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Schmerz 2007 · 21:35–42 DOI 10.1007/s00482-006-0500-9 Online publiziert: 6. September 2006 © Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes 2006. Published by Springer Medizin Verlag – all rights reserved C. Schiessl · J. Bidmon · R. Sittl · N. Grießinger · J. Schüttler Schmerzambulanz der Anästhesiologischen Klinik, Universitätsklinikum, Erlangen Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten Analyse von 1692 Behandlungstagen Originalien Die meisten Patienten im fortgeschritte- nen Stadium einer inkurablen Erkran- kung möchten im häuslichen Umfeld sterben [13, 19, 25]. Nicht selten schei- nen diesem Wunsch „therapieresisten- te“ Schmerzen oder die Notwendigkeit qualifizierter palliativmedizinischer Be- treuung mit Hospitalisation entgegenzu- stehen [12, 18, 27]. Ist eine nichtinvasive Schmerztherapie nicht machbar oder un- zureichend, kann durch Umstellung auf die parenterale Opioidgabe häufig ei- ne befriedigende Schmerzlinderung er- reicht werden [3, 10]. Das Prinzip der pa- tientenkontrollierten Analgesie (PCA) ermöglicht hierbei die bedarfsgerechte Anpassung an das aktuelle individuelle Schmerzniveau [15]. Fragestellung Die Anwendung einer PCA ist an ei- ne entsprechende Qualifikation der Be- treuer gebunden und bedeutet einen be- trächtlichen Organisations-, Personal- und Zeitaufwand. Um über die Höhe des Aufwands und den Erfolg der Therapie qualifizierte Aussagen machen zu kön- nen, untersuchten wir detailliert Thera- pieergebnisse, Betreuungsintensität und Versorgungslogistik der von uns angebo- tenen oder konsiliarisch betreuten Ver- sorgung. Methodik Studiendesign, Patientenkollektiv In unsere retrospektive Analyse wurden 46 konsekutive ambulante Tumorschmerz- patienten, die von November 2003 bis No- vember 2004 auf eine mobile parenterale patientenkontrollierte Analgesie (PCA) umgestellt worden waren, eingeschlossen. Diese wurden von der Schmerzambulanz der Anästhesiologischen Klinik Erlangen in Kooperation mit spezialisierten ambu- lanten Pflegediensten versorgt. Standardisierte Basisversorgung Zwölf der 46 Patienten waren bereits zu Beginn der Betreuung im Hospiz unter- gebracht. Für alle häuslichen Patienten (n=34) wurde die ambulante Weiterbe- treuung durch ein spezialisiertes Pflege- team übernommen [20]. Die standardi- sierte Basisversorgung umfasste die Ko- ordination der verschiedenen Leistungs- erbringer, die termingerechte Bereitstel- lung und den Wechsel des Medikamen- tenreservoirs, die Gewährleistung eines 24-h-Rufdienstes sowie 2 Telefonanrufe/ Woche. Bei 30 Patienten erfolgte die Verord- nung der PCA – primär und im wei- teren Verlauf –- durch die Ärzte der Er- langer Schmerzambulanz (Erlanger Pati- enten: Gruppe E). Bei den übrigen 16 Pa- tienten erfolgte – nach Dosisfindung und Ersteinstellung der PCA durch die Erlan- ger Schmerzambulanz – die weitere Ver- ordnung und Betreuung durch die nie- dergelassenen Hausärzte. Die Ärzte der Schmerzambulanz Erlangen übernahmen im weiteren Verlauf ausschließlich konsi- liarische Aufgaben (konsiliarische Pati- enten: Gruppe K). Medikation Als starkes Opioid zur parenteralen PCA- Therapie wurde im untersuchten Zeit- abschnitt ausschließlich Morphin einge- setzt. Die Umrechnung von der medika- mentösen Vortherapie auf intravenöses Morphin erfolgte nach Standardumrech- nungstabellen [16]. Standardmäßig wur- de die Basalrate der PCA-Pumpe so ein- gestellt, dass die basale PCA-Tagesmor- phindosis analgetisch äquipotent war zu 80% der bis dato verabreichten Tagesopi- oiddosis. Zusätzlich konnten sich die Pati- enten alle 10 min einen Bolus in Höhe der 1-h-Opioiddosis verabreichen. Die Mor- phinapplikation erfolgte bei den hier un- tersuchten Patienten ausschließlich intra- venös. Die meisten Patienten (94%) er- hielten die Schmerzmedikamente über ein implantiertes Portkathetersystem. Etwai- ge weitere beim individuellen Patienten bereits eingeführte (Ko-)Analgetika wur- den entweder oral oder parenteral weiter verabreicht. Die Modifikation der PCA- Parameter erfolgte im Verlauf durch den spezialisierten Pflegedienst in Rückspra- 35 Der Schmerz 1 · 2007 |

Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

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Page 1: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

Schmerz 2007 · 21:35–42

DOI 10.1007/s00482-006-0500-9

Online publiziert: 6. September 2006© Deutsche Gesellschaft zum Studium

des Schmerzes 2006. Published by Springer

Medizin Verlag – all rights reserved

C. Schiessl · J. Bidmon · R. Sittl · N. Grießinger · J. Schüttler

Schmerzambulanz der Anästhesiologischen Klinik, Universitätsklinikum, Erlangen

Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

Analyse von 1692 Behandlungstagen

Originalien

Die meisten Patienten im fortgeschritte-

nen Stadium einer inkurablen Erkran-

kung möchten im häuslichen Umfeld

sterben [13, 19, 25]. Nicht selten schei-

nen diesem Wunsch „therapieresisten-

te“ Schmerzen oder die Notwendigkeit

qualifizierter palliativmedizinischer Be-

treuung mit Hospitalisation entgegenzu-

stehen [12, 18, 27]. Ist eine nichtinvasive

Schmerztherapie nicht machbar oder un-

zureichend, kann durch Umstellung auf

die parenterale Opioidgabe häufig ei-

ne befriedigende Schmerzlinderung er-

reicht werden [3, 10]. Das Prinzip der pa-

tientenkontrollierten Analgesie (PCA)

ermöglicht hierbei die bedarfsgerechte

Anpassung an das aktuelle individuelle

Schmerzniveau [15].

