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lO92 KLINISCHE WOCHENSCIIRIFT. 16. JAHRGANG. Nr. 31 3~. JULI z937 kurve ffir den Ventilationssauerstoff zu erkennen. W~h- rend sie beim Gesunden unmittelbar nach der Arbeit steil ansteigt, fehlt beim Kranken der Anstieg, im gegebenen Falle erfolgt sogar ein Absinken. Wenn es sich dabei lediglich um einen Hyperventilationseifek% handelte, wfirde ein Absinken der Kohlens~urekonzentration zu erwarten seth. Davon ist niehts zu erkennen. Die Ursache der sehlechteren Sauerstoif- ausnutzung muB auf einem Mil3verh&ltnis zwischen der Stei- gerung der Ventilation und der des Herzminntenvolumens beruhen. Die Kurve fiir die Konzentration der Kohlens~ure der Ausatmungsluit verl~uft beim Herzkranken viel ebener Ms beim Gesunden, bei dem sie mit der Arbeit deutlieh ansteigt. Die letzte Kurve stammt yon einem 63jghr. Manne, der fiber gelegentliehen Luftmangel bet st~rkeren Anstrengungen klagte. W~hrend der klinischen Beobachtung war eine Ar- beitsdyspnoe nicht nachweisbar, auch fehlten andere De- kompensationserscheinungen. Lediglich im Ekg. konnie eine Herzmuskelsch~digung nachgewiesen werden. Am Gaswech- selschreiber zeigte der Patient im Arbeitsversneh jedoeh ein Verhalten, das dem des Herzkranken (Kurve 2) in vielen Punkten ~hnelt. Die Erholungszeiten sind verl~ngert, der Venfilafionszuwachs erheblich gr6Ber, die Sauerstoifschuld erh6ht. Die Sauerstoffausnutzungskurve steigt nach Beginn der Arbeit zwar an, der Anstieg erreicht abet bet weitem nicht die H6he des Gesunden. Die Kohlens~urekonzentra- tionskurve verl~uft wie beim Herzkranken ilach. Diese aus ether Zahl yon 5o Untersuchungen an Gesunden und Herzkranken mit und ohne klinisch nachweisbare De- kompensationserscheinungen ausgewghlten • Bei- spiele lassen erkennen, in welcher Weise die St6rungen im Gaswechsel sich bemerkbar machen. Die Erweiterung der Untersuchungen auf eine gr6Bere Zahl yon Patienten wird es -delleicht erIauben, das normale und pathologische Verhalten durch Ermittlung yon Grenzwerten auch quantitativ sehgrfer zu trennen. Dam it k6nnte im Einzelfall die auch gerade in der Invalidenversicherung wichfige Frage naeh der Leistungs- f~higkeit des Kreislaufes genauer beantwortet werden. (Aus der Medizinischen Klinik G6ttingen [Dires Pro], Dr. H, Straub].) 0BER DIE PROTRAHIERTE WIRKUNC- VON CARDIAZOL AUF DAS ATEMZENTRUM DES MENSCHEN. Von E. GAUBATZ, und H. STEININGER, Oberarzt am Tuberkulose-Kranken- jetzt LeRer der Tuberkulose- hans Heidelberg-Rohrbach, F~rsorgesteIIe Konstanz. Nachdem in dieser Wschr. (x935, 159 u. 827) fiber die Wirkung des Cardiazols aui das Atemzentrum nach subcutaner und intravenSser Applikation berichtet wurde, sollen zur Ver- vollst~ndigung dieser Feststellungen auch die Ergebnisse der Wirkung des Cardiazols nach oraler Verabiolgung bekannt- gegeben werden. Diese Anwendungsweise tritt, wenn es sich um schwere Sehgdigungen des Atemzentrums handelt, gegen- fiber der parenteralen allerdings bedeutend zurfick. Jedoch interessiert uns hierbei insbesondere die Frage, inwieweit es gelingt, dutch wiederholte Verabreichung oraler Gaben zu einer protrahierten Wirkung zu kommen. DaB Cardiazol bet oraler Verabfolgung im Magen gut resor- biert wird, ist dutch verschiedene Yersuche erwiesen (H~Lmg- S~A~D, SC~O~N U.a.). PICkLeR gibt 7--~o Minuten nach Verabiolgung per os einen naehweisbaren Eifekt an. Ungef~hr nach derselben Zeitspanne beobachtet man nach der Verabfolgung • Dosen yon Cardiazol beim Menschen eine entsprechende Wirkung auf die Atmung, ohne da6 besondere Begleiterscheinungen festzustellen w~ren. 13ei gr6Beren Dosen wird das Atemzentrum zungchst stark erregt (vertiefte rasehe Atmung), w~hrend es spater unter unseren Versuchsbedingungen am I(nippingschen Spirometer zu Schweil3ausbruch und unter Umstgnden sogar zum Kollaps kommen kann. Ffir unsere experimentelle Prfifung verwandten wir dieselbe Untersuchungsmethode, wie wir sie bereits in dieser Wschr. (x935, 159) beschrieben haben. Auch bier wurde dutch 0,02 g lV~orphium tour. subcutan die Erregbarkeit des Atemzentrums herabgesetzt. "W&hrend bet der parenteralen Verabreichung des Analepticums registriert wurde, beobach- teten wit das Zustandekommen yon Atemvolumen nnd Frequenz~tnderungen, nachdem Cardiazol 3o, 65 und lO5 Mi- nuten in der Dosis yon je o,i g per os nach vorangegangener Morphiuminjektion verabreicht worden war. Die Intervalle wurden atso steigend aui 3 o, 35 und 4~ Minuten gew~hlt. Eine der Kurven, die sich alle im wesentlichen decken, bringen wit naehstehend: Cr I I "/MOO ~"~.. / I Ale/nyolumen I I '00 ~I0 ~0000 30 60 80 120 150 180 gYO~','z206 8U00. Abb, L Protrahierte Wirkung yon Cardiazol (nach oraler Vezabreichung) auf Minuten- volumen der Atmung II ) Atemvo]umen .... und Atemfrequenz ..... Nachdem dutch Morphium Atem- und Minutenvolumen um fiber 1/3 ihres Wertes vermindert wurden, beobachteten wir 3o Minuten nach Verabfolgung yon o,x g Cardiazol eine Rfickkehr des Atemvolumens auI den Ausgangswert bet geringer Zunahme der Atemfrequenz und damit Rfickkehr des Minutenvolumens der Atmung zum Ursprungswert. Ferner sahen wir, dab es dutch weitere Verabfolgung yon Cardiazol per os mit Abst~nden yon 35--4 o ~inuten gelingt, das Mi- nutenvolumen fiber 2 Stunden gesteigert zu erhalten, obgleich sowohl die Atemffequenz als auch das Atemvolumen starken Schwankungen unterworfen sind. Nach Absetzen des Cardiazols sinkt das Minutenvolumen langsam ab, die Morphiumwirkung, die etwa 6 Stunden anhMt, tritt wieder starker hervor; nach weiteren 21/2 Stunden ist eine Verminderung des Atemminuten- volumens yon etwa 25 % des Ausgangswertes erneut erreicht. Durch die Verabfolgung yon Cardiazol in den fiblichen therapeufischen Dosen yon o,x g per os mit l/zstfindigen Abst&nden Igl3t sich demnach eine protrahierte Wirkung erzielen. Dieses experimentell gefundene Resultat stimmt mit unseren klinischen Beobachtungen fiberein. (Aus dem Tuberkulose.Krankenhaus Heidelberg- Rohrbach [ Direktor : Doz. Dr. habil. Walter Schmidt] und de~ Tuberkulose-I"i~rsorge~t~lle Heidelberg [ehemaliger Direktor und leitender Arzt: Dr. H. Ste4- ninger] ,) PRAKTISCHE ERGEBNISSE. NEUERE ANSCHAUUNGEN 0BER DIE KNOCHEN- UND GELENKTUBERKULOSE. Von B. VALENTIN, Hannover. Es ist eine interessante, dankbare und lohnende Aufgabe, zu verfolgen, welche Wandlungen die Behandlung der Kno- chert- und Gelenktuberkulose in den letzten 50 Jahren durch- gemacht hat, wobei noch zu berficksichtigen ist, dab die in den einzelnen Lgndern eingeschlagenen Wege durchaus nicht immer die gleichen gewesen sind. Zur Erlguterung des Ge- sagten braucht man nut einige Namen zu nennen, um die verschiedenen Phasen der Entwicklung zu kennzeichnen: ~'RANZ KONIG, tier in den 8oer und 9oer Jahren des vorigen

