65
Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie Quelle: http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/produktion//qualitative/qualitative-titel.html Ernst Halbmayer und Jana Salat Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien Kapitelübersicht 1 Was ist ein Forschungsprojekt? 1.1 Inhaltlich-methodische Voraussetzungen eines Forschungsprojekts 1.2 Literatur 2 Arten des Schlussfolgerns 2.1 Induktives Schlussfolgern 2.2 Deduktives Schlussfolgern 2.3 Abduktives Schlussfolgern 3 Sampling 3.1 Theoretisches bzw. gezieltes Sampling 3.2 Literatur 4 Daten und Artefakte 4.1 Qualitative und quantitative Daten 4.2 Formen qualitativer Datendokumentation und Arten qualitativer Daten 4.2.1 Schreiben 4.3 Selbst erhobene und bereits vorliegende Daten 4.4 Institutionelle Archivierung kultur- u. sozialanthropologischer Artefakte und Daten 4.4.1 Eine Auswahl ethnographischer Museen 4.4.2 Phonogrammarchiv 4.4.3 Institut für Kultur- und Sozialanthropologie 5 Der Prozess der Datenerhebung 5.1 Strategien der Datenerhebung 5.1.1 Formen der Beobachtung 5.1.1.1 Standardisierte Formen der Beobachtung 5.1.1.1.1 Nicht standardisierte Formen der Beobachtung 5.1.1.2 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung 5.1.1.2.1 Beobachtungsrollen 5.1.1.3 Direkte und indirekte Beobachtung 5.1.1.4 Offene und verdeckte Beobachtung 5.1.1.5 Literatur 5.1.2 Formen von Befragungen 5.1.2.1 Unterscheidungskriterien qualitativer Interviews 5.1.2.1.1 Strukturierung 5.1.2.1.2 Einzel- vs. Gruppeninterviews/Diskussionen 5.1.2.1.3 Form und Medium der Befragung 5.1.2.1.4 Stil der Kommunikation 5.1.2.1.5 Frageformen 5.1.2.1.6 Zielsetzung 5.1.2.2 Beispiele für qualitative Interviewverfahren 5.1.2.2.1 Biographische Interviews 5.1.2.2.2 Formen informeller Gespräche 5.1.2.2.2.1 Das rezeptive Interview 5.1.2.2.2.2 Das ero-epische Gespräch 5.1.2.2.3 Formen formeller Interviews 5.1.2.2.3.1 Das ExpertInneninterview 5.1.2.2.3.2 Das problemzentrierte Interview 5.1.2.2.3.3 Das narrative Interview qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html 1 von 65 31.01.2011 16:28

Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie itative-full.html

  • Upload
    dangbao

  • View
    258

  • Download
    10

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie

Quelle: http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/produktion//qualitative/qualitative-titel.htmlErnst Halbmayer und Jana SalatInstitut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien

Kapitelübersicht

1 Was ist ein Forschungsprojekt?1.1 Inhaltlich-methodische Voraussetzungen eines Forschungsprojekts1.2 Literatur2 Arten des Schlussfolgerns2.1 Induktives Schlussfolgern2.2 Deduktives Schlussfolgern2.3 Abduktives Schlussfolgern3 Sampling3.1 Theoretisches bzw. gezieltes Sampling3.2 Literatur4 Daten und Artefakte4.1 Qualitative und quantitative Daten4.2 Formen qualitativer Datendokumentation und Arten qualitativer Daten4.2.1 Schreiben4.3 Selbst erhobene und bereits vorliegende Daten4.4 Institutionelle Archivierung kultur- u. sozialanthropologischer Artefakte und Daten4.4.1 Eine Auswahl ethnographischer Museen4.4.2 Phonogrammarchiv4.4.3 Institut für Kultur- und Sozialanthropologie5 Der Prozess der Datenerhebung5.1 Strategien der Datenerhebung5.1.1 Formen der Beobachtung5.1.1.1 Standardisierte Formen der Beobachtung5.1.1.1.1 Nicht standardisierte Formen der Beobachtung5.1.1.2 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung5.1.1.2.1 Beobachtungsrollen5.1.1.3 Direkte und indirekte Beobachtung5.1.1.4 Offene und verdeckte Beobachtung5.1.1.5 Literatur5.1.2 Formen von Befragungen5.1.2.1 Unterscheidungskriterien qualitativer Interviews5.1.2.1.1 Strukturierung5.1.2.1.2 Einzel- vs. Gruppeninterviews/Diskussionen5.1.2.1.3 Form und Medium der Befragung5.1.2.1.4 Stil der Kommunikation5.1.2.1.5 Frageformen5.1.2.1.6 Zielsetzung5.1.2.2 Beispiele für qualitative Interviewverfahren5.1.2.2.1 Biographische Interviews5.1.2.2.2 Formen informeller Gespräche5.1.2.2.2.1 Das rezeptive Interview5.1.2.2.2.2 Das ero-epische Gespräch5.1.2.2.3 Formen formeller Interviews5.1.2.2.3.1 Das ExpertInneninterview5.1.2.2.3.2 Das problemzentrierte Interview5.1.2.2.3.3 Das narrative Interview

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

1 von 65 31.01.2011 16:28

Page 2: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.1.2.2.4 Das ethnographische Interview5.1.2.3 Formen der Transkription von qualitativen Interviews5.1.2.4 Literatur zum Thema Befragungen5.1.3 Methodentriangulation5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung5.2.1 Forschungsdesign klassischer Ethnographien5.2.1.1 Historischer Partikularismus - Franz Boas5.2.1.1.1 Franz Boas5.2.1.1.2 Theoretische Grundannahmen des historischen Partikularismus5.2.1.1.3 Methoden und Techniken des historischen Partikularismus5.2.1.2 Funktionalismus - Bronislaw Malinowski5.2.1.2.1 Bronislaw Malinowski5.2.1.2.2 Theoretische Grundannahmen des Funktionalismus5.2.1.2.3 Methoden und Techniken des Funktionalismus5.2.1.3 Human Relations Area Files (HRAF) - George P. Murdock5.2.1.3.1 George P. Murdock5.2.1.3.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der HRAF5.2.1.4 Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz5.2.1.4.1 Clifford Geertz5.2.1.4.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie5.2.1.4.2.1 Beispiel für eine dichte Beschreibung5.2.1.5 Anthropology at Home5.2.1.5.1 Gesellschaftspolitische Voraussetzungen von Anthropology at Home5.2.1.5.2 Vor- und Nachteile der Antrhopology at Home5.2.2 Die praktische Umsetzung einer ethnographischen Feldforschung5.2.2.1 Worin besteht die richtige Vorbereitung für eine Feldforschung?5.2.2.1.1 Fachlich-wissenschaftliche Vorbereitung5.2.2.1.1.1 Ausarbeitung der wissenschaftstheoretischen Position5.2.2.1.1.2 Ausarbeitung der anzuwendenden Methode(n) und Techniken5.2.2.1.1.3 Erwerb von Regionalkenntnissen5.2.2.1.1.4 Erwerb von Sachkenntnissen5.2.2.1.1.5 Sprachliche Vorkenntnisse5.2.2.1.1.5.1 Sprachen europäischen Ursprungs5.2.2.1.1.5.2 Lokale Verkehrssprachen und Pidgin5.2.2.1.1.5.3 Lokale bzw. indigene Sprachen5.2.2.1.2 Praktisch-organisatorische Vorbereitung5.2.2.1.2.1 Projektanträge5.2.2.1.2.2 Kontakte zu Institutionen im Forschungsland5.2.2.1.2.3 Empfehlungsschreiben5.2.2.1.2.4 Reisemodalitäten5.2.2.1.2.5 Unterbringungsmöglichkeiten5.2.2.1.2.6 Medizinische Maßnahmen5.2.2.1.2.7 Technische Ausrüstung5.2.2.1.3 Persönliche Vorbereitung: Selbstreflexion der ForscherIn5.2.3 Wie schreibt man Feldnotizen?5.2.3.1 Headnotes und Fieldnotes5.2.3.2 Von der ethnographischen Erfahrung zu den Feldnotizen5.2.3.3 Feldnotizen als Daten5.2.3.4 Fieldnotes als unterschiedliche Textsorten5.2.3.4.1 Stichwortzettel5.2.3.4.1 Empfehlungen für das Festhalten von Stichwörtern5.2.3.4.2 Ausgearbeitete fieldnotes5.2.3.4.2.1 Das Ausarbeiten der Fieldnotes5.2.3.4.2.2 Stile und Strategien des Verfassens von Fieldnotes5.2.3.4.2.2.1 Beschreibungsperspektiven

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

2 von 65 31.01.2011 16:28

Page 3: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.3.4.2.2.2 Echtzeit- und Endpunkt-Beschreibungen5.2.3.4.2.2.3 Die Darstellung von Szenen5.2.3.4.2.2.3.1 Veranschaulichung5.2.3.4.2.2.3.2 Dialog5.2.3.4.2.2.3.3 Charakterisierung5.2.3.4.2.2.4 In-Beziehung-Setzung von Szenen5.2.3.4.2.2.3.2 Bedeutungen der lokalen AkteurInnen5.2.3.4.3 Organisation der fieldnotes5.2.3.4.4 Transkripte5.2.3.4.5 Spezialisierte Datensammlungen5.2.3.4.6 Metadatendokumentation5.2.3.4.7 Schriftliche Interaktionen aus dem Feld5.2.3.4.8 Literatur5.2.3.5 Analyse der Fieldnotes5.2.3.5.1 Das Lesen der Feldnotizen als Daten5.2.3.5.2 Das Stellen von Fragen an die Fieldnotes5.2.3.5.3 Das Kodieren der Feldnotizen5.2.3.5.3.1 Offenes Kodieren5.2.3.5.3.2 Rekodieren: von allegemeinen zu spezifischen Kodes oder umgekehrt?5.2.3.5.3.3 Kodieren vor dem Hintergrund von Konzepten und Fragestellungen5.2.3.5.3.3.1 Axiales Kodieren in der Grounded Theory5.2.3.5.3.3.2 Thematisches Kodieren5.2.3.5.3.4 Kodieren vor dem Hintergrund der Konzeptualisierung einer erthnographischen Erzählung5.2.3.5.4 Das Verfassen von Memos5.2.4 Literatur

1 Was ist ein Forschungsprojekt?

Um die Frage „Was ist ein Forschungsprojekt?“ zu beantworten, ist einerseits zu klären, was ein Projekt ist undandererseits was unter Forschung verstanden werden kann.

Ein Projekt ist eine zeitlich begrenzte und zielgerichtete Unternehmung, die zur Bearbeitung neuerFragestellungen bzw. Probleme eingerichtet wird und mit bestimmten, zumeist begrenzten Ressourcen(Arbeitsmittel, Zeit, Geld, MitarbeiterInnen, Infrastruktur) ausgestattet ist.

Unter Forschung versteht man ein spezifisches, zielgerichtetes, von einer Forschungsfrage geleitetesVerfahren zur Generierung von neuem Wissen und Erkenntnissen. Die inhaltlich- methodischenVoraussetzungen von Forschung bestehen in einer spezifischen Verbindung von

Theorien,Begriffen,methodischen Verfahren undDaten.

Zielgerichtete Forschung wird zumeist projektförmig durchgeführt. Basis sind Projektpläne, in denen nebenden inhaltlich-methodischen auch die organisatorischen Voraussetzungen von Forschungsprojekten festgelegtwerden.

Organisatorisch sind Forschungsprojekte sowohl zeitlich strukturiert, wie sozial differenziert. Die Abfolgeunterschiedlicher Projektphasen führt zu einer zeitlichen Strukturierung, während es auf der sozialen Ebene zueiner Herausbildung unterschiedlicher Rollen, Funktionen und Verantwortlichkeiten innerhalb eines Projekteskommt.

Komplexe, d.h. zeitlich strukturierte und/oder sozial differenzierte Projekte bedürfen einer Koordination bzw.Steuerung, die auch als Projektmanagement bezeichnet wird.

1.1 Inhaltlich-methodische Voraussetzungen eines Forschungsprojekts

Die inhaltlich-methodischen Voraussetzungen von Forschung bestehen in einer Verbindung von

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

3 von 65 31.01.2011 16:28

Page 4: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

TheorienBegriffenmethodischen Verfahren undDaten.

Im Zuge der Entwicklung eines Forschungsprojektes müssen grundlegende Entscheidungen in allen vierBereichen getroffen werden:

Ein Ausgangspunkt kann etwa eine etablierte Theorie und von ihr abgeleitete, d.h. deduzierte Hypothesensein, die im Zuge eines Forschungsprojektes anhand einer zumeist quantitativen Untersuchung einesbestimmten Phänomenbereichs überprüft werden. Aber nicht alle Forschungsprojekte gehen deduktiv[1] vorund zielen auf Hypothesen- bzw. Theorieprüfung ab. Qualitative Forschungsprojekte zielen vielmehr auf dieinduktive[2] Entwicklung von Theorien und Hypothesen aus qualitativen empirischen Daten ab.

Ein anderer Ausgangspunkt eines Forschungsprojektes kann eine Präferenz für eine bestimmte Form vonDaten sein, die im Zuge des Forschungsprojektes produziert werden sollen. Dabei kann es sich z.B. umqualitative ethnographische Beschreibungen spezifischer Lebenszusammenhänge handeln, aber auch umquantitative Daten, die Zusammenhänge in Zahlen wiedergeben.

Je nach Fragestellung und Intention können unterschiedliche methodische Verfahren eingesetzt und auchmiteinander kombiniert werden (Methodentriangulation[3]).

Den Begriffen kommt in diesem Rahmen eine zentrale Stellung als Schnittstelle zwischen der Theorie und denDaten zu. Solche Begriffsdefinitionen bzw. -bestimmungen können auf unterschiedliche Art und Weisevorgenommen werden.

De facto gibt es zahlreiche Möglichkeiten die vier genannten Bereiche überzeugend aufeinander abzustimmen.Dies liegt daran, dass in den Kultur- und Sozialwissenschaften zeitgleich verschiedene

theoretische ZugängeArten der Begriffsbestimmung bzw. OperationalisierungMethoden der Datenerhebung[4] und -analyse sowieFormen von Daten[5] (z.B. visuelle, auditive, deskriptive, numerische)

Verwendung finden.

Weitere Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass Forschung von jedem der vier oben genannten Punkteausgehen kann.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 2.2[2] Siehe Kapitel 2.1[3] Siehe Kapitel 5.1.3[4] Siehe Kapitel 5[5] Siehe Kapitel 4.2

1.2 Literatur

Kuster, Huber, Lippmann, Schmid, Schneider, Witschi, Wüst (2006) Handbuch Projektmanagement. Springer:Berlin.

Patzak, Gerold und Günter Rattay (2004) Projektmanagement. Linde: Wien.

2 Arten des Schlussfolgerns

Idealtypisch können drei Arten des Schlussfolgerns unterschieden werden:

Vom Besonderen auf das Allgemeine[1] (Induktion)Vom Allgemeinen auf das Besondere[2] (Deduktion)Vom Überraschenden auf ein Fallverständnis und eine Regel[3] (Abduktion)

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

4 von 65 31.01.2011 16:28

Page 5: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 2.1[2] Siehe Kapitel 2.2[3] Siehe Kapitel 2.3

2.1 Induktives Schlussfolgern

Als Induktion (vom lat. inductio = hineinführen) bezeichnet man eine Art des Schlussfolgerns, die vomBesonderen auf das Allgemeine schließt. Es werden allgemeine Erkenntnisse bzw. Theorien aus derVerallgemeinerung bzw. Abstraktion von Einzelphänomenen gewonnen.

Beispiel für die Logik induktiven Schlussfolgerns:

Amseln, Rotkehlchen, Adler und Enten können fliegen. Daraus ließe sich der induktive Schluss ziehen, dassVögel fliegen können. Dies wäre eine falsifizierbare These, da bei näherer Überprüfung deutlich wird, dassauch Vögel existieren, die nicht fliegen können (Strauss, Pinguin, etc.).

2.2 Deduktives Schlussfolgern

Die Deduktion (vom lat. deducere = herabführen) ist eine Art der Schlussfolgerung, die vom Allgemeinen aufdas Besondere schließt. Es werden Einzelerkenntnisse bzw. Hypothesen aus allgemeinen Theorien abgeleitet.

Beispiel für die Logik des deduktiven Schlussfolgerns:

Alle Säugetiere sind Warmblüter. Wale sind Säugetiere. Daraus folgt: Wale sind Warmblüter.

2.3 Abduktives Schlussfolgern

Die Abduktion (lat. abductio = Wegführung; engl. abduction) ist eine von Charles S. Peirce formulierteSchlussweise, die neben der Induktion[1] und der Deduktion[2] steht.

Die Abduktion „sucht angesichts überraschender Fakten nach einer sinnstiftenden Regel, [...], welche dasÜberraschende an den Fakten beseitigt“ (Reichertz 2003: 43) und klar macht, was der Fall ist. „Endpunkt dieserSuche ist eine [...] (sprachliche) Hypothese. Ist diese gefunden, beginnt der Überprüfungsprozess“ (ebd.).

Es handelt sich dabei also um ein hypothesen- bzw. regelgenerierendes Verfahren, welches im Gegensatzzur Deduktion nicht von existierenden Theorien ausgeht, sondern bislang noch nicht bekannte Regeln bzw.Hypothesen formuliert, die gleichzeitig ein Fallverständnis ermöglichen. Die Abduktion schließt somit von einerbekannten Größe (überraschende Fakten) auf zwei unbekannte Größen, nämlich auf die Regel und den Fall.

Mittels dieser neuen sinnstiftenden Regel wird eine Weltdeutung geschaffen, die „würde sie sich als richtigerweisen, uns bei Problemen handlungsfähig macht, angesichts derer wir zuvor handlungsunfähig waren“(Reichertz 2003: 57) und die nun überprüft werden muss.

Abduktives Folgern ist formallogisch nicht zu begründen, da sich die neue Regel aus dem überraschendenEreignis nicht logisch stringent ableiten lässt, sondern nur eine theoretisch mögliche Erklärung ist. Ob diesezutreffend ist und inwieweit sie über den konkreten Fall hinaus Gültigkeit beanspruchen kann, mussempirisch überprüft werden.

Abduktive Schlüsse beziehen ihre Gültigkeit also nicht aus der formalen Logik ihres Zustandekommens,sondern aus der empirischen Überprüfung der durch sie generierten Regeln.

Literatur:

Reichertz, Jo. (2003) Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung. Leske & Budrich: Opladen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 2.1[2] Siehe Kapitel 2.2

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

5 von 65 31.01.2011 16:28

Page 6: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

3 Sampling

Unter einem Sample (der Stichprobe) versteht man die Auswahl der zu untersuchenden Fälle aus einerGrundgesamtheit[1]. Wenn z.B. die Studierenden der Universität Wien untersucht werden sollen, so sinddiese die Grundgesamtheit. Eine Untersuchung wird im Normalfall keine Totalerhebung dieserGrundgesamtheit durchführen, sondern eine Auswahl der zu untersuchenden Studierenden treffen.

In der quantitativen Sozialforschung ist die Repräsentativität der Stichprobe ein zentrales Qualitätskriterium.Eine Stichprobe ist dann repräsentativ[2], wenn sie ein verkleinertes unverzerrtes Abbild derGrundgesamtheit darstellt. Dies ist die Voraussetzung, um von einer untersuchten Stichprobe mit einergewissen Irrtumswahrscheinlichkeit[3], auf die Gesamtpopulation (Grundgesamtheit) schließen zu können.

Innerhalb der quantitativen Sozialforschung gibt es unterschiedliche Verfahren, um repräsentativeStichproben zu ziehen[4], z.B.:

Zufallsauswahl (random sampling)geschichtete ZufallsauswahlKlumpenauswahlmehrstufige StichprobenQuotenverfahrensystematische Auswahl

Innerhalb der qualitativen Sozialforschung, die auf die verstehende Analyse vergleichsweise weniger Fälleabzielt, werden hingegen in der Regel keine repräsentativen Stichproben gezogen. Die Auswahl der zuuntersuchenden Einheiten erfolgt vielmehr nach theoretischen Überlegungen (theoretical sampling[5]).

Einführende Literatur:

Atteslander, Peter (2000) Stichproben. In: ders. Methoden der empirischen Sozialforschung. Walter de Gruyter:Berlin, New York. 9.Auflage.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-10.html[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-24.html[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-8.html[4] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-13.html[5] Siehe Kapitel 3.1

3.1 Theoretisches bzw. gezieltes Sampling

Innerhalb der qualitativen Sozialforschung versteht man unter theoretischem Sampling (Glaser und Strauss1998 [1967]) die Auswahl einer Datenquelle, eines Falles, einer Stichprobe bzw. eines Ereignisses vor demHintergrund theoretischer Überlegungen. Die zentrale Fragestellung ist dabei, welche Fallauswahl für dieSpezifizierung von Konzepten im Rahmen einer zu entwickelnden Theorie am gewinnbringendsten ist.

Die Fallauswahl hängt also von den bereits entwickelten Konzepten und Theorien ab und dient derenWeiterentwicklung.

Innerhalb der Grounded Theory steht das theoretische Sampling in engem Zusammenhang mit dem iterativenProzess des Forschungsablaufes. Das Sample ist dabei nicht von vornherein festgelegt, sondern wird vor demHintergrund zu lösender theoretischer Probleme ausgewählt. Diese Vorgangsweise ist Ausdruck eineszirkulären Forschungsablaufs.

Will man die allgemeinen Aspekte eines Konzeptes erschließen, so sollte man möglichst heterogene Fälleberücksichtigen. Will man hingegen überprüfen, ob ein für einen Phänomenbereich (z.B. PrimarärztInnen)entwickeltes Konzept auch für einen anderen (z.B. Stationsschwestern) Gültigkeit besitzt, so wird man bewusstPersonen aus diesem Bereich für die weitere Untersuchung auswählen.

Theoretisches Sampling bezieht sich in der Grounded Theory nicht nur auf die Auswahl der zu untersuchendenPersonen oder Ereignisse (Datenerhebung), sondern auch auf die Auswahl jener Konzepte und Kategorien,

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

6 von 65 31.01.2011 16:28

Page 7: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

die im Zuge der Datenanalyse weiterentwickelt werden.

In der neueren Literatur wird auch von "gezieltem Sampling" gesprochen (Patton 1990).

3.2 Literatur

Atteslander, Peter (2000) Stichproben. In: ders. Methoden der empirischen Sozialforschung. p. 290-302. Walterde Gruyter: Berlin, New York. 9. Auflage.

Glaser, Barney und Anselm Strauss (1998) Theoretisches Sampling. In: dies. Grounded Theory. Strategienqualitativer Forschung. Aldine de Gruyter: New York, S. 53-84.

Patton, M.Q. (1990) Qualitative Sampling and Research Methods. Sage: London. 2. Auflage.

Strauss, Anselm und Juliet Corbin (1996) Theoretisches Sampling. In: dies. Grundlagen QualitativerSozialforschung. Beltz, Psychologie Verlags Union: Weinheim, S.148-165.

4 Daten und Artefakte

Unter Daten versteht man im Allgemeinen „aus Messungen, Beobachtungen und Ähnlichem gewonneneAngaben und Informationen“. Innerhalb der Wissenschaft ist vor allem die Dokumentation der gewonnenenInformationen für weitere Analysen zentral. Daten sind also kein „Ding an sich“, sondern entstehen erst alsdokumentierte (z.B. verschriftlichte) Beobachtungsleistung.

Wissenschaftliche Daten beruhen auf systematischer Datendokumentation!

Wenn solche Beobachtungsleistungen im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte organisiert werden,spricht man von Datenerhebung[1], die auf unterschiedlichen Methoden beruhen kann. Daten können ineinem Forschungsprojekt selbst erhoben werden, eine Untersuchung kann aber auch bereits vorliegendeDaten[2] analysieren. Erfolgt die Datenerhebung mittels standardisierter Instrumente (Waage, Thermometer,Fragebogen etc.), wird sie auch Messung genannt.

Da man mit unterschiedlichen Sinnen und Instrumenten beobachten kann, gibt es auch unterschiedlicheFormen von Daten. Einerseits werden qualitative (nicht standardisierte) Daten von quantitativen(standardisierten, numerischen) unterschieden, andererseits kann man innerhalb der qualitativen Datenverschiedene Formen unterscheiden. Diese Formen beziehen sich einerseits auf die menschlichen Sinne (z.B.visuell, akustisch) und andererseits auf die Art der Datendokumentation[3] (deskriptiv, auditiv, visuell, audio-visuell).

Im Gegensatz zu den anderen Sozialwissenschaften und einigen Geisteswissenschaften erhebt und analysiertdie Kultur- und Sozialanthropologie aber nicht nur qualitative und quantitative Daten, sondern sammelt auchsystematisch materielle Artefakte. So werden einerseits von Menschen produzierte Objekte alsAusdrucksweisen der untersuchten Kulturen gesammelt und in eigenen Museen[4] archiviert, wissenschaftlichbearbeitet und ausgestellt.

Andererseits werden z.B. in der Ethnobotanik und Ethnomedizin systematisch natürliche Materialien undLebewesen (Pflanzen, Tiere, etc.) gesammelt und ihre lokalen Verwendungsweisen dokumentiert. So werdenetwa Herbarien für Pflanzensammlungen angelegt, um diese botanisch bestimmen und aufPflanzeninhaltsstoffe untersuchen zu können.

