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OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- und Therapiemittel Die Osteopathie ist weder Massage noch Chiropraktik oder Physiotherapie, sondern eine ganz- heitliche, systemische Heilmethode mit eigenem philosophischem Konzept. Der amerikanische Arzt Andrew Taylor Stilllegte gegen Ende des 19. jahrhunderts das Fundament zu einer Thera- peutik, die den menschlichen Körper als Einheit sieht, in der die Struktur und Funktion gegen- seitig und wechselseitig voneinander abhängen. Er fand heraus, dass der Körper über Selbst- heilungskräfte verfügt, die, wenn sie mit geziertem mechanischem Druck der Hände stimuliert werden, körperliche und funktionelle Störungen beseitigen können. " '" _Die Wurzeln der Ostheopathie liegen in den USA. Der Chirurg Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) gründete im Jahr 1892 in Kirksville, Missouri, das erste osteopa- thische College, die «Academy of OsteopathY>I.Er ent- deckte den Zusammenhang zwischen dem körperlichen Wohlbefinden und dem funktionellen Gleichgewicht der Strukturen des menschlichen Körpers. Er entwarf ein Konzept, bei dem das myofaszio-skelettale System (Knochen, Muskeln und Bindegewebe) als Stützgewebe im Zusammenhang mit allen anderen Organsystemen im Mittelpunkt steht. Hierbei ging er von den Naturge- setzen der gegenseitigen Abhängigkeit und der Interak- tion zwischen den verschiedenen Systemen aus: Der Mensch reagiert als Einheit. «LEBEN IST BEWEGUNG» _In AndrewTaylorStill's Konzeptder Osteopathie kommtdem prägendenGrund-und Leitsatz«Lebenist Bewegung»einezentraleBedeutungzu.DieserKernge- dankefokussiert nicht nur das Muskel-Skelett-System, sonrlprn rJllrh rl"n ~('h;;rl,,1 rl;" IAI";,..ht,,;I,, 1"1;" inn<>r<>n Organe,die Nerven-undGefässbahnensowiedie Hor- mondrüsenund kleinsteZelleinheiten.Der Körperfunk- tioniert dankder Möglichkeit,Bewegungenauszuführen. Dabei handeltes sich nicht nur um die bekanntenBe- wegungenvon Gelenken,sondernauchum feine, rhyth- mischeundunbewussteBewegungenvon beinaheallen KörperstrukturenundOrganen.Dazuzählenzum Bei- spiel der Rhythmusder Lungeund des Herzens,die Peristaltikdes Darmtrakts,die Bewegungendes Bluts, der Lympheundder Hirnflüssigkeit.Jededieser körper- lichen Strukturenhat seine eigeneBewegung.EinBe- wegungsverlustder Organekannfolglichzu Schmerzen führen. WIE DEFINIERT SICH DIE OSTEOPATHISCHE MEDIZIN? _Die osteopathische Medizin beinhaltet die manuelle Diagnostik und Therapie somatischer Dysfunktionen im Bewegungssystem, den inneren Organen und dem Nervensystem. Sie betont die Einheit aller Körpersys- teme und die reflektorischen Wechselbeziehungen der Systeme untereinander. Das muskulo-skelettale System spiegelt dabei zahlreiche Dysfunktionen verschiedener Organsysteme wider. Der menschliche Körper hat eine natürliche Tendenz, einen gesunden Funktionszustand zu unterhalten. Er verfügt über die Fähigkeit, durch Anpassungsvorgänge Krankheiten zu widerstehen und gestörte Funktionen selbst zu korrigieren. Die osteopa- thische Medizin zielt auf eine Verbesserung der physio- logischen Funktionen zur Erreichung und Stabilisierung einer Homöostase. _Die Osteopathieergänztund erweitert die klassische Schulmedizinbei der DiagnoseundTherapiesomati- scher Dysfunktionen.Siegrenztsich von anderenmedi- zinischenFachbereichendadurchab, dasssie gesunde Restfunktionendes Körperssucht, dieseverstärkt und damit dem Körperhilft, Fehlfunktionenzu vermeiden oder ganzzu verhindern.Die Ziele der osteopathischen C~h~~rJl,,~~ ~:~rJ rJ~~ h:~~~~h__:__h-' '__'_:.Lu :.L.

OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- … · OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- und Therapiemittel Die Osteopathie ist weder Massage noch Chiropraktik oder Physiotherapie,

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Page 1: OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- … · OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- und Therapiemittel Die Osteopathie ist weder Massage noch Chiropraktik oder Physiotherapie,

OSTEOPATHISCHE MEDIZIN

Hände als Diagnose- und TherapiemittelDie Osteopathie ist weder Massage noch Chiropraktik oder Physiotherapie, sondern eine ganz-heitliche, systemische Heilmethode mit eigenem philosophischem Konzept. Der amerikanischeArzt Andrew Taylor Stilllegte gegen Ende des 19. jahrhunderts das Fundament zu einer Thera-

peutik, die den menschlichen Körper als Einheit sieht, in der die Struktur und Funktion gegen-seitig und wechselseitig voneinander abhängen. Er fand heraus, dass der Körper über Selbst-heilungskräfte verfügt, die, wenn sie mit geziertem mechanischem Druck der Hände stimuliertwerden, körperliche und funktionelle Störungen beseitigen können.

" '"

_Die Wurzeln der Ostheopathie liegen in den USA. Der

Chirurg Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) gründete

im Jahr 1892 in Kirksville, Missouri, das erste osteopa-

thische College, die «Academy of OsteopathY>I.Er ent-

deckte den Zusammenhang zwischen dem körperlichen

Wohlbefinden und dem funktionellen Gleichgewicht

der Strukturen des menschlichen Körpers. Er entwarf

ein Konzept, bei dem das myofaszio-skelettale System

(Knochen, Muskeln und Bindegewebe) als Stützgewebe

im Zusammenhang mit allen anderen Organsystemen

im Mittelpunkt steht. Hierbei ging er von den Naturge-

setzen der gegenseitigen Abhängigkeit und der Interak-

tion zwischen den verschiedenen Systemen aus: Der

Mensch reagiert als Einheit.

«LEBEN IST BEWEGUNG»

_In AndrewTaylorStill's Konzeptder Osteopathiekommtdem prägendenGrund-und Leitsatz«LebenistBewegung»einezentraleBedeutungzu. DieserKernge-dankefokussiert nicht nur das Muskel-Skelett-System,sonrlprn rJllrh rl"n ~('h;;rl,,1 rl;" IAI";,..ht,,;I,, 1"1;"inn<>r<>n

Organe,die Nerven-und Gefässbahnensowiedie Hor-

mondrüsenund kleinsteZelleinheiten.Der Körperfunk-tioniert dank der Möglichkeit,Bewegungenauszuführen.Dabeihandeltes sich nicht nur um die bekanntenBe-

wegungenvon Gelenken,sondernauchum feine, rhyth-mische und unbewussteBewegungenvon beinaheallenKörperstrukturenund Organen.Dazuzählenzum Bei-spiel der Rhythmusder Lungeund des Herzens,diePeristaltikdes Darmtrakts,die Bewegungendes Bluts,der Lympheund der Hirnflüssigkeit.Jededieser körper-lichen Strukturenhat seineeigeneBewegung.EinBe-wegungsverlustder Organekannfolglich zu Schmerzenführen.

WIE DEFINIERT SICH DIE OSTEOPATHISCHE

MEDIZIN?

_Die osteopathische Medizin beinhaltet die manuelle

Diagnostik und Therapie somatischer Dysfunktionen

im Bewegungssystem, den inneren Organen und dem

Nervensystem. Sie betont die Einheit aller Körpersys-

teme und die reflektorischen Wechselbeziehungen der

Systeme untereinander. Das muskulo-skelettale System

spiegelt dabei zahlreiche Dysfunktionen verschiedener

Organsysteme wider. Der menschliche Körper hat eine

natürliche Tendenz, einen gesunden Funktionszustand

zu unterhalten. Er verfügt über die Fähigkeit, durch

Anpassungsvorgänge Krankheiten zu widerstehen und

gestörte Funktionen selbst zu korrigieren. Die osteopa-

thische Medizin zielt auf eine Verbesserung der physio-

logischen Funktionen zur Erreichung und Stabilisierungeiner Homöostase.

_Die Osteopathieergänztund erweitert die klassischeSchulmedizinbei der DiagnoseundTherapiesomati-

scher Dysfunktionen.Siegrenztsich von anderenmedi-zinischenFachbereichendadurchab, dasssie gesundeRestfunktionendes Körperssucht, dieseverstärkt unddamit dem Körperhilft, Fehlfunktionenzu vermeidenoder ganzzuverhindern.DieZieleder osteopathischenC~h~~rJl,,~~ ~:~rJ rJ~~ h:~~~~h__:__h-' '__'_:.Lu :.L.

