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Dokumentation des Kinderschutzfachtages Prävention und frühe Hilfen in Neukölln in Kooperation von Jugendamt Neukölln und Kinderschutz-Zentrum am 3. Mai 2006 Bezirksamt Neukölln von Berlin Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 20.06.2006, 14:33

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Dokumentation desKinderschutzfachtages

Prävention und früheHilfen in Neukölln

in Kooperation vonJugendamt Neuköllnund Kinderschutz-Zentrumam 3. Mai 2006

Bezirksamt Neukölln von Berlin

Kinderschutz-ZentrumBerlin e.V.

nk_aussen.pmd 20.06.2006, 14:331

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Dokumentation desKinderschutzfachtages 2006

Prävention und frühe Hilfen in Neukölln

in Kooperation von Jugendamt Neuköllnund Kinderschutz-Zentrum Berlin

am 3. Mai 2006

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Zu Beginn des Jahres erschütterten mehrere Fälle vonKindesmisshandlung und Vernachlässigung die Öffent-lichkeit. Teils waren die betroffenen Kinder dem zustän-digen Jugendamt bekannt, teils wurde der Zustand derKinder erst durch Meldungen von Nachbarn offensicht-lich. Sowohl die politisch Verantwortlichen, als auch diein der Jugendhilfe und im Gesundheitswesen Tätigenwaren sich schnell einig, dass in der Stadt ein „Netz-werk Kinderschutz“ etabliert werden muss.

■ VORWORT

Frau Thurley mit demTeam der Stadtvilla Global

JosefSchreiner

KarlWahlen

MarionThurley

LotteKnoller

Darüber hinaus weist der ins KJHG eingefügte § 8a aufeinen Schutzauftrag für alle Einrichtungen und Diensteder Jugendhilfe hin. Auch sie sind verpflichtet, Anzei-chen von Kindeswohlgefährdung wahrzunehmen, dasGefährdungsrisiko mit den Eltern abzuschätzen und beiden Eltern auf die Annahme von Hilfen hinzuwirken. ZurRealisierung dieses Schutzauftrages ist eine Verständi-gung über Kriterien für Kindeswohlgefährdung hilfreich.

Der Fachtag war ein Forum für alle, die in Neukölln mitKindern und ihren Familien arbeiten. Er diente einer ers-ten Bestandsaufnahme, wie Kindeswohlgefährdung vonden unterschiedlichen Einrichtungen eingeschätzt wirdund sollte das verbindliche Zusammenwirken der Fach-kräfte in den einzelnen Neuköllner Regionen fördern.Ferner sollte er Impulse zur Weiterentwicklung des Kin-derschutzes unter sozialräumlichem Bezug geben.

Wir bedanken uns beim Team der Stadtvilla Global fürdie guten räumlichen Arbeitsmöglichkeiten, die hervor-ragende Organisation und die Beköstigung der Teilneh-mer. Ferner danken wir den Moderatoren für die guteVorbereitung und Leitung der Arbeitsgruppen.

Das Vorbereitungsteam

Josef SchreinerKarl WahlenMarion ThurleyBernd GeorgLotte Knoller

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Begrüssung durch den Jugendstadtrat 4Thomas Blesing

Der Schutzauftrag der Jugendhilfe nach § 8 a KJHG 5Georg Kohaupt

Übersicht der teilnehmenden Träger, Dienste und Einrichtungen 13

Auswertung der regionalen Arbeitsgruppen 15Zusammengefasst von Lotte Knoller

Bilanz des Fachtages

❍❍❍❍❍ Abschluss-Statement des Kinderschutz-Zentrums 18Lotte Knoller

❍❍❍❍❍ Schlusswort zum Kinderschutzfachtag 19Dr. Gabriele Jetter

Ausblick 20Karl Wahlen

■ INHALTSVERZEICHNIS

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Der erste Neuköllner Kin-derschutzfachtag standbereits während der Vor-bereitungsphase im Schat-ten einiger Berliner Kin-derschutzfälle. Der Säug-ling einer jungen Mutterwar in den ersten Lebens-wochen mehrfach miss-handelt worden und wiesbei der Einlieferung insKrankenhaus etliche, zumTeil sogar schon verheil-te, innere Verletzungen

auf. Eine andere Mutter zweier Kleinkinder brachte fürein Urlaubs-Wochenende eines ihrer Kinder bei Freun-den unter, den fünfjährigen Jungen jedoch überließ siefür mehrere Tage in ihrer Wohnung sich selbst und demangeblich gefüllten Kühlschrank. In einem dritten Fallholte die Polizei aus einer völlig vermüllten Wohnungzwei Kinder, deren Mutter zunächst auch nicht auffind-bar war.

Drei Fälle aus dem Alltag der Mitarbeiter/-innen des je-weiligen Jugendamtes, die zudem durch das öffentlicheMedieninteresse eine zusätzliche Brisanz erfahren hat-ten. Natürlich wurde in jedem Einzelfall schnell, profes-sionell und ohne die mögliche Beachtung von normalenBürodienstzeiten eingegriffen und geholfen. Die Zusam-menarbeit aller Beteiligten – z.B. Krankenhäuser, Poli-zei, Notdienste, Schulen, Kinder- und Jugendgesund-heitsdienste, Jugendämter – steht dabei in der Regelvor besonderen Herausforderungen. Genau diese Koo-peration jedoch stellte sich in der Vergangenheit nur allzuoft als verbesserungsbedüftig heraus.

Das Jugendamt Neukölln hat dies bereits vor Jahrenerkannt und wurde zum Schrittmacher einer umfassen-den Kooperation sämtlicher handelnden Behörden undMitarbeiter/-innen zum Thema Kinderschutz. Das früh-zeitige Erkennen, Weitermelden und Reagieren auch aufgeringste Anzeichen stellt dabei das Fundament für er-folgreiches und nachhaltig wirksames Eingreifen zumWohle des einzelnen Kindes dar. Aber nichts ist so gut,als dass es eben nicht noch verbessert werden könnte.

Diesem Ansatz folgte unser Kinderschutzfachtag undbrachte Neuköllner Fachleute aller Professionen für ei-nen Tag zusammen und ermöglichte persönliches Ken-nenlernen und diskutieren. Die Lehrerin saß neben demKinderfacharzt, der Sozialarbeiter tauschte sich mit derKinderpsychologin aus. Möglich wurde dieser Fachtagdurch die intensive und professionelle Vorbereitung inden Händen von Frau Knoller (Kinderschutz-Zentrum)sowie Frau Thurley, Herrn Wahlen, Herrn Schreiner undHerrn Georg (alle Jugendamt Neukölln).

Ihnen gilt an dieser Stelle nochmals mein ausdrückli-cher Dank, verbunden mit der Hoffnung, dass alle Ver-abredungen und Netzwerke auch zukünftig möglichstselten benötigt werden.

■ AUSZÜGE AUS DER BEGRÜSSUNG DES JUGENDSTADTRATES VON NEUKÖLLNThomas Blesing

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Vorbemerkung

Der Schutzauftrag der Ju-gendhilfe ist gesetzlichgeregelt im § 8a des 8.Sozialgesetzbuches (SGBVIII), das auch Kinder-und Jugendhilfegesetzgenannt wird (KJHG). ImRahmen einer Novellie-rung des KJHG, die denkecken Namen Kick be-kommen hat, wurde der §8a eingefügt. Das Geset-

zespaket trat am 1.10.05 in Kraft. Mein Vortrag konzen-triert sich auf den § 8a, auch wenn noch andere kinder-schutzrelevante Paragrafen verändert worden sind.

Was bedeutet der Schutzauftrag für die Jugendhilfe?Die Jugendhilfe im Sinne des Gesetzes, das sind vieleunterschiedliche Einrichtungen und Dienste: Das Ju-gendamt, die Beratungsstellen, die Anbieter von ambu-lanten und stationären Hilfen, die Kindertagesstätten,die Jugendförderung.Wir, die Fachkräfte der Jugendhilfe,. haben nun einengesetzlich definierten Schutzauftrag. Sehen wir das alsChance? Jetzt können wir etwas für die Kinder tun. Jetztwissen wir, was wir dürfen? Das wollten wir schonimmer?Oder als Bürde? Nach Erziehungsauftrag der Bildungs-auftrag und jetzt der Schutzauftrag. Was denn noch?Welche persönlichen und institutionellen Folgen könntedas haben, wenn ich nicht richtig schütze? Fühle ichmich gestärkt in meiner Aufgabe, „meine“ Kinder zuschützen? Bekomme ich Angst, etwas zu übersehen,etwas falsch zu machen?

Der Schutzauftrag stellt uns in ein Konfliktfeld zwischenEltern und Kinder:

Paul hat blaue Flecken.Jessica bekommt nicht genug zu essen.Ali erzählt, dass sein Vater die Mutter schlägt.Wir sehen, wie aggressiv und ablehnend die Muttermit Pattrick umgeht.

Der Konflikt zwischen Eltern und Kind wird durch daszur Kenntnis nehmen unversehens ein Konflikt zwischenHelfer und Eltern. Wir, die Helfer, wollen etwas für dasKind tun. Aber wollen wir auch etwas machen für dieEltern? mit den Eltern? gegen die Eltern? Oder wollenwir am liebsten mit den Eltern nichts zu tun haben unddas Kind retten? Wie könnte das gehen?Der Schutzauftrag wirft schon Fragen auf, bevor wir ersteSchritte unternehmen. Welche Gefühle haben wir? Ge-genüber dem Kind? Gegenüber den Eltern? Die Eltern,mit denen wir zu tun bekommen, sind meist schwierig,

es ist nicht leicht, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Oftsind sie isoliert und misstrauisch. Und jetzt sollen wirmit ihnen reden darüber, wie sie ihr Kind schädigen?Wir sehen, der Schutzauftrag ist eine fachliche und einepersönliche Herausforderung. Aus meiner Sicht ist ereine Chance für die Kinder, wenn wir ihn ernst nehmenund wenn wir ihn fachlich gut ausstatten. Wenn wir ihnnur als inneren Druck, als Beängstigung wahrnehmen,wenn wir in dieser Aufgabe keine Unterstützung erfah-ren, dann wird für die Kinder nichts dabei herauskom-men. Denn Angst und Druck sind keine guten Ratgeberin Konfliktlagen.

In meinem Vortrag möchte ich etwas sagen zur Aus-gangslage des Gesetzes. Worauf reagiert das Gesetz?Was will es? Ich werde einiges ausführen zur Kindes-wohlgefährdung, zur Risikoabwägung, zum Gesprächmit den Eltern. Ferner werde ich Thesen formulieren zuAufgaben und Anforderungen für die Fachkraft für Kin-derschutz und einen Ausblick geben, was zu tun ist.