Fragestellung

Die Anwendung einer PCA ist an ei-

ne entsprechende Qualifikation der Be-

treuer gebunden und bedeutet einen be-

trächtlichen Organisations-, Personal-

und Zeitaufwand. Um über die Höhe des

Aufwands und den Erfolg der Therapie

qualifizierte Aussagen machen zu kön-

nen, untersuchten wir detailliert Thera-

pieergebnisse, Betreuungsintensität und

Versorgungslogistik der von uns angebo-

tenen oder konsiliarisch betreuten Ver-

sorgung.

Methodik

Studiendesign, Patientenkollektiv

In unsere retrospektive Analyse wurden 46

konsekutive ambulante Tumorschmerz-

patienten, die von November 2003 bis No-

vember 2004 auf eine mobile parenterale

patientenkontrollierte Analgesie (PCA)

umgestellt worden waren, eingeschlossen.

Diese wurden von der Schmerzambulanz

der Anästhesiologischen Klinik Erlangen

in Kooperation mit spezialisierten ambu-

lanten Pflegediensten versorgt.

Standardisierte Basisversorgung

Zwölf der 46 Patienten waren bereits zu

Beginn der Betreuung im Hospiz unter-

gebracht. Für alle häuslichen Patienten

(n=34) wurde die ambulante Weiterbe-

treuung durch ein spezialisiertes Pflege-

team übernommen [20]. Die standardi-

sierte Basisversorgung umfasste die Ko-

ordination der verschiedenen Leistungs-

erbringer, die termingerechte Bereitstel-

lung und den Wechsel des Medikamen-

tenreservoirs, die Gewährleistung eines

24-h-Rufdienstes sowie 2 Telefonanrufe/

Woche.

Bei 30 Patienten erfolgte die Verord-

nung der PCA – primär und im wei-

teren Verlauf –- durch die Ärzte der Er-

langer Schmerzambulanz (Erlanger Pati-

enten: Gruppe E). Bei den übrigen 16 Pa-

tienten erfolgte – nach Dosisfindung und

Ersteinstellung der PCA durch die Erlan-

ger Schmerzambulanz – die weitere Ver-

ordnung und Betreuung durch die nie-

dergelassenen Hausärzte. Die Ärzte der

Schmerzambulanz Erlangen übernahmen

im weiteren Verlauf ausschließlich konsi-

liarische Aufgaben (konsiliarische Pati-

enten: Gruppe K).

Medikation

Als starkes Opioid zur parenteralen PCA-

Therapie wurde im untersuchten Zeit-

abschnitt ausschließlich Morphin einge-

setzt. Die Umrechnung von der medika-

mentösen Vortherapie auf intravenöses

Morphin erfolgte nach Standardumrech-

nungstabellen [16]. Standardmäßig wur-

de die Basalrate der PCA-Pumpe so ein-

gestellt, dass die basale PCA-Tagesmor-

phindosis analgetisch äquipotent war zu

80% der bis dato verabreichten Tagesopi-

oiddosis. Zusätzlich konnten sich die Pati-

enten alle 10 min einen Bolus in Höhe der

1-h-Opioiddosis verabreichen. Die Mor-

phinapplikation erfolgte bei den hier un-

tersuchten Patienten ausschließlich intra-

venös. Die meisten Patienten (94%) er-

hielten die Schmerzmedikamente über ein

implantiertes Portkathetersystem. Etwai-

ge weitere beim individuellen Patienten

bereits eingeführte (Ko-)Analgetika wur-

den entweder oral oder parenteral weiter

verabreicht. Die Modifikation der PCA-

Parameter erfolgte im Verlauf durch den

spezialisierten Pflegedienst in Rückspra-

35Der Schmerz 1 · 2007 |

Page 2: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

che mit den Ärzten der Schmerzambulanz

oder den niedergelassenen Ärzten.

Verwendete PCA-Pumpen

Alle Patienten wurden mit dem trag-

baren Pumpensystem Pegasus Light® (Pe-

gasus GmbH, Kiel) versorgt. Die Pegasus-

Light® ist mit einem Event-Bolusrecorder

ausgestattet. Der Eventrecorder zeichnet

neben Ereignissen wie Pumpenstart und

-stopp auch den genauen Zeitpunkt jeder

Laufratenänderung auf. Im Bolusrecorder

werden die Bolusanforderungen des Pati-

enten gespeichert.

Datenmanagement

PumpendatenFür die Patienten der Gruppe E (n=30)

wurde bei Beendigung der PCA-Therapie

die PCA-Pumpe vom spezialisierten am-

bulanten Pflegedienst in die Schmerzam-

bulanz verbracht, wo Event- und Bolus-

recorder in ein Protokoll ausgelesen wur-

den. Diese Protokolle waren Teil der Pa-

tientenakte. Diese Daten wurden zusam-

men mit den aus der Patientenakte ex-

trahierten Daten der Opioidvorthera-

pie manuell in ein Tabellenkalkulations-

programm (MS Excel 2000, Version 9.0,

Microsoft Inc.) übertragen und durch ei-

nen anderen Mitarbeiter der Schmerzam-

bulanz überprüft. Es wurden berechnet:

F Die intravenöse Morphinäquivalenz-

dosis für den Tag vor Beginn der

PCA-Therapie.

