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Mutterschaft bei Frauen mit psychischen
Erkrankungen
Dr. A. C. Schulz-Du Bois
Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik
imland Klinik Rendsburg
Häufigkeit psychischer Erkrankungen in
Deutschland
• 30% der erwachsenen
Gesamtbevölkerung leiden innerhalb
eines Jahres an einer psychischen
Störung
• Für 25% von ihnen besteht eine
Behandlungsbedürftigkeit (4,5 Mio)
2
Kinder psychisch Kranker
• 3-4 Mio Kinder leben mit einem psychisch
erkrankten Elternteil.
• Bis zu 60% der Kinder psychisch kranker Eltern
entwickeln eine psychische Auffälligkeit oder
Störung in der Kindheit.
• Auch im weiteren Leben ist das Risiko für
psychische Erkrankungen deutlich erhöht.
• Prognostisch ungünstig: früher Beginn der
elterlichen Erkrankung, Schwere der
Erkrankung, chronischer Verlauf.
3
Ursachen des erhöhten Erkrankungsrisikos
• Genetische Ursachen (50%)
• Lerngeschichte in der Familie
Ungünstige Lebensbedingungen (50%)
4
Peripartale psychische Erkrankungen
der Mutter
Psychische Erkrankungen in Schwangerschaft und
Postpartalzeit sind
• die Erstmanifestation einer psychischen Erkrankung
oder
• das Rezidiv einer vorbestehenden psychischen
Erkrankung,
aber
• keine eigenständigen Krankheitseinheiten.
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Ausschluss einer organischen Ursache
für psychische Erkrankungen
• Eisenmangelanämie
• Restless- legs Syndrom
• Schilddrüsenerkrankungen
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Krankheitsbilder
Prävalenzen
Depressive Symptome in der Schwangerschaft 25-35%
Hyperemesis gravidarum 0,3-2%
Verdrängte Schwangerschaft 0,2%
Überraschende Geburt 0,04%
Traumatisch erlebte Geburt, PTSD 2,0%
Folie 7 von 53
Krankheitsbilder
Prävalenzen
Postpartale Dysphorie ("Baby Blues") 50-85%
Postpartale Depression 10-15%
Postpartale Psychose 0,1-0,2%
Angst-/Panikstörung, Zwangsvorstellungen 11%
Mutter-Kind-Beziehungsstörungen 7,1%
Folie 8 von 53
Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Erkrankungen
in der Postpartalzeit
• Frühere psychische Erkrankungen
• Positive Familienanamnese
• Sozioökonomische Belastungsfaktoren
Krankheitsbilder
9
Psychische Symptome in der Schwangerschaft
• In der Schwangerschaft treten selten psychische Erkrankungen neu
auf (protektiver Effekt der Schwangerschaft?)
• Bei 25 - 35 % der schwangeren Frauen treten leichte depressive
Symptome auf, besonders im ersten und letzten Trimenon, ohne die
Kriterien für eine Depression zu erfüllen
• Stimmungsschwankungen und hypomane Symptome können
auftreten, ohne Krankheitswert
• Erhöhtes Risiko eines Wiederauftretens von Psychosen und
Bipolaren Affektiven Störungen, wenn die Medikation aufgrund
eines Kinderwunsches abgesetzt wurde.
