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Refl exkriechen 2.1 Inhalte des Reflexkriechens – 32 2.2 Stützfunktion von Gesichtsarm und Schultergürtel – 37 2.3 Schrittbewegung des Hinterhauptsarms und seine Beziehung zum stützenden Gesichtsarm – 55 2.4 Streckung und Drehung von Kopf und Halswirbelsäule bei Vorwärts- bewegung der Schultergürtelachse – 59 2.5 Schrittzyklus beim Vierfüßlergang niederer Wirbeltiere, beim menschlichen Krabbelgang und bei der Reflexlokomotion – 64 2.6 Beinbewegungen und Schrittphasen – 69 2.7 Bewegungen des Axisorgans: Kopf und zervikaler Bereich – 89 2.8 Aktivitäten im orofazialen Bereich – 96 2

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Refl exkriechen

2.1 Inhalte des Refl exkriechens – 32

2.2 Stützfunktion von Gesichtsarm und Schultergürtel – 37

2.3 Schrittbewegung des Hinterhauptsarms und seine Beziehung zum stützenden Gesichtsarm – 55

2.4 Streckung und Drehung von Kopf und Halswirbelsäule bei Vorwärts-bewegung der Schultergürtelachse – 59

2.5 Schrittzyklus beim Vierfüßlergang niederer Wirbeltiere, beim menschlichen Krabbelgang und bei der Refl exlokomotion – 64

2.6 Beinbewegungen und Schrittphasen – 69

2.7 Bewegungen des Axisorgans: Kopf und zervikaler Bereich – 89

2.8 Aktivitäten im orofazialen Bereich – 96

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2.1 Inhalte des Refl exkriechens

In . Übersicht 2.1 werden die motorischen Teilmuster des globalen Fortbewegungsmusters »ReĀ exkriechen« zusam-mengefasst.

Übersicht 2.1. Teilmuster des Refl ex krie-chens

Der Rumpf richtet sich auf und bewegt sich in Richtung der stützenden Extremitäten (Ellenbo-gen- und Kniegelenk).Voraussetzung ist eine unbehinderte Wirbelsäu-lenextension in allen Abschnitten, die über in-tersegmentale Rotationen im Bereich des Axis-organs (Kopf, Hals- und Brustwirbelsäule) zustan-de kommt.Der Rumpf hebt sich von der Unterlage ab und bewegt sich zum stützenden Ellenbogen hin. Der Oberarm ist im Schultergelenk 120-135° fl ek-tiert und 30° abduziert, wodurch sich der Stütz-punkt Ellenbogen lateral und kranial des Rumpfes befi ndet.Die gesichtsseitigen proximalen Segmente der Extremitäten (Oberarm, Oberschenkel) und die Ferse des Hinterhauptsbeins werden gemäß der kreuzkoordinierten Fortbewegung (. Abb. 2.23) in wechselnder Folge zu Stützpunkten.Bei der Aufrichtung während der Stützphase des Schrittes bewegt sich die Schultergelenkpfan-ne (Gesichtsseite) drehend über den Humerus-kopf; die Hüftgelenkpfanne bewegt sich bei stüt-zendem Kniegelenk (Gesichtsseite) drehend über den Femurkopf. In der Standphase bewegt sich die Hüftgelenk-pfanne bei stützendem Fuß (Hinterhauptsseite) drehend über den Femurkopf. Bei der phasischen Bewegung (Beuge- und Rela-xationsphase des Schrittes am hinterhauptssei-tigen Arm und gesichtsseitigen Bein) gleiten Hu-merus- und Femurkopf drehend in ihren Gelenk-fl ächen.

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2.1.1 Gelenkstellungen in der Ausgangslage (. Abb. 2.1)

Die A usgangslage ist die Bauchlage. S ie wir d d urch die Anwendung der Auslöse- o der Reizzo nen ( 7 Kap. 2.1.2) über globale Muskelfunktionen zu einer aktivierten labilen Körperlage, a us der sic h der F ortbewegungsprozess des ReĀ exkriechens in Gang setzt.

Aktivierte AusgangslageDie Gelenkstellungen folgen bereits der Aufrichtung. Der Rumpf ha t sic h im V ergleich zur nic ht a ktivierten Aus-gangslage schon etwas von der Unterlage abgehoben und zum stützenden Ellenbogen hin vorwärtsbewegt. Dadurch stellt sich das Handgelenk in der gesichtsseitigen Schulter- und Hüft gelenklinie ein. D as Becken hat sich bereits auf dem H interhauptsbein a ufgerichtet, s odass die Ferse in der Linie des Tuber ossis ischii liegt. D as Hüftgelenk des Gesichtsbeins ist s chon außenrotiert und a bduziert. D er Unterarm liegt mi t der v olaren Fläche auf der U nterlage. Die Längsachse des Humerus zielt zum Gipfel der Kypho-se, die sic h im B ereich des t horakolumbalen Üb ergangs befi ndet. An dies er S telle ist die maximale Ro tation der thorakalen Wirbelsäule möglich.

In . Abb. 2.1 is t die ak tivierte A usgangslage da rge-stellt. Ob wohl sic h der Sä ugling in s einen P roportionen stark von älteren Kindern und Er wachsenen unterschei-det, wird für alle Altersstufen die g leiche Zeichnung ver-wendet.

KopfDer Kopf wird in der Halswirbelsäule passiv gestreckt und 30° gedreht, bis er mit dem Tuber frontale auf der Unter-lage liegt. H ierbei wir d die Lordose der H alswirbelsäule ausgeglichen. Die zu erwartende Aktivität des Kopfes geht von der asymmetrischen Ausgangslage aus.

GesichtsarmDer Ar m der G esichtsseite ist im S chultergelenk üb er 120°, jedoch weniger als 135° Ā ektiert und 30° a bduziert. Der mediale Epicondylus humeri liegt auf der Unterlage. Das Ellenbogengelenk ist ca. 45° Ā ektiert. Das Handgelenk liegt in der S chultergelenklinie. (Die W inkelgrade bezie-hen sich auf die Null-Stellung im Stand).

