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Der Radiologe 12·99 | 1083 Arthrose: Mißverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit der Gelenke c Alter des Patienten M. Uhl • Radiologische Klinik der Universität Freiburg Radiologie des Handskeletts Teil 2: Degenerative Gelenkserkrankungen. Endokrine und metabolische Skeletterkrankungen* Weiterbildung Handskelett Der erste Teil der „Radiologie des Handskeletts“ befaßte sich mit den entzündlichen Gelenkserkrankungen und deren Manifestation am Handskelett.Im zweiten Teil die- ses Beitrags werden die degenerativen Gelenkserkrankungen sowie eine Reihe von wichtigen endokrinologischen und metabolischen Erkrankungen und deren Manife- stationen am Handskelett dargestellt. Das Skelett besteht aus 206 Knochen, mehr als die Hälfte entfallen auf die Hände und Füße. Eine Vielzahl von systemischen Osteopa- thien manifestiert sich an den kleinen Knochen der Hände und Füße – für Sie der Schlüssel zur radiologischen Diagnose. Wird ein Patient mit Finger- und Handarthralgien beim Rheumatologen vorstel- lig, ist die Röntgenaufnahme der Hand ein sehr wichtiges differentialdiagnostisches Instrument: Hat der Patient eine entzündliche oder degenerative bzw. metabolische Gelenkserkrankung? Beginnen wir mit der Suche nach den Zeichen der häufigsten Gelenkserkrankung überhaupt, der Arthrosis deformans. Arthrosis deformans Durchschnittlich 10% der Patienten in einer Allgemeinpraxis konsultieren den Arzt wegen einer degenerativen Gelenkserkrankung.Eine Arthrose entwickelt sich durch ein andauerndes Mißverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit der Gelenke. Die Fingergelenkarthrosen sind darum bei manuellen Schwerarbeitern besonders häufig anzutreffen. Auffälligerweise haben aber auch Frauen im und nach dem Kli- makterium ein höheres Risiko für die Ausbildung einer schmerzhaften Interphalan- gealgelenkarthrose. Überhaupt ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer primären Fingergelenkarthrose das c Alter des Patienten. Klinisch fallen der dumpfe Gelenkschmerz und ein durch Gebrauch des Gelenkes verstärkter Schmerz auf. Nach einer Inaktivitätsperiode (z.B. Schlaf,Autofahrt) klagen die Patienten über einen charakteristischen Startschmerz, der sich nach einigen Minuten bessert. Durch dieses klinische Zeichen kann die Arthrose von der schmerzhaften Morgen- steifigkeit bei der rheumatoiden Arthritis abgegrenzt werden. Bei letzterer Erkran- kung ist der morgendliche Anlaufschmerz meist deutlich länger und oft über Stun- den wahrnehmbar. *Teil I dieses Beitrags erschien in Heft 5/1999 von Der Radiologe, Seite 432–449. Priv.-Doz. Dr. M. Uhl, Abt.Röntgendiagnostik, Universitätsklinik Freiburg, Hugstetterstraße 55, D-79106 Freiburg,[email protected] Radiologe 1999 ·39 : 1083–1100 © Springer-Verlag 1999 Redaktion S.Feuerbach • Regensburg G. van Kaick • Heidelberg K. G. Hering • Dortmund M.Walz • Mannheim Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung“ sollen dem Stand des zur Facharztprüfung für den Arzt für Diagnostische Radiologie notwendigen Wissens entsprechen und zugleich dem Facharzt in Klinik und Praxis als Repetitorium dienen. Die Rubrik beschränkt sich auf klinisch gesicherte Aussagen zum Thema.

Radiologie des Handskeletts

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Page 1: Radiologie des Handskeletts

Der Radiologe 12·99 | 1083

Arthrose: Mißverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit der Gelenke

c Alter des Patienten

M. Uhl • Radiologische Klinik der Universität Freiburg

Radiologie des HandskelettsTeil 2: Degenerative Gelenkserkrankungen.Endokrine und metabolische Skeletterkrankungen*

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Der erste Teil der „Radiologie des Handskeletts“ befaßte sich mit den entzündlichen Gelenkserkrankungen und deren Manifestation am Handskelett. Im zweiten Teil die-ses Beitrags werden die degenerativen Gelenkserkrankungen sowie eine Reihe vonwichtigen endokrinologischen und metabolischen Erkrankungen und deren Manife-stationen am Handskelett dargestellt. Das Skelett besteht aus 206 Knochen, mehr alsdie Hälfte entfallen auf die Hände und Füße. Eine Vielzahl von systemischen Osteopa-thien manifestiert sich an den kleinen Knochen der Hände und Füße – für Sie derSchlüssel zur radiologischen Diagnose.

Wird ein Patient mit Finger- und Handarthralgien beim Rheumatologen vorstel-lig, ist die Röntgenaufnahme der Hand ein sehr wichtiges differentialdiagnostischesInstrument: Hat der Patient eine entzündliche oder degenerative bzw. metabolischeGelenkserkrankung? Beginnen wir mit der Suche nach den Zeichen der häufigstenGelenkserkrankung überhaupt, der Arthrosis deformans.

Arthrosis deformans

Durchschnittlich 10% der Patienten in einer Allgemeinpraxis konsultieren den Arztwegen einer degenerativen Gelenkserkrankung. Eine Arthrose entwickelt sich durchein andauerndes Mißverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit der Gelenke.Die Fingergelenkarthrosen sind darum bei manuellen Schwerarbeitern besondershäufig anzutreffen. Auffälligerweise haben aber auch Frauen im und nach dem Kli-makterium ein höheres Risiko für die Ausbildung einer schmerzhaften Interphalan-gealgelenkarthrose. Überhaupt ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung einerprimären Fingergelenkarthrose das c Alter des Patienten. Klinisch fallen derdumpfe Gelenkschmerz und ein durch Gebrauch des Gelenkes verstärkter Schmerzauf. Nach einer Inaktivitätsperiode (z.B. Schlaf,Autofahrt) klagen die Patienten übereinen charakteristischen Startschmerz, der sich nach einigen Minuten bessert.Durch dieses klinische Zeichen kann die Arthrose von der schmerzhaften Morgen-steifigkeit bei der rheumatoiden Arthritis abgegrenzt werden. Bei letzterer Erkran-kung ist der morgendliche Anlaufschmerz meist deutlich länger und oft über Stun-den wahrnehmbar.

*Teil I dieses Beitrags erschien in Heft 5/1999 von Der Radiologe, Seite 432–449.

Priv.-Doz. Dr. M. Uhl, Abt. Röntgendiagnostik, Universitätsklinik Freiburg, Hugstetterstraße 55,

D-79106 Freiburg, [email protected]

Radiologe1999 ·39 : 1083–1100 © Springer-Verlag 1999

RedaktionS.Feuerbach • Regensburg

G. van Kaick • Heidelberg

K. G. Hering • Dortmund

M.Walz • Mannheim

Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung“ sollen

dem Stand des zur Facharztprüfung für den

Arzt für Diagnostische Radiologie

notwendigen Wissens entsprechen und

zugleich dem Facharzt in Klinik und Praxis als

Repetitorium dienen.Die Rubrik beschränkt

sich auf klinisch gesicherte Aussagen zum

Thema.

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c Heberden-Arthrosec Bouchard-Arthrosec Rhizarthrose

Rhizarthrose führt häufig zu Funktionseinbußen.

c Entzündlich aktivierte Arthrose

Röntgenzeichen

Die Röntgenzeichen der Arthrosis deformans am Handgelenk zeigen Abb. 1 und 2.◗ Verschmälerung und „Begradigung“ des Gelenkspalts (1), verursacht durch den

Knorpelverlust. Arthrose ist zunächst eine Erkrankung des Gelenkknorpels◗ Osteophytenbildungen an den Gelenkrändern (die mechanische Druckaufnah-

mezone wird vergrößert; 2)◗ Subchondrale Spongiosaverdichtungen (mechanische Trabekelverdichtung und

reaktive Spongiosasklerose; 3)◗ Geröllzysten (subchondrale fokale Knochennekrose und Nekroseabräumung; 4)◗ Knöcherne Schlifflächen bei Fehlen des Gelenkknorpelüberzugs mit Verplum-

pung der Gelenkköpfchen (5)◗ Kapselosteome als degenerative Metaplasie des Kapselgewebes (6)

Der Arthroseröntgenbefund ist meist polyartikulär und seitensymmetrisch ausge-bildet.

