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Zur Diskussion gestellt 57. Jahrgang – ifo Schnelldienst 23/2004 7 punkten ist modelltheoretisch inkonsistent und büro- kratisch. Ein Gesundheitsprämien-Modell in Deutschland wird es nur über den CDU/CSU-Vorschlag zur Gesundheitspau- schale geben. Dieses Modell beseitigt die Ungerechtig- keiten im gegenwärtigen System, es ist solidarisch, ge- recht und unbürokratisch, entlastet die Arbeit von stei- genden Gesundheitskosten, schafft Transparenz und mehr Wettbewerb. Pauschalprämien im Gesundheitswesen – Wechsel der Diskussionsebene ist nötig Die Einführung einer Pauschalprämie in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die alternativ auch als Kopf- pauschale oder Gesundheitsprämie bezeichnet wird, wird von wirtschaftswissenschaftlichen Expertengremien schon seit Jahren gefordert. Der Sachverständigenrat hat diese Reform in seinen letzten Jahresgutachten ausführlich ge- würdigt, und in diesem Jahr hat der Wissenschaftliche Bei- rat beim Bundesministerium der Finanzen ein Gutachten mit derselben Stoßrichtung vorgelegt. Nachdem die Rürup- Kommission mehrheitlich, wenn auch nicht einstimmig, ebenfalls für die Pauschalprämie votiert hat, hat dieser Re- formvorschlag über die Herzog-Kommission Eingang in das Programm der CDU und damit in die unmittelbare politi- sche Diskussion gefunden. Nun ist nach langem Ringen zwi- schen CDU und CSU ein Kompromiss gefunden worden, der die Pauschalprämie zwar im Grundsatz erhält, ihre ver- teilungspolitischen, damit aber auch ihre effizienzsteigern- den Wirkungen gegenüber dem reinen Konzept jedoch deut- lich abschwächt. Nach diesem Kompromiss der Unionsparteien soll die Pau- schalprämie für den einzelnen Bürger 109 r betragen. Dies entspricht nur ungefähr der Hälfte der für eine vollständige Finanzierung der GKV-Ausgaben notwendigen Pauschal- prämie, die sich gegenwärtig auf ca. 200 bis 220 o belau- fen würde. Weiterhin soll jeder Bürger nur maximal 7% sei- nes Bruttoeinkommens für die pauschale Gesundheitsprä- mie aufbringen. Das bedeutet, dass für alle Einkommens- bezieher mit einem Monatseinkommen unterhalb von ca. 1 550 o ein einkommensabhängiger GKV-Beitrag erhalten bleibt. Für diese Bürger ändert sich also faktisch nichts am Status quo. Auch die Arbeitgeberbeiträge sollen einkom- Andreas Haufler* * Prof. Dr. Andreas Haufler ist Leiter des Seminars für Wirtschaftspolitik an der Universität München.

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57. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 23/2004

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punkten ist modelltheoretisch inkonsistent und büro-kratisch.

Ein Gesundheitsprämien-Modell in Deutschland wird esnur über den CDU/CSU-Vorschlag zur Gesundheitspau-schale geben. Dieses Modell beseitigt die Ungerechtig-keiten im gegenwärtigen System, es ist solidarisch, ge-recht und unbürokratisch, entlastet die Arbeit von stei-genden Gesundheitskosten, schafft Transparenz undmehr Wettbewerb.

Pauschalprämien im Gesundheitswesen –Wechsel der Diskussionsebene ist nötig

Die Einführung einer Pauschalprämie in der GesetzlichenKrankenversicherung (GKV), die alternativ auch als Kopf-pauschale oder Gesundheitsprämie bezeichnet wird, wirdvon wirtschaftswissenschaftlichen Expertengremien schonseit Jahren gefordert. Der Sachverständigenrat hat dieseReform in seinen letzten Jahresgutachten ausführlich ge-würdigt, und in diesem Jahr hat der Wissenschaftliche Bei-rat beim Bundesministerium der Finanzen ein Gutachten mitderselben Stoßrichtung vorgelegt. Nachdem die Rürup-Kommission mehrheitlich, wenn auch nicht einstimmig,ebenfalls für die Pauschalprämie votiert hat, hat dieser Re-formvorschlag über die Herzog-Kommission Eingang in dasProgramm der CDU und damit in die unmittelbare politi-sche Diskussion gefunden. Nun ist nach langem Ringen zwi-schen CDU und CSU ein Kompromiss gefunden worden,der die Pauschalprämie zwar im Grundsatz erhält, ihre ver-teilungspolitischen, damit aber auch ihre effizienzsteigern-den Wirkungen gegenüber dem reinen Konzept jedoch deut-lich abschwächt.

