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Bernd Schröder | Michael Wermke (Hrsg.) Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion Bestandsaufnahmen und Herausforderungen

Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion · orientierte Religionspädagogik“ in Tübingen (KIBOR, gegr. 2002, EIBOR, gegr. 2008) und . Bernd Schröder/Michael

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Bernd Schröder | Michael Wermke (Hrsg.)

Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion

Bestandsaufnahmen und Herausforderungen

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Das nach Schulformen differenzierte Schulwesen in Deutschland ist in den letzten Jahren in die Diskussion gera-ten. Neben das gegliederte Schulsystem treten zunehmend Gemeinschafts- schulformen. Hinter dieser Entwick-lung stehen bildungs-, bevölkerungs- und finanzpolitische Erwägungen so- wie die Debatte um die inklusive Schule. Diese schulsystemischen Ent- wicklungen lassen auch den Reli-gionsunterricht nicht unberührt.Der Band resümiert nun erstmals systematisch und umfassend, in wel-chem Maße und wie sich die Religions-didaktik bisher auf die bestehenden

Schulformen von der Förderschule bis zur gymnasialen Oberstufe einge-lassen hat: Dabei wird u. a. deutlich, dass religionsdidaktische Konzepte der Schulform als Kontext des Religi-onsunterrichts keineswegs besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben.Zum anderen wird geprüft, welche Instrumente der Religionsdidaktik zur Verfügung stehen, um der Hetero-genität von Lerngruppen in Gemein-schaftsschulen oder sogar inklusiven Schulen gerecht zu werden. Damit stellt der Band Forschungs-ergebnisse zur Verfügung, die für die Diskussion um Religion in der inklu-siven Schule unverzichtbar sind.

ISBN 978-3-374-03209-9

EUR 38,00 [D]9 783374 032099

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Religionsdidaktik zwischen Schulformspezif ik

und Inklusion

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Eine Publikation der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik (GwR)

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Religionsdidaktik zwischen Schulformspezif ik

und InklusionBestandsaufnahmen und Herausforderungen

Herausgegeben von Bernd Schröder und Michael Wermke

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALTLeipzig

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Bibliographische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Datensind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2013 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · LeipzigPrinted in Germany · H 7649

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.

Cover: Zacharias Bähring, LeipzigSatz: Margret Lessner, GöttingenDruck und Binden: Hubert & Co., Göttingen

ISBN 978-3-374-03209-9www.eva-leipzig.de

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Inhalt Bernd Schröder/Michael Wermke Einleitung .................................................................................................................. 7 Teil I: Schulformspezifische Religionsdidaktik – Bestandsaufnahmen Rainer Möller Religiöse Bildung im Elementarbereich ............................................................. 17 Petra Freudenberger-Lötz Religiöse Bildung in der Grundschule ................................................................ 45 Frank Michael Lütze Religiöse Bildung im Hauptschulbildungsgang ................................................. 69 Hans Bald Religiöse Bildung in der Realschule .................................................................... 89 Christine Lehmann/Martin Schmidt-Kortenbusch/Wilhelm Behrendt/Michael Linke Religiöse Bildung in der Gesamtschule ............................................................ 115 Heike Lindner/Ulrike Baumann Religiöse Bildung im Gymnasium (Sekundarstufe I) ..................................... 147 Peter Kliemann Religiöse Bildung in der Sekundarstufe II ....................................................... 169 Roland Biewald/Andreas Obermann Religiöse Bildung in berufsbildenden Schulen ................................................ 195 Anita Müller-Friese Religiöse Bildung in Förderschulen .................................................................. 223

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Teil II: Religionsdidaktik für die inklusive Schule – Beobachtungen und Desiderate Michael Wermke Schulpolitische Weichenstellungen in Deutschland – auf dem Weg zur Verbundschule .................................................................. 253 Erna Zonne-Gaetjens Inklusion. Bildungspolitische Vorgabe und religionsdidaktische Herausforderung .... 269 Martin Schreiner Evangelische Schulen und Inklusion ................................................................ 285 Dietlind Fischer Wider eine schulformspezifische Religionsdidaktik – eine Polemik ........... 293 Saskia Flake/Mirjam Zimmermann Von schulformspezifischer zu inklusiver Bibeldidaktik – Unterrichtsprinzipien, Aneignungsformen, Anfragen ................................... 305 Clauß-Peter Sajak Interreligiöses Lernen als schulformspezifische Herausforderung? Eine kritische Relecture religionsdidaktischer Konzeptionen ...................... 329 David Käbisch Didaktik des Perspektivenwechsels – Einheitsmoment religiöser Bildung in unterschiedlichen Schulformen? .... 351 Bernd Schröder (Religiöse) Heterogenität und Binnendifferenzierung. Herausforderungen, Einsichten, Desiderate für den Religionsunterricht .. 381 Thomas Heller Schulformspezifik im Religionsschulbuch? Exemplarische Analysen ........ 405 Bernd Schröder/Michael Wermke Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion – zusammenfassende Thesen............................................................................. 427

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Bernd Schröder/Michael Wermke

Einleitung

Schulischer Religionsunterricht findet nicht in der Schule statt, sondern in konkreten einzelnen Schulen, die sich nach Bundesland, Schulprofil, Kon-text, aber eben auch nach Schulform und -stufe unterscheiden.

In der Praxis des Unterrichtens und Schule-Gestaltens ist dies eine Bin-senweisheit – gleichwohl hat namentlich die Schulform-Orientierung des Religionsunterrichts in die religionspädagogische Theoriebildung bislang bemerkenswert wenig Eingang gefunden: „Die Mehrzahl religionspädagogi-scher Arbeiten und Beiträge zum Religionsunterricht [hat] implizit gymnasia-le Verhältnisse im Blick.“1 Zu betonen ist an diesem Satz neben der domi-nanten Orientierung am Gymnasium auch das Attribut „implizit“ – denn von einer explizit angestrebten und ausgearbeiteten Gymnasialdidaktik kann auch nicht recht die Rede sein. Der wesentliche Grund für die diagnostizierte implizite Gymnasialorientierung dürfte ein biografischer sein: „Die meisten religionspädagogisch Publizierenden besuchten nicht nur als Schülerinnen und Schüler ein Gymnasium, sondern sammelten in dieser Schulform auch ihre Lehrerfahrungen.“2

Diese schlichten Beobachtungen stellen einen Ausgangspunkt dieses Bu-ches dar. Es sichtet die religionspädagogische Diskurslandschaft darauf hin, ob und in welcher Weise darin die Eigenart der verschiedenen Schulformen Berücksichtigung findet. Die Leitfrage lautet: Was vermag die gegenwärtige Religionspädagogik über den Religionsunterricht im Spektrum der Schulfor-men zwischen Elementarbereich bzw. Grundschule und Berufsbildenden Schulen zu sagen? Auf der Basis dieser Bestandsaufnahme kommen, bezo-gen auf die faktisch gegebenen Schulformen, religionspädagogische Heraus-forderungen und Desiderate zur Sprache.

Das auf diese Weise zu zeichnende Panorama versteht sich einerseits als Beitrag zur sachlich notwendigen Differenzierung der Religionspädagogik, andererseits als fachdidaktischer Beitrag zur Schulforschung.3

1 Grethlein 1998, 385. 2 Ebd. 3 Solche fachdidaktischen Beiträge fehlen in der – allgemein-erziehungswissenschaftlich do-minierten – Schulforschung; vgl. etwa die Übersicht von Helsper/Böhme 2008.

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Bernd Schröder/Michael Wermke

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Nicht nur von der Praxis her, sondern auch historisch gesehen ist es erstaun-lich, dass die Schulform-Gebundenheit des Religionsunterrichts kein domi-nantes Thema religionspädagogischer Diskussion darstellt. Die „Erfindung“ des Religionsunterrichts und seine Geschichte seit dem 16. Jahrhundert lässt sich ohne Differenzierung zwischen dem sog. niederen und höheren Schul-wesen nicht rekonstruieren: Sowohl Inhalte, Medien und Ziele des Religi-onsunterrichts als auch Ausbildung, Bezahlung und Tätigkeitsprofil der Un-terrichtenden sind von Anfang an strikt unterschieden.4 Mehr noch: Auch die Geschichte der Religionspädagogik als Wissenschaft ist aufs Engste mit der Differenzierung der Schulformen und der Professionalisierung der jewei-ligen Lehrenden verbunden. Es sind die Universitäten, die im 19. Jahrhun-dert die fachliche und – zögerlich – zunächst die pädagogische und prakti-sche Ausbildung der Gymnasial lehrer professionalisieren, während die Volks-schullehrer noch lange vorsätzlich an der Rezeption theoretischer Einsichten gehindert und per Nachahmung qualifiziert werden. An den Theologischen Fakultäten entstehen im Zuge dessen katechetische Seminare für angehende Pfarrer und Religionsphilologen, in denen etliche Problemstellungen und Reflexionen der späteren Religionspädagogik antizipiert werden.5 Es sind die gymnasialen Religionslehrer, die seit Ende des 19. Jahrhunderts organisatori-sche, didaktische und methodische Fragen des Religionsunterrichts theoreti-sieren und diesem Reflektieren in Vereinen und Zeitschriften eine organisa-torische Plattform verschaffen.6 Später sind es die Pädagogischen Akademien der Weimarer Republik, die um der theoriebasierten Ausbildung auch der Volksschullehrer willen eingerichtet werden, an denen es erstmals zur Einrich-tung von Professuren für „Religionspädagogik“ kommt.7 Katechetik und Religionspädagogik werden somit in hohem Maße schulform- bzw. schulstu-fenspezifisch betrieben.

Erst die Integration der Pädagogischen Hochschulen in Universitäten, die in den 1960er und 1970er Jahren flächendeckend (mit Ausnahme Baden-Württembergs) stattfindet, und der Ausbau des Hochschulwesens in den 1970er Jahren bringt es mit sich, dass die Ausbildung der Volksschul- respek-tive Grund-, Haupt- und Realschullehrer einerseits und der Gymnasial-Religionslehrer andererseits vielerorts zusammengeführt werden – freilich unter Beibehaltung schulform- oder zumindest schulstufenspezifischer Lehr-amtsstudiengänge.

4 Vgl. Lachmann/Schröder 2007 und 2010. 5 Am Beispiel der Universität Jena haben dies Käbisch/Wischmeyer 2008 dokumentiert. 6 Vgl. Roggenkamp-Kaufmann 2001 und Schweitzer/Simojoki 2005. 7 Wermke 2009.

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Einleitung

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Bis heute besteht nicht selten eine Trennung dergestalt, dass etliche Insti-tute für Evangelische Theologie in Erziehungs-, Kultur- oder Geschichtswis-senschaftlichen Fakultäten lediglich Religionslehrer für die Primar- und Se-kundarstufe I ausbilden, während – zumindest einige – Theologische Fakul-täten ausschließlich Religionslehrer für die Sekundarstufe II (Gymnasium, Berufsbildende Schulen) qualifizieren. Die Überführung aller Lehramtsstudi-engänge in die Universität hat die religionspädagogische Theoriebildung insgesamt gefördert und die Lehramtsstudiengänge im Fach „Evangelische Religion“ im Vergleich zum Pfarramtsstudium stärker gewichtet. Allerdings kann und muss man weiterhin sagen: Die Schulform-Differenzierung der Religionspädagogik ist in organisatorischer und rechtlicher Hinsicht ungleich deutli-cher ausgeprägt, als es der religionspädagogische Diskurs in der Sache wider-spiegelt.