Diese materiellen Artefakte dienen einerseits als Basis für wissenschaftliche Untersuchungen und derProduktion von Daten, andererseits werden sie wie Daten (Fotos, Filme, Tonaufnahmen, ...) zur Repräsentationsoziokultureller Lebensformen eingesetzt.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5[2] Siehe Kapitel 4.3[3] Siehe Kapitel 4.2[4] Siehe Kapitel 4.4

4.1 Qualitative und quantitative Daten

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

7 von 65 31.01.2011 16:28

Page 8: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

In den Sozialwissenschaften wird im Normalfall zwischen qualitativen und quantitativen Datenunterschieden. Eine Art der Unterscheidung stellt darauf ab, ob es sich um numerische, das heißt in Zahlentransformierte quantitative Daten handelt oder um nicht-numerische Daten in z.B. verschriftlichter oder audio-visueller Form. Die andere Unterscheidung, die zumeist aus der Perspektive der quantitativen Sozialforschunggetroffen wird, macht die Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen Daten nicht primär an dernumerischen Ausprägung, sondern am Skalenniveau[1] der Daten fest. Nominalskalierte[2] Daten werdenaus einer solchen Position manchmal als qualitative Daten bezeichnet, auch wenn ihre Ausprägungen inZahlenwerten zum Ausdruck kommen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-49.html[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-51.html

4.2 Formen qualitativer Datendokumentation und Arten qualitativer Daten

Im Rahmen der qualitativen Datenerhebung werden mittels bestimmter Verfahren, wie (teilnehmender)Beobachtung[1], Befragung[2], Feldforschung[3], Experimente etc. Wahrnehmungen, Aussagen undErfahrungen zu Daten transformiert. Dabei kann es sich um die eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungenhandeln, die in Form von Feldnotizen[4] verschriftlicht werden, oder aber um die Wahrnehmungen, Aussagenund Erfahrungen anderer, welche beobachtet werden oder in Befragungen zum Ausdruck kommen.Zentral ist, dass es im Zuge dieses Prozesses zu einer mehrfachen Selektion kommt: Erstens haben wir esnotgedrungen immer mit selektiven Wahrnehmungen komplexer Situationen zu tun, und zweitens kommt eswährend der Transformation solcher Wahrnehmungen und Erfahrungen in Aussagen und Daten zu einerweiteren Auswahl. Wenn der/die ForscherIn die Aussagen dritter dokumentiert und verschriftlicht, kommt es zuweiteren Selektionen. Die dokumentierten Daten zeigen deshalb immer nur einen von dem/der ForscherIn undBeforschten gestalteten Ausschnitt der realen Feldsituation in Form von verschriftlichten Daten, Bildern, Filmen,Fotos, und Tonaufnahmen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.1[2] Siehe Kapitel 5.1.2[3] Siehe Kapitel 5.2[4] Siehe Kapitel 5.2.3

4.2.1 Schreiben

Eine zentrale Strategie, Wahrnehmungen, Aussagen und Erfahrungen in Daten zu transformieren ist,Verschriftlichungen in Form von Transkripten[1], Protokollen[2] und Feldnotizen[3] anzulegen. VonInterviews, die mittels audio-visueller Methoden aufgenommen wurden, fertigt man im NormalfallTranskriptionen an, während von Gesprächen und Interviews, die nicht aufgezeichnet wurden, nachträglichInterview- bzw. Gesprächsprotokolle angefertigt werden. Im Rahmen einer Feldforschung sind diese Teil derumfassenderen Feldnotizen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.4[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/schreiben/schreiben-83.html[3] Siehe Kapitel 5.2.3

4.3 Selbst erhobene und bereits vorliegende Daten

Neben den mittels unterschiedlicher Datenerhebungsverfahren im Laufe eines Forschungsprozessesselbsterhobenen Daten können auch bereits vorliegende oder von anderen erhobene Daten im Rahmeneines Forschungsprojektes einer Analyse unterzogen werden. Zu solchen nicht selbst erhobenen Daten, diemittels eigener analytischer Verfahren untersucht werden können, gehören z.B.:

Dokumente,Akten,Artefakte,Tagebücher,Teilbereiche unterschiedlicher Medien, wie Zeitungen, Fernsehen, Filme, aber auch das Internetaber auch vorliegende Daten aus anderen wissenschaftlichen Untersuchungen, die einer Reanalyse

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

8 von 65 31.01.2011 16:28

Page 9: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

unterzogen werden können.

4.4 Institutionelle Archivierung kultur- u. sozialanthropologischer Artefakte und Daten

Die institutionelle Archivierung kultur- und sozialanthropologischer Artefakte und relevanter Daten findet aufunterschiedlichen Ebenen statt:

in ethnologischen bzw. völkerkundlichen Museen[1]in audio-visuellen Archiven[2]in den Sammlungen ethnologischer und kultur- und sozialanthropologischer Institute[3]in spezialisierten Archiven für anthropologische Feldnotizen und Manuskripte[4]sowie zum Teil in naturhistorischen Museen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 4.4.1[2] Siehe Kapitel 4.4.2[3] Siehe Kapitel 4.4.3[4] http://www.nmnh.si.edu/naa/

4.4.1 Eine Auswahl ethnographischer Museen

EUROPA

Österreich:

Wien:

Museum für Völkerkunde[1]Volkskundemuseum[2]

Schwaz/Tirol:

Haus der Völker[3]

Deutschland:

Berlin:

Ethnologisches Museum[4]Museum europäischer Kulturen[5]

Dresden:

Museum für Völkerkunde[6]

Frankfurt/Main:

Museum der Weltkulturen[7]

Hamburg:

Museum für Völkerkunde[8]

Heidelberg:

Völkerkundemuseum[9]

Köln:

Rautenstrauch-Joest-Museum[10]

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

9 von 65 31.01.2011 16:28

Page 10: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Leipzig:

Museum für Völkerkunde[11]

München:

Staatliches Museum für Völkerkunde[12]

Stuttgart:

Linden-Museum[13], Staatliches Museum für Völkerkunde

Wuppertal:

Archiv- und Museumsstifung der VEM[14]

Frankreich:

Paris:

Musée du quai Branly[15]Musée national des Arts d’Afrique et d’Océanie[16]Das Musée des arts et traditions populaires (MNATP) in Paris, ein Volkskunde-Museum (französischeVolkskultur), wurde 2005 geschlossen. Die Exponate wurden ins neue Musée des Civilisations de l'Europeet de la Méditerranée (MuCEM) in Marseille überführt.

Bordeuax:

Musée d’ethnographie[17]

Marseille:

Musée d’Arts Africains, Océaniens et Amérindiens[18]Musée des Civilisations de l'Europe et de la Méditerranée (MuCEM)[19]

Schweiz:

Basel:

Museum der Kulturen[20]

Burgdorf:

Museum für Völkerkunde[21]

Genf:

Musée d’ethnographie de Genève[22]

Neuchâtel:

Musée d’ethnographie de Neuchâtel[23]

Zürich:

Völkerkundemuseum[24] der Universität Zürich

England:

London:

The British Museum[25]

Camebridge:

Peabody Museum of Archaeology and Ethnology[26]

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

10 von 65 31.01.2011 16:28

Page 11: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Liverpool:

World Museum[27]

Portugal:

Lissabon:

National Ethnology Museum[28]

Niederlande:

Leiden:

Rijksmuseum voor Volkenkunde[29]

Rotterdam:

Wereldmuseum - Völkerkundemuseum[30]

Kroatien:

Zagreb:

Ethnographic Museum[31]

NORDAMERIKA (Links[32])

USA:

Los Angeles:

UCLA Fowler Museum of Cultural History[33]

Washington:

Museen derSmithsonian Institution[34], insbesondere das Museum of African Art[35]

Chicago:

The Field Museum[36]

LATEINAMERIKA

Mexiko:

Mexiko City:

Museo Nacional de Antropología[37]

Kolumbien:

Bogotá:

Museo del Oro[38]

ASIEN

Japan:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

11 von 65 31.01.2011 16:28

Page 12: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Osaka:

National Museum of Ethnology[39]

Vietnam:

Hanoi:

Vietnam Museum of Ethnology[40]

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.khm.at/de/museum-fuer-voelkerkunde[2] http://www.volkskundemuseum.at/[3] http://www.hausdervoelker.com[4] http://www.smb.spk-berlin.de/smb/sammlungen/details.php?lang=de&objID=56&n=1&r=4[5] http://www.smb.spk-berlin.de/smb/sammlungen/details.php?objectId=10[6] http://www.voelkerkunde-dresden.de/[7] http://www.mdw-frankfurt.de/Deutsch/[8] http://www.voelkerkundemuseum.com/index.php?id=41[9] http://www.voelkerkundemuseum-vpst.de/[10] http://www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/[11] http://www.mvl-grassimuseum.de/[12] http://www.voelkerkundemuseum-muenchen.de/inhalt/html/home.html[13] http://www.lindenmuseum.de/html/deutsch/home/home.php[14] http://www.ams-vemission.org//[15] http://www.quaibranly.fr/[16] http://www.museums-of-paris.com/musee_fr.php?code=274[17] http://www.meb.u-bordeaux2.fr/[18] http://www.museoartpremier.com/Marseille-MAAOA.html[19] http://www.musee-europemediterranee.org/fr[20] http://www.mkb.ch/de/home.html[21] http://www.kulturschloss.ch/view.php?n=3&p=5[22] http://www.ville-ge.ch/meg/index.php[23] http://www.men.ch[24] http://www.musethno.uzh.ch/de/museum/das_museum.html[25] http://www.britishmuseum.org/default.aspx[26] http://www.peabody.harvard.edu/[27] http://www.liverpoolmuseums.org.uk/wml/[28] http://www.mnetnologia-ipmuseus.pt/[29] http://www.rmv.nl/[30] http://www.wereldmuseum.nl/[31] http://www.mdc.hr/etno/eng/index.html[32] http://www.cyberpursuits.com/anthro/lib-anth.asp[33] http://www.fowler.ucla.edu/incEngine/?content=main[34] http://www.si.edu/Museums/[35] http://www.nmafa.si.edu/index2.html[36] http://www.fieldmuseum.org/research_collections/anthropology/default.htm[37] http://www.mna.inah.gob.mx/[38] http://www.banrep.org/museo/esp/home.htm[39] http://www.minpaku.ac.jp/english/[40] http://www.vme.org.vn/aboutus_history.asp

4.4.2 Phonogrammarchiv

Eine wichtige Institution im Hinblick auf die Archivierung akustischer Daten ist das Phonogrammarchiv[1] derösterreichischen Akademie der Wissenschaften, welches auch eine technische Beratung sowie dieUnterstützung von Forschungsvorhaben bietet.

Weitere Kontaktstellen im deutschsprachigen Raum sind:

Das Berliner Lautarchiv[2]

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

12 von 65 31.01.2011 16:28

Page 13: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Das Phonogrammarchiv der Universität Zürich[3]

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.pha.oeaw.ac.at/[2] http://publicus.culture.hu-berlin.de/lautarchiv/[3] http://www.phonogrammarchiv.uzh.ch/index.html

4.4.3 Institut für Kultur- und Sozialanthropologie

Auch das Wiener Institut für Kultur- und Sozialanthropologie[1] besitzt eine Sammlung ausgewählterethnographischer Objekte, von denen ein Teil in einer kleinen Schausammlung im Sitzungszimmer des Institutsausgestellt ist.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.univie.ac.at/ksa/

5 Der Prozess der Datenerhebung

Der Prozess der Datenerhebung kann sozialwissenschaftliche Verfahren, wie unterschiedliche Formen derBeobachtung[1], der Befragung[2], von Experimenten, aber auch nicht reaktive Verfahren umfassen.

Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie ist die ethnographische Feldforschung[3] das methodischeKernstück der Datenerhebungsverfahren. Innerhalb der ethnographischen Feldforschung kommen im Sinneeiner impliziten, flexiblen und am Feld orientierten Methodentriangualtion[4] unterschiedlicheErhebungsstrategien zum Einsatz, welche die teilnehmende Beobachtung, unterschiedliche Formen vonBefragung, aber auch die Analyse und Dokumentation von schriftlichen Dokumenten und Artefakten umfasst.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.1[2] Siehe Kapitel 5.1.2[3] Siehe Kapitel 5.2[4] Siehe Kapitel 5.1.3

5.1 Strategien der Datenerhebung

Die Strategien der Datenerhebung in der qualitativen Sozialforschung beruhen im Normalfall auf spezifischenund gezielten Anwendungen von Verfahren, die wir tagtäglich einsetzen, um uns in unserer sozialen Umweltzu orientieren und zurechtzufinden sowie Informationen über sie in Erfahrung zu bringen. Solche Strategiensind zum Beispiel Beobachten, Befragen, Diskutieren, gezieltes Lesen und Experimentieren.

Im Gegensatz zum Alltag werden in der empirischen Sozialforschung solche Verfahren einerseits bewusst undgezielt eingesetzt, andererseits wurden innerhalb der Bereiche von Beobachtung, Befragung,Gruppendiskussion[1], Experiment und Textanalyse unterschiedliche methodische Strategien entwickelt undnormiert.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.1.2

5.1.1 Formen der Beobachtung

Die Beobachtung ist ein Akt der Kenntnisnahme eines Phänomens und des Sicherns von Eindrücken undKenntnissen für wissenschaftliche oder andere Zwecke. Diese Kenntnisnahme kann auf Basis allermenschlichen Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken) erfolgen, aber auch mittels technischerHilfsmittel wie Photographie, Audio- und Videoaufzeichnungen.

Es können unterschiedliche Formen der Beobachtung unterschieden werden:

standardisierte vs. nicht standardisierte Beobachtungoffene vs. verdeckte Beobachtungteilnehmende vs. nicht teilnehmende Beobachtung

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

13 von 65 31.01.2011 16:28

Page 14: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

direkte vs. indirekte Beobachtung

5.1.1.1 Standardisierte Formen der Beobachtung

Wie auch bei anderen Datenerhebungsverfahren (z.B. Befragung[1]) kann Beobachtung sowohl standardisiert,wie nicht standardisiert durchgeführt werden.

Bei einer standardisierten Beobachtung werden im Vorfeld der Beobachtung die relevanten Indikatoren undKriterien festgelegt und diese in Form von Beobachtungsbögen (z.B. Beobachtungsbogen zur Erstellungeines Entwicklungsprofils von Kindern[2]), die bei der Datenerhebung zum Einsatz kommen, verschriftlicht.Standardisierte Beobachtung kommt vor allem im Rahmen der quantitativen Forschung zum Einsatz.

Innerhalb der ethnographischen Methoden kommen hingegen zumeist nicht standardisierte Formen derBeobachtung zum Einsatz.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2[2] Siehe Kapitel

5.1.1.1.1 Nicht standardisierte Formen der Beobachtung

Nicht standardisierte Formen der Beobachtung finden im natürlichen Kontext der alltagsweltlichen Ereignisseohne Einschränkung durch vorgefertigte Kategorien, Indikatoren oder spezifisch inszenierteBeobachtungsarrangements wie bei standardisierter Beobachtung, Experimenten oder Labor-Studien statt.

Im Rahmen der ethnographischen Feldforschung[1] werden nicht standardisierte Formen der Beobachtungdazu eingesetzt, um die lebensweltlichen Konzepte, Erfahrungen und Strategien von AkteurInnen im Feldkennen und nachvollziehen zu lernen und deskriptiv dokumentieren[2] zu können.

Obwohl diese Form der Beobachtung offen und nicht standardisiert ist, so ändert sich im Laufe derFeldforschung das Ausmaß der Fokussierung der Beobachtung.

So unterscheiden etwa Adler und Adler (1998: 87)

Anfangsbeobachtungenfokussierte Beobachtungenund selektive Beobachtungen.

Die Anfangsbeobachtung ist primär deskriptiv, unfokussiert und generell orientiert. Sie orientiert sich anallgemeinen Fragestellungen und der/die ForscherIn versucht sich in dieser Phase eine ersteGrundorientierung im Feld zu verschaffen.

Wenn man mit dem Feld vertrauter ist und zentrale soziale Gruppen und/oder Personen identifiziert hat, gehtman im Normalfall zu einer fokussierten Beobachtung über. Das heißt, um bestimmte Phänomene besser zuverstehen richtet man die Aufmerksamkeit auf einen begrenzteren Ausschnitt des Feldes um ein tieferesVerständnis von diesem zu erlangen. Im Bezug auf eine bestimmte Gruppe von Personen kann dies bedeuten,dass man im Detail verstehen und beschreiben will, wie sie sich verhalten, Räumlichkeiten nützen, Gefühleausdrücken, welche Strukturen sie im Umgang miteinander ausbilden, wie sie die Welt wahrnehmen und ihrgegenüber handeln etc.

Auf Basis solcher Beobachtungen werden sich Grundannahmen des/der ForscherIn verändern, er/sie wirdneue Hypothesen für das Verständnis des Feldes generieren, welche schließlich in selektivenBeobachtungen genauer überprüft und verfeinert werden. Die Selektivität dieser Beobachtung besteht also inihrem Bezug auf expliziten Annahmen und Hypothesen[3] und nicht unbedingt in einer noch engerenFokussierung auf begrenzte Teilausschnitte des Feldes.

In dieser Phase kann es vielmehr auch darum gehen, Annahmen über Beziehungen zwischen einzelnenTeilbereichen des Feldes ethnographisch zu überprüfen und dokumentieren.

Verweise in diesem Kapitel:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

14 von 65 31.01.2011 16:28

Page 15: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

[1] Siehe Kapitel 5.2[2] Siehe Kapitel 5.2.3[3] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/ksamethoden/ksamethoden-49.html

5.1.1.2 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung

Die Unterscheidung zwischen teilnehmender und nicht teilnehmender Beobachtung bezieht sich auf die Rolledes/der ForscherIn im Feld und das Ausmaß seiner/ihrer Involviertheit in die dort stattfindenden Aktivitäten.Diese Unterscheidung ist nicht als dichotome Differenz zu verstehen, vielmehr handelt es sich um einKontinuum, dessen Endpunkte einerseits die reine Beobachtung und andererseits die völlige Teilnahmedarstellen.

Als ForscherIn kann man also unterschiedliche Beobachtungsrollen einnehmen und diese im Laufe derFeldforschung auch verändern. Üblicherweise wechseln sich im Verlauf einer Feldforschung Phasen derintensiven Teilnahme mit solchen der distanzierteren Beobachtung der Vorkommnisse im Feld ab.

5.1.1.2.1 Beobachtungsrollen

Üblicherweise nimmt man im Laufe einer Feldforschung zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlicheRollen ein:

völlige Teilnahmeteilnehmende Beobachtungbeobachtende Teilnahmenicht teilnehmende Beobachtung

Gerade aus diesem Rollenwechsel zwischen distanzierter Betrachtung und Reflexion und dem Aufgehen imFeld als lokale/r AkteurIn (going native) entsteht ein umfassendes und vielschichtiges Bild des untersuchtenFeldes.

Aus der Sicht ethnographischer Feldforschung sind Beobachtungen, die ausschließlich auf nichtteilnehmender Beobachtung oder auf völliger Teilnahme beruhen, problematisch.

Ausschließlich nicht teilnehmende Beobachtung bedeutet keinerlei direkten Kontakt, emotionale Beziehungenund persönliche Auseinandersetzungen mit den Personen im Feld einzugehen. Dies hat im Normalfall einFesthalten an eigenen Beobachtungskategorien zur Folge, wobei Chancen für deren interaktiveÜberprüfung und Revidierung in direkter Auseinandersetzung mit den Personen im Feld ungenutzt bleiben.

Im Gegensatz dazu birgt die völlige Teilnahme ohne Wechsel in andere Rollen die Gefahr in sich, dass eszwar zu intensivem direktem Kontakt, emotionalen Beziehungen und persönlichen Auseinadersetzungenkommt, diese aber über die Ebene oft nicht weiter reflektierter, persönlicher Erfahrungen nicht hinaus gehen.Eine dauerhafte völlige Teilnahme ohne systematische (Selbst-)Beobachtung schließt auch aus, dass es zueiner Transformation von gemachten Erfahrungen in analysierbare Daten kommt. Damit wäre eine zentraleGrundlage der ethnographischen Feldforschung als Datenerhebungsstrategie nicht gewährleistet.

5.1.1.3 Direkte und indirekte Beobachtung

Während sich die Unterscheidung von teilnehmender und nicht teilnehmender Beobachtung[1] auf dasAusmaß der Involviertheit des/der ForscherIn im Feld bezieht, geht es bei der Unterscheidung zwischen direkterund indirekter Beobachtung um die Frage, ob der/die ForscherIn während der Beobachtung auch für dieBeobachteten wahrnehmbar und präsent ist. Bei indirekter Beobachtung ist eine solche wahrnehmbarePräsenz nicht gegeben. Dies ist z.B. in Laborversuchen der Fall oder aber bei Beobachtungen via Audio- bzw.Videoübertragungen bzw. von - Aufzeichnungen. Im Normalfall ist eine indirekte also eine nicht teilnehmendeBeobachtung.

Im Rahmen ethnographischer Feldforschung haben wir es im Normalfall mit direkten Beobachtungen zu tun.

Unter Bedingungen neuer technischer Möglichkeiten und Kommunikationsmedien besteht die Möglichkeit, dasssich dieses Verhältnis im Rahmen der Cyber- und Media Anthropology auch anders gestaltet.

Verweise in diesem Kapitel:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

15 von 65 31.01.2011 16:28

Page 16: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

[1] Siehe Kapitel 5.1.1.2

5.1.1.4 Offene und verdeckte Beobachtung

Die Unterscheidung zwischen offener und verdeckter Beobachtung bezieht sich auf die Offenlegung der Rolledes/der ForscherIn. Bei verdeckter Beobachtung sind die Beobachteten nicht über die Forschungstätigkeitaufgeklärt. In wieweit verdeckte Beobachtung legitim ist, ist eine forschungsethische Frage und hängt vomUntersuchungsgegenstand ab. Wenn man sich z.B. der ethnographischen Erforschung öffentlicher Plätzewidmet, wird und kann die Beobachtung nicht durchgehend offen erfolgen. Als sensible/r ForscherIn sollte mansich aber bewusst sein, dass die Grenze zwischen öffentlich und privat kulturell unterschiedlich gezogen wirdund innerhalb öffentlicher Räume auch private bzw. intime "Bereichsblasen" (Lofland 1994) geschaffen werden.

Jenseits der Unterscheidung von offener und verdeckter Beobachtung stellt sich insbesondere im Rahmen derethnographischen Feldforschung die Frage der Informationspolitik gegenüber den Beforschten, derenZustimmung und Möglichkeiten zur Mitbestimmung, das heißt zur Partizipation und aktiven Mitgestaltung desForschungsprozesses.

5.1.1.5 Literatur

Lofland, L. (1994) Observations and observers conflict: Field research in the public realm. In S. Cahill & l.Lofland (Hg.), The community of the streets. Greenwich, CT: JAI.

Adler, Patricia A. und Peter Adler (1998) Observational Techniques. In: Denzin, Norman K. & Yvonna S. Lincoln(Hg.): Handbook of Qualitative Research. Sage: London, S. 377-392.

5.1.2 Formen von Befragungen

Grundlage einer Befragung ist mittels sprachlicher Interventionen (mündlich bzw. schriftlich) Reaktionen beiden Interviewten auszulösen, mit dem Ziel, bestimmte inhaltlich thematische Angaben und Informationenzu gewinnen.

In der sozialwissenschaftlichen Methodenliteratur wird eine enorme Vielfalt unterschiedlicherBefragungstechniken bzw. Interviewarten[1] unterschieden. Zentrale Dimensionen, die diesen verschiedenenBefragungsarten zu Grunde liegen, sind:

Art und Ausmaß der Standardisierung[2]Stil der Kommunikation [3]Einzel- vs. Gruppeninterview[4]Form und Medium[5] der KommunikationZielsetzung[6] des Interviews

Die meisten der in der Literatur unterschiedenen Interviewarten beziehen sich zumindest auf eine dergenannten Dimensionen. So verweisen Begriffe wie offenes, teilstandardisiertes oder standardisiertesInterview auf die erste der oben genannten Dimensionen. Die Unterscheidung von harten, neutralen undweichen Interviews bezieht sich auf den Stil der Kommunikation, während sich z.B. mündliche, schriftliche,postalische, telefonische und face-to-face Interviews auf die Form und das verwendete Medium derKommunikation beziehen. Die Zielsetzungen von Befragungen können sich auf die quantitative Feststellungempirischer Varianz oder das verstehende Nachvollziehen lebensweltlicher Zusammenhänge beziehen.Etliche Interviewarten definieren sich nicht nur in Bezug auf eine dieser Dimensionen, sondern kombinierenspezifische Ausprägungen dieser Dimensionen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2[2] Siehe Kapitel 5.1.2.1.1[3] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4[4] Siehe Kapitel 5.1.2.1.2[5] Siehe Kapitel 5.1.2.1.3[6] Siehe Kapitel 5.1.2.1.6

5.1.2.1 Unterscheidungskriterien qualitativer Interviews

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

16 von 65 31.01.2011 16:28

Page 17: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Qualitative Interviews können nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden. Dazu zähleninsbesondere:

das Ausmaß der Standardisierung (Strukturierung),die Frage ob eine oder mehrere Personen gleichzeitig interviewt werden (Einzel- vs. Gruppeninterview),ob die Befragung mündlich und face-to-face oder technisch vermittelt und schriftlich durchgeführtwird (Form und Medium der Kommunikation),Stil der Kommunikation,die Frageform unddie Zielsetzung des Interviews.

5.1.2.1.1 Strukturierung

Befragungen können in unterschiedlichem Ausmaß strukturiert sein. So kann man aus der Sicht des/derInterviewerIn

informelle Gesprächenichtstrukturierteteilsturkturierteund vollstrukturierte Interviews unterscheiden.

Je weniger eine Befragung von dem/der InterviewerIn vorstrukturiert ist, desto mehrStrukturierungsmöglichkeiten werden im Zuge der Befragung dem/der Interviewten eingeräumt.

An einem Ende des Kontinuums befinden sich vollstrukturierte schriftliche Fragebögen mit geschlossenenFragen, das heißt vorgegebenen Antwortkategorien. Der Freiheit des/der Interviewten eigene Ideen, Themenoder Ansichten einzubringen und über diese in eigenen Kategorien zu berichten wird hier kein Platzeingeräumt. Diese Art der vollstandardisierten Befragung kommt in groß angelegten Untersuchungen imRahmen der quantitativen Sozialforschung zum Einsatz.