Gesellschaftliche Ausgangslage

Anlässlich schwerer Fälle von Kindesmisshandlung undVernachlässigung, die durch die Presse gingen, for-derte eine emotional erregte mediale und politische Öf-fentlichkeit, dass etwas getan werden muss. Insbeson-dere den Jugendämtern wurde Untätigkeit und Versa-gen unterstellt. Es entstanden ein Handlungsdruck undgleichzeitig eine Ratlosigkeit, was helfen könnte. Mehrpräventive Angebote? Mehr Kontrolle? Schärfere Stra-fen? Sollen wir den Eltern, die mit ihren Kindern nichtzurecht kommen, die sie oft schwer schädigen, die Handreichen, auf sie zugehen? Sollen wir misstrauisch gu-cken, was sie mit ihren Kindern anstellen?Es entzündete sich eine Debatte über das Verhältnisvon Elternrecht und Kindeswohl: Kindeswohl muss vorElternrecht gehen, war eine lautstark geäußerte Forde-rung. Brauchen wir also neue Gesetze, die das Eltern-recht über das Kindeswohl stellen?In der Politik, aber auch zum Teil in der Fachdiskussiongab (und gibt) es die Einschätzung, dass das Jugend-amt sich resigniert zurückzieht, wenn es dem Kindschlecht geht und die Eltern nichts ändern wollen oderkönnen. Es wurde vermutet, dass sich die Jugendhilfe,insbesondere das Jugendamt, hinter dem Elternrechtund der Abwehr der Eltern versteckt.1

Freie Träger, so der Vorwurf, verstecken sich hinter Ver-traulichkeit, hinter Datenschutz (wir sind nicht das Ju-gendamt, wir sind Hilfe-orientiert) und machen in Grenz-situationen eher nichts. In der politischen Debatte umden Schutzauftrag hatten die Verbände hier sehr unter-schiedliche Positionen. Von der selbstverständlichenAnerkenntnis „der Schutzauftrag ist ja nichts Neues,haben wir immer schon gemacht“ bis zur Angst, zum

■ DER SCHUTZAUFTRAG DER JUGENDHILFE NACH § 8 a KJHGGeorg Kohaupt, Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V.

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Büttel des Jugendamtes zu werden, war hier alles ver-treten.

Auf der juristische Ebene gab es eine Debatte um dieVerantwortung der Mitarbeiter der Jugendhilfe und desJugendamtes.Strafgerichte sehen eine strafrechtliche Verantwortungvon Mitabeitern der Jugendhilfe, die sich durch die Un-terlassung von notwendigem Handeln an der Schädi-gung oder gar am Tode eines Kindes (mit)schuldig ge-macht haben. Allgemein wurde dieser juristische Sach-verhalt unter dem Stichwort Garantenpflicht. bekanntDiese strafrechtliche Verantwortung hat insbesonderein den Jugendämtern eine intensive Fachdebatte überKindeswohlgefährdung und fachliche Standards in derArbeit ausgelöst. Viel Verunsicherung, Druck und auchAngst waren spürbar, aber auch selbstbewusstes Be-harren auf der eigenen FachlichkeitAuch zivilrechtlich wurde die Verantwortung von Jugend-ämtern untersucht. Kürzlich ist erstmals ein Jugendamtzu Schadensersatz verurteilt worden, weil es die not-wendige Kontrolle einer Pflegefamilie unterließ, in derdas Pflegekind zu Schaden kam.

Der Begriff der Kindeswohlgefährdung

Im Artikel 6, Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen oblie-gende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staat-liche Gemeinschaft.“

Zunächst gilt es festzuhalten, dass zum Kinderschutzzu allererst die Eltern angehalten sind. Über deren Er-ziehung aber wacht die staatliche Gemeinschaft.Wie wacht die staatliche Gemeinschaft? Das Gesetzimpliziert keine Aufforderung zum grundsätzlichen Miss-trauen, zum Nachgucken in den Schlaf- und Kinderzim-mern, zur Überwachung. Vielmehr wird ein Auftrag for-muliert zur Unterstützung solcher Eltern, die Problemehaben, zum Wohle ihrer Kindes zu erziehen und zumEingreifen das Staates, wenn diese Unterstützung nichtausreichend ist, um das Wohl des Kindes zu verwirkli-chen. Hilfe und Kontrolle, Hilfe und Intervention sind dieStichworte. Gestaltet wird dieser Auftrag durch gesetz-liche Ausformulierungen und durch die Ausgestaltungder Jugendhilfe. Eine rechtliche Ausgestaltung findenwir im § 1666 BGB:

„§ 1666 BGB (Gefährdung des Kindeswohls durchEltern und Dritte)(1) Wird das körperliche, geistige, oder seelische Wohl

eines Kindes oder sein Vermögen durch missbräuch-liche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernach-lässigung des Kindes, durch unverschuldetes Ver-sagen der Eltern oder durch das Verhalten einesDritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenndie Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, dieGefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahrerforderlichen Maßnahmen zu treffen....

§ 1666 a (Zulässigkeit der Trennung des Kindes vonden Eltern; Entzug des Sorgerechts)(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes

von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nurzulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise,auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet wer-den kann.

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen wer-den, wenn andere Maßnahmen erfolglos gebliebensind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Ab-wendung der Gefahr nicht ausreichen.“

Es geht im Gesetzestext um eine prognostische Ein-schätzung, um etwas, was künftig geschieht, eine künf-tige Gefahr für das Wohl des Kindes. Nicht die stattge-fundene Misshandlung, die vergangene Vernachlässi-gung begründet die Maßnahme, sondern die begrün-dete Vermutung, dass die Misshandlung oder die Ver-nachlässigung weitergeht. Es ist deutlich, dass man sichüber eine solche Prognose irren kann, dass man falschliegen kann. Insofern sprechen wir von einem „Helfenmit Risiko“2.Die zentralen Begriffe „körperliches, geistiges oder see-lisches Wohl des Kindes“ sind juristisch unbestimmt. Dasführt dazu, dass es die Aufgabe der Jugendhilfe ist, die-se Begriffe zu füllen (wir sollten selbstbewusst sein undsagen „das können wir auch viel besser als die Juris-ten“). Es führt aber auch dazu, dass es über das Kin-deswohl zwischen Polizei und Jugendämtern unter-schiedliche Auffassungen geben kann (und in Berlinhäufig gab und gibt). Auch zwischen den Jugendämterund den Familiengerichten gibt es häufig unterschiedli-che Ansichten, wann das Wohl eines Kindes gefährdetist. Das bringt für die Jugendämter erhebliche Proble-me mit sich, die z.B. mit Eltern weiter zusammenarbei-ten müssen, von denen sie eigentlich glauben, dass die-se nicht für das Wohl ihres Kindes sorgen können.

Nicht verschweigen will ich Ihnen, dass auch die Politi-ker sich in die Diskussion um das Kindeswohl einmi-schen wollen. Eine Novellierung des §1666 ist geplant.Man muss befürchten, dass hier der Blick vom gefähr-deten Kind, das in der Beziehung zu den Eltern Scha-den erleidet, auf das gefährliche Kind, das die Gesell-schaft schädigt, verschoben wird. Die Kinderschutz-Zen-tren werden das verfolgen und sich in diese Diskussioneinmischen.

Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung nach§ 8a SGB VIII

§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte fürdie Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendli-chen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusam-menwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sinddie Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder derJugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksa-me Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Fra-ge gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der

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Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet undnotwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtig-ten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.

(2) In Vereinbarungen mit den Trägern und Einrichtun-gen, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist si-cherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftragnach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen undbei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweiterfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Ver-pflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Per-sonensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hil-fen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten unddas Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hil-fen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung ab-zuwenden.

(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familienge-richts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen;dies gilt auch, wenn die Erziehungs- oder Personensorge-berechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei derAbschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Bestehteine dringende Gefahr und kann die Entscheidung desGerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamtverpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zunehmen.

(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwer-den anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Ge-sundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Ju-gendamt auf die Inanspruchnahme durch die Personen-sorgeberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätig-werden erforderlich und wirken die Personensorgeberech-tigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderenzur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbstein.

Wenn wir den Text anschauen, dann geht es

bei den Jugend- bei den freienämtern um Trägern um

Anhaltspunkte für eine ditoGefährdung wahrnehmen

Risikoeinschätzung dito

Zusammenwirken Hinzuziehen einervon insoweit erfahrenenFachkräften Fachkraft

Einbeziehen der Eltern ditound Kinder

Anbieten von Hilfen auf Hilfen hinwirken

Familiengericht anrufen Jugendamt informieren

Im Folgenden werde ich zu den einzelnen Begriffen desGesetzestextes etwas sagen:

1. Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung

Bei der fachlichen Annäherung an das Problem derKindeswohlgefährdung beziehe ich mich auf denDormagener Qualitätskatalog und die Veröffentli-chung des Kinderschutz-Zentrums Berlin: „Kindes-misshandlung – Erkennen und Helfen.“Unter dem Stichwort „Gründliche Risikoeinschät-zung“ heißt es dort:„Die Einschätzung des eventuell vorhandenen Risi-kos in einer Familie gelingt am besten, wenn vierFragen beantwortet werden:1. Gewährleistung des Kindeswohls:

Inwieweit ist das Wohl des Kindes durch dieSorgeberechtigten gewährleistet oder ist dies nurzum Teil oder überhaupt nicht der Fall?

2. Problemakzeptanz:Sehen die Sorgeberechtigten und die Kinderselbst ein Problem oder ist dies weniger oder garnicht der Fall?

3. Problemkongruenz:Stimmen die Sorgeberechtigten und die beteilig-ten Fachkräfte in der Problemkonstruktion über-ein oder ist dies weniger oder gar nicht der Fall?

4. Hilfeakzeptanz:Sind die betroffenen Sorgeberechtigten und Kin-der bereit, die ihnen gemachten Hilfeangeboteanzunehmen und zu nutzen oder ist dies nur zumTeil oder gar nicht der Fall?

Als Faktoren, die beim ersten Punkt, der Einschät-zung der Gewährleistung des Kindeswohls eineRolle spielen, werden im Folgenden genannt:

1. Ausmaß/die Schwere der Beeinträchtigung, Schä-digung (Misshandlung, Vernachlässigung);

2. Häufigkeit/Chronizität der Schädigung;3. Verlässlichkeit der Versorgung durch die Sorge-

berechtigten;4. Ausmaß und Qualität der Zuwendung der Sorge-

berechtigten zum Kind und dessen Annahme;5. Qualität der Erziehungskompetenz der Sorge-

berechtigten;6. Selbsthilfekompetenz des Kindes (entsprechend

seinem Alter und Entwicklungsstand), seine Wi-derstandsfähigkeit („Resilienz“) und seine Fähig-keit, Hilfe zu holen.

