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Optimalitätstheorie und Pragmatik Kompaktseminar an der Universität Wien Sommersemester 2005 Manfred Krifka

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Optimalitätstheorie und Pragmatik

Kompaktseminar an der Universität WienSommersemester 2005

Manfred Krifka

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Überblick über die Sitzungen

Dienstag 5. April:Was ist Pragmatik? Wörtliche und nicht-wörtliche BedeutungTheorie pragmatischer Implikaturen nach H. P. Grice.Skalare Implikaturen

Mittwoch 6. April:Die Neo-Grice’sche Theorie von Implikaturen nach Larry Horn und Stephen LevinsonProjektionsverhalten von Implikaturen

Donnerstag 7. April:Optimalitätstheorie in Phonologie und MorphologieOT in der PragmatikBidirektionale OT

Freitag 8. April:Anwendungen der OT in der PragmatikOT und SpieltheorieTheorie der strategischen Kommunikation

Montag 11. April:Stochastische OTEvolution und Lernen im Rahmen der OT

Dienstag 12. April:Nicht-ökonomische Tendenzen in der SpracheErwerb und Verarbeiten von Implikaturen

Mittwoch 13. April:KurzreferateAbschlussdiskussion

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Was ist Pragmatik?

Nicht-Wörtliche Bedeutung

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Was ist Pragmatik? Die klassische Ansicht

Nach Charles Morris (1938), Foundations of the Theory of Signs: Eine der drei Zweige der Semiotik. (Griech. : Action)

• Syntax: Formale Beziehungen von Zeichen zueinander(Regeln der Wortbildung, Phrasen- und Satzbildung)

• Semantik: Beziehungen des Zeichens zum Objekt(Bedeutung von einfachen und zusammengesetzten Ausdrücken)

• Pragmatik: Beziehung des Zeichens zum Interpreten(Verwendung von Zeichen)

Beispiele von Morris: Interjektionen wie Oh!, Befehle wie Komm her!, Ausdrücke wie Guten Morgen, rhetorische und poetische Verfahren,

aber auch alle psychologischen, soziologischen und biologischen Phänomene, die mit Sprache zu tun haben.

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Was ist Pragmatik? Neuere Ansichten

Pragmatik: Studium der kontextabhängigen BedeutungJerry Katz 1977, Propositional Structure and Illocutionary Force

Pragmatik: Studium der nicht-wahrheitskonditionalen BedeutungGerald Gazdar 1979, Pragmatics: Implicature, Presuppositions and Logical Form

Pragmatik: Umfassende Theorie des SprachgebrauchsHerbert Clark 1996, Using Language

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Pragmatik: Kontextabhängige Bedeutung

Jerry Katz 1977 schlägt ein heuristisches Kriterium für die Eingrenzung der Pragmatik vor:

The Anonymous Letter Situation“The anonymous letter situation is the case where an ideal speaker of a language

receives an anonymous letter containing just one sentence of that language, with no clue whatever about the motive, circumstance of transmission,

or any other factor relevant to understanding the sentence on the basis of its context of utterance. (...)

[T]he semantic component [properly represents] only those aspects of the meaning of the sentence that an ideal speaker-hearer of the language

would know in such an anonymous letter situation.”Besser noch: Man erhält den Brief nicht, sondern findet ihn irgendwo(dann steht auch der Empfänger nicht fest).Die pragmatische Komponente repräsentiert diejenige Komponente der Bedeutung, die in dieser Situation unter den Tisch fallen.

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Eigenschaften, die nach dem Kriterium des anonymen Briefs der Pragmatik zugehören:

Deiktische Ausdrücke (indexikalische Ausdrücke) wie ich, du, hier, jetzt, morgen...

Grund: Bezug auf die Situation der Äußerung

Textbezogene Ausdrückewie sie, dieser, bald darauf

Grund: Bezug auf den Ko-Text der Äußerung

Nichtwörtlicher Gebrauch von Ausdrücken- Ironie (Heute haben wir mal wieder besonders schönes Wetter)- gewisse Implikaturen (Empfehlungsschreiben: Herr R. hat eine leserliche Handschrift) indirekte Sprechakte: Können Sie das Auto dorthin fahren?)

Grund: die Situation ist essentiell für die Bestimmung, ob ein Ausdruck nicht in wörtlicher Bedeutung gemeint ist.

Aber: Standardisierte Metaphern wie ins Gras beißen werden auch im anonymen Brief richtig verstanden.

Pragmatik: Kontextabhängige Bedeutung

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Aspekte von Bedeutung: Kontext-Sensitivität & Sprechereinstellung

Es regnet.Situation: Berlin Mitte, 21. Oktober 2004, 11:15 UhrBedeutung: Es regnet in Berlin Mitte am 21. Oktober 2004 um 11.15 Uhr.

Kontext-Sensitivität

Es regnet leider.Situation: Wie oben, geäußert von Manfred Krifka.Bedeutung: Wie oben, + Manfred Krifka bedauert das.

Sprecher-Einstellung

Es regnet (mit trauriger Stimme).Situation: Wie oben.Bedeutung: Wie oben.

Sprecher-Einstellung

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Es regnet.Situation: A hat S gebeten, die Wäsche im Garten aufzuhängen.Bedeutung: S kann die Wäsche nicht im Garten aufhängen.

RelevanzimplikaturSchönes Wetter heute.