Neuere Anschauungen über die Knochen- und Gelenktuberkulose

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Page 1: Neuere Anschauungen über die Knochen- und Gelenktuberkulose

lO92 KLINISCHE WOCHENSCIIRIFT. 16. JAHRGANG. Nr. 31 3~. JULI z937

kurve ffir den Ventilationssauerstoff zu erkennen. W~h- rend sie beim Gesunden unmit te lbar nach der Arbeit steil ansteigt, fehlt beim Kranken der Anstieg, im gegebenen Falle erfolgt sogar ein Absinken. Wenn es sich dabei lediglich um einen Hyperventilationseifek% handelte, wfirde ein Absinken der Kohlens~urekonzentration zu erwarten seth. Davon ist niehts zu erkennen. Die Ursache der sehlechteren Sauerstoif- ausnutzung muB auf einem Mil3verh&ltnis zwischen der Stei- gerung der Ventilation und der des Herzminntenvolumens beruhen. Die Kurve fiir die Konzentrat ion der Kohlens~ure der Ausatmungslui t verl~uft beim Herzkranken viel ebener Ms beim Gesunden, bei dem sie mi t der Arbeit deutlieh ansteigt.

Die letzte Kurve s tammt yon einem 63jghr. Manne, der fiber gelegentliehen Luftmangel bet st~rkeren Anstrengungen klagte. W~hrend der klinischen Beobachtung war eine Ar- beitsdyspnoe nicht nachweisbar, auch fehlten andere De- kompensationserscheinungen. Lediglich im Ekg. konnie eine Herzmuskelsch~digung nachgewiesen werden. Am Gaswech- selschreiber zeigte der Pat ient im Arbeitsversneh jedoeh ein Verhalten, das dem des Herzkranken (Kurve 2) in vielen Punkten ~hnelt. Die Erholungszeiten sind verl~ngert, der Venfilafionszuwachs erheblich gr6Ber, die Sauerstoifschuld erh6ht. Die Sauerstoffausnutzungskurve steigt nach Beginn der Arbeit zwar an, der Anstieg erreicht abet bet weitem nicht die H6he des Gesunden. Die Kohlens~urekonzentra- tionskurve verl~uft wie beim Herzkranken ilach.

Diese aus ether Zahl yon 5o Untersuchungen an Gesunden und Herzkranken mit und ohne klinisch nachweisbare De- kompensationserscheinungen ausgewghlten • Bei- spiele lassen erkennen, in welcher Weise die St6rungen im Gaswechsel sich bemerkbar machen. Die Erweiterung der Untersuchungen auf eine gr6Bere Zahl yon Pat ienten wird es -delleicht erIauben, das normale und pathologische Verhalten durch Ermi t t lung yon Grenzwerten auch quant i ta t iv sehgrfer zu trennen. Dam it k6nnte im Einzelfall die auch gerade in der Invalidenversicherung wichfige Frage naeh der Leistungs- f~higkeit des Kreislaufes genauer beantwortet werden. (Aus der Medizinischen Klinik G6ttingen [Dires Pro], Dr. H, Straub].)

0BER DIE PROTRAHIERTE WIRKUNC- VON CARDIAZOL AUF DAS ATEMZENTRUM DES MENSCHEN.

V o n

E . GAUBATZ, und H. S T E I N I N G E R , Oberarzt am Tuberkulose-Kranken- jetzt LeRer der Tuberkulose-

hans Heidelberg-Rohrbach, F~rsorgesteIIe Konstanz.

Nachdem in dieser Wschr. (x935, 159 u. 827) fiber die Wirkung des Cardiazols aui das Atemzentrum nach subcutaner und intravenSser Applikation berichtet wurde, sollen zur Ver- vollst~ndigung dieser Feststellungen auch die Ergebnisse der Wirkung des Cardiazols nach oraler Verabiolgung bekannt- gegeben werden. Diese Anwendungsweise tri t t , wenn es sich um schwere Sehgdigungen des Atemzentrums handelt , gegen- fiber der parenteralen allerdings bedeutend zurfick. Jedoch interessiert uns hierbei insbesondere die Frage, inwieweit es gelingt, dutch wiederholte Verabreichung oraler Gaben zu einer protrahierten Wirkung zu kommen.

DaB Cardiazol bet oraler Verabfolgung im Magen gut resor- biert wird, ist dutch verschiedene Yersuche erwiesen (H~Lmg- S~A~D, SC~O~N U.a.). PICkLeR gibt 7--~o Minuten nach Verabiolgung per os einen naehweisbaren Eifekt an.

