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Rechtsphilosophie und Strafrecht in Deutschland und Korea Young-Whan Kim Studien zum Strafrecht 88 Nomos

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Rechtsphilosophie und Strafrecht in Deutschland und Korea

Young-Whan Kim

Studien zum Strafrecht 88

Nomos

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Studien zum Strafrecht Band 88Herausgegeben vonProf. Dr. Martin Böse, UniversitĂ€t BonnProf. Dr. Gunnar Duttge, UniversitĂ€t GöttingenProf. Dr. Dr. h.c. mult. Urs KindhĂ€user, UniversitĂ€t BonnProf. Dr. Claus Kreß, UniversitĂ€t KölnProf. Dr. Dr. h.c. Lothar Kuhlen, UniversitĂ€t MannheimProf. Dr. Ursula Nelles, UniversitĂ€t MĂŒnsterProf. Dr. Dres. h.c. Ulfrid Neumann, UniversitĂ€t Frankfurt a. M.Prof. Dr. Henning Radtke, UniversitĂ€t HannoverProf. Dr. Klaus Rogall, Freie UniversitĂ€t BerlinProf. Dr. Helmut Satzger, UniversitĂ€t MĂŒnchenProf. Dr. Brigitte Tag, UniversitĂ€t ZĂŒrichProf. Dr. Thomas Weigend, UniversitĂ€t KölnProf. Dr. Wolfgang Wohlers, UniversitĂ€t BaselProf. Dr. Rainer Zaczyk, UniversitĂ€t Bonn

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Young-Whan Kim

Rechtsphilosophie und Strafrecht in Deutschland und Korea

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ĂŒber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8487-4621-7 (Print)ISBN 978-3-8452-8853-6 (ePDF)

1. Auflage 2017© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von AuszĂŒgen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbestĂ€ndigem Papier.

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Vorwort

Dieser Sammelband enthĂ€lt AufsĂ€tze aus dem Zeitraum von gut dreißigJahren, die als BeitrĂ€ge zu einer Festschrift oder zu einer fachlichen Zeit-schrift bereits veröffentlicht wurde. Sein Hauptzweck besteht vor allemdarin, den deutschen Lesern die gegenwĂ€rtige Lage bzw. das Anspruchsni-veau der koreanischen Rechtswissenschaft kenntlich zu machen, zumalbislang keine einzige Monographie von koreanischen Rechtswissenschaft-lern in Deutschland publiziert wurde, auch wenn ihre einzelnen Arbeitenverstreut auffindbar wĂ€ren. In der Tat wurde das deutsche Recht in Korearezipiert und ĂŒbt immer noch einen starken Einfluss auf die koreanischeRechtwissenschaft aus. Dieser Rezeptionsvorgang, der teilweise ĂŒber dasRecht und die Rechtswissenschaft Japans vermittelt wurde, dauert nun-mehr seit mehr als hundert Jahren an.

Der Titel dieses Buches erweckt den Eindruck, als ob es sich hier umrechtsvergleichende Arbeiten handelte. Zwar ist es insoweit auch vonrechtsvergleichender Art, als ab und zu auf die deutschen Rechtswissen-schaftler oder die deutsche Rechtswissenschaft in Bezug genommen wird.Aber im Vordergrund steht eher das rein-rechtstheoretische Erkenntnisin-teresse. Unter diesem Gesichtspunkt lassen die hier vorgelegten Arbeiten– 6 rechtsphilosophische und 6 strafrechtliche – in drei Fragenkomplexeneinteilen. Im Zentrum des ersten Fragenkomplexes steht entweder derrechtsphilosophische Gedanke von bestimmten Rechtsphilosophen wieHans Welzel und Arthur Kaufmann oder das Grundprinzip des Strafrechtswie der Grundsatz des RechtsgĂŒterschutzes oder das Schuldprinzip. Hier-her gehört auch die Analyse der Verantwortungsstruktur der modernen Ri-sikogesellschaft oder die Darstellung der VergangenheitsbewĂ€ltigungdurch das Strafrecht. Der zweite Fragenkomplex, der mehr den Aspekt derRechtsvergleichung aufnimmt, betrifft den geschichtlichen Vorgang deskoreanischen Rechts wie die Rezeption des deutschen Strafrechts. In die-sen Zusammenhang einzuordnen ist auch die Frage nach der Methode desjuristischen Denkens in Korea, dessen theoretischen Kategorien vonDeutschland fĂŒr ihre Anwendung auf konkreten FĂ€lle ĂŒbernommen wer-den. Schließlich umfasst der dritte Themenkomplex einzelne rechtsdog-matische Probleme. Hier wird zunĂ€chst das VerhĂ€ltnis von Recht und Mo-ral im koreanischen Strafrecht anhand konkreter Beispiele illustriert.

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Zweitens wird das Thema der fehlenden Unrechtseinsicht diskutiert, dieim koreanischen Strafrecht aus dem Anwendungsbereich des Verbotsirr-tums herausgenommen wird. Drittens wird hier das Problem der Euthana-sie in Form der sog. passiven Sterbehilfe, die eigentlich den Verzicht auflebensverlĂ€ngernde Maßnahme bedeutet, anhand eines aktuellen Urteilserörtert.

Innerhalb der Themenkomplexe folgen die Texte einer chronologischenAnordnung. Abgesehen von der Berichtigung offensichtlicher Versehenssind die BeitrĂ€ge in der Originalfassung abgedruckt. Auch aus GrĂŒndender Originaltreue wird hier auf die Aktualisierung der Literatur verzichtet.

Am Schluss möchte ich vor allem meinen Freund Herrn Prof. Dr. Dres.h.c. Ulfrid Neumann, den ich schon seit meiner Promotion bei Herrn Prof.Dr. Dres. h.c. Arthur Kaufmann in MĂŒnchen kennengelernt habe und mitdem ich seither eng befreundet bin, fĂŒr seine tatkrĂ€ftige BemĂŒhung umdiese Veröffentlichung aus tiefem Herzen danken. Er hat mir nicht nurvorgeschlagen, den Band in dieser Schriftenreihe des Nomos-Verlags zuveröffentlichen. DarĂŒber hinaus hat er auch die mĂŒhsame Arbeit dersprachlichen Verbesserung wie der Korrektur der Texte geleistet. Ohneseine wertvolle Hilfe wĂ€re die Veröffentlichung dieses Bandes kaum mög-lich gewesen. Mein Dank gilt auch Teams am Lehrstuhl von Prof. UlfridNeumann fĂŒr die Redakionsarbeit. Hier sei noch meine Dankbarkeit fĂŒrFrau Anne See erwĂ€hnt. Sie hat freundlicherweise das Gesamtmanuskriptdieses Buches erstellt.

Seoul, Juli 2017 Young Whan Kim

Vorwort

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Inhalt

Verzeichnis der AbkĂŒrzungen 9

RechtsphilosophieI.

Die Lehre von den sachlogischen Strukturen bei Hans Welzel(1989)

1.13

VergangenheitsbewĂ€ltigung durch das Strafrecht? Einigerechtsphilosophischen Reflexion ĂŒber die Frage nach derRechtsgeltung (1998)

2.