Näherhin ist zu beobachten, dass wesentliche religionsdidaktische Impul-se der Nachkriegszeit in engem Bezug zur Unterrichtspraxis bestimmter Schulformen entwickelt wurden. So stammt die Bibeldidaktik Ingo Balder-manns aus dem Grundschulbereich, die Symboldidaktik Peter Biehls und die performative Religionsdidaktik aus den (gymnasialen) Sekundarstufen I und II8 – und es bestätigt sich in der Praxis, dass diese Konzepte nur sehr bedingt auf andere Schulformen übertragbar sind. Demnach würde sich die bisherige Vielfalt religionsdidaktischer Konzeptionen (u.a.) als Reflex auf schulform-spezifische Herausforderungen interpretieren lassen.

Die Beiträge dieses Buches zeigen sehr deutlich, dass sich jenseits eines allgemein religionspädagogischen Diskurses, der sich generellen Herausfor-derungen wie etwa der Medialisierung, den Verschiebungen in der religions-soziologischen Landschaft oder Chancen und Grenzen performativer Religi-onsdidaktik zuwendet,9 durchaus schulform-spezifische Theoriebestände aufgebaut haben, die v.a. didaktische Szenarien, Entwicklungsdesiderate der Schüler, bildungspolitische Zusammenhänge, Beziehungen zu anderen Fach-didaktiken bzw. zur allgemeinen Didaktik der jeweiligen Schulform betref-fen. Zwar gibt es keine Lehrstühle für die Religionsdidaktik einer bestimmten Schulform,10 doch neben den Hochschulen kommt den regionalen Religi-

8 So waren Ingo Baldermann und Peter Biehl Professoren an pädagogischen Hochschulen (GHS Siegen, PH Göttingen); die Anfänge der Performativen Religionsdidaktik liegen in der Lehrer- und Pfarrerfortbildung insbesondere für den gymnasialen RU und die Konfirmanden-arbeit (RPI Loccum). 9 Einen Überblick über solche generellen Herausforderungen gibt etwa Schröder 2007. 10 Zu notieren ist indes, dass mit dem „Katholischen“ und „Evangelischen Institut für berufs-orientierte Religionspädagogik“ in Tübingen (KIBOR, gegr. 2002, EIBOR, gegr. 2008) und

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onspädagogischen bzw. Pädagogisch-Theologischen Instituten (RPI/PTI) der Landeskirchen eine wichtige bündelnde und multiplizierende Rolle im Blick auf schulformbezogene Religionsdidaktik zu. Im Fort- und Weiterbil-dungsbereich ist diese Pointierung durchaus gefragt; ein Indiz dafür, dass die Praxis der Religionslehrer in starkem Maße von ‚ihrer‘ Schulstufe bzw. -form geprägt ist.

Man kann, anders gesagt, eine nicht an Schulformen orientierte Makroebe-ne des religionspädagogischen Diskurses von einer Mikroebene unterscheiden, auf der die einzelnen Schulformen und ihre Einbettung in schulpolitische Weichenstellungen des jeweiligen Bundeslandes eine nicht unwichtige Rolle spielen.11 Diese Unterscheidung von Makro- und Mikroebene lässt sich sogar in den Ausbildungsmaßgaben von EKD und Ausbildungsstätten wiederfin-den: Während die „professionelle[n] Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung“ im Allgemeinen nicht schulformspezifisch for-muliert werden, schließen sie an passender Stelle immer wieder die Fähigkeit zur schulformgerechten Unterrichtstätigkeit ein. Die „theologisch und religi-onsdidaktisch sachgemäße[.] Erschließung zentraler Themen“ etwa setzt den Erwerb „schulform- und schulstufenspezifische[n] theologische[n] und reli-gionsdidaktische[n] Wissen[s]“ voraus.12

Indem dieses Buch die schulformbezogenen Wissensbestände zusam-menträgt, wirkt es gleichwohl in bestimmter Hinsicht anachronistisch. Zum einen zeichnet sich in Folge des demografischen Wandels (Rückgang der Schülerzahlen) ein Trend ab, die in der Nachkriegszeit klassisch gewordene Dreigliedrigkeit des allgemeinen Schulwesens in Deutschland einzuschmel-zen. Dieser Vorgang betrifft vor allem die Haupt- und Realschule, die ge-meinsam als „Sekundarschule“, „Mittelschule“, „Erweiterte Realschule“, „Regelschule“ o.ä. in Erscheinung treten, hie und da auch das Gymnasium. Das herkömmlich gegliederte Schulwesen befindet sich somit – vor allem aus pragmatischen Gründen13 – in Auflösung.

dem „Bonner Institut für berufsorientierte Religionspädagogik“ (bibor; gegr. 2010) in kurzer Folge erstmals universitäre Institute für schulformspezifische Religionsdidaktik entstanden. 11 Die beiden Ebenen treten an den religionspädagogischen Zeitschriften der Gegenwart deutlich hervor: Während die „Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“, das „Jahrbuch der Religionspädagogik“ und „Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik“ cum grano salis nicht schulformdifferenzierend arbeiten, gibt es daneben besondere Zeitschriften für be-stimmte Schulformen und den dortigen Religionsunterricht, etwa „Die Grundschule“ und das „BRU-Magazin“. 12 So „Teilkompetenz 3“ in Kirchenamt der EKD 2008, 30. 13 Dazu näherhin der Beitrag von Michael Wermke in diesem Band. Die empirische Schulfor-schung lässt angesichts der vielen Faktoren, die den Erfolg einer (einzelnen) Schule mitbe-

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Einleitung

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Zum zweiten ertönt, nicht zuletzt gefördert durch die Schulstruktur man-cher Länder, die bei den PISA-Tests sehr erfolgreich abgeschnitten haben, namentlich Finnland, der Ruf nach möglichst langem gemeinsamen Lernen aller Schüler. Durch das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (sog. Behindertenrechtskonvention), das 2006 von der Gene-ralversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und nach Ratifikation durch Bundestag und Bundesrat seit dem 26. März 2009 in Deutschland in Kraft ist, hat dieser Ruf eine deutliche Verstärkung und Zuspitzung hin zur Inklusion erfahren. Denn in Artikel 24 des Übereinkommens heißt es im Blick auf „Bildung“, dass die Vertragsstaaten Menschen mit „langfristigen körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen“ (so die Defini-tion von „Behinderung“ in Artikel 1) „ein integratives Bildungssystem und lebenslange Fortbildung“ gewährleisten und ihnen „innerhalb des allgemei-nen Bildungssystems […] wirksame individuell angepasste Unterstützungs-maßnahmen“ anbieten sollen.14 Der Buchstabe dieser Konvention betrifft ‚lediglich‘ Menschen mit Behinderungen (und damit tendenziell die Auflö-sung der Förderschulen),15 ihr Geist zielt auf ein Schulwesen, das inkludiert und binnendifferenziert statt eine frühzeitige Segregation nach schulförmiger Leistungsfähigkeit festzuschreiben.

Zum dritten ist die Schulform-Differenzierung in der didaktischen Dis-kussion gewissermaßen „überholt“ worden durch den Gedanken der Schüler-orientierung. Den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin gilt es zu för-dern und zu fordern; (Religions-)Unterricht soll im Rahmen einer Lerngrup-pe Individuen möglichst passgenau und entwicklungsgerecht Lernchancen eröffnen. Die Orientierung an kollektiven Entwicklungsständen oder gar Schulformen wirkt, gemessen an diesem Ideal, recht grobschlächtig und hemmend.

In den aktuellen schulpolitischen Diskussionen um die Einführung sog. Gemeinschaftsschulen finden diese Einsichten schulpolitische Resonanz. Den drei genannten Entwicklungsdynamiken – hin zur Reorganisation des Schulsystems, zu Inklusion und Binnendifferenzierung, zur Schülerorientie-rung – soll mit der Frage nach schulformspezifischer Religionsdidaktik nicht widersprochen werden. Es geht hier nicht darum, ein alt-neues Mantra der

stimmen, schwerlich eindeutige Empfehlungen zur Schulorganisation zu; generell erscheint die organisatorische Ordnung des Schulwesens nur von nachrangiger Bedeutung für die Qua-lität von Schulen zu sein; vgl. Horstkämper/Tillmann 2008. 14 Beauftragter 2010. 15 Faber/Roth 2010; vgl. Poscher/Rux/Langer 2008 und in religionspädagogischer Hinsicht v.a. Pithan/Schweiker 2011.

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Religionsdidaktik zu postulieren, sondern um die angemessene Würdigung einer Stellschraube religionsdidaktisch zu reflektierenden Handelns – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Solange es Schulformen gibt – und selbst wenn die Sekundarstufe I zukünftig zur inklusiven Gesamtschule zusam-menwächst, wird es (inklusive) Grundschulen, Oberstufen verschiedener Schwerpunktsetzung und Berufsbildende Schulen weiterhin geben – , sind sie auf ihre Gegebenheiten, Chancen und Grenzen hin ins (religions-) didaktische Kalkül zu ziehen: Auch die Gemeinschafts- oder Gesamtschule bedarf als Schulform religionsdidaktischer Reflexion. Dies ist Ausdruck der Kontextualität sowohl des Religionsunterrichts als auch der Religionsdidak-tik.

Angesichts der föderalen Unterschiede in Organisationsstruktur und Benen-nung der Schulformen16 werden in diesem Buch durchaus unterschiedliche Spielarten von Schule bzw. hochgradig ausdifferenzierte Schulformen (wie die Berufsbildenden und die Förder-Schulen) zusammengefasst – neun Schulformen bzw. -stufen finden Berücksichtigung: 1. der Elementarbereich, 2. die Grundschule, 3. die Hauptschule bzw. der Hauptschulbildungsgang, 4. die (Erweiterte) Realschule, 5. die Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule, 6. das Gymnasium/Sekundarstufe I, 7. die Gymnasiale Oberstufe, 8. die Berufsbil-denden Schulen, 9. die Förderschulen.

Somit steht die vertikale Staffelung der Schulformen im Vordergrund; die horizontale Gliederung des Schulwesens in staatliche Schulen einerseits, Schulen in freier Trägerschaft andererseits, kommt gelegentlich zur Sprache, steht jedoch nicht im Fokus.17

Die Autoren der Beiträge dieses Buches sind gebeten worden, die Refle-xionen auf „ihre“ Schulform formal gleich zu strukturieren. Folgende sieben Kategorien wurden vorgegeben:

1. Beschreibung der Schulform und der Stellung des Religionsunterrichts in ihr

2. Soziokulturelle und anthropogene Voraussetzungen der Schüler 3. Charakteristika der Religionslehrenden und ihrer Ausbildung

16 Vgl. dazu Rothgangel/Schröder 2009. 17 Was den Religionsunterricht in den diversen Schulen in freier Trägerschaft angeht, so fehlt eine Übersicht; zum Religionsunterricht an Schulen in kirchlicher Trägerschaft vgl. Scheil-ke/Schreiner 1999 sowie Ilgner 1992; knappe Einführungen bieten Wittenbruch 2009 und Schreiner 2009. In diesem Band gibt der Beitrag von Martin Schreiner Einblick in inklusive Initiativen evangelischer Schulen.