Ungef~hr nach derselben Zeitspanne beobachtet man nach der Verabfolgung • Dosen yon Cardiazol beim Menschen eine entsprechende Wirkung auf die Atmung, ohne da6 besondere Begleiterscheinungen festzustellen w~ren. 13ei gr6Beren Dosen wird das Atemzentrum zungchst stark erregt (vertiefte rasehe Atmung), w~hrend es spater unter unseren Versuchsbedingungen am I(nippingschen Spirometer zu Schweil3ausbruch und unter Umstgnden sogar zum Kollaps kommen kann. Ffir unsere experimentelle Prfifung verwandten wir dieselbe Untersuchungsmethode, wie wir sie bereits in dieser Wschr. (x935, 159) beschrieben haben. Auch bier wurde dutch 0,02 g lV~orphium tour. subcutan die Erregbarkeit des Atemzentrums herabgesetzt. "W&hrend bet der parenteralen Verabreichung des Analepticums registriert wurde, beobach- teten wit das Zustandekommen yon Atemvolumen nnd Frequenz~tnderungen, nachdem Cardiazol 3o, 65 und lO5 Mi- nuten in der Dosis yon je o,i g per os nach vorangegangener Morphiuminjektion verabreicht worden war. Die Intervalle wurden atso steigend aui 3 o, 35 und 4 ~ Minuten gew~hlt.

Eine der Kurven, die sich alle im wesentlichen decken, bringen wit naehstehend:

Cr I I "/MOO

~ " ~ . . / I Ale/nyolumen I I '00 ~I0

~000 0 30 60 80 120 150 180 gYO~','z206

8U00.

Abb, L Protrahierte Wirkung yon Cardiazol (nach oraler Vezabreichung) auf Minuten- volumen der Atmung I I ) Atemvo]umen . . . . und Atemfrequenz . . . . .

Nachdem dutch Morphium Atem- und Minutenvolumen um fiber 1/3 ihres Wertes vermindert wurden, beobachteten wir 3o Minuten nach Verabfolgung yon o,x g Cardiazol eine Rfickkehr des Atemvolumens auI den Ausgangswert bet geringer Zunahme der Atemfrequenz und damit Rfickkehr des Minutenvolumens der Atmung zum Ursprungswert. Ferner sahen wir, dab es dutch weitere Verabfolgung yon Cardiazol per os mi t Abst~nden yon 35--4 o ~ i n u t e n gelingt, das Mi- nutenvolumen fiber 2 Stunden gesteigert zu erhalten, obgleich sowohl die Atemffequenz als auch das Atemvolumen starken Schwankungen unterworfen sind. Nach Absetzen des Cardiazols sinkt das Minutenvolumen langsam ab, die Morphiumwirkung, die etwa 6 Stunden anhMt, t r i t t wieder starker hervor; nach weiteren 21/2 Stunden ist eine Verminderung des Atemminuten- volumens yon etwa 25 % des Ausgangswertes erneut erreicht.

Durch die Verabfolgung yon Cardiazol in den fiblichen therapeufischen Dosen yon o,x g per os mit l/zstfindigen Abst&nden Igl3t sich demnach eine protrahierte Wirkung erzielen. Dieses experimentell gefundene Resultat s t immt mit unseren klinischen Beobachtungen fiberein. (Aus dem Tuberkulose.Krankenhaus Heidelberg- Rohrbach [ Direktor : Doz. Dr. habil. Walter Schmidt] und de~ Tuberkulose-I"i~rsorge~t~lle Heidelberg [ehemaliger Direktor und leitender Arzt: Dr. H. Ste4- ninger] ,)

PRAKTISCHE ERGEBNISSE. NEUERE ANSCHAUUNGEN 0BER DIE KNOCHEN-

UND GELENKTUBERKULOSE. Von

B . V A L E N T I N , Hannover .

Es ist eine interessante, dankbare und lohnende Aufgabe, zu verfolgen, welche Wandlungen die Behandlung der Kno-

chert- und Gelenktuberkulose in den letzten 50 Jahren durch- gemacht hat, wobei noch zu berficksichtigen ist, dab die in den einzelnen Lgndern eingeschlagenen Wege durchaus nicht immer die gleichen gewesen sind. Zur Erlguterung des Ge- sagten braucht man nu t einige Namen zu nennen, um die verschiedenen Phasen der Entwicklung zu kennzeichnen: ~'RANZ KONIG, tier in den 8oer und 9oer Jahren des vorigen

Page 2: Neuere Anschauungen über die Knochen- und Gelenktuberkulose

3i. JULI 1937 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 16. J A H R G A N G . Nr. 31 lO93

Jahrhunderts in seinen grundlegenden, auch heute noch lesenswerten Abhandlungen ein operatives, zum mindesten ein akfiveres Vorgehen ver t ra t und dessen Anschauungen lange Zeit als gfiltig anerkannt wurden. Noch I9 I I schlug B2f3TTNER vor, bei Gelenktuberkulose extrakapsul~re Resek- tionen mit naehfolgender freier Gelenktransplantation zu machen. Ein Umschwung wurde in die Wege geleitet durch die beiden Schweizer BER_~I~ARD und ROLLIER, welchen das Verdienst zukommt, darauf hingewiesen zu haben, dab der Allgemeinbehandlung, namentlieh der Heliotherapie der Vor- rang gebfihrt gegenfiber der chirurgischen Behandlung des lokalea Krankheitsherdes. W~thrend die Operation bewul3t und beabsichtigt eine Ankylose, also eine Zerst6rung der Gelenkfunktion herbeiffihrt, glaubten die Anhfinger der Sonnenbehandhmg, namentlich ROLLIER und KISClL eine Ausheilung mit mehr oder weniger vollst~ndiger Erhal tung und sogar W'iederherstellung der Gelenkbeweglichkeit er- zielen zu k6nnen. A. BIER ging in seinem Referat auf dem 45. Chirurgen-Kongrel3 1921 so weit, zu behaupten, ,,dab die ehirurgische (d. h. die operative) Behandlung der sog. chirurgi- schen Tuberkulose einschlieBlich der der Knochen und der Gelenke ihre Berechtigung verloren hat wegen der ausgezeich- helen Erfolge der konservativen 13ehandlung, mit tier die erstere nicht im entferntesten wetteifern kann". Aber gerade dieser Chirurgen-Kongrel3, auf dem FRITZ K6NIG das Kor- referat: Die operative Behandlung der chirurgischen Tuber- kulose, hielt, ebenso die 44. Tagung der Vereinigung nordl westdeutscher Chirurgen im Juni 1932 zeigte deutlich, wel- ches der allgemeine Standpunkt, und zwar nicht nur in Deutschland ist. Danach wird die rein konservative ]3ehand- lung der Knochen- und Gelenktuberkulose abgelehnt, in ge- eigneten FMlen t r i t t die Operation, vor allem die Resektion, in ihr Recht. Der Gipsverband, den BIER ebenso wie andere feststellende Verbiinde ,,g~nzlich verbannt" und ffir sch~d- lich h~tlt, ,,well sie zu Versteifungen der Gelenke ffihren", gilt heute noch als unentbehrlich. ,,Ich komme ohne Gipsverband ffir die Gelenktuberkulose an der unteren Extremit~tt, ffir das Knie, ffir die Hfifte nnd fiir das FuBgelenk nicht aus" (GARRY).