Der Befall der DIP-Gelenke wird als c Heberden-Arthrose,der Befall der PIP-Ge-lenke als c Bouchard-Arthrose, die Ausprägung am Karpometakarpalgelenk I alsc Rhizarthrose bezeichnet. Im Gegensatz zur Heberden- und Bouchard-Arthrose,die kaum eine Bewegungseinschränkung verursachen, führt die Rhizarthrose häufigzu Funktionseinbußen. Schmerzen führen zu einer Adduktion des Daumens mitkompensatorischer Überstreckung des MCP-I-Gelenks („Schwanenhals“). In derHandwurzelreihe sind bevorzugt die artikulierenden Flächen zwischen Scaphoidund Os trapezium betroffen. Die seltenere MCP-Arthrose findet sich bei manuellenSchwerarbeitern und Berufsboxern und nicht selten auch bei Berufsmusikern. EineStudie an 3 Gruppen von Textilarbeitern konnte zeigen, daß diejenigen Gelenke eineArthrose entwickelten, die von den Arbeitern für ihre ständig wiederholende manu-elle Aufgabe besonders chronisch belastet wurden.

Sonderformen

Die c entzündlich aktivierte Arthrose ist eine durch Knorpeldetritus angefachte re-aktive Synovialitis. Der pathophysiologische Mechanismus ist einfach: Ist der arti-kulierende Knochen im Verlauf einer schweren Arthrose schließlich vom Knorpelentblößt, wird nach und nach der subchondrale spongiöse Knochen aufgerieben; esentsteht eine Knochenmarkwunde. Das weiche fibröse Gewebe und das Knochen-

Abb. 1 m Röntgenzeichen der Arthrosis defor-mans am Handskelett. Erläuterungen siehe Text

Abb. 2 m Arthrosis deformans: Typische Verän-derungen bei einer fortgeschrittenen Heberden-Arthrose (Pfeile) und Bouchard-Arthrose

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Der Radiologe 12·99 | 1085

c „Erosiv-destruierende Arthrose“

c Pfropfarthritis

Auf alte Frakturen achten!

c Ochronose (Alkaptonurie)

c M. Fabry

Nachweis von Angiokeratomen der Hautzur Diagnose

c Akrale Frostschäden

Störung des Harnsäurestoff-wechsels

c „Gichtanfall“

Bei chronischer Gicht auch Osteoarthro-pathie in den Weichteilen

mark werden im Gelenkkavum rasch zerrieben und unterhalten die reaktive Syn-ovialitis. Die Synovialitis führt zu einer Fibrosierung der Gelenkkapsel mit weitererBewegungseinschränkung und letztlich zur Fehlstellung. Die histologisch nachweis-bare Synovialitis kann einen klinischen Ausprägungsgrad ähnlich einer rheumatoi-den Arthritis erreichen.

Als Maximalvariante der entzündlich aktivierten Arthrose mit heftiger reakti-ver Arthritis finden wir die c „erosiv-destruierende Arthrose“. Sie zeigt Destrukti-ons- und Erosionsphänomene durch oberflächliche Infragmentation des zermürbtenartikulierenden subchondralen Knochens an den DIP- und PIP-Gelenken. Morpho-logisch erinnern diese Erosionen an die Usuren einer rheumatoiden Arthritis, aller-dings liegt keine gelenknahe Demineralisation vor. Fibröse oder ossäre Ankylosenkönnen resultieren.

Bei der c Pfropfarthritis erkrankt ein Patient mit Polyarthrose davonunabhängig zusätzlich an einer rheumatoiden Arthritis. Solitäre Arthrosen an ei-nem Hand- oder Fingergelenk lenken den Verdacht auf eine Arthrose im Anschluß aneine erworbene oder angeborene präarthrotische Deformität: man achte auf alteFrakturen (Scaphoidpseudarthrose), M.Thiemann (autosomal dominante Erb-krankheit mit Fragmentationsneigung der Epiphysen und epiphysärer Akrodyspla-sie), M.Dietrich (ischämische Epiphysennekrose der Metakarpalköpfchen in derWachstumszeit).

Zwei angeborene Krankheitsbilder sind als erhebliche Präarthrosen bekannt.Einerseits die c Ochronose (Alkaptonurie) mit der Einlagerung schwarzoxidierterHomogentisinsäure in Gelenkknorpel und Bandscheiben sowie Hemmung desKnorpelmetabolismus.

Zum anderen führt auch der c M.Fabry, eine X-chromosomal vererbte Lipid-speicherkrankheit, zu einer systemischen Knorpelerkrankung. Durch die Einlage-rung von Zeramiden, besonders in die DIP-Gelenke, neigt der dortige Gelenkknor-pel zu verfrühtem Verschleiß. Die Patienten beklagen eine „Rheumasymptomatik“mit Gelenkschmerzen und Bewegungseinschränkung. Die Blutsenkung ist erhöht.Die Rheumafaktoren sind negativ. Diagnostisch hilft der Nachweis von Angiokerato-men der Haut (v.a. am Rücken) weiter. Durch die Ablagerung von Zeramiden im Ge-fäßendothel werden die Gefäßlumina eingeengt,daraus erklären sich weitere Sympto-me des M.Fabry wie ischämische Nekrosen der Hüftköpfe, Hirninfarkte, Kardio-myopathie und Niereninsuffizienz. Die seltene Erkrankung beginnt schleichend imJugendalter.

Akute c akrale Frostschäden führen über die initiale Weichteilschwellungs-phase und nachfolgende Demineralisation mit zystischen, erosiven Knochenverän-derungen (Nekrosen) schließlich nach Jahren zu einer distal betonten Arthrose.

Sie haben jetzt die großen Krankheitsbilder des Rheumatologen kennengelernt,die systemischen, entzündlichen und degenerativen Gelenkläsionen. Die vorge-nannten Erkrankungen sind fast ausnahmslos polyartikulär und meist von chroni-schem Verlauf. Gehen wir jetzt zu den metabolischen Gelenkserkrankungen über, soerkennen Sie bald, daß metabolische Arthropathien monoartikulär oder poly-artikulär auftreten können und sich der spontane Verlauf häufig progredient zeigt.

Chronische Gicht und Arthritis urica

Der Gichtarthritis liegt eine Störung des Harnsäurestoffwechsels zugrunde, die miteiner (phasenweisen) Hyperurikämie und anfallartigen akuten Arthritiden einher-geht c („Gichtanfall“). Zwischen den Attacken liegen symptomlose Intervalle. DasLeiden kann schließlich chronifizieren. Gichtarthropathien (Abb. 3) sind häufig (1%der Bevölkerung), Männer erkranken 9mal häufiger als Frauen. Mehr als 2/3 derGichtkranken sind Pykniker.

Bei Patienten mit chronischer Gicht kommt es neben renalen Manifestationen(Nephrolithiasis mit nichtschattengebenden Konkrementen, interstitielle Nephro-pathie) und Uratablagerungen mit umgebendem Granulationsgewebe (Tophi) inden Weichteilen auch zu einer Osteoarthropathie. Die Löslichkeitsgrenze des Natri-umurats liegt im Plasma bei 6,4 mg%. Beim Überschreiten des Löslichkeitsproduk-tes kommt es unweigerlich zur Auskristallisation und Uratkristallablagerung in dieGelenkweichteile, Synovia, Sehnenscheiden und Synovialflüssigkeit.

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Metatarsophalangealgelenk amhäufigsten betroffen

Charakteristische Zeichen der Gicht-arthropathie: Randständige Knochen-defekte und gelenknahe Osteolysen

c Lesch-Nyhan-Syndrom

Harnsäureablagerungen sind „Gift“ für den Knorpel und den Knochen, sie wir-ken über die Fremdkörperreaktion (Synovitis) und über eine direkte knorpelzerstö-rende mechanische Komponente gelenkdestruktiv. Zwar ist das Metatarsophalange-algelenk I das klinisch meist betroffene Gelenk (bei 75% der Patienten mit chroni-scher Gicht ist das MTP I betroffen), bei 25% der chronisch Gichtkranken findet sichallerdings auch eine radiologische Beteiligung der Fingergelenke.

Röntgenzeichen

Zu den Röntgenzeichen s. Abb. 3.Jede mono- oder oligoartikuläre Arthrose ohne Gelenkfehlstellung und jede Polyar-

throse der DIP- und PIP-Gelenke bei Männern sollte Anlaß für eine Harnsäurebestim-mung sein. Charakteristisch für eine Gichtarthropathie sind randständige Knochende-fekte und gelenknahe Osteolysen. (Frühform: umschriebene Ausdünnung der Kno-chentrabekel und der Grenzlamelle).Die randständigen halbmondförmigen Knochende-fekte zeigen oft einen überhängenden Rand (Umfang des Tophus gestrichelt; 1), dieOsteolysen reichen oft über die Metaphyse in die Diaphyse hinein und können eine be-trächtliche Größe erreichen. Sie sind öfter oval und unregelmäßig als kreisrund geformt(2) und wirken meist scharfrandig wie ausgestanzt (DD-Enchondrom).