Am anderen Ende des Kontinuums befinden sich informelle Interviews bzw. Gespräche[1], die sich völligunstrukturiert und zufällig in unterschiedlichen sozialen Feldern ergeben. Dafür werden in der Literaturunterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Bernard (2002: 204) spricht vom informellen Interviewen, Lamnek(2005) vom rezeptiven Interview[2] und Girtler (2001) vom ero-epischen Gespräch[3]. Da diese Gespräche inkeinem speziell vereinbarten Rahmen (Zeitpunkt, Ort des Interviews) stattfinden und dieGesprächspartnerInnen die Situation nicht immer als Forschungssituation wahrnehmen, handelt es sich umungeplant stattfindende Gespräche im Zuge der ethnographischen Feldforschung. Eine Strategie, informellefreundschaftliche Gespräche in formelle Interviews zu transformieren, stellt das ethnographische Interview[4]nach Spradley (1979) dar.

Im Gegensatz zu diesen ungeplanten Befragungen, empfiehlt es sich, bei geplanten und vereinbartenBefragungen von Interviews zu sprechen. Diese können in unterschiedlichem Ausmaß und nachunterschiedlichen Kriterien strukturiert sein. Das betrifft das Ausmaß der Fokussierung auf einen bestimmtenThemenbereich, die Anzahl im Vorfeld explizierter Fragen, die Abfolge dieser Fragen und die Offenheit bzw.Geschlossenheit der Antwortmöglichkeiten. Bei unstrukturierten offenen und/oder narrativen Interviews[5]beschränkt sich die Standardisierung auf die Festlegung eines Themas und die Formulierung einesEingangsstatements, welches den/die Interviewte/n auffordert zu erzählen. Im weiteren Interviewverlaufwerden von dem/der InterviewerIn Interventionen gesetzt, die den Fortgang des Erzählflusses unterstützen, zuweiteren Spezifizierungen auffordern, etc. Es ist aber der/die Interviewte, welcheR die Strukturierung derErzählung vornimmt.

Bei teilstrukturierten Interviews bedient man sich eines Interviewleitfadens, der die Fragen, nicht aber dieAntwortmöglichkeiten vorgibt. Auch beim Einsatz eines Interviewleitfadens kann in unterschiedlichem Ausmaßstrukturiert bzw. unstrukturiert erfolgen. In seiner unstrukturiertesten Anwendungsweise stellt der Leitfaden nureinen Pool von Fragen zur Verfügung, die nach Möglichkeit gestellt werden sollen. In einer strukturierterenForm müssen zumindest alle Fragen des Leitfadens gestellt werden und in der strukturiertesten Form müssennicht nur alle Fragen des Leitfadens gestellt werden, sondern auch eine vom Leitfaden vorgegebene Abfolgeder Fragen muss eingehalten werden.

In der qualitativen Sozialforschung kommen Fragen mit bereits im Vorfeld definierten Antwortkategorien kaumzum Einsatz.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

17 von 65 31.01.2011 16:28

Page 18: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2[2] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2.1[3] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2.2[4] Siehe Kapitel 5.1.2.2.4[5] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.3

5.1.2.1.2 Einzel- vs. Gruppeninterviews/Diskussionen

Mittels qualitativer Befragungen können sowohl Einzelpersonen wie auch Gruppen untersucht werden. InFeldforschungssituationen ist diese Trennung nicht immer leicht herzustellen. Wenn man ganz gezieltEinzelinterviews führen will, sollte man gewährleisten, dass diese außerhalb des üblichen sozialenUmfeldes (Familie, Freunde, etc.) stattfinden. Gründe, die für ein solches Vorgehen sprechen, können sein:

dass man die persönliche Meinung eines/r Befragten jenseits eines sozialen Gruppendrucks erkundenwill.Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn man bestimmte Personengruppen (Frauen, Jugendliche,Kinder,...) befragen will, denen auf Grund existierender soziokultureller Hierarchien die Kompetenzabgesprochen wird, zu einem bestimmten Thema ihre Meinung zu äußern.

Gegen eine streng individualisierte Befragung spricht jedoch, dass der natürliche lebensweltliche sozialeKontext, der selbst eine reichhaltige Informationsquelle darstellt, verloren geht. Bei Gruppenbefragungenwerden immer auch die soziale Dynamik und die sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe unabhängigvom spezifischen Thema der Befragung sichtbar. Es ist auch zu beachten, dass sich Meinungen, Einstellungenund Orientierungen oft erst situativ innerhalb des von dem/der ForscherIn initiiertenGruppendiskussionskontextes herausbilden. Die Kultur- und Sozialanthropologie versucht Gruppeninterviewsund Gruppendiskussionen zumeist innerhalb natürlich vorkommender sozialer Gebilde (Vereine,Kooperativen, Familien, Freundeskreisen, etc.) durchzuführen und damit die kollektiv verankertenOrientierungen dieser Gruppe zu ergründen. Im Gegensatz dazu stehen Verfahren, die solche Gruppen nachbestimmten vorher festgelegten Kriterien zusammensetzen, wie dies etwa bei Fokusgruppen[1] der Fall ist.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel

5.1.2.1.3 Form und Medium der Befragung

Die Form der Befragung kann schriftlich oder mündlich erfolgen und sich dabei unterschiedlicher Medienbedienen.

Mündliche Befragungen können in face-to-face Interaktionen durchgeführt werden, es kann sich aber auchum technisch vermittelte Befragungen wie Telefoninterviews oder Interviews via Internet und Webcamshandeln. Das heißt, qualitative mündliche Befragungen beruhen auf räumlicher oder virtueller Kopräsenz, dieeine unmittelbare gegenseitige Wahrnehmbarkeit des/der Interviewten und des/der InterviewerInermöglichen.

Nicht- oder teilstrukturierte schriftliche Befragungen können innerhalb der qualitativen Sozialforschungsowohl asynchron z.B. in Form von Briefen, e-Mails, oder Diskussionsforen, wie auch synchron in Form vonChats zum Einsatz kommen.

5.1.2.1.4 Stil der Kommunikation

Man kann Interviews auch nach dem Stil der Kommunikation, also nach dem Interviewerverhaltenunterscheiden.

Lamnek (2005: 343f) unterscheidet etwa

weiche,harteund neutrale Interviews

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

18 von 65 31.01.2011 16:28

Page 19: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

und stellt gleichzeitig fest, dass die in der qualitativen Sozialforschung anwendbare Methode „nur die weichenbis neutralen Interviews“ umfasst. Während das neutrale Interview „den unpersönlich-sachlichen Charakterder Befragung, die Einmaligkeit der Kommunikation und die soziale Distanz zwischen denBefragungspartnern betont“ (Koolwijk 1994: 17 zit. nach Lamnek 2005: 344), versucht das weiche Interview„das sympathisierende Verständnis für die spezielle Situation des Befragten zum Ausdruck zu bringen“ (ebd.:343) und ein Vertrauensverhältnis zum/zur Befragten zu entwickeln (siehe auch Bernard 1998: 346).

5.1.2.1.5 Frageformen

Während in der quantitativen Sozialforschung vorwiegend geschlossene Fragen mit vorgegebenenAntwortkategorien Verwendung finden, ist der Interviewverlauf innerhalb der qualitativen Sozialforschungdurch die Verwendung offener Fragen charakterisiert. Offene Fragen geben keine Antwortmöglichkeiten vorund lassen dem/der Befragten größeren Spielraum mittels eigener Formulierungen, Fakten und illustrativenBeispielen die für ihn/sie relevanten Bedeutungszusammenhänge darzustellen. Bei offenen, unstrukturiertenBefragungen, die wie z.B. das narrative Interview[1] darauf abzielen, Erzählungen zu generieren,beschränken sich die Interventionen des/der InterviewerIn auf so genannte erzählungsgenerierendeEinstiegsfragen und auf Interesse und Aufmerksamkeit signalisierende Äußerungen, die den Erzählflussstimulieren und aufrechterhalten, aber auch weitere Explikationen anregen sollen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.3

5.1.2.1.6 Zielsetzung

Während in der quantitativen Sozialforschung das Ziel der Befragung die Feststellung der Häufigkeitempirischer Ausprägungen an Hand vordefinierter Indikatoren und Fragestellungen ist, wird in der qualitativenForschung das Ziel verfolgt, die Lebenswelten, Sichtweisen und die emischen Kategorien der Interviewtenverstehend zu erschließen.

5.1.2.2 Beispiele für qualitative Interviewverfahren

In der sozialwissenschaftlichen und insbesondere soziologischen Methodenliteratur findet sich ein Wildwuchsunterschiedlicher Interviewarten, von denen hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit exemplarisch einigegenannt werden sollen:

ExpertInneninterview[1]ethnographisches Interviewdiskursives Interviewepisodisches Interviewevaluatives Interviewfokussiertes Interviewproblemzentriertes Interview[2]narratives Interview[3]biografisches Interviewinformatorisches Interviewanalytisches Interviewdiagnostisches Interviewklinisches InterviewStruktur- oder Dilemmainterviewrezeptives Interview[4]assoziatives Interviewero-episches Gespräch[5]Tiefeninterviewermittelndes Interviewfreies Interviewgelenktes Interviewhalbstandardisiertes Interview[6]hartes Interview[7]individuelles Interviewneutrales Interview[8]

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

19 von 65 31.01.2011 16:28

Page 20: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

offenes Interview[9]persönliches Interviewpostalisches Interviewschriftliches Interview[10]standardisiertes Interview[11]strukturiertes Interview[12]unstrukturiertes Interview[13]telefonisches Interview[14]weiches Interview[15]zentriertes Interview

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.1[2] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.2[3] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.3[4] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2.1[5] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2.2[6] Siehe Kapitel 5.1.2.1.5[7] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4[8] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4[9] Siehe Kapitel 5.1.2.1.5[10] Siehe Kapitel 5.1.2.1.3[11] Siehe Kapitel 5.1.2.1.5[12] Siehe Kapitel 5.1.2.1.1[13] Siehe Kapitel 5.1.2.1.1[14] Siehe Kapitel 5.1.2.1.3[15] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4

5.1.2.2.1 Biographische Interviews

Literaturhinweise:

Fischer-Rosenthal, Wolfram und Gabriele Rosenthal (1997) Narrationsanalyse biographischerSelbstpräsentation. In: Hitzler, R.; Honer, A. (Hg.) Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung.Opladen, S. 133-165.

Fischer-Rosenthal, Wolfram und Gabriele Rosenthal (1997) Warum Biographieforschung und wie man siemacht. In: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie17, S. 405-427.

Schütze, Fritz (1983) Biographieforschung und narratives Interview. In: Neue Praxis 3, S. 283-293.

5.1.2.2.2 Formen informeller Gespräche

Hauptkriterium informeller Interviews bzw. Gespräche ist, dass sie sich zufällig in unterschiedlichen sozialenFeldern ergeben. Sie zeichnen sich durch eine weitgehende Unstrukturiertheit von Seiten des/derInterviewerIn aus. Es sind vielmehr die Befragten, die den zentralen Beitrag zur Strukturierung desGesprächs leisten.

Formen informeller Interviews unterscheiden sich insbesondere durch das Ausmaß der Beteiligung und desaktiven Beitrags des/der Forschers/in am Gespräch. Während sich beim rezeptiven Interview der/dieInterviewerIn als SprecherIn weitgehend zurücknimmt und zuhört, hat er/sie beim ero-epischen Gespräch eineaktive Rolle inne und bringt seine/ihre eigene Geschichte und Meinung ins Gespräch mit ein. Das Konzept desero-epischen Gesprächs geht davon aus, dass man seine Rolle als FeldforscherIn[1] im Feld bereits definiertund explizit gemacht hat, weshalb diese im Rahmen des Gesprächs thematisiert werden kann, aber nicht zumThema werden muss. Das rezeptive Interview kann hingegen auch verdeckt eingesetzt werden.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.1.2.1

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

20 von 65 31.01.2011 16:28

Page 21: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.1.2.2.2.1 Das rezeptive Interview

Das rezeptive Interview (nach Kleining 1988) zeichnet sich, wie der Name bereits impliziert, dadurch aus, dassdie interviewende Person vornehmlich als ZuhörerIn auftritt und sich als FragestellerIn vollkommenzurück nimmt. Somit kann es in seiner einseitigen Kommunikationsbeziehung als eine Extremform derqualitativen Befragung betrachtet werden, da es durch seine Befragtenzentriertheit neben denAntwortmöglichkeiten sogar die Themenwahl den befragten Personen überlässt und somit vollkommen vonderen Lebenswelt determiniert ist.

Voraussetzung für diese Form des einseitigen Gesprächs ist ein lockeres und nicht autoritäres Klima zwischenForscherIn und befragter Person, da ohne diese eine asymmetrische Kommunikation, in der "der/dieInterviewte" einfach erzählt und der/die InterviewerIn nur zuhört, unwahrscheinlich ist.

Der Intervieweinstieg kann von der Auskunftsperson selbst übernommen werden, in dem sie von sich aus einGespräch beginnt oder aber die/der ForscherIn leitet durch eine sehr allgemeine, aber gleichzeitiggegenstandsorientierte Frage ein Gespräch ein, das sich in Folge in ein rezeptives Interview transformiert. Fürbeides gilt, dass sich die ForscherInnen zurücknehmen, verbal möglichst wenig eingreifen und den Erzählflussdurch aktives Zuhören (eine positiv bestärkende Mimik und Gestik) stimulieren. Vor allem sollte der Eindruckvermieden werden, dass die befragte Person „ausgehorcht“ (Lamnek 2005: 379) wird.

In seiner an Alltagskommunikation orientierter Form eignet sich das rezeptive Interview besonders für schwerzugängliche und tabuisierte Untersuchungsgegenstände und besitzt exploratives Potential.

Im Unterschied zu den meisten anderen Interviewtechniken werden die Personen im rezeptiven Interview nichtüber Inhalt, Gegenstand und Form der Befragung aufgeklärt, was laut Kleining den Vorteil bringt, dass dieNatürlichkeit des sozialen Feldes nicht verändert wird und somit die sonst gegebene Reaktivität und denEinfluss des/der Befragenden minimal gehalten werden können. Insofern wird es auch im Rahmen verdeckterForschung [1] eingesetzt, die besondere ethische Probleme aufwirft.

Lamnek, Siegfried (2005) Qualitative Sozialforschung. Beltz PVU: Weinheim, Basel. S. 373-382.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.1.4

5.1.2.2.2.2 Das ero-epische Gespräch

Der Begriff des ero-epischen Gesprächs (nach Girtler) setzt sich aus den zwei altgriechischen WörternErotema (Frage) bzw. erotemai (fragen, befragen, nachforschen) und Epos (Erzählung, Nachricht, Kunde, aberauch Götterspruch) zusammen.

Grundlegend für diese Art des Forschungsgesprächs ist, dass sich sowohl der/die Befragte als auch der/dieForscherIn öffnen und ins Gespräch einbringen. Dadurch, dass der/die ForscherIn auch von sich erzählt (z.B.über die Arbeitsweise, das Forschungsinteresse oder von eigenen Erlebnissen das Thema betreffend) wirdeinerseits eine lockere, vertraute und persönliche Gesprächsebene geschaffen und gleichzeitig der/dieGesprächspartnerIn angeregt, von sich selbst zu erzählen. Die Fragen ergeben sich aus der Situation undwerden nie im Vorhinein festgelegt. Zudem bringt der/die Fragende das Gegenüber nie in Zugzwang und unterAntwortdruck (wie es bei anderen Interviewarten wie z.B. dem narrativen Interview[1] der Fall ist), diePersonen sollen von selbst zu erzählen beginnen, wobei sich der/die ForscherIn von dem/derGesprächspartnerIn leiten lässt. Problematisch ist, dass laut Girtler auch die Anwendung von Suggestivfragenerlaubt ist, was zu tendenziösen Forschungsergebnissen führen kann. Girtler hingegen betrachtetSuggestivfragen als oftmals sehr aufschlussreich, da sie zu weiteren bisher noch nicht gegebenenInformationen ermuntern können ("Suggestivfragen bzw. ähnliche das Gespräch diktierende Fragen sind auchdann zu empfehlen, wenn der Interviewer durch eine bewusst falsche Unterstellung den Interviewten zuweiteren Informationen anregen will." [Girtler 2001: 160]). Bedeutend ist jedoch, den/die Befragte/n alsgleichwertige/n GesprächspartnerIn und ExpertenIn des Feldes anzusehen.

Girtler, Roland (2001) Methoden der Feldforschung. Böhlau: Wien, S. 147-168.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.3

5.1.2.2.3 Formen formeller Interviews

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

21 von 65 31.01.2011 16:28

Page 22: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Im Gegensatz zur Unstrukturierteheit und dem zufälligen Zustandekommen der informellen Gesprächezeichnen sich formelle Interviews durch eine bewusste Planung aus. Diese beginnt mit der Vereinbarungeines Interviewtermins bzw. der gemeinsamen Definition einer Interviewsituation. Sowohl InterviewerIn wieInterviewte/r sind sich also darüber im Klaren, dass es sich um ein Interview, das heißt eine Befragungssituationhandelt, die sich von üblichen alltagsweltlichen Kommunikationsformen unterscheidet. Die Gestaltung dieserBefragungssituationen kann deutliche Unterschiede aufweisen, in Bezug auf

die Strukturierung [1] des Interviews,die Anzahl der interviewten Personen[2],die eingesetzten Medien und die Form der Befragung[3],den Stil der Kommunikation[4],die Frageformen[5],und die Zielsetzungen[6].

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.1.1[2] Siehe Kapitel 5.1.2.1.2[3] Siehe Kapitel 5.1.2.1.3[4] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4[5] Siehe Kapitel 5.1.2.1.5[6] Siehe Kapitel 5.1.2.1.6

5.1.2.2.3.1 Das ExpertInneninterview

Bei ExpertInneninterviews handelt es sich im Normalfall um Leitfaden gestützte, offene Interviews, das heißt,man versucht im Vorfeld eine Vorstrukturierung zentraler Fragestellungen und Themen vorzunehmen, umgegenüber den ExpertenInnen auch als kompetente/r GesprächspartnerIn auftreten zu können. Der Leitfadenwird in der Regel flexibel und nicht als standardisiertes Frageschema eingesetzt. Als InterviewerIn ist man offenfür neue Themen und Inhalte, die durch den/die Interviewte/n eingebracht werden.

Die Unterscheidung zwischen ExpertInnen und Laien ist nicht immer eindeutig und einfach zu treffen, imNormalfall geht man davon aus, dass ExpertInnen über eine besondere Expertise und damit verbundenesSonderwissen verfügen, welches oft an bestimmte sozial institutionalisierte Rollen (Berufe, DorfvorsteherIn,HeilerInnen etc.) gebunden ist. Zudem wird der/die ExpertIn nicht als Einzelfall, sondern als RepräsentantIneiner Gruppe bestimmter ExpertInnen betrachtet.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem ExpertInneninterview als eigenständige Interviewform findet sichunterhttp://www.qualitative-research.net/organizations/or-exp-d.htm[1].

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://217.160.35.246/organizations/

5.1.2.2.3.2 Das problemzentrierte Interview

Im Gegensatz zum narrativen Interview[1], bei dem methodologisch streng induktiv vorgegangen wird (d.h.eine anfängliche konzeptuelle Festlegung durch den/die ForscherIn vermieden wird), zeichnet sich dasproblemzentrierte Interview durch einen Mittelweg aus. Das problemzentrierte Interview kombiniertinduktives[2] und deduktives[3] Vorgehen, indem die ForscherInnen zwar mit einem theoretischwissenschaftlichen Vorverständnis in die Befragung gehen, die Äußerungen der Befragten jedoch vongrundlegender Bedeutung für die weitere Modifikation der Konzepte sind. Die ForscherInnen bleiben offen fürdie Bedeutungsstrukturierung des Problembereichs/der sozialen Lebenswelt durch die befragte Person undteilen ihr theoretisches Konzept im Interview nicht mit, da es nur vorläufig ist und die Interviewten nichtsuggestiv beeinflussen soll.

Nach der einleitenden Eingrenzung des Problembereiches regen die InterviewerInnen durch ein Erzählbeispieloder eine offene Frage die narrative Phase des Interviews an. Zentral für die ForscherInnen ist es, dieErzählsequenzen und Darstellungen der Befragten nachzuvollziehen und zu verstehen. Dies können sie aufdrei verschiedene Arten tun:

In Form einer Zurückspiegelung teilen die InterviewerInnen in eigenen Worten eine Interpretation der

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

22 von 65 31.01.2011 16:28

Page 23: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Ausführungen mit und bieten so den Befragten die Möglichkeit, die Interpretationen der ForscherInnen zukorrigieren und zu modifizierendie ForscherInnen können aber auch mittels Verständnisfragen Widersprüche oder ausweichendeAussagen thematisieren, oder aberdie Befragten direkt mit den aufgetretenen Ungereimtheiten konfrontieren.

Abschließend kann der/die InterviewerIn mittels Ad-hoc-Fragen von den Befragten bisher noch nichtangesprochene Themenbereiche behandeln. Hierfür kann ein im Vorhinein festgelegter Leitfaden alsGedächtnisstütze und Orientierungsrahmen fungieren.

Am Beginn des problemzentrierten Interviews kann den zu befragenden Personen auch ein standardisierterKurzfragebogen vorgelegt werden, um eine erste inhaltliche Auseinandersetzung mit den in der Befragunggeplanten Problembereichen anzuregen und um den Einstieg in das Gespräch zu vereinfachen.

Literatur:

Lamnek, Siegfried (2005) Qualitative Sozialforschung. Beltz PVU: Weinheim, Basel, S. 363-368.

Witzel, Andreas (2000) Das problemzentrierte Interview. In: Forum: Qualitative Sozialforschung 1(1).http://www.qualitative- research.net/fqs-texte/1-00/1-00witzel-d.htm[4]

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.3.3[2] Siehe Kapitel 2.1[3] Siehe Kapitel 2.2[4] http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1132

5.1.2.2.3.3 Das narrative Interview

Im narrativen Interview wird von den Befragten eine Erzählung erwartet, in welcher einerseits dieOrientierungsmuster ihres Handelns deutlich werden und zugleich rückblickend Interpretationen diesesHandelns erzeugt werden.

In vertrauter kollegial freundschaftlicher Atmosphäre und mit einem weichen bis neutralen[1] Interviewstil wirdversucht, biographische Erzählungen der Befragten anzuregen, wobei der Detaillierungsgrad derAusführungen vollkommen den interviewten Personen überlassen bleibt. Im Idealfall beginnen dieForscherInnen die Datenerhebung ohne ein im Vorhinein festgelegtes wissenschaftliches Konzept undentwickeln dieses induktiv[2] aus den Äußerungen der Befragten.

Nach einer Erklärungs- und Einleitungsphase, in der die Interviewten über Erwartungen der ForscherInnenin punkto Erzählrahmen, wichtige Dimensionen und Aspekte in der Geschichte aufgeklärt werden, soll einemöglichst offen formulierte Einstiegsfrage die befragten Personen zum zwanglosen Erzählen bewegen undihnen genügend Raum für ihre Beschreibungen und Begründungen geben. Die Erzählphase kann durchausvon Pausen und Schweigen durchdrungen sein, den InterviewerInnen kommt die Rolle der aufmerksamenZuhörenden zu, die versuchen den Erzählfluss durch Aufmerksamkeit bezeugende Äußerungen („hm, hm“)oder Gesten (Kopfnicken) zu unterstützen. Die Erzählphase gilt erst dann als beendet, wenn der/die Befragteselbst darauf hinweist. Falls erforderlich, können in einer Nachfragephase noch unklar gebliebene Fragen oderWidersprüchlichkeiten der Erzählung klargestellt werden und abschließend in einer Bilanzierungsphase direktdie Motivation und Intention der interviewten Personen angesprochen werden und der Sinn der Erzählung mitden Personen gemeinsam beleuchtet und diskutiert werden.

Literatur:

Lamnek, Siegfried (2005) Qualitative Sozialforschung. Beltz PVU: Weinheim, Basel S. 357-361.

Zu den Narrativen Methoden im Allgemeinen, ihren theoretischen Perspektiven, methodischen Verfahren, derOral history und zur Performanz von Narrationen siehe:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

23 von 65 31.01.2011 16:28

Page 24: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Atkinson, Paul und Sara Delamont (Hg.) (2005) Narrative methods. SAGE: London.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.1.4[2] Siehe Kapitel 2.1

5.1.2.2.4 Das ethnographische Interview

Das ethnographische Interview ist an die Feldforschungssituation angepasst und gibt methodischeAnweisungen, wie freundliche Unterhaltungen und sich ergebende Gespräche im Feld zu Interviews gestaltetwerden können. Ausgehend von einer informellen Gesprächssituation versucht man sowohl einen explizitenZweck des Gespräches einzuführen, wie die GesprächspartnerInnen über das Ziel des Projektes zuinformieren. Dazu gehören auch Informationen warum man welche Informationen aufzeichnet und wie man dasInterview führt. Man macht im Zuge eines solchen Gesprächs auch die eigene Rolle als ForscherIn transparent.Im Gegensatz zu einer freundlichen Unterhaltung oder einem rezeptiven Interview[1] übernimmt imethnographischen Interview allerdings der/die ForscherIn die Strukturierung des Gesprächs und stellt fastalle Fragen.

Ein Ziel des ethnographischen Interviews ist das sich im Zuge eines Gesprächs oft einstellende Gefühl eines(scheinbaren) gegenseitigen Verständnisses, durch den Einsatz von Wiederholungen und verschiedenenFragearten, zu unterlaufen.