Nach diesem Kompromiss der Unionsparteien soll die Pau-schalprämie für den einzelnen Bürger 109 r betragen. Diesentspricht nur ungefähr der Hälfte der für eine vollständigeFinanzierung der GKV-Ausgaben notwendigen Pauschal-prämie, die sich gegenwärtig auf ca. 200 bis 220 o belau-fen würde. Weiterhin soll jeder Bürger nur maximal 7% sei-nes Bruttoeinkommens für die pauschale Gesundheitsprä-mie aufbringen. Das bedeutet, dass für alle Einkommens-bezieher mit einem Monatseinkommen unterhalb von ca.1 550 o ein einkommensabhängiger GKV-Beitrag erhaltenbleibt. Für diese Bürger ändert sich also faktisch nichts amStatus quo. Auch die Arbeitgeberbeiträge sollen einkom-

Andreas Haufler*

* Prof. Dr. Andreas Haufler ist Leiter des Seminars für Wirtschaftspolitik ander Universität München.

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mensabhängig bleiben und damit für einen sozialen Aus-gleich innerhalb des GKV-Systems sorgen. Sie werden leichtvon 7 auf 6,5% des Bruttoeinkommens abgesenkt und sol-len auf diesem Niveau eingefroren werden. Damit stellt die-ser politische Kompromiss sicher, dass niemand höhereGKV-Beiträge bezahlt als bisher. Da aber alle Bürger mit Mo-natseinkommen zwischen 1 550 o und der Bemessungs-grenze der GKV, die 2005 bei 3 900 o liegt, entlastet wer-den, muss zwangsläufig ein Finanzierungsdefizit bleiben.Dieses soll nach dem gemeinsamen Vorschlag dadurch auf-gefangen werden, dass die ebenfalls von den Unionspar-teien geplante Steuerreform Gutverdienende nicht so starkentlastet, wie dies ohne die Einführung der Pauschalprä-mie geplant gewesen ist und der Spitzensteuersatz nicht auf36%, sondern lediglich auf 39% abgesenkt werden soll.

In der Summe kommen diese Regelungen einer Reformnahe, die alle Verteilungswirkungen eines Übergangs zu Pau-schalprämien entweder ausschaltet oder über das Steuer-system kompensiert. Allenfalls, und abhängig von der ge-nauen Ausgestaltung der gleichzeitigen Steuerreform, ver-bleibt noch ein Umverteilungseffekt von den Hocheinkom-mensbeziehern, die über der Beitragsbemessungsgrenzeliegen, zu den Beziehern mittlerer und höherer Einkommenunterhalb der Bemessungsgrenze. Die Kehrseite dieser weit-gehend verteilungsneutralen Reform ist jedoch, dass von ihrauch keine nennenswerten Effizienzgewinne zu erwartensind. Letztere könnten nur dann entstehen, wenn die Grenz-belastung der Arbeit sinkt, der zusätzliche Verdienst einerweiteren Arbeitsstunde also weniger stark mit Steuern undAbgaben belegt wird, als dies gegenwärtig der Fall ist. Dieskann aber bei einem gegebenen Finanzierungsbedarf desSozialsystems nur dadurch erreicht werden, dass möglichstviele Versicherten – und damit eben gerade auch die Ein-kommensbezieher in der Nähe und unterhalb des Durch-schnittseinkommens (das gegenwärtig bei einem Jahres-verdienst von etwa 27 000 o liegt) tatsächlich eine pauschaleGesundheitsprämie bezahlen. Eine solche Pauschalprämiewird aber gegenüber dem gegenwärtigen, einkommens-abhängigen Finanzierungssystem notwendigerweise die Ein-kommensstärkeren entlasten und die Einkommensschwä-cheren belasten, mithin also als »ungerecht« wahrgenom-men werden. So stellt auch der Sachverständigenrat in sei-nem jüngsten Jahresgutachten fest, dass »… der sozialeAusgleich selbst und seine Finanzierung verzerrende Wir-kungen hervorrufen, die den grundsätzlichen allokativen Vor-teilen einer Pauschalbeitragsfinanzierung teilweise zuwider-laufen« (SVR 2004, Randziffer 498).