Weitere Zeichen:◗ Periostreaktion und Tophusstachel (4)◗ Zentrale Erosionen (3)◗ Weichteilverkalkungen (6)◗ Weichteilschwellungen und -verdichtungen gehören zu den erstrangigen Gicht

symptomen (7)◗ Ankylosen (8)

Im Reparationsstadium resultieren osteoplastische Deformierungen der kleinenRöhrenknochen wie z.B. Pilzform der Metakarpalköpfchen. Die Neigung der Gicht-kranken zu osteoplastischen Veränderungen wurde mehrfach in der Literatur be-schrieben. Letztlich droht bei andauernder Gicht die Ankylose, unter konsequenterTherapie ist aber auch eine Rückbildung der Röntgenzeichen möglich.

Zum x-chromosomal vererbten c Lesch-Nyhan-Syndrom zählen auch Gicht-arthropathien, die typischerweise vor der Pubertät bei primär unauffällig ent-wickelten Knaben zusammen mit zentralnervösen Störungen auftreten.

Differentialdiagnosen

„When in doubt,... think of gout“!

Gichtarthropathien gehören zu den häufigsten Arthropathien überhaupt und wer-den doch so häufig verkannt. Jede unklare Arthritis des erwachsenen Mannes muß

Abb. 3 b Röntgenzeichen der Gichtarthro-pathie. Erläuterungen siehe Text

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Bei unklarer Arthritis des erwachsenen Mannes wiederholte Harnsäurebestimmung

c Psoriasispolyarthropathie

c Sekundäre Hyperurikämie

c Kalziumkristalle

c CPPD-Deposition

c Akute Form:„Pseudogicht“ oder „Kristallgicht“

c Assoziationen mit anderen Krankheitsbildern

Anlaß für die wiederholte Harnsäurebestimmung sein. Die erwähnte osteoplasti-sche Komponente, in Verbindung mit der erosiven Gelenkdestruktion, hat die Gicht-arthropathie mit der differentialdiagnostisch zu bedenkenden häufigen Psoriasis-arthropathie gemein.

Zwei Röntgenzeichen haben differentialdiagnostische Bedeutung:1. Die c Psoriasispolyarthropathie zeigt ihre osteodestruktiven und osteoprolifera-

tiven Veränderungen in Gelenknähe. Die Gicht zeigt hingegen ausgestanzte De-fekte, die sich prinzipiell in diaphysärer Richtung entwickeln.

2. Durch den Einbruch randständiger Knochentophi entstehen beim Gichtkrankenrandständige Knochendefekte mit typischem überhängendem Rand. Diese Mor-phologie paßt nicht zur Psoriasisarthropathie.

Bei der Diagnose einer Arthritis urica sollte an das Vorliegen einer c sekundärenHyperurikämie gedacht werden: Vermehrte Harnsäurebildung gibt es bei myelo-proliferativen Erkrankungen und chronischer Hämolyse. Eine verminderte renaleAusscheidung von Harnsäure tritt auf bei Niereninsuffizienz, Alkoholismus, Keto-azidose (Diabetiker) und nach Einnahme von Thiaziddiuretika.

Chondrokalzinose (Kalziumkristallarthritis)

Zwei verschiedene c Kalziumkristalle, nämlich das Kalziumpyrophosphatdihydrat(CPPD) und das Kalziumhydroxyapatit (HA) können sowohl chronische als auchakute Arthritiden auslösen. Die endgültige Diagnose erfolgt durch die jeweilige ein-fache Analyse des Gelenkergusses im Polarisationslichtmikroskop (CPPD) oder imElektronenmikroskop (HA).

Die c CPPD-Deposition in den Gelenkknorpel, in die Synovialis und in das pe-riartikuläre Bindegewebe ist eine Erkrankung des älteren Menschen.Bei rund 15% derMenschen über 65 Jahren werden solche Kalziumkristalle im Gelenkknorpel nachge-wiesen, allerdings verursachen diese Deposite nur selten klinische Symptome. Tat-sächlich gibt es weit mehr asymptomatische Verläufe als akute, subakute oder chro-nische CPPD-Arthropathien. Die c akute Form wird wegen ihrer klinischen Sym-ptomatik ähnlich der Gicht auch als „Pseudogicht“ oder „Kristallgicht“ bezeichnet(Abb. 4, 5). Oft geht einer solchen Attacke ein knorpelschädigendes Trauma wie z.B.eine ungewohnte körperliche Aktivität voraus. Die manchmal bis zu 30 Tagen an-dauernden akuten/subakuten Attacken sind bei der Hälfte der Patienten mit Fieberassoziiert. Die CPPD-Arthropathie kann nicht nur idiopathisch, sondern darüberhinaus auch sekundär im Gefolge anderer Krankheitsbilder auftreten. Bekannt sindAssoziationen mit dem c Hyperparathyreoidismus, der Hämochromatose, derGicht, dem M.Wilson und der Ochronose.

Das Kniegelenk ist das Testgelenk der CPPD-Arthropathie, hier sind radiolo-gisch frühzeitig die streifigen oder krümeligen Kalziumeinlagerungen („Chondrokal-zinose“) im Faserknorpel der Menisci nachzuweisen.

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Abb. 4, 5 m Chondrokalzinose bei CPPD-Deposition

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c Kalziumhydroxyapatitdeposition (HA)bei überbeanspruchte Gewebe

Sekundäre Form bei chronischer Hyperkalzämie und chronischer Niereninsuffizienz

Kristallarthropathie führt zur Knorpel-schädigung und radiologisch zur Arthrose

c Befall des Skaphoidtrapezgelenks

Die c Kalziumhydroxyapatitdeposition (HA) betrifft erst-rangig überbeanspruchte Gewebe und führt zu Kalzifika-tionen sowohl des Knorpels als auch des Gelenkkapsel- undBandapparats. Als sekundäre Form findet man HA-Arthropa-thien bei der chronischen Hyperkalzämie (z.B. Hyperparathy-reoidismus) und der chronischen Niereninsuffizienz. Bevor-zugtes Gelenk ist die Schulter. Überraschend ist der Befund,daß solche HA-Deposite auch eine wichtige Rolle bei der ent-zündlich aktivierten Heberden-Arthrose der PIP-Gelenke derHand spielen könnten. Die meisten Patienten mit der akut oderchronisch verlaufenden HA-Osteoarthritis sind älter. Der Ver-lauf kann ausgesprochen gelenkdestruktiv sein; typisch sindzusätzliche periartikuläre Kalzifikationen sowie Sehnen- undSchleimbeutelverkalkungen.

Röntgenzeichen am Handskelett

Die Kristallarthropathien zeigen radiologisch „Kalkablagerun-gen“ nicht nur im Gelenkknorpel, sondern auch im Faserknor-pel der Menisci (z.B. Meniscus radioulnaris distalis), in der fi-

brösen Kapsel, in Bändern und Sehnen.Die Kristallablagerungen liegen typischerwei-se in den mittleren Schichten des Gelenkknorpels. Sie zeigen sich deshalb radiolo-gisch durch eine dünne Schicht von der Knochenoberfläche getrennt und liegenmeist parallel zur Knochenoberfläche angeordnet.

Die Kristallarthropathie führt zur Knorpelschädigung und radiologisch zur Ar-throse, mit der Maximalvariante der groben erosiven, zystischen Gelenkdestruktionund Fragmentierung des artikulierenden Knochens. Betroffen von der radiologischsichtbaren Kristallablagerung ist der distale Radioulnar- Meniskus in 50% der Fälle,etwas seltener der Knorpel des Triquetrumulnargelenks und in 20% der Fälle derKnorpel der MCP-Gelenke. Der bekannte und relativ häufig isolierte c Befall desSkaphoidtrapezgelenks sollte bei jeder isolierten Arthrose in diesem Gelenk an eineKristallarthropathie denken lassen. (Man sollte weitere Zeichen am Handskelett mitLupenbetrachtung suchen, vielleicht auch eine zusätzliche Testaufnahme des Kniege-lenks veranlassen).

