14
Naomi Alderman DIE LEKTIONEN Aus dem Englischen von Christiane Buchner BERLIN VERLAG

Naomi Alderman: Die Lektionen

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Smart und Sexy sind die Oxfordstudenten, die Marc, unfassbar reich und lässig, dazu verführt, mit ihm auf seinem Herrensitz zu leben. Doch nicht alle sind stark genug, seiner manipulativen Kraft etwas entgegenzusetzen. Der aufregendste College-Roman seit Donna Tartts »Die geheime Geschichte«

Citation preview

Naomi Alderman

D I E L E K T I O N E N

Aus dem Englischen von Christiane Buchner

B E R L I N V E R L AG

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel The Lessons bei Viking/Penguin Books, London

© 2010 Naomi Alderman Für die deutsche Ausgabe © 2010 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Nina Rothfos & Patrick Gabler, Hamburg

Typografie: Birgit Thiel, BerlinGesetzt aus der Perpetua von Greiner & Reichel, Köln

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

ISBN 978-3-8270-1083-4

www.bloomsbury-verlag.de

logo

Für meine Großmutter Lily

Wie schöne Leichen, die nie alt geworden sind,Die unter Tränen in ein prächtiges Grab gesenkt wurden,

Das Haupt mit Rosen und die Füße mit Jasmin geschmückt – So sind Begierden, die unbefriedigt

Vorübergingen, ohne eine Nacht voll GenußGekannt zu haben oder einen strahlenden Morgen.

Konstantinos Kavafis, »Begierden«

9

Prolog

Als ich am Spätnachmittag aus San Ceterino zurückkehrte, hatten Mark und seine Freunde offensichtlich unsere halbe Vorratskammer leergeräumt und in den Swimmingpool geschmissen. Rot und grün schimmerten die kandierten Früchte eines zerfallenden Panettone durchs Wasser, und die Kacheln des Beckenrands waren mit Eigelb und Scha-lensplittern verschmiert. Am Grund des Beckens dümpelte träge eine matschige Pizza, deren Rand bisweilen hochlappte wie eine buntgefleckte Zunge. Ölschlieren von eingelegten Artischocken und Paprika schwammen auf der Wasserober-fläche, und über den Beckenboden lagen reife Tomaten und Pfirsiche, Weintrauben und ein Sortiment von Milchtüten und Käse in Wachspapier verstreut, alles noch unversehrt, nur aufgedunsen. Um den Poolfilter scharten sich Stücke eines pochierten Lachses, der im Wasser zerfallen war. Und zwischen den Lebensmitteln schwamm etliches andere: ein Gartenstuhl aus Plastik, Zigarettenkippen, ein durchweich-tes Taschenbuch, das gen Beckenboden schwebte.

Ich stieß mit der Turnschuhspitze an eine zu Eierbrei zermatschte Quiche und schaute mich um. Kein Mensch in Sicht. Ich war erst um zehn Uhr morgens losgefahren, Mark musste seine Freunde bald danach angerufen haben. Leises Fernsehgeplapper lenkte meine Aufmerksamkeit auf den umgebauten Stall hinter mir. Genau: Als Erstes würde ich mir die Teenies vorknöpfen, und dann Mark suchen. Ich stapfte über den Kies zum Wohnzimmer des Stallgebäudes.

10

Hier klang der Fernseher schon lauter; italienische Ge-sprächsfetzen und ab und zu ein Lachen drangen ins Freie.

Als ich die Tür aufstieß, schlug mir drückende Hitze ent-gegen. Kleider und halb leere Chipstüten lagen über den Bo-den verstreut, eine CD war zum Aschenbecher umfunktio-niert worden. Drei halb nackte Leiber räkelten sich auf den Sofas – Stefano und Bruno, nur mit Shorts bekleidet, ließen auf dem einen Sofa die Füße über die Lehnen baumeln, auf dem anderen lag in Jeans und einem orangefarbenen Bikini-oberteil Stefanos Schwester Magdalena mit einer Popcorn-schachtel auf dem Bauch. Drei Augenpaare schwenkten auf mich, dann zurück auf den Bildschirm. Karl der Kojote ver-suchte gerade, einen Felsbrocken über ein Kliff zu hieven, ohne zu merken, dass der Roadrunner direkt hinter ihm stand. Als der Roadrunner miepte, ließ der Kojote los und wurde selbst von dem Felsbrocken überrollt. Die drei Ita-liener lachten. Dass es noch Menschen gab, die Roadrunner-Cartoons guckten und noch dazu laut lachten, war kaum zu fassen. Aber es sind ja noch Kinder. Stefano ist der Älteste, und der ist höchstens achtzehn.

»So, Leute«, sagte ich, »die Party ist vorbei. Ab nach Hause mit euch.«

Sie schauten hoch, dann wieder auf den Fernseher. Karl der Kojote hatte eine Schachtel Dynamit besorgt, das jeden Moment in die Luft gehen konnte.