F Median, Mittelwert, Standardabwei-

chung und Spannweite der intrave-

nösen Morphintagesdosis für die ers-

ten 3 Tage der PCA-Therapie.

F Anzahl der Patienten mit relevanter

Dosisänderung (Tagesdosis setzt

sich zusammen aus kontinuierlicher

Laufrate und patientenkontrollierten

Bolusgaben; Definition: Veränderung

des Tagesmorphinverbrauches um

>20%, bezogen auf den Vortag der

PCA-Therapie).

F Ausmaß der Dosisänderung absolut

(Milligramm intravenöses Morphin-

äquivalent/Tag) und relativ (prozen-

tuale Änderung, bezogen auf die Opi-

oidtagesdosis vor Beginn der PCA-

Therapie).

Dokumentationsbogen der BasisversorgungNach jedem Besuch wurde von der be-

treuenden Pflegekraft ein Standarddoku-

mentationsbogen an die Schmerzambu-

lanz weitergeleitet. Dieser erfasste u. a.:

F Schmerzwerte (auf einer 11-stufigen

numerischen Ratingskala, NRS).

F Nebenwirkungen/andere Symptome

(z. B. Übelkeit/Erbrechen/Obstipati-

on etc.), Erfassung der Intensität und

Häufigkeit (jeweils 5-stufige verba-

le Skala, Intensität: „kein“ bis „sehr

Tab. 1 Klinische Daten der Patienten bei Umstellung auf eine PCA

Bezeichnung Anzahl absolut (sofern

nicht anders angegeben)

Anteil (%)

N 46 -

Alter (Jahre) Mittelwert 56 (4–83);

Median 57

-

Geschlecht weiblich 27 59

Hauptdiagnose

Tumor des Gastrointestinaltrakts 20 43

Mammakarzinom 12 26

Urogenitaler Tumor 6 13

Bronchopulmonaler Tumor 4 9

Sonstige 4 9

Karnofsky-Index (Median 40 [10–90]a

100/ Normale Aktivität, keine Beschwerden 0 0

90/ Geringfügig verminderte Aktivität und

Belastbarkeit

1 2

80/ Normale Aktivität nur mit Anstrengung,

deutlich verringerte Aktivität

3 7

70/ Unfähigkeit zu normaler Aktivität, versorgt

sich aber selber

6 13

60/ Gelegentlich Hilfe erforderlich, versorgt sich

noch weitgehend selbst

1 2

50/ Ständige Unterstützung und Pflege, häufige

ärztliche Hilfe notwendig

6 13

40/ Überwiegend bettlägerig, spezielle Hilfe

notwendig

9 20

30/ Dauernd bettlägerig geschulte Pflegekraft

notwendig

11 24

20/ Schwerkrank, Hospitalisierung, aktive suppor-

tive Therapie

5 11

10/ Moribund 4 9

Wohnsituation bei Umstellung

Zu Hause 32 70

Hospiz 12 26

Pflegeheim 2 4

Applikationsweg der Basisanalgesie mit starken Opioiden vor Umstellung auf intravenöse PCA

Oral/enteral 7 15

Transdermal 26 57

Intravenös, kontinuierlich 12 26

Subkutan, intermittierend 1 2

Umstellungsgründe auf PCA (Mehrfachnennung möglich)

Orale Therapie unmöglich (Schluck-, Passage-,

Resorptionsstörung)

21 46

Vortherapie nicht ausreichend wirksam 26 57

Schmerzspitzen 16 35a Wegen Rundungsfehlern Summe nicht genau 100%.

36 | Der Schmerz 1 · 2007

Originalien

Page 3: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

stark“, Häufigkeit: „nie“ bis „immer“;

die Auswertung dieser Daten erfolgt

separat an anderer Stelle).

F Spezifische Angaben zu Organisati-

on und Umfang der Versorgung (in

Anlehnung an „Statistikbogen der

DGP für ambulante Palliativdiens-

te“; http: //www.dgpalliativmedizin.de;

jeweils mehrere Antwortkategorien

und Freitext): Einschätzung des Be-

suchs als „geplant“ oder „ungeplant“:

1 Anlass des Besuchs,

1 Besuchsdauer,

1 auftretende Versorgungsprobleme,

1 erbrachte Leistungen,

1 zurückgelegte Wegstrecken,

1 Anfahrtsdauer.

F Ergebnisparameter (auf einer 6-stu-

figen Skala analog Schulnotensystem

(1: „sehr gut“ bis 6: „ungenügend“):

1 bei jedem Besuch die Zufriedenheit

der Patienten („Wie zufrieden sind

Sie mit Ihrer Schmerztherapie?“),

1 einmalig 48 h nach Anschluss

der Pumpe die Bedienbarkeit der

Schmerzpumpe („Wie beurtei-

len Sie die Bedienbarkeit der Pum-

pe?“).

Die Angaben des Standarddokumentati-

onsbogens wurden manuell in eine Ac-

cess-Datenbank überführt und dann elek-

tronisch nach SPSS (Version 11.0) transfe-

riert.

Statistik

Alle statistischen Berechnungen wurden

mit SPSS durchgeführt. Der Vergleich

von medianer Opioiddosis und Schmerz-

werten (NRS 0–10) vor und nach Beginn

der PCA-Therapie erfolgte mittels des

nichtparametrischen Wilcoxon-Tests. Ein

Signifikanzniveau von p <0,05 wurde als

signifikant angenommen.

Ethikkommission

Da die Patientenversorgung nach etablier-

ten Standards erfolgte und durch die Aus-

wertung nicht berührt wurde, erübrigte

sich gemäß der Deklaration von Helsin-

ki das Einholen eines Votums der Ethik-

kommission.