HandstellungBei der B ehandlung zer ebralparetischer K inder o der Erwachsener kann beim ReĀ exkriechen ein harter Gegen-

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22.1 · Inhalte des Refl exkriechens

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stand in die Gesichtshand gegeben werden. Er ermöglicht die passive Breitstellung der H andĀ äche und erleich tert es den Mm. interossei palmares syner gistisch mi t den isometrisch a ngespannten Mm. interossei dorsales zu arbeiten. Die An spannung der H andmuskulatur m uss bei abduzierten Metakarpalia st attfi nden. D abei wird die Hand zur F aust g eschlossen, meist v ehement zur F aust geballt, soda ss di e Mm. interossei palmares und dorsales ihre pa thologische D ysbalance a ufgeben. Die zur F aust geschlossene H and en tfaltet sich im Mi ttelhandbereich, ergreift den G egenstand und wird dann radial a bduziert. Dies ist bemerkenswert, da bei Bewegungsstörungen, v.a. bei der pathologischen Handstellung ze rebralparetischer Patienten, adduzierte Metakarpalia und ulnare Deviation des Handgelenks vorherrschen.

HinterhauptsarmDer Ar m der g esichtsabgewandten S eite ist s owohl im Schulter- als a uch im E llenbogengelenk in 0°-S tellung und liegt neb en dem R umpf. H and- und Fin gergelenke sind frei gehalten.

Hinterhauptsbein bei Säuglingen und KleinkindernDas dem G esicht a bgewandte B ein ha t in dies em Al ter die gleiche Winkelstellung wie das B ein auf der Gesichts-seite. Der Oberschenkel ist s o weit in Außenrotation und Abduktion, dass der mediale Femurkondylus auĀ iegt. Der funktionelle Unterschied zwischen Gesichts- und Hinter-hauptsbein liegt in der »g eplanten« und zu er wartenden Bewegungsantwort (7 Kap. 2.6).

Bei Reizun g der Fersenzone (7 Kap. 2.1.4) wir d da s obere Sprunggelenk im 90°-Winkel bei Inversion des Fußes vom Th erapeuten passiv auf der Unterlage gehalten.

Hinterhauptsbein bei ErwachsenenDer Er wachsene ha t eine g eringere B ecken- und B ein-beweglichkeit als der Sä ugling, da die Abduktions- und Außenrotationsfähigkeit der Hüft gelenke nachlässt.

Beispiel

Wenn rechtes Bein Hinterhauptsbein ist, und medialer Femurkondylus und Ferse auf der Unterlage aufl iegen, entste-hen folgende weiterlaufende Bewegungen in der Lenden-wirbelsäule:

linkskonvexe Lateralfl exion,Extension undnegative Rotation der Verbindungslinie zwischen rechter und linker Spina iliaca anterior superior (Minusrotation).

GesichtsbeinBei Säuglingen und Kleinkindern ist das Bein der Gesichts-seite (. Abb. 2.1) im Hüftgelenk 30-40° Ā ektiert, 60° abdu-ziert und etwa 40° a ußenrotiert. D as Kniegelenk ist 4 0° Ā ektiert. Das Fußgelenk liegt frei und befi ndet sich in der Schulter-Hüft gelenk-Linie, in der sich a uch der T uber ossis ischii befi ndet. Die Vorfuß- und Zehenstellung wird in der Ausgangslage nicht passiv korrigiert. Bei Erwachse-nen liegt das G esichtsbein in S treckung, Adduktion und Innenrotation.

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Abb. .. Ausgangslage des Refl ex-kriechens. Die Bezeichnung der Extre-mitäten richtet sich nach der Kopfdre-hung: Die dem Gesicht zugewandten Extremitäten heißen Gesichtsarm und - bein, die dem Gesicht abgewandten Extremitäten Hinterhauptsarm und - bein

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2.1.2 Auslösezonen (. Abb. 2.2)

Es wird unterschieden zwischen Reizzonen an den Extremitäten und Reizzonen im Bereich des Schulter- und Beckengür-tels.

Die an den Extremitäten gelegenen Zonen reizen das Peri-ost. Über die Z onen an Schulter- und B eckengürtel wer-den, zusätzlich zum Periostreiz, Dehnreize auf bestimmte Muskelgruppen ausglöst. Eine Ausnahme bezgl. der Loka-lisation ist die Rumpfzone, durch die v.a. die autochthone Muskulatur angesprochen wird.

Die Reize auf Periost und Muskeln, ebenso der Druck auf die GelenkĀ ächen und Bänder haben propriozeptiven Charakter.

Das Setzen der Reize über die Auslösezonen hat in der therapeutischen Anwendung keine Wertigkeit. Bei einem gesunden Neugeborenen ka nn j edoch a us einer E xtre-mitätenzone der K oordinationskomplex in s einer Glo-balität vollkommen provoziert werden, was a us einer a m Schulter- oder Beckengürtel gelegenen Zone oder aus der Rumpfzone nicht möglich ist.

2.1.3 Räumliche und zeitliche Summation der Auslösereize

Werden mehrere Auslösezonen g leichzeitig g ereizt, kommt die g eplante Muskelaktivität durch die räumliche Summation schneller und vollkommener zustande als bei Reizung nur einer Z one. Durch Variation und Kombina-tion der a ngewandten Zonen kann der Aff erenzstrom der Impulse a uf unzählig e Ar ten mo difi ziert und v ervielfäl-tigt werden, um die b ei motorischer Pathologie gestörten Koordinationsebenen der a ngelegten, jedoch blockierten ReĀ exfortbewegungsmuster zu erreichen. Erst dann kann das motorische Output die ontogenetisch programmierten Muskelspiele in Gang setzen.

Im Laufe der Aktivierung entsteht durch die zeitliche Summation eine isometrische Kontraktion. Sie kann durch anhaltende Reizun g der A uslösezonen und Widerstand gegen die entstandenen Bewegungsabläufe verstärkt wer-den. D urch den W iderstand wir d die is otonisch-dyna-mische K ontraktion in eine is ometrisch-dynamische umgewandelt. D as in I sometrie g ehaltene ReĀ exfortbe-wegungsmuster da rf k einesfalls mi t st atischer Muskelar-beit verwechselt werden. Eher ist der von der isometrisch

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kontrahierten Skelettmuskulatur getragende Organismus mit einem gespannten Bogen zu vergleichen. Wird dieser losgelassen, richtet sich seine Bewegung zum Endziel hin, d.h., die isometrische Muskelkontraktion hat eine Wirkrich-tung und en thält einen Fortbewegungsvektor (Kraft linie: Die Kontraktionskraft wird mi t einer b estimmter S tärke in eine festgelegte Richtung weitergeleitet).