Durch den bewussten Einsatz von Wiederholungen (von Fragen und Aussagen des/der InformantIn), stattderen im normalen Gespräch üblichen Vermeidung. Ziel dieser Wiederholungen ist es, weitere Ausführungenund Explikationen anzuregen. Anstatt sich kurz zu halten, regt der/die EthnographIn die InformantInnen dazuan, möglichst ausführlich und detailreich zu erzählen. Die Interpretation des Gesagten wird somit nicht zueinem anderen Zeitpunkt und wie manche Interpretationsstrategien vorschlagen, von anderen Personenvorgenommen. Vielmehr wird diese in Auseinandersetzung mit den InformantInnen im Zuge desethnographischen Interviews von diesen selbst vorgenommen.

Spradley unterscheidet drei zentrale Arten von Fragen:

deskriptive Fragenstrukturelle Fragen undKontrastfragen.

Bei den deskriptiven Fragen ist es notwendig zumindest einen Bereich zu kennen, in dem der/die InformantInroutinemäßige Handlungen ausführt und sich diese beschreiben zu lassen.

Ziel von strukturellen Fragen ist es herauszufinden, wie der/die InformantIn sein/ihr Wissen in bestimmtenkulturellen Bereichen (domains) organisiert.

Bei den Kontrastfragen geht es darum herauszufinden, was der/die InformantIn mit den verschiedenenBegrifflichkeiten meint, die er/sie in seiner/ihrer Sprache verwendet und wie sich diese von einanderunterscheiden.

Literatur:

Spradley J. P. (1979) The ethnographic interview. Holt, Rinehart & Winston:New York.

Flick, Uwe (2002) Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Rowohlt: Reinbeck bei Hamburg.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.2.2.2.1

5.1.2.3 Formen der Transkription von qualitativen Interviews

Um qualitative Interviews analysieren zu können ist es notwendig, eine schriftliche Transkription derInterviews anzufertigen. Hierfür existieren unterschiedlich genaue Transkriptionssysteme (siehe dazu Dittmar2004; Kowal u. O´Connell 2003), ohne dass sich ein verbindlicher Standard durchgesetzt hätte. Dies liegt vorallem auch daran, dass unterschiedliche textanalytische Verfahren verschiedene Transkriptionsstandardserfordern. Somit ist vor dem Hintergrund der jeweiligen Analysemethode zu entscheiden, welche Form der

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

24 von 65 31.01.2011 16:28

Page 25: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Transkription gewählt werden sollte. Insgesamt ist ein pragmatisches Vorgehen ratsam und sollte derGenauigkeitsgrad der Transkription (Länge der Pausen, Tonfall, Tonstärke, nonverbale Aspekte derKommunikation, Interaktion zwischen InterviewerIn und interviewter Person etc.) über das notwendige Maß desForschungsinteresses und der Analysemethode nicht hinausgehen. Froschauer & Lueger (2003: 223) führeneinige einfache und pragmatische Richtlinien für die Gesprächstranskription an. Dazu gehören:

die Zeilennummerierungdie Kodierung der GesprächsteilnehmerInnen z.B. für InterviewerInnen I1, I2...; für Befragte B1, B2,...)Pausen (pro Sekunde ein Punkt) = . .. . (oder Zeitangabe)Nichtverbale Äußerungen wie Lachen oder Husten in runder Klammer angeben = (B1 lacht)situationsspezifische Geräusche in spitzer Klammer angeben = >Telefon läutet<Hörersignale bzw. gesprächsgenerierende Beiträge als normalen Text angeben = mhm, ähAuffällige Betonung unterstreichen = etwa soUnverständliches als Punkte in Klammer, wobei jeder Punkt eine Sekunde markiert = (.. .)Vermuteter Wortlaut bei schlechtverständlichen Stellen in Klammer schreiben = (etwa so)sehr gedehnte Sprechweise mit Leerzeichen zwischen den Buchstaben = e t w a s o

Ein weiterer Hinweis dieser AutorInnen, die Interviews möglichst exakt unter Beibehaltung sprachlicherBesonderheiten ohne Annäherung an die Schriftsprache vorzunehmen, macht auf die besondere Situationund Problematik von Transkriptionen innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie aufmerksam. Denn in derKultur- und Sozialanthropologie "A transcription always raises questions about translation." (Clifford 1990: 58).Sehr oft werden Interviews in einer Sprache durchgeführt, die nicht die Muttersprache des/r InterviewerIn istund in der zumeist auch die Forschungsergebnisse nicht publiziert werden. Die Fähigkeit, Interviews zu führenund vor allem auch die kulturspezifischen Nuancen von Aussagen der InterviewpartnerInnen zu verstehen,hängt also von der Sprachkompetenz des/der ForscherIn ab. Oft wird insbesondere in der Anfangsphase derFeldforschung auch mit ausgewählten mehrsprachigen InformantInnen und ÜbersetzerInnen gearbeitet. Beider Transkription stellt sich die Frage, ob die Interviews in der Sprache, in der sie geführt wurden, transkribiertwerden, oder ob Übersetzungen angefertigt werden.

Bei ausreichenden Sprachkenntnissen[1], deren Erwerb oft eine zentrale Aufgabe zu Beginn derFeldforschung ist, sollten - insofern es sich um eine Schriftsprache handelt - die Transkriptionen in derOriginalsprache vorgenommen werden. Schwieriger gestaltet sich die Transkription von Befragungen undErzählungen in Sprachen, die keine Schriftsprachen sind. Hier gilt es, in einem ersten Schritt ausfindig zumachen, ob lokale Notationssysteme entwickelt wurden, auf die man zurückgreifen kann oder ob man einephonetische Transkription[2] der Texte vornimmt, was aber nur im Bereich der linguistischen Anthropologieund ethnolinguistischer Arbeiten absolut notwendig ist.

Mittlerweile stehen auch unterschiedliche Softwareprogramme zur Transkription von Sprachaufnahmen zurVerfügung. Eine hilfreiche Freeware zur Segmentierung und Transkription von aufgenommenen Interviews istz.B. der Transcriber[3].

Literatur:

Dittmar, Norbert (2004) Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. VS Verlagfür Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5[2] http://www.langsci.ucl.ac.uk/ipa/[3] http://trans.sourceforge.net/en/presentation.php

5.1.2.4 Literatur zum Thema Befragungen

http://www.qualitative-research.net/organizations/or-exp-d.htm[1].

Bernard, H. Russell (2002) Interviewing: Unstructured and Semistructured In: ders. Research Methods inAnthropology. Altamira Press: Walnut Creek, CA, S. 210-250.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

25 von 65 31.01.2011 16:28

Page 26: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Bogner, Alexander (Hg.) (2005) Das Experteninterview. Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Fontana, Andrea und James H. Frey (1994) Interviewing. In: Denzin, Norman K. & Yvonna S. Lincoln (Hg.)Handbook of Qualitative Research. Sage: London, S. 361-376.

Froschauer, Ulrike und Manfred Lueger (2003) Das qualitative Interview. WUV UTB: Wien.

Flick, Uwe (2002) Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Rowohlt: Reinbeck bei Hamburg.

Girtler, Roland (2001) Methoden der Feldforschung. Böhlau: Wien, S. 147-211; 168.

Lamnek, Siegfried (2005) Qualitatives Interview. In: ders.Qualitative Sozialforschung. Beltz PVU: Weinheim,Basel, S. 329-402.

Levy, Robert I. und Douglas W. Hollan (1998) Person-centered Interviewing and Observation. In: Bernard, H.Russell (Hg.) Handbook of Methods in Cultural Anthropology. Altamira Press: Walnut Creek, CA, S.333-364.

Spradley J. P. (1979) The ethnographic interview. Holt, Rinehart & Winston: New York .

Witzel, Andreas (2000) Das problemzentrierte Interview. In: Forum: Qualitative Sozialforschung 1(1).http://www.qualitative- research.net/fqs- texte/1-00/1-00witzel-d.htm[2]

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://217.160.35.246/organizations/[2] http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1132

5.1.3 Methodentriangulation

Unter Methodentriangulation versteht man den bewussten Einsatz unterschiedlicher Erhebungsverfahren[1](Beobachtung[2], Befragung[3], Experiment, etc.) im Rahmen eines Forschungsprojektes, was in derenglischsprachigen Literatur auch als mixed methods approach bezeichnet wird.

Literatur:

Flick, Uwe (2004) Triangulation. Eine Einführung. Verlag für Sozialwissenschaft: Opladen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-2.html[2] Siehe Kapitel 5.1.1[3] Siehe Kapitel 5.1.2

5.2 Ethnographie als Prozess der Datenerhebung

Eine ethnographische Untersuchung zielt in der Regel darauf ab, Menschen über einen längeren Zeitraum inihrem alltäglichen Leben zu beforschen. Das heißt, der/die EthnographIn bzw. FeldforscherIn nimmt physischmit der Gesamtheit seiner/ihrer Person über einen längeren Zeitraum an ausgewählten Lebenswelten teil,mit dem Ziel, Daten zu erheben und Beschreibungen anzufertigen, die als Grundlage für spätere Analysendienen.

Ethnographische Feldforschung ist, wie andere sozialwissenschaftliche Verfahren (z.B. Fragenbogenerhebung,teilstrukturierte Interviews,...), eine Methode der Datenerhebung, die sich aber in zumindest zwei Bereichengrundlegend von anderen Verfahren unterscheidet. Diese ergeben sich daraus, dass Methoden nicht nurVerfahren der Datenerhebung sind, sondern auch Verfahren der In-Beziehung-Setzung zum Feld. Dasheißt, Methoden legen bestimmte Formen der Interaktion mit dem Untersuchungsfeld nahe. EthnographischeFeldforschung zeichnet sich durch eine besonders intensive und langfristige, über die reine Datenerhebunghinausgehende In-Beziehung-Setzung zum Untersuchungsfeld aus. Dies ist ein zentrales Qualitätskriteriumethnographischer Forschung. Ethnographische Feldforschung ist somit nicht nur ein Verfahren derDatenerhebung, sondern vor allem auch ein Verfahren zur Generierung von Erfahrungen und Erlebnissen,welche den/die FeldforscherIn zunehmend zu einem Teil des Feldes machen.

Ein zentrales Moment des Feldforschungsprozesses besteht darin, diese Erfahrungen und Erlebnisse durch

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

26 von 65 31.01.2011 16:28

Page 27: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

das systematische Anlegen und Ausarbeiten von Feldnotizen[1] in Daten zu transformieren. Im Gegensatzzu anderen Methoden determiniert bei der ethnographischen Feldforschung das Feld selbst in einem vielgrößeren Ausmaß den Einsatz und die Anwendbarkeit von Forschungsstrategien und Methoden.

Insgesamt bedarf ethnographische Feldforschung einer gezielten Vorbereitung[2], welche unter anderem denErwerb von sachlichem[3] und regionalem Know-How[4] und sprachlich-kommunikativen Kompetenzen[5]umfasst. Am Beginn der Feldforschung steht die Herausforderung, einen Zugang zum Feld zu finden, dieDefinition der eigenen Rolle[6] in Auseinandersetzung mit dem Feld vorzunehmen und die Zusammenarbeitmit InformantInnen auf eine tragfähige Basis zu stellen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1[3] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.4[4] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.3[5] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5[6] Siehe Kapitel 5.1.1.2.1

5.2.1 Forschungsdesign klassischer Ethnographien

Das Forschungsdesign einer Ethnographie wird bestimmt durch:

das Forschungsziel,die theoretischen Grundannahmen,die methodische Ausrichtung und ihre entsprechenden Technikensowie die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen im Forschungs- wie Ursprungsland derEthnographIn.

Unterschiedliche Forschungsdesigns klassischer Ethnographien werden an folgenden Beispielen deutlich.

5.2.1.1 Historischer Partikularismus - Franz Boas

Der historische Partikularismus wurde Ende des 19. Jahrhundert von Franz Boas[1] im Gegensatz zu denspekulativen Rekonstruktionen der Evolutionisten und ihrer vergleichenden Methode (comparative method) entwickelt.

Er forderte bei der historischen Rekonstruktion von Kulturen die Beschränkung auf eine bestimmte Kultur bzw.auf ein Kulturareal. (Theoretische Grundannahmen des historischen Partikularismus[2])

Boas forderte ein induktives Vorgehen in der Kulturanthropologie; allgemeine Schlussfolgerungen seien nurauf Grund ausreichend gesammelten Feldforschungsmaterials zulässig. (Methoden und Techniken deshistorischen Partikularismus[3])

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.1.2[3] Siehe Kapitel 5.2.1.1.3

5.2.1.1.1 Franz Boas

Franz Boas (1858 - 1942) wurde in Deutschland geboren und naturwissenschaftlich ausgebildet (Physik,Geographie und Mathematik).

Schon bei seinen ersten (geographischen) Forschungen 1883 bei den Inuit auf Baffin Island und ab 1886 beiden NW-Küstenindianern British Columbia's (hauptsächlich den Kwakiutl) erkennt Boas, dass kulturelleFaktoren eine wesentlichere Rolle spielen als geographische.

Er habilitiert bei A. Bastian in Berlin und geht ab 1887 in die USA. Dort unterrichtet er ab 1896 an derColumbia University in New York und wird zur dominanten Figur in der amerikanischen Anthropologie undpatriarchalischer Lehrer mehrerer SchülerInnengenerationen, welche ihm an Bedeutung und Prominenz kaumnachstehen (Benedict, Kroeber, Sapir, Herskovits, Lowie, Radin, Wissler, Mead u.v.a.).

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

27 von 65 31.01.2011 16:28

Page 28: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Boas vertritt die so genannte four-field-anthropology. Darunter ist eineallgemeine Anthropologie bestehend aus Rasse/physische Anthropologie,Sprache, Kultur und Archäologie zu verstehen, wobei jeder dieser

Teilbereiche getrennt und mit jeweils anderen Methoden zu studieren ist. (Methoden und Techniken deshistorischen Partikularismus[1])

Im Rahmen der Kulturanthropologie wendet er sich gegen die spekulativen Erkenntnisse der Evolutionistenund fordert eine Beschränkung der historischen Rekonstruktion auf eine bestimmte Kultur bzw. ein Kulturareal.

Unter Boas wird das intensive Sammeln von ethnographischem Material durch die Feldforschung zurunerlässlichen Basis der Kulturanthropologie; erst bei ausreichender Datenlage und unter gebotener Vorsichtkönnen Generalisierungen ins Auge gefasst werden. (Theoretische Grundlagen des historischenPartikularismus[2])

Boas war Begründer der American Anthropological Association und gab die Zeitschrift American Anthropologistheraus.

Seine bedeutendsten Werke sind The Central Eskimo (1888), The Social Organization and Secret Societies ofthe Kwakiutl Indians (1897), The Mind of Primitive Man (1911), Primitive Art (1927), Anthropology and ModernLife (1928), Race, Language and Culture (1940), Race and Democratic Society (1945).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.3[2] Siehe Kapitel 5.2.1.1.2

5.2.1.1.2 Theoretische Grundannahmen des historischen Partikularismus

Die Grundzüge des historischen Partikularismus nach Franz Boas[1] bestanden aus folgenden theoretischenGrundannahmen:

Im Gegensatz zu den spekulativen Rekonstruktionen der Evolutionisten und ihrer vergleichendenMethode sind nur auf eine bestimmte Kultur oder ein Kulturareal (culture area) begrenzte historischeRekonstruktionen zu vertreten.Jede Kultur besteht aus Kulturelementen, welche durch Diffusion von anderen Kulturen übertragenwurden.Jedes durch Diffusion übernommene Kulturelement wird überformt, um in die neue Kultur zu passen.Dieser Prozess verläuft aber nie vollständig, so dass Kultur immer nur ein lose organisiertes Gebildeund kein eng geknüpftes System darstellt.Das soziale Leben wird bestimmt von Sitten und Gebräuchen (nicht von Rationalität und Nützlichkeit).Jede Kultur ist einzigartig, da sie das Resultat von diffusionistischen Prozessen und lokalenBedürfnissen darstellt.Wenn jede Kultur einzigartig ist, können keine allgemeinen Urteile über eine bestimmte Kultur gefälltwerden; sie kann nur aus dem kulturellen Kontext, in dem sie situiert ist, verstanden werden.Betonung der emischen Analyse (Perspektive der AkteurInnen einer Kultur) gegenüber der etischen(Perspektive der ForscherInnen von außen); bedeutend sind die Werte, Normen und Emotionen deruntersuchten Kultur.Deshalb können auch nur schwer Verallgemeinerungen zwischen Kulturen getroffen werden; wenn, dannnur mit Vorsicht und bei ausreichender Datenlage.Betonung der Feldforschung, um möglichst viele Daten zu sammeln.Induktives Vorgehen; ohne vorgefasste Theorien in die Feldforschungssituation; wenn allgemeineErklärungen erfolgten, dann nur auf Grund einer großen Menge an gesammelten Daten (Methoden undTechniken des historischen Partikularismus[2]).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.1.3

5.2.1.1.3 Methoden und Techniken des historischen Partikularismus

Abbildung: Franz Boas. Quelle:Mead 1972: 126

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

28 von 65 31.01.2011 16:28

Page 29: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Im Gegensatz zu den spekulativen Rekonstruktionen der Evolutionisten und ihrer vergleichendenMethode beschränkt Franz Boas[1] die historische Rekonstruktion auf eine bestimmte Kultur bzw. einKulturareal.Die Feldforschung wird betont, um möglichst viele empirische Daten zu sammeln und Spekulationenzu vermeiden (positivistisch).Im Sinne eines induktiven Vorgehens geht Boas ohne vorgefasste Theorien in dieFeldforschungssituation und trifft nur bei ausreichendem Datenmaterial sehr vorsichtig formuliertegeneralisierende Aussagen.Boas vertritt die sog. four-field-anthropology. Darunter ist eine allgemeine Anthropologie bestehend ausRasse/physische Anthropologie, Sprache, Kultur und Archäologie zu verstehen, wobei jeder dieserTeilbereiche getrennt und mit jeweils anderen Methoden zu studieren ist.Kultur wird von ihm bzw. seinen SchülerInnen nach Verbreitungsmerkmalen (Diffusion) vonKulturelementen und nach holistischen Mustern (patterns) untersuchtBoas nimmt eine Vielzahl an indigenen Texten (Mythen, Erzählungen, Erinnerungen an dieVergangenheit u.a.) in der Originalsprache auf, versehen mit interlinearer englischer Übersetzungdurch InformantInnen oder DolmetscherInnen. Boas' wichtigster Mitarbeiter wird George Hunt, ein Mann von schottischer und Tlingit Herkunft, der ineinem Kwakiutl-Dorf herangewachsen und der Kwakwala-Sprache mächtig war. Er wird von Boas in derrichtigen Aufnahme der Texte und ihrer Transkription unterwiesen, in einigen der publizierten Textefungiert er auch als Co-Autor. Der Kontakt von Boas zu Hunt bleibt auch nach dieser Zusammenarbeitüber mehr als 30 Jahre aufrecht.Weitere von Boas angewandte Techniken sind (teilnehmende) Beobachtung, Aufnahme vonLebensgeschichten (life histories), unstrukturierte Interviews.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1

5.2.1.2 Funktionalismus - Bronislaw Malinowski

Bronislaw Malinowski[1] gilt als Begründer der modernen ethnographischen Datenerhebung.

Entgegen den spekulativen Rekonstruktionen der armchair-anthropologists wird durch ihn das Sammeln vonfirst-hand Daten im Feld zum gültigen Standard und die von Malinowski programmierte participantobservation zu „der“ Methode der Kultur- und Sozialanthropologie (Methoden und Techniken desFunktionalismus[2]).

Der (strukturale) Funktionalismus als theoretische Strömung wird ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts (1922)zur zentralen Ausrichtung innerhalb der britischen Sozialanthropologie. Während Malinowski's Kulturtheoriebereits gegen Ende der 1930er Jahre abgelehnt wird, behält der strukturale Funktionalismus vonRadcliffe-Brown bis in die 1960er Jahre seine Bedeutung.

Von naturwissenschaftlichen Vorstellungen geleitet geht der Funktionalismus von der Beziehung (Funktion)einzelner Teile innerhalb einer übergeordneten Ganzheit bzw. zu dieser aus (Organismusanalogie).(Theoretische Grundannahmen des Funktionalismus[3])

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.2.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.2.3[3] Siehe Kapitel 5.2.1.2.2

5.2.1.2.1 Bronislaw Malinowski

Bronislaw Malinowski (1884 - 1942) zählt gemeinsam mit A. R. Radcliffe-Brown zu den Begründern derbritischen Sozialanthropologie. Sein Bekanntheitsgrad reicht weit über das Fach hinaus, so greift u.a. S.Freud auf Malinowskis Arbeiten zurück.

Malinowski gilt als der Initiator der modernen ethnographischen Datenerhebung und des Funktionalismus

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

29 von 65 31.01.2011 16:28

Page 30: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

als theoretische Strömung innerhalb der Sozialanthropologie. (Theoretische Grundannahmen desFunktionalismus[1])

Er studiert zunächst Mathematik, Physik und Philosophie in seinerGeburtsstadt Krakau, danach in Leipzig bei W. Wundt Psychologieund schließlich in London Anthropologie bei E. Westermarck und C.G. Seligman.

1914 findet seine erste Feldforschung bei den Mailu (Australien)statt, gefolgt von mehrmonatigen Aufenthalten auf den TrobriandInseln (PNG). Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges wird Malinowski aufGrund seiner polnischen Nationalität (Polen war zu diesem Zeitpunktder K&K Monarchie Österreich-Ungarn eingegliedert) zumStaatsfeind, der zwar nicht ausreisen, aber seinen Forschungen freinachgehen darf.

Dieser unfreiwillig verlängerte Aufenthalt legt den Grundstein für denMythos Malinowski: Er entwickelt die sog. participant observation(teilnehmende Beobachtung), welche ein über einen längerenZeitraum hinweg intensives Zusammenleben mit der untersuchtenBevölkerung vorsieht. (Methoden und Techniken desFunktionalismus[2])

Später unternimmt Malinowski kürzere Feldforschungen inverschiedene Gebieten Afrikas (meist im Rahmen von Besuchenseiner forschenden StudentInnen) und in Mexiko.

Von 1923 bis 1938 unterrichtet Malinowski an der London School of Economics (ab 1927 als Professor) undwird zum charismatischen Lehrer bedeutender VertreterInnen der Sozialanthropologie (z.B. Firth, Evans-Pritchard, Nadel, Meyer-Fortes, Schapera, Richards, Kaberry u.v.a.). Ab 1939 bis zu seinem Tode lehrt er inYale, New Haven, in den Vereinigten Staaten.

Seine bedeutendsten Werke sind Argonauts of the Western Pacific (1922), Crime and Custom in SavageSociety (1926), Sex and Repression in Savage Society (1927), The Sexual Life of Savages in North-WesternMelanesia (1929), Coral Gardens and Their Magic (1935), A Scientific Theory of Culture (1944), Freedom andCivilization (1944), Magic, Science and Religion (1948), A Diary in the Strict Sense of the Term (1967).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.2.2[2] Siehe Kapitel 5.2.1.2.3

5.2.1.2.2 Theoretische Grundannahmen des Funktionalismus

Die Grundzüge des (strukturalen) Funktionalismus sind:

Wie die Theoretischen Grundannahmen des historischen Partikularismus[1] richtete sich derFunktionalismus gegen die spekulativen Rekonstruktionen der Evolutionisten und die vergleichendenMethode der armchair-anthropologists.Entgegen den Annahmen von Franz Boas[2] ist der Funktionalismus ahistorisch eingestellt, da diehistorische Perspektive nur bei Vorhandensein exakter schriftlicher Belege angestrebt werden kann.Organismusanalogie: die Gesellschaft wird mit einem biologischen Organismus verglichen, in dem dieeinzelnen Organe zusammenwirken müssen (Funktion), um den Erhalt des gesamten Körpers (Struktur)sicherzustellen.Gesellschaften bzw. ihre Teile zielen nach Ordnung (Equilibrium) und verlaufen nach bestimmtenMustern; der harmonische Zustand ist relativ stabil, Konflikte tendieren zu einem neuerlichenEquilibriumszustand.Das soziale Leben ist empirisch mittels ethnographischer Datenerhebung fassbar und fürwissenschaftliche Analysen geeignet (Methoden und Techniken des Funktionalismus[3]).Ziel ist das Herausfinden von Gesetz- bzw. Regelmäßigkeiten des sozialen Lebens imnaturwissenschaftlichen Sinne.Im Mittelpunkt der Forschungen stehen die sog. Institutionen als Kristallisationspunkte (nach Durkheim);die Kulturtheorie von Bronislaw Malinowski[4] leitet die wesentlichen Institutionen als Kulturreaktionen

Abbildung: Bronislaw Malinowski. Quelle:Silverman 1981: 100

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

30 von 65 31.01.2011 16:28

Page 31: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

auf menschliche Grundbedürfnisse ab

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.2[2] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1[3] Siehe Kapitel 5.2.1.2.3[4] Siehe Kapitel 5.2.1.2.1

5.2.1.2.3 Methoden und Techniken des Funktionalismus

Bronislaw Malinowski[1] gilt als Begründer der modernen ethnographischen Datenerhebung.

Gemäß den theoretischen Grundannahmen des Funktionalismus[2] wird in der britischenSozialanthropologie die empirische Datengewinnung zum Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Analysenüber das soziale Leben.

Jede/r Forscher/in hatte zunächst möglichst viel Material über ein bestimmtes Areal oder eine Ethniezusammenzutragen (induktives Vorgehen), woraus eine Vielzahl an bemerkenswerten"Stammesmonographien" resultierte.

Als Feldforschungsgebiete dienten die ehemaligen britischen Kolonien in den Überseegebieten.

Obwohl Malinowski seinen eigenen Ansprüchen über die Qualität einer Ethnographie nicht immer gerechtwerden konnte (vgl. seine Tagebuchnotizen in A Diary in the Strict Sense of the Word, 1967 posthum ohneZustimmung publiziert), gelten diese auch heute noch als Standard.