Damit sind wir beim Kern des Dilemmas, das sich bei derEinführung von pauschalen Gesundheitsprämien stellt. So-lange die politische Diskussion nämlich nur um die Finan-zierungsseite kreist, wie das bisher in Deutschland der Fallist, ergeben sich keine systematischen Vorteile dieses Ins-trumentes. Dies zeigt sich daran, dass dieselben Effekte, die

bei einem Wechsel zur pauschalen Gesundheitsprämie auf-treten, grundsätzlich auch mit einer Steuerreform erreichtwerden könnten, die die Progressionswirkung des gegen-wärtigen Systems verringert. Damit stellt sich auch für diePauschalprämie der aus den Diskussionen zur Einkom-mensteuerreform hinlänglich bekannte Zielkonflikt zwischeneiner möglichst unverzerrenden Belastung mit Steuern undAbgaben einerseits und einer Angleichung der Nettoein-kommen durch ein progressiv wirkendes Steuer- und Ab-gabensystem andererseits.

Um eine Pauschalprämie systematisch zu begründen, mussman also von der Finanzierungs- auf die Ausgabenseite derGesetzlichen Krankenversicherung überwechseln. Und hierlassen sich tatsächlich grundsätzliche Argumente finden,warum eine Pauschalprämie mehr Effizienz im Gesund-heitswesen hervorbringen kann, ohne gleichzeitig zu uner-wünschten Verteilungswirkungen zu führen. Denn selbstwenn alle Verteilungseffekte der Pauschalprämie durch dasSteuersystem neutralisiert werden und sich somit finanzie-rungsseitig keinerlei Änderungen ergeben, erlaubt es diePauschalprämie, ausgabenseitige Reformen durchzuführen,die direkt auf den Gesundheitssektor wirken. Insbesonde-re könnten für die Versicherten Selbstbeteiligungstarife ein-geführt werden, die mit einer entsprechenden Prämienre-duktion verbunden sind. Solche Tarife sind im gegenwärti-gen deutschen GKV-System nicht erlaubt. Ein entschei-dender Grund für diese Vollversicherungspflicht liegt darin,dass bei einkommensabhängigen Tarifen ein eindeutiger An-reiz für Gutverdienende besteht, hohe Eigenanteile und da-mit hohe Prämienreduktionen zu wählen, weil damit auchder Solidarbeitrag für die Einkommensschwächeren redu-ziert werden kann. Aus dem gleichen Grunde lohnen sichfür Geringverdiener Selbstbehalte in aller Regel nicht, weildamit auch der Solidarzuschuss aus der GKV sinken wür-de. Unter einem System einkommensabhängiger GKV-Prä-mien führen Selbstbehaltoptionen also zu einer systemati-schen Verzerrung bei der Wahl der Selbstbehalte und da-mit zu einer (Einkommens-) Entsolidarisierung des Systems.Deshalb müssen sie, wie etwa in der Schweiz, mit pau-schalen Gesundheitsprämien gekoppelt werden. Dies be-deutet wiederum, dass der gesellschaftlich gewünschte Ein-kommensausgleich vollständig über das Steuersystem statt-finden muss.

