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93 © 2005 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 9 (2005), Heft 3 Fachthemen Bei der gegenwärtig in Deutschland üblichen Betrachtung des Schubtragverhaltens von Mauerwerk wird bisher davon ausge- gangen, daß die Traglast erreicht ist, wenn in einem Punkt des Tragwerkes die Schubfestigkeit überschritten wird. Die Grund- lagen für die auf dieser Annahme beruhenden Schubtheorie wur- den von Mann/Müller gelegt (vgl.[1]) und sind Bestandteil der deutschen Norm [2]. Der derzeitige Stand des Wissens zu Schub- festigkeit und Schubtragverhalten ist von Graubner u.a. ausführ- lich im Mauerwerk-Kalender 2005 [3] zusammengefaßt worden. Der Zustand, daß an einem oder mehreren Punkten im Bau- teil die Schubfestigkeit erreicht ist, muß aber noch nicht zwangs- läufig zu dessem Versagen führen. Bei einer theoretischen Be- trachtung des Bruchvorganges über den ersten Versagenspunkt hinaus lassen sich für die Versagensfälle Klaffen und Reibung aber teilweise deutliche Reserven aufzeigen. Diese werden er- läutert und durch zusätzliche Gleichungen beschrieben, die eine zutreffendere Abbildung von Versuchsergebnissen ermöglichen. Für die Versagensfälle Steinzug- und Druckversagen konnten die aus numerischen Simulationen gewonnenen Erkenntnisse über die maximale Schubspannung im Stein in eine geschlossene Her- leitung der Versagensgleichungen überführt werden. 1 Vorgehensweise bei der Schubbemessung Einführend soll kurz die in Deutschland übliche Vorge- hensweise bei der Schubbemessung dargestellt werden. Über die Schubsteifigkeit aller Aussteifungswände und den Schubmittelpunkt des Gebäudes wird die auf je- de Wand wirkende Schubkraft ermittelt, bevor der eigent- liche Schubnachweis beginnt. Bei diesem sind zuerst aus den äußeren Einwirkungen die überdrückte Länge und der maßgebende Wandabschnitt zu bestimmen. Der in Bild 1 grau dargestellte Bereich symbolisiert den über- drückten Teil derWand bei Annahme eines homogen Ma- terials ohne Zugfestigkeit und einer linearen Spannungs- Dehnungsbeziehung. Als statisches System nimmt man vereinfachend einen Kragarm an. Der einwirkenden Schubkraft ist der Tragwiderstand gegenüberzustellen. Dieser ergibt sich aus (1) Hierbei sind A c die überdrückte Fläche und c der Faktor zur Berücksichtigung der Schubspannungsvertei- lung in der Wand. Der Bemessungswert der Schubfestig- keit f vd ist abhängig von der Versagensart und beinhaltet V f A c Rd vd c = den Teilsicherheitsbeiwert für das Material. Nach Mann/ Müller [1] werden vier Versagensarten unterschieden: – Versagen infolge Aufreißens der Lagerfuge (Haftzugver- sagen) – Überschreiten der Scherfestigkeit zwischen Stein und Fuge (Reibungsversagen) – Die Hauptzugspannung im Stein erreicht die Steinzug- festigkeit (Steinzugversagen). – Die Druckfestigkeit des Mauerwerks wird durch Über- lagerung mit der Schubbeanspruchung (früher) erreicht. Der kleinste Wert der Schubfestigkeit der vier mög- lichen Versagensarten geht in Gl. (1) ein. Für die Herleitung der jeweiligen Gleichungen ist das Gleichgewicht am Einzelstein aufgestellt worden. Das durch die am Stein angreifenden Schubspannungen her- vorgerufene Moment ist durch Differenzspannungen, die sich aus der Auflast ergeben, zu kompensieren. Dem liegt die Annahme zu Grunde, daß die Stoßfugen keine Schub- spannungen übertragen. Das Prinzip ist in Bild 2 darge- stellt. Erläuterungen und Herleitungen zu den Gleichge- wichtsbedingungen sind in [1] und [4] zu finden. Eine Er- weiterung für eine unsymmetrische Überbindung hat Simon in [6] durchgeführt. Darauf aufbauend sind die Festigkeitsgleichungen für den jeweils maßgebenden Ab- schnitt am Stein aufgestellt worden. So darf beispielsweise im Bereich 2 im Bild 2 eine ggf. auftretende Zugspannung nicht größer sein als die Haftzugfestigkeit. Neue Erkenntnisse zum Schubversagen Wolfram Jäger Peter Schöps Bild 1. Prinzipdarstellung einer horizontal beanspruchten Wand

Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

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Page 1: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

93© 2005 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

Fachthemen

Bei der gegenwärtig in Deutschland üblichen Betrachtung desSchubtragverhaltens von Mauerwerk wird bisher davon ausge-gangen, daß die Traglast erreicht ist, wenn in einem Punkt desTragwerkes die Schubfestigkeit überschritten wird. Die Grund-lagen für die auf dieser Annahme beruhenden Schubtheorie wur-den von Mann/Müller gelegt (vgl.[1]) und sind Bestandteil derdeutschen Norm [2]. Der derzeitige Stand des Wissens zu Schub-festigkeit und Schubtragverhalten ist von Graubner u.a. ausführ-lich im Mauerwerk-Kalender 2005 [3] zusammengefaßt worden.

Der Zustand, daß an einem oder mehreren Punkten im Bau-teil die Schubfestigkeit erreicht ist, muß aber noch nicht zwangs-läufig zu dessem Versagen führen. Bei einer theoretischen Be-trachtung des Bruchvorganges über den ersten Versagenspunkthinaus lassen sich für die Versagensfälle Klaffen und Reibungaber teilweise deutliche Reserven aufzeigen. Diese werden er-läutert und durch zusätzliche Gleichungen beschrieben, die einezutreffendere Abbildung von Versuchsergebnissen ermöglichen.Für die Versagensfälle Steinzug- und Druckversagen konnten dieaus numerischen Simulationen gewonnenen Erkenntnisse überdie maximale Schubspannung im Stein in eine geschlossene Her-leitung der Versagensgleichungen überführt werden.

1 Vorgehensweise bei der Schubbemessung

Einführend soll kurz die in Deutschland übliche Vorge-hensweise bei der Schubbemessung dargestellt werden.

Über die Schubsteifigkeit aller Aussteifungswändeund den Schubmittelpunkt des Gebäudes wird die auf je-de Wand wirkende Schubkraft ermittelt, bevor der eigent-liche Schubnachweis beginnt. Bei diesem sind zuerst ausden äußeren Einwirkungen die überdrückte Länge undder maßgebende Wandabschnitt zu bestimmen. Der inBild 1 grau dargestellte Bereich symbolisiert den über-drückten Teil der Wand bei Annahme eines homogen Ma-terials ohne Zugfestigkeit und einer linearen Spannungs-Dehnungsbeziehung. Als statisches System nimmt manvereinfachend einen Kragarm an.

Der einwirkenden Schubkraft ist der Tragwiderstandgegenüberzustellen. Dieser ergibt sich aus

(1)

Hierbei sind Ac die überdrückte Fläche und c derFaktor zur Berücksichtigung der Schubspannungsvertei-lung in der Wand. Der Bemessungswert der Schubfestig-keit fvd ist abhängig von der Versagensart und beinhaltet

V f

AcRd vd

c= ⋅

den Teilsicherheitsbeiwert für das Material. Nach Mann/Müller [1] werden vier Versagensarten unterschieden: – Versagen infolge Aufreißens der Lagerfuge (Haftzugver-

sagen)– Überschreiten der Scherfestigkeit zwischen Stein und

Fuge (Reibungsversagen)– Die Hauptzugspannung im Stein erreicht die Steinzug-

festigkeit (Steinzugversagen).– Die Druckfestigkeit des Mauerwerks wird durch Über-

lagerung mit der Schubbeanspruchung (früher) erreicht.Der kleinste Wert der Schubfestigkeit der vier mög-

lichen Versagensarten geht in Gl. (1) ein.

