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1 DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Rückkehr der Zauberflöte. Ein mongolisches Roadmovie von Mario Bandi Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 27. November 2011, 20.10 Uhr

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DEUTSCHLANDFUNK

Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel

Redaktion: Ulrike Bajohr

Rückkehr der Zauberflöte. Ein mongolisches Roadmovie von Mario Bandi

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- unkorrigiertes Exemplar -

Sendung: Freitag, 27. November 2011, 20.10 Uhr

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01 Mix Flöte, Glocke, Gesang, Trommel /Szene Parey 01a O-Ton Annemarie: Ich stand in der Küche im alten Haus am Fenster und sage: Was suchen die? - Na ja, Spezialisten für den Aufbau. Fleischkombinat, Maurer, Fliesenleger – alles was gebraucht wird. Ich habe so beiläufig gesagt, das wäre was für uns, - Wieso? sagt Manfred Ich sage, na ja, wir fahren ins Ausland, arbeiten dort, und kommen zurück und können die Hypothek fürs Haus abbezahlen. Du spinnst, hat er gesagt. (Blättern) Schöne Aufnahme, nicht wahr? Also mir schwebte das - ich war, ehrlich gesagt, davon erbaut. Ich habe Bücher gelesen, zig Bücher, von Kurt David, der dort war, der hat sogar ein Buch , hat er mir gewidmet. Ich musste das wissen, ich habe mir das ganze Land angeguckt, Ulan-Bator, ich habe gedacht es wird doch grün sein, da ist die Tola, das Wasser! Gott! Und nachher: Steppe und Grasbüschel ja... Autor: „Blauer Himmel über tausend Bergen“, „Der Rote Recke im Tal der Tola“, „Naadam – Fest aller Feste“ - so sind die Artikel überschrieben, die Annemarie Probst vor 50 Jahren aus DDR-Zeitungen schnitt und sorgfältig aufklebte. Sprecherin „Der Lamaismus verbot seinen Mönchen jede manuelle Arbeit, und er untersagte den Gläubigen die Veränderung der Natur. Die Lamas versuchten, das Land im Dunkel mittelalterlicher Jahrhunderte zu halten. „Chamagui“ – „Es ist alles gleich“ – das war die Lebensauffassung des Lamaismus. Er war eine der Ursachen für die jahrhundertlange Stagnation der Produktivkräfte in der Mongolei.“ 01 Musik - O-Ton: Klang der Zauberflöte, Buddhistische Gesänge

12 O-Ton 12 Anne-Katrin

Es war immer Thema Mongolei: es kam ein Fernsehbericht, dann war wieder die Mongolei aktuell bei uns. Und ich wollte Dich unbedingt kennenlernen! Nicht nur von Bildern oder so... Ich hatte dann das Alter um Dich kennenzulernen, und hab dann geschrieben, und ja... Mario: Das war unsere fünfte Klasse - ich glaube. AK – Ich glaube auch, die fünfte Klasse das fing mit Russisch an ja...

Autor: Ich kenne Annemarie Probst und ihre Tochter Anne-Katrin, so lange ich denken kann. Wenn ich sie besuchte, kamen Ordner und Alben auf den Tisch. Fotos, Briefe, Konzertprogramme, sogar Restaurantrechnungen. Annemaries Erinnerungen an die Mongolei ihrer jungen Jahre. Von all den Raritäten, die sie in dem großen, dunklen Wohnzimmerschrank aufbewahrt, faszinierte mich etwas am meisten: die Flöte. 02a O-Ton Annemarie:

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Die Flöte soll ein Knochen sein, ein Oberschenkelknochen, von einem jungen Mädchen, das hat jemand (gesagt) der hat das untersucht, ... ein Bekannter von uns, in der Mongolei, er kannte sich aus.

Autor: Die Flöte gehört nicht hierher, nach Parey, Sachsen-Anhalt, dachte ich immer. Sie gehört in ein Kloster in der Wüste Gobi. Hab ich laut gedacht? Ich weiß es nicht mehr. Eines Tages, nach dem Tod ihres Mannes, sagte Annemarie: Jetzt bring sie zurück. Ja, sagte Anne-Katrin, und ich komme mit. Ansage: Rückkehr der Zauberflöte. Ein mongolisches Roadmovie von Mario Bandi Szene UB

Autor: „Dshingis Khan“ hieß die Boeing der mongolischen Fluggesellschaft, mit der wir in Ulaanbaatar gelandet sind. Ich habe in dieser Stadt meine Kindheit und die ganze Schulzeit verbracht. Anne-Katrin hat von dieser Reise seit Jahren geträumt. Eigentlich ihr Leben lang. Geburtsort „Ulan Bator“, steht in ihrem deutschen Pass. Atmo: Im Zug, Ansage auf Mongolisch 03 O-Ton Anna-Katrin: Weißt du, das ist so ein. ganz komisches Gefühl ... so einfach angekommen zu sein, so, es stehen mir wieder Tränen in den Augen. hier bist du - Zuhause kannste nicht sagen, Zuhause - wo die Familie ist, aber, du kommst hier, hier war’s du früher. Hier haste gelebt, biste geboren, so wie die zweite Heimat, weiß Du? Ein Teil von mir... Ich gehöre einfach zu. Ich gehöre hier einfach zu! Ah, jetzt kommen mir schon wieder die Tränen…. --------- Szene Parey Sprecherin (aufgenommen, in Clipboard): „9.August 1963. Werter Genosse Betriebsdirektor! Ich teile Ihnen mit, dass auf Grund vertraglicher Vereinbarungen unseres zuständigen Außenhandelsunternehmens INEX, Köpenicker Strasse 126, Berlin, mit der Mongolischen Volksrepublik, der genannte Betrieb beauflagt wurde, in Ulan-Bator den Bau ...eines Fleischkombinates durchzuführen...