Krankheitsbilder
10
Krankheitsbilder
Hyperemesis gravidarum
• Erbrechen, Gewichtsverlust, Elektrolytverschiebungen, ggf. schwere
Organschäden, psychische Symptome
• Ursache unklar, wahrscheinlich komplexe Interaktion biologischer,
psychologischer und soziokultureller Faktoren
• Ausführliche Exploration der Patientin, ggf. auch ihrer Angehörigen
• Stationäre Aufnahme; Therapieversuch mit Mirtazapin
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Krankheitsbilder
Verdrängte Schwangerschaft, überraschende Geburt
• 1:475 verdrängte Schwangerschaften -> 1600 Fälle pro Jahr in
Deutschland
• 1:2455 völlig überraschende Geburten -> 300 Fälle pro Jahr in
Deutschland
• Ursachen von schlechter Körperwahrnehmung bis schwerster
Persönlichkeitsstörung
Wessel et al. 2002; Rohde,A.: Gynäkologische Psychosomatik und Gynäkopsychiatrie 12
Krankheitsbilder
Traumatisch erlebte Geburt, PTSD
• Geburtskomplikationen, Tod des Kindes, aber auch bei „ganz
normalen“ Geburten
• Risikofaktoren: frühere negative Erfahrungen mit dem
Medizinsystem, ablehnendes Personal, konflikthafte Partnerschaft,
Unerwünschtheit der Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch
oder sexuelle Traumata in der Vorgeschichte
• Mit einer Latenz können sich PTSD-Symptome enzwickeln
(Intrusionen, Alpträume, erhöhtes Arousal, Vermeidungs-verhalten,
emotionale Taubheit)
• Risikopatientin identifizieren, Aufklärung der Patientin,
Vertrauensverhältnis herstellen, empathische Atmosphäre, Patientin
in die Geburt und die Nachversorgung einbeziehen, Geburt später
durchsprechen Kersting, A. 13
Postpartale Dysphorie ("Baby Blues")
• Beginn innerhalb von 3-5 Tagen nach der Geburt
• Abklingen innerhalb von 1-2 Wochen
• Allgemeine Irritierbarkeit, Ängstlichkeit,
Stimmungslabilität, übermäßige Sorgen
• Schlaf-und Appetitstörungen
• Meist keine Behandlungsbedürftigkeit
• Gute Aufklärung bereits vor Entbindung
Krankheitsbilder
14
Was ist eine Depression?
• Eine Störung des Affektes, bei der bestimmte Symptome
über mindestens 14 Tage kontinuierlich bestehen.
Anzahl und Ausmaß der Symptome bestimmen den
Schweregrad der Erkrankung
• Kernsymptome
- Interessen/Freudverlust
- Antriebsminderung
- depressive Stimmung
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Weitere Depressionssymptome
• Konzentrationsminderung, Denkhemmung, Grübeln
• Erhöhte Ermüdbarkeit, starke Erschöpfung
• Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle, Stillprobleme
• Zwangsgedanken, Zwangsimpulse
• Wahnhafte Gedankeninhalte, die sich besonders auf das
Kind beziehen
• Schlafstörungen, die Mutter kann Schlaf nicht
nachholen, wenn das Baby schläft
• Appetitminderung
• Gewichts- und Libidoverlust
• Suizidalität, erweiterter Suizid
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Bipolar-affektive Störung
(manisch-depressive Erkrankung)
• Es wechseln Phasen von Depression mit Phasen von
Manie oder Hypomanie
• Erkrankungsbeginn liegt früher als bei unipolaren
Depressionen
• häufig fehldiagnostiziert als unipolare Depression,
narzisstische oder emotional instabile
Persönlichkeitsstörung
• 50% Erkrankungsrisiko postpartal
17
Bipolar-affektive Störung
Symptome
Depression:
Depressive Stimmung,
Niedergeschlagenheit,
Hoffnungslosigkeit
Freudlosigkeit, Interessenverlust
Antriebsminderung
Insuffizienzgefühle, Ängste
Erschöpfung, Schlaflosigkeit
Grübeln
Selbstmordgefährdung
Manie:
Euphorie, gereizte Stimmung
Antriebssteigerung, Aktivitätsdrang
Vermindertes Schlafbedürfnis
Vermehrte Geldausgaben
Waghalsige Unternehmungen
Gedankenbeschleunigung
Größenwahn
18
Postpartale Psychose
• Beginn meist in den ersten 2-3 Wochen postpartal