32

3. Über die Verantwortungsstruktur in der Risikogesellschaft (2010) 48

Die personale Rechtslehre von Arthur Kaufmann (2009)4. 67

Theorie und Praxis der juristischen Methodenlehre in Korea(2016)

5.78

Die gegenwÀrtige Lage der juristischen Methodenlehre in Korea(2016)

6.114

StrafrechtII.

Zur fehlenden Unrechtseinsicht im Strafrecht (2001)7. 137

UnzeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen zum Schuldgrundsatz imStrafrecht? (2005)

8.158

Die gegenwĂ€rtige Diskussion um die Sterbehilfe in Korea –anhand eines aktuellen Falles (2011)

9.176

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Das VerhĂ€ltnis von Recht und Moral – am Beispiel deskoreanischen Strafrechts (2012)

10.195

Rezeption des deutschen Strafrechts in Korea (2012)11. 210

Verhaltensdelikte versus Rechtsgutsverletzung; Zur aktuellenDiskussion um einen materialen Verbrechensbegriff (2012)

12.227

Quellenverzeichnis 251

Inhalt

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Verzeichnis der AbkĂŒrzungen

Anm. AnmerkungARSP Archiv fĂŒr Rechts- und SozialphilosophieAT allgemeiner TeilAllg. T. allgemeiner TeilAufl. AuflageAz. AktenzeichenBd. BandBGH BundesgerichtshofBGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsa-

chenders. derselbeDGHS Deutsche Gesellschaft fĂŒr Humanes SterbenE 1960 Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) mit Be-

grĂŒndung. 1960f. ff. folgende Seite bzw. SeitenFn. FußnoteGA Goltdammer ’s Archiv fĂŒr StrafrechtHrsg. HerausgeberJR Juristische RundschauJZ JuristenzeitungKritV Kritische Vierteljahresschrift fĂŒr Gesetzgebung und

RechtswissenschaftKStGB Koreanisches StrafgesetzKverfG Koreanisches VerfassungsgesetzNJ Neue JustizNJW Neue Juristische WochenschriftNK-Bearbeiter Nomos KommentarNStZ Neue Zeitschrift fĂŒr StrafrechtOberster Gerichts-hof

Entscheidungen des koreanischen obersten Gerichts-hofs

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Rechtstheorie Rechtstheorie, Zeitschrift fĂŒr Logik, Methodenlehre,Kybernetik und Soziologie des Rechts

Rn. RandnummerSchönke/Schröder Schönke/Schröder Kommentar zum StGBSK Systematischer KommentarStV StrafverteigerVgl. VergleicheVVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen

taatsrechtslehrerZRP Zeitschrift fĂŒr RechtspolitikZStW Zeitschrift fĂŒr die gesamte Strafrechtswissenschaft

Verzeichnis der AbkĂŒrzungen

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I. Rechtsphilosophie

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Die Lehre von den sachlogischen Strukturen bei Hans Welzel(1989)*

Mit dem Sammelbegriff der ‚Natur der Sache‘1 ist immer wieder derGrundgedanke in den gegenwĂ€rtigen naturrechtlichen Strömungen hervor-getreten, dass Wert und Wirklichkeit, Sein und Sollen, in irgendeiner Wei-se schon aufeinander bezogen sind, dass die vorfindbare Wirklichkeit dieWerthaftigkeit in sich trĂ€gt und dass Normen und Werte auf die Wirklich-keit hin konstruiert werden. Die SollensĂ€tze oder Werte werden nicht wiein der traditonellen Naturrechtslehre abstrakt aus allgemeinen GrundsĂ€tzenabgeleitet, sondern bereits in Bezug auf die konkrete Werthaftigkeit imSeinsbereiche vorgefunden. Und diese in der Wirklichkeitsebene prĂ€for-mierte Wertverwirklichung beeinflusst und bindet die rechtliche Entschei-dung, sei es des Gesetzgebers, sei es des Richters.2 Wenn im Folgenden

1.

I.

* Hier seien die koreanischen Schriften von Hans Welzel genannt. Zu seiner philoso-phischen Grundlage Zong Uk Tjong, Zum Leben und Wissenschaft von Hans Wel-zel, Justiz und Verwaltung, 1969.5.; Der Ursprung und die philosophische Gundla-ge der ‘Lehre von den sachlogischen Strukturen’ im Strafrecht, in: ARSP, 1968,S. 411 ff.; Zum Streit ĂŒber die Herkunft der finalen Handlungslehre, Festschrift fĂŒrSan Duck Hwang, 1979, S. 433 ff. Zur Kritik an der Handlungslehre im Strafrechtvon Hans Welzel;: Zai Woo Shim, Die finale Handlungslehre und die soziale Hand-lungslehre, Justice, 1975, S. 1 ff.; zur Kritik an der finalen Handlungslehre, KoreaUniversitĂ€t, Abhandlungen ĂŒber Recht und Verwaltung Bd. 13, 1976, S. 175 ff.

1 Um einige wichtige Untersuchungen zu nennen: Radbruch, Die Natur der Sache alsjuristische Denkform. in: Festschrift fĂŒr Rudolf Laun, 1948, S. 157ff.; Maihofer,Die Natur der Sache, in: ARSP Bd. 44, 1958, S. 145 ff. : Baratta, Natura del fatto ediritto naturale(deutsche Übersetzung unter dem Titel Natur der Sache und Natur-recht, in; Arthur Kaufmann(Hrsg.), Die ontologische BegrĂŒndung des Rechts, 1965,S. 104 ff.; ders., Gedanken zu einer dialektischen Lehre von der Natur Sache, in;GedĂ€chtnisschrift fĂŒr Gustav Radbruch 1968, S. 173 ff.; Arthur Kaufmann, Ana-logie und „Natur der Sache“. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 1965;Stratenwerth. Das rechtstheoretische Problem der „Natur der Sache“, 1957; Dreier,Zum Begriff der „Natur der Sache“, 1965.

2 Siehe vor allem Kaufmann/Hassemer. Grundprobleme der zeitgenössischen Rechts-philosophie und Rechtstheorie, 1971, S. 24 ff.