Zusammenfassung · Abstract

Schmerz 2007 · 21:35–42 DOI 10.1007/s00482-006-0500-9

© Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes 2006.

Published by Springer Medizin Verlag – all rights reserved

C. Schiessl · J. Bidmon · R. Sittl · N. Grießinger · J. Schüttler

Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumor-schmerzpatienten. Analyse von 1692 Behandlungstagen

Zusammenfassung

Hintergrund. Benötigen Patienten mit

starken Tumorschmerzen eine parenterale

Schmerztherapie, stehen für den Einsatz im

häuslichen Umfeld portable PCA- (patienten-

kontrollierte Analgesie-)Pumpen zur Verfü-

gung. Aussagekräftige Daten über die Logis-

tik und den Erfolg dieser kosten- und betreu-

ungsintensiven Therapie spezialisierter am-

bulanter Dienste sind rar.

Methodik. Einzelheiten über Betreuungsin-

tensität, Versorgungslogistik und Therapieer-

gebnisse von 46 konsekutiven ambulanten

Tumorpatienten, die am Lebensende einer

patientenkontrollierten Analgesie (PCA) be-

durften, wurden im Rahmen der häuslichen

Besuche erhoben und retrospektiv analysiert.

Ergebnisse. Durch Umstellung auf die par-

enterale Gabe der Schmerzmedikamente

nahm die mediane Opioiddosis vom Vor-

tag der PCA-Therapie zum 1., 2. und 3. Tag

der PCA-Therapie signifikant zu, während die

Schmerzwerte 48 h nach Beginn der PCA-

Therapie signifikant abnahmen. Die PCA wur-

de im Median 25 Tage (2–189 Tage) benö-

tigt. Patientenbesuche wurden im Mittel alle

7,4 Tage durchgeführt und dauerten im Me-

dian 60 min (10–190 min). 20% dieser Be-

suche waren ungeplant, meist wegen the-

rapeutischer Probleme. Nur bei einem Pa-

tienten begründete eine unzureichende

Schmerzkontrolle die präfinale Hospitalisie-

rung.

Schlussfolgerung. Bei entsprechender Indi-

kation profitieren terminale Tumorschmerz-

patienten von einer parenteralen PCA. Die

ambulante Versorgung erfordert einen ho-

hen logistischen Aufwand, verhindert aber

in der Regel eine schmerzbedingte Hospita-

lisation.

Schlüsselwörter

Patientenkontrollierte Analgesie · Tumor-

schmerz · Ambulant · Morphin · Palliativme-

dizin

Patient-controlled analgesia (PCA) in outpatients with cancer pain. Analysis of 1,692 treatment days

Abstract

Introduction. In the home-care setting, can-

cer pain patients in need of parenteral an-

algesia have to be switched to patient-con-

trolled analgesia using portable pumps. But

there is a paucity on data on the logistic re-

quirements or the success rate of such a cost-

intensive therapy performed by specialized

home-care services.

Methods. In a retrospective study we ana-

lyzed data on care intensity, logistics and out-

come of 46 consecutive palliative cancer pa-

tients with patient-controlled analgesia (PCA)

in a home-care setting.

Results. On days 1, 2, and 3 of PCA the

switch to parenteral analgesia resulted in a

significant increase of the median daily opi-

oid dose in comparison to the dose just pri-

or to PCA. Concurrently, pain scores were

signi ficantly reduced. The median duration

of PCA was 25 days (range 2–189 days). On

aver age, each patient was seen by the home-

care team every 7.4 days. The median dura-

tion of the home visits was 60 min (range,

10–190 min). Of the visits 20% were unsche-

duled, most of these visits being due to prob-

lems regarding analgesia. Most patients died

at home. Insufficient analgesia required prefi-

nal hospitalization in only a single case.

Conclusion. If the indications are correct, in-

travenous PCA for palliative cancer pain pa-

tients results in higher opioid consumption

and better pain control. Home-care PCA re-

quires a lot of human and financial resour ces,

but pain-related hospitalization can be pre-

vented.

Keywords

Patient-controlled analgesia · Cancer pain ·

Home-care setting · Morphine · Palliative care

37Der Schmerz 1 · 2007 |

Page 4: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

Ergebnisse

Patientendaten

42 Patienten wurden bis zu ihrem Tod be-

treut, 4 konnten wieder auf eine nichtin-

vasive Analgesie umgestellt werden. Sozio-

demographische und klinische Daten bei

Umstellung auf die PCA sind in . Tab. 1

zusammengestellt. Gründe für die Um-

stellung auf eine intravenöse Morphin-

PCA waren eine nicht ausreichende und/

oder eine technisch nicht machbare orale/

transdermale Therapie mit starken Opioi-

den bzw. Tumorschmerzen mit extremen

Schmerzspitzen. Die meisten Patienten

litten unter Tumoren, die am Lebensende

die gastrointestinale Passage behinderten.

26 Patienten (57%) erhielten bei Betreu-

ungsbeginn zusätzlich eine parenterale

Ernährungstherapie. Über 75% der Pati-

enten hatten einen Karnofsky-Index (als

Maß für die Beeinträchtigung des Allge-

meinzustandes) von unter 50, waren so-

mit auf ständige Hilfe und Unterstützung

angewiesen, mehr als die Hälfte der be-

treuten Patienten war überwiegend bett-

lägerig. Der überwiegende Anteil der Pati-

enten (70%) wurde in der häuslichen Um-

gebung weiterbetreut (. Tab. 1).