Unterschiede zwischen Trägern und Einrichtungenund dem Jugendamt bei der RisikoeinschätzungDer genannte Katalog ist mit Blick auf die Jugend-ämter entworfen. Die Jugendämter unterscheidensich von der Freien Jugendhilfe unter anderemdadurch, dass sie aktiv Informationen einholensollen und dürfen. Sie machen Hausbesuche, beob-achten die Interaktion von Kindern und Eltern, siekönnen, wenn nötig, Kindertagesstätten oder Schu-len befragen, eine kinderärztliche Untersuchung aufden Weg bringen und können, wenn die Eltern dazuihr Einverständnis nicht geben, dieses auch durch

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das Familiengericht erzwingen, wenn es zur Abschät-zung einer Gefährdung notwendig ist.Andere Einrichtungen und Dienste haben nur An-haltspunkte aus dem, was sie erfahren oder beob-achten. Im Kinderschutz-Zentrum haben wir als An-haltspunkte das, was die Familie uns anvertraut undwas wir in den Beziehungen sehen und erspüren.Die Kita beobachtet das Bringen und Gehen der Kin-der, erfährt etwas durch die Mutter oder den Vater(oder auch nicht), ist im Gespräch, bekommt mit, wasdas Kind von zu Hause erzählt, was das Kind be-drückt, wie es ihm geht.Die Jugendfreizeiteinrichtungen kennen oft die El-tern gar nicht, sie erleben die Jugendlichen, merkenoft am eigenen Leibe, wie diese drauf sind.So hat jede Einrichtung ihre spezifischen Informati-onen und Erfahrungen, ein spezifisches Dreieck ent-steht: Eltern, Fachkraft, Kind/Jugendlicher und ne-benbei eine spezifische Fachsprache, um das Erlebteeinzuordnen.

Gewichtung der Anhaltspunkte für die Risikoein-schätzungSchon die Schwere und die Häufigkeit einer Miss-handlung sind in der Regel keine Fakten, die als In-formation umstandslos zur Verfügung stehen. Oft gibtes einen Verdacht, aber keine Sicherheit, oft ist dieFrage, wie ein Kind zu Verletzungen gekommen ist,zwischen dem Helfer und den Eltern umstritten. EinePrognose setzt voraus, dass wir eine Idee bekom-men, was der Beziehungshintergrund der Gewalt ist:War das „Ausrasten der Eltern“ Folge einer einmali-gen krisenhaften Entwicklung oder ist es Teil eineraggressiven, hasserfüllten Haltung gegenüber demKind?Die verlässlichsten Partner bei der Einschätzung sinddie Eltern (und evtl. das Kind), und zugleich sind siedie schwierigsten und möglicherweise widerständigs-ten Partner. Sie sind zugleich Kooperierende und „Be-schuldigte“.

Spezielle Probleme bei der Einschätzung einerKindesvernachlässigungVernachlässigung ist komplex. Sie reicht von man-gelnder Ernährung und Gesundheitsfürsorge übermangelnde Förderung bis hin zu emotionaler Kälteund Gleichgültigkeit. Mütter und Väter haben keinGefühl dafür, was ihr Kind braucht, sind unsicher imKontakt, können ihr Kind im wörtlichen und übertra-genen Sinn nicht halten. Meist haben sie als Kinderselbst nicht bekommen, was sie ihren Kindern nichtgeben können, sie wiederholen ihre Geschichte,ohne es zu merken. Oft sind sie zudem mit sich selbstbeschäftigt, zurückgezogen in ihre vorübergehendeoder dauerhafte Depression, absorbiert vom Konf-likt mit dem Partner, der die ganze Energie bindet.Im Gegensatz zur Misshandlung, die zu einer be-stimmten Zeit passiert und sichtbar wird, ist sie eindauernder, ein schleichender Prozess. Wenn ein Kindnicht akut an Leib und Leben dadurch bedroht ist(durch Verhungern, durch mangelhafte Krankenver-

sorgung), weiß man nie genau, wann man etwas tunsoll. Es erscheint immer schon zugleich zu früh undzu spät. Schwere Vernachlässigung ist die Misshand-lungsform mit den schwersten Schädigungen für dieKinder, oft ist sie auch bei körperlicher Misshand-lung im Hintergrund, und zugleich wird sie oft über-sehen. Man spricht daher auch von der Vernachläs-sigung der Vernachlässigung. Vernachlässigungkönnte man als Verhalten beschreiben, als Bezie-hungsstörung verstehen oder aus den Symptomeneines Kindes vermuten.

Kinderschutzbögen: als Instrumentarien zur Ob-jektivierung der RisikoabschätzungDie Jugendämter haben eine Fülle von Untersu-chungsbögen entwickelt, wie z.B. den Stuttgarter Kin-derschutzbogen, der in Berlin gerade Karriere macht.Für die Beobachtung und sensible Wahrnehmungder Interaktion zwischen Eltern und Kind und desVerhaltens der Kinder sind diese Fragebögen hilf-reich. Sie strukturieren die eigene Wahrnehmung,versuchen, der Komplexität der Beziehungen gerechtzu werden und den Blick nicht nur auf das Problem,sondern auch auf Fähigkeiten und Ressourcen vonKindern und Eltern zu lenken. Sie relativieren Ein-schätzungen „aus dem Bauch heraus“, die häufigmehr mit der Gegenübertragung des Helfers, alsomit seiner gefühlsmäßigen Verstrickung, seinerAngst, seiner Wut als mit dem Problem der Familiezu tun haben. Kinderschutzbögen sind auf die Pra-xis des Jugendamtes zugeschnitten, können daheraußerhalb nur als Hilfe zur Strukturierung der Wahr-nehmung dienen. Sie sind Anregung und erweiternden Blick.Wenn wir diese Bögen jedoch als Strukturierung un-seres Kontaktes zur Familie nehmen, sitzen wir ei-ner dreifachen Fiktion auf:1. Als könne man in einer Beziehung, bei der es

um einen Konflikt zwischen Eltern, Kindern undJugendhilfe geht, die Position des Beobachterseinnehmen.

2. Als würde ein beobachtendes Jugendamt die be-obachteten Beziehungen zwischen Eltern undKindern nicht systematisch verändern.

3. Als würde die Einnahme der Beobachterpositionnicht den Kontakt zur Familie verändern.

Jeder Kontakt zur Familie dient ja zugleich der Diag-nostik, „was ist das Problem der Familie“ und derHerstellung eines Kontaktes zur Familie „wie siehtdas die Familie, will sie sich verändern.“ Der Frage-bogen liefert dafür kein eindeutiges Ergebnis. ZumSchluss müssen wir unserer persönlichen Überzeu-gung in das Gespräch mit der Familie einbringen unddarüber mit der Familie „streiten“.Anmerkung: Die Mitarbeiter des Jugendamts Mün-chen haben in einer lang dauernden Arbeit eineneigenen Kinderschutzbogen entwickelt. Sie habensich jetzt entschlossen, diese Bögen nicht mehr zuverwenden, da sich die Mitarbeiter im konflikthaftenKontakt zu den Eltern „hinter den Bögen verstecken“und die Bögen sich im Gespräch mit den Eltern quasi

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zwischen Helfer und Eltern legen. Die Einschätzungmittels objektivierter Daten, so das Fazit, stört densubjektiven Kontakt zu den Eltern.3

2. Risikoeinschätzung in Zusammenarbeit mit Kin-dern und Eltern

Die Risikoeinschätzung ist nicht nur eine interne An-gelegenheit der Fachkräfte, sondern auch eine dia-logische zwischen den Fachkräften und den Eltern.Die Gewährleitung des Kindeswohls nach dem Dor-magener Qualitätskatalog einzuschätzen ist nur einBestandteil der Risikoeinschätzung, außerdem ge-hören dazu die Problemakzeptanz, Problemkongru-enz und die Hilfeakzeptanz der Eltern zu eruieren.Die HelferInnen finden diese Kongruenz und dieseAkzeptanz indessen nicht einfach vor, sondern siesind Ergebnis eines gelingenden Kontaktes zu denEltern. Die Qualität unserer Arbeit, die Art der Be-ziehungsgestaltung, ist ein wesentlicher Bestandteilder Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung.Gerade in zugespitzten Konflikten ist es zentral, dieEltern und das Kind zur Mitwirkung an der Planungder Hilfe zu gewinnen und die angebotene Hilfe zuihrer Sache zu machen. Der Prozess der Einschät-zung ist zugleich ein Prozess der Herstellung einertragfähigen Hilfebeziehung oder das Scheitern ei-nes solchen Hilfeprozesses. SozialarbeiterischesHandeln ist eben kein „Prüfprozess“, sondern findetim Spannungsfeld zwischen Diagnostik und Bezie-hungsentwicklung statt. Daher steht bei jeder „Prü-fung“ des Kindeswohls auch die Qualität der Hilfe-beziehung auf dem Prüfstand.Jedes Vernachlässigen und Unterschlagen der dop-pelten Perspektive „Kindeswohlgefährdung als über-prüfbare Tatsache“ und „Kindeswohlgefährdung alssoziale Konstruktion in einer Hilfebeziehung“ verfehltdie spezifische Qualität sozialpädagogischen Han-delns. Anders ausgedrückt, der Schutzauftrag derJugendhilfe ist mit dem Gelingen oder Scheitern desKontaktes zu den Eltern verkoppelt und entfaltet sichim Dialog mit den Eltern.Zudem ist das Handeln der Jugendhilfe nicht per seeine Milderung der Gefährdung, sondern kann eineGefährdung verstärken und im Extremfall gar her-vorbringen. Schon das „Einschalten“ des Jugendam-tes kann zu einer Krise in einer Familie führen. Tren-nungen, die schlecht vorbereitet oder fachlich unbe-gründet sind, können ein Kind massiv schädigen. Hilf-sangebote und Interventionen der Jugendhilfe aufGrund von Missbrauchsvorwürfen, die auf fragwür-digen Interpretationen oder falschen Anschuldigun-gen basieren, können ein Kind und seine Familienachhaltig schädigen.Die Jugendhilfe muss daher ihr Handeln auch alsRisiko einer Kindeswohlgefährdung verstehen undhat manchmal, wie z.B. häufig bei Trennungen, nurdie Wahl zwischen zwei mehr oder weniger schädi-genden Varianten.

3. Gefährdung einschätzen und Hilfen anbieten (aufHilfen hinwirken)

Der Gesetzestext legt nahe, dass es ein zeitlichesNacheinander der Einschätzung einer Kindeswohl-gefährdung und des anschließenden Anbietens von(Abs.1) oder Hinwirkens auf Hilfen (Abs.2) gibt. Einsolches Verständnis geht an den wirklichen Proble-men der Arbeit bei Kindeswohlgefährdung jedochvorbei. Und zwar1. weil – wie ausgeführt – die Akzeptanz von Hilfe

selbst Bestandteil der Einschätzung von Kindes-wohlgefährdung ist

2. weil es in der Arbeit mit den Familien von zentra-ler Bedeutung ist, ein gemeinsames Verständnisdes „Problems“ und der Hilfe zu entwickeln undder Kontakt zur Familie auch dem Helfer oft erstzu einer fundierten Einschätzung der Gefährdungverhilft.

Insofern könnte man ergänzen:3. Die Personensorgeberechtigten sowie das Kind

oder der Jugendliche sind weniger hilfreich beider Einschätzung der Kindeswohlgefährdung(Gesetzeswortlaut) als bei der Entwicklung einerdem Problem der Familie angemessenen Hilfe.Auch bei Kindeswohlgefährdung sind sie nichtbloßer Adressat von wenn auch nötiger Hilfe, son-dern zugleich Subjekt der Hilfe (die sonst auchgar nicht wirksam sein könnte).

