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Politikwissenschaftliche Einstellungsforschung: Einstellungen in der Wahlforschung Siegfried Schumann

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Page 1: Politikwissenschaftliche Einstellungsforschung: Einstellungen in der Wahlforschung Siegfried Schumann

Politikwissenschaftliche Einstellungsforschung:

Einstellungen in der Wahlforschung

Siegfried Schumann

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Modell zur Analyse politischen Verhaltens

V. PolitischesVerhalten

I. Entfernte soziale Antezedenzien

II. Die soziale Umgebung als Kontext der Entwicklung der Persönlich- keit und der Aneignung von Attitüden

III. Persönlich- keitsprozesse und -dispositionen

IV. Die unmittelbare Situation

nach Smith (1968: 17)

modifiziert von Falter (1973: 33)

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Ausdifferenzierung von „Block III“

Überzeugungen (kognitiv)Kernpersönli

ch-keit (Triebe, Charakterzüge etc.)

Verhaltens-absichten (konativ)

Werthaltungen (affektiv)

Perzeption Wahrgenommene unmittelbare Situation

Ent- scheidung

wahrgenommene Stimuli

nach Falter (1973: 38)

Einstellungs- elemente!

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Haupteinflüsse auf die Wahlbeteiligung

In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an Wahlen zu beteiligen.Trifft … überhaupt nicht zu … voll und ganz zuWie stark interessieren Sie sich für Politik?Sehr stark, stark, mittelmäßig, weniger stark, überhaupt nicht

Viele Leute neigen in der Bundes- republik längere Zeit einer bestimm-ten Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu? Wenn ja, welcher? - Ja, und zwar der SPD, CDU … - einer anderen Partei - nein, keiner Partei

Stimmabgabe

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Mikrosoziologischer Ansatz

• Hauptwerke: „The Peoples Choice“ Lazarsfeld / Berelson / Gaudet (1944) und: „Voting“ Berelson /Lazarsfeld / McPhee (1954)

• „... a person thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics determine political preference“ (Lazarsfeld et al. 1944: 27)

• Vermittlungsmechanismen:– Gleiche soziale Lage

→ ähnliche Bedürfnisse/Interessen → ähnliches Wahlverhalten– Identifikation mit der sozialen (Groß-) Gruppe und deren Interessen-

organisationen → entsprechendes Wahlverhalten– Mikrosoziologisches Interaktionsmodell:

Objektive soziale Merkmale → soziale Kreise („ihresgleichen“) → persönlicher Kontakt formt politische Präferenzen → ähnliches Wahlverhalten

– Soziale Norm / soziale Kontrolle → entsprechendes Wahlverhalten

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Makrosoziologischer Ansatz

• Hauptwerk: „Party Systems and Voter Alignments“ Lipset / Rokkan (1967)

• Cleavages: Koalitionen zwischen Parteien und gesellschaftlichen Großgruppen

• Produkt der gesellschaftlichen Modernisierung– insbes. Reformation, Französische und industrielle Revolution – Haupt-Cleavages: Kirche-Staat, Kapital-Arbeit (+ Zentrum-Peripherie, Stadt-

Land)

• Konstitutive Elemente für Clesvages:– Sozialstruktureller Aspekt

objektiv identifizierbare Gruppen (an besten: intergenerational stabil)– Institutioneller Aspekt

Organisationen zur Vertretung der Gruppeninteressen– Werteaspekt

- Wertekonflikt über wünschenswerte Gesellschaft- entsprechende Gruppen- und Selbstwahrnehmung- gefördert durch „institutionalisierte Segmentierung“- nicht mit Kompromissen zu lösen

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Sozialpsychologischer Ansatz

• Hauptwerke: „The Voter Decides“ Campbell / Guirin / Miller (1954) und: „The American Voter“ Campbell / Converse / Miller / Stokes (1960)

• Erklärungsmodell in „The American Voter“:

