in der

Politik & Wirtschaftdmz 04/2017

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Molkerei 2017: Worauf es mehr denn je ankommt!

Klar ist: Die Zukunft gehört jenen Molke-reien, die sich sehr bewusst mit den Ent-wicklungen im Marktumfeld und den ent-sprechenden Chancen beschäftigen.Doch in welche Bereiche sollten Molkerei-en künftig ihre Anstrengungen investie-ren? Eine Orientierung bieten die Trendsdes „W&P Trendometers 2017“:

Trend 1 – Digitalisierung Ein wesentlicher Treiber von Regelverän-derungen ist die Digitalisierung. Digitali-sierung spielt in der Lebensmittelbranchekaum eine Rolle? Diese durchaus verbrei-tete Annahme basiert auf zwei Missver-ständnissen: Zum einen wird Digitalisie-

rung zu eng als E-Commerce (Home Deli-very) definiert und nicht die gesamteBandbreite der Digitalisierungseffekte be-trachtet. Zum anderen wird damit auf dennoch sehr geringen E-Commerce-Anteilbei Lebensmitteln und insbesondere imBereich der „Frische“ hingewiesen unddamit auf geringes Potenzial des E-Com-merce geschlossen. Wird Digitalisierung jedoch umfassendverstanden, wird offensichtlich, dass sieauch in der Lebensmittelindustrie drama-tische Veränderungen verursacht. Die lü-ckenlose Verzahnung und Integration derWertschöpfungskette „in Echtzeit“ – alsovon der Kuh bis hin zum Konsumenten –

ist keine Zukunftsvision mehr. An allenProzessstufen und Schnittstellen wird andigitalen Lösungen gearbeitet. So werdenProzessstörungen mit innovativen Analy-setools in kurzer Zeit erkannt und opti-miert, die Zusammenarbeit mit Milchbau-ern zur Qualitäts- und Kostenoptimierungwird immer enger und Konsumenten wer-den durch zielgenaue Kommunikation –immer öfter im echten Dialog – stärker andie Marke gebunden. Die intensiven An-strengungen zur Prozessoptimierung imHandel lassen nur einen Schluss zu: DieAnforderungen für die Lieferanten wer-den signifikant steigen. Von verbesserterDatennutzung bzw. -austausch, genaue-

2016 war ein herausforderndes Jahr für die gesamte Milchbranche. Und obwohl die Geschäftsergebnissenoch nicht finalisiert sind, muss der Blick schon wieder nach vorne gerichtet sein. Denn auch 2017 wirdwieder ungeahnte politische Entscheidungen, überraschende Rohstoffpreisentwicklungen, aggressiveWettbewerbsaktivitäten, überzogene Handelsforderungen und zunehmend vegane Konsumenten mit sichbringen. Alles in allem: ein schwieriges Umfeld für die Industrie, das einiges an Anstrengung und Kreativi-tät einfordert. Paul Polman, CEO von Unilever, formulierte treffend: „In these environments (…) to getthe same results, you clearly need to work twice as hard as probably five years or ten years ago.“

Foto: pixabay

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ren Planungen, niedrigeren Beständen,reduzierten Prozesskosten und Abschrif-ten und höheren Umsätzen und Erträgenwollen schließlich beide Seiten profitieren.Fazit? Wenn sich bisher eher Großunter-nehmen bzw. Konzerne umfassend mitDigitalisierung beschäftigt haben, so kön-nen es sich heute auch mittelständischeMolkereien nicht leisten, die Chancen derDigitalisierung auszulassen. Dabei führendie relevanten Digitalisierungs-Hebel ent-weder zu Umsatzsteigerung oder zu Kos-tensenkung (siehe Abbildung). Entschei-dend ist es, jene Hebel zu identifizieren,mit denen in der eigenen Molkerei in Zu-kunft die größten Effekte zu erzielen sind.

Trend 2 – Dauertrend InnovationKlar: Innovation ist quasi ein Dauertrend.Derzeit wirken aber Effekte, die Innovati-on noch relevanter machen als bisher. Ho-he Konsumbereitschaft und gestiegenesQualitätsbewusstsein bei den Verbrau-chern spielt hier genauso eine Rolle wiedie Entwicklungen im Handel. Lidl und Al-di greifen die Vollsortimenter mit Qualität,Marken und emotionaler (Weihnachts-