Situation: Wie oben.Bedeutung: Das Wetter ist schlecht.

Ironie, QualitätsimplikaturSchönes Wetter heute, nicht wahr?

Situation: A hat auf einer Teeparty die Queen eine “alte Schachtel” genannt.Bedeutung: Wir sollten das Thema wechseln.

Partikularisierte ImplikaturNach dem Wetterbericht wird noch bis morgen regnen.

Bedeutung: Es wird übermorgen nicht mehr regnen.Quantitätsimplikatur, Skalare Implikatur

Aspekte von Bedeutung: Nicht-Wörtliche Bedeutung

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Die Theorie der Implikaturenvon H.P. Grice

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Die Implikaturtheorie von H. P. Grice

Paul Grice (1967)William-James-Lectures on Logic and Conversation

Theorie der Modifikation von konventioneller Bedeutungin konkreten Situationen

Publikationen:Grice (1975), ‘Logic and conversation’,

Syntax and Semantics 3: Speech Acts, New York: Academic Press.

(Deutsch in G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung,

Suhrkamp 1979)(CD)

Grice (1978): ‘Further notes on logic and conversation’, Syntax and Semantics 9: Pragmatics, New York: Academic Press.

Vollständige Publikation der William-James-Lectures in:Grice (1989), Studies in the Way of Words, Harvard University Press, 1989.

Wichtige Lehrbuchpublikation:Stephen Levinson, Pragmatics, Cambridge University Press 1983.

(Kapitel 4 auf CD)

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Zwei Typen von Implikaturen: Konventionell vs. Konversationell

Grice unterscheidet zwei Grundtypen von Implikaturen:

• Konventionelle Implikaturensind Bestandteile der konventionellen Bedeutung von bestimmten Ausdrücken.

Beispiel:Er ist Brite; er ist daher tapfer.

Das Tapfersein ist eine Folge des Britischseins; dies ist der Beitrag von daher; auch Präsuppositionen genannt.

• Konversationelle Implikaturenentstehen, weil die Konversationsteilnehmerbestimmten Regeln folgen.

Im folgenden interessieren uns vor allem konversationelle Implikaturen.

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Entstehung von Implikaturen nach Grice: Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen

Sprecher und Adressat nehmen voneinander an, dass sie dem Kooperationsprinzip folgen:

“Make your conversational contribution such as is required (...), by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged.”

Grice nimmt insbesondere die folgenden vier Unterprinzipien an:

Maxime der QuantitätGestalte deinen Beitrag so informativ wie möglich (für den Zweck des Gesprächs).Gestalte deinen Beitrag nicht informativer als nötig.

Maxime der QualitätVersuche, Gesprächsbeiträge zu machen, die wahr sind. Insbesondere,-- Sage nichts, was du für falsch hältst.-- Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen.

Maxime der RelevanzSei relevant, d.h. bringe nur solche Gesprächsbeiträge, die für Zweck und Richtung des Gesprächs relevant sind.

Maxime der Modalität (“manner”)Sei klar! Insbesondere:Vermeide dunkle Ausdrücke, vermeide mehrdeutige Ausdrücke,fasse dich kurz, vermeide unnötige Weitschweifigkeit., bringe deine Beiträge in der richtigen Reihenfolge vor.

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Umgang mit Konversationsmaximen

Auf welche Weise können Konversationsmaximen Implikaturen auslösen?

Oft dadurch, dass sie scheinbar oder tatsächlich verletzt werden.

Grice unterscheidet die folgenden Arten der Verletzung:

1. S verletzt einer Maxime, um A irrezuführen.Beispiel: Lügen: Verletzung der Qualitätsmaxime

2. S lehnt es explizit ab, einer Maxime zu folgen.Beispiel: S sagt, Ich darf leider nicht mehr dazu sagen

3. S muss zwischen verschiedenen Maximen, die sich widersprechen, wählen.Beispiel: S kann die Quantitätsmaxime nicht erfüllen, ohne die Qualitätsmaxime zu verletzen,weil S die notwendige Informationen nicht besitzt.

4. S verstößt offen gegen eine Maxime (S flouts a maxim), aber A bezweifelt nicht, dass S dem allgemeinen Kooperationsprinzip folgt.In diesem Fall (4) entstehen Implikaturen; Grice sagt, dass die fragliche Maxime ausgebeutet (exploited) wurde.

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Beispiele für Ausbeutung einer Maxime durch scheinbare Verletzung

[Situation: Es regnet in Strömen.] Schönes Wetter heute.

(1) Das Wetter ist scheußlich, S weiß das, und weiß, dass A weiß, dass S das weiß.

(2) Es ist für A offensichtlich, dass S gegen die Maxime der Qualität verstoßen hat.

(3) A nimmt dennoch an, dass S sich kooperativ verhält.

(4) Da die Aussage von S offensichtlich nicht der Wirklichkeit entspricht, muss sie anders als normal interpretiert werden.

(5) Die Aussage von S ist eine über das Wetter.

(6) Die eine Aussage über das Wetter, die wahr ist und deren Wahrheit für S und A offensichtlich ist, ist gerade die Negation der Aussage von S.

(7) Offensichtlich will S gerade die Negation dieser Aussage andeuten.

Offensichtliche Verstöße gegen die Maxime der Qualität: Ironie.

