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10 | Pharmazie in unserer Zeit | 31. Jahrgang 2002 | Nr. 1 TREFFPUNKT FORSCHUNG | entarteten Colonzellen – eine nicht ganz einfache Aufgabe, da sie eine sehr sorgfältige Trennung der Tumor- von den normalen Zellen in den Me- tastasen voraussetzt (Abb.). Immer- hin fanden sie dabei 144 Gene, die stärker und 79 Gene, die schwächer in den metastasierten Tumorzellen exprimiert wurden. Die Forscher ent- schlossen sich, eines der überexpri- mierten Proteine, PRL-3, genauer zu untersuchen, weil es einerseits in al- len untersuchten Metastasen hochre- guliert war und andererseits struktu- rell auf eine Tyrosin-Phosphatase hin- deutete. Bisher ist nicht viel über PRL-3 bekannt, außer, dass es zusam- men mit den beiden verwandten En- zymen PRL-1 und PRL-2 das Wachs- tum von Zellen fördert. Untersucht man Colon-Epithelzellen in verschie- denen Stadien der Entartung auf PRL- 3-Expression, findet man erstaun- licherweise eine Korrelation zwi- schen Grad der Entartung und PRL-3- Menge: Während normale Colon- Epithelzellen kaum PRL-3 produzie- ren, findet sich reichlich PRL-3 in Metastasen. Zudem war in 3 der un- tersuchten 12 Metastasen das Gen für PRL-3 amplifiziert. Wie genau PRL-3 nun aber in die Metastasen- bildung eingreift, ist noch nicht be- kannt. Immerhin ist ein erster Schritt getan, um vielleicht bald eine völlig neue Zielstruktur für Krebstherapeu- tika zur Verfügung zu haben. Saha, S., Bardelli, A., Buckhaults, P., Velculescu, V.E., Rago, C., St. Croix, B., Romans, K.E., Choti, M.A., Lengauer, C., Kinzler, K.W., Vogelstein, B.: A Phosphatase Associated with Metastasis of Colorectal Cancer. Science online, October 11 (2001); 10.1126/science.1065817 Ilse Zündorf, Frankfurt Schon seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Endoperoxid-Partialstruktur von Artemisinin (1), einem cycli- schen Endoperoxid aus den Blättern der chinesischen Heilpflanze Artemi- sia annua, für die biologische Akti- vität gegen Plasmodium falciparum essentiell ist [2]. Es gab auch schon eindeutige Hinweise darauf, dass eine reduktive Bioaktivierung zu hochre- aktiven Radikalen führt, die diverse Biomoleküle alkylieren können. So konnte mit radioaktiv markiertem Ar- temisinin gezeigt werden, dass Ad- dukte sowohl mit dem Häm als auch mit Proteinen der Protozoen entste- hen. Allerdings konnte die Struktur dieser Addukte bisher nicht aufge- klärt werden. Die Malariaerreger bauen das Hämoglobin der Erythrozyten ab, um die erhaltenen Aminosäuren für ihren eigenen Stoffwechsel zu ver- wenden. Das dabei anfallende Häm ist toxisch für die Protozoen und wird von ihnen deshalb zu untoxi- schem, unlöslichem Hämazoin („Ma- lariapigment“) polymerisiert und in der Nahrungsvakuole abgelagert. Meunier und Mitarbeiter konnten nun erstmals durch Inkubation des Dimethylesters von Hämin (Oxidati- onsstufe des Eisens: +3) mit Artemisi- nin in Gegenwart eines Reduktions- mittels (2,3-Dimethylhydrochinon oder Thiobenzylakohol) definierte Addukte aus dem Arzneistoff und dem Häm (Oxidationsstufe des Ei- sens: +2) isolieren und zweifelsfrei charakterisieren. Dabei wird offensichtlich der Wirkstoff durch das Fe(II)-Häm re- duktiv aktiviert. Homolytische Spal- tung der Endoperoxidgruppe führt primär zu einem Sauerstoffradikal 2, das dann unter homolytischer Spal- tung der C3-C4- Bindung zu ei- nem sterisch ungehinderten Kohlenstoffradi- kal 3 weiterrea- giert. Dieses hoch- reaktive Radikal ist in der Lage, Häm zu alkylie- ren. Durch auf- wändige NMR- Untersuchungen wurde gezeigt, dass diese Alky- lierung an der α- , β-, und γ-Positi- on des Häms ABB. Eine Leber- metastase ent- hält neben leben- den Krebszellen (2) tote bzw. ster- bende Krebszel- len (1), Binde- gewebe (3) und Leber- bzw. Ent- zündungszellen (4). MEDIZINISCHE CHEMIE | Neue Erkenntnisse zum molekularen Wirkmechanismus von Artemisinin Atemisinin stellt eine wertvolle Neuentwicklung auf dem Gebiet der An- timalaria-Wirkstoffe dar. Lange Zeit wurde über den Wirkmechanismus dieses Naturstoffs nur spekuliert. Frühere Untersuchungen lieferten schon Hinweise darauf, dass Artemisinin in vivo zu Radikalen meta- bolisiert wird, die ihrerseits das Häm oder Proteine der Protozoen alky- lieren können. In einer kürzlich erschienen Publikation [1] wurde nun erstmals die Alkylierung von Häm zweifelsfrei nachgewiesen. O O O O H O 3 4 5 1 O O O H ¥O O FeIII 2 O O H HO H 2 C O O 3 ¥ COOCH N N N H COOCH 3 N H 3 H O O O O HO 4 5 α β γ > ABB. Artemi- sinin (1) wird durch das Fe(II)- Häm reduktiv aktiviert. Homo- lytische Spaltung der Endoperoxid- gruppe führt zu einem Sauerstoff- radikal 2, das dann unter weite- rer Spaltung der C3-C4-Bindung zu einem sterisch ungehinderten Kohlenstoffradi- kal 3 weiterrea- giert, das dann in der Lage ist, Häm zu alkylieren.