04a O-Ton Annemarie: Und das hat sich ein Dreivierteljahr hingezogen, dann kam auf einmal ein Brief im November: „Wäre es nicht günstig, da sie beide schon lange Zeit verlobt sind, dass sie heiraten? Dann brauchen wir ...nur eine Wohnung für sie bereitstellen. Wir haben uns

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beide angeguckt – Heiraten? – Dann müssen wir heiraten. Haben keinen Termin gekriegt! Dann war der 7 März, der einzigste Tag der noch frei war. ... der Tag vor dem Frauentag. Du kriegtest gar keine Gaststätte! ... Ohne Trauzeugen haben wir uns zusammenschreiben lassen, in Genthin und dann sind wir nach Hause gefahren. Mitte April Koffer fertig, ab nach Berlin und ab nach Ulan-Bator. ----------- Szene UB

Atmo: Naadam. Stadion. 05 O-Ton Anna-Katrin: So ein gigantisches Volksfest habe ich in Deutschland gar nicht mitgemacht. So viele Leute! Autor: Das Naadamfest im Juli ist das Nationalereignis, eine Art mongolischer Dreikampf – Ringen, Bogenschießen, Pferderennen. Heute sind die Ringer dran. Nach Stunden um Stunden stehen die Anwärter auf den Sieg unten in der Arena. Atmo mit Annekatrin: (im Stadion) Autor: Die beiden Kämpfer halten einander fest im Griff, bewegen sich kaum, die Spannung wächst, und plötzlich, blitzartig, versucht der größere, massigere, seinen Gegner auf den Boden zu werfen. Doch er hat nicht gut aufgepasst, sein Rivale ist tückisch - schwupps, liegt er selbst am Boden. Atmo: Geschrei des Publikums, dann Soundscape – Naadamfest auf dem PLatz Autor: Der Kampfrichter setzt dem unerwarteten Sieger die spitze mongolische Mütze auf. Der Gewinner umkreist gravitätisch die Stange mit der Nationalfahne - die Arme ausgebreitet wie Adlerflügel. Über all dem schweben Reklame-Ballons: DHL. Gruß aus Deutschland. Atmo hoch Gleichzeitig bevölkern Tausende Menschen, festlich gekleidet – europäisch und in Nationaltracht - die engen Gassen zwischen Imbisszelten und Andenkenbuden im Schatten des Nationalstadions. Sie lassen sich mit buntem Trickfilmpersonal fotografieren, kaufen Souvenirs, trinken Airag, die gegorene Stutenmilch. Aus einem Metallfass auf Rädern gibt es russischen Kwas. Unformierte Mädchen bieten kalte Cola an. Auf Tritt und Schritt qualmen Feuer, brutzeln die Khuschuurs, gebratene Teigtaschen mit Hackfleisch. 06a Atmo mit O-Ton: Mario: Khuschuur essen? Annekatrin - Ja!

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Musik- Atmo: Volkslieder Mongolei /Szenenwechsel Parey -------------- Szene Parey 07a O-Ton Annemarie: Wir sind eingestiegen in Berlin im Frühjahr, im leichten Mantel, Hütchen auf, Sommerschuhe an, Kostüm, einfach leger, frühlingshaft, in Moskau war noch gut, im Omsk lag ein Meter Schnee. Irkutsk…Du fliegst dem Tag entgegen, raus – und der Sonnenschein, aber hundekalt. Autor: Am 29. April 1964 - im Jahr des blauen Drachens - landete eine Aeroflot Maschine aus Moskau in Ulan-Bator. Ein neues Zuhause für Annemarie und ihren frischgebackenen Ehemann Manfred, von Beruf Bauingenieur. 08a O-Ton Annemarie: Wir hatten die Tür aufgemacht, Koffer reingestellt, klopfte es und Nina stand vor der Tür. Mario: Nina war... Annemarie: …war die Russin, die auch mit wohnte bei uns. Sie hat uns begrüßt – nicht mit Salz und Brot, wie üblich, sondern mit dem Hering. Und da ist Manfred losgegangen, hat irgendwo Milch aufgetrieben, dann ist er auf den Chinesen-Basar gegangen, und hatte ein paar Kartoffeln geholt. Pellkartoffeln mit Hering. Das war unsere erste Mahlzeit. Autor: Auf den Fotos, die Annemarie mir daheim in Parey zeigt, ist eine halbfertige große Halle zu sehen, auf dem Platz daneben, 3,4 Meter hoch: rote Berge, Fleisch, gefroren unter freiem Himmel. 10a O-Ton Annamarie: Das ist das alte Fleischkombinat, da lag im Winter auf Planen lag das ganze Fleisch. Die Magen, die gefüllt waren mit Fleisch, die Kotelettstücke, halbe Tiere, es lag alles draußen, von Tauben manchmal beschmutzt, aber das hat nichts ausgemacht. Das wurde im Frühjahr reingeholt in die Warenhäuser und dann auf dem Hauklotz wieder, na ja, und auch im Stadion unten drinnen, im Fußballstadion, war alles voll mit Fleisch, für den Winter...

Autor: Dick verpackt in Wattejacken und russische Walenkis, Filzstiefel, lächeln Manfred Probst und seine mongolischen Bauarbeiter in die Kamera. 11a O-Ton Annamarie: Er hat immer 30 Soldaten gehabt, und einmal hat er geguckt, einer konnte gar nicht schreiben, der hat alles aufgemalt, die Kelle aufgemalt, den Sand aufgemalt, das Wasser und dass man alles zusammenmischt. Und dann blieben sie paar Wochen und wenn sie richtig mauern konnten, weg. Und hat Manfred vor vorne angefangen Nur Soldaten! Sie wurden da verpflegt und gingen abends in ihre Kaserne rein. Und die haben mich und Manfred oft eingeladen, als die Eltern aus den Aimaks kamen, und haben ihren Sohn besucht, sind mit der Jurte angereist, mit Ziegen und Schafen, haben