Mögliche sekundäre Ziele: S will komisch erscheinen(aber das ist nicht eigentlich, was ausgedrückt wird, sondern, weshalb es gerade so ausgedrückt wird.)

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Beispiele von Implikaturen durch scheinbare Verletzungen von Maximen

A: Wie geht es Hans in seinem neuen Job?B: Ganz gut, glaube ich;

er ist bislang nicht ins Gefängnis gekommen.S will, dass sich A die folgenden Gedanken macht:(1)S hat offensichtlich die Maxime “Sei relevant” verletzt;(2)diese Verletzung kann nicht auf den Konflikt

mit einer anderen Maxime zurückgeführt werden;(3)es ist anzunehmen, dass S dem Kooperationsprinzip folgt;(4)die Irrelevanz von er ist bislang nicht ins Gefängnis gekommen

ist nur eine scheinbare, wenn wir annehmen, dass Hans potentiell (in seinem neuen Job)

ins Gefängnis kommen kann;(5)S weiß, dass ich, A, fähig bin, diesen Schluss zu ziehen;(6)daher wollte S andeuten, dass Hans potentiell

(in seinem neuen Job) ins Gefängnis kommen kann.Die Implikatur ist eine Annahme, unter der das Verhalten des Sprechers

keine Maxime verletzt.

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Weitere Beispiele von Implikaturen durch scheinbare Verletzungen von Maximen

Beispiel (Grice):Autofahrer, zu Fußgänger: Ich habe kein Benzin mehr.Fußgänger, zu Autofahrer: Um die Ecke ist eine Tankstelle.Keine Verletzung der Relevanzmaxime unter der Annahme, dass die Tankstelle geöffnet ist und man dort Benzin bekommen kann.

Beispiel (Grice)Eintrag des Maats ins Logbuch:11. April, 21 Uhr: Der Kapitän ist nüchtern .

Beispiel (Levinson):Kind: Ich will jetzt spielen.Mutter: Hast du denn schon deine Hausaufgaben gemacht?

Beispiel (Levinson):Paar, dabei, sich zum Abendessen niederzusetzen.Er: Was ist denn mit dem Roast Beef passiert?Sike: Der Hund sieht sehr zufrieden aus.

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Implikaturen durch Konflikt zwischen Maximen

Beispiel:A: Wo wohnt Maria? Ich will sie gerne besuchen.B: Irgendwo in Südfrankreich.

Möglicher Verstoß gegen Quantitätsmaxime; wenn aber B nicht weiß, wo genau Maria wohnt, kann B gar nicht mehr Informationen geben, ohne gegen die Qualitätsmaxime zu verstoßen.

Mögliche Implikatur: B weiß nicht genau, wo Maria wohnt.

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Implikaturen ohne Verletzungen von Maximen

Aus der Annahme, dass der Sprecher den Konversationsmaximen folgt, können oft bereits zusätzliche Bedeutungskomponenten gewonnen werden:

Beispiel: Maria hat drei Katzen.Maria hat nicht mehr als drei Katzen,anders läge eine Verletzung der Quantitätsmaxime vor („sei so informativ wie möglich“),(sogenannte Skalare Implikaturen; werden noch ausführlich behandelt).

Beispiel: Hans ging zu Bett und zog die Schuhe aus.Hans ging zuerst ins Bett und zog dann die Schuhe aus, anders läge eine Verletzung der Modalitätsmaxime vor („der Reihe nach“).

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Es gibt andere Maximen (Grice erwähnt ästhetische und soziale Maximen, z.B. “sei höflich”),

Die Maximen steuern zweckhaftes (rationales) Verhalten;Kommunikation ist ein Spezialfall rationalen Verhaltens.

Gespräche als kooperative Interaktion:

-- Die Beteiligten haben ein gemeinsames unmittelbares Ziel.

-- Die Beiträge sollen zueinander passen.

-- Die Interaktion soll fortgesetzt werden, bis beide Seiten damit einverstanden sind, dass sie beendet werden soll.

Systematischer Verstoß gegen Maximen?

Elinor Ochs Keenan (1976), “The universality of conversational implicature”, Language in Society 5, diskutiert Verstoß gegen Informationsmaximierung (ländliches Madagaskar)begründet in Gesichtswahrung, sparsamen Umgang mit Neuigkeiten.

Auch muss man zwischen verschiedenen Gesprächsarten unterscheiden (z.B. small talk vs. Gerichtsverhandlung („sage die Wahrheit und die ganze Wahrheit“)

Weitere Maximen? Natur der Maximen?

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Skalare Implikaturen

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Quantitäts-Implikaturen

Implikaturen, die auf der Maxime der Quantität basieren, sind ein häufiger Implikatur-Typ.

Maxime der Quantität

• Gestalte deinen Beitrag so informativ wie möglich(für den Zweck des Gesprächs).

• Gestalte deinen Beitrag nicht informativer als nötig.

Uns geht es vor allem um die erste Submaxime;

die zweite fällt möglicherweise unter die Maxime der Relevanz oder die Maxime der Modalität (“Fasse dich kurz.”).