Malinowski's Richtlinien für ethnographische Erhebungen lauteten:

Feldaufenthalt über einen längeren Zeitraum hinweg (zumindest für ein Jahr, um den gesamtenJahreszyklus dokumentieren zu können);planmäßiger Abbruch aller Kontakte des/r Forschers/in zur eigenen Kultur;Erlernen der "Eingeborenensprache";zum Kernstück wird die sog. participant observation (teilnehmende Beobachtung), die zu einemweitgehenden Einleben und Verstehen der fremden Kultur durch den/die ForscherIn führen soll ("Wehave to become They");Ziel ist die vollständige Integration des/der Forschers/in in die untersuchte Kultur; die Anwesenheitdes/der Ethnographen/in muss so selbstverständlich sein, dass er/sie nicht mehr als störend empfundenwird;die Person des/der Forschers/in wird zum Messinstrument im Feld (im naturwissenschaftlichen Sinn);

Trotz dieser hohen Ansprüche war auch Malinowski auf die Mitarbeit von InformantInnen undDolmetscherInnen angewiesen.

Neben der teilnehmenden Beobachtung führte er (üblicherweise unstrukturierte) Interviews, sammelteGenealogien und Lebensgeschichten (life histories).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.2.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.2.2

5.2.1.3 Human Relations Area Files (HRAF) - George P. Murdock

Die Human Relations Area Files (HRAF) sind eine Datenbank, in welcher systematisch geordnetesethnographisches Datenmaterial von rund 400 Kulturen für weitere statistische Auswertungen zur Verfügungsteht. (Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der HRAF[1])

Die HRAF wurden 1949 von George P. Murdock[2] gegründet und gingen aus dem 1937 entwickelten Cross-Cultural Survey hervor.

Verweise in diesem Kapitel:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

31 von 65 31.01.2011 16:28

Page 32: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

[1] Siehe Kapitel 5.2.1.3.2[2] Siehe Kapitel 5.2.1.3.1

5.2.1.3.1 George P. Murdock

George Peter Murdock (1897 - 1985) war ein amerikanischer Anthropologe, der zum Schülerkreis von FranzBoas[1] zählte. Im Gegensatz zu seinem Lehrer versuchte er die vergleichende Methode (comparativemethod) wieder in die Anthropologie einzuführen und diese als nomothetische Wissenschaft zu etablieren.

Murdock lehrte in Yale und Pittsburgh. 1937 richtete er in Yale den Cross-Cultural Survey als Datenbank fürethnographisches Material ein, aus welchem 1949 die Human Relations Area Files (HRAF) hervorgingen.(Human Relations Area Files (HRAF) - George P. Murdock[2], Theoretische Grundannahmen, Methodenund Techniken der HRAF[3])

1962 gründete Murdock die Zeitschrift Ethnology mit dem Ziel, die ethnographische Datenproduktion und-kommunikation zu steigern.

Ebenso förderte er ethnographische Datenerhebungen im Pazifik und entwickelte ein Programm, das vomOffice of Naval Research unterstützt wurde.

Seine bedeutendsten Werke sind Our Primitive Contemporaries (1934), Social Structure (1949), Outline ofSouth American Cultures (1951), Outline of World Cultures (1954), Africa: Its People and Their Cultural History(1959), Culture and Society (1965), Atlas of World Cultures (1981).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.3[3] Siehe Kapitel 5.2.1.3.2

5.2.1.3.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der HRAF

Im Gegensatz zu seinem Lehrer Franz Boas[1] bemühte sich George P. Murdock[2] um eineWiedereinführung der vergleichenden Methode (comparative method) im Sinne von Morgan und Tylor in dieAnthropologie und um deren Ausrichtung als nomothetische Wissenschaft.

Zu diesem Zweck entwickelte er 1937 zunächst den Cross-Cultural Survey, aus welchem 1949 die HumanRelations Area Files (HRAF) hervorgingen. Bei beiden handelt es sich um eine Datenbank, in der systematisch(nach einem ethnographischen Index) gesammeltes Material von rund 400 Kulturen bereitgestellt ist.

Das Datenmaterial sollte anderen ForscherInnen für statistische Auswertungen zur Verfügung stehen, umVerteilungen von Kulturmerkmalen und historische Beziehungen für bestimmte Kulturareale oder fürähnliche Kulturtypen zu konstruieren.

In seinem bekanntesten Werk, Social Structure (1949), untersucht Murdock ein Sample von 250repräsentativen Gesellschaften z.B. nach dem Zusammenhang von Deszendenzregeln und postmaritalenHeiratsregelungen. So kann er bereits früher vermutete Zusammenhänge zwischen patrilinearer Deszendenzund virilokaler Residenz bzw. zwischen matrilinearer Deszendenz und uxori-lokaler oder viri-avunculokalerResidenz mittels präziser Korrelationen bestätigen. Diese Muster setzt er wiederum statistisch zu anderenMustern (z.B. Subsistenzformen oder Verwandtschaftsterminologien) in Beziehung, um(multi-)evolutionshistorische Entwicklungen aufzuzeigen.

Die Files bieten eine wertvolle Basis für vergleichende quantifizierende Untersuchungen in der Kultur- undSozialanthropologie.

Ihre Vorteile liegen in:

Zugriffsmöglichkeit für alle Subskribenten (Institutionen, WissenschaftlerInnen) auf Xerox oderMikrofiche-Basis; neuere Teile sind unter eHRAF[3] abrufbar.identes Ausgangsmaterial für vergleichende Studien, u.a. basierend auf einem einheitlichenKodeschema, dem so genannten Outline of Cultural Materials (Inhaltsverzeichnis[4]).umfangreiches Datenmaterial

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

32 von 65 31.01.2011 16:28

Page 33: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Qualität und Tiefe der Informationen gingen bereits in der Initialphase über das bisherige Niveau hinaus,da nach einem ethnographischen Index gesammelt wurdedas Anwachsen der Files war mit der zunehmenden Bereitschaft von EthnographInnen verbunden,auch quantifizierende Methoden in ihre Forschungen miteinzubeziehen

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.3.1[3] http://www.library.illinois.edu/edx/hrafgui.htm[4] http://www.library.illinois.edu/edx/hraf_ocm.pdf

5.2.1.4 Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz

Der amerikanische Kulturanthropologe Clifford Geertz[1] vergleicht die Feldforschungssituation mit einemliterarischen Text, voll von Bedeutungen, die der/die ForscherIn eher interpretieren als erklären kann(Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie[2]).

Die in den 1970er Jahren formulierte interpretative Anthropologie leitete das Postmoderne Denken in derKulturanthropologie ein und führte zu einer Betonung von Schreiben und Text, Bedeutung (meaning) undInterpretation im Gegensatz zu Struktur und Kausalität.

Geertz richtet sein Augenmerk weg von generalisierenden Aussagen auf die tiefe Durchdringung einzelnerFälle (thick description oder dichte Beschreibung[3]).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2[3] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2.1

5.2.1.4.1 Clifford Geertz

Clifford Geertz (1926 - 2006) war ein bedeutender amerikanischer Kulturanthropologe, der über sein Fachhinaus Beachtung erlangte und Einfluss auf Philosophie, Literaturwissenschaft, Geschichte, Geographie,Ökologie, Politikwissenschaft u.a. nahm.

Ausgebildet in Harvard unterrichtete er zunächst in Berkeley und Chicago, ab 1970 bis zu seinem Tode (alsEmeritus) an der School of Social Science at the Institute for Advanced Study an der Universität vonPrinceton, N.Y..

Seine Themenschwerpunkte waren u.a. Kultur (allgemein), Religion (speziell der Islam), ökonomischeEntwicklungen, traditionelle politische Strukturen, Dorf- und Familienleben.

Geertz führte intensive ethnographische Forschungen auf Java, Bali und in Marokko durch.

Er vergleicht die Feldforschungssituation mit einem literarischen Text, voll von Bedeutungen, die der/dieForscherIn eher interpretieren als erklären kann. Den Höhepunkt seines Schaffens erreicht Geertz in den1970er und 80er Jahren mit der Begründung der interpretativen Anthropologie. (TheoretischeGrundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie[1])

Er richtet sein Augenmerk weg von generalisierenden Aussagen auf die tiefe Durchdringung einzelner Fälle(thick description oder dichte Beschreibung[2]).

Seine bedeutendsten Werke sind The Religion of Java (1960), Agricultural Involution (1963), Islam Observed:Religious Development in Morocco and Indonesia (1968), The Interpretation of Cultures: Selected Essays (1973,2000), Negara: The Theatre State in Nineteenth Century Bali (1980), Works and Lives: The Anthropologist asAuthor (1988), The Politics of Culture, Asian Identities in a Splintered World (2002).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2[2] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2.1

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

33 von 65 31.01.2011 16:28

Page 34: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.1.4.2 Theoretische Grundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativenAnthropologie

Ausgangspunkt für Clifford Geertz[1] bildet die symbolische Anthropologie, wonach jede Kultur eine relativautonome Ganzheit, ein System von Bedeutungen darstellt, welches der/die Anthropologe/in durch dekodierenund interpretieren erschließen kann.

In seinem Werk The Interpretation of Cultures (1973) vergleicht Geertz die ethnographische Analyse mit derDurchdringung eines literarischen Dokumentes, voll von Bedeutungen, die der/die ForscherIn eherinterpretieren als schlüssig erklären kann. (deshalb die Bezeichnung interpretative Anthropologie).

Die in einer Ethnographie dargestellte Kultur ist als ein Zusammenbau verschiedener Texte zu verstehen:

der Interpretationen der untersuchten Personen über Phänomene ihrer Lebenswelt in Zeit und Raum;Geertz bezeichnet diese als Interpretationen erster Ordnungder Interpretationen der InformantInnen über Phänomene der Lebenswelt in Zeit und Raum; Geertzbezeichnet diese als Interpretationen erster oder zweiter Ordnungder Interpretationen der EthnographInnen über Phänomene von Lebenswelten, die von derenintellektuellem Hintergrund in Zeit und Raum geleitet werden; Geertz bezeichnet diese alsInterpretationen zweiter oder dritter Ordnung.

Die Zusammenführung und Überlagerung dieser einzelnen Interpretationen nennt Geertz thick descriptionoder dichte Beschreibung[2].

Dichte Beschreibungen sind nach Geertz keine „einfachen Beschreibungen“, sondern eine Kombinationvon Beschreibung und Interpretation.

Den Ausdruck thick description übernimmt Geertz vom Sprachphilosophen Gilbert Ryle, der damit eineschnelle Augenlidbewegung in einer Runde von Knaben beschreibt: nur das interpretative, schnelle Erfassender Gesamtsituation lässt Wesentliches von Irrelevantem unterscheiden. Ebenso verfährt der/die EthnographInbei der Zusammenführung aller verfügbaren Interpretationen.

Der tiefen, mikroskopisch genauen Durchdringung einzelner Fälle (dichtes Beschreiben) gibt Geertz denVorzug gegenüber generalisierenden Aussagen.

Wesentliche Bedeutung für die Präsentation der Ethnographie kommt dem Akt und der Art des Schreibens zu,durch den die dichten Beschreibungen zum Ausdruck kommen. Ethnographische Schriften sind nach GeertzFiktionen, weil sie etwas künstlich Geschaffenes sind, müssen aber nicht unbedingt falsch sein. Geertz vertrittdie Ansicht, dass auch Interpretationen wissenschaftlich sein können.

Die interpretative Anthropologie leitete das Postmoderne Denken in der Kulturanthropologie ein und führtezu einer Betonung von Schreiben und Text, Bedeutung (meaning) und Interpretation im Gegensatz zu Strukturund Kausalität.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2.1

5.2.1.4.2.1 Beispiel für eine dichte Beschreibung

Textprobe für eine "dichte Beschreibung" nach Clifford Geertz[1] (siehe auch TheoretischeGrundannahmen, Methoden und Techniken der interpretativen Anthropologie[2]):

"Der Kampf.

Hahnenkämpfe (tetadjen; sabungan) werden in einem Ring abgehalten, der ungefähr fünfzig Fuß im Quadratmißt. Gewöhnlich beginnen sie am späteren Nachmittag und dauern drei oder vier Stunden bis zumSonnenuntergang. Was den allgemeinen Ablauf betrifft, so sind die Kämpfe völlig gleich: es gibt keinenHauptkampf, keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Kämpfen, keine formalen Unterschiede nachGrößen, und ein jeder wird völlig ad hoc arrangiert. Sobald ein Kampf zuende ist und die emotionalen Trümmer

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

34 von 65 31.01.2011 16:28

Page 35: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

beiseite geräumt sind - die Wetten ausbezahlt, die Flüche ausgesprochen und die toten Hähne in Besitzgenommen -, begeben sich sieben, acht, vielleicht ein Dutzend Männer unauffällig mit ihren Hähnen in den Ring,um dort einen passenden Gegner für sie zu finden. Dieser Vorgang, der selten weniger als zehn Minuten dauert,oft sogar länger, findet in einer sehr scheuen, verstohlenen, oft sogar verheimlichenden Weise statt. Die nichtunmittelbar Beteiligten schenken dem Ganzen eine allenfalls versteckte, beiläufige Beachtung; diejenigen, die -zu ihrer Verlegenheit - beteiligt sind, tun irgendwie so, als geschähe das alles überhaupt nicht.

Wenn ein Paar zusammengestellt ist, ziehen sich die anderen Aspiranten mit derselben betonten Gleichgültigkeitzurück. Dann legt man den ausgewählten Hähnen ihre Sporen (tadji) an - rasiermesserscharfe, spitzeStahldolche von vier oder fünf Zoll Länge ...

Sind die Sporen angelegt, werden die Hähne in der Mitte des Ringes von den Hahnenführern (die nicht immeridentisch mit den Besitzern sind) einander gegenüber in Stellung gebracht. Eine Kokosmuß, in die ein kleinesLoch gebohrt ist, wird in einen Eimer mit Wasser geworfen, in dem sie etwa nach einundzwanzig Sekundenuntergeht, eine Zeitspanne, die tjeng genannt wird und deren Anfang und Ende durch das Schlagen einesSchlitzgongs angezeigt wird. Während dieser einundzwanzig Sekunden ist es den Führern (pengangkeb) nichtgestattet, ihre Hähne zu berühren. Wenn es, was zuweilen geschieht, in dieser Zeit zu keinem Kampf zwischenden Tieren gekommen ist, nimmt man sie wieder an sich, sträubt ihre Federn, zieht an ihnen, sticht sie undärgert sie noch auf andere Weise, und setzt sie dann zurück in die Mitte des Ringes, wo der Vorgang von neuembeginnt. Manchmal weigern sie sich selbst dann noch zu kämpfen, oder einer rennt ständig davon; in solch einemFalle werden sie zusammen unter einen Korbkäfig gesteckt, was sie dann für gewöhnlich zum Kämpfen bringt.

In den meisten Fällen jedoch fliegen die Hähne beinahe sofort aufeinander los, in einer flügelschlagenden,kopfstoßenden und um sich tretenden Explosion tierischer Wut, so rein, so absolut und auf ihre Weise so schön,dass sie fast abstrakt zu nennen wäre, ein platonischer Begriff des Hasses."

in: Geertz, Clifford (1983) "Deep Play": Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf. In: ders. DichteBeschreibung. Frankfurt am Main: Suhrkamp (orig. engl. 1973), S. 214-216

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.1.4.2

5.2.1.5 Anthropology at Home

Anthropology at Home oder auto-anthropology (nach Edward Ardener) bedeutet ethnographischeForschung, die im Heimatgebiet der EthnographInnen durchgeführt wird.

Anthropology at Home kann als Überbegriff für unterschiedliche kultur- und sozialanthropologische Studienverstanden werden (siehe Vor- und Nachteile der Anthropology at Home[1]), der sich aus dengesellschaftspolitischen Voraussetzungen[2] des Forschungskontextes ableitet.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.5.2[2] Siehe Kapitel 5.2.1.5.1

5.2.1.5.1 Gesellschaftspolitische Voraussetzungen von Anthropology at Home

Im Gegensatz zur sog. exotischen Anthropologie, welche ihre Forschungsgebiete vornehmlich inÜberseeländern suchte, betreibt die Anthropology at Home[1] ihre Untersuchungen im Heimatgebiet derEthnographInnen.

Trotz einzelner Studien führte die mainstream Kultur- und Sozialanthropologie bis zu Beginn der 1970er Jahreihre Erhebungen vorwiegend in Überseegebieten durch.

Einreisebeschränkungen in viele der ehemaligen (kolonialen) Forschungsländer, bei gleichzeitigem rasantemAnsteigen an ausgebildeten AnthropologInnen führten vermehrt dazu, den ethnographischen Blick weg vonexotischen Gebieten auf die eigene Kultur/Subkulturen zu richten. Zudem begannen immer mehr indigene, anwestlichen Universitäten ausgebildete Kultur- und SozialanthropologInnen, ihre eigenen Heimatgebiete zuerforschen.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

35 von 65 31.01.2011 16:28

Page 36: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Stanley R. Barrett unterscheidet nach den gesellschaftspolitischen Voraussetzungen derForschungsbedingungen unterschiedliche Typen von Anthropology at Home:

Insider Anthropology wird von EthnographInnen betrieben, die aus den das Forschungsgebietdominierenden Gruppen stammen.Native Anthropology wird von EthnographInnen betrieben, die aus Minderheiten-Gruppen imForschungsgebiet stammen.Indigenous Anthropology wird von so genannten „3.Welt-AnthropologInnen“ betrieben, die Forschungin ihrem Heimatland betreiben.

Bei dieser Dreiteilung von Barrett wird deutlich, dass sich die Differenz zwischen Insider und NativeAnthropology innerhalb der Indigenous Anthropology der 3.Welt-AnthropologInnen wiederholt.

Anthropology at Home kann als Überbegriff für unterschiedliche kultur- und sozialanthropologische Studienverstanden werden (siehe Vor- und Nachteile der Anthropology at Home[2]).

Literatur:

Barrett, Stanley R. (1996) Anthropology. A Student´s Guide to Theory and Method. Toronto: University of TorontoPress

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.1.5[2] Siehe Kapitel 5.2.1.5.2

5.2.1.5.2 Vor- und Nachteile der Antrhopology at Home

Anthropology at Home kann als Überbegriff für unterschiedliche kultur- und sozialanthropologische Studienverstanden werden, der sich aus den gesellschaftspolitischen Voraussetzungen des Forschungskontextesableitet.

Im Rahmen der Anthropology at Home können bei ethnographischen Untersuchungen sowohl qualitative wiequantitative Methoden herangezogen werden.

Die Vorteile für Anthropology at Home sind:

Wegfall langer Anreisen und erheblicher Reisekosten,linguistische Kompetenz,kein bedingungsloses Angewiesensein auf InformantInnen,als Insider leichteres Verständnis der kulturellen Problematik,sowie größere Kapazität, kulturelle Nuancen von non-verbalen und verbalen Daten wahrzunehmen.

Die Nachteile für Anthropology at Home sind:

Auf Grund der Vertrautheit werden viele Dinge des Alltagslebens von den ForscherInnen nicht hinterfragtund analysiert.Zu geringe soziale Distanz zur untersuchten Gruppe kann einem unparteiischen Verhalten derForscherInnen entgegenstehen.Fehler im Verhalten der EthnographInnen werden nicht toleriert, da erwartet wird, dass die sozialenRegeln bekannt sind.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel[2] Siehe Kapitel

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

36 von 65 31.01.2011 16:28

Page 37: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.2 Die praktische Umsetzung einer ethnographischen Feldforschung

Die praktische Umsetzung einer ethnographischen Feldforschung beginnt bereits zuhause im Rahmen einergezielten Vorbereitung. Vor Ort kommt die Umsetzung der Feldforschung nicht nur im Einsatz verschiedenerForschungsmethoden[1] und dem Anlegen von Feldnotizen[2] zum Ausdruck sondern auch im Umgangund der Zusammenarbeit mit InformantInnen, der Definition der eigenen Rolle im Feld und dem Aufbau einesNetzwerkes persönlicher Beziehungen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3

5.2.2.1 Worin besteht die richtige Vorbereitung für eine Feldforschung?

Vor dem Beginn einer empirischen Datenerhebung im Feld sollten Sie sich bereits zu Hause mit

der fachlich-wissenschaftlichen Vorbereitung[1],der praktisch-organisatorischen Vorbereitung[2],sowie ihrer persönlichen Vorbereitung[3] beschäftigen und über diese Bereiche Klarheit gewinnen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2[3] Siehe Kapitel 5.2.2.1.3

5.2.2.1.1 Fachlich-wissenschaftliche Vorbereitung

Die fachlich-wissenschaftliche Vorbereitung der Feldforschung soll durch Literatur- und Sprachstudium zurHerausbildung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des gewählten Themas beitragen.

Zum wissenschaftlichen Vorverständnis zählen die Ausarbeitung der wissenschaftstheoretischenPosition[1], die Ausarbeitung der anzuwendenden Methode(n) und Techniken[2], der Erwerb vonRegionalkenntnissen[3], der Erwerb von Sachkenntnissen[4] sowie sprachliche Vorkenntnisse[5].

Neben der fachlich-wissenschaftlichen Vorbereitung müssen die praktisch-organisatorische Vorbereitung[6]und die persönliche Vorbereitung[7] einer Feldforschung durchgeführt werden.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.2[3] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.3[4] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.4[5] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5[6] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2[7] Siehe Kapitel 5.2.2.1.3

5.2.2.1.1.1 Ausarbeitung der wissenschaftstheoretischen Position

Zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des Forschungsthemas zählt die Abklärungder wissenschaftstheoretischen Position, die der Feldforschung zu Grunde liegt.

Wenn ich z.B. eine Mythenforschung plane, wird zunächst mein theoretischer Zugang (historisch,strukturalistisch etc.) festzulegen sein.

Die gewählte theoretische Ausrichtung bestimmt die Ausarbeitung der anzuwendenden Methode(n) undTechniken[1].

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.2

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

37 von 65 31.01.2011 16:28

Page 38: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.2.1.1.2 Ausarbeitung der anzuwendenden Methode(n) und Techniken

Zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des Forschungsthemas zählt nach erfolgterAusarbeitung einer wissenschaftstheoretischen Position[1] die Ausarbeitung der anzuwendendenMethode(n) und Techniken.

Wenn ich z.B. eine Mythenforschung im Sinne der theoretischen Position des Strukturalismus plane, werde ichmich bei meinen Erhebungen der strukturalistischen Methode und ihrer Techniken bedienen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.1

5.2.2.1.1.3 Erwerb von Regionalkenntnissen

Zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des gewählten Themas zählt die Aneignungvon umfassenden Regionalkenntnissen des Gebietes, wo die Feldforschung stattfinden wird.

5.2.2.1.1.4 Erwerb von Sachkenntnissen

Zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des gewählten Forschungsthemas zählt dieAneignung von umfassenden Sachkenntnissen jener Themen, welche im Rahmen der Feldforschunguntersucht werden sollen, wie z.B. Migration, Religion, Kunst etc.

5.2.2.1.1.5 Sprachliche Vorkenntnisse

Zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Vorverständnisses des gewählten Themas zählt die Aneignungvon Vorkenntnissen jener Sprache(n), welche im Forschungsgebiet gesprochen wird (werden).

Die Sprache ist das erste und wichtigste Kommunikationsmittel zwischen ForscherIn und untersuchterGesellschaft. Sie vermittelt den Zugang zu jener sozialen Realität, welche studiert werden soll.

Kultur- und SozialanthropologInnen stehen im Rahmen der weltweit über 6900 lebenden Sprachen[1] in derRegel mehrere Möglichkeiten zur verbalen Kommunikation offen:

die Arbeit mit einer auch lokal verbreiteten Sprache europäischen Ursprungs[2],die Arbeit mit einer lokalen Verkehrssprache[3]oder die Arbeit in der lokalen bzw. indigenen Sprache[4], welche im Forschungsgebiet gesprochen wird.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.ethnologue.com/web.asp[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.1[3] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.2[4] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.3

5.2.2.1.1.5.1 Sprachen europäischen Ursprungs

Im Zuge des Kolonialismus wurden europäische Sprachen (z.B. Englisch, Spanisch, Französisch,Portugiesisch, Russisch etc.) in weiten Teilen der Welt verbreitet und auch zu offiziellen Sprachen der neuentstandenen Nationalstaaten.

Die Arbeit mit einer auch lokal verbreiteten Sprache europäischen Ursprungs hat den Vorteil, dass sie denForscherInnen leicht zugänglich ist. Der Nachteil der Kommunikation mit der europäischen Sprache liegtdarin, dass sie in der Regel die Bildungssprache nur bestimmter, oft privilegierter Schichten ist. Einem/einerForscherIn, die nur in dieser Sprache kommuniziert, ist der Zugang zu all jenen (Alltags-)Bereichen undPersonengruppen verwehrt, innerhalb derer andere Sprachen gesprochen werden.

Die Notwendigkeit des Erwerbs unterschiedlicher Sprachkenntnisse hat sich deshalb immer am zuuntersuchenden Feld zu orientieren. Ohne Kenntnis der im Alltag verwendeten Sprachen ist es nicht möglich,

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

38 von 65 31.01.2011 16:28

Page 39: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

die lokalen Konzepte und Strategien der Akteure zu erfassen.

Deshalb ist neben der Kommunikation in der Sprache europäischen Ursprungs der Erwerb von sprachlichenVorkenntnissen in einer lokalen Verkehrssprache[1] und/oder der indigenen Sprache[2] sinnvoll.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.2[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.3

5.2.2.1.1.5.2 Lokale Verkehrssprachen und Pidgin

Der Erwerb von Vorkenntnissen der lokalen Verkehrssprache (lingua franca bzw. Pidgin), welche imForschungsgebiet gesprochen wird, ist neben der Verwendung einer Sprache europäischen Ursprungs[1]und der lokalen bzw. indigenen Sprache[2] eine Möglichkeit zur Kommunikation im Rahmen derFeldforschung.

Lokale Verkehrssprachen werden in einem weiten Regionalgebiet als Handelssprachen und zurinterethnischen Kommunikation von mehreren Gruppen verwendet, die aber an sich jede eine andereSprache sprechen. Lingua franca bzw. Pidgin sind deshalb aus der Sicht der SprecherInnen immerZweitsprachen und keine Muttersprache.