An dieser Stelle wird eine Schwäche des Gesetzes-wortlautes deutlich: Das Gesetz gliedert auf in „An-haltspunkte von Kindeswohlgefährdung abschätzen“und „auf Hilfen hinwirken“ (Abs. 2) bzw. „geeigneteHilfen anbieten“ (Abs.1). Und alle Mitwirkungsver-pflichtungen beziehen sich auf „Anhaltspunkte ab-schätzen“. In der Praxis sind beide Teile nicht zu tren-nen und gerade für den Teil „Hilfen anbieten“ ist dieMitwirkung der Personensorgeberechtigten, des Kin-des oder des Jugendlichen fachlich geboten undbesonders hierfür braucht die Fachkraft Unterstüt-zung (also „das Zusammenwirken von ...“ nach Abs. 1oder die „insofern erfahrene Fachkraft“ nach Abs. 2).

4. „auf Hilfen hinwirken“ im Prozess der Risikoab-schätzung

Eltern, die ihre Kinder massiv schädigen, habenmeist selbst das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.Manchmal sind sie verzweifelt über ihr Verhalten oderüber ihre negativen Gefühle gegenüber den Kindern,manchmal sind sie entsetzt über ihre Kinder, die siesich ganz anders vorgestellt haben. Sie möchten et-was ändern und haben zugleich Angst, auf ihr Fehl-verhalten angesprochen zu werden. Oft sind sie iso-liert und leiden unter den kritischen Blicken der Nach-barn (und manchmal den Blicken der Erzieherinnen,der Sozialarbeiterin). Wenn wir mit diesen Eltern zutun haben, haben wir oft Mitleid mit dem geschädig-ten Kind und Wut auf die Eltern, die das dem Kindangetan haben und die manchmal so uneinsichtig

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und schwer im Kontakt sind. Auf „Hilfen hinwirken“ist unter diesen Voraussetzungen so notwendig wieschwierig. Gegenüber den Eltern sowohl konfrontie-rend wie mitfühlend zu sein, in Kontakt zu kommentrotz Misstrauen und Angst, mit den eigenen hefti-gen Gefühlen gut umzugehen ist eine fachliche He-rausforderung.An diesem Punkt kommen alle Kinderschützer häu-fig in eine Sackgasse. Wut und Ärger auf die miss-handelnden Eltern gehört nicht zum Selbstbild derHelfer in der Jugendhilfe. Um so mehr drohen siehinterrücks wirksam zu werden als Ärger, dass sieunser Es-Gut-Mit-Ihnen-Meinen nicht annehmenkönnen, dass sie so hartnäckig leugnen, dass es inihrer Familie Probleme gibt. Leicht kommt man in diePosition, ihnen beweisen zu müssen, was sie falschgemacht haben, was dann neue Rechtfertigungenhervorbringt. Wie kann man mit Eltern besprechen,dass sie ihr Kind geschlagen haben? Dass sie ihmgegenüber aggressiv und feindselig sind? Dass siees nicht genügend gut versorgen?

Die Abschätzung einer Kindeswohlgefährdung istalso ein Prozess. Man bekommt gewichtige Anhalts-punkte (manchmal muss man dann auch sofort han-deln), man macht eine erste Beurteilung (mit Kolle-gen oder evtl. einer hinzuziehende Fachkraft), manspricht mit den Eltern, mit dem Kind, das Gesprächgelingt mehr oder weniger, man bekommt neue An-haltspunkte für das, was den Eltern in der Erziehunggelingt oder nicht gelingt, man hört ihre Sicht derDinge, ihre Bereitschaft oder Weigerung Hilfe anzu-nehmen, Hilfe kommt auf den Weg oder wird abge-lehnt, die Hilfe hilft oder nichts wird besser, immerwieder muss man prüfen, ob das Wohl des Kindesgesichert ist. Und wenn die Hilfen nicht angenom-men werden oder nicht ausreichend sind, dann mussdas Jugendamt das Familiengericht anrufen und wiranderen müssen das Jugendamt benachrichtigen.

2 Anmerkungen:❍ Sinnvoll ist es, hier ein Handlungsdiagramm zu

entwickeln. Solche Handlungsmuster gibt esbereits für die Mitarbeiter des Jugendamtes.

❍ Natürlich ist es unsere Aufgabe, die Eltern unddas Kind auch dann zur Hilfe zu ermutigen, wenndas Problem nicht so groß ist, dass das Kindes-wohl gefährdet ist. Aber das ist dann nicht mehrunter dem Stichwort „Schutzauftrag“ und es istallein Sache der Eltern, ob die Hilfe auf den Wegkommt.

Fachkräfte für Kinderschutz nach § 8a KJHG

In dem Gesetz gibt es verschiedene Fachkräfte: Dienormalen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Jugend-amtes und der Dienste und Einrichtungen und die „in-soweit erfahrene Fachkraft“ die ich hier Kinderschutz-fachkraft nennen will.Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in jedem Ju-gendamt ausreichend (kinderschutz)erfahrene Fachkräf-

te zur Verfügung stehen, dass dort die Einschätzungalso kollegial erfolgen kann4. Das hindert das Jugend-amt nicht, sich je nach „Fall“ einen Arzt, einen Psychia-ter, einen Kindertherapeuten oder auch einen Kollegendes Kinderschutz-Zentrums hinzuziehen. Wir im Kinder-schutz-Zentrum gehen davon aus, dass wir selbst er-fahrene Kinderschutz-Fachleute sind, also ebenfalls denSchutzauftrag kollegial einlösen können Dennoch ge-hört eine externe Supervision gerade in zugespitztenKinderschutzfällen zu unserer Qualitätssicherung. Ähn-liches mag für EFBs gelten.Fachkräfte von außen hinzuziehen, müssen und dürfenvor allem die Einrichtungen, deren alltäglich Brot nichtder Kinderschutz ist: KiTas, Jugendfreizeiteinrichtungenetc.In einer spezifischen Rolle sind alle, die als Anbietereiner Hilfe zur Erziehung vom Jugendamt mit einer Hilfebeauftragt sind. Dann gibt es immer schon einen Kon-takt zum Jugendamt (sei es durch eine Hilfekonferenzoder durch ein Übergabegespräch). Und möglicherweiseauch eine Vereinbarung, über das Erreichte und dasProblematische auf weiteren Hilfekonferenzen zu spre-chen. Aber auch dann kann es wichtig sein, über ge-fährdende Entwicklungen in einer Familie mit einer „in-soweit erfahrenen“ Kinderschutzfachkraft den Fall ano-nym zu besprechen und zu überlegen, was in der ver-traulichen Beziehung zwischen Fachkraft und Familiebleibt und wann wir, weil das Wohl des Kindes gefähr-det ist, aktiv das Jugendamt informieren dürfen undmüssen.

Anforderungen an die Kinderschutzfachkraft

1. Sie braucht Kenntnisse über❍ Die Ursachen und die (familiäre) Dynamik von

konflikthaften Beziehungen❍ Das Erleben und die Abwehr der Eltern bei fami-

liärer Gewalt❍ Über die Symptome, die Entwicklungsbeein-

trächtigungen und die Resilienz von Kindern ingefährdenden Beziehungen

❍ Über das innere Erleben der Kinder und ihre Bin-dung an die Eltern

❍ Über Risiken und Ressourcen der Familien

2. Sie brauchen Kenntnisse des rechtlichen Rahmensvon Kindeswohlgefährdung und von Datenschutz.

3. Sie brauchen ein professionelles Selbstverständnis.Dazu gehört❍ Der Umgang mit der Gegenübertragung bei Ge-

walt in der Familie❍ Der Umgang mit Abwehr und Widerstand von Fa-

milien❍ Die Fähigkeit, Schwieriges zur Sprache zu brin-

gen❍ Kompetenz im konfrontierenden Gespräch mit

den Eltern

4. Sie brauchen Kenntnisse des Hilfesystems und derKooperationswege.

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5. Sie brauchen Kenntnisse über den spezifischen Kon-text, in dem sie als Fachkraft tätig werden:❍ über die spezifischen Fähigkeiten und Risiken bei

der Wahrnehmung der Gefährdung von Kindernbei den Mitarbeitern der Institution

❍ über das Beziehungsdreieck Institution, Elternund Kinder und dessen Bedeutung für einenGefährdungskonflikt

❍ über die innere Organisation und Vernetzung derberatenen Institution

Für ihre verantwortliche Arbeit benötigen die Fachkräf-te einen fachlichen Austausch mit kinderschutzerfahre-nen Kollegen und regelmäßige Fallbesprechungen mitSupervision.Sie sollten die Beratungsverläufe und insbesondere dieEntscheidungen gewissenhaft dokumentieren. Das giltim Übrigen für alle, die mit einer vermuteten Kindes-wohlgefährdung zu tun haben.

In der Regel wird eine Fallberatung auf Basis einer an-onymisierten Vorstellung stattfinden. Das bedeutet, dieVerantwortung für das Kindeswohl verbleibt bei der be-ratenen Institution /der beratenen Fachkraft, also z.B.bei der Erzieherin der Kita. Es sind Fälle denkbar, wodie Kinderschutzfachkraft von einer beratenden Fach-kraft zu einer kooperierenden Fachkraft wird, indem siez.B. eine Kita bei einem Elterngespräch unterstützt. Indiesem Augenblick übernimmt die Fachkraft selbst (Mit-)Verantwortung für das Kindeswohl, sie erwirbt eineneigenen Schutzauftrag.

Anbindung der Kinderschutzfachkraft

Über eine sinnvolle Anbindung der Fachkraft mussgründlich nachgedacht werden. Zwei mögliche Modellewill ich hier zur Diskussion stellen:1. Die Fachkraft ist beim Träger der jeweiligen Einrich-

tung angestellt. Sie kennt die Organisation, ihre Hie-rarchien, ihre Probleme und ihre Vernetzungen undist den Mitarbeitern der Institution bekannt, was dieAngst in der Zusammenarbeit reduziert und verläss-liche Kooperationsbeziehungen erleichtert. Das Mo-dell setzt eine gewisse Größe des Trägers voraus,damit die Stelle einer Fachkraft nach § 8a auch aus-gefüllt werden kann.

2. Die Fachkraft wird hinzugezogen. Auch hier ist eineRegelmäßigkeit von Vorteil, damit sich Kooperationenund Vertrauen einspielen können und die FachkraftEinblick in das Funktionieren der Einrichtung bekommt.

In Ausnahmefällen kann es sinnvoll sein, dass zusätz-lich oder statt der „normalen“ Kinderschutzfachkraft eineFachkraft für die besondere Fallkonstellation hinzuge-zogen wird. So könnte bei einer akuten psychiatrischenErkrankung der Eltern die Konsultation einer psychiatri-schen Fachkraft sinnvoll sein.