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Vorläufer der Quantitäts-Maxime: Fogelin (1967)

R. Fogelin, 1967, Evidence and MeaningRule of Strength: “The rule of strength can be stated in the form of an imperative:

Make the strongest possible claim that you can legitimately defend!”Das Paradox von Fogelin:

1. Wenn etwas notwendig ist, dann ist es möglich.2. Wenn etwas möglich ist, dann ist sein Gegenteil möglich.3. Daher:

Wenn etwas notwendig ist, dann ist sein Gegenteil möglich.Fogelin argumentiert, dass die Prämisse (2) zu stark ist:

2’: Wenn jemand sagt, dass etwas möglich ist, dann deutet er normalerweise an, dass das Gegenteil ebenfalls möglich ist.

(Sonst hätte er der “Rule of Strength” folgende gesagt, dass es notwendig ist.)

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Vorläufer der Quantitäts-Implikaturen: Mill

William Hamilton:

some heißt eigentlich soviel wie:some but not all;

vgl. Mary solved some of the exercises Mary solved (some but) not all of the exercises.

John Stuart Mill 1867, An Examination of Sir William Hamilton’s Philosophykritisiert diese Ansicht;

die Bedeutungskomponente not all werde nur “mitverstanden”:

“No shadow of justification is shown (...) for adopting into logic a mere sous-entendu of common conversation in its most unprecise form. If I say to any one, ‘I saw some of your children to-day’, he might be justified in inferring that I did not see them all, not because the words mean it, but because, if I had seen them all, it is most likely that I should have said so: even though this cannot be presumed unless it is presupposed that I must have known whether the children I saw were all or not.”

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Mitläufer der Quantitäts-Maxime: Ducrot

Oswald Ducrot, 1972: Dire et ne pas dire.

Gesetz der Exhaustivität:

Der Sprecher soll über das, worüber er spricht, die stärksten Behauptungen machen, die er machen kannund die für den Höhrer von potentiellem Interesse sein können.

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Ein Beispiel für die Quantitätsmaxime

Ein Beispiel für das Wirken der Quantitätsmaxime:

(a) Gestern habe ich zwei Filme gesehen.

S hat nicht gesagt: (b) Gestern habe ich drei Filme gesehen; das wäre informativer gewesen, da (b) (a);

Da S der Quantitätsmaxime folgt, hätte er (b) sagen sollen, wenn (b) mit der Qualitätsmaxime verträglich gewesen wäre.

Da S nicht (b) gesagt hat, ist (b) nicht mit der Qualitätsmaxime verträglich.

S implikatiert mithin: Ich habe gestern nicht drei Filme gesehen, oder allgemein: Ich habe nicht mehr als zwei Filme gesehen.

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Wie Quantitäts-Implikaturen entstehen

Dies legt die folgende Entstehungsgeschichte von Quantitätsimplikaturen nahe:

Wenn wir zwei Ausdrücke A[B] und A[C] haben,

die sich voneinander nur darin unterscheiden,dass in A[B] der Ausdruck B auftritt, wo in A[C] der Ausdruck C auftritt,

und für die gilt: A[C] A[B], aber nicht A[B] A[C] ,

dann gilt: Wenn S A[B] äußert, kann H annehmen, dass A[C] nicht gilt.

Wir nennen B und C Ausdrucks-Alternativen.

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Was ist dann an dem folgenden Schluss falsch?

(a) Gestern habe ich einen Film gesehen.

S hat nicht gesagt: (b) Gestern habe einen Film mit Marlene Dietrich gesehen.

Da S der Quantitätsmaxime folgt, hätte er (b) sagen sollen, wenn (b) mit der Qualitätsmaxime verträglich gewesen wäre.

Da S nicht (b) gesagt hat, ist (b) nicht mit der Qualitätsmaxime verträglich.

S implikatiert mithin: Ich habe gestern nicht einen Film mit Marlene Dietrich gesehen.

Offensichtlich sind zwei und drei Ausdrucksalternativen, die für Implikaturen eine Rolle spielen,

einen Film und einen Film mit Marlene Dietrich aber nicht.

Möglicher Grund:

einen Film mit Marlene Dietrich expandiert einen Film, und Ausdrucksalternativen für die Q-Maxime dürfen nicht expandieren.

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Ein weiteres Problem:

(a) Gestern abend habe ich einen Film gesehen.

S hat nicht gesagt: (b) Gestern habe ich “Der blaue Engel” gesehen,

also hat S nicht “Der blaue Engel” gesehen.

Beachte: “Der blaue Engel” expandiert einen Film nicht,die beiden Ausdrücke sind von ähnlicher Komplexität.

Wenn dieser Schluss durchgehen würde, könnte eigentlich von jedem Film x gesagt werden:S hat x nicht gesehend.h. S hat gar keinen Film gesehen!

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Skalare Implikaturen

Als Bedingung für skalare Implikaturen haben wir angenommen:

Wenn sich zwei Ausdrücke A[B] und A[C] nur darin unterscheiden, dass in A[B] der Ausdruck B auftritt, wo in A[C] der Ausdruck C auftritt, und für die gilt: A[C] A[B], aber nicht A[B] A[C] , dann gilt: Wenn S A[B] äußert, kann A annehmen, dass A[C] nicht gilt.

Zusätzliche Bedingung:

B, C sind Ausdrücke, die in systematischer Alternativenbeziehung zueinander stehen.

Wir sagen: B, C liegen auf einer Horn-Skala (Horn scale),nach Larry Horn (1968), On the Semantik Properties of Logical Operators in English, Ph.D. dissertation, UCLA.

Wir sprechen demgemäß von skalaren Implikaturen.

