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HNO 2013 · 61:661–663 DOI 10.1007/s00106-012-2622-y Online publiziert: 15. Dezember 2012 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 H. Kleinhans · K. W. Schmid · T. Verse Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Asklepios-Klinikum Harburg, Hamburg Primäres Plattenepithel- karzinom der Schilddrüse Falldarstellung Anamnese Ein 5-jähriger Patient stellte sich mit einer schmerzlosen rechtszervikalen Raumfor- derung sowie einer Odynophagie in unse- rer Schilddrüsenambulanz vor. Bis auf eine arterielle Hypertonie sei er immer gesund gewesen. Voroperationen bestanden nicht. Ein Zustand nach mäßigem Nikotinkon- sum wurde beschrieben. Klinische Zeichen einer Schilddrüsenfunktionsstörung oder einer B-Symptomatik wurden verneint. Klinischer Befund Schlanker, kräftiger Habitus. Auf Höhe des rechten Schilddrüsenlappens pal- pierte sich eine nichtverschiebliche, in- dolente Raumforderung. Die Laryngo- skopie und der übrige HNO-Status wa- ren unauffällig. Diagnostik In der Sonographie der Halsweichtei- le zeigte sich eine intrathyreoidal gelege- ne, echoarme unscharf begrenzte Raum- forderung von 3, cm Durchmesser. In der weiterführenden Diagnostik mit- tels Magnetresonanztomographie (MRT; . Abb. 1) bestätigte sich der Befund, zu- sätzlich fanden sich multiple, grenzwertig vergrößerte Lymphknoten der Level 2–4 beidseits sowie in Level 6. In der Schild- drüsenszintigraphie erwies sich das Areal als „kalter“ Knoten. Therapie und Verlauf Wir führten eine Hemithyreoidektomie rechts durch. Die intraoperative Schnell- schnittdiagnostik zeigte ein nichtkleinzel- liges, undifferenziertes Karzinom. Es er- folgte die totale Thyreoidektomie sowie eine funktionell-selektive Neck-Dissecti- on der Level 2–4 beidseits und des zent- ralen Kompartiments inklusive des obe- ren Mediastinums. Abb. 1 8T2-MRT der Halsweichteile mit einer Raumforderung im rechten Schilddrüsenlappen Abb. 2 8 Histologisches Schnittbild des Karzinoms in der Panzytokeratinfär- bung (Vergr. 200:1) Der hier beschriebene Fall wurde in Auszü- gen bereits auf der 83. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Mainz, 16.–20.05.2012 vorgestellt. (http://www.egms. de/static/en/meetings/hnod2012/12hnod161. shtml. Zugegriffen: 16. Okt. 2012) e-HNO: Kasuistiken Redaktion B. Wollenberg, Lübeck 661 HNO 7 · 2013|

Primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse

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Page 1: Primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse

HNO 2013 · 61:661–663DOI 10.1007/s00106-012-2622-yOnline publiziert: 15. Dezember 2012© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

H. Kleinhans · K. W. Schmid · T. VerseKlinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Asklepios-Klinikum Harburg, Hamburg

Primäres Plattenepithel-karzinom der Schilddrüse

Falldarstellung

Anamnese

Ein 5-jähriger Patient stellte sich mit einer schmerzlosen rechtszervikalen Raumfor-derung sowie einer Odynophagie in unse-rer Schilddrüsenambulanz vor. Bis auf eine arterielle Hypertonie sei er immer gesund gewesen. Voroperationen bestanden nicht. Ein Zustand nach mäßigem Nikotinkon-sum wurde beschrieben. Klinische Zeichen einer Schilddrüsenfunktionsstörung oder einer B-Symptomatik wurden verneint.

Klinischer Befund

Schlanker, kräftiger Habitus. Auf Höhe des rechten Schilddrüsenlappens pal-

pierte sich eine nichtverschiebliche, in-dolente Raumforderung. Die Laryngo-skopie und der übrige HNO-Status wa-ren unauffällig.