Finanzierung der Kinderschutzfachkraft

Bei der Finanzierung der Fachkraft sind folgende Ge-sichtspunkte zu berücksichtigen. Der Datenschutz muss

gewährleistet sein (d.h. der Name der Familie , um diees geht, bleibt vertraulich) und die Möglichkeit, dass dieEinrichtung denn Konflikt um das Kindeswohl wie imGesetz vorgesehen ohne Beteiligung des Jugendam-tes löst, darf durch die Finanzierung nicht ausgehebeltwerden. Unter anderem sind folgende Modelle denkbar:1. Die Fachkraft macht ihre Arbeit als Fachleistung nach

dem KJHG beim jeweils zuständigen Jugendamtgeltend. Sie braucht dazu eine Anerkennung alsFachkraft durch das Jugendamt, eine Leistungs-vereinbarung und ein Entgelt. Das Jugendamt mussanerkennen, dass viele der Beratungen der Fach-kraft anonym verlaufen oder – auch wenn die Fach-kraft die Familie kennt – gegenüber dem Jugendamtanonym bleiben.

2. In die Leistungsvereinbarung mit dem jeweiligenAnbieter wird ein Teil „Schutzauftrag bei Kindeswohl-gefährdung“ aufgenommen, der auch die Arbeit derhinzuziehenden Fachkraft umfasst und das Entgeltwird entsprechend angepasst.

3. Ein Kinderschutz-Zentrum oder eine andere Institu-tion bekommt eine Leistungsbeschreibung Fachkraftfür Kinderschutz und wird mit einer oder mehrerenentsprechenden Stellen ausgestattet.

Notwendigkeit von Modellvorhaben

Es scheint mir notwendig, dass in unterschiedlichen Ein-richtungen und in verschiedenen Regionen modellhafteProbeläufe gestartet werden, welche die erbrachte Leis-tung „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ – be-zogen auf die Mitarbeiter der Einrichtung und auf diehinzuziehende Fachkraft – dokumentieren. Dabei könn-ten auch unterschiedliche Modelle der Anbindung er-probt werden. Daraus könnten sich genauere Empfeh-lungen für die finanzielle und fachliche Ausgestaltungdes Schutzauftrages ergeben.

Erfahrungen von mir mit Kindertagesstätten in Neuköllnmachen deutlich, dass die Zusammenarbeit mit einer„Kinderschutzfachkraft“ eine Vielzahl von Gefährdungs-fällen ins Bewusstsein der Erzieher rücken kann. Wahr-nehmungen von kindlichen Äußerungen, von Eltern-Kind-Interaktionen sowie von Symptomen und Entwick-lungsdefiziten zeigen sich dann in einem ganz anderenLicht. Häufig wurde bisher im Alltag einer KiTa die Sor-ge um ein Kind wegen der Ratlosigkeit über möglicheHandlungsperspektiven zurückgedrängt. Ein wohlver-standener Schutzauftrag bietet eine große Chance, dieSituation gefährdeter Kinder sensibler wahrzunehmenund mit den Erziehern Hilfeprozesse für Kinder und El-tern in Gang zu bringen oder, wenn nötig, die Sorge umdie Gefährdung dem Jugendamt mitzuteilen.Diese Arbeit mit und in der KiTa ist zeitintensiv, aber(nicht nur gesetzlich) dringend geboten.

Insofern ist der Schutzauftrag nicht nur eine fachlicheHerausforderung, sondern auch eine Aufforderung andie Politik, ihn (auch finanziell) angemessen in der Ju-gendhilfeplanung auszugestalten.

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Dieses wird auch von Prof. Wiesner bestätigt, der imMinisterium an der Ausarbeitung des Gesetzes wesent-lich beteiligt war. Im von ihm herausgegebenen Kom-mentar zum SGB VIII (SGB VIII, 2006) heißt es:„ ... Allerdings werden im Hinblick auf das jeweilige (spe-zifische) Leistungsspektrum der Einrichtung bzw. desDienstes dort nicht ohne weiteres für eine Risikoabschät-zung ausgebildete Personen zur Verfügung stehen. Des-halb verpflichtet Satz 1 Halbs.2, in der Vereinbarung si-cherzustellen, dass eine insoweit erfahrene Fachkrafthinzugezogen wird. (...) Inhaltlich entspricht die Rege-lung der Verpflichtung des Jugendamtes in Abs. 1, dasGefährdungsrisiko „im Zusammenwirken mehrerer Fach-kräfte“ abzuschätzen. Dem Sinn und Zweck dieser Vor-schrift entsprechend, möglichst den Zugang zur Fami-lie zu erhalten und nicht eine Blockadehaltung der El-tern zu provozieren, kommen primär Fachkräfte ausspezialisierten Einrichtungen und Diensten freier Trä-ger wie Erziehungsberatungsstellen oder Kinderschutz-zentren in Betracht. Dafür muss eine ausreichende Per-sonalkapazität vorgehalten werden. Zwar schließt derWortlaut auch eine Beteiligung von Fachkräften des ASDnicht aus. Ihre Einbeziehung verfehlt jedoch den Zweckder Vorschrift, die Risikoeinschätzung in eigener Ver-antwortung der Einrichtung bzw. des Dienstes vorzu-nehmen und erst bei mangelnder Kooperation der El-tern das Jugendamt einzuschalten.“

Was ist zu tun?

Für alle: Vereinbarung zum Schutzauftrag abschließen:Das bedeutet juristisch: Die Träger der Einrichtungenund Dienste und das Jugendamt schließen einen Ver-trag auf Augenhöhe. Sie sollen also nicht ein Dekret desJugendamtes unterschreiben. Teilweise ist das bereitspassiert, nicht immer sind die Vereinbarung fachlichadäquate Umsetzungen des § 8a. Also genau gucken,was Sie unterschreiben sollenFür die Jugendämter: Meines Erachtens gibt es weni-ger ein Qualifizierungsnotwendigkeit in der Risikoein-schätzung als im konflikthaften Kontakt zu den Eltern.Für die Freien Träger: Fortbildungen in der Wahrneh-mung von Gefährdungen und im Elterngespräch. Ent-wicklung von Handlungsabläufen bei einem Verdacht aufKindeswohlgefährdung unter Einbeziehung der „hinzu-zuziehenden Fachkraft“Für die Stadt: Curricula für die Ausbildung von Kinder-schutzfachkräften entwickeln und anbieten. Eine aus-reichende Zahl und deren Finanzierung bereithalten.Für das Kinderschutz-Zentrum: den eigenen Schutz-auftrag einlösen und sich als Fachkraft für Kinderschutz(weiter) zu qualifizieren. In Kooperation mit anderensollten wir Weiterbildungen für die Mitarbeiter der Diensteund Einrichtungen entwickeln, insbesondere für Kinder-tagesstätten. Für Kinderschutzfachkräfte sollten wir (zu-sammen mit anderen) Ausbildungen anbieten.Dass wir das wollen, haben wir schon mehrfach kund-getan, wir haben auch schon damit angefangen, auf einpolitisches Echo warten wir noch.

Schlussbemerkung

Der Schutzauftrag ist eine Chance für die Kinder:Ihre Not wird sensibler und fachlich kompetenter wahr-genommen. Die Kompetenz der pädagogischen/sozial-arbeiterischen Fachkräfte, Eltern eine Brücke zur Hilfezu bauen, wird erhöht. Wenn nötig, wird das Kindes-wohl auch gegen den Willen der Eltern gesichert. DieZusammenarbeit wird klarer. Allen Fachkräften, für dieKinderschutz keine Alltagsaufgabe ist, insbesondere denKindertagesstätten und den Jugendfreizeiteinrichtungenwerden erfahrene Kinderschutzfachkräfte zur Seite ge-stellt, die sie bei der Einschätzung und beim Kontakt zuden Eltern beraten.

Der Schutzauftrag ist keine Chance für die Kinder,wenn seine fachlichen, personellen und finanziellenImplikationen nicht eingelöst werden.

Anmerkungen:1 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass das Jugend-amt in der Politik, bei der Polizei, bei den Ärzten, manchmalauch bei den Freien Trägern der Jugendhilfe als zahnlos, ge-genüber dem Klientel aber auch 15 Jahre nach der Verabschie-dung des KJHG als „Kinderklauamt“ gilt. Als würde das Klien-tel das Jugendamt so sehen, wie sich die Polizei das Jugend-amt erhofft. (Ich teile die Meinung über das Jugendamt nicht,aber es gibt einen richtigen Kern: Die Arbeit mit den Eltern, mitdenen wir einen Konflikt um das Wohl des Kindes haben, istder fachlich anspruchsvollste Teil der Kinderschutzarbeit. Undhier ist unsere Arbeit häufig von Scheitern bedroht.)2 Anmerkung: das Strafgericht ist an der Vergangenheit inter-essiert (was ist passiert), die Jugendhilfe an der Zukunft (waswird passieren)3 Genaueres dazu in einem Vortrag von Frau Gerber, Jugend-amt München unter www.kinderschutz-zentren.org/Fortbildung/aktuelle Materialien4 Die Fähigkeit, in seinem eigenen Praxisbereich angemesse-ne Kinderschutzarbeit machen zu können, bedeutet nicht au-tomatisch, dass man auch eine geeignete Fachkraft ist, dievon anderen Einrichtungen in Kinderschutzfällen hinzugezo-gen werden kann. Kinderschutz im Handlungsfeld KiTa funkti-oniert anders als im Jugendamt oder Kinderschutz-Zentrum;d.h. die Kinderschutzfachkraft muss das jeweilige Handlungs-feld kennen und sie muss Fähigkeiten haben, deren Fachkräf-te zu beraten.

Literaturempfehlungen:– Im Auftrag der Bundesregierung hat das Institut für Sozia-

le Arbeit (ISA) zum Schutzauftrag Expertisen in Auftraggegeben und ein Handbuch erarbeitet. Alles zu finden un-ter www.kindesschutz.de

– Zum Schutzauftrag von Kindertagesstätten:Georg Kohaupt; Neuer Schutzauftrag gilt auch für Kinder-tagesstätten; In: Kindergarten heute 1 / 2006

– Wiesner (Hrsg.) SGB VIII, 3. Auflage, 2006

Kontakt:[email protected]

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Arbeitsgruppe Region Nord-West

Moderation: Lotte Knoller, Kinderschutz-ZentrumDetlef Werner, Psychosoziale Dienste

❍ Sozialpädagogischer Dienst Region Nord-West❍ Psychosoziale Dienste❍ Kinder- und Jugendgesundheitsdienst❍ Jugendgerichtshilfe❍ Sozialpädiatrisches Zentrum❍ Kinder- und Jugendhilfezentrum Neukölln❍ Jugendhilfestation des Diakonischen Werkes❍ VbU e.V.❍ Vielfalt e.V.❍ Familie e.V.❍ Jakus gGmbH❍ Legasthenie und Familienzentrum❍ Warthe 60❍ Karl-Weise-Grundschule❍ Schulstation Konrad-Agahad Grundschule❍ Schulstation Karlsgarten Grundschule❍ Schulstation Theodor-Storm-Grundschule❍ Schulstation Mariendorfer Weg❍ Kita „Kleiner Fratz“❍ Kita Warthestraße❍ Jugend- und Familienzentrum Am Tower❍ Arbeitsagentur