Abb. 6 b Röntgenzeichen der Hämochromatose

Abb. 7 c Hämochromatose-Arthro-pathie. Zu beachten ist die atypische Arthrose in den MCP-Gelenken II und III

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c Hereditäre Hämochromatose

Gesteigerte Eisenresorption durchEnzymdefekt

c Sekundäre Hämochromatosen

Vor allem MCP-Gelenke II und III befallen

Bei jedem 2. Patienten Chondrokalzinose

c Besondere Skeletterkrankungen

Schmerzhafte akute Knochendemineralisierung mit Weichteilbeteiligung nach Verletzung und Ruhigstellung einer Extremität

c 6 diagnostische Kriterien

Hämochromatose

Die seltene, autosomal-rezessiv vererbte Eisenspeicherkrankheit c (hereditäre Hä-mochromatose) kommt gehäuft bei bestimmten HLA-Patientengruppen (HLA-A3, -B14, -B7) vor und manifestiert sich zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Durch ei-nen Enzymdefekt kommt es zur gesteigerten Eisenresorption bei gleichzeitiger Un-fähigkeit des RHS zur Bewältigung des Eisenüberangebotes. Neben den bekanntenklinischen Erscheinungen (Leberzirrhose, Diabetes mellitus, Hautpigmentierungund Kardiomyopathie) entsteht auch eine Osteoarthropathie.

c Sekundäre Hämochromatosen, z.B. im Gefolge von hämatologischen Er-krankungen mit defekter Hämoglobinsynthese (z.B. Thalassämie, siderochrestischeAnämie), nach Transfusionen oder bei Alkoholikern, zeigen in aller Regel einen we-sentlich geringeren Organ- und Knochenbefall. Eine erosive Arthropathie haben wirbislang nicht beobachten können. Im Labor hilft die Bestimmung des erhöhten Se-rumeisen- und Ferritinspiegels weiter. Die Eisenüberladung der Leber ist sensitiv inder MRT-Untersuchung der Leber abbildbar.

Röntgenzeichen

Die deformierende Arthropathie befällt an der Hand mit besonderer Wahrschein-lichkeit die MCP-Gelenke II und III. Die Ursache dieser frühzeitigeren und stärkerenEisenablagerung in das Gleitgewebe gerade dieser Gelenke ist nicht geklärt, im wei-teren Verlauf können jedoch auch jedes andere MCP-Gelenk und schließlich auchweitere Gelenke befallen werden.

Die Arthrose beginnt mit subchondralen, zystoiden Strukturauflockerungen,die in das Gelenkkavum aufbrechen können und der Gelenkoberfläche damit einangebissenes Aussehen verleihen. Zwei zusätzliche Zeichen finden wir am Handske-lett des Hämochromatosekranken: bei jedem 2. Patienten tritt eine Chondrokalzino-se in den Gelenken, Disken und Menisken auf. Schließlich finden wir eine diffuse, al-so nicht gelenkbezogene Demineralisation des Handskeletts.

Nach den drei wichtigsten metabolischen Osteoarthropathien (tatsächlich gibtes Dutzende weiterer seltener metabolischer Gelenkerkrankungen) wenden wir unseinigen c besonderen Skeletterkrankungen zu, die nicht selten durch den kompe-tenten Radiologen diagnostiziert werden können.

M.Sudeck

Der M.Sudeck (Sudeck 1901/02) ist eineschmerzhafte akute Knochendemineralisierungmit Weichteilbeteiligung (Abb. 8). Sie entwickeltsich nach Verletzung und Ruhigstellung einerExtremität, seltener auch nach lokal manife-stierter neurogener oder metabolischer Grund-erkrankung. Ursache dieser schmerzhaftenKnochenatrophie ist wahrscheinlich eine nerva-le Fehlinnervation der versorgenden kleinenBlutgefäße im Knochen. Die Knochenatrophieentwickelt sich 2–8 Wochen nach dem Traumadistal des traumatisierten Skelettabschnittes. Esist v.a. die Spongiosa betroffen, die Kompaktawird viel langsamer abgebaut und bleibt langeals „intakte Knochenfassade“ stehen.

Nach Genant (1975) müssen c 6 diagnosti-sche Kriterien erfüllt sein:

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Abb. 8 b M. Sudeck im Spätstadium:osteoporotische Atrophie des milchglasartigen Knochens

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Demineralisation charakteristischer-weise fleckig

Inaktivitätsosteoporosen einer Extremitätbei Immobilisation abgrenzen

c Diagnose

c 3-Phasenskelettszintigrafie,MRT

c Hämatologische Differentialdiagnosen:

Leukämie, Hämoglobulinopathien

c Sichelzellanämie

c Diagnose

c Thalassämien

4 bekannte Formen

1. Spontane Schmerzen und Hypersensibilität im betroffenen Extremitätenab-schnitt

2. Subkutane Weichteilschwellung3. Vasomotorische Instabilität wie Hyperhidrosis4. Fleckige Osteoporose (Knochenatrophie)5. Reduzierte motorische Funktion6. Trophische Hautveränderungen wie livide Hautfarbe

Radiologisch ist die Demineralisation zunächst charakteristischerweise fleckig, inGelenknähe und besonders in der subchondralen Spongiosa stärker ausgeprägt; dieKortikalis wirkt nach einigen Wochen dadurch akzentuiert und wie mit einem Blei-stift nachgezogen. Erst im chronischen Stadium (2–4 Monate nach Trauma) disse-ziert auch die Kompakta. Das Krankheitsbild schreitet zentrifugal fort. Im irreversi-blen atrophischen Endstadium ist die Haut schließlich blaß und kühl, dünn undtrocken. Das Röntgenbild zeigt die osteoporotische Atrophie des milchglasartigenKnochens.

Differentialdiagnostisch sind Inaktivitätsosteoporosen einer Extremität beiImmobilisation abzugrenzen. Die Latenzzeit zwischen Ruhigstellung und Nachweisder Osteoporose beträgt 3–5 Wochen, bei Kindern mitunter nur wenige Tage. Erfah-rungsgemäß prägt sich die Immobilisationsosteoporose erst in der Metaphyse aus(Ausnahme: eher homogene Dichteabnahme bei Kindern und Jugendlichen). Ent-scheidend für die c Diagnose ist die anamnestische Angabe einer Immobilisationin jüngster Vergangenheit. Die Immobilisationsosteoporose ist nicht schmerzhaft.

Neben der c 3-Phasenskelettszintigrafie spielt die MRT eine zunehmend wich-tige Rolle in der Diagnostik der Sudeckschen Reflexdystrophie. Unter dem Einsatzfettsupprimierter T2-gewichteter Sequenzen und der STIR-Technik lassen sich stadi-enabhängig in der zeitlichen Reihenfolge die Hautverdickung und Weichteilschwel-lung, das subkutane Ödem und Gelenkergüsse, schließlich das Knochenmarködemund die Haut- und Muskelatrophie direkt visualisieren. Auch einige c hämatologi-sche Differentialdiagnosen sind am Handskelett abzulesen. Neben der bereits inTeil I als Differentialdiagnose des juvenilen Rheuma beschriebenen akuten Leuk-ämie sind es vor allem die häufigen Hämoglobulinopathien, die der Radiologe raschals Ursache von Knochenschmerzen identifizieren kann:

Hämoglobulinopathien

Die Mehrzahl der ca. 300 bekannten anomalen Hämoglobine unterscheiden sichvom normalen Hämoglobin durch den Austausch einer einzelnen Aminosäure. Dieklinisch wichtigste Hämoglobinopathie ist die autosomal-dominant vererbte c Si-chelzellanämie. Die homozygoten Sichelzellhämoglobinträger tragen das qualitativveränderte Hämoglobin-S (HbS), welches im deoxygenierten Zustand präzipiertund die Erythrozyten in eine Sichelform zwingt. Solch veränderte Erythrozyten ver-lieren ihre Flexibilität und Verformbarkeit und behindern damit die kapillare Mi-krozirkulation. Knocheninfarkte, Knochennekrosen, Wachstumsstörungen undOsteoporose sind die Folge. Die vermehrt fragilen Blutkörperchen hämolysieren zu-dem leichter und führen zum Befund der hämolytischen Anämie und peripherenHypoxie. Die c Diagnosesicherung gelingt mittels Hb- Elektrophorese und demmikroskopischen Sichelzellentest.

c Thalassämien sind bei mediterranen Menschen eine recht häufige Ursachefür hypochrome Anämien. Thalassämien sind genetisch bedingte autosomal-rezes-siv vererbte Anämien, die auf eine verminderte Synthese einer strukturell normalenPeptidkette des Hämoglobins beruhen. Die 4 bekannten Formen der Thalassämiewerden nach den betroffenen Peptidketten benannt. Die weitaus häufigere β-Tha-lassämie zeichnet sich durch eine verringerte Produktion von β-Ketten aus. Der he-terozygote Zustand (Minorform) zeigt praktisch keine Handskelettveränderungen,hingegen ist die homozygote Form (Cooley-Anämie mit schwerer hämolytischerAnämie) im Röntgenbild sehr auffällig. Aufgrund der ineffektiven Erythropoesewerden die blutbildenden Markräume ausgeweitet. Typisch ist ein Minderwuchsdurch frühzeitigen Epiphysenschluß. Im europäischen Raum ist die β-Thalassämie inItalien, Griechenland und in der Türkei verbreitet.

