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PD Dr. C. Luckhaus Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie

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PD Dr. C. Luckhaus

Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen

Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie

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ICD-10 F: Psychische und Verhaltensstörungen

F0 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen

F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte StörungenF3 Affektive Störungen

F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

F6 Persönlichkeits- und VerhaltensstörungenF7 IntelligenzminderungF8 EntwicklungsstörungenF9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der

Kindheit und JugendF99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen

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• Kategoriale symptomorientierte Ordnung

psychischer Störungen weitgehend frei von

theoretischen und ätiologischen Annahmen

• Klassischer Neurosebegriff nicht mehr

verwendet, stattdessen „neurotische Störungen“

und „Belastungs- und Anpassungsstörungen“: phobische Störung (F40) sonstige Angststörung (F41) Zwangsstörung (F42) Anpassungsstörung (F43.2) Konversionsstörung (F44) sonstige neurotische Störung (F48)

ICD 10

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“Neurose“

William Cullen (1769)

Störung der Sinne und Bewegung ohne Fieber und Lokal-befund (ohne bekannte organische Ursache).

u.a. Koma, Epilepsie, Asthma, Hypochondrie

Jean-Martin Charcot (1825-93)

Hysterie - Prototyp der Neurose:

Ausdruck einer funktionellen Störung des Nervensystems

Sigmund Freud (1895)„Psychoneurose“ (Hysterie, Zwangsvorstellungen)

• bedingt durch psychogene Mechanismen• aktualisierte Erinnerung an reales oder phantasiertes sexuelles Trauma

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Neurotische Störungen – Psychodynamische Erklärungsmodelle

• Konfliktmodell (Psychoanalyse, Tiefenpsychologie)Auslöser aktueller Konflikt Angst Regression

Reaktualisierung infantiler (unbew.) Konflikt verstärkte Angst

Abwehr durch Verdrängung Misslingen der Verdrängung

neurot. Kompromiss zw. Konfliktanteilen

Symptombildung, primärer und sekundärer Krankheitsgewinn

• Lernmodell (Lernpsychologie)Lerngeschichte verfehlte Lernvorgänge Symptom

symptomerhaltende Lernvorgänge Symptomchronifizierung

• DefizitmodellFrühe Störung (Trauma, Deprivation) Entwicklungsschaden

(„Ich-Defekt“) Persistenz oder Ersatzbildung Symptom

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Neurotische Störungen – Psychodynamische Therapiemodelle

• Konfliktmodell (Psychoanalyse, Tiefenpsychologie)

Therap. Beziehung therap. Regression Übertragung

Bewusstmachung, Analyse des infantilen unbew. Konflikts

Angstreduktion Auflösung des neurot. Kompromisses

Symptomreduktion

• Lernmodell (Verhaltenstherapie, kogn.-behav. Th.)

Verhaltens- und Kognitionsanalyse

Reizkonfrontation, Rollenspiel, Training sozialer Kompetenzen,

Entspannungsmethoden, kognitive Umstrukturierung, etc.

Symptomreduktion

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Neurobiologische Hypothesen zur Ätiologie neurotischer Störungen (1)

Neurotransmitter und Persönlichkeitsdimensionen

• Dopaminerges System - „novelty seeking“ (Explorationsverhalten, Neugierde)

• Serotonerges System - „harm avoidance“ (Vermeidung negativer Stimuli)

• Noradrenerges System - „reward dependence“ (Abhängigkeit von interpersoneller Belohnung)

(Cloninger 1987, 1993)

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Signifikante Assoziation der Deletionsvariante mit Neurosefaktoren –Ängstlichkeit Feindseligkeit, Depressivität,

Impulsivität

(n gesamt = 505)

(Lesch et al. 1996, 2007)

Neurobiologische Hypothesen zur Ätiologie neurotischer Störungen (2)

Serotonintransporter-Promotor und Neurotizismus

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Neurotische Störungen – Aktuelles Erklärungsmodell

• Prädisposition, Vulnerabilität:Genetische, somatische, psychische oder soziale Merkmale („traits“)

• Auslösende Bedingungen:Somatische, psychische oder soziale Bedingungen (Belastungen, Erfahrungen, Ereignisse, Stress – „states“)

• Aufrechterhaltende Bedingungen:Anhaltende Belastung oder Fehlreaktionen(des Betroffenen oder der Umgebung) verhindern die Remission und führen zur Chronifizierung.