Page 2: OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- … · OSTEOPATHISCHE MEDIZIN Hände als Diagnose- und Therapiemittel Die Osteopathie ist weder Massage noch Chiropraktik oder Physiotherapie,

der artikulären, myofaszialen und membranösen Ge-

webe und damit die Bewegungsfunktion zu verbessern,

die Balance des autonomen Nervensystems wieder

herzustellen und die arterielle, venöse und lymphatischeFunktion zu verbessern.

_Die osteopathische Medizin hat sich, unter Beibehal-

tung des ursprünglichen Konzepts, mit ihren eigenen

Diagnostik- und Therapiemethoden ständig weiterent-wickelt und laufend den neusten wissenschaftlichen

Erkenntnissen angepasst.

OSTEOPATHISCHE BEHANDLUNGSKONZEPTE

_Der Therapeut diagnostiziert und behandelt die gege-

benen Beweglichkeitseinschränkungen der anatomi-

schen Strukturen, die den Organismus in seinen physio-

logischen Funktionen behindern können, nur mit seinen

Händen. Ihm stehen dafür verschiedene Handgriffe und

Techniken, so genannte Konzepte, zur Verfügung.

_Die osteopathische Medizin verfolgt vier grundlegende

Behandlungsmethoden und -bereiche:

. Muskel-Energie-Konzept

Bei Muskelenergietechniken kontrahiert der Patient

bestimmte Muskeln oder Muskelgruppen in eine

vom Arzt genau kontrollierte Richtung. Der Oste-

opath arbeitet mit verschiedenen Intensitäten einer

exakt ausgeführten Gegenkraft, entgegen der

Anspannungsrichtung des Patienten. Bestehende

Gelenkblockierungen werden beseitigt und der

Muskeltonus im funktionsgestörten Körperareal nor-malisiert.

. ViszeralesKonzept

Man unterscheidet bei den viszeralen Organbewe-

gungen eine Mobilität, die durch Skelettmuskel-

Kontraktionen und Zwerchfellbewegungen bewirkt

wird, und eine organeigene Motilität. Die viszeralen

Organe sind durch viele Faszien und Bänder befes-

tigt, in denen sich kontraktile Elemente befinden.

Bei Verspannungen dieser Faszien wird die Mobilität

und Motilität der Organe beeinträchtigt. So können

Funktionsstörungen der Organe entstehen und über

viszerosomatische Reflexe Störungen im muskulo-

skelettalen System auftreten. Bei der viszeralen

osteopathischen Behandlung werden Imbalancen an

den faszialen Befestigungen getastet und zu einem

Punkt der Balance geführt. Dadurch verbessert sich

die physiologische Funktion der inneren Organe.

. Cranio-sacrales Konzept

Dieses Konzept beruht auf tastbaren Bewegunger ~zwischen den Schädelknochen und synchronen

Bewegungen des Kreuzbeins zwischen den Ilea.

Untersucht und beurteilt werden dabei der Cranial-

Rhythmische Impuls (CRI) im Bereich der Schä-

deiknochenund des Sakrums- nach Frequenz,Amplitude und Symmetrie -, die Bewegungen derverschiedenen Schädel knochen untereinander

sowie die Sakrummobilität. Mit dieser Therapieform

können gestörte artikuläre Bewegungen im Schädel-

und Sakrumbereich normalisiert werden. Verspan-

nungen der Schädelmembranen und Beeinträchti-

gungen der Hirnnerven an den Austrittspunkten des

Schädels werden gelöst, der Kreislauf im arteriellen,

venösen und lymphatischen System wird verbessert

und die Vitalität des CRI gesteigert.

. Myofasziales Konzept

Die so genannte myofasziale Release-Technik ist ' /

eine Weichteiltechnik zur Beseitigung von Verspan-

nungen in den neuromuskulären Strukturen und im

Bindegewebe. Bei der direkten Behandlungsme-thode wird mit afferenter Stimulation eine efferente

Inhibition des Gewebes erreicht. Daraus erfolgt

eine reflektorische Entspannung. Bei der indirekten

Methode wird durch das Annähern der verspannten

myofaszialen Strukturen der Weg des geringsten

Widerstands verfolgt. Im Gewebe finden dabei

Eigenbewegungen statt, bis eine ausbalancierte

symmetrische Gewebsspannung erreicht ist.

_Mit seiner Behandlung stimuliert der Therapeut die

natürlich Tendenz des Organismus zur Selbstregulation

und Selbstheilung. Er versucht die Bewegung zu be-

freien, um dem Patienten sein optimales Potenzial zur

Anpassung wiederzugeben.