Ich hob einen Schwung Klamotten vom Boden auf und warf sie den Jungs zu.

»Ab nach Hause, hab ich gesagt.«Stefano zog einen Flunsch.»Mark hat aber gesagt, wir dürfen noch fernsehen.«»Schon möglich, aber ich sage jetzt: verschwindet.«

11

Stefano warf mir einen finsteren Blick zu. Ob ich ihm überhaupt etwas zu sagen hatte? Aber er war jung, und ich war lange genug Lehrer gewesen, um seinem Blick stand-zuhalten. Ein, zwei Jahre älter, und er hätte mich nieder-gestarrt und angepöbelt. Aber wenn er ein, zwei Jahre älter gewesen wäre, hätte sich Mark nicht mehr für ihn interes-siert.

Mit einem genervten Achselzucken stand Stefano auf und zog sich ein T-Shirt über den Kopf. Bruno tat es ihm gleich, und die drei packten ihre Sachen zusammen. Ich hielt den Mund, auch als ich mitbekam, wie Bruno ein paar DVDs in seiner Tasche verschwinden ließ. Magdalena konnte ihr T-Shirt nicht finden. Als ich ihr ein altes von mir brachte, nahm sie es schmollend entgegen, dann zog das Trio ab, den Hügel hinunter.

Erst als sie weg waren, merkte ich, dass ich zitterte. Ich spritzte mir auf der Toilette kaltes Wasser ins Gesicht und starrte mein Spiegelbild an. Ich sah gealtert aus, müde und blass, im Gesicht einen dunklen Bartschatten.

Ich ging um den Pool herum auf das Gartenhaus zu, in dem es selbst an den heißesten Tagen immer angenehm kühl war. Es roch unverkennbar nach Haschisch. Die drei Jugend-lichen hatten vermutlich nur gekifft, während Mark, dem Zustand des Pools nach zu urteilen, wohl etwas Potenteres eingeworfen hatte. Die Tür zum Gartenhaus stand offen. Auf den Rattanmatten im Wohnzimmer lagen überall Klei-der verstreut. Ich entdeckte die Hose, die Mark am Morgen angehabt hatte, und ein T-Shirt, das von der Größe her nur Magdalena gehören konnte. Drinnen war der Geruch noch intensiver, dieser typische schwere, moschusartige Duft. Sie hatten also eine Party gefeiert. Klar.

12

Im Wohnzimmer herrschte Chaos, Marks Kleider lagen zusammengeknäuelt auf dem Tisch, in der alten Musik box türmten sich Kippen, der Fußboden war nass, und zwei der Korbsessel lagen umgestürzt in der Ecke. Immerhin keine Scherben, das war im Vergleich zum letzten Mal ein ech-ter Fortschritt. Mark fand ich wie erwartet in dem kleinen Schlafzimmer, nackt auf verschwitzten Laken im Bett. Erst dachte ich, er schläft, aber als ich ihn zudecken wollte, öff-nete er die Augen und setzte sich auf.

Er war natürlich betrunken, und natürlich nicht nur das. Seine Wangen glühten, die Augen waren übergroß, seine Be-wegungen ruckartig und unkoordiniert. Um mich ins Visier zu bekommen, schwenkte er den Kopf vor und zurück. Schließlich grinste er.

»Ach, du bist das, James, Mensch …« Er brach ab und sah sich um. »Mensch, du warst ja tagelang weg. Wir mussten uns hier drin verstecken. Draußen war’s zu gefährlich, aber hier drin geht es.«

»Da ist gar nichts gefährlich. Und ich war bloß ein paar Stunden weg. Seit heute früh um zehn genauer gesagt, und jetzt ist es sechs.«

Er grinste wieder dümmlich und schüttelte den Kopf.»Nein, das weiß ich genau, tagelang warst du weg. Des-

halb mussten wir ja alles herrichten, verstehst du, damit wir startklar sind.«

»Startklar wofür?«Er schüttelte den Kopf und zielte unbeholfen mit einem

Finger auf seinen Nasenflügel.»Mark, was ist mit dem Pool passiert?«Er blinzelte mich an.»Der Pool, Mark. Da schwimmen Lebensmittel drin.«

13

Er versuchte, ernst zu bleiben, aber seine Mundwinkel zuckten, und plötzlich kicherte er los.

»Das war Suppe! Wir haben Suppe gemacht! Wir hatten Hunger, da hab ich gesagt, kommt, wir machen die größte Suppe der Welt! Du hast sie doch nicht aufgegessen, oder? Gib’s zu!«

»Nein.« Ich stützte die Daumen an die Schläfen und mas-sierte mir die Stirn. »Ich bin müde, Mark. Und du solltest dich auch ausruhen. Wir reden morgen weiter, ja?«

Schlagartig wurde sein Blick listig.»Sind die Jungs noch da? Schick sie mir doch rein. Ich

will sie hier haben.«Der Riemen um meinen Kopf zurrte sich noch fester

zu. »Ich hab sie nach Hause geschickt. Sonst machen sich ihre

Eltern wieder Sorgen. Du weißt ja, wie das beim letzten Mal war. Du kannst sie nicht so lange hier oben behalten.«

Er murmelte etwas, allerdings so leise, dass ich es nicht verstand.