(Drei-Faktoren-Modell n. Margraf, 1996)

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F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen

F43.0 Akute Belastungsreaktion F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F43.2 Anpassungsstörungen F43.8 Sonstige Reaktionen auf schwere Belastung

F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)F44.0 Dissoziative Amnesie F44.1 Dissoziative Fugue F44.2 Dissoziativer Stupor F44.3 Trance- und Besessenheitszustände F44.4 Dissoziative Bewegungsstörungen F44.5 Dissoziative Krampfanfälle F44.6 Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen F44.7 Dissoziative Störungen, gemischt F44.8 Sonstige dissoziative Störungen

F44.80 Ganser-Syndrom F44.81 Multiple Persönlichkeit(sstörung) F44.82 Transitorische dissoziative Störungen in Kindheit und Jugend F44.88 Sonstige dissoziative Störungen

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F43: Skala psychosozialer Belastungen (Erwachsene)

akut (Typ I) chronisch (Typ II)

leicht Verlust einer Freundschaft,Familienstreitigkeiten,Verlassen des Elternhauses, Unzufriedenheit m. Arbeitsplatz,Ausbild.beginn, -abschluss Im Umfeld hoher Kriminalität

mittel Heirat, Partnerprobleme, Trennung vom Partner, Alleinerziehend,Fehlgeburt, Finanzielle Probleme,Arbeitsplatzverlust, Berentung Konflikt m. Vorgesetztem

schwer Scheidung, Arbeitslosigkeit,Erste Geburt Armut

extrem Tod des Partners, Schwere körperliche

schwer Diagnose einer schweren Erkrankung (eigene, Kind),körperlichen Erkrankung, Anhaltende Misshandlung,Vergewaltigung Sexueller Missbrauch

katastophal Tod eines Kindes, GeiselhaftSuizid des Partners,KonzentrationslagerhaftVerheerende Naturkatastrophe

(nach DSM-III-R, Achse IV)

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F43.0 Akute Belastungsreaktion

• Stressorkriterium– Außergewöhnliche psychische oder physische Belastung

• Zeitkriterium– Symptomatik unmittelbar nach Belastung (Minuten)– Wegfall Belastung schnelle Remission (Stunden)– Weiterbelastung weitgehende Remission nach max. 3

Tagen

• Symptomatik– Initiale „Betäubung“, dann Depression, Angst, Ärger,

Verzweiflung, Hyperaktivität oder Rückzug

• Ausschlusskriterium– Keine Exazerbation einer vorbestehenden psychischen

Störung (außer Persönlichkeitsstörung)

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F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung

• Stressorkriterium– Kurz oder lang anhalt. Ereignis außergewöhnlicher Schwere

• Zeitkriterium– Symptomatik innerhalb von 6 Monaten– Bei typischer Symptomatik und Ausschluss anderer

psychischer Störungen auch Latenz von mehr als 6 Monaten

• Symptomatik– Intrusionen des Ereignisses: Flashbacks, Alpträume– Vermeidungsverhalten (Themen, Orte)– Anhaltende Hypervigilanz mit Schlafstörungen, Reizbarkeit,

Wutausbrüchen, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhter Schreckhaftigkeit

• Verlauf– Bis zu 2 Jahren. Symptomatik > 2 J. F62.0 Andauernde

Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung

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F43.2 Anpassungsstörung

• Stressorkriterium– entscheidende Lebensveränderung, belastendes Lebensereignis,

(schwerer körperlicher Erkrankung, Verlust des sozialen Netzes, sozialen Werte beeinträchtigt)

• Zeitkriterium– Auftreten der Symptomatik innerhalb eines Monats– Dauer der Symptomatik typisch bis 6 Monate, selten länger