Diagnostik

In der Sonographie der Halsweichtei-le zeigte sich eine intrathyreoidal gelege-ne, echoarme unscharf begrenzte Raum-forderung von 3, cm Durchmesser. In der weiterführenden Diagnostik mit-tels Magnetresonanztomographie (MRT; . Abb. 1) bestätigte sich der Befund, zu-sätzlich fanden sich multiple, grenzwertig vergrößerte Lymphknoten der Level 2–4 beidseits sowie in Level 6. In der Schild-drüsenszintigraphie erwies sich das Areal als „kalter“ Knoten.

Therapie und Verlauf

Wir führten eine Hemithyreoidektomie rechts durch. Die intraoperative Schnell-schnittdiagnostik zeigte ein nichtkleinzel-liges, undifferenziertes Karzinom. Es er-folgte die totale Thyreoidektomie sowie eine funktionell-selektive Neck-Dissecti-on der Level 2–4 beidseits und des zent-ralen Kompartiments inklusive des obe-ren Mediastinums.

Abb. 1 8 T2-MRT der Halsweichteile mit einer Raumforderung im rechten Schilddrüsenlappen

Abb. 2 8 Histologisches Schnittbild des Karzinoms in der Panzytokeratinfär-bung (Vergr. 200:1)

Der hier beschriebene Fall wurde in Auszü-gen bereits auf der 83. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Mainz, 16.–20.05.2012 vorgestellt. (http://www.egms.de/static/en/meetings/hnod2012/12hnod161.shtml. Zugegriffen: 16. Okt. 2012)

e-HNO: Kasuistiken

RedaktionB. Wollenberg, Lübeck

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Page 2: Primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse

Die endgültige histopathologische Aufarbeitung des Präparats in einem Re-ferenzzentrum für Schilddrüsenpatholo-gien ergab ein undifferenziertes, primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse im Stadium pT2pN0(0/56)L0V0R0. Die Immunhistologie zeigte eine deutliche Positivität für Panzytokeratin (. Abb. 2) und p53 sowie eine Negativität für Schild-drüsenperoxidase, Thyreoglobulin und TTF-1.

Das Staging (Panendoskopie, Tonsill-ektomie, laserchirurgische Abtragung der Zungengrundtonsille, Nasenrachenbiop-sien, Gastro-/Koloskopie, Computerto-mographie des Thorax, Sonographie des Abdomens) ergab keinen Hinweis auf einen Primarius außerhalb der Schild-drüse.

Die weitere Behandlung des Patienten erfolgte daher nicht im Sinne eines zervi-kalen CUP-Syndroms (CUP: „cancer of unknown primary“), sondern aufgrund der R0-Resektion und des negativen No-dalstatus als engmaschige Tumornachsor-ge ohne eine adjuvante Therapie.

Diskussion

Das primäre plattenepitheliale Karzi-nom der Schilddrüse ist eine Rarität. Die WHO-Klassifikation unterscheidet das primäre Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse von Karzinomen mit Thy-mus- oder thymusähnlicher Differenzie-rung, dem Mukoepidermoidkarzinom so-wie dem sklerosierenden Mukoepidermo-idkarzinom mit Eosinophilie [1].

Differenzialdiagnostisch muss bei die-sen seltenen Tumorentitäten immer eine metastatische Infiltration der Schilddrüse durch einen extrathyreoidalen Primarius ausgeschlossen werden. Analog der Klas-sifikation von differenzierten Schilddrü-senkarzinomen erfolgt die Einteilung an-hand der TNM-Stadiengruppierung.

Die Inzidenz von Metastasen in der Schilddrüse liegt in Autopsiestudien mit knapp 25% höher als die primärer Plat-tenepithelkarzinome der Schilddrüse (<1% aller Schilddrüsenmalignome, [3]). Dabei überwiegen in abnehmender Häu-figkeit Metastasen von Nierenzell-, Lun-gen- und Mammatumoren. Der Ursprung der Plattenepithelkarzinome wird weiter-hin kontrovers diskutiert. Plattenepithel-

karzinome wurden im Ductus thyreoglos-sus gefunden, andere entstanden auf dem Boden einer Metaplasie von hoch diffe-renzierten, meist papillären Karzinomen oder aus Vimentin und Zytokeratin expri-mierenden thyreoidalen, squamösen Zell-populationen [2].