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Einleitung

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4. Materiale Entwicklungen innerhalb der Religionsdidaktik, die sich auf die jeweilige Schulform bezieht

5. Kooperation mit außerschulischen Lernorten 6. Institutionen schulformspezifischer Religionsdidaktik 7. Herausforderungen der Praxis und der religionspädagogischen Theorie

Über die schulformbezogenen Bestandsaufnahmen in Teil I hinaus enthält das Buch in Teil II eine Reihe von übergreifenden Beiträgen: Sie eröffnen einen kritischen Diskurs über die Anliegen und die Legitimität schulform-spezifischer Religionsdidaktik (Dietlind Fischer) und stellen schulpolitische Entwicklungen dar, die derzeit zur Abkehr von der äußeren Differenzierung in der Sekundarstufe I führen (Michael Wermke); sie markieren religionsdi-daktische Desiderate, die sich aus dem Ruf nach einer inklusiven Schule ergeben (Erna Zonne-Gaetjens) und stellen best-practice-Beispiele für inklu-sives Lernen aus den Schulen in evangelischer Trägerschaft vor (Martin Schreiner); sie prüfen an zwei als exemplarisch ausgewählten religionsdidakti-schen Themenfeldern – Bibeldidaktik und Interreligiöses Lernen –, welche Chancen und Schwierigkeiten sich in inklusiven Lerngruppen ergeben (Saskia Flake und Mirjam Zimmermann; Claus Peter Sajak) und markieren die Be-deutung adaptiver Lehrkompetenz für einen inklusiven Religionsunterricht (Bernd Schröder); sie fragen aber auch nach der Figur des Perspektiven-wechsels als möglichem Einheitsmoment des Religionsunterrichts verschie-dener Schulformen (David Käbisch) und nach der Relevanz der Schulform-spezifik für die Erstellung von Unterrichtsmaterial, hier am Beispiel von Religions-Schulbüchern (Thomas Heller).

Dieses Spektrum an Beiträgen erschließt den Lesern den Ist-Zustand der Religionsdidaktik zwischen (herkömmlicher) Schulformgebundenheit und (zukünftiger) Inklusion; es markiert darüber hinaus auch Anregungen und Desiderate, die sich für die religionsdidaktische Theoriebildung wie für die religionsunterrichtliche Praxis aus der Achtsamkeit für die Stellschraube „Schule“ ergeben. In abschließenden Thesen werden einige grundlegende Einsichten festgehalten.

Eine Vorfassung der schulformbezogenen Bestandsaufnahmen aus dem ersten Teil des Buches ist bereits in „Theo-Web. Zeitschrift für Religionspä-dagogik“ 10 (2011), Heft 1, erschienen. Sie wurden für den Druck aktuali-siert, ergänzt, gestrafft; neu hinzugekommen ist der Beitrag zur Gesamtschu-le (der damals vorgesehen war, aber nicht fertiggestellt werden konnte). Die Beiträge des zweiten Teils sind – mit Ausnahme der Übersicht über schulpo-

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litische Entwicklungen (Michael Wermke), die in einer Vorfassung bereits veröffentlicht wurde18 – eigens für diesen Band verfasst worden.

Was die Gestaltung der Beiträge angeht, so bitten wir für zwei Regelun-gen um Verständnis, die der Lesbarkeit dienen und helfen den Umfang des Manuskripts im Zaum zu halten. Zum einen wird in der Regel nur von „Schüler“, „Lehrer“ usw. gesprochen; diese Form ist inklusiv gemeint. Zum anderen wird Literatur in den Fußnoten stets (Ausnahme: die abschließenden Thesen) nur mit Autor und Jahr angeführt; die vollständige bibliografische Angabe findet sich jeweils am Ende des Beitrags. Auf diese Weise ergeben sich leicht zugängliche Literaturübersichten zu den jeweils bearbeiteten Themen, insbesondere zur schulformspezifischen Religionsdidaktik, zu In-klusion und Binnendifferenzierung in der Religionsdidaktik.

Wie bei jedem Buch ist auch in diesem Fall das Zustandekommen der Publi-kation einer Vielzahl von Menschen geschuldet: zunächst den Autoren, so-dann aber auch den Redakteuren – in diesem Fall namentlich Rabea Scholz, Lukas Steinbeck und Margret Lessner, alle Göttingen –; nicht zuletzt dem „Verein zur Förderung der Religionspädagogik und der Praktischen Theolo-gie“, Göttingen, mit einem Zuschuss zu den Druckkosten. Wir danken herz-lich!

Literatur

Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (Hg.): Über-einkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Berlin 2010.

Faber, Angela/Roth, Verena: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, in: Deutsches Ver-waltungsblatt 125 (2010), 1193-1204.

Grethlein, Christian: Religionspädagogik, Berlin/New York 1998.

Helsper, Werner/Böhme, Jeanette (Hg.): Handbuch der Schulforschung, Wiesba-den 22008.

Horstkämper, Marianne/Tillmann, Klaus-Jürgen: Schulformvergleiche und Stu-dien zu Einzelschulen, in: Helsper/Böhme 22008, 285-320.

18 Wermke 2011.

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Einleitung

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Ilgner, Rainer (Hg.): Handbuch Katholische Schule, 6 Bände, Köln 1992.

Käbisch, David/Wischmeyer, Johannes: Die Praxis akademischer Religionslehrer-bildung. Katechetik und Pädagogik an der Universität Jena 1817 bis 1918, Tübingen 2008 (PThGG 5).

Kirchenamt der EKD (Hg.): Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbil-dung. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des The-ologiestudiums, Hannover 2008 (EKD-Texte 96).

Lachmann, Rainer/Schröder, Bernd (Hg.): Geschichte des evangelischen Religi-onsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, Neukirchen-Vluyn 2007.

Lachmann, Rainer/Schröder, Bernd (Hg.): Geschichte des evangelischen Religi-onsunterrichts in Deutschland. Quellen, Neukirchen-Vluyn 2010.

Mertens, Gerhard u.a. (Hg.): Handbuch der Erziehungswissenschaft, 3 Bände, Paderborn u.a. 2009.

Pithan, Annebelle/Schweiker, Wolfhard (Hg.): Evangelische Bildungsverantwor-tung – Inklusion. Ein Lesebuch, Münster 2011.

Poscher, Ralf/Rux, Johannes/Langer, Thomas: Von der Integration zur Inklusion. Das Recht auf Bildung aus der Behindertenrechtskonvention der Verein-ten Nationen und seine innerstaatliche Umsetzung, Baden-Baden 2008 (Schriften zum Bildungs- und Wissenschaftsrecht 5).

Roggenkamp-Kaufmann, Antje: Religionspädagogik als „Praktische Theologie“. Zur Entstehung der Religionspädagogik in Kaiserreich und Weimarer Republik, Leipzig 2001 (APrTh 20).

Rothgangel, Martin/Schröder, Bernd (Hg.): Evangelischer Religionsunterricht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Leipzig 2009.

Scheilke, Christoph Th./Schreiner, Martin (Hg.): Handbuch Evangelische Schu-len, Gütersloh 1999.

Schreiner, Martin: Evangelische Schulen, in: Mertens u.a. 2009, Bd., II/1, 219-223.

Schröder, Bernd: Religionspädagogik – methodisch profiliert, international, binnendifferenziert, in: Theologische Literaturzeitung 132 (2007), 747-762.

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Bernd Schröder/Michael Wermke

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Schweitzer, Friedrich/Simojoki, Henrik: Moderne Religionspädagogik. Ihre Ent-wicklung und Identität, Gütersloh/Freiburg 2005 (RPG 5).

Wermke, Michael: „Religionspädagogik“ als Disziplin an den preußischen Pä-dagogischen Akademien, in: Schröder, Bernd (Hg.): Institutionalisierung und Profil der Religionspädagogik. Historisch-systematische Studien zu ihrer Genese als Wissenschaft, Tübingen 2009 (PThGG 8), 277-298.

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Religiöse Bildung im Elementarbereich

1. Der Elementarbereich des deutschen Bildungssystems und seine Institutionen

Vom „Elementarbereich“ sprechen wir in Deutschland seit dem vom Deut-schen Bildungsrat und der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung in den Jahren 1970/71 vorgelegten Strukturplan für das Bildungswesen, der die Eingliederung der Vorschulerziehung als erste, elementare Stufe des Bil-dungssystems empfahl.1 Damit begann der Prozess der bildungstheoretischen Neuakzentuierung einer sich bis dahin vornehmlich als fürsorglich und betreu-end verstehenden vorschulischen Erziehung, der im Grunde bis heute an-dauert und seit den internationalen Vergleichsstudien (PISA, IGLU u.a.) an Dynamik gewann. Angesichts des international schlechten Abschneidens deutscher Schüler entdeckte man in den letzten Jahren die Institutionen des Elementarbereichs als unverzichtbare Orte früher Bildung (wieder), in denen nachhaltig wirksame Dispositionen für erfolgreiche Bildungs- und Lernpro-zesse gelegt werden. Wieder – wie in der Bildungsreform der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts – erhofft man sich von vorschulischer Bildung kompensa-torische Effekte im Hinblick auf die offensichtlich in Deutschland verfestig-ten herkunftsbedingten Ungleichheiten in der Bildungsbiografie und ange-sichts milieubedingter Bildungsdefizite. Flankiert werden die hoch gesteckten Erwartungen an die Leistungen des Elementarbereichs von neueren Er-kenntnissen der neurobiologischen und entwicklungspsychologischen For-schung, die die grundlegende Bedeutung der ersten Lebensjahre für die kog-nitive, emotionale und soziale Entwicklung belegen.

Die Institutionen des Elementarbereichs sind vielschichtig und in sich diffe-renziert. Den quantitativ größten Anteil stellt nach wie vor der (traditionelle) Kindergarten dar, der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt aufnimmt. Daneben wird gesellschaftlich wie politisch der Ausbau der Be-treuung der unter Dreijährigen forciert. Nach dem Willen von Bund, Län-dern und Gemeinden sollen bis zum Jahr 2013 für durchschnittlich 35 % der unter 3-jährigen Kinder in Deutschland Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Dabei bewegt sich die Diskussion nicht nur um die mit der Klein-

1 Vgl. Deutscher Bildungsrat 1970, 110ff.

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kindbetreuung zu gewährleistende Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern bezieht sich vor allem auf die in den Einrichtungen des Elementar-bereichs erwartete frühe Förderung von Begabungs- und Lernressourcen.2

Unter Dreijährige werden hauptsächlich in geöffneten Kindergärten aufge-nommen, wobei man in der Regel von einer Anzahl von bis zu fünf Kindern pro Gruppe ausgeht. Daneben spielen selbstständige Krippen für 0–3-Jährige in Deutschland (West) eher eine marginale Rolle.3

Für die Einrichtungen des Elementarbereichs lässt sich empirisch ein langjähriger Trend ausmachen, der wegführt von altersmäßig getrennten Einrichtungen (Kindergarten, Krippe, Hort) hin zu altersübergreifenden Institutionen. So finden sich in Deutschland zunehmend Kindertageseinrichtun-gen, die traditionelle Gruppen (für 3–6-Jährige) und geöffnete Gruppen, und/oder Krippenplätze anbieten. Manche Einrichtungen bieten auch Grup-pen mit großer Altersmischung (0–6-Jährige) und Hortplätze an.

Auch was die Einrichtungsgröße angeht, zeigt sich ein buntes und nach Ost und West differenziertes Bild. In den ostdeutschen Ländern besuchen 45 % der Kinder „große“ Einrichtungen mit über 100 Kindern; in den west-deutschen Bundesländern überwiegen die kleinen und mittleren Einrichtun-gen.4 Die Vielfalt der Kindertageseinrichtungen spiegelt sich auch in den unterschiedlichen gruppenpädagogischen Konzepten: So gibt es Einrichtungen mit fester Gruppenstruktur neben solchen mit „halb-offenen“ Konzepten bis hin zu „offenen“ Einrichtungen, in denen Gruppen grundsätzlich aufgelöst sind. Es ist zu erwarten, dass Parameter wie Größe, Angebots- und Alters-struktur oder Gruppenkonzept Auswirkungen haben auf die Ausgestaltung der pädagogischen und religionspädagogischen Bildungsprozesse.