■ ÜBERSICHT DER TEILNEHMENDEN TRÄGER, DIENSTE UND EINRICHTUNGEN AN DEN

ARBEITSGRUPPEN

Arbeitsgruppe Region Nord-Ost

Moderation: Cornelia Ludovici, Kinderschutz-ZentrumRainer Spirius, Psychosoziale Dienste

❍ Sozialpädagogischer Dienst Region Nord-Ost❍ Psychosoziale Dienste❍ Kinder- und Jugendgesundheitsdienst❍ Treberhilfe Berlin❍ Wigwam❍ Lebenswelt gGmbH❍ Legasthenie und Familienzentrum❍ Junge Mütter/Väter e.V.❍ Niedergelassene Psychotherapeuten❍ Pflegekinderdienst A 3❍ Caritas Pflegekinderdienst❍ Hans-Fallada-Schule❍ Kita Sonnenschein❍ Kita Weserstraße❍ Kita Uthmannstraße❍ Kita Treptower Straße❍ Kita Mosaik❍ Jugend und Familienzentrum Am Tower❍ Arbeitsagentur❍ Polizei

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Arbeitsgruppe Region Süd-West

Moderation: Matthias Gillner, Kinderschutz-ZentrumWolf Seggermann, Psychosoziale Dienste

❍ Sozialpädagogischer Dienst Region Süd-West❍ Amtsvormundschaft❍ Jugendhilfeplanung❍ Psychosoziale Dienste❍ Schulpsychologischer Dienst❍ Kindergesundheitshaus❍ Diagnose- und Behandlungszentrum❍ AWO-Beratungshaus❍ Kinder- und Jugendhilfezentrum Neukölln❍ Sozialarbeit und Segeln e.V.❍ Legasthenie und Familienzentrum e.V.❍ Evin e.V.❍ Kinder- und Jugendhilfeverbund❍ Familien für Kinder (Pflegekinderdienst)❍ Niedergelassene Psychotherapeuten❍ Schule Am Bienwaldring❍ Schule an der Windmühle❍ Fritz-Karsen-Schule❍ Kita Holzmindener Straße❍ Kinderbüro❍ Kinderclubhaus Sternschnuppe❍ Arbeitsagentur

Arbeitsgruppe Region Süd-Ost

Moderation: Friedrich Herm, Kinderschutz-ZentrumAnette Reiners, Psychosoziale Dienste

❍ Sozialpädagogischer Dienst Region Süd-Ost❍ Amtsvormundschaft❍ Psychosoziale Dienste❍ Kinder- und Jugendgesundheitsdienst❍ Diagnose- und Behandlungszentrum❍ Kinderklinik Neukölln❍ Trialog e.V.❍ Thessa e.V.❍ Ghost e.V.❍ Evin e.V.❍ Legasthenie und Familienzentrum e.V.❍ JAW Girlitzweg❍ Kriseneinrichtung Nogatstraße❍ Caritas (Pflegekinderdienst)❍ Familien für Kinder (Pflegekinderdienst)❍ Clay-Schule❍ 30. Grundschule Rudow❍ Kath. Grundschule St. Marien❍ Martin-Lichtenstein-Grundschule❍ Kita Tabaluga❍ Kita Süd Ost❍ KiB gGmbH❍ Jugendclub Ufo❍ Jugendkultur-Zentrum Wutzkyallee❍ Jugendfreizeitheim Widlhüterweg❍ Stadtvilla Global

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Die Zusammenfassung des Diskussionsprozesses undder Ergebnisse der Arbeitsgruppen soll einen Überblicküber den Stand der Verständigung der unterschiedlichenProfessionen bezüglich Kindeswohlgefährdung geben.Die Arbeitsergebnisse wurden systematisiert. OffeneFragen herausgearbeitet.

Ziele der Arbeitsgruppen

Die Aufteilung der Teilnehmer des Fachtages in AGs,die den einzelnen Regionen entsprechen, hatte das Ziel,dass sich die Einrichtungen und Dienste der jeweiligenRegion über Grundzüge der Arbeit bei Kindeswohlge-fährdung verständigen. Die Arbeitsgruppen sollten dieGelegenheit bieten, dass sich die Vertreter der Einrich-tungen und Dienste kennenlernen, ihre unterschiedli-che Herangehensweise an Kindeswohlgefährdung dar-stellen sowie Kooperationsmöglichkeiten und-notwen-digkeiten ausloten.

Fragestellung

❍ Was sind gewichtige Anhaltspunkte für Kindeswohl-gefährdung?

❍ Wie lassen sich Gefährdungsrisiken abschätzen undbeurteilen?

❍ Welche Handlungsmöglichkeiten und Handlungs-notwendigkeiten ergeben sich?

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Damit sich alle Teilnehmer an der Diskussion beteiligenkönnen, wurden kleine Untergruppen gebildet mit Vertre-tern aus verschiedenen Einrichtungen und Diensten.Die rege Beteiligung an der Diskussion in den Klein-gruppen erbrachte umfangreiche Zusammenstellungenzu den 3 Fragen. Diese Zusammenstellungen gleichensich inhaltlich sehr. Es kann also festgehalten werden,dass alle beteiligten Dienste und Träger in Neukölln einegemeinsame Basis haben, was die Einschätzung einerKindeswohlgefährdung anbelangt.

Gewichtige Anhaltspunkte

Die Gewichtigkeit von Anhaltspunkten ist ein unbestimm-ter Begriff. Wird ein Anhaltspunkt als gewichtig einge-schätzt, muss die Einrichtung laut Gesetz eine Risikoab-schätzung vornehmen. Der gewichtige Anhaltspunkt stehtalso am Beginn einer Untersuchung, an deren Ende ge-eignete Hilfen für das Kind und seine Familie stehen. Wannwelcher Anhaltspunkt als gewichtig eingeschätzt wird,hängt von der Art des Kontaktes ab, den eine Einrichtungzum Kind und zu seiner Familie hat. Darüber hinaus spie-len auch subjektive Faktoren eine Rolle wie die Erfahrungdes Mitarbeiters mit Kindeswohlgefährdung, die emotio-nale Betroffenheit und das individuelle Engagement.

Die Listen von Anhaltspunkten stimmten in den Arbeits-gruppen größtenteils überein.Die Gewichtigkeit der Anhaltspunkte wurde je nach Insti-tution unterschiedlich eingeschätzt abhängig vom Arbeits-zusammenhang, den die Einrichtung mit der Familie hat.Manche Einrichtungen, die nur kurze Kontakte mit denKindern haben (z.B. Jugendfreizeitheim), registrieren amehesten sichtbare Verletzungen oder Unterversorgungendes Kindes mit Nahrung und Kleidung bzw. massive Ver-haltensauffälligkeiten. Einrichtungen, die die Kinder täg-lich sehen, können darüber hinaus auch subtilere Verhal-tensänderungen wahrnehmen oder Anhaltspunkte derGefährdung in der Eltern-Kind-Beziehung bzw. In dermomentanen Lage der Eltern registrieren.Als allgemeine Kriterien für die Gewichtigkeit wurdenherausgearbeitet:❍ Intensität des Verhaltens/der Verletzung/der Unter-

versorgung❍ Häufigkeit des beobachteten Zustandes❍ Alter des Kindes

Zusammenstellung der Anhaltspunkte

❍ Erscheinungsbild des Kindeskörperlich: mangelnde Versorgung des Kindes mitEssen, Kleidung, mangelnde Hygiene, fehlende ärzt-liche Behandlung und /oder Vorsorgeuntersuchung,häufige Erkrankung des Kindes, fehlende Versorgungmit Brille, Hörgeräten und anderen notwendigenHilfsmitteln etc., Misshandlungsspuren, blaue Fle-cken,kognitiv: eingeschränkte Reaktion auf optische undakustische Reize, Wahrnehmungs- und Gedächtnis-störungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Entwick-lungsverzögerungenpsychisch: apathisch, traurig, aggressiv, schreckhaft,unruhig, schüchtern, ängstlich, verschlossen etcSozial: fehlende Schulmaterialen, Spielzeug etc.,häufiges Fehlen in Kita / Schule

❍ Verhaltensauffälligkeiten der Kinder /Jugendlichen(wiederholtes nicht altersgemäßes Verhalten)zum Beispiel: hohes Gewaltpotential, signifikantesRückzugsverhalten, überangepasstes Verhalten, völ-lige Verweigerungshaltung, selbst verletzendes oderselbst schädigendes Verhalten, Sucht-verhalten, un-angemessenes Freizeitverhalten (z.B. Computer-sucht), Distanzlosigkeit, Beziehungsstörungen, so-ziale Isolation, Beziehungsverweigerung, Leistungs-verweigerung, Schulddistanz, sexualisiertes Verhal-ten, Entwicklungsrückstände unter Beachtung derEntwicklungsstandards, Änderung des Verhaltensdes Kindes bei Ortwechsel (z. B. entspannt/glück-lich bei Oma etc.)Trebegänger

■ AUSWERTUNG DER REGIONALEN ARBEITSGRUPPENZusammengefasst von Lotte Knoller

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❍ Berichte der Kinder über Misshandlungen (physisch/psychisch/sexuell)

❍ Antreffen von Kindern an gefährdenden Orten

❍ Eltern -Kind - Beziehung,zum Beispiel: emotionale Vernachlässigung, fehlen-de Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse, Lieblosig-keit, Interesselosigkeit, fehlende Teilnahme der El-tern am Alltag des Kindes, fehlende Grenzsetzung,fehlende oder mangelnde Förderung, mangelndeAufsicht, unkontrollierter Medienkonsum, Stigma-tisierungen („der wird nie etwas“, „der ist krank“),Anstiften der Kinder zu kriminellen HandlungenÜberbehütung, Symbiose, Einschränkung des Kin-des aufgrund religiöser oder kultureller Zugehörig-keit (Verbot des Schwimmunterrichts)

❍ Erscheinungsbild der Elternphysisch: Anzeichen von Partnergewalt, körperlicheVerwahrlosung, schwere Erkrankungenkognitiv: erhebliche geistige Behinderungpsychisch: psychische Auffälligkeiten der Eltern,Suchtverhalten (Drogen, Alkohol etc.)sozial: Isolation, verwahrloste Wohnsituation, Armut,„offenes Haus“ (ständiges Aus- und Eingehen vonLeuten, die nicht zur Familie gehören), Prostitutionin der Wohnung

❍ Verhalten und Einstellungen der ElternFehlende Tagesstruktur, Gefahrenquellen in der Woh-nung (Elektrogeräte, Tiere), mangelnde Einsicht innotwendige ärztliche Untersuchungen oder Behand-lungen, häufiger Wechsel von Ärzten, Schulen, Ki-tas, Helfern, Wohnorten

Eine noch weiter zu diskutierende Frage ist, wieweit beiden Anhaltspunkten der kulturelle Hintergrund der Fa-milie mitreflektiert werden muss. Es gab starke Plädoy-ers dafür, bei Familien mit Migrationshintergrund auchdie religiös begründeten Erziehungsnormen (Mädchendürfen nicht zum Sportunterricht oder auf Klassenfahrt)als Anhaltspunkte für Gefährdung zu registrieren.