Gerade in letzter Zeit sind eine Reihe vorzfiglicher Bficher fiber die Knochen- und Gelenktuberkulose erschienen, die - - ganz gleichgfilfig, aus welcher Klinik sie stammen - - ziemlich fibereinstimmend eine Mittelstellung einnehmen (OEHLECKER 1924, JOHANSSON 1926, JS~REVlER and ~WIESE I93 o, CLAIR- MONT, WINTERSTEIN und DIMTZA 1931, SORREL und SORREL- D/~JERINE 1932 , ~'LEScH-THEEESIUS 1933).

Wenn man nun den Grfinden nachgeht, die zu einer so einheitlich ablehnenden Hal tung der rein konservativen Therapie gegenfiber geffihrt haben, so kommt man ohne wei- fetes zu all den Problemen, die auch heute noch der Beant- wortung barren. Im Vordergrund steht bier die Schwierigkeit der Diagnose. Denn was nfitzen uns alle t~erichte fiber diese oder jene Art der Behandlung, was sagt uns eine Statistik mit soundsoviel Heilungen, wenn nicht einwandfrei aus dem Bericht oder aus der Statistik hervorgeht, ob und wie die Diagnose Tuberkulose sichergestellt ist. Und bier wirken zweifellos die Zahlen, die uns FEAZqZ K6Nm und andere Ver- treter der operativen Pdchtung gaben, fiberzeugender als die Angaben fiber ErfoIge der rein konservativen Therapie. Denn das durch Operation gewonnene Material kann jederzeit der makro- und mikroskopischen Untersuchung zugeffihrt und so die Diagnose gekl~rt bzw. gesichert werden. DaB allerdings mitunter auch ffir den Pathologen die Entscheidung bei klinisch sicherer Tuberkulose Schwierigkeiten bereiten kann, zeigt ein yon mir bereits andernorts ver6ffentliehter Fall ~.

18 Jahre, Fistelbildung am rechten Knie, R6ntgenbild zeigt schwere Zerst6rung. Wegen Eiterung (Mischinfektion) und Ver- schlechterung des Allgemeinbefindens Amputation im Oberschenkel, die gut vertragen wurde. SpMer an Lungentuberkulose in einem Tuberkulosekrankenhaus gestorben. Das ganze amputierte Bein (also nicht nut ein exstirpiertes Strick aus dem Kniegelenk) wurde dem Pathologischen Institut G6ttingen fibersandt, welches im i. and 2. Bericht sehrieb: ,,Stellen, die auf Tuberkulose verd~chtig w~ren, werden nicht gefunden. -- Die Diagnose: Fung6se tZnie- gelenkstuberkulose hat sich nieht best~ttigt. -- An Stricken, die

neuerlich untersucht wurden, l~Bt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt ffir Tuberkulose gewinnen." Da wir uns dabei nicht beruhigen konnten, schrieb ich dem Pathotogen, dab der Fall sich vielleicht so erkl~ren lasse, dab durch die Sekund~rinfektion die Tuberkulose flberwnchert sei. Darauf erhielt ich yon Prof. GRUBER folgenden Brief: ,,Zum rechten Knie des Jringlings Hermann O. kann ich nut noch einmal sagen, dab es uns vorl~ufig unm6glich ist, im Bereich des abgesetzten Knies eine Tuberkulose nachzuweisen. Ich will nicht bestreiten, dab bier vielleicht durch sekundare Eiterinfel/tion die Tuberkulose riberdeckt und sozusagen verdrSngt, gleichsam weggefressen wurde, obwohl dieses nicht unseren Erfahrungen entspricht. Aber ich meine, die Dentung w~re auch anders herum mSglich: Es kann doch ein schwer an den Lungen leidender, und zwar tuberkul6ser Schwindsfichtiger an anderer K6rperstelle aueh einen Prozel3 haben, der nicht durch Tuberkulose veranlaBt ist. Warum soll nicht dieser Mann eine langwierige, yon einem Schleim- beutel ausgehende, rein eitrige Affektion dieser Gegend des Knies gehabt haben ? Wir werden noch einmal, wieder an anderer Stelle, an dieses Knie herangehen und versuchen, ob wir nicht doch noch die Tuberkulose finden. Und wir werden uns nicht sch~men, Ihnen unser Ergebnis mitzuteilen." Einige Tage sp~ter erhielt ich folgenden Bescheid: ,,Die nochmalige Untersuchung des Knies yon Hermann O. ergibt heute eine typische Tuberknlose. Atler- dings ist es auffallend, dab die Tuberkeln in einem auBerordentlich vitalen und gefi~Breichen Granulationsgewebe gelegen sind. Sie zeigen nut geringe Tendenz zur Verk~sung. Der Befund ist ~flr uns auBerordentlich lehrreich, da er zeigt, wie bei einer solchen Tuber- kulose offenbar ein unspezifisches, vitales Granulationsgewebe quantitativ sehr in den Vordergrund treten kann, im Falle einer sekundgren Infektion ganz besonders."

Aus dem bisher Gesagten wird es verst~ndlich, wenn man behauptet: Alle Statistiken fiber die Dauererfolge der rein konservativen Behandlung sind an Zuverl/~ssigkeit nicht mit den anderen zu vergleiehen, und so erkl~rt sich auch der gro/3e Unterschied in den Angaben fiber die Heilung der Knochen- und Gelenktuberkulose aus den einzelnen Kliniken. LUDLOFF hat einmal folgenden Satz gepr~.gt: ,,Bei der Kno- chentuberkulose k6nnen wit geheilt oder nicht geheilt erst entscheiden, wenn der Betreffende gestorben und seziert ist ."