Vgl. Julia Hirschberg 1985, A theory of scalar implicature, Ph.D. diss., University of Pennsylvania.

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Beispiele von Horn-Skalenalle, die meisten, viele, einige

Beispiel:Maria beantwortete die meisten Fragen.implikatiert: Maria beantwortete nicht alle Fragen.

und, oder

Beispiel:Maria beantwortete die erste Frage, oder sie beantwortete die zweite Frage.implikatiert: Maria beantwortete nicht beide Fragen.

notwendigerweise, wahrscheinlich, möglicherweise

Beispiel:Maria ist wahrscheinlich im Gartenimplikatiert: Maria ist nicht notwendigerweise im Garten

heiß, warm

Beispiel:Die Suppe ist warm.implikatiert: Die Suppe ist nicht heiß.

kalt, kühl

Beispiel: Das Wetter ist kühl. implikatiert: Das Wetter ist nicht kalt.

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Aufhebung skalarer Implikaturen

Skalare Implikaturen sind Implikaturen und nicht Teil der wörtlichen Bedeutung: Sie könne aufgehoben werden:

Hans hat sieben Eier gegessen, wenn nicht acht.

Das Wasser war warm; es war sogar heiß.

Aufhebung durch den Kontext:

[Kontext: Man bekommt eine Steuer-Ermäßigung ab zwei Kindern. Hans hat drei Kinder.]Ich habe zwei Kinder, deshalb habe ich Anspruch auf die Ermäßigung.

[Kontext: Warnschild vor einer Wasserrutschbahn]You must be 4 feet tall for this ride.

[Kontext: Zugschaffner beim Kontrollieren; A besitzt ein Guten-Abend-Ticket, das ab 7 Uhr gültig ist;Zugschaffner schaut auf seine Armbanduhr, es ist 8:20 Uhr]Ja, es ist ja schon sieben Uhr.

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Rätsel und Witze, die mit der Aufhebung von skalaren Implikaturen spielen:

Welcher Monat enthält 28 Tage?

Schüler: Rabbi, wenn Gott dir die Wahl stellt, fünf Töchter zu haben oder einen großen Reichtum, was würdest Du wählen?

Rabbi:Ich würde fünf Töchter wählen, denn die sieben, die ich jetzt habe, sind eindeutig zu viel des Guten.

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Beispiele von skalaren Implikaturen: Disjunktion

Die Disjunktion oder wird in der Logik als einschließend (inklusiv) verstanden:A oder B ist wahr gdw. A wahr ist, B wahr ist, oder A und B wahr sind.

Oft wird die Disjunktion jedoch ausschließend (exklusiv) verwendet:A oder B ist wahr gdw. A oder B wahr sind, nicht wenn A und B wahr sind.

Beispiel: Du darfst ein Eis oder einen Kuchen haben.

Problem: In manchen Fällen ist klar die inklusive Lesart gemeint:

Wer Geldscheine fälscht oder gefälschte Geldscheine in den Verkehr bringt,wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft.

Grice schlägt Implikatur-Analyse vor:Wenn ein Sprecher A oder B äußert, wird das informativere A und B bewusst vermieden, also ist es durch Implikatur ausgeschlossen.

In Kontexten, in denen A und B nicht informativer ist, entsteht die Implikatur gar nicht, wie im Skopus der Negation und in der Protasis von Konditionalsätzen.

Es stimmt nicht, dass ich Geldscheine gefälscht oder gefälsche Geldscheine in den Verkehr gebracht habe.

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Beispiele von skalaren Implikaturen: Artikelwahl

Implikationsbeziehungen zwischen Sätzen mit definitem und Sätzen mit indefinitem Artikel:

[Gestern war ich im Zoo.] Ich fütterte einen Elefanten.[Gestern war ich im Zoo.] Ich fütterte den Elefanten.Die Verwendung des definiten Artikels präsupponiert Einzigkeit;

die Verwendung des indefiniten Artikels suggeriert Nicht-Einzigkeit. Dies ist jedoch eine aufhebbare Implikatur, die manchmal gar nicht auftritt:Großbritannien hat einen Premierminister.Erklärung als skalare Implikatur (John Hawkins (1991)):Implikationsbeziehung:

Ich fütterte den Elefanten => Ich fütterte einen Elefanten.Die Verwendung des indefiniten Artikels zeigt an,

dass Sprecher den informativieren definiten Artikel vermieden hat, möglicherweise weil die Einzigkeitsbedingung verletzt wäre.

Das Wort ein ist also Teil zweier Hornskalen:als indefiniter Artikel: ein, derals Zahlwort: ein, zwei, drei, ...

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Beispiele von skalaren Implikaturen: Anaphora

Levinson, Stephen C. 1987. Pragmatics and the grammar of anaphora: a partial pragmatic reduction of Binding and Control phenomena. Journal of Linguistics, 23, 379-434.

Distribution von reflexiven und nicht-reflexiven Pronomina:Peter1 hat sich1 gewaschen.Peter1 hat ihn1 gewaschen.Peter1 wollte, dass Hans2 ihn1/sich2 wäscht.