Abschätzung des Gefährdungsrisikos

Die Risikoeinschätzung im Zusammenwirken mehrererFachkräfte dient der Prüfung der von subjektiven Ein-stellungen beeinflussten Anhaltspunkten. Abgeklärtwerden muss der Kontext der Gefährdung sowie dieRessourcen der Eltern (psychisch/materiell/sozial) undihre Bereitschaft zur Mitarbeit an der Beseitigung derKindeswohlgefährdung. Dazu gehören im Gespräch mitden Eltern die Bereiche

❍ ProblemakzeptanzDie Eltern sehen ebenfalls eine Gefährdung desWohles ihres Kindes

❍ ProblemkongruenzDie Eltern teilen die Anhaltspunkte, die die Helferwahrgenommen haben

❍ HilfeakzeptanzDie Eltern sind bereit, zur Beseitigung der Gefähr-dung Hilfen anzunehmen

Die Einbeziehung der Eltern zur Abschätzung derGefährdung ist für die verschiedenen Einrichtungen un-terschiedlich schwierig, je nachdem wie eng ihr Kontaktzur Familie ist. Es wurde daher in den Arbeitsgruppendeutlich, dass der Wunsch in einigen Einrichtungen be-steht, schnell das Jugendamtes einzubeziehen. Inwie-weit dies der gesetzlichen Intention entspricht ist einenoch zu klärende Frage.

Schema der Gefährdungseinschätzung

Die Einschaltung der „hinzuzuziehenden Fachkraft“ nach§ 8a SGB VIII erfolgt in der Regel nach dem ersten SchrittDamit wird die eigene Sicherheit im Umgang mit derFamilie und der möglichen Gefährdung des Kindes er-höht, mit der Fachkraft sollen dann die weiteren Schrit-te erarbeitet werden. Ob die Fachkraft aktiv in den Pro-zess eingreifen und beim Gespräch mit den Eltern Un-terstützung leistet, ist noch nicht abschließend disku-tiert.

Handlungsebene Steigende Gefährdung bei ...

1. Schritt: Beobachtung(noch ohne Bewertung, ❍ Wiederholungen,mit einem offenen Blick ...) massiv bei Chroni-

fizierungen2. Schritt: Objektivierung ❍ steigende Frequenz

(Austausch mit Kollegen, und/oder QualitätWahrnehmungsüberprü- ❍ steigende Anzahlfung) verschiedener Auf-

fälligkeiten3. Schritt: Dokumentation

und dabei immer auch:Ansprechpartner für dasKind sein!!

4. Schritt: gezielte Informa-tionssammlung mit den ❍ hohe psychosozialeEltern (Familienstruktur, Belastung der Familiewirtschaftliche und Wohn- ❍ fehlende Problemein-situation, Herkunftsfamilie, sicht, Rückzug, Ver-kulturelle Herkunft, Werte- meidung,Verleugnungvorstellungen, Unterstüt- ❍ fehlende Kooperationzungssystem der Familieetc.)

5. Schritt: konfrontierendesElterngespräch

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Handlungsmöglichkeiten – Handlungsnotwendigkeiten

Aus der Gefährdungsabschätzung ergeben sich je nachStufe der Gefährdung und Rolle der Einrichtung im Hil-fesystem unterschiedliche Interventionsmöglichkeiten.Alle Arbeitsgruppen kamen zu dem Ergebnis, dass beidefinitiver Gefährdung das Jugendamt einbezogen wer-den muss.

Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten fürden konkreten Gefährdungsfall

1. Handlungsnotwendigkeiten im Abklärungsprozessder Gefährdung bei allen Einrichtungen und Diens-ten:❍ (Rollen-)Transparenz („Das, was Du mir erzählst,

darf ich nicht für mich behalten“) wenn möglichdas Kind / den Jugendlichen in die Handlungs-schritte einbeziehen

❍ die Geschwisterkinder mit im Blick haben❍ das Kind in seiner Wahrnehmung, dass etwas

nicht in Ordnung ist, bestätigen,❍ Interventionen ohne Schuldzuweisungen („ich

nehme wahr...“ „ich mache mir Sorgen“)❍ Hilfestellungen zum Bewusstmachen des Pro-

blems

2. Handlungsmöglichkeiten für Einrichtungen undDienste außerhalb des Jugendamtes:❍ Begleitung (z.B. Schwangere mit Suchtrisiko)❍ Beratung

Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern,Sensibilisierung der Eltern

❍ Beobachtung (sachliche Faktenbeurteilung, Um-feld einbeziehen)

❍ vernetzte Arbeit der FachkräfteInformation, Rückmeldung, Rückschau

Handlungsnotwendigkeiten, wenn die Eltern nichtmitwirkungsbereit sind:❍ Träger: Meldung beim Jugendamt❍ Therapeut: Meldung beim Fachdienst

3. Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeitendes Jugendamtes:Wenn Hilfen durch andere Einrichtungen und Dienstenicht in Anspuch genommen werden oder die Eltern

zur Mitarbeit nicht bereit sind, muss das Jugendamtfolgende Maßnahmen ergreifen::❍ Auflagen (z.B. Vorstellungen beim KJGD)❍ Inobhutnahme, ambulantes und stationäres Clea-

ring❍ JA muss dem Träger klaren Schutzauftrag geben

(Hilfeplan)❍ bei Akutgefährdung Zusammenarbeit / Einschal-

tung Familiengericht / Jugendnotdienst / Polizei

Fallübergreifende Handlungsnotwendigkeiten und-möglichkeiten

❍ intensive Vernetzung / Information zu bestehendenAngeboten (Ressourcen des Sozialraumes und über-regionaler Träger, KND, JND etc.)

❍ präventive Projekte / kompensatorische Angebote❍ Informationsveranstaltungen/ Kampagnen zu Kinder-

und Jugendrechten❍ Kinderschutzbeauftragte in großen Einrichtungen❍ schnelle Unterstützung für Fachkräfte, z.B. angesie-

delt bei Psychosozialen Diensten❍ Handlungsplan / Ablaufplan „Kinderschutz“ für Ein-

richtungen (Schule, Kita, Freizeiteinrichtungen)❍ Regionaltag zum Thema Kinderschutz / Kindeswohl-

gefährdung 1x/Jahr

Zusammenfassung/Offene Fragen

Die Arbeitsgruppen trugen dazu bei, dass eine ersteVerständigung über gewichtige Anhaltspunkte für Kin-deswohlgefährdung möglich wurde und die Zusammen-arbeit in den Regionen angeregt wurde. Es bestand einegrundsätzliche Einigkeit über die gewichtigen Anhalts-punkte. Allerdings wurde auch deutlich, dass der Zu-gang zu den Familien und die Abschätzung des Gefähr-dungsrisikos oft schwierig ist.Es blieb offen, wie der Prozess der Risikoabschätzungund der dabei notwendigen Zusammenarbeit gestaltetwerden muss. Eine wichtige Frage war auch, wieweitbei Migranten-Familien eine Abschätzung des Gefähr-dungsrisikos unter Einbeziehung des kulturellen Hinter-grundes erfolgen sollte.

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Die große Zahl der Teilneh-merinnen und Teilnehmeraus den verschiedenen Be-reichen von Jugendhilfe,Schule und Gesundheitswe-sen am Fachtag zeigt, dassalle, die mit Kindern und Ju-gendlichen in Neukölln arbei-ten, dem Kinderschutz ver-pflichtet sind. Durch den Fach-tag sind Einrichtungen undDienste mit einander in Kon-takt gekommen, die sonsteher wenig mit einander zutun haben. Das beste Bei-spiel dafür sind die Kol-legenund Kolleginnen der EFB, die

mit den Mitarbeitern des Kinderschutz-Zentrum die Ar-beitsgruppen moderiert haben. Auch wir kannten unsvorher nicht und sind uns durch diese Art der Arbeit nä-her gekommen.Sowohl im Vortrag von Georg Kohaupt über den Schutz-auftrag bei Kindeswohlgefährdung, als auch in den Er-gebnissen der Arbeitsgruppen wurden zwei wichtigePrinzipien im Kinderschutz deutlich:

❍ Kinderschutz ist ein Prozess.Eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos erfolgtnicht nur aus einer Momentaufnahme des Kindesund seiner Eltern heraus. Vielmehr muss die Ent-wicklung der Familie über einen längeren Zeitraumbetrachtet werden, um eine Prognose erstellen zukönnen. Einen wesentlichen Stellenwert bei der Ab-schätzung nimmt auch die Einbeziehung der Elternein, mit denen erarbeitet werden soll, wie sie dieGefährdung abwenden können, über welche Res-sourcen sie verfügen bzw. welche Hilfen für die Ab-wendung geeignet und notwendig erscheinen. Obdie Ressourcen zur Abwendung ausreichen und obdie erarbeiteten Hilfen greifen, wird vor allem im Di-alog mit den Eltern und gegebenenfalls dem Kindherauszufinden sein.

❍ Kinderschutz geschieht in KooperationWie schon erwähnt gilt es zuförderst, die Kooperati-on der Eltern zu gewinnen. Der Gesetzgeber weistdarüber hinaus auf die Notwendigkeit von Koopera-tion im Helfersystem hin, wenn er für die Abschät-zung des Gefährdungsrisikos das Zusammenwirkenmehrerer Fachkräfte vorschreibt. Kooperation istweiter erforderlich, wenn ein geeignetes Unter-stützungssystem für das Kind und seine Familie ent-wickelt wird. Nicht zuletzt kann nur durch Kooperati-on aller Einrichtungen und Dienste in der jeweiligenRegion ein „Netzwerk Kinderschutz“ entstehen.

Welche Konsequenzen ergeben sich für das Kinder-schutz-Zentrum aus diesem Fachtag?Gemäß dem Motto der Neuköllner Jugendhilfe „MehrVorsorge, weniger Nachsorge“ setzt sich das Kinder-schutz-Zentrum für frühzeitige Hilfen für gefährdete Kin-der ein. In unserem Antrag an die Senatsverwaltunghaben wir darauf hingewiesen, dass besonders rund umdie Geburt ein Netzwerk von Hilfen für gefährdete Fa-milien zur Verfügung stehen muss. Für Neukölln wün-schen wir, dass die Finanzierung der bestehenden Prä-ventionsprojekte gesichert ist.Zur Umsetzung des Schutzauftrages und zur Verbes-serung der Hilfen bei Kindeswohlgefährdung ergebensich für das Kinderschutz-Zentrum Konsequenzen aufzwei Ebenen.

❍ Für den konkreten Einzelfall:Die Mitarbeiter des Kinderschutz-Zentrums sinddurch ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Familien, indenen das Wohl der Kinder gefährdet ist, „insoweiterfahrene Fachkräfte“ wie sie der § 8a SGB VIII zurHinzuziehung vorschreibt: Wir stehen daher als be-ratende Fachkräfte allen zur Verfügung, die eineKindeswohlgefährdung vermuten oder perspektivischbefürchten. Wir empfehlen schon bei ersten Anzei-chen eine Beratung bei uns wahrzunehmen, damitnicht durch Zeitdruck eine Einbeziehung der Elternin die weitere Abschätzung erschwert wird.Das Kinderschutz-Zentrum kann auch als Anbietervon beraterischen Hilfen für die Familie in den Pro-zess der Abwendung der Kindeswohlgefährdung ein-gebunden werden. Auch hier legen wir Wert aufTransparenz im Überweisungskontext und Klarheit,wie der Schutzauftrag von allen beteiligten Helfernwahrgenommen wird.