Es erhebt sich hier ohne weiteres die Frage: "vVieweit ge- lingt es, mit Sicherheit oder wenigstens mit VVahrscheinlich- keit die Diagnose einer IZnochengelenktuberkulose auch ohne operativen Eingriff zu stellen ? Denn mit der Beantwortung dieser Frage h~ngt ja nicht nut die einzusehlagende Therapie, sondern auch das zusammen, was wit oben yon der Zu- verl~Lssigkeit der Statistiken fiberhaupt gesagt haben. Auch hier ist es niitzlich, Rfickschau zu hal ten; dbnn darfiber braucht man nicht viel Worte zu verlieren, ~m zu beweisen, dab es durch die Einffihrung der R6ntgenstrahlen in die Diagnostik gelang, eine Reihe yon 1Krankheitsbildern abzu- sondern, die frfiher als Tuberkulose aufgefal3t und in der Statistik mitgez/ihlt wurden, so dab sich notgedrungen ein falsches Bild ergab. In erster Linie ist hier an die Perthes- sche Krankheit (Osteochondritis deformans jnvenilis eoxae) zu denken und an die anderen, in das gleiche Kapitel ge- h6renden Wachstumsst6rungen, wie die K6hlersche Er- krankung des Os naviculare, die Adolescentenkyphose usw. Aber auch noch in neuerer Zeit, durch die Fortsehrit te in der Aufnahmetechnik (seidiche Aufnahmen der Wirbels~tule usw.) sind uns Entwicklungsst6rungen bekanntgeworden, yon denen feststeht, dab sie nichts mit Tuberkulose zu tun haben. Ich greife hier als Beispiele an der VVirbels/iule nur heraus: Die Vertebra plana, die 1924 yon CALVs erstmalig beschrieben wurde, die angeborene Gibbus- und die angeborene Block- wirbelbildung. Alle diese drei wurden so gut wie stets ffir eine Spondylitis tuberculosa gehalten~. Besser als viele Worte diene folgende t(rankengeschichte zum Beweis:

22i~hr., his datfin kerngesundes, sehr spordiches lV[~lchen, das ich schon seit l~ngerer Zeit kenne, erleidet einen geringffigigen Skiunfall; der sofort zugezogene Arzt eines groBen Sanatoriums fflr Knochen- und Gelenktuberkulose im I-Iochgebirge h~lt auf Grund des R6ntgenbildes eine Tuberkulose der Lendenwirbels~ule ffir ,,unzweifelhaft" nnd r~t den Eltern dringend zu einer l~ngeren Liegekur, nach deren ]3eendigung zu einem Sti~tzkorsett. In einer medizinischen Universiti~ts-Klinik wird eine Tuberkulose ausge- sehlossen und der ]3efund richtig als angeborene Blockwirbelbildung zwischen 9- und io. Brust- sowie zwischen 3. und 4. Lendenwirbel gedeutet. Dieser Deutung konnte ich reich nut ~nschliel3ea und

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riet der Pat., dab sie genau wie bisher leben und Sport treiben solle. Es ist jetzt I Jahr vergaugen, sie erfreut sick bester Gesundheit.

Das Fehlen eines Abscel3schattens h~tte den Sanatoriums- arzt, der die fatsche Diagnose stellte, stutzig machen mtissen; wissen wir dock durch die Untersuchungen yon TREGU~OW und SCHLAAP, daB, wenn man nur danach fahndet, dieser AbsceBschatten bet der tuberkul6sen Spondylitis stets im R6ntgenbild naehweisbar ist.

Auch die cystische Knochentuberkulose, wie sie genauer zuerst von KIENBOCIZ 1931, dann yon CAMPIGLIO und aus meiner Klinik yon STALMANN beschrieben wurde, sei hier erw~hnt. Diese seltene, noch wenig beschriebene Form der Tuberkulose kann leieht mit einer Ostitis fibrosa localisata Recklinghausen verwechselt werden, wie das nicht nut uns, sondern auch KIEXB6CK ergangen ist.

Abet nicht nut die R6ntgenstrahlen, so wichtig sie auch zur K15rung der DifferentiMdiagnose sein m6gen, haben uns weitergebracht, sondern auch die zahlreichen anderen Unter- suchungsmethoden, nicht zuletzt die IZenntnis der Erb- krankheiteu. Allerdings fehlt uns bisher noch eine Unter- suchungsreihe an Zwillingen mit chirurgischer Tuberkulose, entsprechend der Reihe, die yon DIEXL und v. VERSCI~UZR in ihren beiden Arbeiten an Kranken mit Lungentuberkulose in vorbildlicher Weise durchgefiihrt worden ist. Diese l?'or- scher kamen zu folgendem Ergebnis: ,,Der Unterschied zwi- schen ein- und zweieiigen Zwillingen in dem Verhalten gegen- fiber der Tuberkulose ist einzig und allein eine Folge der gleichen erblichen Veranlagung der eineiigen Zwillinge einer- seits und der Erbverschiedenheit der zweieiigen Zwitlinge an- derseifs. Dieser Unterschied im Tuberkuloseverhalten ist so groB, dab damit der eindeutige Beweis erbracht ist, dab die erbliche Veranlagung vo~ ~aflgebender Bedeu~ung fi~r die En~- stehung und den Ablau] der T~ber~lose ist." Wenn man auch wohl annehmen kann, daft die Knochen- nnd Oelenktuber- kulose sich ebenso verhalten wird, so mfiBte man doch diese nicht so schwierigen Untersuchungen durchffihren, schon um eine Best/~tigung der angef/ihrten /~rgebnisse zu haben. Ein Beispiel ans der eigenen Praxis mSge noch einmM unter- streichen, wie wichtig die Kenntnis und Erhebung des Stamm- baumes nnter UmstXnden sein kann:

9j~hr. Junge, seit mehreren Jataren wegen ,,Knietuberkulose" in Behandlung. Einer der behandelnden Nrzte, dem wit die richtige Diagnose: ,,Gelenkerkrankung bet H~tlImphilie" mitteilten, schrieb uns : ,,Bet Hubert G. habe ich nicht an H~mophilie gedacht, sondern an Tuberkulose, zumM ein mir bekannter Bruder desselben all Tuber- knlose leidet". In Wirklichkeit hatte dieser ~ltere Bruder genau die gleichen typischen Gelenkver~nderungen bet H~mopMlie. Der Irrtnm des Arztes war durchaus verzeihlich, dentl dieser Bruder wax ~ahretang in einer der grOgten and bekanntesten Heilst~tten far Knochen- und Gelenktuberkulose in der Schweiz behandelt worden; auf unsere Anfrage erhielten wir yon dort den Bescheid, ,,dab Hein- rich G. wegen tuberknlSsen Rheumatismus des rechten EIibogens and beider FfiBe in hiesiger Behandhng war". Ein weiterer 13ruder wurde im Alter yon 2 Jahren wegen ,,Tuberkulose des Ellbogenge- lenks" in einem groBen I~rankenhaus behandelt. Nach einer Punk- tion zeigten sich starke YerXnderungen in GestMt yon Hautblu- tungen, dazu traten starke Blutungen aus den Schleimh~uten. Das Kind ist dann noch im Laufe des 2. Lebensjahres gestorben (es handelte sick um eln Zwillingskind, wghrend die Zwillingsschwe- ster gesund ist).