Page 9: Radiologie des Handskeletts

Der Radiologe 12·99 | 1091

Gesteigerte Zellproliferation der roten Zellreihe

c „Erlenmeyerkolbendeformität“

c Knocheninfarkte:Bei Sichelzellenpatienten häufiger als beiThalassämiepatientenc „Knochen im Knochen“

c Endokrinopathien mit Gelenk- undKnochenbeteiligung

c Parathormonsteigert über zwei verschiedene WirkorteKalziumgehalt im Serum

Röntgenzeichen der Hämoglobinopathien am Handskelett

Die Röntgenzeichen der Hämoglobinopathien zeigen Abb. 9 und 10: Die gesteigerteZellproliferation der roten Zellreihe (erythroblastische Hyperplasie) lockert dieSpongiosa der Röhrenknochen grobsträhnig auf. Der Markraum der Diaphysendehnt sich aus, die Strahlentransparenz der Knochen nimmt zu, die Taillierung derDiaphysen fehlt. Die Kortikalis kann ausgedünnt werden. Die zusätzliche Röntgenauf-nahme der Schädelkalotte zeigt einen sog. Bürstenschädel, die langen Röhrenkno-chen eine metaphysäre Auftreibung, die c „Erlenmeyerkolbendeformität“ (1).Durch die Thrombosierung nutritiver Knochengefäße kommt es zu (epiphysären)Knocheninfarkten in den (Meta-)karpalia (2). Subchondrale Infarkte brechen in dasGelenkkavum auf, es entstehen sekundäre Arthrosen (3). Insgesamt sind c Kno-cheninfarkte bei Sichelzellenpatienten sehr viel häufiger als bei Thalassämiepatien-ten. Periostreaktionen und Periostverdickungen führen zum Bild des c „Knochensim Knochen“ (4) und rechteckigen Umbau der Metakarpalia (5). Häufig sind lokaleFormveränderungen des Knochens durch epiphysäre Entwicklungstörungen. Kli-nisch fallen die Patienten durch (asymmetrisch) verkürzte Metakarpalia und Pha-langen auf. Am häufigsten ist hiervon der Metakarpalknochen IV betroffen.

Im letzten Kapitel unserer Serie folgen eine Reihe von spannenden c Endokri-nopathien mit Gelenk- und Knochenbeteiligung. An erster Stelle stehen der Hyper-parathyreoidismus (HPT) und der Hypoparathyreoidismus.

Hyperparathyreoidismus (HPT) und Hypoparathyreoidismus

Das c Parathormon wird von den Nebenschilddrüsen sezerniert. Dieses Hormonsteigert sehr wirkungsvoll über zwei verschiedene Wirkorte den Kalziumgehalt imSerum: Zum einen wird in der Niere durch Parathormon die tubuläre Reabsorptionvon Kalzium maximiert (bei gleichzeitiger Inhibierung der Reabsorption von Phos-phaten), andererseits stimuliert das Parathormon im Knochen die Osteoklasten unddie osteoklastäre Knochenresorption mit Freisetzung des Knochenkalziums. Bei zuhohem Serumkalziumspiegel nimmt die Stoffwechseleffektivität des Parathormons

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Abb. 9 m Röntgenzeichen der Hämoglobino-pathien. Erläuterungen siehe Text

Abb. 10 m Thalassämie-Zeichen am Handskelett:Wabig-grobsträhnige Auftreibung der kleinenRöhrenknochen

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| Der Radiologe 12·991092

c Primärer HPT

c Sekundäre HPT (sHPT)

c Tertiäre HPT (tHPT)Endzustand eines sekundären HPT

c „Stein-Bein-Magen-Pein“Klassische klinische Diagnose heute selten

ab. Zudem wird über einen direkten Feed-back-Mechanismus bei Zunahme des Se-rumkalziums die Ausschüttung von Parathormon aus der Nebenschilddrüse inhi-biert. Das Parathormon kann seine Wirkungen am Knochen nur in Anwesenheitvon Vitamin D voll entfalten.

Unterschieden wird pathophysiologisch zwischen einem primären, sekundärenund tertiären HPT. Ein c primärer HPT entspricht einer primären Erkrankung derNebenschilddrüse mit vermehrter Parathormonbildung durch solitäre Adenome(80%), Hyperplasie der Epithelkörperchen (15%) oder selten bei Karzinomen derEpithelkörperchen oder im Rahmen eines MEN Typ IIa (multiple endokrine Neo-plasien Typ II). Die MEN IIa besteht im Vollbild aus einem medullären Schilddrü-senkarzinom, Phäochromozytom und HPT.

Der c sekundäre HPT (sHPT) entsteht regulativ, wenn durch eine nicht para-thyreogene Erkrankung der Serumkalziumspiegel sinkt. Meist handelt es sich umeinen renalen sekundären HPT, der Serumkalziumspiegel des niereninsuffizientenMenschen sinkt durch den Abfall des Vitamin D3, die Nebenschilddrüse reagiert miteiner erhöhten Ausschüttung von Parathormon. Ein sekundärer HPT bei normalerNierenfunktion findet sich bei enteralen Erkrankungen (z.B. Malassimilation vonKalzium oder fettlöslichem Vitamin D) oder Hepatopathien (z.B. Leberzirrhose mitgestörtem Vitamin D-Metabolismus, Cholestase mit gestörter Resorption des fett-löslichen Vitamins) und schließlich kutanen Vitamin-D-Synthesestörungen (feh-lende UV-Lichtexposition). Auch eine gestörte Phosphatausscheidung (Phosphat-stau) kann einen sHPT auslösen.

Von einem c tertiären HPT (tHPT) spricht man, wenn sich im Verlauf eines se-kundären HPT eine Hyperkalzämie entwickelt. Der tertiäre HPT ist der Endzustandeines sekundären HPT mit nicht mehr regulierbarer, autonomer Epithelkörper-chenüberfunktion.

Die klassische klinische Diagnose c („Stein-Bein-Magen-Pein“ mit Nephroli-thiasis, Osteoklastenaktivierung und negativer Knochenbilanz, Ulzera duode-ni/ventriculi) ist heute selten geworden. Durch die Labordiagnostik (Kalzium, Phos-phat in Serum und Urin, Parathormon, alkalische Phosphatase) wird das Krank-heitsbild heute wesentlich früher diagnostiziert. Der Serumkalziumspiegel ist nurbeim primären und tertiären HPT erhöht, beim sekundären HPT jedoch normaloder erniedrigt.

Abb. 11 m Röntgenzeichen des Hyperparathy-reoidismus

Abb. 12 m HPT: subperiostale Re-sorptionen (Pfeile), Entkalkung undverwaschene Knochenstruktur

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Der Radiologe 12·99 | 1093

Knochenresorption an der radialseitigenKompakta der Mittelphalangen

c Knochenstruktur

c Sekundäre Arthrosezeichen

c „Braune Tumoren“

c Zeichen des sekundären HPT

Wert der Handaufnahme

c Analyse der radiologischen Feinstruktur der Skelettelementeder Hand

Röntgenbefunde am Handskelett

Zu den Röntgenbefunden siehe Abb. 11 und 12.Die subperiostale Knochenresorption durch Osteoklastenaktivierung fällt in

der Regel zuerst an der radialseitigen Kompakta der Mittelphalangen auf. Die Kom-pakta ist arrodiert, aufgeblättert, lamellär disseziert, zystisch, tunneliert und un-scharf (1).

Die c Knochenstruktur ist verwaschen, die Trabekel verlieren ihre Schärfe, derKalksalzgehalt ist diffus vermindert.

Es finden sich akrale Osteolysen (2), arrodierte Endphalangen und Griffelfortsät-ze. Die Kortikalislinie der Nagelfortsätze ist bei Lupenbetrachtung frühzeitig unter-brochen und gezähnelt. An den Gelenken der Hand fällt die Ausdünnung oder Aus-löschung der Grenzlamelle auf (3), schließlich Erosionen und Usuren. Durch Ein-brüche des demineralisierten artikulierenden Knochens entstehen arthritoide Bil-der (4), zumal Gelenkergüsse und reaktive Synovialitiden das Bild weiter verwirrenkönnen. Betroffen sind besonders die distalen Interphalangealgelenke der viertenund fünften Finger beiderseits symmetrisch, gefolgt von den MCP-Gelenken.

c Sekundäre Arthrosezeichen sind zusätzlich möglich.An mechanisch belaste-ten Sehnenansätzen sind Insertionsdystrophien durch parathyreoidalen Knochen-abbau häufig (5).