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von der Lehre der ‚sachlogischen Strukturen‘ die Rede ist, die zuerst vonHans Welzel begrĂŒndet und dann von seinen SchĂŒlern, Stratenwerth undArmin Kaufmann ĂŒbernommen wurde, so kann dies auch nur unter demerwĂ€hnten Gesichtspunkt sinnvoll verstanden werden. Das heißt: dieseLehre gehört zu einem der neueren Versuche, den Dualismus von Sein undSollen zu ĂŒberwinden und mit dem hier vorgefunden konkreten Maßstabder Gerechtigkeit dem Rechtspositivismus zu Leibe zu rĂŒcken.3

Es ist zwar unbestritten, dass sich diese Lehre im Flussbett der Naturder Sache bewegt und dass Welzel hiermit einen durchaus ernstzunehmen-den Versuch zur Überwindung des Rechtspositivismus gemacht hat. Je-doch haben sich eine FĂŒlle von EinwĂ€nden gegen diese Lehre erhoben,und zwar in doppelter Hisicht: einmal bezĂŒglich der Existenz solcherStrukturen wurde ihr ontologischer Charakter bezweifelt. Gibt es wirklichsolche Strukturen? Auch wenn niemand ihre Existenz verneinen kann, ha-ben diese Strukturen wirklich mit der Ontologie zu tun? Oder sind sie nurontische Gegebenheiten?4 Zum anderen hinsichtlich ihrer Relevanz fĂŒrdie rechtliche Regelung wurden Bedenken gegen diese Lehre – vor allemmit Bezug auf die strafrechtlichen Probleme – dahingehend geĂ€ußert, dassdie rechtliche Wertung von diesen Strukturen unabhĂ€ngig ist. Es ist viel-mehr die Sache des Gesetzgebers, wertend darĂŒber zu entscheiden, welchesachlogische Gegebenheiten er als wesentlich berĂŒcksichtigt.5 Kurz: Wel-zel könne mit den sachlogischen Strukturen weder den ontologischen Zu-

3 Kaufmann/Hassemer, Grundprobleme (Fn. 2), S. 23 f.: Kaufmann, Das Schuldprin-zip, 2. Aufl., 1976, S. 28; Engisch, Zur Natur der Sache im Strafrecht, in; Kaufmann(Hrsg.), Die ontologische BegrĂŒndung des Rechts (Fn. 1), S. 205 f.

4 Ulrich Scheuner hat die sachlogischen Strukturen Iediglich als ‚rechtskonstruktiveGedanken‘ bzw. als ‚logische Urteile‘ aufgefaßt[vgl. ders., Recht und Gerechtigkeitin der deutschen Rechtslehre der Gegenwart, in: Dombois (Hrsg.), Recht und Insti-tution, 1956, S. 36, 45 f.] Auch in diesem Sinne vgl. Stratenwerth, Problem der„Natur der Sache“ (Fn. 1), S. 8 ff.; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlas-sungsdelikte, 1959, S. 16 ff. Eine ganz andere Ansicht vertritt Zong Uk Tjong. Dazuders., Der Ursprung und die philosophische Grundlage der Lehre von den „sachlo-gischen Strukturen“, in; ARSP, 1968, S. 421 ff. Zu einer ausfĂŒhrlichen Darstellungzur Problematik der Ontologie vgl. Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip (Fn. 3),S. 32 ff.

5 Vgl. Stratenwerth, Problem der „Natur der Sache“ (Fn. 1), S. 11 f., vor allemAnm. 24 und 27; Engisch, Zur Natur der Sache im Strafrecht (Fn. 3), S. 242 f. Auchin diesem Sinne kritisiert Roxin die finale Handlungslehre von Welzel (ders, ZurKritik der finalen Handlungslehre, in: ders., Strafrechtliche Grundlagenprobleme,1973, S. 80 f., 92ff.). Zur Replik auf diese Kritik Welzel, Vom Bleibenden und vom

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sammenhang zwischen Wert und Wirklichkeit gefunden, noch eine festeGrenze fĂŒr die rechtliche Wertung gesetzt haben.6

Nach alledem stellt sich nun die Frage, was denn eigentlich die sachlo-gischen Strukturen sind, die sich, bei Welzel als ‚ewige Wahrheiten‘ darge-stellt, trotzdem vieler heftigen Kritiken ausgesetzt haben. Diese Frage istallerdings nicht leicht zu beantworten, denn Welzel selbst hat an keinerStelle ihre ausfĂŒhrliche BegrĂŒndung unternommen. In den Schriften, indenen der Ausdruck ‚sachlogische Strukturen‘ auftaucht,7 treffen wir le-diglich auf den Gedanken, dass es solche bestimmten ontologischen Gege-benheiten gebe, die im ganzen Rechtsstoff stecken und jeder positiven Re-gelung vorgegeben seien. Der Gesetzgeber mĂŒsse neben der physichenNatur diese sachlogischen Strukturen im Objekt seiner Regelung beachten– widrigenfalls seine Regelung notwendig falsch werde.8 Aber neben derAnnahme ihrer Existenz (dem Dass) und ihrer absoluten Geltung bleibtimmerhin dahingestellt, wie er zur Einsicht in die Vorgegebenheiten sol-cher Strukturen gelangt. Man gewinnt auch keine AufschlĂŒsse darĂŒber,wenn man sich nun die ‚Sachlogik‘ von Stratenwerth und Armin Kauf-mann ansieht. Sie versuchten nirgends, in ihre philosophische Grundlagevorzudringen.9

Abgesehen davon scheinen mir die Schwierigkeiten mit ihrem VerstĂ€n-dis auch darauf zu beruhen, dass sich sehr heterogene Elemente unter derRubrik ‚sachlogischen Strukturen‘ befinden.10 Dabei lĂ€sst sich die Hetero-genitĂ€t besonders in drei verschiedenen Punkten herausheben:

VergĂ€nglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964. Siehe auch Eb. Schmidt, Sozia-le Handlungslehre, in: Festschrift fĂŒr Karl Engisch, 1960, S. 351 f.; Halt, FahrlĂ€s-sigkeit im Vorsatz, 1959, S. 63 f.

6 Zwar besteht Einigkeit darĂŒber, dass diese Lehre von Welzel keine feste Grenze fĂŒrdie rechtliche Wertung ziehen kann. Aber es bleibt immerhin ungeklĂ€rt, ob sie denDualismus von Sein und Sollen wirklich ĂŒberwindet oder nicht.

7 Welzel selbst hat diesen Terminus relativ spĂ€ter verwendet. Er kommt nĂ€mlich erstin „Naturrecht und materiale Gerechtigkeit (1959)“ und in der ungefĂ€hr zur glei-chen Zeit publizierten Arbeit „Naturrecht und Rechtspositivismus“ (1953) vor.

8 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 2. Aufl. 1962, S. 243 f.; ders., Na-turrecht und Rechtspositivismus, in; ders., Abhandlungen zum Strafrecht und zurRechtsphilosophie, 1975, S. 283 ff.

9 Vgl. Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (Fn. 4), S. 16 ff.;Stratenwerth. Problem der „Natur der Sache“ (Fn. 1), S. 8 ff.

10 Arthur Kaufmann hat mit aller Deutlichkeit nachgewiesen, dass sich eine Hetero-genitÀt zwischen der FinalitÀt und der sachlogischen Struktur der Schuld feststel-len lÀsst [vgl. ders, Das Schuldprinzip (Fn. 3), S. 28 ff.].

Die Lehre von den sachlogischen Strukturen bei Hans Welzel

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1. Zwei verschiedene Problemkomplexe, nĂ€mlich die Strukturanalyse desRegelungsobjekts, vor allem der Handlung im Strafrecht einerseits unddas Maß der Bindung des Gesetzgebers an diesen Normgegenstand an-dererseits.

2. Unterschiedliche Gestaltung der sachlogischen Strukturen selbst, d.h.die ĂŒberwiegend mit der FinalitĂ€t zusammenhĂ€ngenden sachlogischenStrukturen einerseits und die sich aus der Beziehung zwischen FinalitĂ€tund ihrer Bewertung ergebenden sachlogischen Strukturen anderer-seits.

