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Psychotherapieforschung: Gegenstand und Methoden Dipl. Psych. Katharina Schierz Professur für Behaviorale Psychotherapie Dresden, 05. Januar 2015 Fakultät Math.Nat., Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie

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Psychotherapieforschung: Gegenstand und Methoden

Dipl. Psych. Katharina SchierzProfessur für Behaviorale Psychotherapie

Dresden, 05. Januar 2015

Fakultät Math.Nat., Fachrichtung Psychologie, Institut für Klinische Psychologie

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Ihre Dozentin für heute

Diplom-Psychologin Katharina SchierzInstitut für Klinische Psychologie und PsychotherapieLehrstuhl für Behaviorale [email protected](0351) 463 36956

Forschungsthemen– Diagnostik Sexueller Beeinträchtigungen– Evaluierung des Strukturierten Interviews für Sexuelle

Funktionsstörungen (SISEX) nach DSM-5

05.01.2015

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Schwerpunkte und Zielefür die heutige Veranstaltung

• Forschungsfeld III: Anwendungsfeld Psychotherapieforschung

• Inhaltliche Schwerpunkte/Lernziele– Entwicklung der Psychotherapieforschung im 20. Jahrhundert.– Ablauf der Überprüfung einer psychotherapeutischen Intervention.– Prinzipien und Methoden der Wirksamkeitsprüfung.

• Am Ende der Veranstaltung sollten Sie– Die Eckpfeiler der historischen Entwicklung der Psychotherapie-

forschung kennen.– Einschätzen können, ob die Wirksamkeit einer Intervention

überzeugend nachgewiesen ist und ggf. Konzept, Methodik und/oder Umsetzung kritisieren können.

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Gliederung

1. Gegenstand der Psychotherapieforschung2. Phasen der Psychotherapieprüfung3. Wirksamkeitsstudien4. Nutzen und Notwendigkeit der Psychotherapieforschung5. Grenzen der Psychotherapieforschung

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GEGENSTAND DER PSYCHOTHERAPIEFORSCHUNG

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Fragen der Psychotherapieforschung

• Wirkt PT?• Warum wirkt PT? Warum wirkt sie manchmal nicht?

• Wie kann man untersuchen, ob PT wirkt?• Wie wirkt sie, wenn sie wirkt?• Warum ist es wichtig zu wissen, wie PT wirkt?

• Wirkt jede PT gleich?• Wenn nein, worin sind Unterschiede begründet?• Wenn ja, warum gibt es verschiedene PT ?

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Untersuchungsgegenstand

Von

„Wirkt die Psychotherapie an sich?“

Bis hin zu

„Was muss speziell bei traumatisierten Patienten hinsichtlich der Methode der Reizkonfrontation beachtet werden?“

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Legitimationsphase:– Ist PT (an sich) wirksam?

• Wettbewerbsphase:– Welche Form der PT ist besser (oder sogar am besten)?

• Verschreibungsphase:– Welche Form der PT ist bei wem (unter welchen Umständen) indiziert?

• Prozessforschungsphase:– Auf welche Weise wirkt PT?

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Klaus Grawe (1943-2005)- Pionier der Psychotherapieforschung -

• Zahlreiche Forschungen über die Wirksamkeit der verschiedenen Psychotherapierichtungen– 1994 „Psychotherapie im Wandel“ Metaanalyse mit 897 Wirksamkeitsstudien

• Versuch, den Schulenstreit zu überwinden– Als Gutachter zu Fragen des deutschen Psychotherapeutengesetzes

Einsatz für ein schulenübergreifendes Modell• Ziel der Entwicklung einer allgemeinen Psychotherapie

– Empirische Überprüfung der Grundlagen psych. Psychotherapie– Extraktion therapieübergreifender Wirkfaktoren als notwendige

Voraussetzungen für das Gelingen von PT: Therapeutische Beziehung, Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Motivationale Klärung und Problembewältigung

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Legitimationsphase Ist PT (an sich) wirksam?– Entwicklung psychotherapeutischer Verfahren anfangs fest in