• Symptomatik– F43.20 Kurze depressive Reaktion (< 1 Monat)– F43.21 Längere depressive Reaktion (< 2 Jahre)– F43.22 Angst und depressive Reaktion gemischt– F43.23 Vorwiegende Beeinträchtigung anderer Gefühle– F43.24 Vorwiegende Störung des Sozialverhaltens– F43.22 Vorwiegende Störung von Gefühlen u. Sozialverhalten

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(aus Möller, Laux, Kapfhammer, 2005)

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F43 Prävalenzen

• Akute Belastungsreaktion

14% nach Verkehrsunfall mit leichtem SHT (PunktP.)

33% nach Überfall mit Schusswaffengebrauch (PunktP.)

• Posttraumatische Belastungsstörung

5% Männer, 10% Frauen (LebenszeitP.)

3 Monate nach Vergewaltigung: 47% (PunktP.) 15 Jahre nach Vergewaltigung: 17% (PunktP.)

Unerwarteter Tod eines Angehörigen: 30% (PunktP.)

• Anpassungsstörung

5 % (5-Jahres-P.)

Verlauf: 81% einmalig, 7% rezidivierend, 12% chronisch

13 – 65% bei Patienten mit Suizidversuch

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F43 Therapie

• Psychotherapeutische Krisenintervention, Fokal- oder Langzeittherapie

• Psychopharmakotherapie– Antidepressiva – Tranquilizer, Anxiolytika– Sedierende Neuroleptika– Hypnotika

• Sozialtherapeutische Maßnahmen

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F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen

F43.0 Akute Belastungsreaktion F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung F43.2 Anpassungsstörungen F43.8 Sonstige Reaktionen auf schwere Belastung

F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)F44.0 Dissoziative Amnesie F44.1 Dissoziative Fugue F44.2 Dissoziativer Stupor F44.3 Trance- und Besessenheitszustände F44.4 Dissoziative Bewegungsstörungen F44.5 Dissoziative Krampfanfälle F44.6 Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen F44.7 Dissoziative Störungen, gemischt F44.8 Sonstige dissoziative Störungen

F44.80 Ganser-Syndrom F44.81 Multiple Persönlichkeit(sstörung) F44.82 Transitorische dissoziative Störungen in Kindheit und Jugend F44.88 Sonstige dissoziative Störungen

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F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Symptomatik und Diagnosekriterien:

• Psychogene Verursachung• Teilweiser oder völliger Verlust der normalen

psychischen Integrationsfähigkeit

in Bezug auf: Erinnerungen an die Vergangenheit Identitätsempfinden Körperwahrnehmung Kontrolle von Körperbewegungen

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• Fluktuation der Symptomatik, meist mit plötzlichem Beginn u. Ende

• Organisches Krankheitsbild nahegelegt (pseudoneurologisch)

• Zeitlicher Zusammenhang mit unlösbar erlebter psychosozialer Belastung bzw. innerseelischem Konflikt

• „Symptom als Symbol“ (Freud)

• „la belle indifférence“ (Charcot, Freud)

F44 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (2)

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Klinisches Beispiel

Die 25-jährige Sekretärin Frau B. stellt sich auf Initiative des

Betriebsarztes zur HNO-ärztlichen und neurologischen Abklärung einer seit

6 Monaten bestehenden fluktuierenden Schwerhörigkeit vor. Sämtliche

organischen Untersuchungsbefunde sind regelrecht, Symptome eines

Hörsturzes oder Tinnitus werden von der Pat. verneint. Sie berichtet

lächelnd, die Hörstörung fühle sich so an, als ob sie einen

Schallschutzkopfhörer trage. Störende Geräusche, insbesondere lautes

aggressives Reden, würde sie angenehm leise wahrnehme.

Der hinzugezogene Psychiater exploriert, dass die Pat. seit ca. 9 Monaten für

einen neuen Chef arbeite. Der sei cholerisch und habe sie schon mehrmals

angeschrien….