❍ Für die Entwicklung des HilfesystemsIm Sinne eines „Netzwerkes Kinderschutz“ sind ver-bindliche und einheitliche Kriterien zur Abschätzungdes Gefährdungsrisikos für alle Einrichtungen undDienste notwendig. An der Erarbeitung dieser Krite-rien sind wir bereit, mitzuarbeiten.Wir stehen zur Verfügung als „hinzuziehende Fach-kraft“ in Vereinbarungen zwischen Jugendamt undfreien Trägern einbezogen zu werden.Zur Qualifizierung von Fachkräften nach § 8a SGBVIII für Einrichtungen und Dienste sind wir dabeimit der sozialpädagogischen Fortbildungsstätte„Jagdschloss Gienicke“ ein Curriculum zu entwickeln.Eine erste Ausschreibung des Kurses wird im Herbsterfolgen.

Ich bin gespannt, welche positive Entwicklung bis zumHerbst erreicht werden kann und freue mich auf dennächsten Fachtag.

■ ABSCHLUSS-STATEMENT DES KINDERSCHUTZ-ZENTRUMSLotte Knoller

Page 21: Prävention und frühe Hilfen in Neukölln · PDF fileDokumentation des Kinderschutzfachtages Prävention und frühe Hilfen in Neukölln in Kooperation von Jugendamt Neukölln und

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Betrachten wir also Kinder-schutz als gesamtgesell-schaftliche Aufgabe!Kindeswohlgefährdung heißtVersagen der Möglichkeitenim Kinderschutz – oder um-gekehrt:Kinderschutz bedeutet zu-nächst die Vermeidung vonKindeswohlgefährdung – egal,aus welchem professionellenBlickwinkel! Schließlich gibtes nicht nur den richtigenBlick! Es geht auch nicht umdie Konkurrenz der „besse-ren“ Kinderschützer.

Erst, wenn durch irgendeine Unterstützung der Famili-en, sei es im familiären oder nachbarschaftlichen Kon-text (auf Neudeutsch sozialräumlich orientiert), sei esdurch den Besuch beim Kinderarzt, in einer Beratungs-stelle der Jugendhilfe, sei es eine EFB oder eine Dienst-stelle des Jugendamtes, sei es durch den Besuch einerKita, egal in welcher Trägerschaft, oder auch durch einesozialpädagogische Implementation einer Hilfe zur Er-ziehung, also erst wenn all diese Unterstützungsmög-lichkeiten für Familien mit Kindern die Kindeswohlge-fährdung nicht vermeiden können, dann wird zum Schutzdes Kindes „das Jugendamt“ zur sozialpädagogischenEingriffsbehörde!

Basis des Handelns für die öffentliche wie freie Jugend-hilfe ist das im letzten Jahr novellierte KJHG (Kinder-und Jugendhilfegesetz) – es ist auf dem Weg, seinepubertäre Krisenzeit hinter sich zu lassen und erwach-sen zu werden!Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung und dieInobhutnahme sind in zwei von über hundert Paragra-phen des KJHG beschrieben; d. h. Jugendhilfe ist zu-nächst sehr viel mehr und sehr viel anderes, als Kinderzu „klauen“! So wenig, wie die Konsultation eines Arz-tes gleich heißt, in tiefe Narkose versetzt und operiertzu werden! Außerdem (und dieser kleine Ausflug sei mirals kinderärztlich ausgebildeter Jugendamtsleitung ge-stattet) vor die Therapie haben die Götter die Diagnosegesetzt ...Diese Diagnose muss sicher und richtig sein, d. h. esbedarf des geeigneten diagnostischen Instrumentari-ums.

Leider ist jedoch das Image „des Jugendamtes“ immernoch – und nicht nur – bei der Klientel optimierungsbe-düftig, sondern auch (und vielleicht sogar vor allem?)bei auch mit dem Wohlergehen von Kindern betrautenInstitutionen:

■ SCHLUSSWORT ZUM KINDERSCHUTZFACHTAGDr. Gabriele Jetter, Jugendamtsdirektorin

beispielhaft seien hier Schule und Polizei erwähnt – dasind wir allerdings im „Neuköllner Netzwerk im sozialenRaum“ auf gutem Weg:Ich darf an dieser Stelle an die Fachtagung zur Gewalt-prävention am 12. Mai 2006 in der Friedrich-Ebert-Stif-tung erinnern!

Zu dieser Imagepflege gehört auch, die Berufsgruppeder Kinder- und Jugendärzte besser als bisher über dievielfältigen, vor allem präventiv ausgerichteten Jugend-hilfeangebote zu informieren, die vom Träger der öffent-lichen Jugendhilfe, also „dem Jugendamt“, finanziertwerden, als da wären❍ Kindertagesbetreuung,❍ Jugendförderung als Jugendarbeit und Jugend-

sozialarbeit,❍ Erziehungs- und Familienberatung

und das weite Feld der❍ ambulanten, teilstationären oder stationären Hilfen

zur Erziehung ...

Im Zuge der sozialraumorientierten Organisation derBerliner Jugendämter, auch des Jugendamtes Neukölln,können diese Angebote der Jugendhilfe besser verknüpftwerden. Doch die Jugendhilfe alleine wird es nicht schaf-fen, das Kindeswohl für mehr Kinder zu gewährleisten.Dazu bedarf es dringend einer Struktur und Kultur vonKooperation, die es zu entwickeln bzw. (z. B. in entspre-chenden Vereinbarungen) zu konkretisieren und zu ver-bessern gilt.

Dazu wird „das Jugendamt“ in meiner Person, zeitnah,hilfreiche Akteure an einen runden oder mehreckigenTisch bitten, um – parallel zur Vorbereitung der Folge-veranstaltung im Spätsommer diesen Jahres – und inKonsequenz der Fachtagung des Vereins für Kommu-nalwissenschaften Ende letzter Woche mit dem Titel„Frühe Intervention und Hilfe – vom Nebeneinander zumMiteinander von Pädiatrie und Jugendhilfe“.

Das fachbereichsübergreifend entwickelte Motto desNeuköllner Jugendamtes heißt schließlich nicht von un-gefähr

M E H R V O R S O R G E –W E N I G E R N A C H S O R G E !

Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam aktiv wer-den!!!

Page 22: Prävention und frühe Hilfen in Neukölln · PDF fileDokumentation des Kinderschutzfachtages Prävention und frühe Hilfen in Neukölln in Kooperation von Jugendamt Neukölln und

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Die vorliegende Dokumentation berichtet über den An-fang eines fachlichen Verständigungs- und Entwicklungs-prozesses. Die in Neukölln mit Kinderschutzaufgabenbefassten Fachleute haben mit dem Fachtag am 03. Mai2006 begonnen, ihre Erfahrungen zusammenzutragenund sich über die Handlungsnotwendigkeiten und -mög-lichkeiten angesichts vermuteter bzw. erkannter Kindes-wohlgefährdungen auszutauschen.

Dieser fachliche Austausch hat der Entwicklung vonKooperationsbeziehungen, die zur Bewältigung von Kin-derschutzaufgaben unverzichtbar sind, wichtige Impul-se gegeben. Ein gelingendes Zusammenwirken im Ge-fährdungsfall setzt allerdings voraus, dass die Beteilig-ten sich an verbindlichen Standards des erkennenden,bewertenden und handelnden Umgangs mit Kinder-schutzsituationen orientieren. Im weiteren Prozess derfachlichen Auseinandersetzung wird es darauf ankom-men, gemeinsam solche Erkenntnis- und Handlungs-richtlinien zu entwickeln.

Der nächste Schritt in diese Richtung soll am 18. Okto-ber 2006 mit dem 2. Neuköllner Kinderschutzfachtaggetan werden. Sie sind herzlich eingeladen, dabei mit-zumachen.

Geplant ist, noch einmal die unterschiedlichen fachli-chen Perspektiven, Haltungen und Zugänge zu beschrei-ben, unter denen Kinderschutzsituationen betrachtet undbewertet werden (können) und die in der Praxis derFachleute den Umgang mit solchen Situationen anlei-ten. In Form von Impulsreferaten sollen aus der Sicht❍ der Medizin (Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychia-

trie),❍ der Schulen (Lehrer/innen),❍ der Kindertagesstätten (Erzieher/innen),❍ der Gerichte,❍ der Polizei und❍ der Jugendhilfe (Jugendamt und freie Träger)die fachspezifischen Wahrnehmungs-, Bewertungs-,Erwartungs- und Handlungsmuster angesichts von Ge-fährdungslagen dargestellt und diskutiert werden. Dabeisollte deutlich werden, welchen Beitrag jede der befrag-ten Fachrichtungen zur Bewältigung der Kinderschutz-aufgabe leistet, und welchen Beitrag sie andererseitsvon den übrigen Akteuren in diesem Aufgabengebiet er-wartet.

Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr leibliches,seelisches und soziales Wohlergehen und vor Gefah-ren für ihre Entwicklung zu schützen, ist indessen keineAufgabe, die Experten vorbehalten ist. Der im § 8a SGB

VIII formulierte Schutzauftrag der Jugendhilfe hebt nichtden Grundsatz auf, dass es in erster Linie die Elternsind, die für das Wohlergehen ihrer Kinder zu sorgenhaben. Darüber hinaus tragen im Prinzip die Gesellschaftder Erwachsenen insgesamt und jedes ihrer MitgliederVerantwortung für den Schutz der in ihr aufwachsen-den Kinder. Daran u.a. erinnert die Sozialraumorientie-rung in der Jugendhilfe. Im Sinne der wohlverstande-nen Interessen von Kindern und Jugendlichen ist sozi-alraumorientiertes Handeln darum bemüht, die in de-ren Lebenswelt (potentiell) vorhandenen Schutzfakto-ren zu erkennen, wertzuschätzen und zu unterstützen.

Mit der Frage des Verhältnisses zwischen dem profes-sionellen Kinderschutzsystem und den sozialraumge-bundenen Kinderschutzressourcen werden wir unsebenso auseinandersetzen müssen wie mit den Koo-perationsbeziehungen innerhalb des professionellenHandlungssystems. Denn, so lautet die These, nach-haltig wirksam wird das Handeln der Professionellen nursein können, wenn es systematisch diejenigen Erwach-senen unterstützt, die in der Hauptsache Verantwortungtragen für den angemessenen Schutz der ihnen anver-trauten jungen Menschen. Die methodischen Standardsmüssten demnach am Ziel der Unterstützung von schüt-zenden Instanzen (Personen, Institutionen, Faktoren) inden Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen aus-gerichtet sein.

■ AUSBLICKKarl Wahlen