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da geschlachtet. Und ich habe im Kaufhaus große Pakete Tabak gekauft, und was alles ja, die haben sich gefreut, so ein Paket Tabak zu kriegen! Dann haben wir ihnen `n Schlips und Strümpfe, und für die Mutti dann Nähnadeln mitgenommen. Das war für die ein Reichtum – die Nähnadel zu besitzen. Wir haben auch vieles von den Soldaten geschenkt bekommen, und diese Flöte, das...hat er von der Familie bekommen, von einem Soldaten. Das ist ja das, was du mitnehmen sollst. Musik: Flöte Szene UB Kangling, das magische tibetanisches Instrument. O-Ton: Gebet eines Mönchs im Kloster mit dem Klang der Flöte. Autor: Ein 20 cm langes Stück Knochen, 100 Jahre alt mindestens, von der Zeit dunkelbraun gebeizt. Ihre einzige Verzierung ist ein Kupferring mit winzigen altmongolischen Schriftzeichen, und an dem Ring hängen zwei verblasste Seidentücher. Das Instrument darf nur aus dem Knochen eines Menschen gefertigt werden, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Aus den Knochen eines guten Menschen - nicht eines Mörders, eines Irren, eines Verhungerten. Der Mönch, der in diese Flöte bläst, ruft die Geister herbei und bietet sich ihnen als Opfer an. Er kann mit der Flöte Unheil heraufbeschwören und Gnade erwirken. Bis heute glauben das zumindest die Mongolen, die zum Kloster Hamaryn Hijd in der Wüste Gobi pilgern. Dahin soll uns unsere Reise führen. O-Ton: Gebet eines Mönchs im Kloster mit dem Klang der Flöte. Atmo: Signal und Zugansage Autor: Aber erst mal bringt uns der Zug nur 30 Kilometer von Ulaanbaatar weg, zu einem weiteren Fest in dem Örtchen Davaani. Die Pferderennen hier sind weltberühmt, sagen die Mongolen. Atmo: Ansagen Zug fährt ab 14a O-Ton Anne-Katrin: Alte Fabriken.. sind die noch im Gange? Ja... ich finde es mit den Bergen so schön im Hintergrund. So wie eingeschlossen- ringsum. ... Das ist schön mit diesem Klick klack - zu DDR Zeiten in den Zügen so..... und ein schöner Tag wird's heute, guck mal, wir haben ganz blauen Himmel

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Szene Parey

Atmo: Fotoalbum 15a O-Ton Annemarie: Das ist das Naadamfest, auf der Tribüne. … Das ist der kleine Sieger von Pferderennen, den haben wir gefilmt, der war bloß 5 Jahre alt. Szene Heute

Atmo: Pferderennen. Publikum. Autor: Die Tribünen sind voll, schon lange, bevor die kleinen Reiter in den Staubwolken am Horizont auftauchen. Zu Zeiten von Annemarie und Manfred Probst ritten noch ganz kleine Kinder, die die 25 Kilometer lange Strecke ohne Sattel, ohne jeglichen Schutz bewältigen mussten. Inzwischen gibt es ein Gesetz: 8 Jahre alt müssen die Reiter mindestens sein. In Daavaani ist das Finish. 16 O-Ton Anne-Katrin: - AK - Ist sehr gut, ja? Ist einer einsam geritten, der letzte. Wahnsinn, dass die Kinder 25 km Rennen machen Mario - Helm und Schutzweste nach TÜV! AK - Ja nach TÜV ist gut. Atmo: Finish, Publikum, Hunde, Pferde. 17 O-Ton Annekatrin: Der Letzte! Oh Oh! Er kann gar nicht mehr Oh! Wie kommt er... Herrlich! Lacht. ... ... ich glaub das Pferd kann nicht mehr, oh Mann... Atmo: Rennen. Finish. Autor: Polizei und Männer einer Spezialeinheit im Fleckentarn nehmen die Sieger in Empfang - Schutz vor den Fans und dem irrsinnigen Publikumsandrang. Die Jungs und ihre stolzen Familien werden weit weg gebracht, zu einem umzäunten, von Hunden bewachten Platz. Dort dürfen die Fernseh-Reporter den Gewinnern und den berühmten Pferdebändigern ihre Fragen stellen. Atmo:

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Autor: Das Publikum wetteifert auch untereinander: Wer hat das schönste Pferd – denn natürlich kommen viele zum Naadam geritten. Und vor allem: wer hat den schönsten Del? Den langen mongolischen Mantel - salat-grün, feurig-orange, himmelblau … Dazu gehören ein Hut und schwere, gemusterte Stiefel. Deren Spitzen sind nach oben gebogen - auf dass die Erde nicht verletzt werde. Am besten gefällt uns ein Ehepaar: beide in Lila, die Hüte jeweils zartrosa - der von der Frau hat noch eine Blume. Und die zwei Pferde! Sanft braun wie Vollmilchschokolade, geschmückt mit feinstem silbernen Geschirr. Szene Parey 18a O-Ton Annemarie: (Blättern) So einen teuren Del habe ich nie gehabt, ich hatte einen einfacheren, geschenkt bekommen, und weißt Du von wem? Kann man sich gar nicht vorstellen, jeder Eingang hatte eine Frau, die das Treppenhaus sauber gemacht hat. Und ich wusste an ihren Händen, sie hatte viel zu tun, sie hatte sehr schlechte Hände. Also habe ich erstmal ihr Kernseife, eine Büchse Creme und Nähnadeln – ganzes Paket Nähnadeln - gegeben. Garn dazu. Und dann hat sich hingezogen, fast anderthalb Jahre, wo wir da waren, dass immer wieder mal wenn ich sie sah, ihr irgendwas zusteckte. Und eines Tage gucke ich - Post von der Deutschen Botschaft von Berlin, ein Paket. Mongolische Schrift darauf. Das hat sie mir einen Del genäht, und auch Anne-Katrin ein Del, einen Kinderdel, und den hat sie zur Deutschen Botschaft gebracht, die haben das nach Berlin geschickt, und in Berlin hat man ja gewusst die Adresse von uns, so kam das Paket hier an.

Szene Heute

Atmo: Zugfahrt. O-Ton Anne-Katrin: ... kannst du vorstellen, wie hier die Dinosaurier, hier ich kann mir das richtig vorstellen, diese Giganten die auch diese Unendlichkeit vor sich hatten ja. Stell dir vor so ein Tyrex kommt hereinspaziert. Sie wären in dieser Weite gar nicht so aufgefallen AK wo sind schafe, ah da... Autor: Wir fahren zurück, nach einer halben Stunde öffnet sich das Tal mit der Millionenstadt Ulanbaatar. O-Ton Anne-Katrin: Sieht gewaltig aus, eh.. Autor:

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Anfang der sechziger Jahre lebten hier gerade mal 250 000 Menschen. Um das Stadtzentrum herum wucherte eine gigantische Jurtensiedlung. Von dort kamen Kühe in die Stadt, als Kind habe ich sie auf den vertrockneten Rasenflächen zwischen den drei-vierstöckigen Wohnblocks und sogar am Regierungspalast weiden sehen. Szene Parey 20a O-Ton Annemarie: Du hast an der Straße alte Männer sitzend sehen mit einer Kumis Schale und einer Kanne Tee bei, die haben stundenlang gesessen, die Beine überkreuzt und haben erzählt, Pfeife raus und es kam alles hier in den Gürtel rein und das hier ringsum alles voll, Geldrollen und Kumis und Schnupftuch und so...Tabakpfeife ... Meistens am Kaufhaus an der Ecken, ja. Szene UB Atmo: Stadt. Straße.

21a O-Ton Anne-Katrin: (Du hast was gefragt, ich hab das nicht verstanden?) Ja, ob Du gesehen hast wie die Mühle und Dame spielen auf mongolisch, mit gelben und blauen Verschlüssen von Trinkflaschen! am Chinggisplatz, die sitzen ganz gemütlich die Älteren und spielen Schach und Mühle und Dame... ich dachte, ich gucke nicht richtig. Atmo: Stadt. Straße. Autor: Nach dem Ende des Sozialismus in der Mongolei sollte die Hauptstadt eigentlich nach Dschingis-Khan benannt werden. Aber noch heißt sie entweder russisch Ulan-Bator, oder mongolisch: Ulaanbaatar - der Rote Recke. Abgekürzt wird jetzt so oder so amerikanisch: „Ju-Bi“ Der zentrale Platz heißt jetzt, nach 50 Jahren, doch Dschingis-Platz. Um Mitternacht ist er immer noch voll spielender Kindern und schick gekleideter Eltern. Ringsum sind neue Hochhäuser entstanden. Und obwohl manch Bauruine geblieben ist, wachsen weitere Wolkenkratzer, noch höher und teurer. Nachts sieht das Zentrum von UB wie Klein-Tokio aus. Die beleuchteten Fassaden überstrahlen störende Details. 22/22a O-Ton Anne-Katrin: Ich habe erzählt dass ich mich hier nicht als Tourist fühle, und ich muss mich über mich selber wundern, wirklich, mich stört hier gar nix, nicht die Pfützen auf den Straßen, nicht der Verkehr, nicht diese dreckigen Ecken mit Müll, nicht diese Hochhäuser die mitten in der Stadt eingesetzt sind…es stört mich einfach nix, es ist alles total schön! Es ist

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selbstverständlich, es ist so wie es ist. .. und ich bin diesem Chaos und ich fühle mich wohl hier! Ist mir selbst unbegreiflich, aber ich fühle mich hier wohl. Egal.. mich stört so was nicht ich komme aus dem Osten, ich kann mit den Sachen leben. (lacht) Autor: Druschba - Freundschaft- Nairamdal. Der Sozialismus siegt. Ungeachtet der kommunistischen Losungen, Paraden, Aufmärsche fühlten sich die DDR-Bürger Annemarie und Manfred Probst in ihrem Wohnhaus unter Freunden geborgen – und privilegiert. Szene Parey 23 O-Ton Annemarie: Da wohnten alle drin – Tschechen, Polen, Ungarn, Mongolen, es war Multikulti, zu der Zeit, Szene UB 0XX Atmo und O-Ton: Begrüßung mongolisch…..Ansprache Passanten…Gespräche mongolisch mit den Einwohnern. Ein junger Mann hat verstanden wo das ist. Autor: Anne-Katrin hat die Fotos, die ihr Vater in Ulan Bator gemacht hat, auf ihrem Smartphone immer bei sich. Ab und zu holt sie es raus und wir gucken, wie die eine oder andere Ecke vor 50 Jahren aussah. Wir stehen in dem großen Hof zwischen den vier weißen Wohnblocks hinter dem Zentral-Kaufhaus vermutlich exakt dort, wo Anne-Katrins Vater stand, als er ihr Haus fotografierte. Statt des Pferdewagens parken hier nun Toyotas und Mitsubishis wild durcheinander. Um uns haben sich Anwohner versammelt, auch sie betrachten neugierig die alten Fotos… 0Xa Atmo und O-Ton: Heftige Gespräche zwischen den Einwohnern dieser Wohnblocks. Anne-Katrin: Ich möchte sagen, Mutti hat unten gewohnt hier in diesem Block… 26 Atmo/O-Ton (männliche Stimme russisch) Mario: Also, hier haben nur Ausländer gewohnt… AK: Dann wars auch nicht weit zu euerm Haus Autor: Was suchen Sie? - höre ich plötzlich reines Russisch. Eine ältere Dame kommt aus dem Haus der Familie Probst. Ja, hier wohnten Ausländer. In allen diesen vier Häusern. Das ist das Haus Nummer 9, hier haben Polen und Deutschen gewohnt,

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27a Atmo mit O-Ton: Mario erklärt auf Deutsch – für AK: in ihrer Wohnung wohnten Polen und vor zwei Jahren kam ein Pole... AK – und hat auch gesucht? Ja? Mario – war hier geboren AK- Siehst Du, also doch öfter sind welche, die nach ihrer Vergangenheit suchen...

Szene Parey 28a O-Ton Annemarie: (Uhr tickt laut) Eine Russische Familie, ein Geiger, und in der vierten. wer wohnte da? so vier Türen oben wohnten zweimal welche aus der Botschaft, der Kulturattache wohnte drinnen, und eine Übersetzerin, die sprach Mongolisch und Japanisch, die wohnte ganz oben, und überall, wenn die in Urlaub fuhren, musste ich die Blumen gießen. Und die kamen auch oft runter, die sollte gar nicht mit uns ehrlich gesagt, an einem Tisch sitzen, wir hätten welche Geheimnisse ausplaudern können. Aber Probstens hatten ja Bier, und Annemarie hatte was gekocht und was gebacken. Also kamen sie abends runter, bloß um irgendwas zu erfragen. Ach, es riecht das so schön bei Euch! Ja! Wollen wir nicht mal heute Abend Karten spielen? Ja! Wir kommen runter. Autor: In dieser Zeit, vor über 50 Jahren, befreundeten sich meine Eltern mit denen von Anne-Katrin. Und es begann nicht mit Bier. Sondern mit Musik! Musik: Opernarien.. 29a O-Ton Annemarie: Ich habe ein Tonbandgerät erhalten von Betrieb, das ging rum in alle Familien, für eine Woche und da waren Oper, Operettenmelodien drauf, und das habe ich morgens angestellt, habe ein bisschen Staub gewischt, habe gestrickt oder genäht, und nebenan wohnte aus Leningrad ein Geiger und der hörte diese Arien, aus Aida und alles und der hat das deinem Vati erzählt, da wohnt eine Deutsche und die hört jeden Tag Musik! Musik: Oper „Utschirtai...“ Autor: Mein mongolischer Vater, Dordschijn Bandi, war Sänger im Opernhaus von Ulan-Bator, meine russische Mutter, Margarita Grigorjewa, unterrichtete Klavier an der Musikschule. 1963, als ich zur Welt kam, hatten beide gerade das Konservatorium in Swerdlowsk am Ural absolviert. Danach zogen sie in Vaters Heimat. Musik: Oper „Utschirtai...“ Arie Autor: Vater gehörte zum ersten professionellen Sängerensemble des Theaters. Seine Partien aus Pique Dame, Eugen Onegin, Faust, Rigoletto, aus einigen mongolischen Opern, dazu endlos viele Romanzen und Lieder, auch welche über Lenin und Partei, hörte ich schon in der Wiege. Im Halbschlaf lauschte ich, wie meine Mama Papa am Klavier begleitete.

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Zu Premieren waren Annemarie und Manfred Probst immer eingeladen. Musik: Opernarie mit Klavierbegleitung. 30a O-Ton Annemarie: Wir haben uns immer gegenseitig eingeladen, da wurde dann gekocht. Haben Hausmusik gemacht. Selbstgemachten Wein, und Dima aus Bulgarien, hatte immer Weinblätter, und da war Fleisch und Käse eingewickelt, das hat köstlich geschmeckt.. Ich hatte deutsche Gerichte gemacht, was man auch nicht kannte ...und dann wurde das klar, dass sie gefragt haben, ob ich Dich nehmen würde. Ich habe gesagt selbstverständlich. Autor: Eines Tages stand ich mit Papa plötzlich vor einer unbekannten Frau. Sie war sehr freundlich zu mir, und ich musste etwas Seltsames sagen, „Guten Morgen“. Das waren, vermute ich, meine ersten Worte auf Deutsch. 31a O-Ton Annemarie: Das ist unsere Wohnung. Du hast sie so kennen gelernt, als du Kind warst. Jetzt kommen auch Bilder, wo du drauf bist, das sind die schönsten Erinnerungen für mich!

Autor: Es war ein Glück für meine Eltern, dass sie mich Annemaries liebevollen Händen anvertrauen konnten. 32a O-Ton Annemarie: Ah, da ham wir was jetzt. (zusammen) so habe ich dich da oben im Empfang genommen. Mario – Habe ich schon was geredet in der Zeit? AM – Du hast viel geredet! Du hast den ganzen Tag geplappert, du wolltest alles wissen. Russisch konntest du ja, aber du konntest nicht Mongolisch, und Deutsch wolltest du auch lernen, dann nahmen wir alles drei mal, und irgendwie hast das Deutsch behalten, irgendwie war das für dich eine Sprache, die dir nicht mehr fremd erschien später. . Du warst 1,5 Jahre alt. Mario - Wie lange? - Ich möchte sagen, anderthalb Jahre waren wir zusammen.

Autor: Dann kam ich in den Kindergarten, und Anne-Katrin wurde geboren. Auf dem alten Foto im Smartphone wird sie von ihrer stolzen Mama über den heutigen Dschingis-Khan-Platz gefahren - in einem Kinderwagen: solche Karossen waren in Ulan Bator damals eine Attraktion. Szene UB Atmo: Stadt 33a O-Ton Annekatrin:

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Ist es Dir aufgefallen? Eine Ampel, keine grünen Männchen wie bei uns, sondern einen grüner Reiter auf dem Pferd! ... das ist es ja Wahnsinn, ne. ist ja lustig! Warte – Bus! Bus! Autor: Reiter, ja! Wir könnten jetzt mal die Stadt verlassen, wir sind schließlich mit einem Auftrag hier! Flöte

Aber Anne-Katrin will unbedingt noch ihren exakten Geburtsort ausfindig machen. Atmo: Stadt 34 O-Ton Anne-Katrin: AK Ist es meine Klinik?... Würde fast sagen von der Architektur her... Mario - Dies stand ein bisschen tief, AK Das ist aber ein Hospital. Mario - Lass uns das Foto angucken.

Szene Parey 35a O-Ton Annemarie: AM –Anna Katrin ist geboren, nachts um 2 Uhr, möchte ich sagen – muss hier irgendwo stehen – Begleitung war die Kulturattache aus der Botschaft ... ... die war im Ballkleid zu Veranstaltung, die haben wir geholt dann, mit Manfred und dann ab ins Krankenhaus. Problematisch war nur, dass die Hebamme kein Wort russisch sprach, nur mongolisch, aber durch diese Bekannte aus der Botschaft die eben die Kulturattache war, die hat dann übersetzt, und ging das los. ... die war dabei. Im Ballkleid. ... Autor: Mit 36 O-Ton – Gespräche und Atmos. Wir stoppen ein Auto: Das ist in UB ganz einfach. Man hebt die Hand und handelt den Preis aus - und so haben wir plötzlich einen Begleiter und Übersetzer. Einen älteren Mann, Mjagmardash, kurz Miga. Er meint, das Haus auf dem Foto ist die Geburtsklinik Nr. 1 im Zentrum der Stadt. Atmo und 37 O-Ton Entbindungsklinik Autor: Eine vollschlanke Dame in weißer Security-Uniform will uns partout nicht in die Klinik lassen. Miga setzt an, die Sache zu erklären: Ja, das hier ist eine Deutsche, die ist hier geboren, in diesem Haus… Es kommen weitere Schwestern und Ärztinnen dazu. Wir zeigen das Bild auf dem Telefon. Und siehe, die Löwin verwandelt sich in ein Lamm. Atmo und O-Ton 37 hoch – Begeisterung

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Wir seien hier schon richtig, doch anstelle des alten Hauses steht diese neue Klinik. Anne-Katrin lässt die alten Fotos über ihr Display laufen, alle starren verzückt darauf. Kein Wunder - die meisten haben keine Fotos aus dieser Zeit – ein Fotoapparat war damals ein Luxusgegenstand. Szene Parey 38 O-Ton Annemarie: Ja, ich blieb im Krankenhaus und kriegte ein Einzelzimmer, das Kind war weg, und ich lag da, na ja und die Ärzte haben mich dann besucht, und ich habe gefragt, wo ist mein Kind? Ist versorgt. Und nach 4 Tagen habe ich dann gesagt, ich will meine Tochter sehen. Mario - 4 Tage?! AM- Ja, und dann haben sie mich in dieser - es war großer Raum mit 6 Betten – lagen lauter Frauen drinner, und dann sagt die eine, - hier – eine richtige, richtige Mummy. Links ihr Kind, rechts Anne-Katrin. Die hat mir schon klar gemacht, dass vom ersten Tag an eben dieses Kind an ihrer Brust lebt. Und ich habe gedacht, nun hat auch die noch Dschingis-Khan-Blut in ihren Adern, oh Gott, ne. Man hat mir erklärt, eine Europäerin legt nie ihr Kind an die Brust ...So ein Blödsinn. Atmo und O-Ton 37 – Begeisterung Mario übersetzt – ein Brauch: wenn Du hier geboren bist, wenn Du Flasche Wasser aus diesem Ort mit nach Hause nimmst, kannst damit Dich waschen... Autor: dann hast Du neues Glück im Leben! O-Ton Annekatrin: Ich habe meine Wasserflasche, die kippe ich jetzt aus und nehme von hier Wasser mit. O-Ton Mario: Sie ist absolut angetan, die Dame... Szene UB Atmo: Ulanbaatar Soundscape. Autor:

Jetzt ist noch ein Ort offen, den Anne-Katrin von alten Fotos kennt. Ein Ort immerhin, der indirekt etwas mit der Flöte in unserem Gepäck zu tun hat: Das Hauptkloster von Ulaanbaataar, der Ort, an dem ein wahrer mongolischer Buddhist seine geistige Geburt erlebt. Und ein Muss für Touristen ist das Kloster sowieso.

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Szene Parey

39 O-Ton Annemarie: Sonntagsaufnahmen ja. ... Mario: Ah. das ist ja schön.. Annemarie: ... und Sonntags vormittags sind wir oft oben ins Kloster – der Weg war ganz schön weit von der Wohnung bis zum Kloster aber ich habe das immer geschafft – mit dem Kinderwagen - . . und haben unsere Gebetsmühlen gedreht, mit der Annahme uns geht es gut, wenn wir die drehen, waren wir drin im Raum, haben wir was hin gepackt, Kekse mitgenommen, die kriegten während des Gebetes Teeschalen vollgefüllt, und haben wir Geld da gelassen, und die haben uns immer begrüßt, wenn wir reinkamen. AM- Du hast ja sonst nicht viele Mongolen gesehen in ihrer Nationaltracht, die haste dort sonntags gesehen, Land und Leute kennen lernen war und das wichtigste für uns mit... Atmo: Tempel, Gebetstrommeln. Gesang. Szene UB Autor: Das Kloster heißt Gandantegtschinlen Hijd, kurz: Gandan-Kloster. Hier steht der etwa 25 Meter hohe Buddha der Barmherzigkeit. Die Mongolen verwenden den tibetische Namen: Megdschid Dschanraijsig. Seine irdische Verkörperung ist der Dalai-Lama. 1912 hatte Bogdo-Gegen der Achte die Errichtung des Tempels befohlen. Der Herrscher der Mongolei litt an einer Augenkrankheit und glaubte, der Buddha werde ihm helfen. Szene Parey Als Annemarie und Manfred Probst den Tempel fotografierten, sah er von außen aus wie eine verlassene Ruine hinter einer Reihe schmutziger Holzlatten... 40 O-Ton Annemarie: ...und diese weiße Pagode die war damals zu, man konnte gar nicht rein, die war so verwittert, und von Tauben so beschmutzt, so war sie damals, ... und das ist Manfred hier, wie dünn er noch ist! ... aber mit Vati bin ich reingekommen, ... es war nicht bewohnt, es wurde nur bewacht von ein paar Mönchen. Herrliche Bilder, herrliche Wandmalereien. Atmo: Kloster O-Ton 41 Lama Amgalan als Atmo, Autor darauf Autor:

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Wir sind keine Touristen im Gandan-Kloster. Wir haben einen Termin mit dem Lama Amgalan, dem Kollegen des besten Freundes des Bruders der Frau meines guten Bekannten – in der Mongolei kennt immer noch jeder jeden. Dieser Lamamönch ist der wissenschaftliche Sekretär im Zentrum für religiöse Kultur und Wissenschaft. Sein Büro liegt hinter der Baustelle für einem neuen, gigantischen Tempel. Unter den Lamamönchen auf einem Foto von Manfred Probst macht er manchen schon verstorbenen Lehrer aus. Interessiert betrachtet er, wie würdig diese Träger geheimen Wissens - rotes Gewand, gelbe Mütze - durch die Stadt wandeln. Vorbei an kommunistischen Losungen. Bald zeigt sich: bei seiner Einladung hat Lama Amgalan einen Hintergedanken. O-Ton Lama Amgalan. Autor: auf O-Ton Der Lama meint, die Kangling-Flöte gehöre hierher, ins hauptstädtische Kloster, hier sei sie besser aufgehoben und bleibe ganz sicher gut erhalten. Das Kloster in der Gobi sei ja ein Privatkloster, dort könne die Flöte in falsche Hände gelangen. Anne-Katrin hört die Übersetzerin, die nette jungen Ojuna, auch eine Bekannte von Bekannten - und signalisiert mit einem Blick eine eindeutige Antwort: Nein, ihre Mutter hat entschieden, das Instrument in das Wüstenkloster zu bringen, dorthin, woher es stammen soll. Atmo: Kloster, dann die Stadt Autor: Zu unserem Ziel sind es 450 Kilometer. Wir müssen nach Süden, Richtung Sainschand.

Plötzlich ist die Rückkehr der Kangling in aller Munde! Uns ereilt die Nachricht, dass uns nicht nur der Lama aus dem Gandan-Kloster, sondern auch ein kleines Team von einem Privatsender begleiten wollen. Wunderbar! Aber das Fernsehteam hat leider kein Auto….

O-Ton 43 Annekatrin: Mario: Lachen wirst Du jetzt darüber, … dass diese ganze Geschichte mit dem Fernsehen geht alles auf unsere Kosten! AK – Was!? Wir müssen sie noch bezahlen? Mar – Ganbat ruft mich an und sagt, wir müssen eine Jurte mieten für den Lama und für seinen Bruder – eine gemeinsame Jurte Autor: Mein Freund, der uns fahren wollte, kann plötzlich nicht. Dafür kommt sein Bruder mit Frau. Gott sei Dank! Und wer bezahlt den Sprit? Aha… O-Ton 44 Annekatrin: AK – Das wollten wir alles gar nicht Eh!

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Mar – blieb mir nichts anderes als zu sagen ja OK. … … Erklärung für AK … hoffentlich bezahlen wir nicht die Ausstrahlung! AK – … dann bin ich arm. Atmo: Stadt, Marios Telefongespräche, Musik auf der Strasse. Autor: Und wir haben immer noch niemand, der für uns auf der Reise in die Gobi übersetzen kann...

In der Mongolei gilt ein ungeschriebenes Gesetz – eine Regel, die jeder Europäer akzeptieren muss: Nichts läuft wie geplant, die Umstände wechseln so schnell wie der Steppenwind. Der launische Buddha Maidar, der Buddha der Zukunft, würfelt gern mit Zeiten und Menschen. Doch zum Schluss ist alles in bester Ordnung – wenn man die höhere Gewalt der Natur, des Zufalls und der Geister anerkennt, sein Karma nicht durch Ärger verschlechtert, sondern geduldig warten kann… Erst einmal stellt sich heraus: der Lama aus dem Hauptkloster hat abgesagt, wahrscheinlich, weil die Flöte doch ins Wüstenkloster geht. Nun haben wir Platz für die Übersetzerin – und die erstand quasi aus dem buddhistischen Nichts. – Irgendein Bekannter hat ihr von unserer Not erzählt.... Atmo: Im Wagen. Gespräche mit Sundschidmaa

Autor: Und in unseren Kreis tritt die schöne Sundschidmaa, Geschäftsfrau und glühende Verehrerin des Klosters Hamryn Hijd in der Wüste Gobi. Unseres Klosters. Atmo.Wüste.Stille und Wind.

O-Ton 45 Sundschidmaa: Mario - Was verbindet Dich mit Hamryn Hijd? Sundschi - Nach jedem Besuch fühle ich mich wie neu,... voller Energie, komme gerne und zweitens, dass ich hier aufgewachsen bin ... Mario– Du wolltest sowieso nach Hamryn Hijd kommen? Sundschi – in den letzten Tagen hat mich dieser Gedanke immer beschäftigt. ... und durch Zufälle uns getroffen haben, ich bin begeistert, dass ich das miterleben darf! Atmo: Wüste Autor: Nach etwa sechs Stunden Fahrt stecken wir im Irgendwo zwischen Hellblau und Dunkelgelb, zwischen Wüste und Horizont. Das Auge erfasst eine unendliche Weite, eine Ebene mit Sanddünen und steinigen Hügeln in schwarz und rot. Mikroskopisch klein erscheint hier der Mensch - und riesengroß eine mindestens 20 Meter hohe, weiße, neu errichtete Stupa - ein buddhistisches Symbol des

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Universums. Es ist, als wolle man Tradition im Tempo der Postmoderne wiederbeleben. Ein großer tibetisch anmutender Zentraltempel ist hier in den letzten Jahren entstanden. Ein weiterer ist im Bau, dazu eine kleine Jurtensiedlung für die Mönche und die Menschen, die für das Kloster arbeiten... so wie es immer war...

O-Ton 46 mit Atmo: Gebet der Mönche im Tempel im Hintergrund Autor: Je länger wir reisen, desto fester glauben wir daran: die Zauberflöte Kangling stammt tatsächlich aus der Wüste Gobi. So ein religiöser Gegenstand galt in sozialistischen Zeiten nicht viel – irgendjemand hat die Flöte als Souvenir gekauft oder gegen etwas Lebenswichtiges eingetauscht und so ist sie als Geschenk eines mongolischen Soldaten, der an Manfreds Fleischfabrik mitgebaut hat, an die Familie Probst gelangt. Als die Fabrik fertig war und Vater-Mutter-Tochter Probst 1966 in die DDR zurück kehrten, landete das Instrument aus Menschenknochen in Parey an der Elbe. O-Ton 46 mit Atmo Annekatrin: Als Kind wusste ich, dass es eine Zauberflöte ist, die böse Geister beschwören tut. Als Kinder hatten wir sehr viel Angst vor dieser Flöte, und erst der Mario hat uns die Bedeutung dieser Flöte erklärt, und wo sie hingehört. O-Ton 46 mit Atmo: Gebet der Mönche im Tempel

Autor: Wir werden dem Klostervorsteher, dem Hamba-Lama Dosch vorgestellt. Er ist um die 70, hat eine dicke Brille, und die jüngeren Mönche bringen ihm spürbar Respekt entgegen. Nur einer darf ihm beim Gottesdienst assistieren, und als der Hamba-Lama hört, wo und wann Anne-Katrin geboren ist, mustert er sie freundlich durch seine dicken Brillengläser: O-Ton 47 Hamba Lama: Hamba Lama fragt nach... Übersetzerin:: Er hat gesagt, Du bist ganz jung! AK – Danke!.. ha ha! Du bist noch klein...