Aktivierte Körperlage und ihre BremsungDie Ausgangslage wird bereits durch die Zonenreizung zu einer aktiven sehr labilen Lage. Wird diese durch Wider-stand gebremst, kann sie in ihr er verlängerten Dauer als die auf ihr Ziel hinsteuernde Zeitlupenbewegung angese-hen werden. Da der im zen tralen Nervensystem geplante Bewegungsablauf nicht nur theoretisch erklärbar, sondern auch sichtbar ist, ist es k ein Problem, sich die Körperlage in der Endposition mit den unterschiedlichen Winkelstel-lungen der Gelenke vorzustellen.

Bei dynamisch-isometrisch g ehaltener la biler Aus-gangslage werden die M uskeln b ereits in der A usgangs-lage a ktiviert, um den M enschen üb er g esetzmäßige Gelenkbewegungen in Endposition zu bringen.

Die geplante Bewegung ist nic ht n ur t heoretisch erklärbar, sondern auch sichtbar; nicht nur, aber vor allem bei zerebralmotorischen Störungen, bei denen im Gegen-satz zu p eripheren L äsionen eine in takte neuronale Ver-bindung zu den Muskeln besteht.

Lokale motorische Antwort als erste sichtbare Aktivierung des globalen MustersBei Reizung einer Zone kommt es am gereizten Ort direkt zu einer lokalen Antwort. Breiten sich die v erschiedenen lokalen Antworten durch zeitliche und räumliche Summa-tion aus, kommt ein globales Muster zustande. Unter dem Begriff »lokale Antwort« ist keineswegs eine Antwort aus dem näc hstliegendenen B ereich des ZNS, dem spinalen Niveau, zu v erstehen; die lo kale An twort wir d a us der aktivierten Körperlage »g eboren« und ist p osturalmäßig an die ganzheitliche Körperhaltung gebunden. Durch die weitere zeitliche FortpĀ anzung der Reizung und Aktivie-rung ist an der gereizten Extremität evt. die erste sichtbare Landung des mo torischen Kommandos von der üb erge-ordneten Kommandobrücke auf das der Extremität zuge-ordnete spinale Gebiet (»fi nal common path«) zu sehen.

Anzahl der ReizzonenAus jeder Zone kann potentiell der ganze Fortbewe-gungskomplex provoziert werden. Beim Refl exkriechen

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(7 Kap. 2.1.4, 2.1.5) und auch beim Refl exumdrehen (7 Kap. 3.3.2, 4.2) stehen Reizzonen zur Verfügung. Bei den reziproken Mustern der Refl exfortbewegung wird das globale Muster auf einer Körperhälfte, (die Hinter-haupts- und auch Gesichtsseite ist), von 9 Zonen aus in Funktion gebracht. Somit wird zur Aktivierung desselben globalen Musters mit 2 × 9 Zonen gearbeitet. Hierdurch wird das zentrale Nervensystem mit physiologisch adäquaten Signalen aus der Peripherie dosierbar »über-schwemmt«.

Auswirkungen des aktivierten Zustands des NervensystemsDie Aff erenzen und Eff erenzen aus den provozierten physi-ologischen Muskelspielen werden dem Zentralnervensys-tem in v erschiedenartigster K ombination und zei tlicher Speicherung ein geprägt. Es wir d in einen ak tivierten Zustand versetzt, dess en Nachwirkungen nach Ende der Reizsetzung noch mindestens eine halbe Stunde anhalten. Dafür spricht die regelmäßige Erfahrung bei der Behand-lung von ICP-Kindern, die meist eine gestörte Stereogno-sie (Fähigkeit, G egenstände mi t der H and zu erk ennen) und eine Dysarthrie (Störung der S prechmotorik mi t gestörter Ar tikulation, v ermehrter S prechanstrengung, Veränderung der L autstärke und Sprechgeschwindigkeit) haben.

Beispiel

Machen ICP-Kinder Fortschritte in der Stütz- und Greiff unk-tion der Hand, entwickelt sich zunehmend die Fähigkeit der Stereognosie (7 Kap. 1.6.2). Diese ist anfänglich nur vorübergehend direkt nach der Therapie für ca. 30 Minuten vorhanden und verschwindet wieder. Ist jedoch die weitere regelmäßige Behandlung gewährleistet, nehmen mit der sich verbessernden Stütz- und Greiff unktion auch die stereognos-tischen Fähigkeiten zu; sie stehen schneller und dauerhafter zur Verfügung.Das durch die Lockerung der Spastizität zustande kom-mende Wohlbefi nden der Kinder nach der Therapie hat eben-falls nur eine begrenzte Dauer. Gleiches triff t für die Lockerung des Sprechens bei Dysar-thrien zu.

Um die Dauer der Behandlungsnachwirkungen zu verlän-gern, m uss die Th erapie mehr mals t äglich d urchgeführt werden. Dadurch verlängert sich der »geweckte Zustand« des ZNS, denn nur über diesen kann das ICP-Kind die neu

entstandenen Fähigkeiten in seiner motorischen Ideation anwenden.

2.1.4 Auslösezonen an den Extremitäten (. Abb. 2.2)

HinterhauptsbeinLokalisation. Der Reiz wird am Außenrand der Ferse, am Proc. lateralis tuberis calcanei des K alkaneus, dir ekt a m Ursprung des M. abductor der Kleinzehe ausgelöst.

Druckrichtung. Der Druck geht nach ventral, kranial und medial (bezogen auf den U nterschenkel), d.h., gegen die Unterlage und zum K niegelenk, des Weiteren zum Hüft -gelenk.

Reizart. Hau ptsächlich propriozeptiv. Üb er die B eteili-gung von Berührungs- und S chmerzrezeptoren der Haut werden keine sicheren Angaben gemacht.

GesichtsbeinLokalisation. Der Reiz wir d am Epicondylus medialis fe-moris ausgelöst.

Druckrichtung. Der Druck ist g egen die A dduktion und in Richtung Hüft gelenk, also nach dorsal, medial, krani-al gerichtet.

Reizart. Periostreiz (p ropriozeptiv), a ußerdem Dr uck des Hüft kopfs in die Hüft gelenkpfanne und Dehnung der Oberschenkeladduktoren.

HinterhauptsarmLokalisation. Die Auslösezone liegt ca. 1 cm proximal des Proc. styloideus radii auf der medioventralen Seite des Ra-dius.

Druckrichtung. Der Druck geht nach dorsal, lateral und kranial in Richtung Ellenbogen- und Schultergelenk.

Reizart. P eriostreiz.

1 Der M. abductor digiti minimi ist der größte und längste Klein-zehenmuskel. Er f ormt bei Aktivierung der Refl exlokomotion den lateralen Fußrand.

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GesichtsarmLokalisation. Der Reiz wir d am Epicondylus medialis hu-meri ausgelöst.