Vortherapie und Umstellung auf PCA

Bei Kontaktaufnahme waren alle Pa-

tienten bereits mit starken Opioiden

(WHO III) versorgt. Bei 26 Patienten wa-

ren die Opioide bis zum Wechsel auf ei-

ne PCA transdermal, bei 7 oral und bei 12

mittels kontinuierlicher intravenöser In-

fusion verabreicht worden (. Tab. 1). Bei

2 der 30 Patienten der Gruppe E kam es

zu einem akzidentellen Datenverlust der

PCA-Daten, dementsprechend gingen sie

nicht in die Auswertung ein. Die mediane

Opioiddosis (gemessen in parenteralem

Morphinäquivalent) nahm vom Vortag

der PCA-Therapie zum jeweils 1., 2. und

3. Tag der PCA-Therapie signifikant zu

(. Tab. 2). Bei 6 Patienten kam es zu ei-

ner signifikanten Reduktion (im Median

um 29%), bei 18 Patienten zu einer Stei-

gerung der Opioidtagesdosis (im Median

um 90%; . Tab. 3). In einem Zeitraum

von 48 h nach Beginn der PCA-Therapie

nahmen die Schmerzwerte sowohl in Ru-

Tab. 2 Intravenöse Morphinäquivalenzdosis an den Behandlungstagen vor und nach

Beginn der PCA-Therapie

Behandlungs-

tag

Intravenöse Morphinäquivalenzdosis (mg/Tag i.v.) pa

Median Min-Max Mittelwert Standardab-

weichung

Vor PCA 60 8–400 90 95 -

PCA Tag 1b 72 13–490 120 123 0,03

PCA Tag 2b 75 13–490 114 112 0,025

PCA Tag 3b 76 12–490 118 118 0,013a Vergleich der medianen Opioiddosen an den Tagen 1–3 der PCA-Therapie mit der Dosis vor PCA (Wilco-xon-Test). bKeine signifikante Veränderung der Opioiddosis PCA Tag 1–3 (Wilcoxon-Test, p >0,05).

Tab. 3 Relevante Veränderungen der Tagesopioiddosis vom Tag vor der PCA-Therapie

bis zum 3. Tag der PCA-Therapie

Anzahl der Pati-

enten

Dosisänderung in intravenösem Morphinäquivalent in mg/Tag i.v. (%)a

Median Min-Max Mittelwert Standardabweich-

ung

Reduktion, n=6 31 (29%) 5–60 (25–58%) 31 (33%) 19 (12%)

Steigerung, n=18 38 (90%) 4–241 (22–172%) 55 (96%) 55 (56%)a Die prozentualen Angaben beziehen sich auf die Tagesmorphindosis vor Beginn der PCA Therapie.

Tab. 4 Schmerzwerte der Patienten in Ruhe und bei Belastung vor und 48 h nach

Beginn der PCA-Therapie

Aktivitäts-

zustand

NRS (0–10)

Vor PCA-Therapie 48 h nach Beginn der PCA-Therapie p

Medi-

an

Min-

Max

Mitel-

wert

SD Medi-

an

Min-

Max

Mittel-

wert

SD

Ruhe

(n=28)

4,0 0–10 4,6 3,0 1,0 0–4 1,3 1,3 0,001

Belastung

(n=28)

7,5 2–10 6,8 2,6 2,0 1–10 2,6 2,4 0,001

NRS Numerische Ratingskala (0 = kein Schmerz, 10 = stärkste vorstellbare Schmerzen); SD Standard-abweichung.

Tab. 5 Patientenbesuche durch die Pflegekräfte

Parameter Median Min-Max

Besuchsdauer (min) 60 10–190

Entfernung (km), Wohnort Patienten – Erlangen,

Schmerzambulanz

27 0–150

Entfernung (km), Wohnort Patient – Wohnort

Pflegekraft

30 3–80

Anfahrtsdauer (min), von Wohnort Pflegekraft

– zu Wohnort Patient

30 5–90

Tab. 6 Anlässe der Patientenbesuche durch die Pflegekräfte

Anlass Geplante Besuche Ungeplante Besuche

Kassettenwechsel 129 (83%) 7 (18%)

Therapeutische Probleme 2 (1%) 15 (39%)

Technische Probleme 0 (0%) 10 (26%)

Sonstige (z. B. Erstbesuch) 26 (16%) 7 (18%)

Gesamt 155 39

38 | Der Schmerz 1 · 2007

Originalien

Page 5: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten
Page 6: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

he als auch unter Belastung signifikant ab

(. Tab. 4). Die Bedienbarkeit der Pumpe

wurde als „gut“ bis „sehr gut“ eingeschätzt

(Median 1,5).

Betreuung im Verlauf

BetreuungsaufwandDie 46 Patienten wurden über einen Ge-

samtzeitraum von 1692 Behandlungsta-

gen betreut. Die Betreuungsdauer betrug

im Median 25 Tage (2–189 Tage). Zwölf

Patienten wurden in einem Hospiz wei-

terbetreut, 34 von einem spezialisierten

Pflegedienst überwiegend im häuslichen

Umfeld. Zur Versorgung Letzterer muss-

ten die Pflegekräfte im Median eine ein-

fache Strecke von 30 km zurücklegen

(. Tab. 5). Es fanden 194 Besuche wäh-

rend insgesamt 1438 Betreuungstagen statt,

d. h. durchschnittlich wurde jeder die-

ser Patienten alle 7,4 Tage einmal besucht.

Die mediane Besuchsdauer betrug 60 min

(10–190 min).

80% der Besuche erfolgten geplant.

Weitaus häufigster Anlass war die Not-

wendigkeit eines PCA-Kassettenwechsels

(83%), gefolgt von Besuchen bei Erstkon-

takt (16%). Therapeutische Probleme wa-

ren in nur 2 Fällen Anlass für einen ge-

planten Besuch.