Bindungsprinzipien der generativen Grammatik (Chomsky 1981):• Prinzip A: Reflexive sind in ihrer regierenden Kategorie gebunden

(typischerweise, innerhalb einer Klause (Elementarsatz)• Prinzip B: Pronomina sind in ihrer regierenden Kategorie nicht gebunden.Levinson (1987): Aus A folgt B durch Quantitätsimplikatur,

wenn wir Hornskalen der Art Reflexiv, Pronomen annehmen. D.h. die koreferentielle Lesart (a) ist ausgeschlossen, weil dann die informativere Form (b) gewählt worden wäre.

a. Peter1 hat ihn2/*ihn1 gewaschen.b. Peter1 hat sich1.gewaschen.Evidenz: Prinzip (B) kann verletzt werden, wenn der alternative Ausdruck

mit dem Reflexiv keine informativere Proposition darstellt. Der Mörder1 ist er1. Wer ist schon von Peter überzeugt? Nur Peter1 ist von ihm1 überzeugt.

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Beispiele von skalaren Implikaturen: Numerus

In Sprachen wie dem Deutschen treten Nomina im Singular und im Plural auf.

Singularnomina brauchen dabei einen Artikel;anders als Pluralnomina.

Maria hat einen Apfel gegessen.Maria hat Äpfel gegessen.

Eine naheliegende Theorie ist: Indefinite Singular-NPn treffen auf einzelne Dinge zu, indefinite Plural-NPn auf zwei oder mehr Dinge.

Problem: Nehmen wir an, B hat genau einen Apfel gegessen.

A: Haben Sie Äpfel gegessen?B: (a) Nein. (Gelogen!)

(b) Ja. / Ja, einen.Lösung:

Wir nehmen an, dass indefinite Plural-NPn auch auf einzelne Dinge zutreffen. Wenn der Sprecher die Anzahl der Objekte weiß, wird wegen der Quantitätsimplikatur die Singularform gewählt.

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Die Rolle der Skalen

Wir haben gesehen:

Die Ausdrucksalternativen, die für quantitative Implikaturen relevant sind, können nicht beliebige Ausdrücke sein.

Sie müssen vielmehr in einer etablierten Menge von Alternativen vorkommen --

sogenannte Horn-Skalen.

Möglicher Grund:Anders wären Quantitäts-Implikaturen kaum berechenbar;es lassen sich für jeden Ausdruck B viele Ausdrücke C vorstellen, die zu informativeren Gesamtausdrücken führen.

Konsequenzen für das Lernen einer Sprache:Es genügt nicht, zu lernen, was ein Ausdruck bedeutet;man muss auch lernen, in welcher Klasse von Ausdrucksalternativen er steht.

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Warum Skalen?

Bei skalaren Implikaturen wird im allgemeinen angenommen, dass sich die Ausdrucksalternativen in einer Skala anordnen lassen.

Die Richtung der Skala ist jedoch nicht immer vorgegeben:[Kontext: Klinik für Anorexia-Patienten]

Maria wiegt jetzt (schon) 65 Kilogramm.Implikatiert: Maria wiegt nicht mehr als 65 Kilogramm, kann aufgeheben werden: vielleicht schon mehr.

[Kontext: Klinik für Übergewichtige.]Hans wiegt jetzt (schon) 145 Kilogramm.Implikatiert: Hans wiegt nicht weniger als 145 Kilogramm,kann aufgehoben werden: vielleicht schon weniger.

Es genügt offensichtlich zu fordern, dass diejenigen Alternativen per Implikatur ausgeschlossen werden, die zu einer informativeren Gesamtaussage führen.

Man muss nicht annehmen, dass die Alternativen als Skalen kodiert werden.

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Verneinung von Skalenwerten

Bisher betrachtet: Fälle, in denen ein Skalenwert assertiert wurde, und implikatiert wurde, dass höhere Werte nicht gelten.

Das Wasser ist warm.(implikatiert: nicht heiß)

heiß

warm

Maria verdient 3600 €.(implikatiert: nicht mehr als 3600 €)

3800 € 3700 € 3600 € 3500 € 3400 €

Frage: Was passiert bei der Verneinung eines Wertes?

Die darunter liegenden Werte werden implikatiert.

Das Wasser ist nicht heiss. implikatiert: es ist warm.Maria verdient keine 3600 €. implikatiert: Sie verdient 3500 €.

Grund: Sonst hätte der Sprecher andere Werte verneint, die zu einer informativeren Äußerung geführt hätten.

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Bejahung / Verneinung von Skalenwerten

Zugrundeliegendes Prinzip bei Bejahung und Verneinung von Skalenwerten:

Es wird jeweils die stärkste Proposition ausgedrückt, für die der Sprecher Evidenz hat.(Maxime der Quantität!)

A: Wie ist das Wasser?B: Das Wasser ist warm.Alternativen: Das Wasser ist lauwarm.

Das Wasser ist heiß.

lauwarm warm heiß warm aber nicht heiß

A: Wie ist das Wasser?B: Das Wasser ist nicht heiß.Alternativen: Das Wasser ist nicht warm.

Das Wasser ist nicht lauwarm.

nicht warmnicht heiß nicht heiß aber nicht nicht warm

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Meta-linguistische NegationEin Problem unserer Theorie:

Das Wasser ist nicht warm, sondern heiß.Wird nicht als Widerspruch empfunden -- weshalb nicht?Es handelt sich um einen Fall metalinguistischer Negation:• Linguistische Negation verneint den Wahrheitswert

der konventionellen Bedeutung eines SatzesDas Wasser ist nicht warm Das Wasser ist lauwarm, kühl oder kalt.