Druckrichtung. Der Druck geht nach dorsal, kaudal und medial (bezogen auf den Rumpf).

Reizart. Periostreiz, außerdem Druck des Humeruskopfes in die Schultergelenkpfanne.

2.1.5 Auslösezonen an Rumpf und Gliedergürteln (. Abb. 2.2)

RumpfzoneLokalisation. Die R umpfzone liegt unmi ttelbar ka udal des unteren Skapulawinkels in der vertebralen skapulären Linie der Hinterhauptsseite, am Rande des M. erector trun-ci.

Druckrichtung. Der Druck geht nach ventral und medial in Richtung Sternum und

in der Ausgangslage in die Mitte der Distanz zwi-schen Knie und Ellenbogen der Gesichtsseite (nach kaudal),bei vollzogener Beugung des Gesichtsbeins in Rich-tung des gesichtsseitigen Kniegelenks.

Reizart. Der Reiz wirkt als:Periostreiz im Bereich der 7. und 8. Rippe.

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Übertragener Reiz auf die kostovertebralen Gelenke.Übertragener Reiz auf die Rotatoren der autochtho-nen Muskulatur (7 Kap. 4.6.1).Direkter Reiz auf die Mm. intercostales externi.Reizung der Interozeptoren der Pleura (Veränderung der Atemfrequenz und -tiefe).Übertragene Dehnung der Schulter- und Beckengür-telmuskulatur auf der Gesichtsseite, ebenso auf den unteren Anteil des M. trapezius.

Gesichtsseite des SchultergürtelsLokalisation. Die Reizone liegt am medialen Skapularand, an der Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel.

Druckrichtung. Der Druck geht nach lateral, kranial und dorsal, e vt. a uch v entral zum s tützenden E llenbogen in Richtung E picondylus medialis h umeri. H ierdurch wir d der Periostreiz mit der D ehnung des M. serratus anterior bzw. der Adduktoren der Skapula kombiniert.

Reizart. Periostreiz mit Dehnungsreiz auf den M. serratus anterior, evt. auf die Adduktoren der Skapula.

Gesichtsseite des BeckengürtelsLokalisation. Der Reiz wir d a n der Spina iliaca anterior superior ausgelöst.

Druckrichtung. Der Druck geht nach dorsal, kaudal und medial.

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Abb. .. Auslösezonen des Refl ex-kriechens.

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22.2 · Stützfunktion von Gesichtsarm und Schultergürtel

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Reizart. Periostreiz und D ehnung der schrägen Bauch-muskulatur und des M. quadratus lumborum.

Hinterhauptsseite des SchultergürtelsLokalisation. Die Reizzone liegt a m ventralen R and des Akromions.

Druckrichtung. Der Druck geht nach dorsal, medial und kaudal.

Reizart. Periostreiz und Dehnung, besonders des M. pec-toralis minor, des oberen Teils des M. trapezius; übertragene Dehnung auf den M. pectoralis major der Gesichtsseite.

Hinterhauptsseite des BeckengürtelsLokalisation. Die Reizzo ne liegt im mi ttleren T eil der Aponeurose des M. gluteus medius.

Druckrichtung. Der Druck geht nach ventral und medial, beim 3. Vektor ändert sich die Richtung:

Ist das Gesichtsbein noch in der Ausgangslage, geht die Druckrichtung in die Mitte der Distanz zwischen Kniegelenk und Ellenbogen der Gesichtsseite.Ist das Gesichtsbein schon gebeugt, wird der Druck gegen das Kniegelenk der Gesichtsseite, nach kranial gerichtet.

Reizart. I n der Ausgangslage gibt es einen direkten punk-tuellen Reiz auf die Aponeurose des M. gluteus medius der Hinterhauptsseite und D ehnung des M. gluteus medius. Eine indirekte Dehnung kommt auf der lateralen gesichts-seitigen M uskelschicht des R umpfes zust ande. D er Reiz wirkt außerdem auf die Hüftadduktoren des Gesichtsbeins und M. triceps brachii der Gesichtsseite.

Bei gebeugtem Gesichtsbein wir d eine D ehnung a uf M. quadriceps femoris, ischiokrurale Muskelgruppe und M. gluteus medius des Gesichtsbeins ausgeübt.

2.2 Stützfunktion von Gesichtsarm und Schultergürtel

In . Übersicht 2.2 sind die F unktionen von G esichtsarm und S chultergürtel b eim ReĀ exkriechen zusammenge-fasst.

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Übersicht 2.2. Funktionen von Gesichtsarm und Schultergürtel beim Refl exkriechen:

Der Gesichtsarm übernimmt gemeinsam mit dem Schultergürtel die Stützfunktion für den Rumpf.Der Schultergürtel wird auf diesem Arm gegen die Schwerkraft aufgerichtet.Das Axisorgan (Kopf und Rumpf) wird über das Schultergelenk in Richtung des Gesichtsarms zur Seite, vorwärts und nach oben bewegt.Die Bewegungen von Hals- und Brustwirbelsäule, Kopf, Becken und der übrigen Extremitäten ste-hen in engem Zusammenhang mit den hoch dif-ferenzierten Aufrichtemechanismen im Schulter-gürtelbereich, bei denen die Schultergürtelmus-kulatur den Rumpf dreidimensional über den Hu-meruskopf zieht.Die Aufrichtung über den stützenden Oberarm mit der Fortbewegungstendenz des Rumpfes zum Stützpunkt Ellenbogen gibt dem Axisorgan (Rumpf und Kopf) eine Haltung, die auf musku-lär-dynamischer Koordination beruht.Stützpunkt ist der Ellenbogen.Bei Ellenbogenstütz wird der in die Hand gege-bene Gegenstand bei dorsaler Extension und ra-dialer Abduktion des Handgelenks ergriff en!Die Metakarpalia werden bei gebeugten Finger-gelenken abduziert.Die zur Faust geschlossene Hand wird nicht bela-stet; der Stütz erfolgt nicht auf der Hand.Analog zu den Phasen des Schrittzyklus, befi ndet sich der Gesichtsarm in der Stütz- oder Stand-phase. Die Wirkrichtung der Muskulatur geht zum Punktum fi xum Ellenbogen, d.h., Schulter-blatt- und Oberarmmuskulatur haben eine Wir-krichtung nach distal, die Unterarmmuskulatur nach proximal.

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Pathologie: Bedeutung des Schultergürtels bei globalen ErsatzbewegungenIm Schultergelenk der Gesichtsseite spielt sich der gesamte Drehmechanismus des ReĀ exkriechens a b. An dies em Gelenk hä ngt b ei der V orwärtsbewegung das ga nze Körpergewicht. W eicht es da bei in eine abnormale Hal-tung aus, hat das üb rige Muskel- und S kelettsystem kei-ne Cha nce, in die F ortbewegungsfunktion des g lobalen Musters einzusteigen. Stattdessen gehen vom gesichtssei-

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tigen Schultergelenk Ersatzbewegungen aus, die sich über Rumpf und W irbelsäule bis in die P eripherie fortsetzen. In der motorischen Entwicklung des Kindes entstehen auf diesem Wege b ereits vor dem . Lebensmonat abnor me Haltungs- und Bewegungsmuster.

Bei infantilen zerebralmotorischen Störungen en t-wickeln sic h die Er satzbewegungen zwin gend a uf dies e Weise. A uch en tstehen d arüber Körperhaltungsmängel im frühen Kindesalter und da rauf aufb a uende Sekundär-symptome wie

Knick- und Plattfuß,frühkindliche Skoliose,Glockenthorax.

2.2.1 Funktion der Skapula

Das Schulterblatt ist ein am Rumpf frei beweglicher Kno-chen, a n dem die gr oßen Ā achen R umpfmuskeln a nset-zen. Seine dreieckige Form und Konfi guration machen es möglich, dass sic h beim ReĀ exkriechen die M uskelspiele des oberen Rumpfes zuerst auf das g esichtsseitige Schul-tergelenk und dann über das Schultergelenk hinweg zum Punktum fi xum Ellenbogen konzentrieren.

Die Muskelspiele sind dynamisch, labil und keinesfalls statisch, denn das ReĀ exkriechen ist ein reziprokes, sich immer wie derholendes zyklisches Fortbewegungsmuster, in das selbstverständlich auch das Schulterblatt integriert ist. S eine außerordentlich gr oße f unktionelle B edeutung wird b eim st ützenden Ar m der G esichtsseite deu tlich, denn hier – eb enso wie in der mo torischen Ontogenese des M enschen – liegt die Startstufe der Gleichgewichts-steuerung (Vojta 1974).

Humerus als stützender Hebel und Hebekranfunktion der Skapula für den Rumpf In B auchlage ist die m uskuläre B indung der S kapula an den R umpf und v .a. die des R umpfes an die S kapula Voraussetzung f ür die Gewichtsverlagerung in Ric h-tung Humerus, der als stützender Hebel dien t. U m die Gewichtsverlagerung gut koordinieren zu k önnen, muss die g esamte R umpfmuskulatur syner gistisch a rbeiten. Sämtliche Muskeln verlieren dabei ihre Agonisten-Antago-nisten-Funktion, denn das Körpergewicht wird von syner-gistischen M uskelfunktionen a usgewogen v erlagert, was gleichbedeutend mit einer Gleichgewichtshaltung ist.

Betrachtet man die Skapula als Hebekran, an dem der Oberkörper durch Muskelfunktionen aufgehängt ist, wird

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ihre F unktion s ehr a nschaulich: G estützt a uf den H ebel des Humerus wir d der R umpf a uf der G esichtsseite zur Skapula g ehoben und üb er das S chlüsselgelenk S chulter vorwärts bewegt (. Abb. 2.3).

Die Fortbewegungsrichtung des Ru mpfes g eht ü ber den kra niolateralen W inkel des S chulterblatts und die Cavitas glenoidalis zum Humeruskopf, über dem sich der ganze Rumpf als Korpus mobile drehend aufrichtet.

Idealmotorische Entwicklung: Funktion der Skapula

Die Skapula ist als überdimensionales Os interpo-situm anzusehen. Erst mit ihrer Hilfe ist die von der Muskelaktivität abhängige Elastizität bei der Fortbe-wegung auf allen Vieren gewährleistet. Das triff t auf das Refl exkriechen ebenso zu wie auf die Fortbewe-gungsarten während der motorischen Ontogenese bis zum freien bipedalen Gang. Hierzu gehören nicht nur der Krabbelgang, sondern z.B. auch das Hochzie-hen zum Stand und das Seitwärtsgehen an Möbeln entlang. Bei Fortbewegungen in vertikaler Rumpfhaltung bewirkt die Funktionseinheit »Rumpf-Schulterblatt-Arme« das elastische reziproke Gegenpendeln der Arme bei der Gleichgewichtssteuerung. Die knö-cherne Form der Skapula ist so konstruiert, dass die Konzentration der Kräfte sowohl bei der Aufrichtung des Schultergürtels auf den Arm als auch bei der pha-sischen Armbewegung in Richtung Schultergelenk zielt. Dies wird beim Refl exkriechen in der phasischen Funktion des Hinterhauptsarms deutlich, wobei die das Schulterblatt besetzende Muskulatur (Mm. rhom-boidei, M. levator scapulae, M. trapezius, alle Anteile des M. serratus anterior, M. subscapularis) den Arm bewegt (7 Kap. 2.3).

2.2.2 Dorsale muskuläre Bindung des Rumpfes an die Skapula (. Abb. 2.3 a, b)

Die do rsale M uskulatur, Mm. rhomboideus major und minor, Pars transversa und Pars ascendens des M. trapezius, M. subscapularis (. Abb. 2.4), ha t einen streckenden Ein-fl uss auf die autochthone Muskulatur. Lateral schließt sich der M. serratus anterior a n. M. serratus posterior inferior

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Refl exumdrehen aus der Rückenlage

3.1 Vergleich: Refl exumdrehen und Refl exkriechen – 100

3.2 Historischer Rückblick: Entstehung des Refl exumdrehens – 101

3.3 Refl exumdrehen aus Rückenlage – 102

3.4 Einstellung der Wirbelsäule in axiale Streckung – 106

3.5 Zwerchfellkontraktion, Bauchpresse und Interozeption von Pleura, Mediastinum und Bauchorganen, Rippenbewegungen und Atemtätigkeit – 108

3.6 Gelenk- und Muskelfunktionen beim Refl exumdrehen aus der Rückenlage – 109

3.7 Rumpfbewegungen – 111

3.8 Idealmotorische Entwicklung des gesunden Neugeborenen: Aus der Rückenlage über das Drehen in den Krabbelgang – 116

3.9 Funktion der belasteten Skapula: Vergleich beim Refl exkriechen und Refl exumdrehen – 119

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Kapitel 3 · Refl exumdrehen aus der Rückenlage

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Das globale Muster des ReĀ exumdrehens beginnt aus der Rückenlage und endet mi t dem Krabbelgang (. Abb. 4.20 a, b).