• kann sich sehr schnell entwickeln
• Verlauf oft wie bei manisch-depressiver Psychose
• häufig Verwirrtheitszustände, leichte delirante Bilder
• Cave: Infantizid, insbesondere, wenn das Kind mit in den
Wahn einbezogen wird
• Meist stationäre Behandlung unumgänglich mit
Trennung vom Kind
Krankheitsbilder
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Angst- und Panikstörung
• generalisierte Ängste, phobische Ängste, Panikstörung
(10%)
• Hohes Chronifizierungsrisiko
• Kinder von Patienten mit Panikstörung haben ein 10fach
erhöhtes Krankheitsrisiko für Angststörungen, 7fach
erhöhtes Risiko für andere psychische Störungen
• Kinder werden überbehütet, dürfen ihre Umwelt
nicht erkunden, sind selbst sehr ängstlich
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Persönlichkeitsstörungen
• Extrem vom Durchschnitt der Bevölkerung abweichende
und ins krankhafte reichende Störung des Beziehungs-
und Sozialverhaltens
• Leidensdruck für den Betroffenen und das Umfeld
• Rigide, schwer beeinflussbare Verhaltensmuster
• Insbesondere bei Eltern mit Borderlinestörung oft
schwere Beziehungsstörung zum Kind
• Bei den Kindern gehäuft Traumatisierung durch
Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch
• Hohe Auffälligkeitsrate und ungünstigster
Entwicklungsverlauf bei den Kindern, Eltern werden als
instabil und unzuverlässig erlebt
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Borderline- Persönlichkeitsstörung
Störungen
• der Affektregulation (Stimmungsschwankungen,innere
Leere, Anspannung)
• des Denkens (Dissoziation, Flashbacks, pseudopsychot.
Erleben)
• der Identität (neg. Selbstwahrnehmung)
• des zwischenmenschl. Bereichs (Verlustängste,
Ambivalenz, Idealisierung/Entwertung)
• des Verhaltens (Hochrisikoverhalten, Impulsivität, selbst-
verletzendes Verhalten, suizidales Verhalten)
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Suchterkrankungen
• Craving, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen,
Einnahme trotz offensichtlicher Schädigung,
Kontrollverlust
• 5-7% der Bevölkerung leiden an einer Suchterkrankung
• Schädigung des Kindes bereits im Mutterleib mit
Komplikationen wie Frühgeburt, Hirnschädigung,
neonatales Abstinenzsyndrom, fetales Alkoholsyndrom
• häufig Komplikationen durch Hepatitis, HIV, Infektionen,
schlechte Ernährung
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Risiken unbehandelter psychiatrischer
Erkrankungen der Mutter für das Kind
• Mangelernährung
• Schädigung durch Alkohol-, Nikotin-, Drogenkonsum
• Verdrängte Schwangerschaft, überraschende Geburt
• Hypertonus, Präeklampsie
• Intrauterine Wachstumsverzögerung
• Spontanabort
• Frühgeburt
• Geringes Geburtsgewicht
• Mutter-Kind-Beziehungsstörungen
• Verhaltensauffälligkeiten beim Kind
• Postpartale psychiatrische Erkrankungen
• Suizid, erweiterter Suizid, Infantizid
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Behandlungsüberblick
•Prävention, Prophylaxe
•Soziotherapie
•Psychotherapie, spez. Mutter-Kind-Therapie, Mutter-Kind-
Behandlungseinheit
•Biologische Therapien
•Pharmakotherapie
•Vernetzung des Hilfesystems
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Was kann die Hebamme/Familienpflegerin tun?
- Symptome wahrnehmen und ansprechen, EPDS
- Angehörige einbeziehen, Entlastung organisieren
- Über die Erkrankung aufklären
- Gefährdung einschätzen, Versuch, die Frau zur
ärztlichen Hilfe oder stat. Behandlung zu überzeugen
- Ggf. Amtsarzt einschalten
- Behandlungsplatz organisieren
- Weiterversorgung des Kindes klären
- Weiterbetreuung durch die bekannte Hebamme während
der stat. Behandlung
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