Bei 15% des primären HPT werden resorptive osteoklastäre Riesenzellgranulo-me (c „braune Tumoren“) (Abb. 13) gefunden, diese diaphysär gelegenen Osteolysentreiben die Knochen spindelförmig kolbig auf, die Kortikalis bleibt sehr lange erhal-ten, eine Periostreaktion ist selten. Im Innern der Osteolyse findet sich meist einediskrete wolkige Strukturverdichtung (alte Einblutungen) ohne regelrechte Binnen-struktur (6). Riesenzellgranulome bei einem sekundären HPT sind selten (1,5% derPatienten).

Weichteilverkalkungen, Chondrokalzinosen, Arterienverkalkungen und subku-tane Kalkablagerungen sind v.a. c Zeichen des sekundären HPT (7). Ein HPT vorAbschluß der Skelettreife hat verheerende Wirkungen auf die Wachstumsfugenzo-ne, der Knochen wird abgebaut, die Chondrozyten verlieren ihre regelrechte Lage-anordnung, das Längenwachstum wird bleibend gestört, Epiphysenlösungen an me-chanisch belasteten Röhrenknochen und pathologische Metaphysenfrakturen kön-nen resultieren. Radiologisch kann die Epiphysenfuge verbreitert oder aber bis zumverfrühten Fugenschluß verschmälert sein.

In einem beträchtlichen Teil der Fälle mit nachgewiesenen Veränderungen amHandskelett stellt sich das übrige Skelett unauffällig dar (Wert der Handaufnahme!).

Differentialdiagnostische Hinweise

Die Abgrenzung zu weiteren osteopenischen Knochenerkrankungen gelingt weiter-hin durch die c Analyse der radiologischen Feinstruktur der Skelettelemente der

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Abb. 13 c Sog.„Brauner Tumor“ bei primärem HPT (Pfeilspitze).Verwaschene-entkalkte Spongiosa-struktur. Gefäßverkalkungen

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| Der Radiologe 12·991094

c Osteomalazie

c „Superscan“c Hypoparathyreoidismus

c Pseudohypoparathyreoidismus

c Definition

Zeitintervall zwischen Osteoidsyntheseund Mineralisation 5–10 Tage

Hand. In der Lupenvergrößerung erkennt man bei einem Hyperparathyreoidismus-patient die besprochene Aufblätterung und Dissektion der Kortikalis, die ausgefran-ste Unschärfe der Kortikalis zur Markhöhle hin, die grobsträhnigere Spongiosa-zeichnung und vergröberte Strukturdetails. Bei einer c Osteomalazie sehen Sie hin-gegen eine verwaschene Unschärfe der Spongiosastruktur (Osteoidanlagerung andie Trabekel), eine unscharf begrenzte und verschmälerte Kortikalis, Knochenver-biegungen und Umbauzonen an größeren Röhrenknochen (distaler Radiusschaft!).Das Osteoporoseskelett zeigt eine ebenso verschmälerte Kortikalis, sie ist jedochmesserscharf berandet und akzentuiert,wie mit dem Bleistift nachgezogen.Durch dieResorption ist die Zahl der Knochenbälkchen rarefiziert. Strukturdetails lassen sichgut abgrenzen. Im Szintigramm fällt bei der Vollform des HPT die massive Tracerein-lagerung in das Skelett auf (c „Superscan“).

Der c Hypoparathyreoidismus sei wegen seines seltenen Auftretens nur kurzgestreift. In seiner angeborenen Form mit Unterfunktion der Nebenschilddrüsenkommt es zu Minderwuchs und Verminderung der Knochenmasse, Verkalkungender Wirbelsäulenligamente und zu Zahnentwicklungsstörungen. Manifestationenam Handskelett sind Phalangenverkürzungen, homogene Knochenverdichtung undverkalkte Sehneninsertionen. Beim erworbenen Hypoparathyreoidismus (z.B. ia-trogen nach Struma-OP) kommt es durch herabgesetzten endostalen Knochenumbauzu einer radiologisch erst nach Jahren faßbaren Osteopenie.

Dem c Pseudohypoparathyreoidismus (5 verschiedene Formen) liegt eine Re-sistenz der verschiedenen Parathormonrezeptoren zugrunde. Abhängig von resi-stentem Rezeptortyp enstehen z.T. sehr verschiedene Krankheitsbilder. Die häufigsteForm (M.Albright) zeigt wichtige Veränderungen am Handskelett. Die kleinwüchsi-gen Patienten fallen mit Verkürzungen insbesondere der Metakarpalia I, IV und Vauf. Die Epiphysen sind aufgetrieben und dysplastisch. Laborchemisch haben diePatienten eine Hypokalzämie, Hyperphosphatämie und hohe Parathormonspiegel.Es liegt sowohl eine Resistenz der Nieren als auch des Skeletts gegen das biologischpotente Parathormon vor (Abb. 14).

Rachitis, Osteomalazie und renale Osteopathie

Unter Rachitis versteht man nach aktueller c Definition eine gestörte Mineralisati-on und Desorganisation der Wachstumsfuge des Knochens. Osteomalazie hingegenist eine mangelnde oder verlangsamte Mineralisation von Osteoid. Normalerweisebeträgt das Zeitintervall zwischen Osteoidsynthese und Mineralisation 5–10 Tage.

Abb. 14 c Dysplastische Skelettverän-derungen bei einem Jungen mit Pseudo-hypoparathyreoidismus (M. Albright)

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Der Radiologe 12·99 | 1095

c Wichtigste Ursache:Mangel an stoffwechselaktivem Vitamin D

Vitamin-D-MangelzuständeVitamin-D-Stoffwechselanomalien

c Weitere Rachitis- und Osteomalazieursachen

c de-Toni-Debre-Fanconi-Syndrom

c Seltenere Ursachen einer Rachitis oder Malazie

Schlüsselzeichen in den Meta- und Epiphysen

Bei Osteomalaziepatienten verlängert sich dieses Intervall auf mehrere Monate.Beim Kind kommen beide Defekte simultan vor, beim skelettreifen Menschen nachEpiphysenfugenschluß kann lediglich noch die Malazie auftreten.

Verantwortlich für diese Knochenveränderungen sind eine Reihe von Ätiologi-en. c Wichtigste Ursache ist ein Mangel an stoffwechselaktivem Vitamin D. Das ak-tive Vitamin D erhöht physiologischerweise die intestinale Absorption von Kalziumund Phosphaten im proximalen Dünndarm. Zudem forciert Vitamin D die renaletubuläre Reabsorption von Kalzium.Ätiologisch sind bei der Rachitis und Malazie so-wohl Vitamin-D-Mangelzustände (z.B. Malabsorption, Diätfehler) als auch Vitamin-D-Stoffwechselanomalien (angeborene Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I und II)bekannt. Die aufwendige Vitamin-D-Transformation im Organismus kann bioche-misch auf kutaner, hepatischer oder renaler Ebene gestört sein. In der Laboruntersu-chung fällt evtl. eine Hypokalzämie, meist jedoch eine erhöhte alkalische Phosphata-se (knochenspezifisches Isoenzym) auf. Zur Differenzierung, auf welcher Synthese-ebene die Vitamin-Stoffwechselstörung auftritt, kann jedes Synthesezwischenpro-dukt quantitativ im Serum bestimmt werden.

Neben diesen häufigeren Vitamin-D-assoziierten Osteomalazien sind aller-dings noch c weitere Rachitis- und Osteomalazieursachen beschrieben worden.Hierzu zählen renale proximaltubuläre Störungen mit einer erhöhten Clearance fürPhosphat und nachfolgender Hypophosphatämie. Eine Phosphatverarmung alleinekann eine Osteomalazie verursachen. Tritt diese Funktionsstörung im Kindesalterauf, wird sie als Phosphatdiabetes oder Vitamin-D-resistente Rachitis klassifiziert.Betrifft die proximaltubuläre Störung zusätzlich den renalen Glukose-, Aminosäu-re- und Harnsäuretransport, spricht man von einem c de-Toni-Debre-Fanconi-Syndrom. Auch eine chronische azidotische Stoffwechsellage führt zu Rachitis undOsteomalazie (z.B. chronisch renale tubuläre Azidose, sekundäre Formen der rena-len Azidose). Die angeborene Hypophosphatäsie kann sich im Kindesalter alsschwerste, z.T. letale Rachitis, in der Erwachsenenform als Osteomalazie manifestie-ren. Ursächlich ist ein autosomal-rezessiv vererbter Mangel an alkalischer Phospha-tase.

c Seltenere Ursachen einer Rachitis oder Malazie seien noch kursorisch aufge-zählt: M.Wilson, Zystinosis, Glykogenosen, Recklinghausen-Neurofibromatose, Flu-orintoxikation, Diphosphonatbehandlung, Antikonvulsiva-Therapie, Antazidathe-rapie; Malabsorption von Vitamin D durch mangelnde Fettaufbereitung wie Lipase-mangel, chronische Pankreatitis, fehlende Gallensäuren bei biliärer Zirrhose; Postga-strektomiesyndrom; mangelnde Resorption im Dünndarm bei M.Crohn oder Zölia-kie, postoperativ nach Darmresektionen.