Für die Herleitung der jeweiligen Gleichungen ist dasGleichgewicht am Einzelstein aufgestellt worden. Dasdurch die am Stein angreifenden Schubspannungen her-vorgerufene Moment ist durch Differenzspannungen, diesich aus der Auflast ergeben, zu kompensieren. Dem liegtdie Annahme zu Grunde, daß die Stoßfugen keine Schub-spannungen übertragen. Das Prinzip ist in Bild 2 darge-stellt.

Erläuterungen und Herleitungen zu den Gleichge-wichtsbedingungen sind in [1] und [4] zu finden. Eine Er-weiterung für eine unsymmetrische Überbindung hatSimon in [6] durchgeführt. Darauf aufbauend sind dieFestigkeitsgleichungen für den jeweils maßgebenden Ab-schnitt am Stein aufgestellt worden. So darf beispielsweiseim Bereich 2 im Bild 2 eine ggf. auftretende Zugspannungnicht größer sein als die Haftzugfestigkeit.

Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Wolfram JägerPeter Schöps

Bild 1. Prinzipdarstellung einer horizontal beanspruchtenWand

Page 2: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

2 Erweiterung der Schubtheorie2.1 Allgemeines

Ansatzpunkt für eine Erweiterung der bisherigen Theorieist die Berücksichtigung plastischerZustände beim Schub-versagen. Insbesondere bei unsymmetrischer Überbin-dung und derAnwendung der von Simon in [6] hergeleite-ten Gleichungen ergibt sich für sehr kleine Überbinde-maße eine ebenfalls sehr viel kleinere Schubfestigkeit.

2.2 Zusätzliche Gleichgewichtsbedingungen am Einzelstein

Für die Betrachtung des Schubtragverhaltens am Einzel-stein nach dem Versagen des ersten Teilbereiches sind ins-besondere für die unsymmetrische Überbindung neueGleichgewichtsbedingungen aufzustellen. Bei einer un-symmetrischen Überbindung ergeben sich, wie bereits in[6] dargestellt, vier unterschiedliche Auflastbereiche amStein. Nach dem Haftzugversagen der Teilfläche 2 wird σ2zu 0. Es muß sich somit ein neues Gleichgewicht einstel-len (Gleichgewichtszustand 2).

Das Gleichgewicht läßt sich wie folgt formulieren:

(2)

Hierbei sind für die Differenzspannungen die Bezie-hungen gemäß Gln. (3) bis (5) vorgegeben. Druckspan-nungen sind negativ definiert.

τ σ σ σ σ⋅ ⋅ = +( ) ⋅ + +( ) ⋅−( )

l h ü l üs s x x x x

s∆ ∆ ∆ ∆1 2

2

3 4

2

2 2

94 Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

(3)

(4)

(5)

Nach dem Einsetzen der Gleichungen in Gl. (2) erge-ben sich für die Bereiche 1, 3 und 4 die vertikalen Span-nungen nach den Gln. (6) bis (8).

(6)

(7)

(8)

Bei einer weiteren Steigerung der Schubbelastungkönnen auch im Bereich 4 Zugspannungen auftreten.Nach dem erneuten Überschreiten der Haftzugfestigkeitstellt sich der Gleichgewichtszustand 3 ein. Die vertikalenSpannungen ergeben sich hier direkt aus dem Verhältnisder Teilbereichslängen und der Steinlänge.

Der Gleichgewichtszustand 3 stellt eine Grenze dar,da dieser nur für ein festes Verhältnis von Auflast undSchub gilt (Gl. (9)). Es bilden sich die in Bild 4 dargestell-ten Druckdiagonalen aus.

(9)

Sollte ü < ls/2 sein und der Verband aber im Gegen-satz zu dem in Bild 3 und Bild 4 dargestelltem treppenför-mig, dann entfällt der Gleichgewichtszustand 2 (vgl. Bild 5).