In einer Metaanalyse der letzten 25 Jahre untersuchten Syed et al. [4] die eng-lischsprachige Literatur auf Fallberich-te des primären Plattenepithelkarzinoms der Schilddrüse im Sinne der WHO-Kri-terien. In 28 Publikationen wurden 84 Einzelfälle beschrieben. Nahezu 100% der Patienten verstarben aufgrund von loka-len Komplikationen und Fernmetastasen innerhalb der ersten 16 Monate nach Dia-gnosestellung. In der Regel erhielten die Patienten eine postoperative Radiatio.

Fazit für die Praxis

F  Das primäre Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse ist eine extrem selte-ne Tumorentität. 

F  Eine metastatische Invasion sollte zu-nächst ausgeschlossen werden. 

F  Die Diagnose wird von einem erfah-renen Pathologen in Verbindung mit einem eingehenden Staging gestellt. 

F  Leitliniengerechte Empfehlungen existieren nicht. 

F  Aufgrund der schlechten Prognose und Aggressivität des Tumors ist zu-nächst eine R0-Resektion anzustre-ben, in den meisten Fällen sterben die Patienten jedoch innerhalb der ersten 2 Jahre an einem nicht beherrschba-ren Lokalrezidiv.

Korrespondenzadresse

Dr. H. KleinhansKlinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Asklepios-Klinikum HarburgEißendorfer Pferdeweg 52, 21075 [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Zusammenfassung · Abstract

HNO 2013 · 61:661–663DOI 10.1007/s00106-012-2622-y© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

H. Kleinhans · K. W. Schmid · T. Verse

Primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse

ZusammenfassungDas primäre plattenepitheliale Karzinom der Schilddrüse ist eine Rarität. Differenzialdia-gnostisch muss bei dieser Tumorentität im-mer eine metastatische Infiltration der Schild-drüse durch einen extrathyreoidalen Prima-rius ausgeschlossen werden. Wir berichten von einem 59-jährigen Patienten, bei dem aufgrund eines 3,9 cm großen, in der Szinti-graphie kalten Knotens eine Thyreoidekto-mie durchgeführt wurde. Die endgültige his-topathologische Aufarbeitung des Präparats ergab ein undifferenziertes, primäres Platten-epithelkarzinom der Schilddrüse im Stadium pT2 pN0 (0/56) L0 V0 R0. Aufgrund der R0-Si-tuation, der Tumorgröße und des negativen Nodalstatus entschieden wir uns mit dem Pa-tienten für eine engmaschige Tumornachsor-ge ohne adjuvante Radiochemotherapie.

SchlüsselwörterSchilddrüse · Plattenepithelkarzinom · Ungewöhnliche Tumoren der Schilddrüse · Fallbericht

Primary squamous cell carcinoma of the thyroid gland

AbstractPrimary squamous cell carcinoma of the thy-roid gland is a rare form of cancer. As part of the differential diagnosis, metastases or di-rect extension from an extra-thyroidal prima-ry tumor must always be ruled out. We report on a 59-year-old patient presenting with a 3.9-cm cold nodule on thyroid scintigraphy. A total thyroidectomy was performed and the final histopathological evaluation revealed an undifferentiated, primary squamous cell car-cinoma of the thyroid gland, tumor stage pT2 pN0 (0/56), L0 V0 R0. On the basis of the R0 resection, tumor size and negative nodal sta-tus, we recommended regular postoperative follow-up examinations without adjuvant ra-diochemotherapy.

KeywordsThyroid gland · Squamous cell carcinoma · Unusual thyroid tumors · Case report

662 |  HNO 7 · 2013

Kasuistiken

Page 3: Primäres Plattenepithelkarzinom der Schilddrüse

Literatur

1. Hedinger C (1988) Histological typing of thyroid tumors. Springer, Berlin, S 14–15

2. Klinck GH, Menk KF (1951) Squamous cells in the human thyroid. Mil Surg 109:406–414

3. Korovin GS, Kuriloff DB, Cho HAT, Sobol SM (1989) Squamous cell carcinoma oft the thyreoid: a dia-gnostic dilemma. Ann Otol Rhinol Laryngol 98:59–65

4. Syed MI et al (2010) Squamous cell carcinoma of the thyreoid gland: primary or secondary disease? J Laryngol Otol 125(1):3–9

663HNO 7 · 2013  |