Therapieschulen verankert.– In 1950er Jahren dienten meist unsystematische Fallstudien als

empirische Basis.– Begründer der Therapieschulen trennten dabei oft nicht zwischen

Feststellung und Interpretation.– Eysenck setzt 1952 Startschuss für moderne empirische

Psychotherapieforschung mit seiner Kritik bisheriger Psychotherapie: „Psychotherapie ist nicht wirksamer als spontane Remission.“

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Wettbewerbsphase Welche Form der PT ist besser?– Bemühungen, psychotherapeutische Interventionen zu legitimieren

Wettbewerb der Therapieschulen beginnt– z.B. „Wirkt Psychoanalyse besser als Verhaltenstherapie?“.– Überblicksarbeiten zu Psychotherapie-Vergleichsstudien (Luborsky et

al., 1975; Smith & Glass, 1977) kommen zum Ergebnis, dass PT wirkt, die einzelnen Psychotherapieformen jedoch im Ausmaß ihrer Wirksamkeit keine bedeutsamen Unterschiede aufweisen

– „Dodo-Bird-Verdict“ gilt bis in die 1990er Jahre.

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Wettbewerbsphase Welche Form der PT ist besser?– Klaus Grawe (1989): „Die Tatsache, dass die bisherige vergleichende

Therapieforschung keine durchgängigen Unterschiede in der Wirkung der verschiedenen Therapiemethoden nachweisen konnte, darf nicht so interpretiert werden, dass es solche Unterschiede tatsächlich nicht gibt.“

– Grawes Kritik:• Therapieeffekte nicht ausreichend breit & differenziert gemessen.• Mangelhafte Auswertungsmethodik.

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Wettbewerbsphase Welche Form der PT ist besser?

• Berner Therapievergleichsstudie (bis dahin umfangreichste Metaanalyse) (Grawe et al., 1990)– Therapieformen unterscheiden sich hins. Wirksamkeit!– Wirkungsvolle Therapiemethoden: Kognitive Verhaltenstherapie,

Gesprächspsychotherapie und Psychoanalytische Therapien.– Therapieerfolg stark abhängig von Problembereich und

Patientenvariablen.– Wege zur Veränderung therapieabhängig sehr verschieden.– Empfehlung für Therapeuten: individuelle Anpassung an

Patienten.Ablehnung des Dodo-Verdikts

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Verschreibungsphase Welche Form der PT ist bei wem (unter welchen Umständen) indiziert?– Differenzierung bei der Entwicklung und Überprüfung neuer

therapeutischer Ansätze spätestens seit 1990er Jahren.– Spezifische Interventionen sollen analog der Verschreibung von

Medikamenten spezifischen Problemen zugeordnet werden.– Zunehmend indikationsbezogene Therapieprogramme im Fokus, die

sich häufig nicht mehr eindeutig Therapieschulen zuordnen lassen.

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Phasen psychologischer Interventionsforschung nach Grawe (1997)

• Prozessforschungsphase Auf welche Weise wirkt PT?– Die Prozessforschung untersucht die Psychotherapie selbst.

• Was geschah eigentlich in der Therapie?• Kann man allgemeine und spezifische Wirkfaktoren bestimmen?• Hier stehen also die Prozesse im Mittelpunkt, die in der

therapeutischen Situation beteiligt sind (z.B. Therapiebeziehung)

– Phase 4 läuft parallel zu allen bereits genannten Phasen.

– Ziele• Erklärung der gefundenen positiven Effekte.• Grundlage für Neu- und Weiterentwicklung von Interventionen.

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Der Kern der Psychotherapieforschung

Die relevante Frage der Psychotherapieforschung ist also nicht: „Ist Psychotherapie wirksam?“

sondern:„Welche Form der Psychotherapie, durchgeführt von welchem

Therapeuten ist bei welchem Patienten mit welcher Störung wie effektiv, und woran zeigt sich das?“

(Kiesler, 1966)

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PHASEN DER PSYCHOTHERAPIEPRÜFUNG

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Phasen der Psychotherapieprüfung(in Analogie zur Pharmaprüfung)

• Phase IKonzeptentwicklung• Phase II Exploration mit Pilot-Studien• Phase III Wirksamkeitsprüfung• Phase IV Anwendung bei Routinebedingungen• (Phase V Patient Focused Therapy)

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Phasen der PsychotherapieprüfungPhase I - Konzeptentwicklung

• Erarbeitung von Therapiekonzeptionen• Beschreibung des Forschungsgegenstands anhand klinischer

Erfahrungen, Plausibilität und hinsichtlich bereits etablierter störungsspezifischer oder allgemeiner Befunde.