20% der Besuche erfolgten ungeplant

aufgrund akuter Probleme. Die häufigs-

ten Anlässe dieser Besuche waren thera-

peutische (Schmerzen, Übelkeit, Aszites

etc., n=15, 39%) oder technische (Portna-

deldislokation bzw. -okklusion etc., n=10,

26%) Probleme (. Tab. 6). In 7 Fällen war

unbemerkt das Pumpenreservoir „leerge-

laufen“.

BetreuungsqualitätDie 34 häuslichen Patienten waren im

Verlauf mit der Schmerztherapie im Me-

dian „gut“ zufrieden (Minimum-Maxi-

mum 1–5). 74% der Bewertungen im Ver-

lauf (ngesamt=147) waren „sehr gut“ oder

„gut“ und in nur 3% „mangelhaft“ oder

„ungenügend“.

LebensendeDer überwiegende Anteil der 42 bis zum

Tod betreuten Patienten konnte außer-

halb eines Krankenhauses versterben (18

zu Hause, 13 im Hospiz, 2 im Pflegeheim).

Neun Patienten verstarben in einer Klinik.

Die wesentlichen Gründe für die präfinale

Hospitalisierung finden sich in . Tab. 7.

Nur in einem Fall begründete eine unzu-

reichende Analgesie die Hospitalisierung

kurz vor dem Tod (. Tab. 7).

Diskussion

Der Einsatz von PCA-Pumpen bei Tu-

morpatienten war nur selten Gegenstand

wissenschaftlicher Untersuchungen [4, 6,

7, 14, 17, 25, 28]. Nur wenige Publikationen

beschäftigen sich mit der ambulanten Ver-

sorgung dieser Patienten [6, 14, 17, 25, 28].

Swanson et al. [25] berichteten über die er-

folgreiche Versorgung von 117 ambulanten

und stationären Tumorschmerzpatienten,

die mit einer Morphin- (109 von 117 Pa-

tienten) oder Hydromorphon- (8 der

117 Patienten) PCA ausgestattet worden

waren. Das mediane Alter der Patienten

war mit dem in unserem Kollektiv ver-

gleichbar, ebenso mit 23 Tagen die media-

ne Dauer der PCA-Versorgung. Während

unsere Patienten Morphin meist über in-

travenöse Portsysteme erhielten, verwen-

deten Swanson et al. in fast 90% der Fäl-

le eine subkutane Infusion. Gründe für

die häufigere Verwendung intravenöser

Portsysteme in unserem Patientenkollek-

tiv waren:

F die in 46% der Fälle zusätzliche par-

enterale Ernährungstherapie,

F die weitere Verbreitung von Portsys-

temen seit Ende der 80er Jahren im

Rahmen vorangegangener Chemo-

oder Ernährungstherapien (bei allen

Patienten war bereits vor Initiierung

der parenteralen Schmerztherapie ein

Portsystem implantiert worden).

In Einzelfällen werden auch bei Patienten

der Schmerzambulanz Erlangen subkuta-

ne Infusionen verwendet. Unsere Erfah-

rung zeigt jedoch, dass in der häuslichen

Versorgung mit PCA-Pumpen die Ver-

wendung des subkutanen Applikations-

wegs häufig mit Problemen assoziiert ist

(gehäuft Okklusionsalarme bei Bolusga-

be, lokale Irritationen bei hochkonzen-

trierten Mischungen oder bestimmten

Medikamenten).

Meuret u. Jocham [17] untersuchten

143 terminale ambulante Tumorpatienten

vergleichbaren Alters mit exakt dem glei-

chen medianen Karnofsky-Index von

40% wie wir. Über kleinere Patientenkol-

lektive von 4–18 Patienten berichten Cit-

ron et al. [6], Wagner et al. [28], Meuret

u. Jocham [17] und Kerr et al. [14]. In kei-

nem Fall der zitierten Arbeiten kam es zu

schweren Therapiekomplikationen, die

eindeutig der PCA-Technik zuzuordnen

gewesen wären. Es wurde von einem Fall

von Atemdepression mit unklarem Be-

zug zur Morphin-PCA-Behandlung be-

richtet [25].

Umstellung auf eine PCA-Therapie

Die hier vorliegende Analyse betrachtet

eine kleine Gruppe aus der Gesamtheit

der Tumorschmerzpatienten: Diejenigen,

bei denen durch orale/transdermale oder

auch intermittierend parenterale Gabe der

Opioide keine adäquate Schmerzkontrol-

le zu erzielen war. Im Beobachtungszeit-

raum traf dies auf ca. 7% der behandel-

ten Tumorschmerzpatienten zu. Bei allen

Patienten waren vor Umstellung auf eine

i.v. PCA alle anderen Möglichkeiten ei-

ner nichtinvasiven Schmerztherapieopti-

mierung durch erfahrene Schmerzthera-

peuten ausgeschöpft worden. Die meis-

ten Patienten litten unter einer Tumorer-

krankung, die die gastrointestinale Passa-

ge behinderte, von einer sicheren Resorp-

tion oraler Analgetika konnte somit nicht

ausgegangen werden. Die retrospektive

Analyse zeigte, dass durch die Umstel-

lung auf ein patientenkontrolliertes Sys-

tem via parenteralem Zugang in kurzer

Zeit eine effektive Schmerzlinderung zu

erreichen war.