Dass solche Selbstbehalte wirksam sind, hat schon die be-tragsmäßig geringe Zehn-Euro-Pauschale gezeigt, die seitJanuar 2004 in jedem Quartal an den Hausarzt bezahlt wer-den muss. Ist diese Pauschale in einem bestimmten Zeit-raum jedoch einmal bezahlt, entfaltet sie keine weiteren Steu-erungswirkungen mehr. Eine weitergehende Reform wärees also, einen festen Prozentsatz (z.B. 10%) der Arztkostenbis zu einem jährlichen Maximum selbst zu bezahlen, wiedies bei Arzneimitteln bereits der Fall ist. Dieser Eigenanteilkönnte wahlweise auch aufgestockt werden. Der Vorteil der-

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artiger genereller Selbstbehalte läge zum einen darin, dassPatienten unnötige (zusätzliche) Arztbesuche unterlassen,zum anderen würden sie auch bei den vom Arzt angebote-nen Leistungen einen sehr viel intensiveren Kosten-Nut-zen-Vergleich anstellen, als dies heute der Fall ist. Ein sol-ches System müsste sicherlich behutsam eingeführt wer-den, ist aber ein notwendiger Baustein einer Reform, die vor-handene Einsparpotentiale im deutschen Gesundheitswe-sen ausschöpft. So zeigen internationale Vergleiche, dassdie Deutschen einen geringeren Anteil an den Gesund-heitsausgaben durch eigene Zuzahlungen tragen als ihreNachbarn, während sie gleichzeitig die angebotenen Ge-sundheitsleistungen quantitativ stärker in Anspruch nehmen(Osterkamp 2001).

Diese Argumente sind zwar den gesundheitspolitischen Ex-perten geläufig, eine breite politische Diskussion über Selbst-behalte und ihr Einsparpotential hat bisher jedoch in Deutsch-land nicht stattgefunden. Der Unionskompromiss geht indieser Hinsicht in die falsche Richtung, weil er große Teiledes Einkommensausgleichs innerhalb des Gesundheits-systems belässt und damit die Einführung von generellenSelbstbehalttarifen erschwert. Es wird Zeit, dass sich die po-litische Diskussion um Reformen im deutschen Gesund-heitssystem von der isolierten Betrachtung der Einnah-menseite löst und die Wechselwirkungen zwischen Finan-zierungs- und Ausgabenstruktur der GKV in die Überle-gungen einbezieht.

Literatur

Osterkamp, R. (2001), »Das deutsche Gesundheitssystem im internationalenVergleich: Bewertung und Reformalternativen«, ifo Schnelldienst 54(10), 9–16. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung (2004), Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland, Jah-resgutachten 2004/05.

Das Gesundheitsprämien-Modell derUnion – Ein langer Anlauf, aber nur einkurzer Sprung

Nach langer Diskussion haben sich nun CDU und CSU aufzentrale Eckpunkte einer Reform der gesetzlichen Kran-kenversicherung verständigt. Damit konnte der offene Streitzwischen den Unionsparteien über die Gesundheitspolitikgerade noch rechtzeitig vor dem CDU-Parteitag beendetwerden. Bei einem Regierungswechsel soll das gegenwär-tige einkommensbezogene Beitragssystem der gesetzlichenKrankenversicherung abgeschafft und an dessen Stelle ei-ne »solidarische Gesundheitsprämie« eingeführt werden.

Das Konzept der solidarischen Gesundheits-prämie

Jeder gesetzlich Versicherte zahlt dann eine persönliche Ge-sundheitsprämie von 109 l. Sofern dieser Betrag 7% desEinkommens übersteigt, erhält der Versicherte Ausgleichs-zahlungen in Höhe dieser Differenz erstattet. Der Arbeitge-berbeitrag wird auf 6,5% des beitragspflichtigen Einkom-mens festgeschrieben und in eine Clearingstelle eingezahlt.Diese zahlt an jede Kasse einen einheitlichen Betrag pro Ver-sicherten (Arbeitgeberprämie), der sich an den durch-schnittlichen Gesundheitskosten orientiert und nach der-zeitigem Stand rund 60 l betragen würde. Die Clearing-stelle finanziert auch den Solidarausgleich, welcher die per-sönliche Gesundheitsprämie auf 7% des Einkommens be-grenzt. Ehepartner ohne eigenes Einkommen müssen da-mit Prämien abführen, die bislang prämienfreie Mitversi-cherung von Kindern soll dagegen aus allgemeinen Steu-ermitteln finanziert werden.

Hans Fehr*

* Prof. Hans Fehr ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwissenschaft an derUniversität Würzburg.