2.3 Versagensfall Klaffen bei unsymmetrischemÜberbindemaß

Das Aufreißen des Verbundes zwischen Lagerfuge undStein kann nur in den Gleichgewichtszuständen 1 und 2eintreten. Im Gleichgewichtszustand 3 liegen in den ver-bliebenen beiden Teilbereichen nur noch Druckspannun-gen vor. Für das Versagen im Gleichgewichtszustand 1lautet die Gleichung für die charakteristische Schubfestig-keit gemäß [6]:

τ σ= −

⋅⋅x

ssh

l2

σ σ τ

x xs

s

s

ül ü

hl ü4 1

2= +−

+ ⋅ ⋅−

σ σx x

s

ül ü3 1= +

σ τ1 2= − ⋅ ⋅ h

üs

∆ ∆σ σx x

s

ül ü4 1=

∆σ σx x

s

ül ü3 = −

∆σ σx x2 = −

W. Jäger, P. Schöps · Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Bild 2. Gleichgewicht am Einzelstein ohne Stoßfugenver-mörtelung

Bild 3. Gleichgewichtszustand am Einzelstein nach demersten Teilversagen zwischen Stein und Fuge

Bild 4. Gleichgewichtszustand 3 und die sich ergebendenDruckstreben

Page 3: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

95Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

(10)

Im Gleichgewichtszustand 2 wird der Bereich 4 (Bild 3)für ein erneutes Haftzugversagen maßgebend. Wird für σx4die Haftzugfestigkeit ft eingesetzt und die Gl. (8) nach τumgestellt, ergibt sich eine weitere Gleichung für dasHaftzugversagen.

(11)

Der größere der beiden Werte aus den Gln. (10) und(11) ist für das Haftzugversagen maßgebend. Bedingunghierfür ist, daß das Überbindemaß nicht die Werte 0 oderls annimmt. Für Mauerwerk mit einem treppenförmigenVerband – das Überbindemaß an Ober- und Unterseitedes Steines ist horizontal gespiegelt – gilt nur Gl. (10), dadie vertikalen Spannungen in den Bereichen 2 und 4gleich groß sind. Allerdings ist die Schubfestigkeit infolgeder Haftzugfestigkeit des Mauerwerks dann von der Bela-stungsrichtung abhängig.

2.4 Versagensfall Reibung

Analog dem Versagen infolge Überschreitens der Haftzug-festigkeit ist die Tragfähigkeit des Mauerwerks auch beidem Überschreiten der Reibung nach Mann/Müller nochnicht ausgeschöpft. Vielmehr kommt es hier zu einem pla-stischen Zustand (Gleiten) zwischen Mörtel und Stein. Dabeim Reibungsversagen in der ersten Teilfläche auchDruckspannungen vorliegen können, kann auch nachdem ersten Versagen, anders als beim Haftzugversagen,der Gleichgewichtszustand 1 herrschen. Um die Schubfe-stigkeit zu ermitteln, wird hier in vier theoretische Zustän-de unterschieden:– Zustand I entspricht einem idealisierten Zustand, bei

dem an jeder Stelle die maximale Schubspannungerreicht wird.

– Zustand II entspricht der Betrachtungsweise nachMann/Müller bzw. Graubner/Simon. Die Schubfestig-keit ist über die gesamte Kontaktfläche konstant.

– Im Zustand III ist die Schubspannung nach Zustand IIüberschritten worden, und im Bereich der kürzerenÜberbindelänge (Bereiche 2 und 4) ist die Haftscherfe-stigkeit auf 0 gefallen. Hier wird nur noch die durch dieAuflast und den Reibbeiwert definierte Schubspannungübertragen. Im benachbarten Bereich ist die Haftscher-festigkeit noch vorhanden, und es kann die maximaleSchubspannung erreicht werden.

ff l ü l

hvkt s x s

s=

⋅ −( ) − ⋅⋅

σ2

f fvk t x= −( )σ ü

hs

– Im Zustand IV ist über die gesamte Länge der Lagerfugeder Haftscherverbund zerstört. Die maximale Schub-spannung ergibt sich nur noch aus der Auflast und demReibbeiwert.