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BREITES INDIKATIONSSPEKTRUM

"--'

_DasichdieosteopathischeUntersuchungauf alle Kör-perstrukturen wie Knochen, Muskeln, Faszien, innere

Organe oder endokrine Drüsen erstreckt, ist die Palette

der behandelbaren Störungen gross, auch wenn sie

bereits längere Zeit bestehen. Grundsätzlich kann die

osteopathische Medizin bei allen Funktionsstörungendes Körpers angewandt werden. Alterbeschränkungen

für eine osteopathische Behandlung gibt es nicht. Zuden Indikationen bei Erwachsenen zählen unter ande-

rem Rückenschmerzen, Hexenschuss, Bandscheiben-

leiden, Gelenkbeschwerden, Schleudertraumata, Tinni-

tus, chronische Kopfschmerzen und Migräne, Allergien,

chronische Verdauuungsbeschwerden, Menstruations-beschwerden, Schlaf-, Konzentrations- und Lernstö-

rungen, chronische Blasenentzündung, Inkontinenz,

Schluckauf, chronische Rhinitis,Sinusitis, Kiefergelenk-

probleme, Lebererkrankungen, chronische Müdigkeit

sowie Depressionen und Stimmungsschwankungen.

Zu den Indikationen bei Säuglingen und Kleinkindern

gehören zum Beispiel durch Geburtstraumata verur-

sachte Störungen wie Dreimonatskrämpfe, häufiges

Schreien, unregelmässige Atmung, Schiefhals, Schlaf-

störungen und chronische Mittelohrentzündung.

ZUNEHMENDEVERBREITUNGUND NACHFRAGE

~

_In den USAstiessen die osteopathischen Behand-

lungserfolge von Andrew TaylorStill und seiner Schüler

auf reges öffentliches Interesse. Anfang des 20. Jahr-

hunderts schwappte die Osteopathie-Welle langsam

auch nach Europa. Dr. Martin Littlejohn, ein Schüler

Still's, gründete 1917 in Grossbritannien die erste euro-

päische Schule für Osteopathie, die IIBritishSchool ofOsteopathYII.Vor allem in den USAund Grossbritannien

nimmt die Osteopathie bereits seit Jahrzehnten einen

festen Platz im Gesundheitswesen, in Spitälern und Kli-

niken ein. Aber auch in Frankreich, Belgien und denNiederlanden, in Italien, Deutschland, Österreich und

der Schweiz findet die Osteopathie zunehmend Aner-

kennung. Gerade hier zu Lande erlebt die Osteopathie

zurzeit einen regelrechten Nachfrage-Boom. In zahlrei-chen Kantonen und deren Gesundheitsdirektionen ist

die osteopathische Medizin inzwischen anerkannt. Die

meisten Krankenkassen vergüten die osteopathische

Behandlung heute über entsprechende Zusatzversiche-

rungen.

'-../

_Heutzutage absolvieren in den USAOsteopathen eine

komplette akademische Ausbildung zum Doctor of Oste-apathie, die zurzeit an 17verschiedenen Universitäten

angeboten wird und dem schulmedizinischen Studium

gleichgestellt ist. Die Schweiz beispielsweise ist hinge-gen noch nicht so weit. Gegenwärtig bietet einzig die

Ecole Suisse d'Osteopathie in Belmont-sur-Lausanne

eine Vollzeitausbildung zur Erreichung des Osteopathie-

Diplomsan, das aber bis anhinnoch nicht - wieinden USA- als ordentlicherMedizinberufanerkanntist.

Gesundheitspolitische Verfahren und Vernehmlassun-

gen, zur Anerkennung der Osteopathie als selbstständi-

ger Berufsstand mit eigenem Diagnosewesen, sind

jedoch im Gange.

Kontaktperson für weitere Auskünfte undInformationen:

Dr. med. Walter Limacher

Facharzt Allgemeinmedizin FMH, Osteopathische

Medizin DGOM, Chin. Medizin, Akupunktur ASA,

Manuelle Medizin SAMM, Applied Kinesiology DAEGAK

Hirschmattstrasse 29, CH-6003 Luzern

Info I

WEBLINKS MIT WEITERFÜHRENDEN

INFORMATIONEN ZUM THEMA:

. AmericanOsteopathicAssociationwww.aoa-net.org

. BritishOsteopathicAssociationwww.osteopathy.org

. AkademiefürOsteopathiewww.osteopathische-akademie.de

. FachzeitschriftfürganzheitlicheHeilverfahrenwww.osteopathische-medizin.de

. DeutscheGesellschaftfürosteopathischeMedizin

www.dgom.info

. SwissAssociationof OsteopathicMedicinewww.saom.ch

. SchweizerischesRegisterderOsteopathenwww.osteopathy.ch

JoachimKlar