Einstellungen zu den Parteienin Regierungsverantwortung

gruppenbezogene Einstellungen WahlverhaltenKandidatenorientierungen

Sachfragenorientierungen(innen- und außenpolitisch)

nach: Schoen u.a. (2005: 196)

Partei- identi- fikation

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Sozialpsychologischer Ansatz (Fortsetzung)

• Kritik am ursprünglichen Modell:– Kausalitätsrichtung nicht hinreichend belegt (Rationalisierungen?)– psychologischer Reduktionismus („nahe“ Erklärungsgrößen →

Trivialität)

• Reaktion auf Kritik: „funnel of causality“

relevante politischeFaktoren Einstellungen

Wahltag Zeit nach: Schoen u.a. (2005: 193)

Wahlverhalten

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Sozialpsychologischer Ansatz (Fortsetzung)

Das sozialpsychologische Modell in der rezipierten Form:

Kandidatenorientierung

Parteiidentifikation Wahlverhalten

Problemorientierung (Issues)

Wahrnehmungsfilter!

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Theory of Reasoned Action (TORA)

nach:

Ajzen/Fishbein (1980: 8)

Zur Vorhersage Übereinstimmung: in der Art des Verhaltens (action), des Objekts (target),der Rahmenbedingungen (context) und des Zeitpunkts (time element)

- The person‘s beliefs that the behavior leads to certain outcomes- and his evaluations of these outcomes

- The person‘s beliefs that specific individuals or groups think he should or should not perform the behavior- and his motivation to comply with the specific referents

Intention

Behavior

Attitude toward

the behavior

Relative importance ofattitudinal and normativeconsiderations

Subjective norm

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TORA: Studie 2000, BRD, repräsentativ, n = 1663

Jeweils: -5 (extrem negativ / voll und ganz dagegen) bis + 5 (extrem positiv / voll und ganz dafür) Gesetzt den Fall, Sie persönlich würden … wählen. Als wie positiv/negativ würden Sie selbst das empfinden? Wäre der Mensch, der Ihnen am wichtigsten ist, dafür oder dagegen, dass Sie … Wählen? Bitte vorstellen, dass nächsten Sonntag BTW wäre: Absicht, dann die … zu wählen (0=sicher

nicht – 100=sicher)

Intention

Behavior

Attitude toward

the behaviorWahl der:CDUSPDGrünenRepublikaner

Subjective Norm

Wahl der:CDUSPDGrünenRepublikaner

.75.65.65.45

-.02

.10

.02-.04

Partei- sympathie als externer Faktor!

Partei- sympathie als externer Faktor!

.55.52.53.41

.37.39.33.19

Korrelationskoeffizienten

Regressionskoeffizienten

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Lebensstil-Gruppierungen nach Gluchowski

aus: Gluchowski (1991: 235)

entspricht:

Werten!

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Sinus-Milieus in 2D Projektion / ABL-Version 1992

aus: Hartmann (1999: 84)

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Ad Hoc-Ansätze in der Protestwahlforschung

2. Extreme politische Einstellungen(Links-Rechts-Dimension)

1. Artikualtion von Unzufriedenheit mit „der Politik“ („Politikverdrossenheit“) Interaktion

von 1. und 2.

4. Taktisches Verhalten

3. Auflösung von Bindungen als „Katalysator“

Wahl von REP, DVU, NPD oder: Wahl von PDS / LINKE

oder: Stimmenthaltung

• u.s.w.

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Rechtsextremismus: Autoritäre Persönlichkeit

• Hauptwerk: „The Authoritarian Personality“ Adorno et. al. (1950)• Psychoanalytisches Paradigma!