Neue Erkenntnisse zum molekularen Wirkmechanismus von Artemisinin

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10 | Pharmazie in unserer Zeit | 31. Jahrgang 2002| Nr. 1

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

entarteten Colonzellen – eine nichtganz einfache Aufgabe, da sie einesehr sorgfältige Trennung der Tumor-von den normalen Zellen in den Me-tastasen voraussetzt (Abb.). Immer-hin fanden sie dabei 144 Gene, diestärker und 79 Gene, die schwächerin den metastasierten Tumorzellenexprimiert wurden. Die Forscher ent-schlossen sich, eines der überexpri-mierten Proteine, PRL-3, genauer zuuntersuchen, weil es einerseits in al-len untersuchten Metastasen hochre-guliert war und andererseits struktu-rell auf eine Tyrosin-Phosphatase hin-deutete. Bisher ist nicht viel überPRL-3 bekannt, außer, dass es zusam-men mit den beiden verwandten En-zymen PRL-1 und PRL-2 das Wachs-tum von Zellen fördert. Untersuchtman Colon-Epithelzellen in verschie-denen Stadien der Entartung auf PRL-3-Expression, findet man erstaun-licherweise eine Korrelation zwi-schen Grad der Entartung und PRL-3-Menge: Während normale Colon-Epithelzellen kaum PRL-3 produzie-ren, findet sich reichlich PRL-3 inMetastasen. Zudem war in 3 der un-tersuchten 12 Metastasen das Genfür PRL-3 amplifiziert. Wie genauPRL-3 nun aber in die Metastasen-bildung eingreift, ist noch nicht be-kannt. Immerhin ist ein erster Schrittgetan, um vielleicht bald eine völligneue Zielstruktur für Krebstherapeu-tika zur Verfügung zu haben.