• Metalinguistische Negation erhält den Wahrheitswert des Satzes,drückt aber aus, dass die Äußerung aus anderen Gründen unangemessen ist.Grossmutter ist nicht “abgekratzt”, sie ist “verschieden”. Grund: Wortkonnotationen.Das Wasser ist nicht “warm”, sondern “heiß”.Grund: Ausgelöste Implikatur “nicht heiß”

cf. Larry Horn (1989), A Natural History of Negation. Chicago University Press

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Negative PolaritätselementeEs gibt eine Klasse von Ausdrücken,

für deren grammatische Distribution skalare Implikaturen wichtig sind:Negative Polaritätselemente (“negative polarity items”), NPIs.

Beispiel: jemals

Es ist nicht wahr, dass Otto jemals in Bhutan war.

Nur wenige Touristen waren jemals in Bhutan.

Jeder, der jemals in Bhutan war, war von dem Land beeindruckt.

Wenn du jemals nach Bhutan reist, wirst du von dem Land beeindruckt sein.

*Otto war jemals in Butan.

*Die meisten von meinen Freunden waren jemals in Bhutan.

*Zwei Touristen, die jemals in Bhutan waren, waren beeindruckt.

Andere Beispiele für NPIs:im geringsten, auch nur irgendwas, mit der Wimper zucken, einen Mucks machen, einen Finger krummmachen, ein gutes Haar an etwas lassen, ein Haar krümmen, eine müde Mark, sich vom Fleck rühren, einen blassen Schimmer von etwas haben, …...

Englisch: anyHe doesn’t have any friends. / *He has any friends.If he has any friends, they would help him.

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Negative PolaritätselementeEin weiteres Beispiel für NPIs:

ein Schwein

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Negative PolaritätselementeDistribution für NPIs:

Bill Ladusaw (1979): Polarity sensitivity and inherent scope relations:NPIs kommen in abwärtsimplizierenden Kontexten vor. Beispiel: Skopus (semantischer Bereich) der Negation.

Nicht-negierter Satz:Otto war letztes Jahr in Bhutan ==>

Otto war in den letzten 5 Jahren in Bhutan.Negierter Satz:Es stimmt nicht, dass Otto letztes Jahr in Bhutan war =/=> Es stimmt nicht, dass Otto in den letzten 5 Jahren in Bhutan war.Aber:Es stimmt nicht, dass Otto in den letzten 5 Jahren in Bhutan war. ==> Es stimmt nicht, dass Otto letztes Jahr in Bhutan war.

Aufwärtsimplizierende Kontexte:Wenn der Satz […X…] wahr ist und X ein Unterbegriff von Y ist, dann gilt: […Y…] ist ebenfalls wahr,

in Formeln: Wenn X ==> Y, dann […X…] ==> […Y…].Abwärtsimplizierende Kontexte:

Wenn der Satz […X…] wahr ist und X ein Oberbegriff von Y ist, dann gilt: […Y…] ist ebenfalls wahr, in Formeln: Wenn Y ==> X, dann […X…] ==> […Y…].

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Negative Polaritätselemente

Abwärtsimplizierende Kontexte:

• Negation

Es stimmt nicht, dass Otto einen Sportwagen besitzt. ==>Es stimmt nicht, dass Otto einen Porsche besitzt.

• Skopus von bestimmten Quantoren

Nur wenige Touristen (wenn überhaupt welche) reisten in den Himalaya. ==> Nur wenige Touristen (wenn überhaupt welche) reisten nach Bhutan.

Nur wenige meiner Freunde (w.ü.w.) besitzen einen Sportwagen. ==> Nur wenige meiner Freunde (w.ü.w.) besitzen einen Porsche.

• Restriktor von bestimmten Quantoren

Jeder Tourist, der in den Himalaya reiste, war davon beeindruckt. ==> Jeder Tourist, der nach Bhutan reiste, war davon beeindruckt.

Jeder, der einen Sportwagen besitzt, ist stolz darauf. ==> Jeder, der einen Porsche besitzt, ist stolz darauf.

• Protasis (Wenn-Satz) von Konditionalsätzen

Wenn du in den Himalaya reist, wirst du beeindruckt sein. ==> Wenn du nach Bhutan reist, wirst du beeindruckt sein.

Wenn du einen Sportwagen kaufen willst, musst du viel Geld haben. ==> Wenn du einen Porsche kaufen willst, musst du viel Geld haben.

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Negative Polaritätselemente

Genau diese Kontexte erlauben NPIs:

• Negation

Es stimmt nicht, dass Otto einen Sportwagen besitzt. ==>Es stimmt nicht, dass Otto einen Porsche besitzt.

• Skopus von bestimmten Quantoren

Nur wenige Touristen (wenn überhaupt welche) reisten in den Himalaya. ==> Nur wenige Touristen (wenn überhaupt welche) reisten nach Bhutan.

Nur wenige meiner Freunde (w.ü.w.) besitzen einen Sportwagen. ==> Nur wenige meiner Freunde (w.ü.w.) besitzen einen Porsche.

• Restriktor von bestimmten Quantoren

Jeder Tourist, der in den Himalaya reiste, war davon beeindruckt. ==> Jeder Tourist, der nach Bhutan reiste, war davon beeindruckt.

Jeder, der einen Sportwagen besitzt, ist stolz darauf. ==> Jeder, der einen Porsche besitzt, ist stolz darauf.