Röntgenzeichen der Rachitis am Handskelett

Die radiologischen Schlüsselzeichen finden sichin den Regionen stärksten Wachstums, also inden Meta- und Epiphysen (vgl. Abb. 15):◗ Die unzureichende desorganisierte Minerali-

sation der Wachstumszone drückt sich in ei-ner becherförmigen Verbreiterung der Meta-physe aus. Die Wachstumsfuge ist verbreitert,die metaphysäre Abschlußplatte ähnelt einem ausgefransten „Trümmerfeld“

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Abb. 15 b Rachitis-Befunde bei einem Kleinkind:Becherung und Unschärfe der Metaphysen. Osteopenie desgesamten dargestellten Handskeletts

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| Der Radiologe 12·991096

c Milkman-Syndrom

c Dialysepatienten

c Aluminiumakkumulation

Riesenwuchs durch Adenom des Hypo-physenvorderlappens

◗ Verzögerte Skelettreife◗ Akroosteolysen◗ Unscharfe, verwaschene Spongiosastruktur (Radiergummiphänomen)◗ Diffuse, homogene Dichteabnahme des „Mattglasknochens“◗ Diffus osteopenischer Knochen, ausgedünnte Kortikalis, bilateral symmetrische

Loosersche Umbauzonen, also radiologisch sichtbare feine Aufhellungslinien imSinne von chronischen Frakturen; diese kortikalen Dauerfissuren bzw. Frakturenwerden durch einen Osteoidkallus zusammengehalten (Pseudarthrose)

◗ Verdünnte oder defekte subchondrale Grenzlamelle bis hin zu Erosionen undUsuren, sekundären Arthrosezeichen

Die (bilateral) symmetrisch angeordneten Looser-Zonen werden auch nach Milk-man benannt (sog. c Milkman-Syndrom).An der Ulna fallen sie im proximalen, amRadius im distalen Schaftdrittel auf. Am Handskelett sind die Daumenphalangenbevorzugt betroffen.

Die renale Osteopathie im Rahmen einer dekompensierten oder terminalenurämischen Niereninsuffizienz zeigt radiologisch ein Mischbild aus einer Osteoma-lazie, einem sekundären (tertiären) Hyperparathyreoidismus und im Kindesaltereiner Rachitis. Weitere zur Zeit diskutierte Faktoren sind die Auswirkungen derchronischen metabolischen Azidose, des schlechteren Ernährungsstatus, der Steroid-therapie und Aluminiumintoxikation. Durch die Einführung der Dauerdialyse kön-nen Patienten die terminale Niereninsuffizienz lange überleben, dementsprechendhäufig sieht der Radiologe heute renale Osteopathien.

Einige Besonderheiten am Handskelett von c Dialysepatienten:1. Gefäß- und Weichteilverkalkungen. Das Ausmaß der irreversiblen Gefäßverkal-

kungen (A. radialis) korreliert mit der Dauer der Dialysebehandlung.2. Dialysearthropathie und Dialysearthritis, eine schmerzhafte Mono-, Oligo- oder

polytope Arthritis mit Weichteilschwellung.3. Zeichen der c Aluminiumakkumulation sollen eine erhöhte Frakturanfälligkeit,

eine Neigung zu avaskulären Knochennekrosen, eine Minderung der subperiosta-len Knochenresorption und schließlich die Neigung zu periostalen Reaktionensein. Pathoanatomisch soll eingelagertes Aluminium die Mineralisation von neu-gebildetem Osteoid blockieren. Durch moderne Dialysetechniken konnte das Pro-blem der Aluminiumintoxikation gelöst werden, so daß zukünftig entsprechendeSkelettbilder seltener werden dürften.

Zeichen der Amyloidose, sekundären Gichtarthropathie und Chondrokalzinosewerden in anderen Kapiteln abgehandelt. Eine Übersicht über die wichtigsten Rönt-genzeichen der generalisierten Osteopenien finden sich in Tabelle 1.

Akromegalie (Hyperpituitarismus)

Ein somatotropes Adenom des Hypophysenvorderlappens sezerniert unphysiolo-gisch große Mengen des Wachstumshormon STH.Vor Abschluß der Skelettreife füh-ren solche Hormonüberproduktionen zum Riesenwuchs (Gigantismus). Nach der

Tabelle 1

Differentialdiagnostische Übersicht der wichtigsten generalisierten Osteopenien

Anatomische Osteoporose Osteomalazie Hyperparath-Struktur yreoidismus

Spongiosa Dünn, rarefiziert Verwaschen GrobsträhnigKortikalis Schmal, glatt Schmal, unscharf AufgeblättertStruktur Scharf Unscharf VergröbertStatik Frakturen Looser-Zonen Kleine Einbrüche

Page 15: Radiologie des Handskeletts

Der Radiologe 12·99 | 1097

Nach der SkelettreifeAkro- und Viszeromegalie

c Fehldiagnose rheumatoide Arthritis

Erweiterung des radiologischen Gelenkspaltes und dissektion des Knorpels

c Thyreoidale AkropachieMeist nach therapeutischer Normalisie-rung der peripheren Hormonsituation beiHyperthyreosepatienten

Skelettreife kommt es zur allmählichen Akro- und Viszeromegalie. Das klinischeLeitsymptom ist die Vergrößerung von Händen, Füßen, Schädel, Zunge, inneren Or-ganen und die Vergröberung der Physiognomie. Neben der direkten Hormonbe-stimmung des STH stützen bildgebende Verfahren die Diagnose weiter ab. Das Tho-rax-Übersichtsbild zeigt die Kardiomegalie, die Sonographie die Splanchnomegalie,die Schädelaufnahme die Vergrößerung der Nasennebenhöhlen und des Schädel-umfangs sowie die Sellaexkavation. Das Adenom kann in der MRT sichtbar gemachtwerden. Die Weichteilschwellung ist auf einer seitlichen Aufnahme des Kalkaneus zubeurteilen, der Fersenweichteilschatten wird dicker als 25 mm. Die LWS-Aufnahmezeigt eine Höhenzunahme der Bandscheiben, eine ventrale Wirbelkörperdickenzu-nahme und grobe Spondylophytenbildung. Die klinische Erscheinung der manuellenAkromegalie mit Gelenkschmerzen, Morgensteifigkeit und Gelenkergüssen verfüh-ren den Unerfahrenen zur Diagnose der c rheumatoiden Arthritis.

Röntgensymptome am Handskelett

Zu den Röntgenbefunden bei Akromegalie siehe Abb. 16 und 17.Die Proliferation des minderwertigen akromegalen Gelenkknorpels führt zu-

nächst zu einer Erweiterung des radiologischen Gelenkspaltes (1a), dieser Knorpelneigt aber aufgrund seiner geringeren Belastbarkeit zur baldigen Dissektion undzum vorzeitigen Verschleiß und zeigt letztlich radiologisch das Arthrosebild der be-troffenen Gelenke (1b). Während die Knochenlänge der kleinen Röhrenknochen(Metakarpalia und Phalangen) gleich bleibt, nimmt deren Dicke unförmig zu (2), anden Nagelfortsätzen der Endphalangen entstehen ankerförmige Knochenansätze(Spatenzeichen, 3) und zudem osteophytenähnliche Kapselansatzverkalkungen (4).Die Metakarpalköpfchen entwickeln nasenartige Knochenanbauten (5), gleichzeitigist die Binnenstruktur der Metakarpalköpfchen grobsträhniger konfiguriert. DieVerdickung der Sehnen kann zum Karpaltunnelsyndrom führen.