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…Zuletzt sei der Betriebsarzt eingeschaltet worden, weil sie als

Protokollführerin oder am Telefon Gesagtes immer wieder akustisch nicht

oder falsch verstanden habe. Hinsichtlich der Biografie ist zu erfahren, dass

die Pat. als Kind von ihrem Vater, zu dem sie eine besonders enge Bindung

gehabt habe, einige Male eine Ohrfeige als Bestrafung erhalten habe.

Obwohl diese nicht sehr kräftig gewesen seien, sei sie jedesmal seelisch tief

verletzt gewesen und habe Angst gehabt, für immer taub zu sein. Wie

schlimm Taubheit sei, habe sie bei ihrer Oma gesehen.

Der Psychiater stellt nach Ausschluss einer Psychoseerkrankung die

Diagnose einer Konversionsstörung und empfiehlt eine psychosomatische

Reha-Behandlung .

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F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F45 Somatoforme StörungenF45.0 Somatisierungsstörung F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.2 Hypochondrische Störung F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung

F45.30 Nicht näher bezeichnetes Organ oder System F45.31 Herz und Kreislaufsystem (Herzneurose)F45.32 Oberes Verdauungssystem (Dyspepsie, Pylorospasmen)F45.33 Unterer Verdauungssystem (Colon irritabile, Diarrhoe)F45.34 Atmungssystem (Hyperventilation, Aerophagie)F45.35 Urogenitalsystem (Dysurie, erhöhte Miktionshäufigkeit)F45.38 Sonstige Organe und Systeme F45.39 Mehrere Organe und Systeme

F45.4 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (Psychalgie, Kopfschmerz, Rückenschmerz)

F45.8 Sonstige somatoforme Störungen (Dysphagie, Pruritus, Tortikollis, Zähneknirschen)

F48 Andere neurotische StörungenF48.0 Neurasthenie (Chronic Fatigue Syndrom)

F48.1 Depersonalisations- und Derealisationssyndrom F48.8 Sonstige neurotische Störungen (Psychogene Synkope)

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F45 Somatoforme Störungen

Diagnosekriterien und Symptomatik:

• Wiederholte Darbietung körperlicher Symptome ohne ausreichende körperliche Erklärung

• Hartnäckige Forderung nach medizinischen Unter-suchungen trotz wiederholter negativer Befunde

Cave: Iatrogene Fixierung und Chronifizierung!

• Nicht-Akzeptanz der Möglichkeit einer psychischen Verursachung

• Häufig: histrionisches Verhalten

• Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktionen

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(aus Möller, Laux, Kapfhammer, 2005)

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Prävalenz somatoformer Störungen (F45):

• 20% der Patienten in Allgemeinarztpraxen!

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F45 Behandlungsempfehlung

Primärarzt:• Klare Diagnosestellung• Validierung des Leidensdrucks des Patienten• Aufklärung über die Natur der Störung, erste Angebote

eines psychosomatischen Krankheitsverständnisses• Antidepressiva, keine Neuroleptika, cave Tranquilizer

Überweisung an Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie,wenn:• Keine Besserung nach 6 Monaten psychosomatischer

Grundversorgung• Arbeitsunfähigkeit > 4 Wochen• Vorliegen einer anderen, akuten psychischen Störung• Psychotherapiemotivation

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F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

F50 Essstörungen F50.0 Anorexia nervosa F50.1 Atypische Anorexia nervosa F50.2 Bulimia nervosa F50.3 Atypische Bulimia nervosa F50.4 Essattacken bei anderen psychischen Störungen F50.5 Erbrechen bei anderen psychischen Störungen F50.8 Sonstige Essstörungen

F51 Nichtorganische Schlafstörungen F51.0 Nichtorganische Insomnie F51.1 Nichtorganische Hypersomnie F51.2 Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus F51.3 Schlafwandeln [Somnambulismus] F51.4 Pavor nocturnus F51.5 Albträume [Angstträume] F51.8 Sonstige nichtorganische Schlafstörungen

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F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