• Protasis (Wenn-Satz) von Konditionalsätzen

Wenn du in den Himalaya reist, wirst du beeindruckt sein. ==> Wenn du nach Bhutan reist, wirst du beeindruckt sein.

Wenn du einen Sportwagen kaufen willst, musst du viel Geld haben. ==> Wenn du einen Porsche kaufen willst, musst du viel Geld haben.

Es stimmt nicht, dass Otto jemals einen Sportwagen bessessen hat.

Nur wenige Touristen reisten jemals nach Bhutan.

Jeder, der jemals nach Bhutan reiste, war beeindruckt.

Wenn du jemals nach Bhutan reist, wirst du beeindruckt sein.

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Negative Polaritätselemente

Weshalb treten NPIs nur in abwärts-implizierenden Kontexten auf?Annahmen:• NPIs sind immer mit Horn-Skalen assoziiert,

sie beziehen sich dabei stets auf das kleinste, allgemeinste Element.jemals: gestern, letztes Jahr, in fünf Jahren usw., Alternativen: zeitlich näher bestimmte Ausdrücke, NPI: zeitlich unbestimmtden Finger krumm machen Alternativen: Handlungen, Arbeiten,

NPI: die geringste Handlungein Haar krümmen

Alternativen: eindselige Handlungen, NPI: die geringste feindselige Handlung

eine müde MarkAlternativen: Geldbeträge, NPI: der geringste Geldbetrag

ein SchweinPersonen, mehr oder weniger spezifisch eingeschränktNPI: Personen im allgemeinen

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Negative PolaritätselementeWeshalb treten NPIs nur in abwärts-implizierenden Kontexten auf?Annahmen:• NPIs sind immer mit Horn-Skalen assoziiert,

sie beziehen sich dabei stets auf das kleinste, allgemeinste Element.• In abwärtsimplizierenden Kontexten werden alle anderen Elemente

der Horn-Skala ausgeschlossen.

Es stimmt nicht, dass Otto jemals in Bhutan war.==> Es stimmt nicht, dass Otto {gestern, letztes Jahr, vor drei Jahren, innerhalb der letzten 5 Jahre…} in Bhutan war.

Jeder, der jemals in Bhutan war, war beeindruckt.==> Jeder, der {gestern, letztes Jahr, vor drei Jahren, innerhalb der letzten 5 Jahre…} in Bhutan war, war beeindruckt.

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Negative Polaritätselemente

Weshalb treten NPIs nur in abwärts-implizierenden Kontexten auf?Annahmen:• NPIs sind immer mit Horn-Skalen assoziiert,

sie beziehen sich dabei stets auf das kleinste, allgemeinste Element.• In abwärtsimplizierenden Kontexten werden alle anderen Elemente

der Horn-Skala ausgeschlossen.

• Dadurch zeigt der Sprecher eine besonders starke Aussage an;die gemachte Aussage ist stärker als alle alternativen Aussagen, die aus den Elementen der Hornskala gewonnen werden könnten.

• In aufwärtsimplizierenden Kontexten wäre die gemachte Aussagedie schwächste unter allen Alternativen;dann ist es aber nicht klar,weshalb überhaupt Alternativen eingeführt wurden.

• Es widerspricht der Maxime der Quantität,möglichen Aussagen als Alternativen ins Spiel zu bringenund dann die schwächste davon zu wählen.

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Nicht-lineare SkalenJulia Hirschberg 1985. A theory of scalar implicature, Ph.D. diss., University of

Pennsylvania.

A: Hast du in diesem Topf schon mal Fondue gemacht?

B: Kein Schokoladen-Fondue.

[Situation: B macht Schokloadenfondue in einem Fondue-Topf, der ihm von A geschenkt wurde;B will verheimlichen, dass er den Topf noch nie verwendet hat.]

Es besteht eine Implikatur, dass B in diesem Topf bereits andere Fondues gemacht hat.

(Typischerweise durch ein Intonationsmuster Fallend-Steigend angezeigt.)

Die Menge der Ausdrucks-Alternativen ist hier nicht linear geordnet:

Fondue

/ | \ Käse-Fondue Fleisch-Fondue Schokaladen-Fondue

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Nicht-lineare Skalen: Verneinung eines Wertes

A: Hast Du in diesem Topf schon mal Fondue gemacht?

Fondue

Käsefondue Fleischfondue Schokoladenfondue

B: Kein Schokoladen-Fondue.

“Schokoladenfondue” wird verneint,

“Fondue” wird nicht verneint

Daher implikatiert B, dass er schon einmal Fondue gemacht hat;da es nicht Schokoladenfondue war, muß es ein anderes Fondue gewesen sein.

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Nicht-lineare Skalen: Bejahung eines Wertes

A: Hast Du in diesem Topf schon mal Fondue gemacht?

Fondue

Käsefondue Fleischfondue Schokoladenfondue

B: Ja, Schokoladen-Fondue.

“Schokoladenfondue” wird bejaht,

andere Fondue-Arten werden nicht bejaht

Daher implikatiert B, dass er andere Fondue-Arten nicht gemacht hat.

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Lektüre (Texte auf CD)

Grice, 1975, “Logic and conversation”

Levinson, 1983, Pragmatics, Ch.3: “Conversational Implicature”

Horn, 2004, “Implicature”, in Horn & Ward, Handbook of Pragmatics.