So gilt z.B. das Arabische in weiten Teilen Ost-Afrikas als lingua franca; ebenso das Spanische bzw.Portugiesische für gewisse Indigene in Meso- und Süd-Amerika.

Der Nachteil der Arbeit mittels einer Verkehrssprache besteht darin, dass zwar interethnischeKontaktsituationen verstanden und erforscht werden können, der muttersprachliche Alltag ohne die Kenntnisder lokalen bzw. indigenen Sprache aber nicht bzw. nur unzureichend erfasst werden kann.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.3

5.2.2.1.1.5.3 Lokale bzw. indigene Sprachen

Neben der Arbeit mittels Sprache europäischen Ursprungs[1] und lokaler Verkehrssprache[2] besteht dieMöglichkeit zur Kommunikation in der lokalen bzw. indigenen Sprache. Dabei kann es sich auch um Creol-Sprachen[3] handeln, die zur Muttersprache bestimmter Bevölkerungsgruppen geworden sind.

Die Arbeit mit der indigenen Sprache hat den Vorteil der unverzerrten Artikulation seitens der untersuchtenPersonen, wodurch die dahinter liegenden Denkkategorien ungefiltert zum Ausdruck kommen und erforschtwerden können.

Ein weiterer Vorteil liegt in der besseren sozialen Einbindung der ForscherIn in die Gruppe, da dasSprechen der Muttersprache oft als ein Akt der Höflichkeit und des Interesses gewertet und honoriert wird.

Der Nachteil besteht darin, dass die Möglichkeit des Lernens einer indigenen Sprache, die nicht schriftlich fixiertist, nur selten vor der Abreise zur Feldforschung gegeben ist.

In diesem Falle lohnt sich als Vorbereitung die Aneignung bestimmter Lerntechniken im Rahmen derallgemeinen Sprachwissenschaft (z.B. Gudschinsky, Sahra C. [1971] How to Learn an Unwritten Language. NewYork: Holt, Rinehart und Winston).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1.5.2[3] http://www.ethnologue.com/15/show_family.asp?subid=90083

5.2.2.1.2 Praktisch-organisatorische Vorbereitung

Neben der fachlich-wissenschaftlichen Vorbereitung[1] und der persönlichen Vorbereitung[2] einerFeldforschung ist ebenso die praktisch-organisatorische Vorbereitung durchzuführen.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

39 von 65 31.01.2011 16:28

Page 40: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Die praktisch-organisatorische Vorbereitung einer Feldforschung umfasst in erster Linie administrativeTätigkeiten. Diese sollten am besten in Form einer check-list zunächst übersichtlich dargestellt und im Zugeder Vorbereitung nach Erledigung abgehakt werden.

Die check-list soll zumindest die detaillierten Rubriken Projektanträge[3], Kontakte zu Institutionen imForschungsland[4], Empfehlungsschreiben[5], Reisemodalitäten[6], Unterbringungsmöglichkeiten[7],medizinische Maßnahmen[8] und technische Ausrüstung[9] umfassen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.3[3] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.1[4] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.2[5] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.3[6] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.4[7] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.5[8] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.6[9] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.7

5.2.2.1.2.1 Projektanträge

Projektanträge auf die Gewährung von Fördermitteln, etwa im Rahmen von Stipendien[1], für dasForschungsvorhaben sollen möglichst früh bei den zuständigen Stellen eingereicht werden, um über denfinanziellen Rahmen des Projektes Bescheid zu wissen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://studieren.univie.ac.at/?id=33

5.2.2.1.2.2 Kontakte zu Institutionen im Forschungsland

Es ist empfehlenswert, bereits vom Heimatort aus Verbindung zu österreichischen Botschaften, Kulturinstituten,Handelsdelegationen etc. sowie Universitäten im Land, wo die Feldforschung stattfinden soll, aufzunehmen.

Diese Kontakte können sich für wertvolle Forschungshinweise, aber auch fürUnterbringungsmöglichkeiten[1] oder im Falle von Krankheit oder anderen Schwierigkeiten als sehr wertvollerweisen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.5

5.2.2.1.2.3 Empfehlungsschreiben

Empfehlungsschreiben maßgeblicher österreichischer Institutionen (z.B. der Universität Wien) können sich imForschungsland als überaus nützlich erweisen.

Sie umreißen kurz das wissenschaftliche Anliegen des geplanten Projektes und ersuchen um weitestgehende Unterstützung der ForscherIn.

5.2.2.1.2.4 Reisemodalitäten

Zeitgerecht vor Antritt der Feldforschung ist die (kostengünstigste) An- und Rückreisemöglichkeit bzw. dieReiseroute festzulegen.

Beachten Sie unbedingt die Einreisebedingungen des Forschungslandes (z.B. Visum,Aufenthaltsgenehmigung etc.)!

5.2.2.1.2.5 Unterbringungsmöglichkeiten

Es ist empfehlenswert, bereits vor Antritt der Reise die Unterbringungsmöglichkeiten im Forschungsland

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

40 von 65 31.01.2011 16:28

Page 41: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

(zumindest für die ersten Tage) zu organisieren.

Kontakte zu Institutionen im Forschungsland[1] können sich diesbezüglich als nützlich erweisen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2.2

5.2.2.1.2.6 Medizinische Maßnahmen

Informieren Sie sich rechtzeitig, welche ärztlichen Vorsorgemaßnahmen (z.B. Impfungen) für ihrForschungsland vorgeschrieben sind!

Diesbezügliche Informationen erteilen die Gesundheitsämter der Gemeinden, die Wiener Tropen- bzw.Hygiene-Institute u.a. öffentliche und private Stellen.

Da einige Impfungen eine längere Vorlaufzeit brauchen bzw. wiederholt werden müssen, um wirksamenSchutz zu bieten, ist unbedingt auf eine zeitgerechte Durchführung zu achten!

Ebenfalls ist die Zusammenstellung einer geeigneten Reiseapotheke zu planen, da in manchenFeldforschungsgebieten die medizinische Versorgung kaum oder nur mangelhaft gewährleistet ist.

5.2.2.1.2.7 Technische Ausrüstung

Überprüfen Sie vor Antritt der Feldforschung unbedingt die Funktionstüchtigkeit der technischenAusrüstung (Notebook, Fotoapparat, Filmkamera, Diktiergerät etc.) und achten Sie auf das nötigeZusatzmaterial.

5.2.2.1.3 Persönliche Vorbereitung: Selbstreflexion der ForscherIn

Neben der fachlich-wissenschaftlichen Vorbereitung[1] und der praktisch-organisatorischen Vorbereitung[2] einer Feldforschung ist auch die persönliche Vorbereitung der ForscherInnen in Form einerSelbstreflexion von Bedeutung:

Die Zeit der Feldforschung bedeutet für alle ForscherInnen auch eine große persönlich-menschliche Erfahrung,die vielfach mit einer Initiationsphase verglichen wird.

Wie letztere birgt sie viele neue Erfahrungen, Unerwartetes, physisch wie psychisch Belastendes.

Deshalb empfehlen insbesondere amerikanische Methodenlehrbücher sich vor einer Feldforschung einerAnalyse bei einem/einer Therapeuten/In zu unterziehen, um eigene Aggressionspunkte, Projektionen etc.auszuloten.

Zur Selbstreflexion der EthnographInnen siehe auch folgende Literatur: Barrett, Stanley R. (1996) A Student´sGuide to Theory and Method. Toronto: University of Toronto Press; Davies, Charlotte Aull (2007) ReflexiveEthnography. A guide to researching selves and others. London: Routledge.

Auch ohne fachliche Unterstützung empfiehlt es sich in jedem Falle mittels Selbstreflexion seine eigenenSchwächen und Stärken und die daraus resultierenden Reaktionen unter unüblichen Konditionen kennenzu lernen.

Auch während des Feldforschungsaufenthaltes sollte diese Selbsttherapie durch die Führung einespersönlichen Tagebuches fortgesetzt werden.

Durch das spontane Aufschreiben aller persönlichen Betroffenheiten, Emotionen und Handlungen desabgelaufenen Tages lässt sich somit eine gewisse Distanz schaffen, um individuelle Befindlichkeiten undwissenschaftliche Fakten zu entwirren.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.2.1.1[2] Siehe Kapitel 5.2.2.1.2

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

41 von 65 31.01.2011 16:28

Page 42: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.3 Wie schreibt man Feldnotizen?

Das Verfassen von Feldnotizen gehört neben anderen Strategien (Aufnehmen von Interviews, Fotografieren,Filmen, etc.) zu den zentralen ethnografischen Verfahren der Datendokumentation. Der Kern diesesVerfahrens besteht darin, Erfahrungen, Erlebnisse und Beobachtungen, die man als FeldforscherIn im Feldmacht, systematisch in brauchbare Daten zu transformieren. Dabei stellen sich unterschiedliche Fragen:

Wie stellt sich das Verhältnis von verschriftlichten Daten und Erinnerungen[1] dar?Was kann ich tun, damit ich mich an das Beobachtete und Erlebte wieder erinnere[2] ?Wie kann ich die Beobachtungen zu vernünftigen schriftlichen Feldnotizen ausarbeiten[3] ?Aus welchen Textgattungen[4] bestehen Feldnotizen?

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.1[4] Siehe Kapitel 5.2.3.4

5.2.3.1 Headnotes und Fieldnotes

Ein zentrales Moment des Feldforschungsprozesses besteht in der Transformation vonFeldforschungserfahrungen in verschriftlichte Feldforschungsnotizen, die dann für weitere Analysen verwendetwerden können. Als FeldforscherIn kommt man aber nicht nur mit fieldnotes aus dem Feld zurück, sondernauch mit "headnotes", das heißt sowohl mit verschrifltichten Daten, wie mit einem Pool von Erfahrungen undErinnerungen. Während die verschriftlichten Daten bleiben wie sie sind, ändern sich die headnotes im Laufeder Zeit und damit auch die retrospektive Interpretation der fieldnotes. Wie Sanjek (1990: 93) unter Verweis aufOttenberg feststellt, ist Ethnographie daher ein Produkt dieses Wechselverhältnisses zwischen fieldnotesund headnotes.

5.2.3.2 Von der ethnographischen Erfahrung zu den Feldnotizen

Nachdem der Zugang zu einem Feld geschaffen wurde, beginnt man auf unterschiedliche Art und Weise indiesem zu interagieren und zu partizipieren. Dabei kann es sich zu Beginn um informelle Gespräche undBeobachtungen handeln, welche zu einem allmählichen Kennenlernen von lokalen Routinen und einem lokalenAlltagsverständnis führen. Dies führt in weiterer Folge zu einem "Eintauchen" in andere Lebenswelten und dielokale Kultur. Die zentrale Strategie ist eine "teilnehmende Beobachtung[1] ", wobei der Anteil derBeobachtung und der Teilnahme sich je nach Phase der Feldforschung unterschiedlich gestalten wird.

Im Zuge dieser ethnographischen Erfahrung wird nicht nur explizites Wissen generiert, sondern auchimplizites, so genanntes "tacit knowledge", das heißt verinnerlichtes Wissen, welches zu einem Teil derPersönlichkeit des/der ForscherIn wird und mit der Übernahme von Regeln und Verhaltensweisen derjeweiligen Kultur einhergeht. Bei diesem impliziten "tacit konwledge" handelt es sich um eine zum Teilunbewusste bzw. halb-bewusste Verinnerlichung (embodyment) anderer kultureller Praktiken. ImGegensatz dazu stehen die bewussten Erfahrungen und die sich im Laufe der Zeit verändernden Erinnerungen(headnotes[2]).

Der zentrale Punkt der diese ethnographische Erfahrung zu einem Teil eines wissenschaftlichen, methodischenVorgehens macht, besteht darin, diese Erfahrung fest zu halten, explizit zu machen und zu verschriftlichen. Indiesem Prozess werden diese Erfahrungen in Daten in Form von Feldnotizen transformiert. Methodischbetrachtet handelt es sich dabei um einen Kernprozess der Feldforschung.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.1.1.2[2] Siehe Kapitel 5.2.3.1

5.2.3.3 Feldnotizen als Daten

Wie alle anderen Daten beinhalten auch Feldnotizen sowohl Informationen, Beschreibungen und Aussagenüber ein Feld, als auch über die Art der Beobachtung, in diesem Fall des/der EthnographIn. Deshalbbeinhalten Feldnotizen durchaus auch intime Informationen über den/die FeldforscherIn, seine/ihre

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

42 von 65 31.01.2011 16:28

Page 43: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Befindlichkeit, Ängste, Wünsche und Hoffnungen.

Innerhalb eines Forschungsprozesses machen Feldnotizen retrospektiv die eigenen Vorannahmen deutlich.Dies kommt z.B. dadurch zum Ausdruck, dass man beschreibt was man als neu und überraschend erlebt. Auseinem analytischen Blickwinkel macht dies (implizite) Erwartungshaltungen und möglicherweise unbewussteGrundannahmen sowie eigene Kategorien und Bewertungsschemata deutlich.

Feldnotizen veranschaulichen aber auch die Sensibilitäten des/der FeldforscherIn. Sie machen deutlich, wasman zu Beginn einer Feldforschung wahrgenommen hat und was gegen Ende, was man zu gewissen Zeitennoch nicht bzw. nicht mehr - weil es selbstverständlich geworden ist - gesehen hat. Sie veranschaulichen,wofür man sensibilisiert wurde und was man in Interaktion mit dem Feld gelernt hat.

Feldnotizen machen aber auch die interaktiven Prozesse der Rollendefinition, das heißt das "role making"und "role taking", des/der FeldforscherIn deutlich. Welche Rollen sind im Feld für den/die ForscherInvorhanden, welche bekommt er/sie zugeschrieben, wie geht er/sie damit um, was heißt dies für dieMöglichkeiten der Forschung und Datengewinnung und wie verändert sich die Rolle, die man alsFeldforscherIn einnimmt im Laufe der Zeit?

Feldnotizen können die ethnographische Erfahrung aber nie ungefiltert wieder geben. Die ethnographischeErfahrung selbst beruht bereits auf einer selektiven Wahrnehmung von den im Feld stattfindendenEreignissen. Im Zuge einer Feldforschung ändert sich die Selektivität mit der man Ereignisse im Feldwahrnimmt, da diese von Wissen und Erfahrung abhängig sind.

Bei der Transformation der ethnographischen Erfahrung in verschriftlichte Daten kommt es unweigerlich zueiner weiteren Selektion: Einerseits werden nicht alle Erfahrungen verschriftlicht (d.h. sie bleiben im besten Fallheadnotes[1], z.B. weil gewisse Ereignisse als nicht relevant erscheinen), andererseits bieten sichunterschiedliche Möglichkeiten der Beschreibung einer Erfahrung bzw. eines Ereignisses. Es stellt sich also dieFrage, welche Strategien[2] man sowohl im Feld, wie beim Ausarbeiten der Feldnotizen am Schreibtisch[3]anwenden kann, um möglichst qualitätsvolle Aufzeichnungen zu produzieren.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.1

5.2.3.4 Fieldnotes als unterschiedliche Textsorten

Der Charakter von Feldnotizen unterscheidet sich nicht nur individuell und Anlass bezogen je nachForscherIn und Projekt, sondern fieldnotes bestehen im Normalfall aus sehr unterschiedlichen und sichgegenseitig ergänzenden Formen des Schreibens und resultierender Textsorten.

So unterscheidet Clifford (1990) drei Arten des Schreibens:

1) aufschreiben[1] (inscribing): das Aufschreiben eines Wortes oder einer Phrase, um eine Beobachtungfestzuhalten oder um sich daran zu erinnern, was jemand gesagt hat.

2) transkribieren[2] (transcribing): das Verschriftlichen von Erzählungen, Mythen, Erklärungen etc. mit Hilfevon InformantInnen und/oder vom Band.

3) beschreiben[3] (describing): die Produktion einer mehr oder weniger kohärenten Repräsentation derbeobachteten kulturellen Realität.

Zu den Textsorten, welche die fieldnotes umfassen, gehören u.a.:

Stichwörter[4],ausgearbeitete Feldnotizen[5],Transkripte[6],spezialisierte Datensammlungen[7],Memos[8],eine Metadatendokumentation[9] sowieschriftliche Interaktionen aus dem Feld[10].

Verweise in diesem Kapitel:

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

43 von 65 31.01.2011 16:28

Page 44: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.4[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.1[4] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[5] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2[6] Siehe Kapitel 5.2.3.4.4[7] Siehe Kapitel 5.2.3.4.5[8] Siehe Kapitel 5.2.3.5.4[9] Siehe Kapitel 5.2.3.4.6[10] Siehe Kapitel 5.2.3.4.7

5.2.3.4.1 Stichwortzettel

Ein zentraler Aspekt der Verschirftlichung und des Ausarbeitens von Feldnotizen ist die Notwendigkeit sich andie Ereignisse und Erlebnisse so detailgetreu wie möglich zu erinnern. Neben Mnemotechniken kommen dabeiauch andere Erinnerungshilfen, wie z.B. das Aufschreiben (inscribing[1]) von Stichwörtern, zum Einsatz.Klassischerweise macht man sich auf kleinen Stichwortzetteln Notizen, die das nachträgliche Ausarbeiten derFeldnotizen unterstützen. Heutzutage kann es sich aber auch um kurze, in ein Diktiergerät gesprocheneSätze oder in ein Handy getippte Notizen handeln. Je nach Feldsituation ist zu entscheiden, ob, wann, wieoffen und wie[2] solche Erinnerungshilfen angelegt werden können.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

44 von 65 31.01.2011 16:28

Page 45: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Abbildung: Stichwortzettel von Margaret Mead vom Feldforschungsaufenthalt bei den Tchambuli imFrühling 1933. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

45 von 65 31.01.2011 16:28

Page 46: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1

5.2.3.4.1 Empfehlungen für das Festhalten von Stichwörtern

Um möglichst lebendige und beschreibende fieldnotes zu produzieren geben Emerson et al (1995: 32ff)folgende Empfehlungen für das Festhalten von Stichwörtern. Man sollte:

Kernelemente beobachteter Szenen und Interaktionen festhalten, etwa Fragmente von Handlungen bzw.Gesprächen;allgemeine generalisierende Charakterisierungen vermeiden, z.B. einen Arbeitsprozess nicht als"geschickt" bzw. "ungeschickt" charakterisieren, sondern Stichwörter festhalten, die es erlauben denProzess als solchen zu beschreiben;konkrete Sinneseindrücke im Bezug auf Handlungen und Gespräche festhalten, z.B. nicht bloßbehaupten, dass jemand verärgert ist, sondern seine/ihre Reaktionen und Äußerungen beschreiben unddadurch den emotionalen Zustand nachvollziehbar machen. Der Fokus sollte darauf liegen, wie Gefühle

Abbildung: Stichwortzettel von Margaret Mead vom Feldforschungsaufenthalt bei den Tchambuli imFrühling 1933. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

46 von 65 31.01.2011 16:28

Page 47: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

zum Ausdruck gebracht werden und nicht darauf, was vermeintliche Gefühle sind.jene Sinneseindrücke festhalten, die zentral sind, aber die man leicht vergessen würde. Dazu ist esnotwendig, die Selektivität der eigenen Erinnerung kennen zu lernen.Stichwörter sollen generelle Eindrücke und Gefühle signalisieren auch wenn man sich in der Situationnoch nicht über deren Relevanz im Klaren ist.

5.2.3.4.2 Ausgearbeitete fieldnotes

Im Gegensatz zu den Erinnerungen (headnotes)[1], dem erworbenen "tacit knwoledge[2] " und denStichwortzetteln[3] handelt es sich bei den ausgearbeiteten fieldnotes nicht um rohe, einfach nuraufgeschriebene Daten, sondern um die Produktion einer kohärenten Beschreibung. Diese ist zentral imFeldforschungsprozess und solche Beschreibungen müssen produziert werden, können akkumuliert, späterkodiert bzw. indiziert werden und bilden die Grundlage für jedwede weitere Analyse. Ausgearbeitetefieldnotes repräsentieren somit nicht nur mechanisch Erinnertes, vielmehr sind die präsentierten Faktenausgewählt, fokussiert und bereits ansatzweise interpretiert.

Sie entstehen nicht nur aus einem Prozess des Auf- bzw. Niederschreibens (write down bzw. inscription[4])sondern in einem schriftlichen Ausformulieren (wirte up bzw. description), welches bewusst zusammengesetzte(dichte) Beschreibungen produziert. Im Prozess der Ausarbeitung können unterschiedliche Schreibstile undStrategien[5] angewandt werden.

"PARTIAL TRANSCRIPTION OF PAGE:

Consider difference [between?] boys + girls in affective vs. cognitive culture. Diff. strong Arapesh, MundugumorTjambuli (less)?

Iatmul Diff. slighter - Manus(?)

Bali Samoa Manus and Tj. are borderline cases.

Due to early affective assimilation of girls to adult female standard -impossible for boys- Perhaps differentialintellectual curiosity of boys + girls may be partly laid to this rather than to drive."

(Quelle: http://www.loc.gov/exhibits/mead/...[6] 06.04.2007)

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

47 von 65 31.01.2011 16:28

Page 48: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.2[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[4] Siehe Kapitel 5.2.3.4[5] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2[6] http://www.loc.gov/exhibits/mead/field-iatmul.html

5.2.3.4.2.1 Das Ausarbeiten der Fieldnotes

Das Ausarbeiten der fieldnotes ist im Normalfall ein zeitaufwendiger Prozess und man sollte davonausgehen, dass für jede Stunde Beobachtungszeit zumindest eine weitere Stunde benötigt wird um dieBeobachtungen in einer schriftlichen Form auszuarbeiten. Heute können solche fieldnotes zum Teil mittelsSpracherkennungssoftware diktiert werden. In der Literatur findet sich die Empfehlung, fieldnotes so rasch wiemöglich zu verfassen, damit der Eindruck des Erlebten möglichst „frisch“ und unverändert ist. Gespräche übererlebte Ereignisse führen dazu, das Verständnis des Erlebten zu transformieren bzw. bereits selektiv zuinterpretieren, weshalb empfohlen wird, die Feldnotizen zu verfassen, bevor eine solche Transformationstattfindet. In der Praxis eines permanenten Feldaufenthaltes erweist es sich zumeist als schwierig, mit seinenfieldnotes up to date zu sein und erfordert oft äußerste Disziplin.

Die Art und Weise, wie die fieldnotes verfasst werden, ist natürlich auch vom intendierten bzw. imaginiertenPublikum abhängig. Also von der Frage, ob sie anderen zur Verfügung gestellt werden, oder ob es sich um reinpersönliche und intime Aufzeichnungen handelt. Wichtig ist, dass die fieldnotes auch ausreichende Details

Abbildung: Fieldnotes von Margaret Mead, "Iatmul fieldnotes for May 5, 1938.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

48 von 65 31.01.2011 16:28

Page 49: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

und Hintergrundinformationen beinhalten, so dass sie auch nach Jahren noch sinnvoll interpretierbar sind,wenn der unmittelbare Eindruck der Feldsituation bereits verblasst ist. Wenn man Feldnotizen im Bewusstseinverfasst, dass diese für ein breiteres Publikum bestimmt sind, so werden die Aufzeichnungen im Normalfallreichhaltiger sein, mehr Hintergrund- und Kontextinformationen beinhalten und vermeintlich selbstverständlicheDetails expliziter ausführen.

5.2.3.4.2.2 Stile und Strategien des Verfassens von Fieldnotes

Es existieren unterschiedliche Strategien, die Feldnotizen auszuarbeiten. Ausgangspunkt des Ausarbeitenssind die Stichwörter[1] und Notizen, welche man z.B. im Laufe eines Tages verfasst hat. Ausgehend davonkann man chronologisch vorgehen und die Ereignisse des Tages in ihrer Abfolge beschreiben oder aber dasAusarbeiten der Feldnotizen nach thematischen Prinzipien organisieren. Darüber hinaus kann man auch miteiner möglichst detaillierten lebendigen Beschreibung besonderer Ereignisse beginnen, welche dann imRahmen der sonstigen Tagesereignisse bzw. thematischen Zusammenhänge verankert werden.

Ziel ist, aus der fragmentierten und zerstückelten Information, welche die Stichwörter darstellen, eine kohärenteBeschreibung anzufertigen. Dabei ist zu beachten, dass der Großteil der Information der zu erstellendenBeschreibung nicht in den Stichwörtern festgehalten wurde, denn diese stellen nur Hilfen dar, umErinnerungen reaktualisieren und verschriftlichen zu können. Dementsprechend werden direkte Zitate in diesenBeschreibungen nur dann eingesetzt, wenn es sich um Aussagen handelt, die direkt im Feld aufgezeichnetwurden, nicht aber, wenn es sich um eine gedächtnisgestützte Rekonstruktion des Gesagten handelt. BeimAusarbeiten der fieldnotes handelt es sich bereits um eine erste vorläufige Interpretation in der Erfahrungengeordnet und Interaktionsmuster benannt werden. Möglicherweise werden nicht alle stichwortartigenAufzeichnungen in die ausgearbeiteten fieldnotes inkludiert, da sie zu einem gewissen Zeitpunkt noch keinenSinn machen, das heißt noch nicht sinnvoll interpretiert werden können. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnensie aber zu einem späteren Zeitpunkt für die Analyse des Materials relevant werden. Deshalb ist es ratsam auchvage, scheinbar unwichtige, nicht oder nur ansatzweise verstandene Details festzuhalten, da diese aufPhänomene verweisen können, die sich zu einem späteren Zeitpunkt als zentral erweisen.

Die konkreten Beschreibungen können auf doppelte Weise unterschiedlich organisiert sein: Einerseits kann dieBeschreibung aus unterschiedlichen Perspektiven[2] erfolgen, andererseits kann der zeitliche Ablauf[3] derBeschreibung variieren. Weiters kann man Szenen mittels unterschiedlicher Verfahren darstellen[4] unddiese Szenen miteinander in Beziehung setzten[5].