F52 Sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit

F52.0 Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen F52.1 Sexuelle Aversion und mangelnde sexuelle Befriedigung F52.2 Versagen genitaler Reaktionen F52.3 Orgasmusstörung F52.4 Ejaculatio praecox F52.5 Nichtorganischer Vaginismus F52.6 Nichtorganische Dyspareunie F52.7 Gesteigertes sexuelles Verlangen F52.8 Sonstige sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch

eine organische Störung oder Krankheit F53 Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett,

anderenorts nicht klassifiziert F53.0 Leichte psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett,

anderenorts nicht klassifiziert F53.1 Schwere psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett,

anderenorts nicht klassifiziert F53.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett,

anderenorts nicht klassifiziert

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F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren

F54 Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

(Asthma, Colitis ulcerosa, Dermatitis, Magenulkus, Mukomembranöse Kolitis, Urtikaria)

F55 Schädlicher Gebrauch von nichtabhängigkeitserzeugenden Substanzen

F55.0 Antidepressiva F55.1 Laxanzien F55.2 Analgetika F55.3 Antazida F55.4 Vitamine F55.5 Steroide und Hormone F55.6 Pflanzen oder Naturheilmittel F55.8 Sonstige Substanzen

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F50.0 Anorexia nervosa

• A.n. 3.-häufigste chron. Erkrankung adoleszenter Mädchen • 20-30 % d. Patientinnen mit B.n. litten zuvor an A.n.

•Multifaktorielle Genesebiologischfamiliärsoziokulturell

• Hohe Komorbiditätsraten:Angst- und Zwangserkrankungen (A.n.)Depression, Suchterkrankungen (B.n.)

F50.2 Bulimia nervosa

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Funktionelle Bildgebungskorrelate bei Anorexia nervosa

• fMRI: Nahrungsstimuli → Aktivität↑ med. präfront. Cortex anteriores Cingulum Amygdalae

• Aktivitätsmuster gleicht dem bei Zwangs- und Angsterkrankungen

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F50.0 Anorexia nervosa

Diagnosekriterien:

• Untergewicht (< 15% d. Normgewichts) od. BMI < 17,5

• Gewichtsverlust selbst herbeigeführt durch:

Vermeidung hochkalorischer Speisen und Selbst induziertes Erbrechen u./o. Selbst induziertes Abführen u./o. Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika (übermäßige körperliche Aktivität)

• Körperschema-Störung

• hormonelle und metabolische Störungen (Amenorrhoe)

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F50.2 Bulimia nervosa

Diagnosekriterien:

• Essattacken

• Versuche, dem adipogenen Effekt der Nahrung entgegen zu steuern mit Maßnahmen wie bei A.n.

• teils über-, normal- oder untergewichtig

• überwertige Furcht, zu dick zu werden

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F50.0, F50.2 Prävalenzen, Risiko, Prognose

• Überwiegend Frauen betroffen (12:1)

• Risikoalter: 15-35 J.

• Punktprävalenz für A.n. 0,4 - 1,5%, für B.n. 0,5 - 3%

• Typische Risikogruppen für A.n.: Balletttänzerinnen, Models

• Bei A.n. Mortalität im Langzeitverlauf (10-20 J.): 10-20%

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F50.0, F50.2 Therapie

• Kognitions- und Verhaltenstherapie• Körperorientierte Therapieverfahren

bei Anorexia nervosa:• evtl. Familientherapie• evtl. atypisches Neuroleptikum (off-label)

bei Bulimia nervosa:• evtl. suchtspezifische Psychotherapie• evtl. Antidepressivum SSRI (off-label)• evtl. Appetitzügler Sibutramin (off-label)

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Literatur

• Gaebel W, Müller-Spahn F (2002) Diagnostik und Therapie psychischer Störungen. Kohlhammer, Stuttgart

• Möller H-J, Laux G, Kapfhammer H-P (2005) Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Berlin, 2. Aufl.

• Berger M. (2003): Psychische Erkrankungen - Klinik und Therapie. Urban & Fischer, München

• Hoffmann SO, Hochapfel G (1999) Neurosenlehre, psychotherapeutische und psychosomatische Medizin. Schattauer, Stuttgart

• AWMF Leitlinien unter http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF