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Von der Wiege bis zum Beruf: Die Familie als erster Bildungs- und Förderort Referat am 4. Bündner Bildungstag, 27. Mai 2015, Davos Prof. Dr. Margrit Stamm Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, Bern Professorin em. an der Universität Fribourg-CH Swiss Education

Referat prof stamm 27 5

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Von der Wiege bis zum Beruf:

Die Familie als erster Bildungs- und Förderort

Referat am 4. Bündner Bildungstag, 27. Mai 2015, Davos

Prof. Dr. Margrit Stamm Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, Bern

Professorin em. an der Universität Fribourg-CH

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Die eine Seite der Medaille: Die «Null-Bock-Eltern» stellen an ihren Nachwuchs kaum Anforderungen.

kümmern sich wenig um sein Wohlergehen und seine Befindlichkeit.

haben ein geringes Ausmass an Verpflichtungsgefühlen, sind distanziert und kaum erreichbar.

sind schon froh, wenn der Nachwuchs nicht delinquent wird.

kommen oft aus randständigen Milieus.

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These Perfekte Eltern fördern, kontrollieren und umsorgen ihren Nachwuchs nonstop, von der Vorschule bis zur Hochschule. Solche Eltern und ihre Kinder lassen sich anhand von drei Merkmalen definieren: Förder- und Bildungswucht Partnerschaftliche Erziehung Überbehütung und Sicherheitsangst

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Die andere Seite der Medaille…

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Warum bekommt man heute Kinder?

um dem Leben einen Sinn zu geben… (88%)

um das eigene Leben hinter dasjenige des Kindes zu stellen (62%)

um Liebe zu schenken… (95%)

Jean Paul 1763-1825; (Pädagoge, Schriftsteller)

Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein Leben

lang in der kalten Welt bestehen.

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Aufbau des Referats

Förder- und Bildungswucht

Partnerschaftliche Erziehung

Überbehütung und Sicherheitsangst

Eltern als Manager von Laufbahn und Berufswahl

Fazit

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Förder- und

Bildungswucht

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45% der berufstätigen Mütter tragen sich mit dem Gedanken, ab der Schulzeit die Erwerbstätigkeit zu reduzieren.

Umzug in bildungsnahe Quartiere; Bedeutung des «sozialen Nachbarn».

Bewusste Freizeitaktivitäten mit gleich gestellten Familien.

Der Bildungsdruck (FRANZ-Studie*, 2012)

Bildung als beherrschendes Thema des Familienlebens; Eltern-Kind-Beziehung als schulische Förderbeziehung.

«Früher an die Bildung – Erfolgreicher in die Zukunft»; Untersuchung von 303 Kindern (Jg 2007 und 2008) und ihren Eltern von 2010 bis 2013 zu ihrer Entwicklung und Förderung.

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«Das vermessene Kind»

60% der Kinder haben bei Schuleintritt bereits eine Therapie hinter sich; eines von zehn Kindern war schon in psychotherapeutischer Behandlung; mehr als 10% leiden an irgendwelchen Ängsten.

Etikettierungen als Entlastung, weil das, was dem Kind fehlt, sichtbar gemacht und therapiert werden kann.

Kinder fühlen oft, dass sie nur etwas Wert sind, wenn sie produktiv und hochleistungsfähig sind. Häufige (langfristige) Reaktionen: psychische und/oder körperliche Beschwerden, Apathie, Leistungsverweigerung, Leistungsversagen etc.)

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Partnerschaftliche Erziehung

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«Vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt». Viele Eltern diskutieren und verhandeln Alles mit ihren Kindern.

«Das kompetente Kind»: Kinder werden als ausgereifte Persönlichkeiten verstanden, die ihre Entwicklung selbst gestalten.

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Das «Königskind» Fehlende Autorität und Distanz: Kinder als Freunde; Angst um Liebesverlust.

Probleme in der Schule: Integrations- und Anpassungsprobleme, Probleme des Bedürfnisaufschubs, fehlende Selbstständigkeit etc.

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Überbehütung und

Sicherheitsangst

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Das Beste für das Kind zu wollen, führt zu einem Zuviel an Nähe (Überbehütung; «overprotection»; «helicopter parents»). Kinder werden abhängig und kommen zu kurz.

Unsere Sicherheitskultur macht aus dem ehemals robusten und belastbaren Kind:

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«Das verwundbare Kind» In Watte gepackte Kinder … lernen, dass Aufwachsen

generell gefährlich sei; können nicht am eigenen

Scheitern wachsen, Hürden überwinden und Grenzen austesten (Widerstands-fähigkeit, Frustrationstoleranz, Selbstwertgefühl).

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Eltern als Manager von Laufbahn und

Berufswahl

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Probleme der Berufsbildung (sehr guter Ruf, schwerer Stand [Lehrlingsmangel]); Ungebrochene Attraktivität des Gymnasiums* (GR: 18.9% Matura; 16.1% BM)

Empirische Tatsachen**: (a) Eltern als entscheidendste heimliche Meinungsmacher bei der Berufswahl; (b) Familie für berufliche Laufbahn wichtiger als besuchte Schulform.

Eltern-Entscheid über den Bildungsweg in der 4. Primarschule (Neuenschwander, FASE-Studie); Gymnasium 3.8-mal häufiger in höheren als niedrigeren Sozialschichten.

«Lerndoping» für bessere Noten (34% 8./9. Kl.; PISA 2012, Wolter).

*Aber: 10% der Personen mit einer Matura machen gar kein Universitätsstudium, 25% verlassen die Universität ohne Abschluss und 10% mit einem Universitätsabschluss finden keine dauerhafte Stelle.

**Stamm, M. (2014). Nur (k)eine Berufslehre! Eltern als Rekrutierungspool. Bern: Forschungsinstitut Swiss Education.

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Fazit

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Falsch, ausschliesslich auf Kindergärten, Schulen und Berufsbildung zu setzen, um unseren Nachwuchs gut und erfolgreich aufwachsen zu lassen.

Schule kann die Gesellschaft nicht kompensieren. Leistungs- und Entwicklungsprobleme werden auch und oft vor allem in der Familie generiert.

Überfällige Debatte über den «Bildungsort Familie» als Leistungs- und Wertträger unserer Gesellschaft.

Schule und Lehrkräfte müssen in der Elternarbeit unterstützt resp. entlastet werden.

Die Umsetzung von Chancengleichheit (=Jedem das Gleiche) kann nicht Aufgabe der Lehrkräfte sein – wohl aber die Umsetzung von Chancengerechtigkeit (=Jedem das Seine)!

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Was können Lehrkräfte vor diesem Hintergrund tun? Suche nach Potenzial und Talenten jenseits der sozialen

und kulturellen Herkunft wie auch des Geschlechts.

Thematisierung der entwicklungspsychologischen Folgen von Bildungswucht, Überbehütung und Sicherheitsangst.

Frühere Elterninformation über Durchlässigkeit sowie Vor- und Nachteile des Gymnasiums und der Berufslehre.

Transparente Kommunikation über Standards, Werte und Normen Ihrer Schule.

Klassenführung, die auf klaren Normen, Regeln und Hierarchien basiert und nicht auf Partnerschaftlichkeit, Beziehung aber in den Mittelpunkt stellt.

Projektthemen mit Aufgaben zur Zumutung: Hürden überwinden, Grenzen austesten, Zutrauen gewinnen können (Resilienz) und in der Praxis erlebbar machen.

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Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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Erscheint im Frühling 2016 bei Piper: Perfekte Eltern – perfekte Kinder