Die »inner e G estaltung« des B ewegungsablaufs v on der Rückenlage zum Krabbelgang und die »Weckung der motorischen T eilmuster« ist b ei den P atienten in zei t-lichem und räumlichem Ablauf unterschiedlich.

Aus p raktischen, t echnischen und pädag ogischen Gründen wird das ReĀ exumdrehen in Phasen eingeteilt:

Die Bewegungsantworten aus der Rückenlage sind Folge der hoch diff erenzierten Reizung der Brustzone (7 Kap. 3.3.2).Der Bewegungsablauf ab der Seitenlage führt über den schrägen Sitz und endet im Vierfüßlergang.

3.1 Vergleich: Refl exumdrehen und Refl exkriechen

Refl exkriechen: Einordnung der Teilmuster in die Entwicklungsgeschichte – Refl exumdrehen: Einordnung der Teilmuster in die motorische OntogeneseDas M uster des Refl exumdrehens is t eb enso wie das Refl exkriechen ein »k ünstliches« M uster ( 7 Kap. 1.10.1 ). Im Gegensatz zum ReĀ exkriechen, das in seinem Gesamt-ablauf (nicht jedoch in s einen motorischen Teilmustern) mit entwicklungsgeschichtlichen Analogien (z.B. mit den Bewegungen der Schlange, 7 Kap. 1.10.1) verglichen wur-de, gehört das ReĀ exumdrehen in die motorische Ontoge-nese. Denn hierbei werden dieselben B ewegungsabläufe gleichzeitig sichtbar, die während des Drehvorgangs in der motorischen En twicklung als T eilmuster nacheinander, d.h., erst im Laufe des ersten Lebensjahres entstehen.

Die Teilmuster des ReĀ exkriechens reichen bis in die Zeit der freien bipedalen Fortbewegung hinein, bis in das . Trimenon. Das ReĀ exkriechen reicht a lso weiter in die motorische Ontogenese als das ReĀ exumdrehen.

Das Refl exkriechen und die Greiff unktionen – Das Refl exumdrehen und die StützfunktionenNoch eine andere Besonderheit ist interessant: Im Muster des Refl exkriechens ers cheint wä hrend der st ützenden Extremitätenfunktionen eine Abduktion (Entfaltung) der Mittelhand- und Mittelfußknochen bei Beugung der Fin-ger- und Z ehengelenke. Die Akren der unteren und obe-ren Extremität werden hierbei zum Greiforgan.

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Im Gegensatz dazu bereiten sich die Akren der Extre-mitäten im M uster des Refl exumdrehens a usschließlich für die Stützfunktion v or ( 7 Kap. 4.4.1, 4.5.1), die a uch immer mit Abduktion und En tfaltung einhergeht. H ier-bei kommt es jedoch zur Streckung der Fingergelenke mit dorsaler Bewegung des Handgelenks.

Dieser Unterschied zwischen Greifen und Stützen hat aus kinesio logischer S icht eine gr oße B edeutung, w eil hierbei andere zentral gesteuerte Koordinationsprozesse in Kraft treten, die auch über verschiedene eff erente Bahnen laufen. Von daher können sich ReĀ exkriechen und ReĀ e-xumdrehen a us t herapeutischer S icht g egenseitig nic ht ersetzen.

Unterschiedliche Funktions-Diff er enzierung derselben Muskelgruppen beim Refl exkriechen und Refl exumdrehenIn der mo torischen Rehabilitation reicht die Ak tivierung des M usters ReĀ exumdrehen zur Ein schaltung einer guten Bauchmuskelfunktion nicht aus. Das wäre mit der früheren Annahme zu vergleichen, dass gezieltes Training bestimmter Muskelgruppen F unktionsmängel b eseitigen könne.

Für das t ägliche L eben m uss ein viels eitiger Ein satz der gesamten Skelettmuskulatur mit verschiedenartigster Beanspruchung und un terschiedlichster F unktionsdiff e-renzierung automatisch, also unbewusst vorhanden s ein. Hierfür b ieten sic h die a uf der a ngeborenen a utoma-tischen Steuerung der Körperhaltung basierenden globalen ReĀ exfortbewegungsmuster an. Für die Therapie bedeutet dies, dass die Ak tivierung und K oordination der selben Muskelgruppe b eim R eĀ exkriechen eine andere ist als beim ReĀ exumdrehen. In beiden Mustern sind dieselben Muskelgruppen üb er a ndere zen trale Verschaltungen in verschiedenen Funktionen tätig. Für die Ideomotorik, d.h., für j ede sp ontane B ewegung, muss der Ein satz der S ke-lettmuskulatur in unzählig en Variationen abrufb er eit zur Verfügung stehen und immer in die ak tuell in An spruch genommene posturale Steuerung eingebettet sein (Fußno-te 8, 7 Kap. 1.7.2).

Auch in der mo torischen On togenese un terliegt der Muskeleinsatz einer unterschiedlichen Funktionsdiff eren-zierung. Nur diese ermöglicht Ā üssige und ökonomische Bewegungsabläufe.

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33.2 · Historischer Rückblick: Entstehung des Refl exumdrehens

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3.2 Historischer Rückblick: Entstehung des Refl exumdrehens

Die Entstehung dieses globalen Musters geht in das J ahr 1954 zurück. Damals wurde sowohl in Bauch- als auch in Rücken- u nd S eitenlage m it B ewegungen ge gen W ider-stand gearbeitet. Die Bewegungen begannen entweder am Rumpf (gesamtes Axisorgan) oder an den Schlüsselgelen-ken. Schon damals war bekannt, dass sich hierdurch nicht nur der p athologische Muskeltonus in Ric htung Norma-lität veränderte, sondern – das wa r viel wic htiger – dass sich die Kinder in der Vielfalt ihrer motorischen Selbstäu-ßerung verbesserten.

Bei der ersten Veröff entlichung über die theoretischen Hintergründe der Arb eit (Vojta 1962) k onnten die g lo-balen Muster der ReĀ exlokomotion no ch nich t defi niert werden. D amals wurde zwar s chon mit entwicklungsge-schichtlichen Ana logien g erechnet, die M uster a us der Bauch-, Rücken- und Seitenlage konnten aber no ch nicht eingeordnet, kinesiologisch aufgeschlüsselt und in Analo-gie zur motorischen Entwicklung gesetzt werden.