• Dazu gehören auch Untersuchungen zur Verträglichkeit und Akzeptanz eines Verfahrens.

• Therapiemethode wird unter Zuhilfenahme theoretischer Annahmen u. Kasuistiken konstruiert.

• Die Intervention muss hinsichtlich expliziter Regeln beschreibbar sein (z.B. via Manual).

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Phasen der PsychotherapieprüfungPhase II - Exploration

• Systematische Fortsetzung der Exploration• z.B. Einzelfall- bzw. Zeitreihenanalysen mit bestimmten

Patienten mit eng definierten Einschlusskriterien.• Methodik ist hier noch nicht streng experimentell kontrolliert,

sondern folgt den im Einzelfall angemessenen Erfordernissen für Plausibilitätsprüfungen und der Exploration von möglichen Risiken und Nebenwirkungen.

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Phasen der PsychotherapieprüfungPhase III - Wirksamkeitsprüfung

• Die mittlerweile gut elaborierte Intervention kommt „auf den Prüfstand“ (erweiterte klinische Prüfung) Efficacy-Studien

• Wirksamkeit muss konfirmativ belegt werden.• Ist für den wissenschaftlichen Stellenwert eines Verfahrens

von besonderer Bedeutung.• Nachdem genügend Wirksamkeitsnachweise vorliegen, wird

ein Verfahren i.d.R. anerkannt.• i.d.R. prospektive, randomisierte, kontrollierte

Interventionsstudien („randomized controlled trials“, RCT) an einer klar definierten Zielgruppe mit hohen methodischen Anforderungen.

• Prinzipiell können auch experimentelle Einzelfallstudien als Wirksamkeitsnachweis dienen.05.01.2015

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Phasen der PsychotherapieprüfungPhase IV - Anwendung bei Routinebedingungen

• Verfahren müssen sich jetzt unter klinischen Alltagsbedingungen bewähren Effectiveness-Studien

• Untersuchungen anhand erheblich vergrößerter Fallzahl unter Praxisbedingungen bei systematischer Lockerung der strengen Kontrollen der efficacy-Studien.

• Ziele– Immer noch: Nachweis von Verbesserungen der Ziel-Symptomatik.– Jetzt auch: Berücksichtigung breiterer, sekundärer Konstrukte, wie

allgemeine Lebensqualität oder Kosten-Nutzen-Aspekte.Erhöhung der externen bzw. ökologischen Validität

(vs. der Erhöhung der internen Validität in Phase III).

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Phasen der PsychotherapieprüfungPhase V - „Patient focused therapy research”

• = Ergänzung der Therapieevaluation• Fortlaufende Dokumentation und Evaluation von Prozessen und

Ergebnissen und Rückmeldung desseneigenständige u. „progressive“ Weiterentwicklung der

angewandten Therapie im Einzelfall.• Ziele:

– Herauszukristallisieren von erfolgreichen und nicht erfolgreichen Therapien hinsichtlich der Patienten- oder Problemmerkmale, die rückgemeldet werden.

– Verbesserung der Qualität der Behandlungen über die Zeit, z.B.• Minimierung von Misserfolgen und Therapieschäden• Systematische Verstärkung positiver Effekte oder• Reduktion von Behandlungsdauern.