Saha, S., Bardelli, A., Buckhaults, P., Velculescu,V.E., Rago, C., St. Croix, B., Romans, K.E., Choti,M.A., Lengauer, C., Kinzler, K.W., Vogelstein, B.:A Phosphatase Associated with Metastasis ofColorectal Cancer. Science online, October 11(2001); 10.1126/science.1065817

Ilse Zündorf, Frankfurt

Schon seit längerer Zeit ist bekannt,dass die Endoperoxid-Partialstrukturvon Artemisinin (1), einem cycli-schen Endoperoxid aus den Blätternder chinesischen Heilpflanze Artemi-sia annua, für die biologische Akti-vität gegen Plasmodium falciparumessentiell ist [2]. Es gab auch schoneindeutige Hinweise darauf, dass einereduktive Bioaktivierung zu hochre-aktiven Radikalen führt, die diverseBiomoleküle alkylieren können. Sokonnte mit radioaktiv markiertem Ar-temisinin gezeigt werden, dass Ad-dukte sowohl mit dem Häm als auchmit Proteinen der Protozoen entste-hen. Allerdings konnte die Strukturdieser Addukte bisher nicht aufge-klärt werden.

Die Malariaerreger bauen dasHämoglobin der Erythrozyten ab, umdie erhaltenen Aminosäuren fürihren eigenen Stoffwechsel zu ver-

wenden. Das dabei anfallende Hämist toxisch für die Protozoen undwird von ihnen deshalb zu untoxi-schem, unlöslichem Hämazoin („Ma-lariapigment“) polymerisiert und inder Nahrungsvakuole abgelagert.

Meunier und Mitarbeiter konntennun erstmals durch Inkubation desDimethylesters von Hämin (Oxidati-onsstufe des Eisens: +3) mit Artemisi-nin in Gegenwart eines Reduktions-mittels (2,3-Dimethylhydrochinonoder Thiobenzylakohol) definierteAddukte aus dem Arzneistoff unddem Häm (Oxidationsstufe des Ei-sens: +2) isolieren und zweifelsfreicharakterisieren.

Dabei wird offensichtlich derWirkstoff durch das Fe(II)-Häm re-duktiv aktiviert. Homolytische Spal-tung der Endoperoxidgruppe führtprimär zu einem Sauerstoffradikal 2,das dann unter homolytischer Spal-

tung der C3-C4-Bindung zu ei-nem sterischungehindertenKohlenstoffradi-kal 3 weiterrea-giert.

Dieses hoch-reaktive Radikalist in der Lage,Häm zu alkylie-ren. Durch auf-wändige NMR-Untersuchungenwurde gezeigt,dass diese Alky-lierung an der α-, β-, und γ-Positi-on des Häms

A B B . Eine Leber-metastase ent-hält neben leben-den Krebszellen(2) tote bzw. ster-bende Krebszel-len (1), Binde-gewebe (3) undLeber- bzw. Ent-zündungszellen(4).

M E D IZ I N I S C H E C H E M I E |Neue Erkenntnisse zum molekularenWirkmechanismus von Artemisinin

Atemisinin stellt eine wertvolle Neuentwicklung auf dem Gebiet der An-timalaria-Wirkstoffe dar. Lange Zeit wurde über den Wirkmechanismusdieses Naturstoffs nur spekuliert. Frühere Untersuchungen liefertenschon Hinweise darauf, dass Artemisinin in vivo zu Radikalen meta-bolisiert wird, die ihrerseits das Häm oder Proteine der Protozoen alky-lieren können. In einer kürzlich erschienen Publikation [1] wurde nunerstmals die Alkylierung von Häm zweifelsfrei nachgewiesen.

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> A B B . Artemi-sinin (1) wirddurch das Fe(II)-Häm reduktivaktiviert. Homo-lytische Spaltungder Endoperoxid-gruppe führt zueinem Sauerstoff-radikal 2, dasdann unter weite-rer Spaltung derC3-C4-Bindung zueinem sterischungehindertenKohlenstoffradi-kal 3 weiterrea-giert, das dann inder Lage ist, Häm zu alkylieren.

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erfolgen kann. In der Abbildung istdas β-alkylierte Produkt dargestellt.

Kontrollexperimente zeigten,dass die Reduktion des Häm-Eisensvon der Oxidationsstufe +3 zur Oxi-dationsstufe +2 essentiell für die Bio-aktivierung von Artemisinin ist. In vi-vo dürfte diese Reduktion vom reich-lich vorhandenen Glutathion bewerk-stelligt werden.