Zur Verdeutlichung sind die Reibungszustände inBild 6 und Tabelle 1 prinzipiell dargestellt. Der grau dar-gestellte Bereich entspricht der für die Schubfestigkeit imjeweiligen Zustand herangezogenen Fläche.

Die sich aus den Herleitungen (s. [9]) ergebendenSchubfestigkeiten für die Reibungszustände an Stein-ober- und Steinunterseite sind in Tabelle 2 zusammen-gefaßt.

In den Bildern 7 und 8 ist die Schubfestigkeit der ein-zelnen Grenzzustände schematisch abgebildet. Die Größeder Auflast ist hierbei in Relation zur Haftscherfestigkeitzu sehen. Das Überbindemaß ü/hs und ü/ls beträgt dabei0,25.

Im Gleichgewichtszustand 2 ändern sich gegenüberTabelle 1 nur die Grenzzustände II und III (Tabelle 3).Für den Gleichgewichtszustand 3 ergeben sich ebenfallsdie Gln. (22) bis (24). Als größter gemeinsamer Nenner füralle drei Gleichgewichtszustände kann Gl. (22) (ZustandIII Steinoberseite) angesehen werden. Für bestimmte Be-lastungssituationen sind aber, wie in Bild 7 zu sehen,höhere Schubfestigkeiten möglich.

Für Belastungen, bei denen der Haftzug- und Haft-scherverbund am ganzen Stein zerstört ist, ergibt sich die

W. Jäger, P. Schöps · Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Bild 5. Treppenförmiger Verband

Tabelle 1. Grenzzustände für den Reibungsverbund zwi-schen Fuge und Stein im Gleichgewichtszustand 1

Grenz- Stein- Stein-zustand oberseite unterseite

I

II

III

IV

Bild 6. Grenzen der Schubspannungen in den Teilbereichen

Page 4: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Schubfestigkeit aus Gl. (24). Diese stellt somit die absolutunterste Grenze der Schubfestigkeit infolge Reibung dar.Da das Verhältnis der Auflast und der Schubkraft für denGleichgewichtszustand 3 feststeht, läßt sich aus Gl. (9)und Gl. (24) das Seitenverhältnis des Steines ermitteln, beidem es zum Reibungsversagen ohne vorhandenen Ver-bund kommen kann (Gl. (25)).

96 Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

(25)

Der dargestellten Betrachtung liegt die Annahme ei-ner gleichmäßigen Spannungsverteilung in den einzelnenTeilabschnitten zugrunde. Da aber bereits die durch Haft-scherversuche gewonnen Werte den Einfluß einer un-gleichmäßigen Spannungsverteilung beinhalten, ist der

h

ls

s<⋅2 µ

W. Jäger, P. Schöps · Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Tabelle 2. Schubfestigkeiten zwischen Fuge und Stein für die einzelnen Grenzzuständeim Gleichgewichtszustand 1

Grenz- Steinoberseite Steinunterseitezustand

I (12) = (13)

II (14) ≥ (15)

III (16) ≥ (17)

IV (18) = (19)

f fvk vk x= − ⋅0 µ σ f fvk vk x= − ⋅0 µ σ

fvk x= − ⋅µ σ fvk x= − ⋅µ σ

f f ü

lvk vks

x= ⋅ − ⋅0 µ σ f f ülvk vks

x= −

− ⋅0 1 µ σ

ff

hl ü

vkvk x

s

s

= − ⋅

+ ⋅−

0

1

µ σ

µ

ff

vkvk x

s= − ⋅

+ ⋅

0

1

µ σ

µ

Bild 7. Traglastentwicklung über die Grenzzustände ZI bisZIV für das Reibungsversagen im Gleichgewichtszustand 1bei kleiner Auflast (σx ≈ fvk0)

Bild 8. Traglastentwicklung über die Grenzzustände ZI bisZIV für das Reibungsversagen im Gleichgewichtszustand 1bei höherer Auflast (σx ≈ 3 x fvk0)