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.1[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.2[4] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3

Abbildung: Gregory Bateson und Margaret Mead beim Ausarbeiten der Fieldnotesim R22;MoskitozimmerR20; bei den Iatmul 1938. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

49 von 65 31.01.2011 16:28

Page 50: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

[5] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.4

5.2.3.4.2.2.1 Beschreibungsperspektiven

Die Beschreibung kann grundsätzlich aus drei unterschiedlichen Perspektiven erfolgen: aus der Perspektivedes Ich- Erzählers, aus der Position dritter Personen bzw. aus einer „Allwissenden Perspektive“ (Emerson et al1995: 52ff):

Aus der Perspektive des Ich-Erzählers kann man als EthnographIn die eigene Geschichte darstellen, indem man festhält, was man weiß, erfahren und gefühlt hat, während man mit Anderen interagiert hat.Diese Perspektive ermöglicht es, die eigenen Erfahrungen und Reaktionen in Auseinandersetzung mitden Handlungen und Gesprächen im Feld darzustellen. Wie Emerson et al feststellen, ist diesePerspektive besonders effizient, wenn der/die EthnographIn ein Mitglied jener Gruppe ist, die er/siestudiert. Die Perspektive des Ich-Erzählers ermöglicht in diesem Fall eine „Insider-Sichtweise aufHandlungen, die durch ihr ethnographisches Interesse gefiltert ist“ (Emerson et al 1995:53). Durch diesePerspektive kann auch der natürliche Fluss der Ereignisse aus der Sicht des Gruppenmitglieds dargestelltwerden. Man kann nicht nur festhalten, was Personen im Feld getan oder gesagt haben, sondern auchvermitteln, wie man sich angesichts dieser Handlungen und Aussagen gefühlt hat und wie man daraufreagiert hat. Diese Position macht es möglich, die Erfahrung des/der AutorIn, nicht nur als Mitglied einerGruppe, sondern auch als involvierte/r teilnehmende/r BeobachterIn, im Sinne einer Selbst-Reflexionenüber diese teilnehmende Beobachtung darzustellen.Aus der Positionen der dritten Person beschreibt man, was die anderen tun und sagen. Man berichtetdabei, was man von Anderen im Zuge der Beobachtung gesehen oder gehört hat. Dabei kann sich der/dieSchreiberIn als teilnehmende/r BeobachterIn in die Szene inkludieren und die eigenen Antworten undReaktionen in Nebenbemerkungen anführen, die wiederum in der ersten Person geschrieben sind. BeimSchreiben aus der Position der dritten Person, sollte man Andere nur durch jene Aktivitäten undAussagen charakterisieren, die man wirklich gesehen und gehört hat. Interpretationen sind zuvermeiden. Die Beschreibung fokussiert darauf, was Personen gesehen, gesagt und getan haben. Mansollte vermeiden über die Motive oder die Gedanken der Anderen zu spekulieren, die Beschreibung auftatsächlich Beobachtetes beschränken und zeigen, was getan und gesagt wurde. Die wörtlicheWiedergabe von Aussagen gemeinsam mit einer Beschreibung der Gesten und der Mimik ist eines dereffektivsten Mittel, um eine Person zu portraitieren. Durch diese Strategie stellt man eine andere Personins Zentrum der Beobachtung und charakterisiert sie durch ihre Handlungen und Äußerungen. Dies führtzu einer Beschreibung aus einer „fokussierten Position der dritten Person“ (Emerson et al 1995: 57).Ethnographische Beschreibungen können auch so organisiert sein, dass man unterschiedliche solcherfokussierten Positionen dritter Personen gegenüberstellt und dadurch die unterschiedlichen Standpunkteund multiplen Stimmen im Feld vermittelt. Im Gegensatz zur Position des Ich-Erzählers oder jener der dritten Person, nimmt man in der„Allwissenden Perspektive“ eine losgelöste Position „über bzw. außerhalb“ der Ereignisse ein. Mankann frei von einem Ort oder Zeitpunkt zum anderen sowie zwischen den Charakteren wechseln. Beidieser Position werden realistische Erzählungen in einem „objektiven“ Tonfall und Stil erstellt, in denennicht nur ein Zugang zu den offenkundigen Handlungen und Aussagen der AkteurInnen möglich ist,sondern auch zu ihren Gedanken, Gefühlen und Motiven. Es wäre nicht möglich eine solche allwissendeDarstellung zu verfassen, hätte man nicht viele Stunden damit verbracht die Leute zu interviewen und sieauch in Bezug auf ihre Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen über bestimmte Ereignisse zubefragen. Dieser allwissende Stil produziert Feldnotizen, in welchen sich die partizipative Erfahrungdes/der EthnographIn mit den Berichten der anderen vermischt. Sie reduziert und verbindet multiplePerspektiven und Beschreibungen und bringt so eine einzige, allwissende Stimme zum Ausdruck, wasallerdings dazu führt, die unterschiedlichen Interpretationen konkurrierender Versionen der Welt zuignorieren.

Bei der Ausarbeitung von Feldnotizen sind diese Perspektiven unterschiedlich einsetzbar und auchmiteinander kombinierbar. Insgesamt sollten die Feldnotizen eine Balance zwischen der Sensitivitätgegenüber der Erfahrung der Anderen im Feld und einer selbst-reflexiven Aufmerksamkeit des/derFeldforscherIn im Bezug auf die eigenen Wahrnehmungen und Reaktionen diesen Anderen gegenüberzum Ausdruck bringen. Der Wechsel zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Positionen, die in denFeldnotizen zum Ausdruck kommen, verdeutlicht diese selbst-reflexive Sensitivität gegenüber denAnderen.

Neben der Möglichkeit, die Beschreibung aus unterschiedlichen Perspektiven vorzunehmen, kann auchder zeitliche Ablauf[1] der Beschreibung variieren.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

50 von 65 31.01.2011 16:28

Page 51: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.2

5.2.3.4.2.2.2 Echtzeit- und Endpunkt-Beschreibungen

Die konkreten Beschreibungen können unterschiedlich organisiert sein, so kann etwa der zeitliche Ablauf derBeschreibung variieren:

Beschreibungen können in Echtzeit angefertigt werden, das heißt, den realen Verlauf der Ereignissenachvollziehbar machen. Diese Nachvollziehbarkeit beruht auf einer zum Zeitpunkt des Ereignissesjeweils unvollständigen Perspektive und einem nur teilweisen Verständnis der Situation. In diesem Fallversucht man die Ereignisse zu charakterisieren, indem man die Entwicklung des Ereignisses selbst voneinem Standpunkt aus nachvollziehbar macht, der immer nur das jeweilige Vorverständnis miteinschließt,welches man selbst zu diesem Zeitpunkt hatte.Im Gegensatz dazu wird eine Endpunkt-Beschreibung von dem Verständnis aus angefertigt, welchesman letztlich von einem Ereignis erlangt hat. Hier werden also gezielt Fakten oder Interpretationeneingeführt, um vor deren Hintergrund zu beschreiben und zu charakterisieren, was in früheren Phasendes Ereignisses vor sich gegangen ist.

Bei Beschreibungen kann nicht nur der zeitliche Ablauf variieren, sondern diese können auch ausunterschiedlichen Perspektiven[1] erfolgen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.1

5.2.3.4.2.2.3 Die Darstellung von Szenen

Zentrales Anliegen eines/r EthnographIn ist es, eine soziale Welt und ihre Menschen zu beschreiben, wasdurch die Darstellung unterschiedlicher Szenen dieser Welt geschehen kann.

Bei der Darstellung solcher Szenen geht es um eine Veranschaulichung der grundlegenden Charakteristikades Umfelds[1], um in diesem die wichtigsten Personen des Feldes[2] zu charakterisieren und den Dialogzwischen den Personen[3] darzustellen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3.3[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3.2

5.2.3.4.2.2.3.1 Veranschaulichung

Die Veranschaulichung der Charakteristika des Umfelds erfolgt durch die Vermittlung konkreter sinnlicherDetails der grundlegenden

Szenen,Menschen,Objektesowie der Handlungen,

die beobachtet werden. Diese möglichst bildhaften Beschreibungen sind ein Teil der Dokumentation vonTagesereignissen. In der Schilderung dieser Aspekte stehen konkrete sinnliche Details im Zentrum, wie z.B.Farbe, Form, Größe, Besonderheiten der Geräusche oder des Klangs, der Gerüche, der Gesten, Bewegungenund Gesichtsausdrücke. Solche sinnlichen Eindrücke werden miteinander kombiniert, um eine Szenemöglichst bildhaft und lebendig zu beschreiben. Eine Szene sollte auch durch ihre Interaktion dargestelltwerden. Bei längeren Szenen sollte man Übergangsmarkierungen benützen, wenn Zeit, Platz oder Personensich abwechseln.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

51 von 65 31.01.2011 16:28

Page 52: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Es ist manchmal besonders schwierig, solche Beschreibungen in einer lebendigen und aussagekräftigen Artund Weise anzufertigen, was daran liegt, dass wir Fremde auf stereotype Art und Weise wahrnehmen undsie z.B. nur in Bezug auf Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder andere physische Merkmale charakterisieren. Soliest man oft von „einer jungen Frau“ einem „älteren Mann mit grauen kurzen Haaren“.

Auszug aus einer Beschreibung einer Szene:

... Istvan sitzt, wie jeden Tag, am Fuße des Denkmalsund lässt sich von der Seite die Morgensonne auf denRücken scheinen. Mit angezogenen Beine, leichtvorgebeugt und die Hände auf seine Knie gestützt, blickter mit halbgeschlossenen Augen auf die am frühenMorgen nicht all zu häufigen Passanten. Seinentspannter Gesichtsausdruck und sein zahnlosesOberkiefer lassen in seinem unrasierten Gesicht dasKinn markant nach vorne und im Profil vor die Nasetreten. Wie immer, wenn er aus dem Obdachlosenheimhierher kommt, ist er mit einer Decke, seiner warmenJacke und, wenn er am Vortag Glück hatte und es sichleisten konnte, mit einer Packung Zigarettenausgerüstet. Seine Kleidung, eine alte dunkle Hose undebensolche Turnschuhe, sind ebenso wie seine Jackehellgrau bis schwarz. Die orange Wolldecke - die ergemeinsam mit seiner Jacke ordentlich zu einer Sitzunterlage gefaltet hat - ist der einzige Farbakzent in seinerErscheinung. Zu dem gesellt sich neben der roten Zigarettenpackung noch ein rot-weißer McDonald’s-Becher,den er sich, bevor er hier Stellung bezieht, von der Filiale auf der anderen Seite des Platzes von einem derTabletts besorgt und der ihm für den Rest des Tages als zentrales Arbeitsmittel dient, mit dem er schweigend dieSpenden der Passanten sammelt ...

5.2.3.4.2.2.3.2 Dialog

Dialoge sollten so exakt wie möglich wiedergegeben werden.Dies kann durch direkte Zitate[1] und indirekte Zitate[2], durch die Wiedergabe der Aussagen Dritter durchAnwesende im Feld (z.B. Die Lisi sagte, dass Peter gestern gemeint hat, dass das Ganze "nur ein Schmäh"war.) sowie durch Paraphrasierung geschehen. Dabei sollte nicht nur der verbale Verlauf des Gesprächswiedergegeben werden, sondern auch Gesten, Körperhaltungen, Gesichtsausdrücke etc. mitberücksichtigtwerden. Dies kann besondere Schwierigkeiten erzeugen, solange der/die ForscherIn nicht die Sprache derPersonen im Feld spricht und auch die Bedeutung der Gesten noch nicht richtig interpretieren kann. EineMöglichkeit diese Problematik in der Anfangsphase einer Feldforschung zu umgehen besteht darin, neben denFeldnotizen Tonband- und Videoaufnahmen zu machen und diese dann (mit Hilfe eines/einer InformantIn) zutranskribieren[3] und interpretieren. Unklarheiten können so durch zusätzliche Fragen erörtert und geklärtwerden.

Um Dialoge möglichst exakt rekonstruieren zu können, sollten wenn möglich, Stichworte[4] von den zentralenInteraktionssequenzen notiert werden.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/schreiben/schreiben-44.html[2] http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/schreiben/schreiben-45.html[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.4[4] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1

5.2.3.4.2.2.3.3 Charakterisierung

Eine Person nur zu beschreiben ist niemals so effektiv, als darzustellen, wie sie tatsächlich lebt und dies kanndurch eine Interaktion besser gezeigt werden, als durch eine isolierte Beschreibung. Für gewöhnlich werdenPersonen, die aktiv im Vordergrund des Ereignisses stehen detaillierter beschrieben als andere. Eine solcheBeschreibung inkludiert auch die Bemerkungen dritter Personen im Feld zur Charakterisierung einer Person.Wenn bereits Charakterisierungen einer Person im Rahmen der fieldnotes vorliegen, kann sich die Darstellungeiner neuen Situation auf die aktuellen Aussagen und Verhaltensweisen dieser Person beschränken.

Foto: Istvan. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

52 von 65 31.01.2011 16:28

Page 53: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.3.4.2.2.4 In-Beziehung-Setzung von Szenen

Umfassende Beschreibungen einer Szene können verschiedene Momente umfassen. Skizzen umfassen einenAusschnitt des Lebens, wie er in einer bestimmten Szene beobachtet wurde, während Episoden undausführlichere Erzählungen über Interaktionen und Ereignisse einer sich entwickelnden und dynamischenEreignisabfolge berichten.

Bei den Skizzen handelt es sich daher eher um statische "Schnappschüsse" bzw. Stillleben (Emersonet al 1995: 86f), in denen die Abfolge der Aktionen keine dominante Rolle spielt.In einer Episode schildert der/die FeldforscherIn einen Vorfall als kontinuierliche Handlung oderInteraktion, z.B. bei simultanen, aber unterschiedlichen Interaktionen zur selben Zeit am gleichen Ort, wiesie etwa bei Beobachtung einer Schulklasse auftreten.Bei Erzählungen handelt es sich um zusammenhängende Episoden, die aufgrund der AkteurInnenoder ähnlicher Aktivitäten chronologisch gereiht sind. Dabei ist es nicht zentral, eine einheitlicheGeschichte zu erzählen, vielmehr geht es darum zusammenhängende Episoden nebeneinander zustellen. Es handelt sich dabei um einen lose strukturierten "episodic (...) string of action chunks put downon the page one after an other" (Emerson et al 1995: 90).

5.2.3.4.2.2.3.2 Bedeutungen der lokalen AkteurInnen

Eine zentrale Aufgabe der Feldnotizen ist es, die Bedeutung, welche die lokalen AkteurInnen mit ihrenHandlungen verbinden, zu dokumentieren.

Dabei sollte man vermeiden, in den klassischen Ethnozentrismus zu verfallen und Kategorien, Standardsoder Bedeutungen der eigenen Kultur zu verwenden, um Ereignisse in einer anderen zu beschreiben. Ebensosollte man vermeiden, die Kategorien einer lokalen Kultur zur Beschreibung einer anderen lokalen Kultur zuverwenden. Weiters sollte vermieden werden, eine (ab)wertende Haltung gegenüber den Bedeutungen derlokalen AkteurInnen einzunehmen und diese etwa als vage, widersprüchlich oder trügerisch zu interpretieren.Dies kann verhindern, die Alltagseffizienz dieser Auffassungen zu erfassen. Weitere Hindernisse dieBedeutung, welche die lokalen AkteurInnen mit ihren Handlungen verbinden, zu erfassen, bestehen in einernormativen Voreingenommenheit, welche festlegt, was die offizielle, authentischen bzw. legitime Versioneines Phänomens ist. Ein weiteres Problem kann eine theoretische Voreingenommenheit darstellen, dietheoretische Unterscheidungen und Kategorien auf das Feld projiziert, welche vor Ort in dieser Form jedochkeine Relevanz besitzen.

Die lokalen Bedeutungen kommen auf vielfältige Art und Weise in alltäglichen Interaktionen zum Ausdruck:

Dies beginnt bereits bei Anrede- und Grußformen, welche den relativen Status der AkteurInnen inBegrifflichkeiten der Hierarchie, der Nähe, des gegenseitigen Respekts, der gegenseitigen Achtung aberauch der Freundschaft und Feindschaft zum Ausdruck bringen.Für alltägliche Fragen (z.B. Wie geht es?) und die Antworten, die darauf gegeben werden, giltÄhnliches. Sie bringen das Verhältnis der AkteurInnen zum Ausdruck und vermitteln Einsichten in dieRelevanz zentraler Themen, wie etwa Familie, Gesundheit, Arbeit, etc. Weiters ist man als EthnographIn mit natürlich vorkommenden Beschreibungen der AkteurInnen im Feldkonfrontiert. Die AkteurInnen liefern z.B. solche Beschreibungen ihrer Umwelt, ihres Wohnorts bzw. ihrerFamilie, wenn sie Außenstehende in diese Bereiche einführen und ihnen die Besonderheiten dieservorführen.Solche Beschreibungen können aber auch während alltäglicher Gespräche zum Ausdruck kommen undsie zeigen sich insbesondere, wenn Außenstehenden erklärt wird, „wie Dinge zu tun sind“. Dabei sollteder/die FeldforscherIn aber nicht von vornherein davon ausgehen, dass über dieses „WIE“ bei allenAkteurInnen im Feld eine einheitliche Meinung besteht.Lokale Bedeutungen kommen auch in Geschichten der AkteurInnen zum Ausdruck, in denen sie z.B.Ereignisse beschreiben, die sie beobachtet oder erlebt haben und/oder die Taten anderer kommentieren(Tratsch).In den Berichten und Aussagen der AkteurInnen kommen auch spezifische Termini, Typen undTypologien zum Ausdruck, die auf zentrale lokale Unterscheidungen verweisen. Diese können aber vonunterschiedlichen AkteurInnen im Feld mit verschiedenen Bedeutungshorizonten verwendet werden.Ein weiterer Punkt sind indigene Kontraste, welche Einsichten in die Wahrnehmung und Beurteilungender AkteurInnen im Feld ermöglichen.Als EthnographIn sollte man aber auch danach trachten, komplexere lokale Erklärungen wann, wie und

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

53 von 65 31.01.2011 16:28

Page 54: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

warum bestimmte Dinge auf bestimmte Art und Weise gemacht werden, zu erhalten und nach Möglichkeitdie lokalen Theorien und Rationalisierungen für diese Tätigkeiten in Erfahrung bringen.

5.2.3.4.3 Organisation der fieldnotes

Die Organisation der fieldnotes kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen und beginnt textinternbereits mit der unterschiedlichen Darstellung und Verknüpfung von Szenen[1].

In Bezug auf die Organisation eines größeren und im Laufe der Feldforschung wachsenden Pools vonFeldnotizen können unterschiedliche Strategien verfolgt werden. Die Grundlogik des Verfassens derfieldnotes ist in vielen Fällen eine chronologische, gleichzeitig empfiehlt es sich, parallel dazu auch einethematische Ordnungslogik zu entwickeln. Diesbezüglich existieren unterschiedliche Strategien:

Manche FeldforscherInnen verwenden von Beginn an bereits existierende, standardisierte Ordnungslogikenbzw. Kodeschemata, wie z.B. das Outline of Cultural Materials[2] (siehe auch TheoretischeGrundannahmen, Methoden und Techniken der HRAF[3]). Andere hingegen entwickeln eigeneKodeschemata im Zuge der Analyse der eigenen fieldnotes. Die Verwendung solcher Kodes variiert und reichtvon einer simplen Indizierung des Materials. Dabei werden die ursprünglichen Feldnotizen mit Hinweisen inForm zentraler Begriffe oder Zahlen, die diesen begriffen zugeordnet sind, versehen, um innerhalb desMaterials relevante thematische Stellen rasch auffindbar und miteinander verknüpfbar zu machen. Am anderenEnde des Spektrums stehen unterschiedliche Kodierstrategien als Teil eines analytischen Prozesses, der z.B.im Sinne der Grounded Theory darauf abzielt, Kategorien und Konzepte und in letzter Konsequenzgegenstandsbezogene Theorien zu entwickeln.

Wie solche chronologischen und thematischen Ordnungslogiken praktisch umgesetzt werden können ist auchabhängig von der Infrastruktur, die im Feld zur Verfügung steht. Solange Elektrizität vorhanden ist, könnenelektronische Formen der Textverarbeitung verwendet werden, welche das Kopieren und Reorganisierengewisser Ausschnitte der Feldnotizen einfach machen und sich mit besonderer Software, wie etwa Atlas.ti[4],besonders effizient gestalten lassen. Schwieriger ist es, wenn man nur mit Papier, Bleistift bzw.Schreibmaschine arbeiten kann. In diesem Fall empfiehlt es sich, ein Karteikarten- bzw. Zettelkastensystemanzulegen und entweder Einträge sofort auf Karteikarten, versehen mit Ort, Datum und thematischemSchlagwort zu verfassen oder chronologisch in Form eines Tagebuchs verfasste Aufzeichnungen nachträglichmittels Verweisen und Zettelkasten zu erschließen.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3[2] http://www.library.illinois.edu/edx/hraf_ocm.pdf[3] Siehe Kapitel[4] http://www.atlasti.com/de/

5.2.3.4.4 Transkripte

Abbildung: Margaret Mead’s Notizen zum Brautpreis bei den Arapesh, 25. März 1932. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

54 von 65 31.01.2011 16:28

Page 55: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Neben dem Aufschreiben von Stichwörtern[1] (write down) in der Feldsituation und dem Ausformulieren undBeschreiben (write up) im Rahmen des Ausarbeitens der fieldnotes, transkribiert man im Rahmen derFeldforschung auch unterschiedliche Arten von Texten (write over). Dabei kann es sich um die Transkriptionvon Interviews[2], aber auch von Mythen, Gesängen, rituellen Texten und anderen Formen von Oralliteraturhandeln. Im Prinzip stehen zumindest zwei grundlegende Formen der Transkription zur Verfügung:

Die Transkription von audio-visuell dokumentiertem Material;Die Transkription ohne audio-visuelle Dokumentation, in Zusammenarbeit mit InformantInnen undFeldassistentInnen; Schirftkundige InformantInnen können nach einer Einschulung in grundlegendeTranskriptionsregeln auch dazu angeregt werden, eigenständige Transkriptionen solcher Textevorzunehmen.

Transkribierte Texte müssen immer auch Informationen über den/die InformantIn, den Ort, das Datum und dieSituation und Art der Aufnahme des Textes beinhalten.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4[2] Siehe Kapitel 5.1.2.3

5.2.3.4.5 Spezialisierte Datensammlungen

Im Rahmen einer Feldforschung ist es höchst wahrscheinlich, dass nicht nur Stichwortzettel[1],ausgearbeitete fieldnotes[2] und transkribierte Texte[3] als Daten produziert werden, sondern auch darüberhinausgehende spezialisierte Datensammlungen angelegt werden.

Je nach thematischer Orientierung der Feldforschung werden diese Datensammlungen einenunterschiedlichen Charakter annehmen. So kann es sich dabei z.B.

um eigene Aufzeichnungen zur lokalen Sprache,um standardisierte Fragebögen,um systematische Datenerhebungen in Bezug auf Demographie, Haushaltsstrukturen und-Zusammensetzungen in einer bestimmten Region,um standardisierte Tests (z.B. zur Farbwahrnehmung oder anderer kognitiver oder psychologischerProzesse),um Zeitverwendungsprotokolle im Rahmen von "time allocation studies",um die systematische Dokumentation der Aneignung und Verwendung von natürlichen Ressourcen,um unterschiedliche verwandtschaftsethnologische Methoden,oder um visuelle Methoden (Foto, Film) zur Dokumentation bestimmter Bereiche der lokalen Kulturhandeln.

Innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie existieren eine ganze Reihe unterschiedlicher methodischerVerfahren zur Erforschung, d.h. zur Datendokumentation und -Analyse ausgewählter Sachbereiche, welche diehier skizzierten allgemeinen und grundlegenden Feldforschungspraktiken ergänzen und die sich anthematischen Ausdifferenzierungen der Disziplin orientieren, wie z.B. der Ethnosoziologie und Kinship Studies,der Ökonomischen Anthropologie, der Rechtsanthropologie, der Linguistischen Anthropologie, der Ritual- undMythenforschung, der Kunstanthropologie, der Medizinanthropologie und Ethnomedizin, derMedienanthropologie, der Globalisierungs- und Transnationalismusforschung, der Organisationsanthropologie,der Friedens- und Konfliktforschung, der Migrationsforschung, der Kognitiven Anthropologie, der Anthropologieder Natur und Umwelt, der Religions- und Bewusstseinsforschung etc.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

55 von 65 31.01.2011 16:28

Page 56: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.4.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2[3] Siehe Kapitel 5.2.3.4.4

5.2.3.4.6 Metadatendokumentation

Da im Zuge der Feldforschung unterschiedliche Methoden der Datenerhebung und Datendokumentationeingesetzt werden, ist es hilfreich eine systematische Metadatendokumentation vorzunehmen. Deren Ziel ist,in einer chronologischen Abfolge die unterschiedlichen Daten und Dokumentationsstrategien auf einenachvollziehbare Art und Weise mit einander zu verknüpfen, so dass auch zu einem späteren Zeitpunktnachvollziehbar ist, welche Fotografien oder Tonaufnahmen mit welchen Feldnotizen oder Transkripten inBeziehung stehen und an welchem Ort, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Personen die jeweiligeDatenerhebung durchgeführt wurde.

Parallel dazu kann es sinnvoll sein, eigene Dateien für einzelne Personen im Feld anzulegen, welche

Abbildung: Margaret Mead´s "Tchambuli LanguageMemorizing Book," ca. 1933. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

56 von 65 31.01.2011 16:28

Page 57: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Grundinformationen in Bezug auf grundlegende Sozialdaten, wie Alter, Ort der Geburt, nächsteVerwandtschaft, besondere Funktionen und biographische Besonderheiten enthalten.