Die geschilderten Ergebnisse stel-len einen weiteren Schritt zum Ver-ständnis des molekularen Wirkme-chanismus von Artemisinin und ver-wandten Endoperoxiden (z.B. Arte-mether) dar. Allerdings bleibt immernoch abzuklären, in welcher Weisedie beschriebene Alkylierung des

Häms zur Abtötung der Protozoenbeiträgt. Denkbar ist eine Akkumula-tion von nicht polymerisierbaren, re-doxaktiven Häm-Addukten. Die Auto-ren schließen aber auch nicht aus,dass das Radikal 3 essentielle Protei-ne des Malariaerregers alkyliert, dieam Abbau des Hämoglobins oder ander Polymerisierung des dabeianfallenden Häms beteiligt sind.

[1] A. Robert, J. Cazelles, B. Meunier, Charac-terization of the alkylation product of he-me by the antimalarial drug artemisinin,Angew. Chem. 113 (2001), 2008.

[2] A. Robert, B. Meunier, Is alkylation themain mechanism of action of the antima-larial drug artemisinin? Chem. Soc. Rev. 27(1998), 273.

Franz Bracher, München

A B B . Neuroprotektiver Effekt der aromatischen Amine und Imine in Hippocam-pus-Dünnschnitt-Kulturen. Nach 72 h Behandlung mit dem oxidativen NeurotoxinWasserstoffperoxid (500 µµM) sind in der Propidiumiodidfärbung tote Zellen in derGyrus-dentatus- (GD) und der Cornu-ammonis-(CA) Region des Hippocampus zu sehen (B). 10 µµM 4-Dodecylanilin (C) bzw. 1 µµM Iminostilben (D) verhindern diesenPeroxid-Effekt komplett. A: unbehandelte Kontrolle.

M E D IZ I N |Aromatische Amine und Imineals Neuroprotektoren?Aromatische Amine und Imine schützen Nervenzellen vor oxidativemStress und stellen damit neue Leitstrukturen für Medikamente gegenAlzheimer dar.

tektion wirklich auf den Schutz voroxidativem Stress zurück zu führenwar, konnten die Wissenschaftler ein-drucksvoll in verschiedenen zel-lulären und biochemischen Testsyste-men nachweisen und durch Elektro-nenspin-Resonanzspektroskopie be-stätigen.

Mit EC50-Werten von 20 – 75 nMwaren die aromatischen Imine Phe-nothiacin, Phenoxacin und Iminostil-ben ca. zwei Größenordnungen bes-ser als andere, phenolische Antioxi-dantien. Diese Aktivität konnte in ei-nem neuen, quantitativen Struktur-/Wirkungsbeziehungs-Modell direktmit den errechneten Eigenschaftender Substanzen korreliert werden.Danach sind verbrückte Bisaryliminemit einer freien NH-Bindung effekti-ve Neuroprotektoren und stellen viel-versprechende Leitstrukturen für ei-ne rationale Wirkstoffentwicklungdar.

Moosmann, B. et al.: Protective Activity of Aromatic Amines and Imines against OxidativeNerve Cell Death. Biol. Chem. 382 (2001), 1601 – 1612.

Ilse Zündorf, Frankfurt

Bei neurodegenerativen Erkrankun-gen wie Alzheimer oder Morbus Par-kinson treten vermehrt freie Radikaleauf. Somit scheint oxidativer Stressein wesentlicher Bestandteil derPathogeneseprozesse zu sein. AmMPI für Psychiatrie in München hatman sich deshalb auf die Suche nachneuroprotektiven Antioxidantien ge-macht und wurde bei den aromati-schen Aminen und Iminen fündig.

Sowohl klonale Zelllinien (muri-ne HT22-Zellen) als auch primäreZellen (Cerebellum-Neurone der Rat-te) konnten durch Behandlung mit 4-Dodecylanilin bzw. Iminostilben vordem oxidativen Zelltod geschütztwerden. Auch in Rattenhippocam-pus-Schnitten, die sehr gut einer In-vivo-Situation entsprechen, konntenNeurone durch die beiden neuropro-tektiven Substanzen vor oxidativemStress geschützt werden (Abb: C undD gegnüber B). Dass diese Neuropro-