Bet allen 3 Brfidern ist die Vorgeschichte die gleiche: Ohne er- sichtlichen Grand, meist nach geringftigigem Trauma, pl6tzlich schmerzhafte Anschwellungen verschiedener Gelenke, besonders der 1Kniegelenke; diese Schwellungen gehen nach einigen Tagen unter Ruhigstellung zurfick, treten abet in Abst~nden immer wieder auf. H~ufig, insbesondere beim Zahnwechsel, Zahnfleischblutungen, die fiber Wochen und Monate andauerten, oft nut in ~'orm yon Sickerblutungen. Aus dem Stammbaum ergibt sick, dab die GroB- mutter mfitterlicherseits aus einer Bluterfamilie stammt. Der Bruder der GroBmutter ist mit 4 Jahren an einer geringffigigen Verletzung verblutet.

Zusa~r~menge]a[3t kann man sagen, dab die bet allen drei Brfidern f~lschlich gestellte Diagnose ,,Tuberkulose" sick h~tte vermeiden lassen, wenn man die bet Mien dreien typische Vorgeschichte und den ftir die H~mophilie ebenfMls typischen Stammbaum gekannt, d .h . genauer erforscht hS.tte.

Aber die bisher angeffihrten Beispiele sind - - das wird man mit Recht einwenden - - seltene Ausnahmef~tle. ~Vie steht es nun mit der groBen Mehrzahl der taglich zur Ent- scheidung dr~ngenden F~lle von IZnochen- und Gelenktuber- kulose ? Gelingt es bier, mit t t i lfe der vielen, seit langer Zeit eingeffihrten und vielf~ltig erprobten Untersuchungsmethoden (bakteriologische, cytotogische, Tierversuche, Tuberkulin- proben usw.) zu einer sicheren Diagnose zu kommen? Bet der Beantwortung dieser ]?rage kann man an den auger- ordentlich grfindlichen, exakten and sorgf~tltigen Arbeiten, die in letzter Zeit aus den nordischen L~ndern ersehienen sind, nicht vorfibergehen. In erster Linie sind bier 2 Namen zu nennen: SVEN JOHANSSON und HALFDAN SITNDT. JOHANSSON s verdanken wir ein Buch, das zu den besten geh6rt, die fiber chirurgische Tuberkulose erschienen stud. Er hat darin einen Bericht ers tat tet fiber die F~lle yon Knochen- und Gelenk- tuberkulose im KindesMter, die im Bereich der Stadt Goten- burg in der Zeitspanne yon 14 Jahren, 19o9--1923, zur Be- handlung gekommen und yon ibm selber nachuntersucht worden sind. Eine solche Frequenzuntersuchung, die sich fiber eine l~ngere Reihe yon Jahren erstreckt, existiert bisher noch fiir kein anderes Land. Auf Grund seiner reichen Er- fahrungen kommt JOHANSSON ZU folgendem Schlul3: ,,Es bleibt framer noch eine Reihe yon Fallen fibrig - - besonders gilt dies ffir tI i if t- and Kniegelenk -- , w o e s unmSglich ist, die Diagnose mit Sicherheit zu stellen, sondern die Frage offengelassen werden mug." Nach ihm ,,sind die Hfift- gelenkIeiden bet Kindern bedeutend weniger oft, aIs man friiher glaubte, tuberkul6ser Natur. - - Tats~chlich wtirden die tuberkul6sen Coxitiden kaum die H~Ifte der hgufigsten im Kindesalter vorkommenden Hfiftkrankheiten ausmachen. - - Auch betreffs der Kniegelenkaffektionen im KindesMter mug man in vielen F~llen die Frage offenlassen, ob die Sym- ptome auf Tuberkulose beruhen oder nicht ." JOHANSSON schl~tgt deswegen vor, eine Gruppe yon Krankheiten abzu- sondern, die er Coxifis bzw. Gonitis incertae causae nennt. Auch SUNDr der in Norwegen ein Ktistensanatorium letter, land unter den im Laufe yon 2o Jahren dort aufgenommenen 329 Fallen chronischer Gonitis I15 ~ -35% Ms nichttuber- kulSser Natnr bet kritischer Verwertung Mler diagnosfischen Methoden. Bet diesen Zahlen muB man bedenken, dab es sich schon um ein ausgesuchtes Material handelt, denn fast Mle Kranken, auch die 35 % nichttuberknl6sen, waren wegen ihrer angeblichen Tuberkulose in das Kfistensanatorium ge- schickt worden. ,,Allen diesen, sowohl den bekannten wie den bisher unbekannten Kniegelenkleiden gemeinsam ist ihre klinische, in vielen Fallen auch r6ntgenologisch his zum Ver- wechsein ausgesprochene Nhnlichkeit mit der tuberkul6sen Gonitis. - - Auch andere Leiden als Tuberkulose und Syphilis kSnnen das ganz !dassische Bild eines Tumor albus Genus sowohl bet IQndern wie bet Erwachsenen hervorrufen." So kommt SUNDr 4 zu dem SchluB, dab ,,die tuberkul6se Knie- gelenkerkrankung erheblich weniger h~ufig ist, Ms man Irfiher, j a sogar bis in die letzten Jahrzehnte hinein, angenommen hat. Andere Autoren kommen bet kritischer Durchsicht ihres Ma- terials zu ~hnlichen Erkenntnissen, so CLAIRMONT: , ,gs war uns eine Uberraschnng, sehen zu mtissen, dab die Diagnose, nnd namentlich die Frfihdiagnose, noch ganz im argen liegt. - - Zu Beginn der Spondylitis l~tBt die R6ntgenuntersuchung oft im Stich. Bet 9o % unserer Kranken ergab das RSntgen- bild erst nach einj~hriger Krankheitsdauer erkennbare Ver- anderungen. --- W'ir sind fiberzeugt, dab im Bereiche der Hfifte framer Beobachtungen gemacht werden k6nnen, die nach allen ~berlegungen, nach l~ngerer Beobachtung und anl~Blich sp~teren Nachuntersuchungen diagnostisch unklar bleiben."