Ich wandte mich zum Gehen.»Du willst mich ja bloß für dich allein!«, schrie er mir

nach.Ich blieb stehen, die Hand auf dem Türknauf.»Nein«, erwiderte ich. »Ich rufe jetzt den Poolmenschen

an, damit er die Schweinerei beseitigt, die ihr angerichtet habt. Und ich hoffe, ich komme noch vor Mitternacht ins Bett. Ich muss nämlich morgen früh raus.«

»Doch, du willst mich für dich allein«, sagte Mark. »Das wolltest du schon immer. Du bist ja bloß hier, weil du hoffst, dass mir die anderen irgendwann ausgehen und du als Ein-ziger übrig bleibst.«

14

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg.»Jetzt reicht es, Mark.« Das klang allerdings weniger

überzeugend als zuvor bei Stefano, das merkte ich selbst.»Nein, es reicht noch lange nicht«, brüllte er. »Warum

arbeitest du überhaupt? Nur damit du so tun kannst, als wür-de nicht ich alles hier zahlen, das Haus, die Rechnungen, die Haushälterin und den bescheuerten Poolmenschen noch dazu! Dabei hast du genau das immer gewollt. Seit Oxford wolltest du nichts anderes …«

Ich drehte mich um und ging hinaus. Er wurde immer lauter, aber ich hielt mir innerlich die Ohren zu und dachte an etwas anderes.

Hinterher tat es ihm leid. Wie immer. Es ist jedes Mal das-selbe.

In den frühen Morgenstunden rumorte er bereits in der Küche herum. Er hatte geheult – Augen und Wangen hatten diesen zerknautschten, überreifen Look –, aber vor mir tut er das nicht mehr. Seine Haare, vom Duschen noch feucht, fielen ihm in die Augen; er blinzelte mich durch den Vor-hang hindurch an und entschuldigte sich immer wieder von neuem, bis ich es nicht mehr hören konnte.

Ich machte Kaffee, und wir setzten uns ins Wohnzim-mer. Wir unterhielten uns über das Haus und über unsere geplante Reise in die Berge, die er immer wieder aufschob. Es war ein Friedensangebot, und wie immer schmolz mein Widerstand dahin. Kaum reden wir miteinander, ist meine Wut verraucht.

Nach einer Weile meinte er: »Weißt du, James, das Schöne an dir ist, dass du noch weißt, wie ich früher war. Das weiß doch keiner von denen, die wir hier kennenlernen.

15

Für die bin ich bloß so ein komischer Engländer, der zu viel Geld hat, zu viel säuft, zu viel raucht und zu viele Drogen einwirft. Aber solange du da bist, solange du noch weißt, wie ich früher war, bin ich mehr. Verstehst du?«

Natürlich verstand ich. Es war mir längst klar. Wir hatten sogar schon mal darüber gesprochen.

Als die Sonne aufging, schlenderten wir mit unseren Cider-Dosen in den Obstgarten, nicht ohne Schwärme von spindelbeinigen Schnaken aus dem Gras aufzuscheuchen. Hier und da standen Bänke auf der Wiese verstreut – einer von Marks Spleens aus der Zeit, als ihm noch vorschwebte, hier regelmäßig Partys zu veranstalten. Allerdings hat er das Holz nicht richtig behandeln lassen, so dass die meisten schon morsch sind.

Wir fanden eine, an der noch alle Streben intakt wa-ren, mit einer verrosteten Öltonne daneben, die Mark einst mit Veilchen hatte bepflanzen wollen. Sie war halb voll mit Regen wasser – noch ein Hinweis auf Marks Problem, besser gesagt seine Definition des Problems: dass sein Ehrgeiz nie groß genug für seinen Geldbeutel sei. Schweigend sahen wir zu, wie die Sonne aufging, tranken in tiefen Zügen unseren Cider und horchten auf das ohrenbetäubende Gezwitscher der Vögel, die in den Bäumen ringsum erwachten.

»Ich will sie wiederhaben«, sagte Mark schließlich. »Ich will Daisy wiederhaben.«

»Ich weiß«, sagte ich.»Ich will nur sie, sonst nichts. Immer nur sie. Auch wenn

ich … immer.«»Ich weiß.«Er lehnte sich an mich, und ich nahm ihn in den Arm. Ich

stieß mit den Füßen gegen die Öltonne und erschrak über

das Geräusch, das ich verursachte: ein wildes Dröhnen, als hätte ich einen Messinggong angeschlagen. Über uns zogen drei Gänse in Dreiecksformation über den blauweißen Him-mel und schrien.