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Studienarten der Psychotherapieforschung

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Analyseebene Hauptsächliches Ziel der Untersuchung

MetaanalyseKosten-Nutzen-Analyse

Untersuchung der Wirksamkeit

EffektivitätsstudienVergleichende Studien

Untersuchung der vergleichenden Wirksamkeit

Naturalistische Studien Untersuchung der Wirksamkeit unter Versorgungsbedingungen

Parametrische Studien Untersuchung der differentiellen Indikation

AnaloguntersuchungenKleingruppenstudienEinzelfallstudien

Prozessanalysen (Untersuchung des Mikroprozesses der Veränderung)

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WIRKSAMKEITSSTUDIEN

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Vokabeln zu Wirksamkeit

• Efficacy: Wirksamkeit von Therapieverfahren unter optimalen Bedingungen (kontrollierte Studie)

• Effectiveness: Wirksamkeit von Therapie unter Versorgungsbedingungen (z.B.: ohne Selektion von Patienten)

• Efficiency: Grad an Wirksamkeit in Relation zum Aufwand des Verfahrens

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Quelle: Reinecker (2005)

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Wirksamkeitsstudien- Prinzipien -

• Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleistenVerbindlicher Leitfaden gemeinsamer Standards für die Beschreibung

von Studien („Consolidated standards of Reporting Trials“, CONSORT) mit einer Checkliste von 22 Punkten, über die Studienautoren verbindlich berichten müssen (S. 617 in Wittchen & Hoyer, 2011).

• Prospektiv angelegtes Studienhandbuch– Hier vorab Festlegung aller Fragestellungen, Hypothesen, Design-

aspekte, Messmethoden, Auswertungsstrategien & Erfolgskriterien• Vor Studienbeginn Stellungnahme der Ethikkommission

einholen (und ggf. entsprechende Änderungen vornehmen)• Fortlaufende Überwachung des Studienablaufs und

Zwischenauswertungen

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Wirksamkeitsstudien- Prinzipien -

• Wahl von primären und sekundären Outcome-Variablen– so dass Studienziel theor. & klinisch-praktisch beurteilt werden kann.

• Auswahl des Designs– Parallelgruppendesign, Crossover-Design, faktorielles Design, – Multicenterstudien

• Einschluss von Kontrollgruppe(n):– Placebo vs. keine Behandlung (oft Wartegruppe) vs. unterschiedliche

Behandlungsintensitäten vs. andere aktive Behandlung• Minimierung von systematischen Verzerrungen

– Randomisierung – Verblindung (blind, doppelblind)

• Stichprobengröße, Datenanalyse & Teststärkeproblematik– Effektstärken als „gemeinsame Währung“

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Wirksamkeitsstudien- Prinzipien -

• Vergleichsmöglichkeiten zur Wirksamkeitsprüfung– Nachweis der Überlegenheit („superiority trail“).– Nachweis der Äquivalenz/Nichtunterlegenheit („non-inferiority trail“).– Nachweis einer Dosis-Wirkungs-Beziehung.

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Wirksamkeitsstudien- Anerkennung einer Psychotherapiemethode -

• „Gut etablierte Therapien“ (nach Chambless & Hollon, 1998)– Zumindest 2 gute Studien mit Kontrollgruppen, in denen die

Effektivität demonstriert wurde, oder– Eine Reihe von zumindest 9 Einzelfallstudien.– Dabei müssen die Untersuchungen mit Behandlungsmanualen

durchgeführt worden sein.– Merkmale der Untersuchungsgruppen müssen spezifiziert sein.– Die Effekte müssen von zumindest zwei unabhängigen Untersuchern

bzw. Untersuchgruppen gezeigt worden sein.

Anerkennung einer Psychotherapiemethode

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Quelle: Reinecker (2005)

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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NUTZEN UND NOTWENDIGKEIT DER PSYCHOTHERAPIEFORSCHUNG

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Psychotherapieforschung- Kriterien der Erfolgsmessung -

• Betroffene Personen beurteilen Verfahren hinsichtlich– Wahrscheinlichkeit für positive Veränderung– Breite der Veränderung– Stabilität der Veränderung– Relation von Aufwand und erwartetem Nutzen der Therapie– Subjektive Aspekte der Veränderung

• Gemeinschaft beurteilt Verfahren hinsichtlich– Nutzen (Effekte, die für die Gemeinschaft wichtig sind, z.B.