Atmo: Im Tempel Autor: Gegründet wurde Hamryn Hijd 1818 von dem buddhistischen Fürsten Dansan Rawdschaa, den die Mongolen bis heute als Dichter hoch verehren. Das Kloster in der Wüste Gobi entwickelte sich zu einem großen und reichen Religions- und Kulturzentrum – und zu einem ungewöhnlichen:

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Hier gab es zum Beispiel eine Schule für Nomadenkinder, und zwar für alle, für Mädchen und Jungs. Berühmt war das Kloster auch für seine Werkstätten und seine Bibliothek, und ein besonderer Tempel diente als Museum für Raritäten aus aller Welt. Atmo: Im Tempel (Mönche lesen Gebete) O-Ton 47 Annekatrin: Sundschidmaa: Hamba-Lama wartet auf uns AK – Ich habe ein Problem, ich würde gerne so überreichen wie das hier die Tradition ist, ich habe diese Tücher mit, ob jemand mir zeigen kann wie man das macht? Sundschidmaa:übersetzt (man hört AK – wühlt im Rücksack.) Mario: Können wir auspacken? Sundschidmaa : Gelb! Oder hast du roten? ... Mit dem blauen kannst du. Autor: Wir legen die Flöte auf ein blaues Hadak, ein Seidentuch, das Anne-Katrin mitgebracht hat. Nur auf diese Weise kann man in der Mongolei ein Geschenk würdig überreichen… Atmo: Im Tempel. Gebet leise... Autor: Dansan Rawdschaa, der Gründer des Klosters, wurde nicht nur verehrt, er wurde von der chinesischen Obrigkeit auch gehasst - wie jeder Andersdenkende. 1856 wurde er vergiftet. Die Schätze des Klosters und der Nachlass des großen Dichters lagerten in 1500 Truhen. Bis 1937, als im Zuge des Stalinismus und während des Krieges gegen Japan das Kloster Hamryn vollständig zerstört wurde. Nur 64 Truhen konnten vor den roten Kommissaren gerettet und versteckt werden, alles andere verschwand. In den 1990er Jahren musste hier eine neue Gemeinde ganz von vorn anfangen. Auch deshalb ist die Rückkehr unserer Zauberflöte Kangling von besonderer Bedeutung. Atmo: Tempel: Lama – Glocke und Trommel. dann nur Geräusche im Tempel. Autor: Ehrfürchtig und ziemlich unsicher schreitet Anne-Katrin zum Klosteroberen, der sie auf seinem erhöhten Sitz gnädig erwartet. Mit beiden Händen hält sie die Flöte auf dem blauen Hadak. Junge Mönche bringen eine Schale herbei – innen silbern, außen knöchern 50 O-Ton: Sundschidmaa Atmo. - Die Schale ist Knochen vom Kopf... -AK: Schädeldecke... - Ja, Schädeldecke. Das wird ja mit Silber dekoriert diese Schädeldecke. Jetzt wird mit dem Weihwasser gewaschen.

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Autor: Der Hamba-Lama zaubert: heiliges Wasser fließt aus einer versilberten Schädeldecke in eine kleine, vergoldete, fein gehämmerte Kanne, dann aus der Kanne in die Flöte hinein und wieder hinaus. Mit den nassen Pfaufedern entfernt er Staub und Sündenlast der Jahrzehnten von der Flöte…

51 O-Ton Sundschidmaa: ...und danach als Dankeschön werden die ganze Mönche für uns alle vor allem für dich, Mandala, dieses Gebet lesen, das ist deine „Lebensversicherung“, dass deine Wünsche in Erfüllung gehen, dass Arbeit viel Erfolg hat, dass du gesundheitlich auch sehr gut bist also bis zum Lebensende bist du versichert! Annekatrin: Mann, mir kommen ja die Tränen. Autor: Es ist totenstill, als er die Flöte an den Mund setzt. Das Handy des Hamba-Lamas nimmt keine Rücksicht auf den heiligen Moment. Ein Lehrling bringt es zum Schweigen.

Atmo: Handy. Die Zauberflöte klingt, Hamba Lama verliest ein Gebet. Glocke und Trommel. 52 O-Ton Annekatrin: Die hat funktioniert! Ich hatte Angst die funktioniert nicht. Schade dass Mutti das nicht miterleben kann. Atmo: Klang der Flöte dann das Gebet Mandala. 53 O-Ton Annekatrin: Vielleicht bin ich doch buddhistisch getauft? Muss ich Mama nochmals fragen! Atmo: Das Gebet Mandala.

54a O-Ton Annekatrin: Mar: Na gut Du hast Gutes getan... AK – Ich denke auch, das sollte alles so sein, das musste so nach 50 Jahren so passieren, ich bin ja nicht gläubig aber irgendwie gibt es einen Moment dafür, wo die Zeit reif ist. Musik: Das Gebet Mandala. Ende. Atmo: Wüste /Gesang Autor: Vor dem Rückweg nach Ulaanbataar, nach Berlin, nach Parey an der Elbe verharren wir auf den rot-braunen Hügeln unweit des Wüstenklosters.

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Hier sind wir im Shambala, im Zentrum der kosmischen Energie, am Ort des Totengedenkens, der Erbauung und der inneren Einkehr. Hierher pilgern die Mongolen, um den Göttern zu beichten und um Gesundheit und die Erfüllung ihrer Wünsche zu bitten. Atmo Wüste 56a O-Ton Annekatrin: Hast du das Phänomen von diesem Wetter hier gesehen? Das ist ringsherum gezogen, die Wolken es sah richtig böse ausdunkel-blauen alles und dieser kräftiger Regen um dieses Schambala ringsherum gezogen, nur wo wir waren, hat es ein bisschen angefangen zu tröpfeln, wo wir ... singen, das ist schon ... mystisch. Atmo: Wüste/Wind Absage: Rückkehr der Zauberflöte. Ein mongolisches Roadmovie. Sie hörten ein Feature von Mario Bandi Es sprachen Katharina Wolter und der Autor Ton: Ralf Perz Regie: Mario Bandi Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015