Bei Meuret u. Jocham [17] führte die

Opioidapplikation mittels PCA zu einer

medianen Dosisreduktion um 28%, wo-

bei die Schmerzwerte in der Zeit der Um-

stellung nicht angegeben werden, somit

die adäquate Einstellung der PCA-Pum-

Tab. 7 Gründe der präfinalen Hospi-

talisierung

Grund N

Psychosoziale Überforderung der

Angehörigen

3

Aszites 2

Unzureichende Schmerzkontrolle 1

Rezidivierendes Erbrechen 1

Einlage eines Pylorusstents 1

Schwierige psychische Situation

der Patientin

1

40 | Der Schmerz 1 · 2007

Originalien

Page 7: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

pe in der Umstellungsphase nicht zu be-

urteilen ist. In unserem Patientenkollek-

tiv beobachteten wir im Median einen

Anstieg der Opioiddosis nach Umstel-

lung auf eine intravenöse Morphin-PCA;

einzelne Patienten erfuhren allerdings ei-

ne Dosisreduktion. Bei gleichzeitig sin-

kenden Schmerzwerten spricht dies für

eine bedarfsgerechte Dosierung des Opi-

oids mittels PCA. Dies ist dadurch erklär-

lich, dass der Hauptgrund der Umstellung

eine nicht (mehr) mögliche orale Thera-

pie bei meist durch gastrointestinale Tu-

moren verursachter Resorptions- und

Passagestörungen und damit stark ein-

geschränkter Bioverfügbarkeit der verab-

reichten oralen Medikation war.

Eine weitere Besonderheit unseres

Kollektivs war, dass einige der Patienten

(26%) bereits vor Inbetriebnahme des

PCA-Pumpensystems im Rahmen ih-

rer stationären Versorgung starke Opio-

ide kontinuierlich intravenös erhielten.

Die kontinuierliche Zufuhr wurde jedoch

dem stark wechselndem Schmerzniveau

nicht gerecht. Wir entschlossen uns bei

Entlassung dieser Patienten gegen die aus-

schließliche kontinuierliche Opioidgabe

mittels Infusionspumpe und für die Mög-

lichkeit eines bedarfsgerechten Bolusab-

rufs mittels PCA.

Nach Umstellung auf eine intravenöse

Morphin-PCA zeigten unsere Patienten ei-

ne signifikante Reduktion ihrer Schmerz-

werte sowohl in Ruhe als auch unter Be-

lastung. Zu ähnlichen Ergebnissen ka-

men Swanson et al. [25]: auf einer Skala

von 0–5 hatten deren Patienten vor dem

PCA-Start einen medianen Schmerzwert

von 4 („severe pain“), danach von 1 („mild

pain“). Meuret u. Jocham [17] berichteten

ausschließlich globale Einschätzungen der

Schmerztherapiequalität: bei 66% der Pa-

tienten konnte eine exzellente, bei 30% ei-

ne befriedigende Analgesie erreicht wer-

den. Diese Ergebnisse sind mit den Aus-

künften unserer Patienten vergleichbar:

74% der im Verlauf erhobenen Werte zur

„Zufriedenheit mit der Schmerztherapie“

waren „sehr gut“ oder „gut“.

Betreuungsmodalitäten

Um diese Versorgung zu gewährleisten,

standen die Mitarbeiter des Pflegeteams

in telefonischem Kontakt mit den Pati-

enten und besuchten sie im Durchschnitt

einmal pro Woche. Dies entspricht in etwa

auch der Laufzeit der verwendeten Reser-

voirsysteme, die je nach angeforderter Be-

darfsmedikation 8–10 Tage beträgt. Ent-

sprechend war der weitaus häufigste An-

lass eines Besuchs der Wechsel des Medi-

kamentenreservoirs (67% aller Besuche).

20% der Besuche waren ungeplant. Am

häufigsten wegen therapeutischer, meist

schmerztherapeutischer Probleme (39%).

Diese konnten überwiegend durch eine

Anpassung der Schmerztherapie (Erhö-

hung der Basalrate, Bolusdosis, Erweite-

rung der eingesetzten Medikamente) ge-

löst werden. Technische Probleme führ-

ten in 10 Fällen (26%) außerhalb der ge-

planten Kontakte zur Notwendigkeit eines

Besuchs. Es handelte sich überwiegend

um Probleme mit dem Infusionssystem,

Steckverbindungen und Portnadeldislo-

kationen. In einem Fall musste das Pum-

penssystem wegen Funktionsausfall aus-

getauscht werden. Diese Daten belegen,

dass ein 24-h-Rufdienst für die ambulante

Betreuung von Tumorschmerzpatienten

mit portablen PCA-Pumpen unbedingt

notwendig ist und dass selbst bei häufigen

Telefonkontakten Probleme nicht ausrei-

chend antizipiert werden können.

Sterbeort

Wir konnten zeigen, dass auch eine tech-

nisch anspruchsvolle Schmerztherapie

mittels portabler PCA-Pumpen kein Hin-

derungsgrund für die häusliche Versor-

gung und häusliches Sterben darstellt.

Die meisten von uns betreuten Patienten

konnten außerhalb des Krankenhauses

versterben. Nur in einem Fall begründete

eine unzureichende Schmerztherapie die

präfinale stationäre Aufnahme. Unsere Er-

gebnisse stehen in Einklang mit nationalen

und internationalen Daten [9, 11, 17, 24, 25].

Sie zeigen die Bedeutung ambulanter Ver-

sorgungssysteme für die Möglichkeit des

häuslichen Sterbens auf, die in Deutsch-

land außerhalb von Modellprojekten nicht

ausreichend finanziert sind [22].

Schwachpunkte der Studie

Die untersuchten Daten wurden im Rou-

tinebetrieb erhoben, ohne dass zusätzliche

Ressourcen für die Dokumentation zur

Verfügung gestellt wurden. Die Auswer-

tung erfolgte retrospektiv. Beide Punkte

wirken sich erfahrungsgemäß negativ auf

die Vollständigkeit der Daten aus. An-

dererseits verhindert ein solches Vorge-

hen, dass zu Studienzwecken die Betreu-

ung verändert wird, somit zeichnet die

hier vorgestellte Arbeit ein realistische-

res Bild der Versorgungsintensität, -qua-

lität und -erfolge als eine prospektiv an-

gelegt Studie.