Folgender Ausschnitt aus Margaret Meads Feldnotizen stellt eine derartige Verknüpfung zwischen Fotografien,Filmaufnahmen und konkreten chronologischen Ereignissen im Feld exemplarisch dar.

5.2.3.4.7 Schriftliche Interaktionen aus dem Feld

Neben den systematisch produzierten Feldnotizen, Transkripten und spezialisierten Datensammlungen werdenim Laufe einer Feldforschung noch weitere Texte produziert, die als Daten dienen können. Dabei handelt essich um schriftliche Darstellungen der Situation vor Ort, die im Laufe der Feldforschung an Dritte (Familie,Bekannte, FreundInnen, KollegInnen, SponsorInnen und AuftraggeberInnen etc.) übermittelt werden. Dabeikann es sich um Briefe und Berichte, aber auch um eMails oder um Informationen, die z.B. auf Weblogs gestelltwerden, handeln.

5.2.3.4.8 Literatur

Clifford, James (1990) Notes on (Field)notes. In Fieldnotes. The Makings of Anthropology. Ed. Sanjek, Roger.Ithaca, London: Cornell University Press.

Emerson, Robert M., Rachel I. Fretz, Linda L. Shaw (1995) Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago, London:Chicago University Press.

Sanjek, Roger (ed.) (1990) Fieldnotes. The Makings of Anthropology. Ithaca, London: Cornell University Press.

Abbildung: Margaret Mead’s "Bathing I Sami (Sama)" fieldnotes 30. April 1937.Bajoeng Gedé, Bali. Quelle

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

57 von 65 31.01.2011 16:28

Page 58: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Sanjek, Roger (1990) A Vocabulary for Fieldnotes. In Fieldnotes. The Makings of Anthropology. Ed. Sanjek,Roger. Ithaca, London: Cornell University Press.

5.2.3.5 Analyse der Fieldnotes

Neben der systematischen Datenerhebung empfiehlt es sich, nach einiger Zeit analytische Phasen imForschungsprozess vorzusehen. Bei längeren Feldforschungen sollte man auch Phasen des Rückzugs vomFeld einplanen und mit der Analyse der gesammelten Daten bereits vor Ort beginnen. Das heißt, längereFeldforschungen sind nicht nur reine Datenerhebungszeiten, sondern inkludieren neben der systematischenAusarbeitung der Feldnotizen auch deren erste Analyse.

Zu einer ersten Analyse der eigenen Feldnotizen gehört:

das Lesen des gesamten Korpus der Aufzeichnungen[1],das Stellen von Fragen an die Fieldnotes[2],das Kodieren der Feldnotizen[3],das Verfassen von Memos[4].

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.5.2[3] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3[4] Siehe Kapitel 5.2.3.5.4

5.2.3.5.1 Das Lesen der Feldnotizen als Daten

Im Gegensatz zum Aufschreiben und dem systematischen Anfertigen detaillierter Beschreibungen beimErstellen der Fieldnotes werden diese im Zuge der Analyse als Datenset behandelt und analytisch, d.h. miteinem Blick von außen gelesen. Dies impliziert eine emotionale Distanz zu den eigenen Aufzeichnungen "andrequires the ethnographer to approach her notes as if they had been written by a stranger" (Emerson et al.1995: 145). Dieses gründliche und systematische Lesen der eigenen Aufzeichnungen dient dazu, Themen,Muster und Variationen innerhalb der Fieldnotes zu identifizieren. Es kann also dazu eingesetzt werden,analoge Phänomene bzw. Ereignisse zu identifizieren. Diese Ereignisse bzw. Phänomene können nun durchdas Lesen miteinander in Verbindung gebracht werden. Dieses In-Beziehung-Setzen kann durch Kodes[1]ausgedrückt werden. Man kann aber nicht nur Ähnlichkeiten, sondern auch alternative Handlungsstrategienund lokale Interpretationen identifizieren.

Dieser Prozess des analytischen Lesens der eigenen Feldnotizen ermöglicht dem/der EthnographIn in einemrelativ kurzen Zeitraum aufzunehmen, was alles beobachtet und aufgezeichnet wurde. Dadurch können auchVeränderungen in den Beziehungen mit den Menschen im Feld über die Zeit hinweg festgestellt werden.Dieses close reading ermöglicht es, Muster zu erkennen und zu vergleichen. Gleichzeitig werden durch dasLesen der gesamten Aufzeichnungen neue Einsichten, Hypothesen und Interpretationen in Bezug aufeinzelne Personen und Ereignisse generiert. Im Normalfall werden auch Lücken im Datenmaterial identifiziertsowie neue Fragestellungen aufgeworfen, welche die weiteren Forschungsschritte anleiten.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3

5.2.3.5.2 Das Stellen von Fragen an die Fieldnotes

Neben dem analytischen Lesen[1] kann man, sobald konkrete Fragestellungen identifiziert sind, imvorliegenden Datenmaterial auch ganz konkret und selektiv nach Informationen suchen. Der Unterschiedzwischen dem allgemeinen analytischen Lesen und dem gezielten Stellen von Fragen besteht in derSelektivität, mit der die Fieldnotes gelesen werden. Vor dem Hintergrund spezifischer Fragen geht es nichtdarum, das Gesamtspektrum der Daten zu erfassen, sondern man interessiert sich im Detail für ausgewählteTeile der gesamten Aufzeichnungen.

Beide Vorgehensweisen kommen auch in unterschiedlichen Strategien, die Fieldnotes zu kodieren[2] zumAusdruck. In den Fragen, die man zu Beginn an die Aufzeichnungen stellt, kommen bereits spezifische

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

58 von 65 31.01.2011 16:28

Page 59: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Erkenntnisinteressen und Analyserichtungen zum Ausdruck. Manche davon werden im Laufe der Analyse undder weiteren Datenerhebung weiterverfolgt, vertieft und verfeinert, andere werden sich vor dem Hintergrund desErkenntnisinteresses und der weiteren Forschung als wenig ertragreich erweisen und nicht weiter verfolgtwerden.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3

5.2.3.5.3 Das Kodieren der Feldnotizen

Unter dem Kodieren der gesammelten Daten versteht man einen Prozess, bei dem Teile der Daten z.B.bestimmte Textausschnitte aus den Feldnotizen mit ausgewählten Begriffen bzw. Kategorien verknüpftwerden. Diese Begriffe bzw. Kategorien werden Kodes genannt. In der Bezeichnung des Kodes kommt derInhalt des Datenausschnitts auf eine kurze, prägnante und vergleichsweise abstrakte Weise zum Ausdruck.

Kodes können von außen, im Sinne etischer Kategorien, an das zu analysierende Material herangetragenwerden. In diesem Fall werden die Kategorien zum Beispiel aus bestehenden Theorien übernommen oderbereits existierende standardisierte Kodeschemata verwendet (z.B. das Outline of Cultural Materials[1]).

Analysestrategien, die an der Entwicklung von Theorien bzw. an der ethnographischen Darstellung undAnalyse lokal verwendeter, emischer Kategorien und Verhaltensweisen interessiert sind, entwickeln eigeneKodeschemata. Die Verwendung solcher Kodes variiert. Es kann sich einerseits um eine Indizierung desMaterials handeln, d.h. die ursprünglichen Feldnotizen werden mit Hinweisen in Form zentraler Begriffeversehen, um innerhalb des Materials relevante thematische Stellen rasch auffindbar und miteinanderverknüpfbar zu machen. Andererseits können unterschiedliche Kodierstrategien als Teil eines analytischenProzesses angewendet werden, die im Sinne der Grounded Theory aber auch der Ethnographie daraufabzielen, Kategorien und Konzepte zu entwickeln.

Die in den Kodes zum Ausdruck kommenden Kategorien können also

auf externe Ordnungslogiken und Theorien, die an die Daten herangetragen werden, verweisen,zur Entwicklung gegenstandsbezogener Theorien im Sinne der Grounded Theory genützt werden,oder aber ethnographisch auf Konzepte lokaler AkteurInnen und emische Kategorien als Ausdruck einerspezifischen Kultur verweisen.

Aus einer ethnographischen Perspektive besteht beim Herantragen externer Ordnungslogiken, Begriffe undTheorien die Gefahr lokale Bedeutungen, Ordnungslogiken und Theorien zu ignorieren oder zu verkennen unddeshalb eurozentristisch[2] zu interpretieren.

Darüber hinaus verweisen Kodes auf spezifische Betrachtungsweisen des Inhalts, d.h. in ihnen kommt bereitseine analytische Perspektive zum Ausdruck. Eine Textstelle kann auch mit mehreren Kodes belegt werden,da in ihr mehrere Inhalte zum Ausdruck kommen können oder sie vor dem Hintergrund mehrerer analytischerPerspektiven relevant sein kann. In welcher Form kodiert wird und wie man zu den Kodes kommt, hängt alsovon der methodologischen Vorgangsweise und der theoretischen Orientierung ab.

Die Strategien des offenen Kodierens[3], des Kodierens vor dem Hintergrund von Fragestellungen[4],sowie vor dem Hintergrund der Konzeptualisierung einer ethnographischen Erzählung[5] werden dannangewandt, wenn man eigene Kodes aus den empirischen Daten entwickelt.

Verweise in diesem Kapitel:[1] http://www.library.illinois.edu/edx/hraf_ocm.pdf[2] Siehe Kapitel 5.2.3.4.2.2.3.2[3] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.1[4] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.3[5] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.4

5.2.3.5.3.1 Offenes Kodieren

Ausgangspunkt des offenen Kodierens ist das Lesen der Texte und das Markieren von Textstellen durch

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

59 von 65 31.01.2011 16:28

Page 60: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

kurze, prägnante und vergleichsweise abstrakte Konzepte (Kodes), die den Inhalt der jeweiligen Textstellecharakterisieren. Im Laufe des Lesens wird man eine Vielzahl solcher Kodes entwickeln und einzelnenTextstellen zuordnen. Man gewinnt dadurch eine Liste potentieller Kodes, welche die zu analysierendenPhänomenbereiche abbilden. Dadurch, dass man verschiedenen Textstellen denselben Kode zuweist, stelltman systematische Beziehungen zwischen unterschiedlichen und bis dato nicht miteinanderverbundenen Datenausschnitten her. Beim offenen Kodieren wird man relativ schnell zu einervergleichsweise langen Liste unterschiedlicher Kodes kommen. Eine solche Kodeliste veranschaulicht die ausden Daten entwickelten Konzepte, welche weiter analysiert werden können. Gleichzeitig kann entlang dieserKonzepte auf das Datenmaterial zugegriffen werden, das heißt alle Textstellen, die mit einem Kode belegtwurden, können leicht identifiziert und für die weitere Analyse dieses Konzepts herangezogen werden.

Der Kode selbst kann aus einem einzigen Wort oder aus mehreren möglichst prägnanten Wörtern bestehen.

Kodes sollten möglichst einheitlich und eindeutig verwendet werden. Deshalb ist es sinnvoll, die Kodespräzise zu definieren d.h. festzulegen, welche Datenausschnitte mit solchen Kodes belegt werden können. Diesist insbesondere auch deshalb wichtig, weil sich die Bedeutung einzelner Kodes im Laufe der Analyseverändern kann und man sonst nicht feststellen könnte, dass man vor einiger Zeit mit einem bestimmten Kodenoch anderes d.h. oft Allgemeineres oder Spezifischeres verbunden hat. Unterschiedliche Kodes solltenUnterschiedliches bezeichnen.

5.2.3.5.3.2 Rekodieren: von allegemeinen zu spezifischen Kodes oder umgekehrt?

Eine weitere Frage, die sich beim Kodieren stellt, ist, wie allgemein bzw. spezifisch die jeweiligen Kodes seinsollen.

Prinzipiell ist hier ein mittlerer Weg zu empfehlen. Kodes, die so spezifisch sind, dass sie nicht auf mehrereTextstellen anwendbar sind, sind ebenso unbrauchbar wie allgemeine Kodes, unter die sich große Teile desMaterials subsumieren lassen.

Wenn man zu Beginn sehr spezifische Kodes vergibt, kann man in der weiteren Analyse überlegen, welchedieser spezifischen Kodes zu übergeordneten Kategorien zusammengefasst werden können. So ist esmöglich, solche Kodes in einem neuen übergeordneten Kode zusammenzufassen, d.h. eine Rekodierung imSinne einer Kodefusion vorzunehmen.

Wenn man im Gegensatz dazu tendiert, vergleichsweise abstrakte Kodes zu vergeben, wird man sich in einemnächsten Schritt mit einer Analyse all der Textstellen befassen, die mit einem solchen Kode belegt wurden. Beidieser Analyse wird man bemerken, dass Unterschiedliches mit demselben Kode belegt wurde, was in weitererFolge dazu führen wird, den ursprünglichen Kode zu verfeinern, das heißt in unterschiedliche Kodesaufzusplitten. Wenn es inhaltlich gerechtfertigt ist, kann der ursprüngliche Kode als Überkategorie beibehaltenwerden, der nun mehrere Subkategorien, die als eigene Kodes fungieren, zugeordnet sind. In diesem Sinnehätte man erste Relationen zwischen einzelnen Kodes im Sinne einer Kodehierarchie etabliert.

Beim Rekodieren, sowohl beim Kodesplitting wie bei der Kodefusion, muss das gesamte Material mittels derneu entwickelten Kodes nochmals kodiert werden. Es müssen also alle Stellen im Material identifiziert werden,die mit den ursprünglichen Kodes belegt waren und diese müssen auf Basis des neuen Kodierschemasrekodiert werden.

5.2.3.5.3.3 Kodieren vor dem Hintergrund von Konzepten und Fragestellungen

Wenn man zumindest einen Teil der vorliegenden Daten offen kodiert[1] hat, gibt es unterschiedlicheStrategien, mit der Analyse fortzufahren. Erstens kann man sich ausgehend von Kodes bzw. Konzepten, dieeinem besonders interessant oder zentral erscheinen, dazu entscheiden an diesen weiterzuarbeiten, ohnedass man in einem ersten Schritt das gesamte vorliegende Material offen kodiert hätte. Man kann nun in denweiteren Fieldnotes systematisch nach Daten suchen, die mit dem ausgewählten Konzept in Beziehunggebracht werden können.

In weiterer Folge kann man entlang spezifischer Fragestellungen kodieren. Emerson et al. (1995: 146)identifizieren unter anderem folgende Fragen, welche das Kodieren anleiten können:

Was tun die Leute? Was versuchen sie zu erreichen/schaffen?Wie tun sie das genau? Welche spezifischen Mittel bzw. Strategien verwenden sie?Wie sprechen, charakterisieren u. verstehen Mitglieder was passiert?

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

60 von 65 31.01.2011 16:28

Page 61: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Welche Annahmen haben sie?

Mit der Hilfe solcher Fragen lassen sich unterschiedliche Gruppen von AkteurInnen in Bezug auf ihreHandlungsstrategien und Intentionen, sowie ihre Interpretation von Ereignissen charakterisieren. Vor demHintergrund solcher Fragen lassen sich also ethnographische, lokalspezifische kulturelle Konzepte undemische Kategorien ergründen.

In den Fragestellungen, entlang derer kodiert wird, kommt der Analysefokus der jeweiligen Untersuchung zumAusdruck. Innerhalb der Grounded Theory legt die Strategie des axialen Kodierens[2] nach Anselm Straussbereits einen spezifischen Analysefokus fest. Für vergleichende Analysen hat Uwe Flick die Strategie desthematischen Kodierens [3] entwickelt.

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.1[2] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.3.1[3] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3.3.2

5.2.3.5.3.3.1 Axiales Kodieren in der Grounded Theory

Im Gegensatz zur Ergründung lokalspezifischer, emischer kultureller Konzepte stellt die Grounded Theory aufdie Entwicklung gegenstandsbezogener Theorien ab. Dies tut sie ausgehend von Phänomenen, an welchenach Anselm Strauss und Juliet Corbin (1996) verschiedene Fragen gerichtet werden:

Was sind die ursächlichen Bedingungen des Phänomens?Was ist der Kontext?Was sind die intervenierenden Bedingungen?Was sind die Handlungs- und interaktionalen Strategien?Was sind die Konsequenzen?

Diese Fragen bringen das so genannte Kodierparadigma zum Ausdruck, welches das axiale Kodiereninnerhalb der Grounded Theory anleitet und ausgehend von einem Phänomen systematisch versucht,unterschiedliche Kodes/Kategorien miteinander in Beziehung setzen. Dieses In-Beziehung-Setzenunterschiedlicher Kodes und Kategorien ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung einergegenstandsbezogenen Theorie.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

61 von 65 31.01.2011 16:28

Page 62: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Literatur:

Anselm Strauss & Juliet Corbin (1996) Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. BeltzPsychologie Verlags Union, Weinheim; insbesondere p. 75-93.

5.2.3.5.3.3.2 Thematisches Kodieren

Flick (1996; 2002: 271ff) hingegen entwickelt für vergleichende Studien das Konzept des thematischenKodierens. Hier werden ausgehend von einer Fragestellung vorab festgelegte Gruppen vergleichenduntersucht. Der Forschungsgegenstand ist die soziale Verteilung von Perspektiven auf ein Phänomen odereinen Prozess und basiert auf der Annahme, dass in unterschiedlichen sozialen Welten bzw. Gruppendifferierende Sichtweisen anzutreffen sind. Dies modifiziert grundlegende Annahmen der Grounded Theory,da sich das Sampling[1] nicht am jeweiligen Stand der Interpretation bereits analysierter Daten orientiert. Essteht aber auch im Gegensatz zur klassischen Ethnographie, die ihre Samplingstrategie an der Dynamik, denAkteurInnen und den Strukturen des jeweiligen Feldes ausrichtet.

Das Vorgehen orientiert sich an einer vertiefenden Analyse einzelner Fälle, bei dem zunächst einKategoriensystem für den einzelnen Fall entwickelt wird. In der weiteren Ausarbeitung desKategoriensystems wird zunächst offen, dann selektiv kodiert. Selektive Kodierung bezieht sich auf dieGenerierung von Kategorien und thematischen Bereichen für den einzelnen Fall. Diese werden in einemnächsten Schritt zwischen den einzelnen Fällen abgeglichen, woraus eine thematische Struktur resultiert,die für die Analyse weiterer Fälle zu Grunde gelegt wird. Die Struktur wird also aus den ersten Fällenentwickelt und an allen weiteren Fällen überprüft und weiter modifiziert und dient dem Fall- undGruppenvergleich.

Im Gegensatz zum Vorgehen der Grounded Theory werden im ersten Schritt fallbezogene Analysen und erst imzweiten Schritt fallübergreifende Gruppenvergleiche durchgeführt. (Flick 2002: 271ff)

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 3

Abbildung: Kodierparadigma in Anlehung an Strauss. Quelle: Disselkamp-Niewiarra (2000: 504)

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

62 von 65 31.01.2011 16:28

Page 63: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

5.2.3.5.3.4 Kodieren vor dem Hintergrund der Konzeptualisierung einererthnographischen Erzählung

Nach der analytischen Bearbeitung einzelner Themenbereiche bzw. Fragestellungen stellt sich die Frage, wiediese miteinander verknüpft und als zusammenhängende Ethnographie präsentiert werden können. Dazu ist esnotwendig, einen roten Faden der Erzählung zu entwickeln und die einzelnen Themenbereiche mit diesem inBeziehung zu setzen. Innerhalb der Methodenliteratur liegen dazu unterschiedliche Empfehlungen undStrategien vor. Diese reichen von

der Entwicklung einer Kernkategorie mittels selektiven Kodierens (Grounded Theory). DieseKernkategorie bezeichnet das zentrale Phänomen, um das herum alle anderen Kategorien integriert sind(Strauss & Corbin 1996: 94-117)dem Umsetzen von Feldnotizen in eine Ethnographie, welche auf den Schritten:

1) der Auswahl der Feldnotizexzerpte,

2) der Erarbeitung von Erläuterungen und Verbindungen zwischen den Feldnotizen,

3) dem Kreieren von "Exzerpt-Kommentar-Einheiten",

4) dem Editieren der Exzerpte,

5) dem Ordnen "Exzerpt-Kommentar-Einheiten" innerhalb eines Abschnitts sowie

6) dem Schreiben einer Einleitung,

7) der Herstellung eines Bezugs zu anderen Forschungen,

8) der Vorstellung der Methoden und des Settings, sowie

9) dem Verfassen einer Zusammenfassung

beruht (Emerson et al. 1995: 169 - 210).

den eher schreibtechnischen Anweisungen zum Verfassen einer Ethnographie, die auf folgendenSchritten beruht:

1) der Auswahl des Publikums,

2) der Auswahl einer These,

3) der Erstellung einer Liste von Themen und eines ersten Entwurfes ihrer Abfolge in einemInhaltsverzeichnis,

4) dem Schreiben einer groben Erstversion jedes Kapitels,

5) der Überarbeitung und Verfeinerung des Inhaltsverzeichnisses,

6) dem Editieren des Grobentwurfes,

7) dem Schreiben der Einleitung und der Zusammenfassung,

8) dem Überarbeiten und Verfeinern der ausgewählten ethnographischen Beispiele undBeschreibungen,

9) dem Schreiben der Endversion.

(Spradley 1979: 204-234).

5.2.3.5.4 Das Verfassen von Memos

Neben den unterschiedlichen Formen des Kodierens der Feldnotizen[1] ist das Verfassen von Memos einezentrale Strategie in der Analyse der Fieldnotes und der Entwicklung allgemeiner ethnographischerund/oder theoretischer Aussagen. Unter Memos versteht man schriftliche Protokolle, die den jeweiligenStand der Analyse in Bezug auf bestimmte Phänomene, Kategorien bzw. Ereignisse darstellen.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

63 von 65 31.01.2011 16:28

Page 64: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Innerhalb der Grounded Theory (siehe Strauss & Corbin 1996: 169-192) werden verschiedene Memoartenunterschieden, so etwa:

Kodenotizen, die sich z.B. auf einzelne konzeptuelle Begriffe beziehen.Theoretische Notizen, die „die Produkte des induktiven [2] und deduktiven[3] Denkens übertatsächlich oder möglicherweise relevante Kategorien, ihre Eigenschaften, Dimensionen, Beziehungen,Variationen“ etc. enthalten (ebd.: 169).Planungsnotizen, die Handlungsanweisungen beinhalten, welche z.B. die Fallauswahl, dieInterviewgestaltung, mögliche Vergleiche und weiter zu verfolgende Ideen enthalten (ebd.).

Emerson et al. (1995: 142-168) unterscheiden im Rahmen der Ethnographie Initial- und Integrationsmemos.

Initialmemos kommen in frühen Phasen der Datenanalyse zum Einsatz, wo zu einer Reihe separaterPhänomenen, Themen und Kategorien anfängliche Ideen und Einsichten ausgearbeitet werden.Integrationsmemos werden zu einem späteren Zeitpunkt im Forschungsablauf verfasst, wenn bereitseine Themenauswahl stattgefunden hat und vor deren Hintergrund selektiv kodiert wurde.Integrationsmemos haben einen fokussierteren Charakter und verbinden u. integrieren früher getrennteDaten und Analysepunkte. Eine solche Verbindung wird z.B. hergestellt, wenn unterschiedlicheEreignisse als Ausdruck des gleichen Themas verstanden werden oder aber einen ethnographisch bzw.theoretisch wichtigen Kontrast veranschaulichen. Zentrale Aufgabe der integrativen Memos "is to developtheoretical connections between fieldnote excerpts" (ebd.: 164).

Verweise in diesem Kapitel:[1] Siehe Kapitel 5.2.3.5.3[2] Siehe Kapitel 2.1[3] Siehe Kapitel 2.2

5.2.4 Literatur

Atkinson, Paul; Amanda Coffey, Sara Delamont, John Lofland, Lyn Lofland (eds.) (2001) Handbook ofEthnography. London, Thousand Oaks, New Dehli: Sage.

Beer, Bettina (ed.) (2003) Methoden und Techniken der Feldforschung. Berlin: Reimer.

Berg, Eberhard; Martin Fuchs (eds.) (1993) Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischenRepräsentation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Bryman, Alan (ed.) (2001) Ethnography. Thousand Oaks, CA: Sage. 4 Vols.

Denzin, Norman K.; Y. S. Lincoln (eds.) (1994) Handbook of qualitative research. Thousand Oaks, CA: Sage.

Emerson, Robert M.; Rachel I. Fretz, Linda L. Shaw (1995) Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago, London:Chicago University Press

Disselkamp-Niewiarra, Solveigh (2000) Rekonstruktion subjektiver Gewalttheorien von Jugendlichen. In:Kraimer, Klaus (ed.) Die Fallrekonstruktion. Sinnverstehen in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Frankfurtam Main: Suhrkamp.

Flick, Uwe (2004) Triangulation. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Flick, Uwe (2002) Qualitative Sozialforschung. Eine EInführung. Reinbek bei Hamburg: RowohltTaschenbuchverlag

Geertz, Clifford. (1987) Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main:Suhrkamp.

Hirschauer, Stefan; Klaus Amann (eds.) (1997) Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischenHerausforderung soziologischer Empirie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

64 von 65 31.01.2011 16:28

Page 65: Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie ... · PDF filequalitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie   itative-full.html

Wenn nicht anders angegeben, steht dieses Dokumentunter einer Creative Commons 3.0 Lizenz

http://www.univie.ac.at/ksa/elearning

Sanjek, Roger (ed.) (1990) Fieldnotes. The Makings of Anthropology. Ithaca, London: Cornell University Press.

Spradley, James (1979) The Ethnographic Interview. Fort Worth [u.a.]: Holt, Rinehart and Winston

Strauss, Anselm ; Juliet Corbin (1996) Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. BeltzPsychologie Verlags Union, Weinheim;

van Maanen, John (1988) Tales of the Field. On Writing Ethnography. Chicago/London: The University ofChicago Press.

qualitative - Qualitative Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/cp/qualitative/qualitative-full.html

65 von 65 31.01.2011 16:28