Charakteristisch für den Elementarbereich in Deutschland ist die differen-zierte Trägerstruktur der Einrichtungen. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe, wobei nach dem Subsidiaritätsprinzip den freien Trägern der Vorrang zukommt, wäh-rend die öffentliche Hand die Jugendhilfeplanung übernimmt und die Bereit-stellung und Koordination einer ausreichenden Angebotsstruktur gewährleis-tet. Diese Besonderheit ist der geschichtlichen Entwicklung der öffentlichen Vorschulerziehung in Deutschland geschuldet, deren Anfänge auf die Initia-tive freier, in der Regel kirchlich-diakonischer und konfessioneller Träger zurückgehen, die erst im späten 19. Jahrhundert staatlich reglementiert und

2 Vgl. dazu Deutsches Jugendinstitut 2008, 9ff. 3 Anders in den ostdeutschen Ländern, in denen traditionell die Krippen eine größere Bedeu-tung haben; vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 86. 4 Vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 76f.

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koordiniert wurden. Damit wird auch erklärbar, warum die Einrichtungen des Elementarbereichs in Deutschland in der Regel zum Zuständigkeitsbe-reich der Jugend- und Sozialbehörden gehören und nicht zur Bildungsadmi-nistration, obwohl wir, wie oben gesehen, seit dem Strukturplan von der Vorschulerziehung als der Elementarstufe des Bildungssystems sprechen.

Auch heute noch befindet sich die Mehrzahl der Einrichtungen des Ele-mentarbereichs in freier Trägerschaft.5 63,2 % der Kindertageseinrichtungen werden in Deutschland von freien Trägern betrieben, davon entfallen auf die evangelischen Träger (evangelische Kirchengemeinden und Diakonie) 26,4 % und auf die katholischen Träger 31,1 %. Damit stellen die beiden Kirchen mit insgesamt 57,5 % den größten Anteil der freien Träger, gefolgt vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, der allerdings im Zeitvergleich (von 2002 bis 2006) sein Angebot um 36,3 % ausbauen konnte, während die Anzahl der konfessionellen Einrichtungen in Deutschland stagnierte bzw. im Fall der katholischen Träger leicht zurückging.6 In absoluten Zahlen ausge-drückt, bedeutet dies, dass die evangelische Kirche in knapp 9000 Einrich-tungen mehr als eine halbe Million Kinder betreut. Insgesamt besuchen in Deutschland 2,6 Millionen Kinder eine Kindertageseinrichtung.

Anders als im Schulbereich ist der Besuch einer Einrichtung des Elemen-tarbereichs in Deutschland freiwillig und in der Regel auch mit Kosten ver-bunden. Dennoch besuchen über 92 % der 4–6-jährigen Kinder eine Vor-schuleinrichtung. Diese Zahl belegt, dass die Vorschulerziehung in Deutsch-land faktisch als Elementarstufe des Bildungssystems akzeptiert ist. Politische Bemühungen gehen dahin, auch den verbleibenden Rest der Kinder über Maßnahmen wie Beitragsbefreiung im letzten Kindergartenjahr in den Ele-mentarbereich zu integrieren.

Während sich die Zahlen bei den 4–6-Jährigen in Ost- und Westdeutsch-land weitgehend angenähert haben, sieht die Situation bei den unter 4-jährigen Kindern anders aus: in Westdeutschland besuchen nur 8 % der 0–3-Jährigen eine Vorschuleinrichtung im Unterschied zu den ostdeutschen Län-dern, in denen die Zahl bei knapp 40 % liegt. Die Besuchsquote der 2-jährigen Kinder liegt in Westdeutschland bei 16,7 % (im Osten 72,6 %) und steigt im dritten Lebensjahr sprunghaft auf 74 % (im Osten: 90,4 %) an. Dies

5 Dies gilt vornehmlich für Westdeutschland. Hier liegt der Anteil der freien Träger bei 65,8 % (Zahlen aus der Erhebung von 2006). In Ostdeutschland lag der Anteil 2006 bei 47,7 %, wobei im Zeitvergleich ein deutlicher Rückgang der öffentlichen Trägerschaft zu konstatieren ist: von 70,5 % im Jahr 1998 auf 52,3 % im Jahr 2006; vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 101. 6 Vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 102ff.

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bedeutet, dass das dritte Lebensjahr – dies gilt eben auch zunehmend für Westdeutschland – den Beginn der Kindergartenbiografie markiert.7

Dem Elementarbereich als erster Stufe des Bildungssystems wird vom deutschen Kinder- und Jugendhilfegesetz ein eigenständiger Bildungs- und Erzie-hungsauftrag zugedacht. Elementarbildung unterscheidet sich von Prozessen schulischer Bildung insofern, als sie sich nicht an fest umrissenen und in Stundentafeln fixierten Schulfächern orientiert und Lernen in vorgegebenen Zeiteinheiten und Stundenplänen organisiert. In Kindertagesstätten wird vielmehr der komplexe Alltag mit seinen herausfordernden Situationen di-daktisch genutzt, um gemeinsames Lernen, Forschen und Experimentieren zu initiieren. Dieser spezifische Bildungsauftrag wurde bereits in dem im Kontext der Bildungsreform der 1970er Jahre entwickelten Konzept des sozialpädagogischen Situationsansatzes umgesetzt, der – inzwischen weiterent-wickelt, präzisiert und den neuen Herausforderungen angepasst – durchaus als konzeptioneller Standard in Kindertagesstätten betrachtet werden kann. Heute wird allenfalls bildungstheoretisch pointierter als damals das Kind als Subjekt seines eigenen Bildungsprozesses gesehen, das seine Welt aktiv, neu-gierig und kompetent erforscht und zu verstehen versucht. Dabei ist es an-gewiesen auf eine erfahrungsreiche und -anregende Lernumgebung und auf die Interaktion mit zugewandten Erwachsenen um seine Selbstbildungspo-tenziale zu aktivieren. Lernen und Wissenskonstruktion werden insofern als ko-konstruktiver Prozess aufgefasst.8 Bildung in Kindertagesstätten bezieht sich also auf die reale Lebens- und Erfahrungswelt von Kindern und zielt auf grundlegende Lernkompetenzen sowie auf Bewältigungskompetenzen für gegenwärtige und zukünftige Lebensanforderungen. In diesem Zusammen-hang wird in der elementarpädagogischen Diskussion auf die immer not-wendiger werdende Stärkung der Resilienz bei Kindern verwiesen, im Sinne der Herausbildung von psychischer Widerstandskraft gegenüber den psycho-sozialen Zumutungen der Umwelt, was neben Wissen auch die Stärkung von Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Konfliktfähigkeit einschließt.

Um den Bildungsauftrag des Elementarbereichs zu verdeutlichen und um die Bildungsinhalte und deren Umsetzung mit höherer Verbindlichkeit zu versehen, haben die Jugend- und Kultusministerkonferenz 2004 einen ge-meinsamen Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen be-schlossen, der anschließend auf Länderebene in Bildungsplänen und -empfehlungen konkretisiert und auf die jeweiligen Kontexte in den Ländern bezogen wurde. 7 Vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 14. 8 Vgl. Wustrack 2009, 93.

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Mittlerweile haben alle Bundesländer solche Bildungspläne für den Ele-mentarbereich verabschiedet. Im „Gemeinsamen Rahmen“ und in den Bil-dungsplänen vieler Bundesländer wird die Dimension „Religion, Werte, Sinn“ als eigenständiger Bildungsbereich neben Sprache, Naturwissenschaft/Technik, musisch-kreativer, motorischer und interkultureller Bildung und weiteren Bereichen ausformuliert.9 Insofern kann man sagen, dass religiöse Bildung im Grundsatz als Auftrag für die Einrichtungen des Elementarbereichs verstan-den wird, und dies nicht nur für die konfessionellen Kindertagesstätten, son-dern auch für die von öffentlichen Trägern geführten.

Mit der Aufnahme der religiösen Dimension folgen die Bildungspläne sowohl dem Anliegen zahlreicher Religionspädagogen, die grundlegend und vom Kind aus das Recht des Kindes auf Religion und religiöse Begleitung einfordern,10 als auch offiziellen kirchlichen Stellungnahmen, die religiöse Begleitung als unverzichtbare Dimension humaner Bildung im Elementarbe-reich deklarieren. So heißt es etwa in den 10 Thesen des Rates der EKD von 2007: „Die Frage nach Religion, Werten und religiöser Bildung reicht jedoch weit über kirchliche Einrichtungen hinaus. Die Aufgabe, Kinder bei der Wahrnehmung von Religion, bei der Auseinandersetzung mit Religion und bei der Aneignung von Religion zu unterstützen, betrifft alle Kindertagesstät-ten ganz unabhängig von der Trägerschaft.“11 Religiöse Bildung im Elemen-tarbereich ist zwar nicht wie der schulische Religionsunterricht als kooperati-ve Gestaltungsaufgabe von Staat und Religionsgemeinschaften grundgesetz-lich abgesichert, aber – so lassen sich die staatlichen Bildungspläne ebenso wie die kirchlichen Stellungnahmen lesen – als solche gewünscht und inten-diert. In Zukunft werden neue Formen der Zusammenarbeit von Kirchen und öffentlichen Trägern in der religionspädagogischen Begleitung von Kin-dertagesstätten wie in der Aus- und Fortbildung des pädagogischen Perso-nals gesucht werden müssen, um das Recht jedes Kindes auf religiöse Bil-dung und Begleitung zu realisieren.

9 Vgl. Bederna/König 2009, 22ff. In der Habilitationsschrift von Carola Fleck werden die Bildungs- und Erziehungspläne eingehend untersucht; vgl. Fleck 2011, 61ff. 10 Vgl. etwa Schweitzer 2005, 83ff. 11 EKD 2007, 5.

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2. Soziokulturelle und anthropogene Voraussetzungen der Kinder im Elementarbereich

In Deutschland besuchen fast alle 4–6-jährigen Kinder eine Einrichtung des Elementarbereichs. Insofern kann man davon ausgehen, dass in den Kinder-tagesstätten alle sozialen Milieus und Bildungsschichten repräsentiert sind. Jedoch sind sie heterogen auf die Einrichtungen verteilt. Denn ein entschei-dendes Kriterium für die Wahl einer Kindertagesstätte ist die mit der Woh-nortnähe verbundene gute Erreichbarkeit. Von daher bietet sich bei den Tageseinrichtungen, ähnlich wie bei den Grundschulen, ein hoch differen-ziertes Bild, was die sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse der Kinder und ihrer Familien im jeweiligen Wohnumfeld angeht. Jede einzelne Einrichtung ist herausgefordert, sich mit der soziokulturellen Situation ihres Einzugsbereichs pädagogisch und konzeptionell auseinanderzusetzen, was im Ergebnis zu höchst unterschiedlichen Profilen führt.

Die soziokulturelle Heterogenität der in den Tageseinrichtungen betreu-ten Kinder lässt sich empirisch markant an deren familiärer Herkunft bele-gen. Während in Ostdeutschland lediglich 5,2 % der 3–6-jährigen Kinder einen Migrationshintergrund haben, stammt in Westdeutschland gut jedes vierte Kind in Tageseinrichtungen aus einer Familie, in der mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde (insgesamt 27 %).12 In der Mehrheit dieser Familien (total 16,9 %) ist Deutsch nicht die vorrangig ge-sprochene Sprache, was die Tagesstätten in ihren Bemühungen um frühkind-liche Sprachförderung natürlich vor besondere Herausforderungen stellt. Dies umso mehr als in den westdeutschen urbanen Ballungszentren viele Einrichtungen mehrheitlich von Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden13, die von daher wenig Möglichkeiten haben, in der natürlichen Um-gebung des Kindergartenalltags die deutsche Sprache zu erlernen. Die päda-gogische Arbeit stellt sich hier völlig anders dar als in ländlichen Regionen oder auch in Ostdeutschland, wo lediglich knapp 2 % der Kindertagesstätten einen mehr als 25%igen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund ha-ben.

Auffallend ist auch, dass unter den Familien, die ihre 4–6-jährigen Kinder nicht in eine Tageseinrichtung geben (insgesamt etwa 8 %), überdurch-schnittlich viele aus sozial prekären und bildungsfernen Schichten vertreten sind.

12 Zahlen von 2006; vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 161ff. 13 In Hamburg z.B. sind dies 28,8 % aller Einrichtungen.

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Kinder im Vorschulalter denken anders als Grundschulkinder und als Er-wachsene. Im Anschluss an die kognitiv-strukturelle Entwicklungspsycholo-gie Jean Piagets beschreibt man die Besonderheiten des kindlichen Denkens im Vorschulalter im Allgemeinen mit Anthropomorphismus, Artifizialismus, Animismus, Zentrismus und konkreter Anschaulichkeit.14 Das kleine Kind lebt in einer Welt, in der Realität und Phantasie, Wirklichkeit und Traum, Ernst und Spiel noch nicht trennscharf voneinander unterschieden werden. Gegenstän-de werden beseelt, alltägliche Handlungsabläufe magisch besetzt. Im Spiel wird die Puppe zu einem durchaus eigenwilligen Wesen, das fühlen, denken, sprechen kann, das Schmerz empfindet und traurig oder fröhlich ist. Bedeut-same Handlungsvollzüge (wie etwa das abendliche Einschlafritual) müssen stets nach dem gleichen Schema ablaufen, um wirksam zu sein. Das Weltbild des Kindes ist sehr an konkrete Anschauung gebunden; so werden z.B .Himmel und Hölle als lokalisierbare Orte, nicht als symbolische Verdich-tungen gedacht. Die Gottesbilder von Vorschulkindern haben ausgespro-chen anthropomorphe Züge. Gott wird, artifizialistischem Denken entspre-chend, als „Schöpfer“ sinnlich wahrnehmbarer Gegenstände (der Blumen, Häuser, Berge) vorgestellt. Viele Experimente Piagets haben gezeigt, dass das Denken des Vorschulkindes zentriert ist, d.h. sich nur auf jeweils einen As-pekt beschränkt und sich nur aus der jeweiligen Perspektive des Kindes voll-zieht, was ihm noch nicht ermöglicht, die Dinge auch aus der Perspektive eines anderen zu sehen oder komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

James W. Fowler spricht, Piagets Untersuchungen weiterführend, in sei-nem Stufenmodell religiöser Entwicklung hinsichtlich des Vorschulalters von „intuitiv-projektivem“ und „mythisch-wörtlichem“ Glauben.15 Die Stärke dieser Stufe ist Fowler zufolge die Entstehung und Entwicklung der Einbil-dungskraft, die durch Geschichten und Gesten Erwachsener angeregt und vom Kind mit seiner eigenen Erfahrungswelt, seinen Vorstellungen und Gefühlen, verknüpft wird.

Religiöse Bildungsprozesse im Elementarbereich müssen diese spezifi-schen Strukturen kindlicher Kognition zur Kenntnis nehmen, wenn sie wirk-sam und nachhaltig sein wollen. Dabei dürfen die kindlichen Denkschemata jedoch nicht als defizitär disqualifiziert und die religiösen Vorstellungen des Vorschulkindes als möglichst rasch zu korrigierende Fehlinterpretationen verstanden werden. Vielmehr ist ernst zu nehmen, dass sich das Kind auf seine Weise und mit seinen Möglichkeiten seriös mit denselben existenziellen und „letzten“ Fragen auseinandersetzt, die auch den Erwachsenen umtrei- 14 Vgl. Möller 2000, 254ff. 15 Vgl. Fowler 2000, 139ff.

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ben. Das Kind ist als Subjekt seiner eigenen religiösen Entwicklung zu ver-stehen und seine aktive Rolle bei der Aneignung und Konstruktion von reli-giösem Wissen muss unterstützt werden. Die Praxis zeigt, dass auch Vor-schulkinder zu durchaus eigenständigen, Kognitionsstufen transzendierenden theologischen Denkleistungen fähig sind, wenn ihnen in der Tagesstätte entsprechend Raum und Anregung gegeben wird. Religiöse Elementarbil-dung in diesem Sinne erfordert Erwachsene, die sich sensibel auf die religiö-se Vorstellungswelt der Kinder einlassen und sich als Gesprächspartner an-bieten, die mit den Kindern auf Augenhöhe über letztlich „unentscheidbare Fragen“16 kommunizieren. Kinder im Vorschulbereich religiös zu bilden, heißt nicht, dogmatisch richtige Antworten auf Kinderfragen zu geben, son-dern die kindliche Neugier- und Fragehaltung zu fördern, die Nachdenklich-keit des Kindes und seine Bereitschaft, sich betreffen zu lassen von existen-ziellen Herausforderungen, anzuregen. In religiösen Bildungsprozessen wer-den Wahrnehmungen und Erlebnisse von Kindern als prinzipiell deutungs-offen, aber auch deutungsbedürftig interpretiert. Somit wird in der Kinderta-gesstätte der Grundstein für die Entwicklung von religiöser Kompetenz gelegt.

3. Charakteristik des religionspädagogischen Fachpersonals und seiner Ausbildung

Der überwiegende Teil des pädagogischen Personals in Kindertagesstätten hat die an einer Fachschule/Fachakademie für Sozialpädagogik erworbene Qualifikation als Erzieher. Daneben ist der Anteil von akademisch ausgebil-deten Frühpädagogen in Deutschland noch marginal.17 Aber auch hierzulan-de zeigt sich seit 2004 eine Entwicklung hin zur Akademisierung der Erzie-herinnenausbildung. Im Januar 2010 boten 55 Hochschulen (Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen und Berufsakademien) bereits 79 unterschiedliche Ausbildungsgänge für frühkindliche Pädagogik an, die sich inhaltlich differenzierten in elementarpädagogische Studienangebote (auf die Tätigkeit als Erzieher vorbereitende), beruflich spezialisierende Qualifika-tionen (z.B. Kindertanzpädagogik) und Managementkurse für leitende Tätig-

16 Vgl. Freudenberger-Lötz 2007, 298, wonach „[…] Antworten auf unentscheidbare Fragen durch die Freiheit unserer Wahl bestimmt werden“. 17 In Westdeutschland 2,6 %, in Ostdeutschland 1,6 % (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 184.) In den meisten europäischen Ländern hingegen ist die akademische Ausbildung von Erzieherinnen Normalität.

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keiten in Kindertagesstätten.18 Dennoch werden quantitativ auch zukünftig die meisten Elementarpädagogen an Fachschulen/Fachakademien für Sozi-alpädagogik ausgebildet werden. Mittelfristig wird es insofern zu einer Teil-akademisierung der Erzieherinnenausbildung und zu einem Nebeneinander von Fachschulen und Hochschulen als Ausbildungsorte für elementarpäda-gogische Berufe kommen.

Der Erzieherberuf ist nach wie vor eine überwiegend weibliche Professi-on. Bemerkenswert ist, dass sich in den letzten 20 Jahren die Altersstruktur signifikant verschoben hat. Heute ist jede zweite Erzieherin älter als 40 Jahre, wohingegen dies 1990 in Westdeutschland bei lediglich 20 % der Fall war. Der Erzieherinnenberuf ist zu einem Beruf auf Lebenszeit geworden, der allerdings in zunehmendem Maße in Teilzeit ausgeübt wird. So liegt die Teil-zeitquote bei über 50 %, was hinsichtlich der Professionalität des Berufs nicht unproblematisch ist.19

Die Ausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik versteht sich als berufliche Qualifikation und ist insofern eingegliedert in das öffentliche Berufs-schulwesen. Wie bei den Kindertagesstätten gibt es auch in der Ausbildungs-struktur ein Nebeneinander von öffentlichen und freien Trägern. In evange-lischer Trägerschaft befinden sich ca. 13 %, in katholischer Trägerschaft ca. 22 % der Ausbildungsstätten.20 Die Zugangsvoraussetzungen zur Fachschule für Sozialpädagogik sind in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. In den meisten Ländern wird eine vollschulische, 2-jährige Ausbildung an einer Höheren Berufsfachschule verlangt. Die Ausbildung an der Fachschule selbst umfasst in der Regel zwei, Theorie und Praxis verbindende Schuljahre, an die sich ein einjähriges Berufspraktikum anschließt. In dieser Struktur präsentiert sich die deutsche Erzieherinnenausbildung im europäischen Kon-text als „postsekundäres Kurzstudium“ nach mindestens 12-jähriger schuli-scher Grundbildung und mittlerem Bildungsabschluss.

Die religionspädagogische Ausbildung realisiert sich im Unterrichtsfach „Ev./kath. Religionslehre/Religionspädagogik“, nach den Bestimmungen des Art.7,3 des Grundgesetzes in Kooperation zwischen Kirchen und Staat und mit einem Stundenumfang von zwei (in kirchlichen Einrichtungen oft auch drei) Wochenstunden. Im Unterschied zu öffentlichen Schulen ist die Teilnahme am Religionsunterricht in kirchlichen Schulen verpflichtend.

Obwohl die Fachschulen längst auf dem Weg der Reform sind und z.B. starre Fächergrenzen zugunsten von Lernbereichen oder Modulen auflösten,

18 Vgl. Pasternack 2010, 26ff. 19 Vgl. Deutsches Jugendinstitut 2008, 195ff. 20 Vgl. Möller 2005, 211ff.

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lässt sich nicht übersehen, dass es sich bei der Erzieherinnenausbildung um eine schulische Ausbildung handelt mit geschlossenen Curricula, geringen Selbststudienanteilen, oft starren Klassenstrukturen und mit Lehrpersonal, das in der Regel eine staatliche Lehrerausbildung absolviert hat und nicht in Forschung und Wissenschaft eingebunden ist. Die Disziplin Religionspäda-gogik kann von den Studierenden nicht frei gewählt werden, sondern ist ordentliches Lehrfach, von dem man sich allenfalls abmelden kann. Diese Bedingungen haben natürlich Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestal-tung der religionspädagogischen Ausbildung. So kann man bei den 17–25jährigen, meist weiblichen Schülern nicht immer davon ausgehen, dass sie ein intrinsisches Interesse an Religion schon mitbringen. Im besten Fall weckt der Unterricht ihr Interesse an Religion, indem er didaktisch bei den Schüle-rinnen selbst und ihren lebensweltlichen Erfahrungen ansetzt und sie religiö-se Bezüge in ihrer Biografie und Lebenswelt selbst entdecken lässt. Didak-tisch verschränkt mit Prozessen religiöser Selbstreflexion können dann auch die religiösen Bedürfnisse von Kindern und die Herausforderungen einer religionspädagogischen Praxis im beruflichen Handeln von Erzieherinnen in den Blick kommen.21

Die religiöse Bildung im Elementarbereich wird also zum größten Teil nicht von eigens ausgebildeten Religionspädagogen verantwortet, sondern von Erziehern, die eine eher praxis- als theorieorientierte, generalisierte pä-dagogische Schulausbildung durchlaufen haben, die in großer Breite für sozi-alpädagogisches Berufshandeln qualifiziert. (Erzieher werden nicht nur in Kindergärten und Krippen, sondern auch in Horten und Heimen eingesetzt.) Dabei ist Religion in Ausbildung und Praxis nur ein Aspekt und in der Wahr-nehmung vieler Beteiligter ein eher peripherer. So verwundert es nicht, dass sich viele Erzieherinnen verunsichert zeigen hinsichtlich der Praxisanforde-rungen einer religiösen Bildung in Kindertagesstätten und auch – das gilt insbesondere für Absolventen staatlicher Ausbildungsstätten – relativ unzu-frieden sind mit der Qualität ihrer religionspädagogischen Ausbildung.22 Hier bietet sich ein Feld für vertiefende Professionalisierungsmaßnahmen und speziell für religiöse Bildung qualifizierende Weiterbildungskurse, das von den religionspädagogischen Instituten der Landeskirchen auch schon zum Teil intensiv wahrgenommen wird.

Die kirchlichen Ausbildungsstätten setzen in der Regel größere Ressour-cen für die religionspädagogische Ausbildung ein und öffnen sich auch eher

21 Vgl. zur Didaktik der religionspädagogischen Ausbildung von Erzieherinnen: Möller 2000 und Möller 1996, 267ff. sowie Henn/LaGro/Obermann 2011. 22 So ein allerdings nicht repräsentatives Ergebnis der Studie von Schweitzer u.a. 2008, 204f.

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der Akademisierung der Ausbildung, insofern sie vielfach Kooperationen mit Fachhochschulen und Universitäten vereinbaren. Von den Anforderungen der Praxis religiöser Bildung im Elementarbereich her gesehen, ist diese Entwicklung zu begrüßen. Längerfristig sollte ein akademisches Niveau der religionspädagogischen Ausbildung für den Elementarbereich angestrebt werden.

4. Entwicklungen innerhalb der Religionsdidaktik des Elementarbereichs

Für die religiöse Bildung im Elementarbereich gibt es im Unterschied zur Schule keine, über die allgemeinen Bestimmungen der Bildungspläne (s.o.) hinaus gehenden differenzierten Curricula, die detailliert beschreiben, was die Kinder am Ende der Kindergartenzeit wissen bzw. können sollen. Jedoch haben sich in der religionspädagogischen Diskussion der letzten vierzig Jahre einige religionsdidaktische Standards herausgebildet, die unhintergehbar sind.

Dazu gehört die schon im Religionspädagogischen Förderprogramm23 als grundlegend beschriebene Aufgabe religiöser Elementarbildung, herausfor-dernde Lebenssituationen, in denen Kinder sich befinden, in eine dynami-sche Begegnung mit christlich-biblischer Überlieferung zu bringen. In dieser Spannung von Situation und Tradition vollzieht sich elementare religiöse Bil-dung und Erziehung: Auf der einen Seite erfährt die kindliche Situation durch die Tradition Deutung und Orientierung, was dem Kind die Bearbei-tung und Bewältigung der Situation erleichtert. Auf der anderen Seite ge-winnt die biblisch-christliche Überlieferung in ihrer Bezogenheit auf eine konkrete Lebenssituation überhaupt erst Bedeutung für das Kind. Diese dialogische Struktur von Situation und Tradition impliziert, dass religionspä-dagogische Arbeit in der Kindertagesstätte kein speziell ausgewiesenes und zusätzliches Angebot ist, sondern in die alltägliche Arbeit der Einrichtung integriert und mit anderen Aufgaben vielfältig verflochten wird. Religiöse Elementarbildung in diesem Sinne ist eine anspruchsvolle Aufgabe und er-fordert vom Fachpersonal hermeneutische Kompetenz in zweifacher Hin-sicht: Es muss menschliche Lebenssituationen in ihrer Sinn- und Tiefendi-mension reflektieren und biblische Tradition auf diese hin auslegen können.

23 Das Religionspädagogische Förderprogramm wurde in den Jahren 1975ff. von einer Ar-beitsgruppe des Comenius-Instituts entwickelt. Es reagierte kritisch-konstruktiv auf die im Kontext der damaligen Bildungsreform erschienenen „Didaktischen Einheiten“ des Curricu-lums „Soziales Lernen“, die es anthropologisch zu vertiefen und um religiöse Bezüge und Sinn- und Deutungsdimensionen zu erweitern versuchte.

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Religiöse Elementarbildung stellt das Kind in den Mittelpunkt. Sie arbei-tet sich nicht an einem Katalog vorgegebener religiöser Inhalte ab, sondern orientiert sich an dem, was das Kind braucht. Damit kommen kindliche Grundbedürfnisse in den Blick wie Vertrauen finden, angenommen werden, Hoffnung und Mut schöpfen, sich selbst etwas zutrauen etc.

Unter diesen Prämissen lassen sich für die Praxis religiöser Bildung und Erziehung im Elementarbereich vier Felder beschreiben, in denen sie sich, je nach der Situation vor Ort in unterschiedlicher Gewichtung, aktualisiert.24

4.1

Grundlegend für religiöse Prozesse von Bildung und Erziehung im Elemen-tarbereich ist das Arrangement einer sozialen Atmosphäre in der Einrich-tung, in der die Kinder Erfahrungen von Geborgenheit, Angenommenwer-den, Zugehörigkeit, aber auch von Freiheit und Bindung machen können. Diese Atmosphäre materialisiert sich u.a. in einer wertschätzenden Bezie-hung der Erziehenden zu den Kindern, in einem freundlichen und einladen-den Raumkonzept, in einer achtsamen Organisation des Alltagslebens, in einem respektvollen Umgangsstil und einem akzeptierenden Erziehungskli-ma. Religiöse Bildung und Erziehung realisiert sich hier also indirekt, noch bevor religiöse Kontexte verbalisiert oder explizit gemacht werden, wie Norbert Mette bemerkt: „ Religiöse Erziehung qua christliche Erziehung ist nicht in erster Linie ein Vertrautmachen mit Inhalten oder bereits interpre-tierten Erfahrungen, sondern grundlegend die Vermittlung unbedingten Erwünscht- und Anerkanntseins. Man wird sogar sagen dürfen, dass jede Erziehung, die auf unbedingter Liebe basiert und in der die Beteiligten sich gegenseitig schöpferische Freiheit auf eine offene Zukunft hin zumuten, in ihrem Kern genau das realisiert, was christliche Praxis ist.“25

Die Betonung der indirekten Ebene religiöser Bildung konvergiert im Übrigen mit tiefenpsychologischen Erkenntnissen, die besagen, dass die Entwicklung einer „reifen“ Religiosität ganz wesentlich mit den ersten sozia-len Beziehungen des Kindes und dem darin begründeten Urvertrauen zu-sammenhängt. Für den Säugling ist die versorgende, pflegende, schützende Mutter gewissermaßen der „erste Gott“. In der Phase der Lösung aus der symbiotischen Bindung an sie schafft sich das Kind selbst psychische Reprä-sentanzen – „Übergangsobjekte“, wie D.W. Winnicott sie nennt –, die auch in der Trennung die ursprüngliche Einheit symbolisieren.26 In diesen psychi- 24 Vgl. dazu Möller 1998, 32ff. 25 Mette 1983, 275f. 26 Vgl. Möller/Tschirch 2012, 95ff.

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Religiöse Bildung im Elementarbereich

29

schen Prozessen erwirbt das Kind die grundlegende Fähigkeit zur Symboli-sierung, die es ihm ermöglicht, sich später auch religiöse Symbole und Got-tesbilder zu erschließen.

Wenn diese Erfahrungsdimension unbedingten Erwünscht- und Ange-nommenseins Kindern in der Tagesstätte zugänglich ist, macht es Sinn, sie mit biblischen Geschichten, Liedern, Gebeten und Ritualen zum Ausdruck zu bringen und damit den Kindern Sprach- und Deutungshilfen ihrer Erfah-rungen anzubieten.

4.2

Ein zweites Feld religiöser Bildung im Elementarbereich zielt darauf ab, Kindern spirituelle, die Tiefendimension der Wirklichkeit erschließende Er-fahrungen anzubieten. Dazu gehört „[...] die Erfahrung von Stille inmitten einer hektischen und lauten Umwelt; oder die Erfahrung der Dankbarkeit und Ehrfurcht dem Leben gegenüber, das eben nicht wie selbstverständlich in unserer Verfügungsgewalt liegt. Kinder sollten erleben, dass ab und an die ‚Zeit angehalten‘ wird – im intensiven Erleben einer Feier oder im Ritual, das den ‚normalen‘ Ablauf des Alltags im Kindergarten durchbricht.“27 Dieses religionsdidaktische Feld knüpft an Überlegungen Maria Montessoris an, die in ihrer Arbeit entdeckte, wie sehr Kinder sich nach Ruhe und Stille sehnten und wie entspannt und gestärkt sie sich nach entsprechenden „Stilleübun-gen“ fühlten.28 Sie rekurriert damit aber auch auf Traditionen christlicher Mystik, wie sie etwa Hubertus Halbfas für die Religionspädagogik aktuali-siert, insofern er Kindern die „verlorene Dimension“ des Schauens mit dem „inneren Auge“ wieder erschließen will – ein Schauen, das die Wirklichkeit in ihrer Tiefe und ihren Sinnzusammenhängen aufspürt und das das schauende Subjekt in ein von allen Verwertungszwängen befreites, spirituelles Verhält-nis zu den Dingen versetzt. Dabei wird angenommen, dass die spirituelle Praxis des „inneren Schauens“ das Leben reicher und intensiver macht. In dieser Hinsicht können Erwachsene vermutlich viel von Kindern lernen, die sich oft noch unverkrampft und natürlich von meditativer Atmosphäre und feierlicher Stimmung faszinieren lassen.

Dieses zweite Feld religiöser Bildung und Erziehung wird in der Praxis der Kindertagesstätten relativ häufig inszeniert. Neben den schon erwähnten Stilleübungen gehören zu den einschlägigen Praxisformen auch elementare Sinnesübungen zum Tasten, Riechen, Lauschen, Schmecken und Sehen,

27 Möller 1998, 34. 28 Vgl. Sylla 2012, 233ff.

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Übungen zur Körperwahrnehmung, Phantasiereisen, meditatives Malen und Tanzen, aber auch Meditation und Gebet. Dabei wird das Gebet oft als An-schluss an Stille- und Sinnesübungen konzeptualisiert. Während Stilleübun-gen die innere Welt des Kindes ordnen und Erfahrungen von Staunen und Dankbarkeit gegenüber der Natur und dem Leben hervorrufen, bieten Gebe-te in der Kindertagesstätte Sprechhilfen an, um diese Erfahrungen zu kom-munizieren. „Kinder lernen die Welt kennen über das sinnliche Begreifen und Erspüren. Kinder lernen die Welt verstehen über das Benennen und Kommu-nizieren dessen, was sie sehen und erleben. Hierbei brauchen sie Begleitung und Anregungen, auch im Gebet.“29

4.3

Damit ist das dritte Feld religiöser Bildung im Elementarbereich bereits ge-nannt: die religiöse Kommunikation. Das Sprechen über Religion wird in der Tagesstätte nicht von außen an die Kinder herangetragen, sondern wird von ihnen selbst eingefordert. Denn sie begegnen in ihrer Lebenswelt ständig religiösen Zusammenhängen und wollen darüber reden. Sie erleben, wie in ihren Familien kirchliche Feste gefeiert werden; sie nehmen in ihrem Wohn-viertel die besondere Architektur kirchlicher Gebäude wahr; sie hören in den Medien von Naturkatastrophen und unendlichem Leid von Menschen und möglicherweise jemanden in diesem Kontext das Wort „Gott“ benutzen; sie erleben Abschiede und Neubeginne mit; vielleicht begegnen sie sogar dem Tod und bekommen mit, wie Menschen darauf mit Trauer, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit reagieren. Alle diese Wahrnehmungen und Erlebnis-se müssen verarbeitet und in das sich ausdifferenzierende Weltbild des Kin-des integriert werden. Dazu brauchen Kinder Erwachsene als aufmerksame Zuhörer und sensible Gesprächspartner. Religiöse Kommunikation kann in diesem Verständnis kein Spezifikum einer konfessionellen Kindertagesstätte sein, sondern ist von jeder elementarpädagogischen Praxis gefordert, in der pädagogisches Fachpersonal sich ernsthaft um die Bildung und Förderung von Kindern bemüht. Die oft als Argument gegen religiöse Kommunikation im Kindergarten vorgebrachte Wahrnehmung, dass Kinder nicht von sich aus auf religiöse Zusammenhänge zu sprechen kommen, lässt sich in zweier-lei Hinsicht deuten: erstens, dass Erziehende oft die religiösen Konnotatio-nen in den Äußerungen von Kindern gar nicht wahrnehmen, und zweitens, dass Kinder im Kontakt mit Erwachsenen sehr schnell spüren, mit welchen Fragen und Anliegen sie kommen dürfen und mit welchen nicht.