Arbeitsfähigkeit, Einsparungen im Versorgungssystem)– Kosten (z.B. Dauer der Behandlung, Ausbildung von Therapeuten)– Relation von Kosten und Nutzen

05.01.2015

Quelle: Reinecker (2005)

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Psychotherapieforschung- Nutzen und Notwendigkeit -

• PT-Forschung besitzt große Relevanz für die klinische Praxis, Gesundheitsverwaltung und Gesundheitspolitik.

• PT-Forschung sorgt für ein hohes Qualitätsniveau der täglichen Behandlungspraxis• dient damit als gesundh. Verbraucherschutz des Patienten als Kunden.• erhöht die Berufszufriedenheit der Therapeuten.• fördert bei Therapeuten die Reflexion der eigenen Arbeit und fördert

damit die berufliche Entwicklung.• gewährleistet Kosteneffektivität gegenüber Kostenträgern.• führt zu gesellschaftlichen Einsparungen (z.B. durch weniger

Arztbesuche & Krankheitstage, Arbeitsfähigkeit etc.).

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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GRENZEN DER PSYCHOTHERAPIEFORSCHUNG

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Grenzen der Psychotherapieforschung

• Allegiance– = Bias in Richtung eigener therapeutischer Effekte– Therapieergebnisse korrelieren mit bis zu .85 mit der Präferenz der

Untersucher mit „ihrem“ Verfahren• Kleine Stichproben/hohe Kosten

– Aufwand zur Durchführung von Psychotherapiestunden ist groß, bei beschränkten Ressourcen: zu kleine Stichproben

• Drop-out– Ausfall von Patienten vor regulärem Therapieende oder vor

Katamnese-Untersuchung – Ergebnisse können bedeutsam verzerrt werden

Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden05.01.2015

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Grenzen der Psychotherapieforschung

• Behandlungsintegrität– „Experimentelle vs. Naturalistische Studien“: Sind die beforschten

Interventionen überhaupt via Manual planbar?– Externe bzw. ökologische Validität von Studien unter experimenteller

Kontrolle eingeschränkt• „Malen-nach-Zahlen-Psychotherapie“

– Nur bei einem Teil unselegierter Patienten steht eine bestimmte Störung im Vordergrund.

– Schwierig für seltenere Störungen und komorbide Kombinationen von Störungen mehrfach evaluierte Therapieprogramme zu entwickeln.

– Eine einseitig störungsorientierte Sicht kann eine Berücksichtigung von Ressourcen erschweren.

– Eine zu starke Orientierung an störungsspezifische Vorgehensweisen kann ein Maximieren von Therapieeffekten erschweren.

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Grenzen der Psychotherapieforschung

• Immer mehr Psychotherapeuten arbeiten integrativ– d.h., sie beziehen Konzepte und Interventionen aus anderen als ihrer

angestammten Therapierichtung mit ein (abh. vom Einzelfall).– Diese Art von therapeutischer Arbeit ist jedoch nach verbreiteten

Normen (Forderung nach Manualen) schwer untersuchbar.– Andere Möglichkeiten (z.B. klares Definieren von Prinzipien, genaues

Untersuchen und Beschreiben, was dann tatsächlich in den Therapien abläuft) müssten noch vermehrt genutzt werden.

– Es erfordert aber immer erheblichen Zusatzaufwand, nicht nur die Handlungen und Reaktionen der untersuchten Patienten zu erheben und auszuwerten, sondern auch stets zu beachten und zu supervidieren, was die Therapeuten tun.

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ZUSAMMENFASSUNG

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Zusammenfassung

• Nach Grawe unterscheidet man 4 Phasen der Entwicklung der Psychotherapieforschung.– Wobei die ersten drei Phasen konservativer Natur sind, indem sie der

Legitimation von PT, dem Nachweis der Überlegenheit von Verfahren & der Optimierung von Indikationsentscheidungen dienen.

– Die Prozessforschungsphase progressives Potential besitzt, indem durch das bessere Verständnis der Wirkungsweise von PT Neu- bzw. Weiterentwicklungen von Interventionen stattfinden können.