Das Kollektiv war heterogen und be-

stand aus 4 Gruppen: Patienten zuhau-

se oder im Hospiz, wobei an beiden Or-

ten ein Teil der Patienten von der Erlanger

Schmerzambulanz direkt und ein anderer

Teil von verschiedenen Hausärzten eng

betreut wurden. Auch diese Verteilung der

Betreuung würde in einer prospektiven

Studie sicherlich vermieden werden, was

zu einer höheren inneren Konsistenz der

Daten beitragen, aber eine genaue Ana-

lyse der Realität verhindern würde. Wir

sind der Meinung, dass das hier gewähl-

te Design einer retrospektiven Studie al-

ler Patienten eines bestimmten Zeitraums

ohne Ausschluss einzelner Patientengrup-

pen wichtige Daten liefert, die jetzt in pro-

spektive Studien z. B. zur Wertigkeit tele-

medizinischer Ansätze bei der Betreuung

ambulanter Tumorschmerz patienten un-

ter PCA-Therapie einfließen können.

Ein Teil der Daten (Nebenwirkungs-

häufigkeit etc.) wurde mit Rücksicht auf

den Umfang dieser Arbeit hier nicht auf-

genommen (s. oben) und wird separat pu-

bliziert.

Fazit für die Praxis

Tumorschmerzen, die durch die orale

oder transdermale Applikation von Opi-

oiden nicht oder nicht ausreichend gelin-

dert werden, kann häufig suffizient und

rasch durch die Umstellung auf eine be-

darfsgerechte parenterale Gabe mittels

individuell programmierbarer Pumpen

begegnet werden. Ist eine auf diese Form

der Schmerztherapie spezialisierte Ver-

sorgungsstruktur verfügbar, die auch in

der Lage ist, schnell auf die auftretenden

Probleme zu reagieren, kann diese The-

rapie auch im häuslichen Umfeld suffi-

zient fortgeführt werden. Schmerzbe-

dingte präfinale Hospitalisationen kön-

nen hierdurch vermieden werden.

41Der Schmerz 1 · 2007 |

Page 8: Patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bei ambulanten Tumorschmerzpatienten

Korrespondierender AutorDr. C. SchiesslSchmerzambulanz der Anästhesiologischen Klinik, UniversitätsklinikumKrankenhausstrasse 12, 91054 [email protected]

Danksagung. Wir danken der Bayerischen For-

schungsstiftung (BFS) für die Förderung des Projekts

„Teletherapie chronischer Schmerzen“ (AZ487/02), in

dessen Rahmen diese Arbeit entstand. Darüber hin-

aus danken wir den Pflegekräften der beteiligten am-

bulanten Dienste für ihre zuverlässige Dokumentation,

Claudia Wille für die statistische Auswertung und Erik

Michel für anregende Diskussionen und kritisch-kons-

truktive Durchsicht des Manuskripts.

Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-

flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-

ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in

dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-

kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation

des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-

halte produktneutral.

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42 | Der Schmerz 1 · 2007

Schmerzverstärkung bei schwachem SchmerzreizFörderpreis 2006 der Deutschen

Gesellschaft zum Studium des

Schmerzes e.V.

Der diesjährige Förderpreis der Kategorie

Grundlagenforschung der Deutschen Ge-

sellschaft zum Studium des Schmerzes e.V.

(DGSS) ging an das Forscherteam von Prof.

Dr. Jürgen Sandkühler der Medizinischen

Universität in Wien. Den Wissenschaftlern

gelang es, die Schmerzverstärkung auch bei

schwachen Schmerzen zu erklären sowie die

für diese Verstärkung verantwortlichen Zellen

und ihre Mechanismen zu identifizieren.

Das eine Schmerzverstärkung sowohl

durch starke als auch durch schwache

Schmerzreize entstehen kann, war bekannt.

Erklärungsmodelle erfolgten bislang aller-

dings ausschließlich aufgrund von Untersu-

chungen mit starken Schmerzreizen. In den

von den Preisträgern durchgeführten Expe-

rimenten, wurden dagegen elektrische Reize

verwendet, die den Schmerzen bei Wundhei-

lungen und Entzündungen entsprechen und

demnach bis zu 50-mal schwächer als die

bisher angewendeten Schmerzreize waren.

Als verantwortlich für die Schmerzver-

stärkung wurden die in der Lamina I im

Hinterhorn des Rückenmarks liegenden

Zellen identifiziert. Diese sorgen für eine

Übertragung der Signale der peripheren

Schmerzphasern auf die zum Gehirn führen-

den Nervenbahnen im Rückenmark.

Weitere Versuche zeigten, dass die Kalzi-

um-Konzentration in den Zellen der Lamina I

auch in Reaktion auf schwache Schmerzreize

sehr hoch war. Da Kalzium-Ionen an einer

Vielzahl zellulärer Signalübertragungen

beteiligt sind, spricht dies für eine starke

Weiterleitung auch schwacher Schmerzreize

in den Zellen.

Die Forschungsergebnisse haben grund-

legende Bedeutung für die Schmerztherapie,

da sie zeigen, dass eine effektive Vermeidung

einer Schmerzverstärkungen nur erreicht

werden kann, wenn die Schmerztherapie so

lange ohne Unterbrechung fortgeführt wird,

bis der Schmerz weitgehend abgenommen

hat.

Quelle: Deutsche Gesellschaft zum Studium

des Schmerzes e.V. (DGSS), www.dgss.org

Fachnachrichten