29 Sylla 2012, 241.

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Religiöse Bildung im Elementarbereich

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In der Praxis der Kindertagesstätten wird die religiöse Kommunikation insbesondere im Projekt „Kindertheologie“ konzeptualisiert.30 Hilfreich für die Praxis ist die Unterscheidung der Aspekte der Theologie von, mit und für Kinder.31 Theologie von Kindern bedeutet, dass Kinder ihre eigenständigen Deutungen und Ideen in das Gespräch einbringen und Erziehende in erster Linie aufmerksam zuhören ohne vorschnell zu interpretieren. Dabei sollte die „hermeneutische Differenz“ zwischen den kognitiven Möglichkeiten von Erwachsenen und Kindern produktiv wahrgenommen werden, um Ge-sprächsverläufe zu optimieren und Erkenntnisprozesse zu generieren. Die Erziehenden sollten die spezifischen kognitiven Voraussetzungen bei den Kindern kennen und sie im Gespräch berücksichtigen ohne die Kinder auf diese Grenzen festzulegen. Theologie mit Kindern meint den Prozess des Suchens und Fragens, den Kinder und Erwachsene gemeinsam gehen. Die Erziehenden halten sich mit Interpretationen weiterhin zurück, aber sie fra-gen nach, fassen zusammen und weisen auf Argumentationslücken hin. Vo-raussetzung dabei ist, dass es den Kindern zugetraut wird, Theologie zu be-treiben und eigenständig kognitive Entdeckungen zu machen. Theologie für Kinder bedeutet, dass die Erziehenden von sich aus Impulse und Anregun-gen zum Weiterdenken einbringen. Dies können religiöse Symbole, biblische Geschichten, religiöse Lieder und Bilder sein, die dem Kind Deutungshilfen anbieten und Perspektiven eröffnen, die es zu neuem Fragen und Suchen herausfordern. In diesem Sinne ist das Theologisieren von, mit und für Kin-der ein offener und dynamischer Prozess, in dem Einsichten von Kindern formuliert, überprüft, reformuliert und im Horizont christlich-biblischer Tradition kontextualisiert werden. In diesen Prozess bringen sich die Erzie-henden authentisch ein: mit ihrem Glauben und ihren Überzeugungen, aber auch mit ihren Zweifeln und Unsicherheiten. Er verlangt von ihnen, sich selbstreflexiv mit ihrem Glauben und ihrer religiösen Biografie auseinander zu setzen, bietet aber auch die Chance, dass beide, Kinder und Erwachsene, voneinander lernen und im Glauben wachsen.

4.4

Weltanschaulich und religiös bunt gemischte Gruppen sind, wie wir oben gesehen haben, in vielen deutschen Kindertagesstätten längst Normalität. Von daher steht die interreligiöse Bildung als viertes Feld religiöser Bildung ganz oben auf der Agenda der religionspädagogischen Theorie und Praxis im 30 Einen informativen Überblick über Gegenstand und Entwicklung des Projekts „Kinderthe-ologie“ bietet S. Wustrack in ihrer Arbeit; vgl. Wustrack 2009, 131ff. 31 Vgl. z.B. Freudenberger-Lötz 2007, 296ff.

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Elementarbereich. Auf die mit der religiösen Vielfalt verbundenen differen-zierten Herausforderungen hat die Religionspädagogik für den Vorschulbe-reich bislang aber noch keine wirklich konsistenten Antworten gefunden. Die Herausforderungen liegen auf verschiedenen Ebenen.

Erstens ist gesellschaftlich zu beobachten, dass in der zweiten und dritten Generation der Migrantenfamilien in Deutschland deren Religion (in den meisten Fällen der Islam) eine zunehmende Bedeutung für ihre kulturelle Selbstdefinition gewinnt. Es ist davon auszugehen, dass auch bei Kindern aus diesen Familien Religion zunehmend höher besetzt ist. Viele Kinderta-gesstätten, vor allem solche in öffentlicher Trägerschaft, blenden den religiö-sen Faktor in der interkulturellen Erziehung allerdings aus, weil sie ange-sichts dieser Entwicklung und eines eigenen klischeehaften Islam-Bildes verunsichert sind. Wenn Religion aber integraler Bestandteil von Kultur ist, dann gehört religiöse Bildung in die interkulturelle Erziehung, und zwar in allen Kindertagesstätten.

Zweitens gehen viele religionspädagogische Konzepte von der Annahme aus, dass sich in einer multireligiösen Kindertagesstätte verschiedene Religio-nen begegnen. Daraus folgt in praktischer Konsequenz oft der Vorschlag, interreligiöse Bildung so zu konzeptualisieren, dass sich Kinder unterschied-licher Religion im „Gaststatus“ begegnen: die muslimischen Kinder laden die christlichen Kinder zu ihrem Fest ein und umgekehrt. Demgegenüber ist aber zu bedenken, dass sich in der Tagesstätte nicht Religionen in Reinform be-gegnen, sondern gefiltert durch die jeweilige kulturellen Traditionen der Herkunftsfamilien. Von daher müsste interreligiöse Bildung zunächst einmal erforschen, welche religiösen Traditionen in den Familien gepflegt werden und wie sich die Familien selbst religiös-kulturell definieren.

Drittens muss die Frage nach der Entwicklung von religiöser Identität bei Kindern beantwortet werden. Kann sie sich in der alltäglichen Konfrontation mit pluralen und oft uneinheitlichen religiösen Anschauungen und Werten herausbilden oder brauchen die Kinder zunächst eine feste Beheimatung in ihrer eigenen Religion?

Interkulturelle und interreligiöse Bildung in der Kindertagesstätte bietet fraglos große Lernchancen im Hinblick auf das Leben in einer weltanschau-lich immer vielgestaltiger werdenden Gesellschaft: Sie legt den Grundstein für die Herausbildung von Pluralitätsfähigkeit und interkultureller Kompe-tenz. „Religiös-weltanschaulich gemischte Kindergruppen machen die Insti-tution Kindergarten zu einem besonders geeigneten Ort, an dem interreligiö-se Pädagogik im ganzheitlichen Sinne weiterentwickelt werden könnte – Lernen an lebensweltlichen Themen, mit allen Sinnen und generationen-

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Religiöse Bildung im Elementarbereich

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übergreifend (mit Eltern und Erziehern) lässt sich hier leichter realisieren als im Schulbereich.“32

5. Religiöses Leben in Kindertagesstätten

Anders als in Schulen gehört das religiöse Leben zum didaktischen Kernbereich von Kindertagesstätten – zumindest den konfessionellen. Kindertagesstätten verstehen sich als Lernorte, in denen sich im täglichen Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen Entwicklungs- und Bildungsprozesse vollziehen. Lernen geschieht dort nicht in einzelnen als Lernfächer voneinander unter-schiedenen Sachkontexten, sondern in den natürlichen Lebenszusammen-hängen. Zu den alltäglichen Lebensvollzügen im Kindergarten gehören selbstverständlich auch Feste, Feiern und Rituale.

Im Elementarbereich wird sehr bewusst die strukturierende und entlas-tende Funktion von Ritualen für Kinder wahrgenommen und pädagogisch genutzt. Der Morgenkreis und das Abschiedsritual gehören zu den Standards des Kindergartenalltags und werden oft auch mit religiösen Bezügen (Gebe-te, geistliche Kinderlieder, Gesten) versehen. Rituale haben die Funktion, Übergangssituationen zu gestalten und die Transitionen zu erleichtern. Das gilt für die genannten Tagesrituale ebenso wie für jahreszeitliche Rituale (z.B. Geburtstag, Neujahrstag, Kindergartenabschied) oder Rituale zur Kontin-genzbewältigung (z.B. Trauerfeier anlässlich des Todes eines Menschen, Abschied beim Wohnortwechsel eines Kindes).

Hinsichtlich der jahreszeitlichen Feste gibt es in den Kindertagesstätten in der Regel eine lebendige Feierkultur. So werden nicht nur die Jahreszeiten begrüßt, sondern auch die großen kirchlichen Jahresfeste (vornehmlich der Advent- und Osterkreis sowie Erntedank) in der Kindergruppe gefeiert und oft auch mit religionspädagogischen Aktivitäten begleitet. Da in der Elemen-tarpädagogik die pädagogischen Impulse von der Wahrnehmung der Kinder in ihren jeweiligen Lebenskontexten ausgehen, gehören auch die Feste, die von den nicht-christlichen Familien gefeiert werden, in den Alltag der Kin-dertagesstätte.

Kindertagesstätten haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Zu den Veränderungsprozessen gehört auch die programmatische Öffnung der Kindertagesstätte in das Gemeinwesen hinein, die verstärkte Zusammenar-beit mit Eltern, Nachbarschaften, Schulen und Institutionen des Stadtteils.

32 Dommel 2005, 442.

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Viele Kindertagesstätten werden zu Häusern für Kinder und Familien, in denen auch für Eltern soziale Unterstützungs- und Beratungssysteme entste-hen. Konfessionelle Einrichtungen haben dabei die Chance auf Ressourcen der Kirchengemeinden für religiöse Bildungsprozesse zurückgreifen zu kön-nen. Die Kinder können in der Kirchengemeinde vielfältige Entdeckungen machen: Kirchen werden kirchraumpädagogisch als besondere Räume wahr-genommen, in denen sich der Glaube und die Hoffnung von Menschen materialisieren.33 Ehrenamtliche Mitarbeiter, Pfarrer, alte Menschen können als Gesprächspartner gewonnen werden, die den Kindern authentisch Mög-lichkeiten einer Lebensgestaltung aus dem Glauben eröffnen. Insofern braucht die Kindertagesstätte die Kirchengemeinde, denn sie „[...] ist der Ort, an dem Religion in einer ganz konkreten Form gelebt wird: in der Feier des Gottesdienstes für Kinder und Erwachsene ebenso wie in Gruppen für Menschen verschiedenen Alters und mit verschiedenen Interessen.“34

6. Stand der Religionsdidaktik für den Elementarbereich

Es gibt im deutschsprachigen Raum mittlerweile eine ganze Reihe unter-schiedlicher religionspädagogischer Arbeitshilfen für die religiöse Bildung im Elementarbereich, von theoriegeleiteten Konzepten über praxisorientierte Modelle bis hin zu Praxismaterialien wie Kinderbücher, Bilderbücher etc. Einen Überblick über die einschlägigen Veröffentlichungen der letzten Jahr-zehnte bietet S. Habringer-Hagleitner.35 Sie unterscheidet zwischen Konzep-ten explizit christlich-religiöser und implizit christlich-religiöser Bildung, wobei sie das Unterscheidungsmerkmal an der engen bzw. weiten Fassung des Religionsbegriffs festmacht. Daneben identifiziert sie Konzepte spiritu-ell-religiöser Bildung, die im Unterschied zu den erstgenannten „christen-tumsproduktiven“ Konzepten als „religionsproduktive“ Ansätze zu qualifi-zieren seien.36 Die „integrativen“ Konzepte als vierte Kategorie gehen, so die Autorin, von einem weiten Religionsbegriff aus, wollen aber auch Bestände christlicher Tradition sichern. Schließlich nennt sie als fünften Bereich Kon-zepte interreligiösen Lernens. Welche dieser Ansätze wirklich in der Praxis religiöser Bildung in Kindertagesstätten angekommen sind, lässt sich schwer

33 Zur Kirchraumpädagogik im elementarpädagogischen Kontext vgl. Hecke-Behrends 2012, 209ff. 34 Küsel 2012,142. 35 Vgl. Habringer-Hagleitner 2006, 45ff. 36 Habringer-Hagleitner 2006, 112f.