Tabelle 3. Schubfestigkeiten zwischen Fuge und Stein für die einzelnen Grenzzuständeim Gleichgewichtszustand 2

Grenz- Steinoberseite Steinunterseitezustand

II (20) ≥

(21)

III (22) ≤

IV (23) = (24) fvk x= − ⋅µ σ fvk x= − ⋅µ σ

ff l

l üh

l ü

vk

vk xs

s

s

s

=− ⋅ ⋅

+ ⋅−

0

1

µ σ

µ

f f ü

lvk vks

x= ⋅ − ⋅0 µ σ

f f ü

lvk vks

x= −

− ⋅0 1 µ σ

Page 5: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

97Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

Einfluß über diese Werte näherungsweise berücksichtigt.Untersuchungen hierzu sind in [8] angestellt worden.

2.5 Steinversagen

Die von Mann/Müller hergeleitete Gleichung für dasSteinzugversagen beruht auf der Annahme, daß die größteSchubspannung und damit auch die größte Hauptzug-spannung in Steinmitte auftritt. Dabei wird von einer überdie Steinlänge konstanten, vertikalen Spannung ausgegan-gen. Steinformat bzw. Überbindemaß haben keinen Ein-fluß.

Im Gegensatz zur bisherigen Annahme hat sich beieigenen FEM-Simulationen am Wandausschnitt und anganzen Wänden gezeigt, daß die maximale Schubspan-nung am Steinrand auftritt. Der Faktor für die maximaleSchubspannung ist dabei veränderlich. Insbesonderehängt der Wert von dem Verhältnis der Fugendicke undSteinhöhe ab.

Eine experimentelle Überprüfung der Schubspan-nungsverteilung im Stein ist allerdings schwierig, da wie bereits in Bild 9 zu erkennen ist, der Bereich derSchubspannungsspitze recht klein ist. Bei den im Rahmendes Forschungsprojektes [9] durchgeführten Schubversu-chen ergaben sich somit unterschiedliche Verhältniswertefür die Schubspannung in Abhängigkeit von der Wahl derDehnmeßstreifen und deren Lage (vgl. Bild 10).

Das Rißbild zeigte aber deutlich, daß die Rißbildungim wesentlichen am Steinrand über den Stoßfugen begannund auch zum endgültigen Versagen geführt hat.

Mit derAnnahme, daß die größte Schubspannung amSteinrand auftritt, ist nun im Gegensatz zu [4] nicht diemittlere vertikale Spannung für σx in Gl. (26) zu verwen-den, sondern die sich aus den Gleichgewichtsbedingun-gen ergebende maßgebende Spannung. Für den Gleichge-wichtszustand 1 ist dies der Bereich 1 für das Druckversa-gen und der Bereich 2 für das Zugversagen.

(26)

Zusätzlich ist berücksichtigt worden, daß das Druck-versagen des Mauerwerks durch Zugspannungen im Steinhervorgerufen wird. Dabei wurde vereinfachend ange-nommen, daß diese Zugspannung proportional mit derAuflast wächst und beim Erreichen der charakteristischenDruckfestigkeit fk des Mauerwerks der Steinzugfestigkeitfbt entspricht. Diese Annahme läßt sich durch die Gl. (27)beschreiben.

(27)

In die Hauptspannungsgleichung wird nun diese Gl. (27) für die zweite Spannungsrichtung eingesetzt. Aufeine Darstellung der sich durch die Umstellung nach τ er-gebenden Gleichung wird aufgrund deren Länge hier ver-zichtet und auf [9] verwiesen.

Für das Steinzugversagen hat sich gezeigt, daß derEinfluß der Querzugspannung infolge der Druckbelastungvernachlässigbar ist. Es ergibt sich somit Gl. (28).

(28)

Der Faktor F beschreibt hierbei das Verhältnis zwi-schen der mittleren am Stein angreifenden Schubspan-nung und der maximalen Schubspannung im Stein. In die-sem Faktor kann auch ein quasiplastisches Materialver-halten beim Steinzugversagen von Lochsteinen, wie in [9]beobachtet und beschrieben, mit berücksichtigt werden.