3. Schlichßlich bezĂŒglich ihrer Grundlage die schwankende BegrĂŒndungzwischen dem ontologischen Denkansatz einerseits und der davon be-freiten ontischen Richtung andererseits.11

Angesichts der Mannigfaltigkeit und VielfĂ€ltigkeit dieser Lehre will sichdie vorliegende Arbeit vorzugsweise ihren rechtstheoretischen wie rechts-philosophischen Fragen zuwenden. 1) Wie gelangt Welzel bei der Struktur-analyse der Handlung zur ‚SinnintentionalitĂ€t‘ (bzw. ‚FinalitĂ€t‘), die sichals das Wesensmerkmal der sachlogischen Strukturen darstellt? 2) Worinunterscheidet sich die SinnintentionalitĂ€t von den sachlogischen Struktu-ren, was m.E. die HeterogenitĂ€t dieser Lehre zur Folge hat? 3) Sind dieseStrukturen als ontologische oder lediglich nur als ontische anzusehen?Und ob und inwieweit ist diese Lehre fĂŒr die Rechtswissenschaft maßge-bend? All diese Fragen sind es, deren ErklĂ€rung hier, wenn auch nur annĂ€-herungsweise, versucht werden soll.

Wenden wir uns zunÀchst dem Problem zu, wie Welzel zur Einsicht in dieFinalitÀt (oder SinnintententionalitÀt) kommt und was diese eigentlich be-deutet. Um darauf einzugehen, wollen wir uns mit den methodischen Be-sinnungen befassen, mit denen Welzel den Weg zur ontologischen Frage-stellung des Rechts eingeschlagen hat. In dem im Jahr 1930 erschienenen

II.

11 Im Grunde genommen ist diese HeterogenitĂ€t m.E. darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dassWelzel zwei verschiedene Problembereiche, nĂ€mlich die FinalitĂ€t als das ontologi-sche Substrat und ihre Wertung als eine axiologische Frage, in einem Begriff der‚Sachlogik‘ zu vereinigen versucht hat.

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Aufsatz „Strafrecht und Philosophie“12 stellt er fest: „Eine Methodologiemuss mit der Aufzeigung des VerhĂ€ltnisses von Erkennen und deren Ge-genstand beginnen. Ist nun alle Erkenntnis intentional, d.h. auf einen Ge-genstand gerichtet, so muss eine methodologische Untersuchung, weil sieden Weg darlegen soll, den die Erkenntnis am Gegenstand zu nehmen hat,zugleich den logischen Aufbau des Gegenstandes aufzeigen. Eine Metho-dologie des Strafrechts bedeutet zugleich die Analyse des Gegenstandesdes Strafrechts.“13 FĂŒr ihn stellt Erkennen nichts anderes dar als Einsich-tigwerden des Gegenstandes so wie er ist. Darum besteht die strafrechtli-che Erkenntnis gerade darin, bereits vorfindbare GegenstĂ€nde in ihren on-tologischen Bedingungen zu erfassen, nicht aber im Schaffen neuer Ge-genstĂ€nde. Wenn das Erkennen aber nicht nur als seinen logischen Grundeinen ihm vorausliegenden Gegenstand voraussetzt, sondern auch auf die-sen intentional ist, dann muss die Methodologie mit der IntentionalitĂ€t indie Struktur des Gegenstandes eindringen.

Von diesem Ausgangspunkt aus kritisiert Welzel die Ansicht, die nachseiner Meinung zu Unrecht unter Berufung auf Kant behaupten will, „Wirselbst machen erst die Dinge zu dem, als was sie uns erscheinen, wir selbstsind die Schöpfer der Dinge in dieser ihrer Eingenart.“14 FĂŒr ihn soll dietranszendentale Methode selbst auch durchaus auf die gegenstĂ€ndliche Er-kenntnis gerichtet werden, nicht auf das Subjekt und seinen jeweiligen Zu-stand.15 Welzel erklĂ€rt dies wie folgt: „Die menschliche Erkenntnis und dieGegenstĂ€nde, auf die sie sich richtet, sind einer identischen Gesetzlichkeit,den Kategorien, unterworfen, deren allgemeinstes Prinzip Kant ‚den rei-nen Verstand‘ nennt. Der reine Verstand ist also kein Vermögen eines rea-len, etwa menschlichen Subjekts, sondern – auf das erkennende Subjektgewendet – das Prinzip oder der Maßstab seiner Richtigkeit, – auf den Ge-genstand gewendet – der rationale Gehalt oder die apriorische Struktur desGegenstandes.“16 Der berĂŒhmte Satz von Kant, dass die Bedingungen derMöglichkeit der Erfahrung ĂŒberhaupt zugleich Bedingungen der Möglich-

12 Welzel, Strafrecht und Philosophie, Kölner UnversitÀtszeitung Bd. 12, 1930, Nr. 9,S. 5 ff., hier zitiert nach: ders., Abhandlungen zum Strafrecht (Fn. 8), S. 1 ff.

13 Welzel, Strafrecht und Philosopie (Fn. 12), S. 2.14 Welzel, Strafrecht und Philosophie (Fn. 12), S. 2. Vgl. auch ders., KausalitÀt und

Handlung, in: ders., Abhandlung zum Strafrecht (Fn. 8), S. 8Naturalismus undWertphilosophie im Strafrecht, in: ders., Abhandlung zum Strafrecht (Fn. 8),S. 70 ff.

15 Vgl. dazu Welzel, KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 9.16 Welzel, KausalitÀt und Handlung(Fn. 14), S. 8.

Die Lehre von den sachlogischen Strukturen bei Hans Welzel

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keit der GegenstĂ€nde der Erfahrung seien, bedeutet nichts anderes als dassSeinskategorien (Gegenstandskategorien) identisch mit den Erkenntniska-tegorien sind.17 Aus diesem Grund lehnt Welzel die Ansicht von der‚stoffgestaltenden Funktion der Methode‘ ĂŒberhaupt ab.

DarĂŒber hinaus warnte er bezĂŒglich der methodischen Auffassung auchdavor, die Abstraktionen der einen Wissenschaft schon fĂŒr das Ganze desGegenstandes auszugeben. Gemeint ist der Begriff der KausalitĂ€t in dernaturalistischen Einstellung, der sich dadurch auszeichnet, dass nicht nurdas SpĂ€tere von einem FrĂŒheren als notwendige Folge (Wirkung) hervor-gebracht wird, sondern dass auch das UrsĂ€chlichwerden des FrĂŒheren injeder Beziehung durch ein noch FrĂŒheres bewirkt ist.18 In der damaligenZeit herrschte die sog. kausale Handlungslehre, die an diesem Kausalbe-griff orientiert, die kausale Ablaufsform fĂŒr die einzige Determinations-weise des realen Geschehens erklĂ€rt. Folglich will sie selbst den Begriffder menschlichen Handlung unter Ausschaltung ihres ontologischen Sach-gehalts lediglich durch den kausal-mechanischen Ablauf des Willens um-schreiben.19 Aber dies trifft die Sache kaum. FĂŒr Welzel mĂŒsste es nocheine andere Ablaufsordnung geben.