Und gerade in den lefzten Tagen ist wieder eine vorzfig- liche Arbeit aus der Feder SUNDTS erschienen, die neues Licht in ein bisher recht amstri t tenes and unklares Gebiet wiri t und Zusammenh~nge aufdeckt, die bisher mehr geahnt Ms gesichert waren. SUNDT konnte ~ F~lle yon Sfillscher tqrank- heft jahrelang klinisch genau beobachten, auch histologisch untersuchen und .so mit Sicherheit auf ihre tuberkul6se In- fektion zurfiekffihren. Die Stillsche Krankheft geh6rt ja zweifellos in das Kapitel der prim~ren chronischen Poly-

Page 4: Neuere Anschauungen über die Knochen- und Gelenktuberkulose

3I. JULI I937 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . i6. J A H R G A N G . N r . 3I Io95

a r t h r i t i s des K i n d e s a l t e r s ; ob es b e r e c h t i g t ist, sie als eine eigene K r a n k h e i t abzus onde r n , h le ibe dah inges t e l l t u n d i s t in d iesem Z u s a m m e n h a n g unwich t ig . Auf j e d e n Fa l l ge lang es SUNDT, eine fes te Brf icke zn sch lagen yon de r Tube rku lo se zu r Po lya r th r i t i s , wie es se inerze i t s chon PONC~T v o r g e s c h w e b t has te . SUNDr ~ faB~ die St i l lsche Krankhe i~ au f ,,als A u s d r u c k e iner unspezi]ischen i~]larnma~orischen Tuberku lose (Po~cE , ) , die in p a t h o g e n e t i s c h e r Bez i ehung a m na t f i r l i chs t en u n t e r d e m Ges ich t swinke l e iner eigenartigen, auf konsti~utionellen Verhg l tn i s sen b e r u h e n d e n allergischen Reaktion b e t r a c h t e t werden ran13". ]3isher s ind n u r ganz v e r s c h w i n d e n d wenige F~lle yon t u b e r k u l 6 s e m G e l e n k r h e u m a t i s m u s (Pozqc~T) be- k a n n t g e w o r d e n , wo de r Nachwe i s de r T ube rku lo se h i s to - logisch gelang~. Von h i s t o r i s chem In te re s se df i rf te es sein, d a b eine de r e r s t en A r b e i t e n f iber dieses Geb ie t schon 1864 e r sch ienen ist , u n d zwar yon k e i n e m Ger inge ren als yon Is

H ins i ch t l i ch der B e h a n d l u n g s t e h e n die be iden no rd i schen F o r s c h e r au f d e m schon v o r h e r kurz sk izz ie r ten S t a n d p u n k t , d e m JOtIANSSON fo lgende rn l agen A u s d r u c k ve r l e ih t : , ,Die me i s t en Ch i ru rgen u n d O r t h o p ~ d e n in den vier no rd i schen L&ndern hu ld igen be t re f f s der K n o c h e n - n n d G e l e n k t u b e r - knlose e iner Auffassung , die m i t de r j en igen de r Mehrzah l de r F a c h g e n o s s e n in a n d e r e n L&ndern in ro l l e r U b e r e i n s t i m - m u n g i s t . " I m Gegensa tz zu t3I~R u n d KlSCI~, de ren Ver- f a h r e n a u c h sons t e iner I~-i t ik u n t e r z o g e n wird, wird m i t R e c h t h e r v o r g e h o b e n , dal3 ein P a t i e n t m i t e inem empf ind- l ichen, e twas bewegl ichen Gelenk sch lech te r d a r a n is t als de r m i t e inem in gu t e r S te l lung gehei l ten , schmerzf re ien , an- ky lo t i schen .

H ie r sei noch e iner B e h a n d l u n g s a r t gedach t , die b i she r a n s c h e i n e n d n u r in de r H a n d des Verfassers se lber gu t e Re- s u l t a t e gezeig t h a t , nXmlich des yon v. FII'~CK a n g e g e b e n e n Ver fahrens , bei Spondy l i t i s d u t c h u n t e r g e s c h o b e n e W a t t e - k reuze bei v o l t k o m m e n e r F i x a t i o n n n d E n t l a s t u n g m i t Hilfe des best~tndig wi rkenden , allm~thlich ve r s tXrk ten Druckes den G i b b u s z u m V e r s c h w i n d e n zu b r ingen . Die einzige Arbe i t , die - - sowei t ieh die L i t e r a t u r fibersetle - - aus e iner a n d e r e n Kl in ik f iber die d a m i t e r r e i ch t en R e s u l t a t e be r i ch te t , i s t die yon NITSCI~n. N a c h i h m spie l t die D r u c k a t r o p h i e de r Dorn - fo r t sg tze bei der K o r r e k t u r des G ibbus eine sehr b e d e u t e n d e Rolle. ]3ei 66 % der n a c h der M e t h o d e v. FlrCCKS b e h a n d e l t e n K r a n k e n h a t s ich bei de r N a c h u n t e r s u c h u n g die e r r e i ch t e G i b b u s k o r r e k t u r e rha l t en , bei 34 % h a t de r G ibbus t r o t z de r M e t h o d e z u g e n o m m e n .

U n d n u n z u m SchluI3 n o c h einige W o r t e f iber die F r a g e : Wo sollen K i n d e r - - d e n n me i s t ens h a n d e l t es sich j a u m

K i n d e r - - m i t t ( n o c h e n - u n d G e l e n k t u b e r k u l o s e u n t e r g e b r a c h t werden? I n l e t z t e r Zei t i s t yon v e r s c h i e d e n e n Sei ten diese F r a g e a n g e s c h n i t t e n worden, d a e s b i she r an gee igne ten M6g- l i chke i t en de r U n t e r b t i n g u n g m a n g e l t ; ein solches Z e n t r u m , wie e twa B e r c k s .M. , h a b e n wir in D e u t s c h l a n d n i ch t . Noch I933 b e t o n t e STICH~: , , . . . d a n n h a b e ich doch den e r s ch f i t t e rnden E i n d r n c k , da13 ge rade ffir unse re u n b e m i t t e l - t en ch i ru rg i schen T u b e r k u l 6 s e n bei uns in D e u t s c h l a n d noch viel zn wenig geschieht , viel weniger j edenfa l l s als ffir die h e u t e gu t ve r so rg te L u n g e n t u b e r k u l o s e . " E r f o rde r t die Scha f fung yon Spez ia lhe imen. J~hnliche F o r d e r u n g e n h a t t e ich schon 1928 aufges te l l t : M a n soil K i n d e r m i t K n o c h e n - u n d G e l e n k t u b e r k u l o s e bei l~ngerer t 3 e h a n d l n n g s d a u e r n u r da u n t e r b r i n g e n , wo GewXhr gegeben ist, d a b sie n i c h t m i t E r w a c h s e n e n zusammenl i egen . Solche K i n d e r geh6ren in be- sondere IZ~rankenh~nser, in I~r t ippelhe ime oder wen igs t ens in a b g e s o n d e r t e A b t e i l u n g e n an g r68e ren Krankenh~Lusern, wo n e b e n den E i n r i c h t u n g e n ffir eine neuze i t l i che B e h a n d l u n g (Sonnenba lkons usw.) auch die M6gl ichke i t e iner Schul- u n d B e r u f s a u s b i l d u n g b e s t e h t . Zu e m p f e h l e n w~re, d a b in j e d e m gr6/3eren Bez i rk eine solche A n s t a l t e r r i c h t e t wird, u n d dal3 - - genau so wie die L u n g e n t u b e r k n l 6 s e n in e ine Lungenhe i l - s t ~ t t e - - a u c h die P a t i e n t e n m i t T u b e r k u l o s e de r K n o c h e n u n d Gelenke ohne wei teres in solche A n s t a l t e n f iberwiesen werden 8.

Meine A u s f i i h r n n g e n so l l t en a n H a n d y o n e in igen Pro - b l e m e n zeigen, wo die F o r s c h u n g fiber die K n o c h e n - a n d Ge- l e n k t u b e r k u l o s e h e u t e s t eh t . Zu wf inschen ware, daB, ebenso wie in den no rd i schen LXndern, so a u c h ande rwar t s , die U n t e r s u c h u n g e n so e x a k t du rchge f i i h r t n n d die au f diese Weise g e w o n n e n e n Zah len b e k a n n t g e g e b e n wfirden. D a n n k 6 n n e n wir hoffen, d a b es in n i c h t allzu f e rne r Zei t gel ingen wird, den oben ange f f ih r t en Sa tz LlJI)I~OylrS, de r in se inem wohI b e r e c h t i g t e n Pes s imi smus n n d se iner d a r i n z u m Aus- d r u c k k o m m e n d e n K r i t i k h e u t e n o c h de r W a h r h e i t n a h e - k o m m t , umzusto l3en a n d als n n b e r e c h t i g t h inzus te l l en . Ge- l ingen wi rd das a b e t e r s t d a n n , w e n n es m6gl i ch ist, die Dia- gnose viel frf iher als b i she r zu s ichern. D e n n s e lb s tve r s t~nd - l iche Voraus se t zung f fir jede Therapie , sei sie n u n o p e r a t i v e r oder k o n s e r v a t i v e r 24~rt, i s t u n d b l e ib t die genaue Diagnose .

L i t e r a t u r : ~ VAL~NZlN, Dtsch. reed. Wschr. ~934, I386. - - 2 VAL~CTIN u. PUTSCHAR, Z. orthop. Chir. 64, 338 (1936). - - ~ ~)ber die Knochen- und Gelenktnberkulose im Kindesalter. Jena 1926. --

Acta orthop, scand. (Kobenh.} 2, i (i931); 3, 97 (1932). - - ~ Acta orthop, scand. (Kobenh.) 7, 205 (1936) �9 - - ~ VALX~C~IX, Z. Tbk. 36, 336 (I922). -- ~ Mfinch. med. Wschr. 1933, 367. - - s Dtsch. t ierarztl . Wschr. 19~8, lO8 (Festschrift).

REFERATENTEIL. BUCHBESPRECHUNGEN.

Ergebnisse der allgemeinen Pathologie und pathologischen Ana- tomie des Menschen und der Tiere. Begr. v. O. LU]3ARSCH u. R. voI~ OSTERTAG. Hrsg. v. W. HU;ECK u. W. FREI . Bd. 32. Bearb. v. P. LEN(~E, G. OI~TMANN, E. RANDERATH u. F. ROULET. 45 tells farb. Abb. I94 S. Mfinchen: J . F . Berg- mann I937. RM. 36 .--.

In dem ]3ande sind abgehandelt : I. Das Verhalten der Binde- gewebsfasern unter normalen und pathologischen Bedingungen yon Roul.x,~, Davos. Grundlegend ist dabei die Ansicht, dab das Pro~oplasma un• geeigneten Bedingnngen Stoffe Iiefert, dutch welche die Umformurlg der eiweighaltigen intercellul~ren Masse oder Flfissigkeit erm6glicht wird. Ein 2. Tell, yon LXNEE, Zagreb, be- spricht seltene prim~re Lokalisationen melanotischer Tumoren (Prim~re Melauome des ZentrMnervensystems, der Leber und Gallen- wege und der Mundh6hle), mi t genauer Berficksichtigung des Schrif t tums nnd t~r6rternng der Entstehungsm6glichkeiten. Die 3. Arbeit s t ammt yon RA~DERAT~I, Dflsseldorf: Die Entwicklung der Lehre yon den Nephrosen in der pathologischen Anatomie. Pri- mar besteht eine Dnrchtrit ts~tnderung dutch die Glomerulus- capillaren, mit sekund~ren morphologischen Ver~nderungen an den Nierenepithelien nnd Glomerulis. Die 4. Arbeit, yon G. ORT~A~, Berlin, behandel t die Witterungseinflflsse auf den menschliehen Organismus. Behandelt werden Saisonerkrankungen, die Bioklima-

tik der Dorno-Strahlung, metereotrope Krankhei ten ohne Saison- gebundenhe i t und zum SchluB wird der Versuch einer Deutung der Befunde g e m a c h t Im Vordergrunde jeder Wettereinwirkung steht heute noch der vegetat ive Anfall, von dem aus es alle IJberg~nge bis zum Shock gibt. YV. FISCHER, Rostock.

Arbeit und Erniihrung. Yon F. BARTELS, R E I T E R , KREMER, SCHWEIGART, WIRZ, O. :r M. NOTHNAGEL, H. STEINWARZ, E. Freiherr yon O R G I E S - R U T E N B E R G und LUDOVICI. (Zbl. Gewerbehyg. I-trsg. v. d. Dtsch. Ges. f. Arbeits- sehntz. Beih. 25.) 87 S. Berlin: Julius Springer 1937. RM. 2.50.

Die Jahreshauptversammlung der Deutschen Gesellschaf~ ffir Arbeitsschutz h6rte namhaf te Fachleute zu dem Thema , ,Arbeit and Ern~hrung" . Da heute dieser Frage erh6hte Bedeutung zu- kommt, werden die u je tzt ver6ffentlicht. Reichsamtsleiter Dr. BARTELS weist die M6glichkeit einer Durchffihrung des Grund- satzes nach: Die Produktion des eigenen Bodens sowohl quanf i ta t iv wie qual i ta t iv mnB weitgehendst gesteigert werden, um dann aber vollkommen die Ern~hrung sicherstellen zu k6nnen. Professor Dr. R:EIT:ER zeigt die mannigfachen Beziehungen zwischen Ern~hrnng nnd Leistung und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Aufstellung einer ErnXhrungsbilanz, die gesundheitlich ausgerichtet sein muB, anf. Ministerialrat Dr. KREMER behandel t die sich aus der Frage Arbeitszeitregelung und Ernxhrung ergebenden gegens~tz-