• Der idealtypische Ablauf der Psychotherapieprüfung erfolgt ebenfalls in vier (+1) Phasen.– Besondere Bedeutung hat dabei die Wirksamkeitsprüfung.– Eine große Herausforderung ist die Balance zwischen interner

(Efficacy-Studien) und externer Validität (Effectiveness-Studien).

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Zusammenfassung

• Die Wirksamkeitsprüfung von Interventionen orientiert sich (idealerweise) an strengen Regeln– An deren Ende die Anerkennung einer Therapiemethode steht.

• Der Nutzen von Psychotherapieforschung sollte auf Ebene des Einzelnen und der Gemeinschaft betrachtet werden.– Wobei im Einzelnen sowohl das Wohl des Patienten (Symptom-

verbesserung bei angemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis) als auch das optimale Arbeiten des Therapeuten gemeint ist.

– Gesamtgesellschaftlich stehen Effizienzaspekte im Vordergrund.• Die Grenzen von Psychotherapieforschung sollten im Blick

behalten und Studien mit Achtsamkeit betrachtet werden– Richtlinien/Leitfäden helfen, die Güte von Studien zu beurteilen.

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Literatur

• Jacobi, F. (2011). Entwicklung und Beurteilung therapeutischer Interventionen. In: H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Hrsg.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (2. Auflage). Berlin: Springer, S. 609-640.

• Zusatzliteratur:– Caspar, F. & Jacobi, F. Psychotherapieforschung (2007). In: W. Hiller, E. Leibing, F.

Leichsenring, S. Sulz (Hrsg.), Lehrbuch der Psychotherapie (Band 1: Wissenschaftliche Grundlagen der Psychotherapie. 4. Auflage). CIP-Medien, S. 395–410.

– Reinecker, H. (2005). Grundlagen der Verhaltenstherapie. Weinheim: Beltz.

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BACK-UP

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Entwicklungsprozess der Psychotherapie als Wechselwirkungsprozess zwischen Therapieentwicklung und

Erfahrungsgewinn (Grawe, 1995)

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Neue Fakten

erfordernschaffen

Neue Erklärungen

Immer wirksamere therapeutische Vorgehensweisen

Immer „wahrere“ und nützlichere Therapie Methoden

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Kriterien für Erfolgsmessungauf individueller Ebene

• Kriterien für den Grad der Veränderung– A1. Veränderungsmessung

• globale retrospektive Schätzung oder spezielle Methoden der Veränderungsmessung

– A2. Beobachtbarer Differenzwert • Differenz zwischen Prä- und Postwert

– A3. Reliable Veränderung und Effektstärke• das Ausmaß der Veränderung kann durch die Berechnung der

Effektstärke berechnet werden

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Kriterien für Erfolgsmessungauf individueller Ebene

• Kriterien für den Grad der Zielerreichung– B1. Zufriedenheit (subjektive Schätzung, 1-Punkt-Messung)

• individuelle Zufriedenheit als globales Urteil zu Therapieende erhoben

– B2. Zielerreichung (empirischer Differenzwert, 2-Punkt-Erhebung)• individuelle Zielerreichung: Vergleich des Postwertes mit Zielwert• Normativer Vergleich: Vergleich mit einer Norm

– B3. Klinische Relevanz (statistische Definition)• Festlegen von Cut- off- Werten

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Psychotherapieforschung: Gegenstand & Methoden

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Wirksamkeitsstudien- Kriterien der Erfolgsmessung -

• Wann kann ein Ergebnis als Erfolg angesehen werden?– der mit dem Messinstrument zu Therapieende erzielte Wert ist Basis

für Erfolgsbeurteilung > Vergleich mit Bezugs- oder Normwert– das Resultat dieses Vergleichs bildet das Erfolgskriterium

• 2 Arten des Vergleichs:1. Vergleich mit Ausgangszustand vor Therapiebeginn

• > Grad der Veränderung (empirischer Wert)2. Vergleich mit dem Zielzustand oder einer Norm

• > Grad der Zielerreichung (Werturteil)

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