Für das Druckversagen ist, um eine Anwendbarkeit zugewährleisten, eine Vereinfachung der Gleichung notwen-dig. Hierzu werden in [9] drei mögliche Gleichungen vor-geschlagen. Mit Gleichung (29) ist hier die lineare Appro-ximation angegeben.

(29)

Diese Gleichung liegt für einige Mauerwerksarten aufder sicheren Seite. So ist z.B. bei Mauerwerk mit Dünn-bettmörtel die Druckfestigkeit durch punktuelle Belastun-gen aus Stützkörnern oder Maßtoleranzen der Mauerstei-ne bestimmt. In diesen Fällen liegen die maximalen Zug-spannungen im Stein infolge Auflast und infolge Schub-spannung nicht immer an derselben Stelle. Außerdemunterscheiden sich die beiden zugehörigen Hauptspan-nungsrichtungen voneinander. Die Gleichung (29) stelltsomit eine untere Grenze für das Druckversagen in Kom-

ff

F ff

vkk x

s k

bt

= +

+

σ2

2

ffF

hF ü

hF ü fvk

bt s s x

bt= −

⋅ ⋅+

⋅ ⋅

+ −

2 21

σ σy x

bt

k

ff

= − ⋅

σ

σ σσ σ τ1 2

2 2

212

4/ =+

± −( ) + ⋅x yx y

W. Jäger, P. Schöps · Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

Bild 10. Bestimmung des zweiaxialen Spannungszustandesam Stein

Bild 9. Schubspannungen im Stein einer Versuchswand [9]

Page 6: Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

98 Mauerwerk 9 (2005), Heft 3

W. Jäger, P. Schöps · Neue Erkenntnisse zum Schubversagen

bination mit Schub dar. Für die Gleichgewichtszustände 2und 3 ergeben sich zusätzliche Gleichungen für das Stein-versagen, die hier nicht weiter aufgeführt werden.

3 Zusammenfassung und Ausblick

Mit den dargestellten theoretischen Betrachtungen ist derEinfluß des Überbindemaßes relativiert worden. Insbe-sondere bei unsymmetrischen Überbindungen und denVersagensarten Klaffen und Reibung können mit den dar-gestellten Gleichungen die Schubfestigkeiten des Mauer-werks differenzierter ermittelt werden. So gewinnt beigroßformatigen Steinen und kleinen Auflasten der Versa-gensfall Haftzug an Bedeutung. Dieses Versagen ist durchein treppenförmiges Aufreißen und ein anschließendesKippen der einzelnen Steindiagonalen gekennzeichnet.Der Versagensfall Reibung, also das Verschieben einerSteinschicht gegenüber einer anderen, ist bei Mauerwerkohne Stoßfugenvermörtelung auf längliche Steinformateund geringe Auflast beschränkt.

Bei den Versagensfällen Steinzug- und Druckversa-gen sind die von Mann/Müller aufgestellten Gleichungendurch eine nachvollziehbare Herleitung für den Einflußdes Überbindemaßes erweitert worden. Hierbei wurde ei-ne bei FE-Untersuchungen festgestellte veränderte Schub-spannungsverteilung im Stein berücksichtigt.

Neben dem betrachteten reinen Schubtragverhaltenwird der Schubwiderstand einer Aussteifungswand im Ge-bäude auch noch durch eine Reihe weiterer Faktoren be-einflußt, welche bei der Bemessung noch unzureichendberücksichtigt werden und zu untersuchen sind. So hatz.B. die Größe der Mauersteine im Verhältnis zur Wand-geometrie einen Einfluß. Ein weiterer wichtiger Faktor istdie Belastungssituation einer Wand im Gebäude. Bei kur-zen Wänden kann auch das hier nicht behandelte lokaleDruckversagen in den Wandecken maßgebend werden.Weitere Verbandsarten z.B. mit wechselnder Geometrieder Steine in den einzelnen Steinschichten können nurannähernd erfaßt werden. Da diese heute aber eher Aus-nahmen darstellen, ist deren Berücksichtigung von unter-geordneter Bedeutung.