)TV-Werbung an. Immer öfter nimmt derDiscount bei Qualität sogar die Führungs-rolle ein – wie zum Beispiel bei gentech-nikfreien Milchprodukten. Darauf müssenEdeka und Rewe mit noch besseren Inno-vationen reagieren können. Produktkon-zepte, die enge Kundensegmente bzw.Bedürfnisse zielgenau ansprechen, wer-den dankend angenommen und forciert.Das Mopro-Regal wird dadurch auch inDeutschland bunter werden. Das hat auchdamit zu tun, dass Molkereien sich zumin-dest ein Stück weit von traditionellen Vo-lumenanforderungen lösen werden. En-gere und genauere Segmentierung be-dingt, dass die Volumen bei Innovationengeringer werden. Durch die genaue An-sprache von wichtigen Kundenbedürfnis-sen steigt jedoch die Zahlungsbereitschaftund damit die Wertschöpfung für Handelund Hersteller. Regionale-, Bio-, laktose-freie oder Kinderprodukte sind die erstenVorboten dieser Entwicklung. Auch mit-telständische Molkereien können von die-ser Entwicklung profitieren. In den nächsten Monaten werden wir ver-mehrt Produkte aus Protein, gesunde

und/oder conveniente Snacks und Drinksfür Jung und Alt, leckere Desserts, Premi-um-Produkte mit neuen, ausgefallenenGeschmacksrichtungen sehen. Und selbstFunctional Food kann in neuer Form wie-der eine Renaissance erleben. Auch dasFeld der „Milchersatzprodukte“ für diewachsende Veganer-Gemeinde sollte dieMilchindustrie nicht kampflos dem Wett-bewerb überlassen. Mischfette und Mar-garine zeigen ebenso wie das vielfältigevegane Milchangebot oder pflanzlicheSahne, wie nahtlos der Übergang ausKonsumentensicht ist.Für Molkereien, die vom Heimatmarkt ausinternational wachsen wollen, werden dieHerausforderungen noch größer. Sicher-lich gibt es Beispiele von Produkten, dieländerübergreifend funktionieren. Fürnachhaltigen Erfolg ist es aber notwendig,die lokalen Essgewohnheiten ebenso gutzu kennen wie jene auf dem Heimat-markt. Mit diesem Anspruch sehen sichauch Private Label-Hersteller immer stär-ker konfrontiert, die ihre Handelspartnerinternational begleiten.Die Innovations-Anstrengungen zu stei-

Abb. 1: Die Chancen der Digitalisierung zu nutzen

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gern wird sich also für Molkereien lohnen– sowohl im Bereich der Marken als auchbei Private Label und genauso bei Funk-tionalen Produkten/Ingredients. Erfolghaben dabei jene Molkereien, die sich be-wusst für den Weg hin zu einem markt-/kundenorientierten, innovativen Unter-nehmen entscheiden und diesen sowohlhinsichtlich Ressourcen-, Methodenein-satz und Unternehmenskultur konse-quent bestreiten.

Trend 3 – VerantwortungskulturDie beiden Trends „Digitalisierung“ und„Innovation“ machen auch deutlich: Mol-kereien werden sich in Zukunft nicht nurhinsichtlich der benötigten Kompetenzen,sondern auch hinsichtlich der Unterneh-menskultur verändern. Durch Digitalisie-rung wird in Unternehmen die funktions-und unternehmensübergreifende Prozess-orientierung dramatisch an Bedeutunggewinnen und Hierarchien werden weiteran Bedeutung verlieren. Um Prozesse „inEchtzeit“ am Laufen zu halten, müssenMitarbeiter auf allen Ebenen sowohlKompetenz als auch Befugnis haben, lau-

fend wichtige Entscheidungen zu treffen.Wird z.B. eine online gepostete Kunden-beschwerde nicht prompt und treffendbeantwortet, kann daraus schnell ein„shit-storm“ entstehen, der dem Unter-nehmen nachhaltig schaden kann.Der Faktor Mitarbeiterqualifikation und -motivation wird also noch wichtiger. Aufdie nur kurzfristig wirksame „Motivati-onsdroge“ Geld sollte man sich dabei inZeiten von schwindender Loyalität zwi-schen Unternehmen und Mitarbeiter nichtverlassen. Es trifft sich gut, dass immermehr Mitarbeiter Motivation aus verant-wortungsvollen Aufgaben ziehen, die miteinem hohen Maß an Entscheidungsfrei-raum zu erledigen sind. Die wesentlicheVoraussetzung, um Fehlentscheidungenin dieser neuen „Verantwortungskultur“zu vermeiden: eine absolut transparenteUnternehmensausrichtung bzw. -strate-gie, die von allen Mitarbeitern getragenwird.

Trend 4 – Wegweiser StrategieDie große Klammer um all diese neuenTrends ist damit eine alte Bekannte: Die

Unternehmensstrategie gewinnt wiederan Bedeutung. Nachdem von vielen Sei-ten bereits die Relevanz von Strategienaufgrund von Schnelllebigkeit und Volati-lität in Frage gestellt wurde, zeigt sich ge-rade in turbulenten Zeiten wie heute, wiewichtig ein klarer Orientierungspunkt ist. Durch eine klare Strategie werden jeneBereiche deutlich, in denen es sich 2017zu investieren lohnt. Darum: Ran an dieStrategie und damit ran an die Identifizie-rung unternehmensspezifischer Trends für2017!

Autor:Gerald Lindinger-Pesendorfer, Leiter Food/FMCG, Dr. Wieselhuber & Partner Foto und Abbildungen: Dr. Wieselhuber & Partner

Abb. 2: Innovationskraft kein Zufall

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