Obwohl sic h die Th eorie der Th erapie no ch in den ersten Anfängen befand, wurde bei den P atienten in k li-nischer Hinsicht eine Besserung festgestellt, die durch kli-nische Befunde bestätigt wurde. Die älteren Kinder unter den Patienten konnten ihre verbesserte motorische Selb-stäußerung auch v erbalisieren. M it B eginn der Th era pie verbesserten sic h – s ozusagen als N ebenprodukt – a uch Sprechfähigkeit und Phonation. Bei ICP- Kindern mit Dys-arthrie oder Anarthrie wurde oft eine g rundlegende Ver-besserung des S prechens beobachtet, obwohl keine logo-pädische Behandlung erfolgte. Dies wurde und wird heute noch als »Sprechexplosion« bezeichnet.

Unabhängig v on der U rsache ihr er B ehinderung äußerten K inder in f ortgeschrittenerem S chulalter, dass sie sich nach der Th erapie leich ter und w ohler f ühlten. Hatten sie die Gehfähigkeit, evt. auch eine pathologische, schon erreicht, konnten sie schnellere und größere Schritte machen, die d urch M essungen nac hgewiesen wur den. Einige Jugendliche verglichen den Zustand der Lockerung mit dem Gefühl, als hätten sie Alkohol getrunken.

Erfi ndung des Aktivierungspunktes »Brustzone«Das M uster ReĀ exkriechen wur de 1965 zum er sten M al veröff entlicht. Die D efi nition des ReĀ exumdrehens ermöglichte jedo ch er st Ende 1 967 die »Er fi ndung« der Brustzone. Sie wurde bei der Behandlung eines 5-jährigen Jungen m it schwerer Athetose en tdeckt, der zudem a n immer wiederkehrenden Pneumonien und schwerer Anä-mie li tt. B ei ihm s cheiterten alle t herapeutischen B emü-hungen. U m s eine s egmentale A tmung zu v erbessern, wurden die da mals von Kabat angegebenen Reizpunkte angewandt. Bei Reizung aus der mittleren Zone – der spä-teren B rustzone – zeigt e das K ind eine »merkwür dige« globale Reaktion: Es zeigt e sich eine Drehung des Kopfes mit Beugung der Beine und Drehung des Beckens, es kam zur Öff nung der Hände, und was a m deutlichsten war, es kam zur Vertiefung der kostalen Atmung mit Ausbreitung des Brustkorbs.

Daraufh in wur de dies e Z one b ei a nderen K indern mit a nderen F ormen der B ewegungsstörung wie derholt gereizt, und es en tstanden auch bei ihnen (nic ht nur bei Athetotikern) dieselben motorischen Antworten.

Bei An wendung des Ak tivierungspunktes »B rustzo-ne« war es möglich, gesunde Neugeborene und Säuglinge von der Rückenlage bis auf die Seite und weiter in einem Ablauf üb ergangslos in den Vierfüßlergang (ReĀ exkrab-beln) zu b ringen. Eb enso ka men Spastiker, z.T . K lein-kinder mit Tetraparese, durch Anwendung der Brustzone aus der R ückenlage in den V ierfüßlergang und stützten dabei auf die entfalteten Hände!

Das Refl exkrabbeln (in einem Ablauf von der Rücken-lage in den Vierfüßlergang mit Stütz auf Hände und Knie-gelenke) wa r jedo ch in der p raktischen Dur chführung problematisch, denn das A usweichen in Ersatzmuster ist bei in »ho her P osition« endenden B ewegungsabläufen besonders leich t mög lich. B eim Refl exkrabbeln ha ndelt es sich nicht um das Refl exkriechen, denn beim Letzteren stützt der P atient auf einen E llenbogen ( !) und den dia-gonalen Fuß (Zwei-Punkte-Stütz) oder zusätzlich auf ein Kniegelenk (Drei-Punkte-Stütz).

Der zusammenhängende Bewegungsablauf des ReĀ ex-umdrehens von der Rückenlage in den Krabbelgang zeigt, dass es sich um den selben Koordinationsprozess handelt,

1 V. Vojta: Filmvortrag auf dem 1. Weltkongress der K inderneu-rologie, Prag, Sept. 1965

2 Kabat entwickelte von 1946-1951 in Kalifornien die Techniken der propriozeptiven neuromuskulären Fazilitation (PNF)

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Kapitel 3 · Refl exumdrehen aus der Rückenlage

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durch den a uch ein g esundes K ind in der mo torischen Entwicklung bis zum . Lebensmonat in den Krabbelgang kommt, mit dem a us Rückenlage beginnenden Drehvor-gang in die Seitenlage, weiter über den schrägen Sitz zum Vierfüßlergang (. Abb. 3.13, 3.14, 4.20).

Mit der 1967 entdeckten Brustzone wurde es also mög-lich, die schon über ein Jahrzehnt bekannten Muskelspiele aus der Seitenlage mit den Muskelspielen aus der Rücken-lage in Verbindung zu b ringen und das ReĀ exumdrehen im Zusammenhang zu defi nieren.

Die Anwendung der Brustzone ist Voraussetzung für das Erlangen der aktiven Rückenlage (7 Kap. 3.3), die wiede-rum Basis für das Ingangsetzen des Drehvorgangs ist.

Trennung zwischen Rücken- und Seitenlage in der praktischen AnwendungWie er wähnt wird heute in der t herapeutischen Anwen-dung zwischen der Rücken- und Seitenlage unterschieden. Das vereinfacht die Anlei tung der E ltern in der B ehand-lung i hrer K inder. D enn b eim üb ergangslosen A blauf von Rücken- in B auchlage ist es s chwierig, den g esamt-en A blauf in den K rabbelgang b ewegungsanalytisch zu beobachten und g leichzeitig notwenige Maßnahmen b ei falschen B ewegungsantworten zu er greifen. H ierfür ist der Ablauf zu kompliziert.

Selbst f ür Th erapeuten, die in der An wendung der ReĀ exlokomotion la ngjährige Er fahrungen ha ben, ist der zusammenhängende Ablauf des U mdrehens von der Rückenlage in den K rabbelgang nic ht einfac h d urchzu-führen. D eshalb wur de die S eitenlage a ls A usgangslage beibehalten, obwohl ein dir ekter und en ger Zusammen-hang mit der aktiven Rückenlage besteht.

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Auch w enn der Krabbelgang in der heu tigen p rak-tischen Durchführung der Th era pie nicht vollzogen wird und das K ind b eim ReĀ exumdrehen in der S eitenlage bleibt: Es en tstehen tr otzdem dies elben M uskelfunkti-onen, als wäre der Krabbelgang entstanden!