Anmerkung

Die vorgestellten Forschungsergebnisse wurden im Rah-men eines vom Bundesamt für Bauwesen und Raumord-

nung geförderten Forschungsvorhabens [9] erarbeitet. DieAutoren möchten sich für die finanzielle Förderung desProjektes [9] bedanken. Darüber hinaus gilt der Kalksand-steinindustrie Ost e.V. Dank für die Bereitstellung der Ver-suchsmaterialien sowie den Mitarbeitern des Otto-Mohr-Laboratoriums der Technischen Universität Dresden fürdie Durchführung der umfangreichen Versuche.

Literatur und Quellen

[1] Mann, W., Müller, H.: Schubtragfähigkeit von Mauerwerk.In: Mauerwerk-Kalender 3 (1978). Hrsg.: P. Funk. Berlin:Ernst & Sohn, S. 35-65.

[2] DIN 1053-1: 1996-11: Mauerwerk. Teil 1: Berechnung undAusführung. Deutsches Institut für Normung e.V.: BerlinNov. 1996.

[3] Graubner, C.-A., Kranzler, Th., Schubert, P., Simon, E.:Schubfestigkeit von Mauerwerksscheiben. Teil 3 von „Festig-keitseigenschaften von Mauerwerk“. In: Mauerwerk-Kalen-der 30 (2005). Hrsg. H.-J. Irmschler, W. Jäger, P. Schubert.Berlin: Ernst & Sohn, S. 7 – 88.

[4] Müller H.: Untersuchungen zum Tragverhalten von quer-kraftbeanspruchtem Mauerwerk. Dissertation, Lehrstuhl fürTragwerkslehre. TH Darmstadt 1974.

[5] DIN 1053-100: 2004-08: Mauerwerk. Teil 1: Berechnungund Ausführung. Deutsches Institut für Normung e.V. : Ber-lin, Aug. 2004.

[6] Simon, E.: Schubtragverhalten von Mauerwerk aus großfor-matigen Steinen. Dissertation. Eigenverlag TU Darmstadt:Darmstadt 2002.

[7] Simon, E.: Schubtragverhalten von Mauerwerk aus großfor-matigen Steinen. das Mauerwerk 7 (2003) 1, S. 19–31.

[8] Rossbach, M., Schmidt, U., Schubert, P.: Untersuchungenzur Schubtragfähigkeit von Ziegelmauerwerk. Mauerwerk 8(2004) 2, S. 72–81.

[9] Jäger, W., Schöps, P.: Kosteneinsparung durch Ansatz rea-litätsnaher Bemessungskonzepte für die Schubbeanspru-chung von Mauerwerksbauten. Forschungsbericht. TU Dres-den, Fakultät Architektur, Lehrstuhl Tragwerksplanung:Dresden Nov. 2004.

Autoren des Beitrags:Prof. Dr.-Ing. Wolfram Jäger, Dipl.-Ing. Peter Schöps, Technische Universität Dresden, Fakultät Architektur, Lehrstuhl für Tragwerksplanung, D-01602 DresdenE-mail: [email protected]

Kalksandstein-Info mit neuem LeiterMarketing

Im Mai d. J. übernahm Dr. Ralf Kochdie Position des Leiters Marketing derKS-Info GmbH. In der nationalen Mar-ketinggesellschaft der Kalksandsteinin-

dustrie folgt er auf Thomas Kaczmarek,der das Unternehmen im März verlassenhat. Dr. Koch berichtet direkt an denVorstand des Bundesverbandes Kalk-sandsteinindustrie e. V. und ist für diegesamte Kommunikation der Marke„Kalksandstein. Das Original“ zustän-

dig. In den kommenden Monaten will erweitere Marktanteile auf dem umkämpf-ten Markt der Baustoffanbieter gewin-nen. Zuletzt war Dr. Koch als Kommuni-kationsberater in der Bauwirtschafttätig.

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