Hier treffen sich die beiden methodischen Gedanken und schließen sichdaraufhin zusammen, dass die menschliche Handlung nicht kausal, son-dern sinnintentional ist und dass diese SinnintentionalitĂ€t mit den ontolo-gischen Gehalten der Handlung zu tun hat. So bedeutsam der ontologischeDenkansatz von Welzel fĂŒr seine weiteren GedankengĂ€nge erscheint, somuss doch hier der Begriff IntentionalitĂ€t Bedenken unterliegen, und zwardahingegend, ob er nicht in zwei verschiedenen ZusammenhĂ€ngen ver-wendet wĂŒrde. WĂ€hrend er auf der methodischen Ebene mit dem Bezugzwischen Erkennen und dessen Gegenstand zu tun hat, bezieht er sich da-gegen auch auf den im Gegenstand (der Handlung) selbst befindlichen on-tologischen Gehalt. Freilich stellt sich dann die Frage, was unter Intentio-nalitĂ€t noch genauer zu verstehen ist. Dieses Problem soll aber nicht wei-ter verfolgt werden. Uns genĂŒgt hier nur, festzustellen, dass dieser Begriffnicht eindeutig ist und daß Welzel unter Berufung auf die damalige Philo-

17 Dieser Satz ist es, mit dem Welzel den ontologischen Weg eingeschlagen hat. Vgl.ders., KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 9.

18 Vgl. dazu Welzel, Strafrecht und Philosophie (Fn. 12), S. 4; KausalitÀt und Hand-lung (Fn. 14), S. 7. 13 ff.

19 Siehe auch Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 33 ff.

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sophie die SinnintentionalitÀt im Sinne der ontologischen Gehalte derHandlung zu analysieren versucht hat.

Der Ursprung des Begriffs IntentionalitĂ€t bei Welzel ist eine sehr umstritte-ne Frage. Er hat einmal behauptet, dass er diesen Begriff sowie seine fina-le Handlungslehre aus der Denkpsychologie und der PhĂ€nomenologie her-ausgebildet habe, und zwar vor allem aus der Grundlage der Denkpsycho-logie von Richard Hönigswald.20 Dieser Lehre zufolge richten sich dieAkte des Wahrnehmens, Vorstellens, Denkens, Wollens usw. auf etwas alsihren Gegenstand, das sie nicht selbst sind. Dieser Gegenstand ist nicht einZustand oder Teil ihres psychischen Erlebnisses, sondern steht als einerselbstĂ€ndigen Schicht angehörig den Akten gegenĂŒber. Die Akte, wennauch gegenstandsfremd, sind dennoch Bewusstsein ‚von‘ ihm, sie meinenihn oder ergreifen ihn, kurz: sie sind intentional auf ihn gerichtet. Hierstellt sich IntentionalitĂ€t als eine spezifische Leistung zwischen bestimm-ten seelischen Erlebnissen und deren Gegenstand. Und gerade darauf bautsich fĂŒr die Akte eine ganz spezifische Ablaufsordnung auf, wobei in denhöheren geistigen Akten die IntentionalitĂ€t nicht nur die Richtung auf dieGegenstĂ€nde, sondern nach der Gegenstandsstruktur gibt.21

Mittels dieses philosophischen Begriffs ‚IntentionalitĂ€t‘ wandte sichWelzel nun der Handlung zu und versuchte dort, ihre neuartige Ablaufs-ordnung von Denkakten, Willensakten und Willensverwirklichung aufzu-

III.

20 Vgl. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl., 1961, Vorwort. Welzelbehauptet, dass er die weitere Anregung zur Ausbildung der finalen Handlungsleh-re von dem damaligen Psychologen, Karl BĂŒhler, Theodor Erismann, ErichJaensch, Wilhelm Peters sowie von den PhĂ€nomenologen P.F. Linke undAlexander PfĂ€nder bekommen habe. Aus Anlass der ungewöhnlich anschaulichenAnalyse der Handlung in Nikolai Hartmans „Ethik“ und „Problem des geistigenSeins“ habe er seine Gedanken neu formuliert und dabei das vertraute Wort ‚Fina-litĂ€t‘an die Stelle des Ausdruks ‚SinnintentionalitĂ€t‘ gesetzt. AusfĂŒhrlich dazu undzum Terminus ‚Kybernetik‘ bezĂŒglich der Handlungsanalyse bei Welzel siehe Ar-min Kaufmann, Hans Welzel zum Gedenken, in; ders., Strafrechtsdogmatik zwi-schen Sein und Wert, 1982, S. 280 (Anm. 6).

21 Vgl. insbes. Welzel, Strafrecht und Philosophie (Fn. 12), S. 3 f.; KausalitÀt undHandlung (Fn. 14), S. 13.

Die Lehre von den sachlogischen Strukturen bei Hans Welzel

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zeigen. Was die Denkakte angeht, erschöpfen sie sich nicht im Hinblickenund Festhalten eines identischen Gegenstandes, sondern sie versuchen,Sachverhalte zu erfassen. Sie zielt eben darauf ab, die Einsicht in die Be-schaffenheit und StrukturzusammenhĂ€nge eines Sachverhaltes zu gewin-nen. Aber da die Einsicht gerade in der Korrelation zwischen Akt und Ge-genstand liegt, muss der Akt insofern auf den Gegenstand gerichtet sein,als dieser dem Akt als dessen logischer Grund vorausliegt, auf den sichdieser Akt stĂŒtzt. Andererseits ist aber auch festzustellen, dass der Akt da-rĂŒber hinaus nach dem Gegenstand gerichtet ist. Denn die Einsicht voll-zieht sich nicht nur durch das Sich-StĂŒtzen des Aktes auf die gegenstĂ€ndli-che Struktur, sondern das Denken muss auch im Gegenstand selbst denGrund seiner Einsicht und die GewĂ€hr seiner Richtigkeit suchen. DasDenken ist also sowohl statisch auf seinen Gegenstand intendiert wie auchumgekehrt dynamisch von dessen Struktur her gelenkt.22 Die Ordnung desDenkgeschehens lĂ€uft nach dem Sinn der intendierten Gegenstand, kurz:sinnintentional.