3.3 Refl exumdrehen aus Rückenlage

Ausgangslage und erster Überlick über die Bewegungsantworten (. Abb. 3.1)Die R ückenlage ist b ei einem gesunden Neugeborenen und a uch b ei einem Säugling mi t zerebralparetischer Bedrohung asy mmetrisch. Immer asy mmetrisch ist sie auch b ei ICP-Kindern und Erwachsenen mi t zentralmoto-rischer Störung. Auch die sp ontane Rückenlage gesunder Erwachsener ist, angefangen bei der Kopfdrehung, immer asymmetrisch.

In der A usganglage wir d der K opf 30° zu einer S ei-te g edreht. J e nach L age des K opfes w erden die b eiden Körperhälft en mit Gesichtsseite und Hinterhauptsseite bezeichnet (. Abb. 3.1).

Das ReĀ exumdrehen aus Rückenlage wird durch die Anwendung der Brustzone ak tiviert ( 7 Kap. 3.3.2). D as Bewegungsziel, der Krabbelgang, wird über die Seitenlage drehend erreicht.

Durch Stützpunktverlagerung nac h kra nial en tsteht bei axial gest reckter Wirbelsäule als V oraussetzung f ür den Dr ehvorgang eine s ehr labile Stützbasis (7 Kap. 3.6, »Rumpfaktivität bei intersegmentaler Rotation der H als- und B rustwirbelsäule«). H ierbei w erden, neb en Hinter-haupt und Wirbelsäule bis zum unteren thorakalen Bereich, beide Schulterblätter unterschiedlich stark belastet. Denn

Abb. .. Rückenlage als Ausgangs-lage des Drehvorgangs. Der Kopf ist 30° zu einer Seite gedreht

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33.3 · Refl exumdrehen aus Rückenlage

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die Kraft entfaltung und Funktion der Muskulatur ist mit Beginn des ReĀ exumdrehens (bei axial gest reckter Wir-belsäule) a uf b eiden K örperhälft en un terschiedlich: Die rechtwinklig g egen die S chwerkraft g etragen B eine f or-dern zus ätzlich diff erenzierte Gleichgewichtsreaktionen (. Abb. 3.9).

An a llen S chlüsselgelenken en tsteht eine Außenrota-tion mit Flexion. Die Außenrotation der S chlüsselgelenke ist no twenige Basis f ür a lle w eiteren Diff erenzierungen der Extremitätenbewegungen, z.B. b eim Krabbeln, Grei-fen nach oben im s chrägen Sitz, Hochziehen zum S tand oder S eitwärtsgehen a n M öbeln en tlang (»die K üsten-schiff fahrt«).

Mit der Ak tivität, die asymmetr ische und in stabile Rückenlage b ei G ewichtsverlagerung nach kra nial und Außenrotation aller S chlüsselgelenke in eine d ynamisch stabile Rückenlage zu veränderen, beginnt der Prozess des ReĀ exumdrehens. Diese Aktivitäten sind die Vorbereitung für den da rauf folgenden Rotationsvorgang von Becken- und S chultergürtel üb er die S eitenlage in den K rabbel-gang. Der Vorgang geht mit gleichzeitiger Arm- und Bein-diff erenzierung einher, bei dem sich die E xtremitäten u.a. auf ihre Schrittphasen im Kreuzgangmuster Krabbelgang vorbereiten.

Entwicklung einer motorischen PathologieDie beim Refl exumdrehen aus der Rückenlage provozierten muskulären Aktivitäten stehen in Analogie zur Rückenla-ge der Spontanmotorik gesunder Kinder zwischen Geburt und . Lebensmonat, in dem sich der Drehvorgang auf den Bauch vollendet.

Werden b ei gestörter motorischer Entwicklung die muskulären Ak tivitäten des ReĀ exumdrehens nicht aus dem ZNS a bgerufen, m uss der P rozess des spontanen Umdrehens v om R ücken a uf den B auch no tgedrungen unvollständig (en b loc) v erlaufen. B ei der En twicklung der ICP wird innerhalb der ersten Lebensmonate der Weg in die pathologische Fixierung eingeschlagen, weil die für den Start jeder harmonischen Fortbewegung notwendige zentralnervöse Steuerungsstufe nicht integriert ist.

3.3.1 Die asymmetrische Körperhaltung des Neugeborenen

Idealmotorische Entwicklung: Asymmetrische Körperhaltung

Der gesunde und wache Säugling hat eine asymme-trische Körperhaltung, die in den ersten Lebenstagen und -wochen mit Seitneigung und Rotation des Kopfes zur Gegenseite kombiniert ist (. Abb. 3.11). Wird eine Seite bevorzugt, wird in den ersten Tagen von der physiologischen Prädilektionshaltung (Vorzugshaltung) gesprochen.Bei einem aktiven Säugling sind Schulter und gleich-seitige Beckenhälfte der Hinterhauptsseite leicht von der Unterlage abgehoben. Das Kind liegt also nicht symmetrisch auf dem Rücken, sondern auf einer schmalen Aufl agefl äche, bei der Kopf und Körper zu einer Seite gedreht und Arme und Beine gebeugt sind.Die Extremitäten des wachen gesunden Neugebo-renen sind sozusagen zum Körper »eingewickelt«. Erst mit Lebensmonaten startet die Greiff unktion der Extremitäten, wenn diese sich mit Außenrota-tionsbewegungen der Schlüsselgelenke (Schulter und Hüfte) vom Rumpf aus entfalten (7 Kap. 3.3.1, . Abb. 3.12).

Angeborene Drehung des Neugeborenen in Richtung eines adäquaten Lichtreizes (. Abb. 3.2)Die asymmetr ische K örperhaltung des N eugeborenen wechselt bei plötzlichem Reiz in F orm von Massenbewe-gungen von einer Seite zur anderen. Bei einem gesunden Neugeborenen ist das Moro-Muster die typische kinesiolo-gische Einheit auf Erregungsreize.

Aršavskij und K rjučková (1 955, in K olarova 1 968) haben nac hgewiesen, da ß sic h ein N eugeborenes, w enn es in einem v erdunkelten R aum einem s chwachen, sic h langsam b ewegenden L ichtreiz a usgesetzt ist, a us der Rückenlage in Ric htung dies es L ichtreizes k oordiniert und »Ā üssig« drehen kann. Es f olgt der B ewegung dieser Lichtquelle, ohne Massenbewegungen auszuführen, v on der asymmetrischen Haltung der einen Seite in die asym-metrische Haltung der anderen Seite. Dies geschieht spie-gelbildlich und reziprok.