Schilddrüsenassoziierte Arthropathien

Die c thyreoidale Akropachie entwickelt sich meist nach therapeutischer Normali-sierung der peripheren Hormonsituation bei Hyperthyreosepatienten. Radiolo-gisch fallen die Patienten mit einer Weichteilschwellung der distalen Extremitätenab-

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Abb. 16 c Röntgenbefundebei Akromegalie

Abb. 17 c Akromegalie: Spatenform der Endphalanx. Osteoproliferationenan den Gelenkrändern und Diaphysen der kurzen Röhrenknochen (Pfeile)

Page 16: Radiologie des Handskeletts

| Der Radiologe 12·991098

c EMO-Syndrom

c MyxödemarthropathieHypothyreote Stoffwechsellage

c Angeborene Hypothyreose

c Juvenile Hypothyreose

c Multizentrische Retikulohistiozytose

schnitte auf, begleitet von einer z.T. recht imposanten, schmerzlosen und seitensym-metrischen periostalen Reaktion der Metakarpalia- und Phalangendiaphysen (Abb.18). Klinische Zeichen sind Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel. Im Serumwerden erhöhte Werte des LATS-Autoantikörpers (long acting thyreoid stimulator)gemessen. Im neueren Schrifttum wird dieses angeführte Krankheitsbild auch alsc EMO-Syndrom geführt (Exophthalmus, Myxödem, Osteoarthropathia hypertro-phicans).

Die radiologische Symptomatik umfaßt periostale Knochenneubildungen inden diaphysären Abschnitten der kurzen Röhrenknochen der Hände und Füße. Sieimponieren als fransige, irreguläre Periostverknöcherungen v.a. in der Schaftmitteeinzelner Metakarpalia.

Die c Myxödemarthropathie bei hypothyreoter Stoffwechsellage des Erwachse-nen verläuft nicht erosiv. Wegen der klinischen Erscheinung mit Morgensteifigkeit,Gelenkschmerzen und Synovialisschwellung der MCP- und Karpalgelenke ist sie al-lerdings eine klinische Differentialdiagnose zur rheumatoiden Arthritis. Bekannt istdie Neigung zu Knochennekrosen, im Handbereich besonders des Os lunatum.

Während die c angeborene Hypothyreose durch die gesetzlich vorgeschriebe-ne TSH-Untersuchung am 5. postpartalen Tag heute fast immer erkannt wird, ist diejuvenile erworbene Form nicht selten. Die c juvenile Hypothyreose führt zu Ske-lettreifungsstörungen mit verzögertem Schluß der Epiphysenfugen. Die radiologi-schen Kardinalsymptome sind auf der Handaufnahme erkennbar: Die verzögerteSkelettreife kann durch den Vergleich mit entsprechenden Tabellenwerken (z.B. At-las von Greulich und Pyle) bewiesen werden. Knochenkerne treten verspätet auf,Epiphysenfugen werden später geschlossen. Die Epiphysen verknöchern aus zahllo-sen Ossifikationszentren heraus, die Epiphysen wirken dadurch wie vielfach frag-mentiert. Statt eines Ossifikationskerns, der vom Zentrum her gleichmäßig ver-kalkt, bilden sich im Knorpel mehrere Herde, die erst allmählich konfluieren. DieEpiphysen sind nicht glatt, sondern sehen unregelmäßig und fleckig maulbeerför-mig aus. Die Röhrenknochen der Hand erscheinen verkürzt und plump.

Unklassifizierte Krankheitsbilder

Zum Schluß noch ein etwas rätselhaftes Krankheitsbild, das nicht in unsere vorgege-bene Klassifikation einzuordnen ist, die c multizentrische Retikulohistiozytose.Die multizentrische Retikulohistiozytose ist eine Systemerkrankung, bei der sich inder Haut, in den Schleimhäuten, in den Sehnenscheiden und Sehnenansätzen undschließlich auch in der Synovialis ein Lipid in abnorm proliferierten Histiozyten an-

Abb. 18 c Thyreoidale Akropachie (EMO-Syndrom): feine Periostreaktion entlang der Diaphyse der Metakarpalia (Pfeile)

Page 17: Radiologie des Handskeletts

Der Radiologe 12·99 | 1099

Aggressives, riesenzellhaltiges Granulati-onsgewebe

„Erweiterung“ des Gelenkspaltes

sammelt. Meist tritt die Osteoarthritis vor den Hautsymptomen auf, die aus gelbrot-braunen periartikulär lokalisierten Papeln und Noduli bestehen. Histologisch findetman im Gelenkkavum ein äußerst aggressives, riesenzellhaltiges Granulationsgewe-be mit oder ohne Histiozyten, das den Knorpel und Knochen ausgeprägt arrodiert.

Röntgenzeichen

Siehe hierzu Abb. 19 und 20: Bilateral-symmetrische Arthritis an allen Gelenken derHand ohne bestimmte Dominanz (im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis mit be-kanntem dominantem Befall der MCP-, Karpal- und PIP-Gelenke).

Das Krankheitsbild verläuft rasch progredient und erreicht innerhalb wenigerJahre das Mutilitätsstadium. Durch die ausgedehnte subchondrale Knochenresorpti-on kann radiologisch eine „Erweiterung“ des Gelenkspaltes sichtbar sein, das ag-gressive Granulationsgewebe kann ebenso auch zu juxtaartikulären Konturdefektenaußerhalb des Gelenkkapselansatzes führen. Ein weiterer Gegensatz zur rheumatoi-den Arthritis ist das Fehlen einer stärkeren gelenkbezogenen Demineralisation auchim Stadium schwerer Erosionen und Konturdefekte. Ein weiteres Mißverhältnis be-steht zwischen der Schwere der Gelenkveränderungen und den relativ geringen kli-nischen Beschwerden.

Nach Durcharbeiten des zweiten Teils der „Radiologie des Handskeletts“ sollten Sie diewichtigsten endokrinologischen und metabolischen Krankheiten am Handskeletterkennen. Insgesamt haben Sie in den beiden Teilen der Weiterbildungsserie über 30Krankheitsbilder und zahlreiche weitere Differentialdiagnosen gefunden, die Ihnenin der radiologischen Routinearbeit nicht selten am Lichtkasten begegnen werden.

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Abb. 19 m Röntgenbefunde bei multizentrischerRetikulohistiozytose

Abb. 20 m Eigentümliche gelenknahe Osteolysenbei einer Patientin mit multizentrischer Retikulohi-stiozytose. Die Patientin war lokal beschwerdefrei

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Fragen und Antworten zur Erfolgskontrolle

Zur Erfolgskontrolle folgen nun drei Aufgaben:

1. Der 4jährige Junge weist „Verbiegungen“ der langen Röhrenknochen auf.Die Eltern, überzeugte Anhänger einer strengen vegetarischen Lebenswei-se, bringen ihren Sohn wegen einer Grünholzfraktur des Radiusschaftes ineine Chirurgische Ambulanz (Abb. 21). Wie lautet Ihre klare radiologischeDiagnose?

Der Junge leidet unter einer Vitamin-D-Mangelrachitis. Nacheiner Ernährungsumstellung von strenger vegetarischer Er-nährung auf laktovegetarische Lebensweise und therapeuti-scher Vitaminzufuhr waren die Skelettveränderungen raschrückläufig.

2. Der 44jährige Patient hatte in den letzten Monaten eine Reihe gesundheitli-cher Probleme. Nach einem rezidivierten Duodenalulkus und einer Nieren-steinkolik findet der behandelnde Internist nun auch Herzrhythmusstörun-gen. Erkennen Sie die gemeinsame Ursache der Symptome nach einem Blickauf die Röntgenaufnahme der Hand (Abb. 22)?

Der Patient leidet an einem Hyperparathyreoidismus mit wich-tigen internistischen Manifestationen: „Stein-Bein- und Ma-genpein“! Die Hyperkalzämie führte zu Herzrhythmusstörun-gen und typischen EKG-Veränderungen, die den Internisten andie Verdachtsdiagnose denken ließen. Die Laborbefunde bestä-tigten den primären HPT.

3. EMO ist ein Akronym. Benennen Sie die drei Komponenten dieses auch ske-lettradiologisch wichtigen Krankheitsbildes.

EMO steht für Exophthalmus, Myxödem und Osteoarthropa-thie, also Symptome einer schilddrüsenassozierten Skeletter-krankung. Die Erkrankung tritt Wochen bis Monate nach derTherapie einer Hyperthyreose auf, also zum Zeitpunkt einereuthyreoten Stoffwechsellage. Der progressive Exopthtalmusführt die Patienten zum Arzt, während die meist schmerzlosenSkelettmanifestationen erst gezielt durch das Röntgenbild vonHand und Fuß gefunden werden. Etwa 1% aller therapiertenHyperthyreosepatienten erkrankt an einem EMO-Syndrom.

Abb. 21 m Zu Aufgabe 1

Abb. 22 m Zu Aufgabe 2