• Merkmale der autoritären Persönlichkeit:

Veräußerlichtes Über-IchElemente:Konventionalismusautoritäre Unterwürfigkeitautoritäre Aggression

Unbewältigte Es-Triebegesellschaftlich nicht tabuisierte Entlastung:Destruktivität und ZynismusProjektionichfremde Sexualität

Schwaches IchAbwehrmechanismus:Anti-IntrazeptionAberglaube und StereotypieMachtdenken und „Kraftmeierei“

Vorliebe für extrem rechtePolitikangebote (incl. Wahlentsprechender Parteien und Politiker)

nach: Adorno (31980: 45) bzw. Jaerisch (1975: 155)

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Rechtsextremismus: Dogmatismus

• Hauptwerk: „The Open and Closed Mind“ Rokeach (1960)• Informationsverarbeitungs-Paradigma!

• Merkmale der dogmatischen Persönlichkeit:

Geschlossenes kognitives Orientierungssystemz.B.:Isolation der kognitiven Elemente (zwischen belief- u. disbelief-system,aber auch jeweils „innerhalb“)deutlich geringere Differenzierungim disbelief-system als im belief-SystemAutoritäten werden als „absolut“ Angesehen (undifferenzierte Sicht)Mitmenschen werden akzeptiert bzw. zurückgewiesen je nach dem, ob siemit wahrgenommenen „Autoritäten“in Einklang stehen oder nicht

Vorliebe für entsprechendePolitikangebote (incl. Wahlentsprechender Parteien und Politiker)

nach: Rokeach (1960: 55-56)

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Rechtsextremismus: Toughmindedness

• Hauptwerk: „The Psychology of Politics“ Eysenck (1954)• Eigenschafts-Paradigma!

• Grunddimensionen soz. Einstellungen:

Radical / conservative (R) und tough / tenderminded (T)orthogonale DimensionenR ~ Links-Rechts-DimensionT: Persönlichkeitseigenschaft; - sprachlich nicht repräsentiert; - Korrelationen mit: Aggressivität, Dominanz, Rigidität, Engstirnig- keit, Psychotizismus, Extra- version,

Entsprechende Einstel-lungen →Vorliebe für entsprechendePolitikangebote (incl. Wahlentsprechender Parteien)

nach: Eysenck (1954)

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Rechtsextremismus: Autoritäre Reaktion

• Hauptwerk: „Flucht in die Sicherheit“ Oesterreich (1996)• Lerntheoretisches-Paradigma!

• Entstehung von Autoritarismus:

Zunächst situations- spezifische „autoritäre Reaktion“(Kleinkind)Flucht in den Schutz Sicherheits-spendender Instanzenbei fremden, bedrohlichen, über-fordernden SituationenBeruhigung / Abbau von Angstund VerunsicherungSozialisationsprozesse:- wird bevorzugte Reaktion- verfestigt sich ↓Autoritäre Persönlichkeit

Vorliebe für entsprechendePolitikangebote (incl. Wahlentsprechender Parteienund Politiker)

nach: Oesterreich (1996)

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REX: Weitere Erklärungsansätze (Beispiele)

• Ambiguitätsintoleranz (Frenkel-Brunswik und Weiterentwicklungen)

• Konservatismus nach Wilson

• Autoritarismus nach Altemeyer

• „normale Pathologie westlicher Industriegesellschaften“ (Scheuch/Klingemann)

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Fazit

• Einstellungen spielen eine wichtige Rolle in fast allen Ansätzen der empirischen Wahlforschung

• Teilweise ist ihre Rolle sogar von zentraler Bedeutung

• Allerdings: Abhängig vom Paradigma (Psychoanalyse!)

• Das Beispiel belegt:Einstellungen sind für die Verhaltenserklärung kaum verzichtbar!

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Vielen Dankfür Ihre

Aufmerksamkeit!

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Modell zur Analyse politischen Verhaltens

V. PolitischesVerhalten

I. Entfernte soziale Antezedenzien

II. Die soziale Umgebung als Kontext der Entwicklung der Persönlich- keit und der Aneignung von Attitüden

III. Persönlich- keitsprozesse und -dispositionen

IV. Die unmittelbare Situation

nach Smith (1968: 17); modifiziert von Falter (1973: 33)