Bei Willensakten verhĂ€lt es sich nicht viel anders als bei Denkakten.Sie sind auf ihren Gegenstand gerichtet und zugleich von diesem her ge-lenkt. Sie unterliegen also der SinnintentionaltiĂ€t. Dabei ist aber unver-kennbar, dass der Sinn in diesem Zusammenhang mehr als die der Gegen-standlichkeiten immanente Strukturgesetzlichkeit im Denkakt bedeutet.Sinn bedeutet hier die den Gegenstandlichkeiten immanente Wertbe-stimmtheit (bzw. Werthaftigkeit), auf die hin das Ich gerichtet ist, und vonder aus es angesprochen und berĂŒhrt ist. Zwar stellt die SinnintentionalitĂ€thier wie dort einen Funktionsbegriff dar, der die vermittelnde Rolle zwi-schen Ich und Gegenstand wahrnimmt. Der Unterschied besteht aber ebenin der verschiedenen QualitĂ€t des Gegenstandes, die Welzel mit dem Wort‚Wert‘ zum Ausdruck bringen wollte.23

Wenn die Denkakte wie auch die Willensakte nicht kausal, sondernsinn-intentional sind, bedeutet das noch nicht, dass sie völlig der Kausali-tĂ€t enthoben sind. Vielmehr können sie durchgĂ€ngigen kausalen Gesetzeninsofern unterstehen, als diese Faktoren die Existenz der Akte determinie-ren. Anders gesagt; Diese Faktoren bilden eine Voraussetzung dafĂŒr, dassdie Denk-und Willensakte als realer seelischer Vorgang auftreten. Aller-dings besagen sie aber noch nicht ĂŒber die Richtung, die nach der sinnin-

22 Welzel, KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 12 f.23 Welzel, KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 18. Siehe auch ders., Naturalismus

und Wertphilosophie im Strafrecht (Fn. 14), S. 82 ff.

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tentionalen GesetzmĂ€ĂŸigkeit ablĂ€uft.24 Dieses bemerkenswerte PhĂ€nomen,dass die SinnintentionalitĂ€t neben der KausaltiĂ€t steht und in die Kausal-reihe hineingreift, ist zum VerstĂ€ndnis der Willensverwirklichung sehrwichtig, denn sie verharrt nicht in der wollenden Einstellung, sondernnimmt sich vor, den erkannten Wert im kausalen Geschehen zu verwirkli-chen. Hier zeigt sich allzu deutlich, dass sich der kausale Prozess an denseelischen Akt anschließt.

Obwohl die Willensverwirklichung mit der KausalitĂ€t zu tun hat, ist siedennoch nicht rein kausal bedingt, sondern der sinnintentionalen Gesetz-lichkeit unterworfen, „insofern die Willenshandlung ihre Richtung nachden durch sie in Bewegung zu setzenden Mitteln
 bestimmen muss, fer-ner insofern sie ihren Ablauf danach richten muss, in welcher Reihenfolgeund Ordnung die Ursachen zu setzen sind, wenn die verschiedenen in Be-wegung gesetzten Kausalreihen in dem geplannten Erfolg konvergierensollen...“25 Diese gedankliche Antizipation – der Zweck, die Mittel zurZweckerreichung und die Nebenfolgen – sind es, die Welzel unter derSinnintentionalitĂ€t verstanden und spĂ€ter als essentiellen Bestandteil derFinalitĂ€t behauptet hat.26 Und gerade aus der dargelegten Analyse derHandlung – Denkakte, Willensakte und Willensverwirklichung –, die Wel-zel in der ontologischen Hinsicht durchgefĂŒhrt hat, ergibt sich vor allemfolgendes:

1. Die SinnintentionalitĂ€t als Funktionsbegriff stellt eine unabdingbareBedingung fĂŒr die Konkordanz von seelischen Akten und ihren Gegen-stĂ€ndlichkeiten dar.

2. Durch ihre vermittelnde Funktion lĂ€sst sich eine neue Ablaufsordnungbeschriben, die niemals vollkommen gleichgĂŒltig gegen das Resultat,vielmehr das Ziel ‚sehend‘ ablĂ€uft.

3. Die SinnintentionalitÀt ist keine alleinige Determinationsform, sondernsteht neben der KausalitÀt und greift in diese ein.27

24 In diesem Sinne behauptet Welzel: „Liegt einmal... das Denken als realer seeli-scher Akt vor, so regelt sich der Vollzug dieses Aktes nach einer völlig unkausa-len, sinn-intentionalen GesetzmĂ€ĂŸigkeit“[ders., KausalitĂ€t und Handlung (Fn. 14),S. 15].

25 Welzel, KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 19 f.26 Vgl. vor allem Welzel, Um die finale Handlungslehre, 1949, S. 7 ff.27 Vgl. Welzel, Strafrecht und Philosophie (Fn. 12), S. 4 ff.

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Bis jetzt haben wir den sog. ontologischen Gehalt der menschlichen Hand-lung verfolgt, der sich durch das Moment der SinnintentionalitĂ€t aus demkausalen Geschehen heraushebt. Damit scheint mir die Frage zu einemgrĂ¶ĂŸten Teil beantwortet zu sein, wie Welzel zur ontologischen Vorgege-benheit kommt. Ehe wir im weiteren auf die sachlogischen Strukturen ein-gehen, wollen wir noch in seinen frĂŒheren Gedanken verweilen. DennWelzel stellte dem in der Handlung vorgefunden ontologischen Gehalt sei-ne rechtliche Regulierung gegenĂŒber und versuchte nun, mittels desselbenBegriffs IntentionalitĂ€t auch dieses VerhĂ€ltnis zu erklĂ€ren.28Wenn frĂŒherdie SinnintentionalitĂ€t auf den ontologischen Zusammenhang zwischenseelischen Akten und ihren GegenstĂ€ndlichkeiten bezogen ist, so hat jetztdie IntentionalitĂ€t mit dem Zusammenhang zwischen der Sinnintentionali-tĂ€t und ihrer rechtlichen WĂŒrdigung zu tun. Daher ist der Begriff ‚Intentio-nalitĂ€t‘ zweideutig geworden, und gerade daran schließt sich unsere zwei-te Frage an, nĂ€mlich die nach der HeterogenitĂ€t der sachlogischen Struktu-ren. In „KausalitĂ€t und Handlung“ schrieb Welzel so: „Der Wert ist.... eineBezogenheit des Gegenstandes auf ein Ich, dem etwas ‚wert‘ ist.“29 Inso-weit habe das Ich im Wertbereich die gegenstĂ€ndliche Objektswelt, nachder es sich intentional zu richten habe.30 FĂŒr ihn ist Wert weder mit demIch noch mit dem werthaften Gegenstand zu identifizieren. Vielmehr be-deutet Wert schlechthin die funktionale Bezogenheit zwischen diesen bei-den. Dass er diese Gegebenheit als den ontologischen Gehalt der Hand-lung begriffen hat, haben wir schon gesehen.

Nun wollte er den Begriff SinnintentionalitĂ€t auf eine andere Probleme-bene, nĂ€mlich auf das VerhĂ€ltnis zwischen ontologischen Gehalten selbstund ihrer Wertung ĂŒbertragen. Daher behaupt er; „Unter keinen UmstĂ€n-

IV.

28 Auch seine SchĂŒler Armin Kaufmann und Stratenwerth haben den Denkansatz vonWelzel in diesem Sinne verstanden. Siehe dazu Armin Kaufmann, Die Dogmatikder Unterlassungsdelkte (Fn. 4), S. 17 ff.; Stratenwerth, Problem der „Natur derSache“ (Fn. 1), S. 27 ff.

29 Welzel, KausalitĂ€t und Handlung (Fn. 14), S. 17. An einer anderen Stelle schrieber: „Wert ist Bestimmtheit eines (erstrebten oder auch nicht erstrebten) Gegenstan-des, auf ein Ich in einer spezifischen, qualitativ und nach der Tiefe des Persönlich-keitsmoments verschiedenen Weise bezogen zu sein“ (ders., ebenda, S. 18).

30 Das heißt wiederum keineswegs, daß der Wert ein irreal geltendes Sinngebildeoder ideal seiende Sinn-QualitĂ€t ist.

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den darf man das ontologische Substrat mit dem Wert in irgendeiner Weiseidentifizieren. Der ontologisch bestimmte Gegenstand ist nur der ‚TrĂ€ger‘des Wertes, aber nicht der Wert selbst.“31 BezĂŒglich der Wertungsseite be-hauptet er: „... jeder Wert setzt ein bestimmt geartetes Objekt voraus, gera-de dessen Wert er ist.... So sind auch die Wertungen des Strafrechts... ineinem bestimmt gearteten Sinn fundiert, dessen WertprĂ€dikte sie sind.“32

Das heißt: die rechtliche Wertung setzt als ihren logischen Grund ein be-stimmtes Objekt voraus, und von dessen Seinsstruktur her sind die imma-nenten Grenzen fĂŒr jene festgesetzt. Gerade in dem Sinne schrieb er wei-ter: „Da alle Werte Regionalwerte sind, grenzt der Gegenstand der Wer-tung auch die Möglichkeit bestimmter Wertungen ab.“33

Dies erweckt den Anschein, als ob hier die beiden gegenĂŒber gestelltenMomente wieder durch die IntentionalitĂ€t verbunden wĂŒrden. Bei nĂ€herenZusehen lĂ€sst sich aber feststellen, dass die IntentionalitĂ€t in diesem Zu-sammenhang keine solche RealzusammenhĂ€nge wie bei der Sinnintentio-nalitĂ€t bedeutet. Am deutlichsten zeigt sich das dort, wo Welzel wiederholtsagte: „Gewiss ist die Rechtsordnung frei, an jedes beliebige GeschehenRechtsfolgen fĂŒr einen Menschen zu knĂŒpfen. Soll aber die unterschiedli-che Behandlung... einen ĂŒber die bloße WillkĂŒr hinausliegenden... Sinnhaben, so muss sie sich auf gegenstĂ€ndliche Unterschiede... grĂŒnden.... SofĂŒhrt auch die angebliche axiologische Betrachtung wieder auf ontologi-sche Unterschiede zurĂŒck.“34 Zwar erkannte Welzel den ontologischen Ge-halten ihre Verpflichtungskraft fĂŒr die rechtliche Bewertung zu, aber nurin dem Maße, wie jene den logischen Grund dieser Wertung (oder Mög-lichkeitsvoraussetzung) bilden. Das bedeutet: die rechtliche Wertung mußmit der ontologischen Struktur ĂŒbereinstimmen, wenn sie ĂŒberhaupt einenSinn haben soll. Freilich ist dann nicht auszuschließen, dass man auchmehr oder weniger dem Gesetzgeber die Möglichkeit einrĂ€umen kann,sich willkĂŒrlich ĂŒber ontologische Gehalte hinwegzusetzen und ein Wert-urteil zu treffen. Hier trennen sich diese beiden Moment – Ontologie und

31 Welzel, Über Wertungen im Strafrecht, in: ders., Abahndlung zum Strafrecht(Fn. 8), S. 25.

32 Welzel, KausalitĂ€t und Handlung (Fn. 14), S. 9; Über Wertungen im Strafrecht(Fn. 31), S. 27 ff.;.

33 Welzel verwendet den Ausdruck ‚regional‘ sehr selten. Jedoch erschließt sich ausdem ganzen Zusammenhang, wie sogleich zu zeigen sein wird, dass Welzel diesenBegriff im Sinne der PhĂ€nomenologie verstanden hĂ€tte. Siehe unten VI.

34 Welzel, KausalitÀt und Handlung (Fn. 14), S. 10.

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Axiologie – voneinander, und diese HeterogenitĂ€t in seinen frĂŒherenSchriften, nĂ€mlich die absolute Geltung des ontologischen Gehalts einer-seits und seine relative Verpflichtungskraft fĂŒr den Gesetzgeber anderer-seits, sind es, die in der Lehre von den sachlogischen Strukturen wieder-kehrten und zu mancherlei Bedenken Anlass gaben, insbesondere zueinem solchen, dass somit dem Rechtspositivismus recht gegeben wĂŒrde.

Hierdurch werden wir nun unmittelbar zum Problem der sachlogischenStrukturen gefĂŒhrt. Nach Welzel beziehen sich diese Strukturen sowohl aufdie FinalitĂ€t (frĂŒher SinnintentionalitĂ€t) als auch auf ihre rechtliche Wer-tung. Noch genauer gesagt: sie haben mit der Relation zwischen diesenbeiden Beziehungsgliedern zu tun. Insofern ist dieser Begriff auch der re-lationale Begriff, kein substantieller.35 So im Hinblick auf die FinalitĂ€t, dieals ontologische Grundgegebenheit die rechtliche Regelung nicht beliebigabĂ€ndern, schaffen, sondern lediglich treffen oder verfehlen kann, stellensich solche Strukturen als ewige Wahrheiten dar. Andererseits bezĂŒglichihrer rechtlichen Wertung erweisen sie sich nur als vorjuristische Gebilde,denn das ontologische Substrat zieht keine feste Grenze fĂŒr den Gesetzge-ber.36 Anders formuliert: sachlogisch sind diese Strukturen insoweit, alssie die der rechtlichen Regulierung transzendenten ontologischen Sinnge-halte als Möglichkeitsvoraussetzung bzw. logischer Grund fĂŒr die Normbeinhaltet, dagegen sachlogisch, da sie der rechtlichen Wertung immanen-te SinnzusammenhĂ€nge konsequent herausstellen.

V.

35 Zwar spricht Welzel von der sachlogischen Struktur im Regelungsobjekt. Jedochstellt sich beim nÀheren Zusehen heraus, dass damit nichts gemeint ist als dieStrukturgesetzlichkeit der Handlung, nÀmlich ihre FinalitÀt, die wie oben darge-stellt eigentlich mehr einem Funktionsbegriff darstellt. Vgl. dazu oben III.

36 ErwĂ€hnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass manche Kritiker gegen die fi-nale Handlungslehre ihr Bedenken – besonders hinsichtlich der strafrechtlichenProbleme – dahingehend formuliert haben: dass nĂ€mlich der finale Handlungsbe-griff wohl ontologisch oder philosophisch richtig sein mag, aber der rechtlicheHandlungsbegriff ein anderer sein sollte. Siehe vor allem Arthur Kaufmann, DasSchuldprinzip (Fn. 3), S. 37; Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre (Fn. 5),S. 80 f. (mit weiteren Nachweisen).

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Um diese HeterogenitĂ€t noch nĂ€her aufzuzeigen, hören wir nun Welzelmit seinen viel zitierten SĂ€tzen: „Der Gesetzgeber... muss (neben der phy-sischen Natur) bestimmte sachlogische Strukturen im Objekt seiner Rege-lung beachten, widrigenfalls seine Regelung notwendig falsch wird. So istvor allem die ontologische Struktur der Handlung jeder Wertung und Re-gelung vorgegeben. Die Struktur der menschlichen ZwecktĂ€tigkeit und dieFunktion des Vorsatzes in ihr kann auch der Gesetzgeber nicht Ă€ndern,sondern muss, wenn er sie normieren will, in seiner Regelung an sie an-knĂŒpfen, widrigenfalls er das Regelungsobjekt verfehlt.“37 Aber hinsicht-lich ihrer Bedeutung fĂŒr die rechtliche Bedeutung schrieb er weiter: IhreNichtbeachtung mache die gesetzliche Regelung zwar sachwidrig, wider-spruchsvoll, lĂŒckenhaft, aber nicht ungĂŒltig.38 Wie auch Stratenwerth ge-sagt hat: „Die UnabhĂ€ngigkeit des Seins von der Wertung stiftet noch kei-ne AbhĂ€ngigkeit der Wertung vom Sein.“ Kurz: die absolute Geltung derFinalitĂ€t einerseits und ihre relative Verpflichtungskraft andererseits.

Gerade aus dieser HeterogenitĂ€t ergeben sich weitere Aporien fĂŒr denBegriff des Vorsatzes im Strafrecht, wenn die FinalitĂ€t der Handlung bzw.ihre SinnintentionalitĂ€t mit der Tatbestandsverwirklichung nicht im Ein-klang steht.39 Denn wenn es bei seinem Handlungsbegriff nur darauf an-kommt, das allgemeine Strukturprinzip der menschlichen Handlung, d.h.die FinalitĂ€t als den Vorsatz im allgemeinen Sinne zu ergrĂŒnden, dannbleibt nichts anderes ĂŒbrig als die TatbestandsvorsĂ€tzlichkeit nur in Bezugauf den Erfolg festzustellen. Diese Doppeldeutigkeit des Vorsatzes istauch ein Beweis dafĂŒr, dass die sachlogische Struktur der Handlung im-mer mit zwei verschiedenen Problemkreisen zu tun hat.

Noch deutlicher zeigt sich dieses Problem, wenn man die sachlogischeStruktur der Schuld in Betracht zieht. Denn die Schuld ist fĂŒr Welzel einRelationsbegriff, der „den Vorsatz (FinalitĂ€t) als Beziehungsglied in eine

37 Welzel,, Naturrecht und Rechtspositivismus (Fn. 7), S. 283 ff.38 Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus (Fn. 7), S. 284. In diesem Sinne ver-

steht Welzel die sachlogischen Strukturen als eine logisch zwingende Wahrheit.Siehe dazu auch unten Übersicht 2.

39 Um ein sehr anschauliches Beispiel anzufĂŒhren; Ein Krankenschwester, die demPatienten eine vom Arzt ĂŒbergebens Spritze zur Beruhigung injiziert, ohne vondem Gifte zu ahnen, das der Arzt der Spritze beigisischt hatte. Dazu sagt Welzel:„die Krankenschwester nimmt zwar keine Tötungshandlung vor, wohl aber eine fi-nale Einspritzung.“ (Vgl. ders., Ein unausrottbares MißverstĂ€ndnis? Zur Interpre-tation der finalen Handlungslehre, NJW 1968, S. 436ff.; Um die finale Handlungs-lehre (Fn. 26), S. 9 f).

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spezifische Beziehung zu einem Wertmaßstab (der Rechtsordnung)bringt.“40 Das bedeutet; der Vorsatz ist lediglich das Bewertete, der Ge-genstand der Wertung in der Schuld, dagegen ist die Schuld die Bewetungdes Vorsatzes. Vorsatz bietet – mit Worten von Welzel – die Wertmaterieals Objekt der Wertung an, an die die Schuld als Wertung des Objekts ihreWertprĂ€dikate anknĂŒpft. So bezĂŒglich der FinalitĂ€t als Objekt der Wertungsagt Welzel: „Der Schuldbegriff setzt voraus, dass der TĂ€ter besser, nĂ€m-lich normgemĂ€ĂŸ, hĂ€tte handeln kann.“ Die sachlogische Struktur derSchuld erzwinge, dass bei unverschuldeter Verbotsunkenntnis nicht ge-straft werden könne. Der Gesetzgeber könne nicht das, was keine Schuldsei, zur Schuld machen. Diese ewige Wahrheit könne kein Gesetzgeber derWelt abĂ€ndern.41 Aber andererseits hinsichtlich der Bewertung des Ob-jekts behauptet Welzel: „Der Gesetzgeber ist keineswegs daran gebunden,den Eintritt von Unrechtsfolgen an die Voraussetzung zu knĂŒpfen, dass derunrechtmĂ€ĂŸig Handelnde auch schuldhaft gehandelt hat. Aber wenn... erStrafe fĂŒr Schuld verhĂ€ngen will, dann ist er an das gebunden, was densachlichen Gehalt der Schuld ausmacht.“42 Wenn der Gesetzgeber den-noch in der Wertung frei ist, kann die Schuld dann wirklich auf ihre Vor-gegebenheit Anspruch erheben? Wo hört nun diese Seinsstruktur auf undwo setzt denn die relativ freie Wertung ein? Oder ist die Frage ĂŒberhauptsinnvoll zu stellen, wo Ontologie und Axiologie einander gegenĂŒberste-hen?43

Es verhĂ€lt sich nicht anders, wenn man sich die Sachlogik von Stratewerthund Armin Kaufmann ansieht. Sie richten sich gleichermaßen nach Sinnzu-sammenhĂ€ngen zwischen der ontologischen Gegebenheit und ihrer Wertung

40 Welzel, Um die finale Handlungslehre (Fn. 26), S. 24 ff. Welzel behauptet auch:„Schuld ist ein Relationalbegriff, und zwar der einer doppelten Relation, in der dieWillensbildung zur Rechtsmorm steht, nĂ€mlich dass die Willensbildung nicht sohĂ€tte sein sollen, weil sie richtig hĂ€tte sein können.“.

41 In diesem Sinne sagt er; Die Lösung des Verbotsirrtum im Sinne der sog. Vorsatz-theorie beruhe auf einem Verfehlen der kategorialen Struktur der Handlung. [ders,Naturrecht und materiale Gerechtigkeit (Fn. 8), S. 197 ff.; Naturrecht und Rechts-positivismus (Fn. 7), S. 285.].

42 Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus (Fn. 7), S. 284.43 Neben der FinalitÀt der Handlung und der Schuld wird auch die sachlogische Be-

zogenheit der Teilnahme auf eine zwecktĂ€tige, d.h. finale Haupttat als BeispielhĂ€ufig erwĂ€hnt. AusfĂŒhrlich dazu Engisch. Zur Natur der Sache im Strafrecht(Fn. 3), S. 226 ff.: Armin Kaufmann, Hans Welzel zum Gedanken (Fn. 20), S. 286 f.(Anm. 20).

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