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entscheiden bzw. müsste in empirischen, Praxis erforschenden Studien eva-luiert werden, womit bereits ein wichtiges Desiderat in diesem Handlungs-feld benannt ist.

Es lässt sich vermuten, dass vor allem solche Ansätze Praxiswirksamkeit erlangen, die ein elaboriertes Konzept mit praktischen Materialien für religiö-se Elementarbildung verbinden. Für den katholischen Bereich lässt sich dies wohl für das in den Einrichtungen etwas kurz greifend als „Kett-Methode“ bekannte Modell behaupten, das von F. Kett u.a. in der Reihe „Religionspä-dagogische Praxis“ entfaltet wird.37 Konzeptionell versteht es sich als Modell ganzheitlicher Erziehung, das die anthropologischen Grundkräfte im Kind fördert und es durch sinnliche, ästhetische und musische Erfahrungen zu Gottesbegegnungen leiten will. Mit den bekannten „Legematerialien“ (Tü-cher unterschiedlicher Farben, Naturgegenstände, Kerzen etc.), mit Märchen, Liedern und Bildern werden die konzeptionellen Anliegen in symboldidak-tisch orientierten Lerneinheiten praktisch umgesetzt.

Im evangelischen Bereich hat der „ dimensionale Ansatz religiöser Erzie-hung“ durch Veröffentlichungen und Fortbildungen einige Popularität er-langt.38 Dieser Ansatz knüpft bewusst am sozialpädagogischen Situationsan-satz (s.o.) an, schreibt ihn fort und erweitert ihn um religionsdidaktische Impulse, wobei er von einem weiten Verständnis von Religion ausgeht.39 Es geht in diesem Konzept also darum, die das gemeinsame Leben und Lernen in der Kindertagesstätte flankierenden Dimensionen bewusst mit Blick auf die religionspädagogischen Implikationen zu gestalten. Als zu bearbeitende Dimensionen kommen so in den Blick: Raum, Zeit, Beziehungen, Körper und Sinne, Spiel, Feste und Rituale, Erzählen, Stille, Meditation, Gebet, Kunst und Kinderkultur, Gemeinwesen und Gemeinde, wobei die Liste offen ist für Erweiterungen in den Einrichtungen vor Ort. Bislang wurde der dimensionale Ansatz vom Autorenteam an vier Themen exemplifiziert, die aus der Wahrnehmung der lebensweltlichen Kontexte der Kinder selbst ent-wickelt wurden. So ist das Geheimnis ein Thema von Kindern: Was bedeutet es, dass Kinder besondere Bezüge zu Geheimnissen haben, für die Gestal-tung der Räume, der Zeiten, der Beziehungen in der Kindertagesstätte, was für die Dimension der Stille oder Kunst? Auf diese Fragen gibt der 1. Band praxisorientierte Antworten. Die weiteren Bände reflektieren in diesem Sinn

37 Diese Reihe erscheint seit 1978 vierteljährlich jeweils als Themenheft mit konzeptionellen Grundlegungen und Praxismaterialien. 38 Vgl. Scheilke/Schweitzer 2006. 39 Vgl. Scheilke/Schweitzer 2006, 9f.

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die Erfahrungen von Ungerechtigkeit im Leben von Kindern und Erwachsenen (Band 2), von Tod und Sterben (Band 3) und die Frage nach Gott (Band 4).

Bislang lag der Schwerpunkt der religionsdidaktischen Arbeit im Elemen-tarbereich in der Entwicklung von Konzepten und praxisorientierten Model-len für religiöse Bildung in Kindertagesstätten. Erst allmählich kommt die Notwendigkeit empirischer Forschung in diesem Bereich zu Bewusstsein, um Theorie und Praxis religiöser Bildung im Elementarbereich mit gesicher-tem Wissen zu unterfüttern. So finden sich vereinzelt empirische Studien zu ausgewählten Aspekten religiöser Elementarbildung vor allem im Umfeld der Diskussionen um Kindertheologie. Ein Sonderband des Jahrbuches für Kin-dertheologie versammelt die einschlägigen Beiträge aus den Jahrgängen des Jahrbuches seit 2002.40

Wie es um die Praxis der (inter)religiösen Bildung in deutschen Kinderta-gesstätten bestellt ist, ob sie stattfindet, in welchem Umfang und wie, be-leuchtet die breit angelegte, repräsentative Studie der Tübinger Forscher-gruppe um Friedrich Schweitzer und Albert Biesinger.41 Neben den Erziehe-rinnen42 wurden in dieser ersten bundesweiten Studie zur religiösen Elemen-tarbildung auch die Eltern43 sowie die Kinder in den Einrichtungen selbst im Hinblick auf religiöse Differenzwahrnehmung44 befragt. Ein Sammelband mit Best-Practice-Beispielen zur interreligiösen Bildung in Kindertagesein-richtungen rundet dieses Forschungsprojekt ab.45 Schon die Pilotstudie der Arbeitsgruppe vermittelt im Verbund von qualitativer und quantitativer For-schung erste Eindrücke der Situation und setzt Impulse für weitere For-schungsvorhaben.46 Bestätigt wird in allen Studien zunächst einmal die Tat-sache, dass man in der Praxis der Kindertagesstätte nicht wirklich an Religion vorbeikommt, weil sie als integrale Dimension von Kultur im Alltag präsent ist. Die Kindertagesstätten gehen nur unterschiedlich mit dieser Tatsache um. So lassen sich der Pilotstudie zufolge fünf Typen des Umgangs mit Reli-gion und religiöser Vielfalt in kommunalen und konfessionellen Kindertages-stätten rekonstruieren: Die Tabuisierung und Verweltlichung von Religion in kommunalen Tagesstätten (1); das Nichtsichtbarmachen der Religion in 40 Vgl. Bucher u.a. 2008, 63ff. 41 Vgl. Schweitzer/Edelbrock/Biesinger 2011. 42 Ebd. 43 Vgl. Biesinger/Edelbrock/Schweitzer 2011. 44 Vgl. Edelbrock/Schweitzer/Biesinger 2010. 45 Vgl. Edelbrock/Biesinger/Schweitzer 2012. 46 Vgl. Schweitzer/Biesinger/Edelbrock 2008. Neben der Durchführung von 37 Interviews wurde im quantitativen Teil ein Fragebogen entwickelt, der an 1698 Einrichtungen in sieben größeren Städten versandt wurde, von denen 364 ausgefüllt und bearbeitet wurden.

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kirchlichen Einrichtungen (2); die Einladung der Kinder in die eine konfessi-onelle Welt in kirchlichen Einrichtungen (3); die Berücksichtigung verschie-dener Religionen ohne religiöse Vollzüge in kommunalen Einrichtungen (4); die Berücksichtigung verschiedener Religionen mit religiösen Vollzügen in kirchlichen Einrichtungen (5).47

Die repräsentative Hauptuntersuchung erhebt mithilfe eines an die Erzie-herinnen adressierten Fragebogens den Ist-Zustand der religiösen und inter-religiösen Bildung in deutschen Kindertagesstätten. Die wesentlichen Ergeb-nisse sind: a) Interreligiöse und interkulturelle Bildung werden in den Ein-richtungen als wichtiger Aspekt von Elementarbildung noch nicht hinrei-chend wahrgenommen, und das, obwohl 84 % der befragten Erzieherinnen in ihrer Gruppe Kinder mit Migrationshintergrund haben und 77 % Kinder mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit; b) Islamische Bildung findet sowohl in kommunalen wie kirchlichen Einrichtungen kaum statt, was be-merkenswert ist angesichts der hohen Zahl muslimischer Kinder in den un-tersuchten Einrichtungen; c) Nicht nur christliche, sondern auch interreligiö-se Bildung spielt in konfessionellen Einrichtungen eine größere Rolle als in den kommunalen – ein möglicher Hinweis darauf, dass ein deutlicher religiö-ser Standpunkt eher den Blick auf multireligiöse Herausforderungen öffnet; d) Die Bereitschaft, allgemein religiöse Bildung der Kinder zu fördern ist groß, aber: „Diese Offenheit wird [...] weithin nicht in eine entsprechende Praxis umgesetzt.“48

Eine qualitative Studie zu interreligiöser Kommunikation und interreligiö-sem Lernen von Kindergartenkindern hat Eva Hoffmann vorgelegt.49 An-hand von Gruppendiskussionen mit Kindern unterschiedlicher Religionszu-gehörigkeit aus vier Einrichtungen über das exemplarisch gewählte Thema „Tod und ein mögliches Leben danach“ versucht die Untersuchung zu ver-stehen, wie Kindergartenkinder mit der in diesen Gesprächen aufkommen-den religiösen Vielfalt umgehen. Mit Recht weist die Autorin darauf hin, dass in zahlreichen praxisorientierten Modellen bislang ohne empirische Fundie-rung einfach gefordert wurde, einer multireligiösen Kindergruppe solche Gesprächsanlässe anzubieten.50 Die Untersuchung belegt, dass Kindergar-tenkinder relativ „gelassen“ mit religiöser Pluralität umgehen, dass sie Diffe-renzen untereinander wahrnehmen, aber nicht verwischen, sondern durchaus tolerieren. Dabei wird in den Diskussionen offenbar von den Kindern gern

47 Vgl. Schweitzer/Biesinger/Edelbrock 2008, 171ff. 48 Schweitzer/Edelbrock/Biesinger 2011, 53. 49 Vgl. Hoffmann 2009. 50 Vgl. Hoffmann 2009, 104.

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ein „kleiner gemeinsamer Nenner“ gefunden. Ihre theologischen Konstruk-tionen im Kontext der Fragestellung sind durchweg individuell geprägt; ex-plizite Bezüge zu ihrer jeweiligen religiösen Tradition werden von den Kin-dern nicht hergestellt. Die Kinder begegnen „fremden“ Ansichten anderer Kinder offen und ohne xenophobische Attitüden.51 So kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Kinder im Vorschulalter zwar noch keinen „echten“ interreligiösen Dialog führen – denn dieser setzt ein einigermaßen festes Fundament „eigener“ Positionen voraus, dass sie aber „[...] über gewisse Voraussetzungen verfügen, die für interreligiöses Lernen unerlässlich sind, wie z.B. die Bereitschaft, sich auf Fremdes einzulassen, sich mit diesem aus-einanderzusetzen, über eigene Vorstellungen nachzudenken und die ggf. angesichts anderer Überlegungen partiell zurückzunehmen oder sie argumen-tativ zu stützen.“52 Für die religionspädagogische Praxis signalisieren diese Forschungserbnisse, dass es durchaus Sinn macht, interreligiöse Bildung im Elementarbereich im Sinne einer „Einübung“ in den Dialog zu betreiben, wobei es aber gleichzeitig darauf ankommt, das theologische Denken der Kinder durch gezielte Bezüge auf religiöse Traditionen zu fördern.

Die Gestaltung religionspädagogischer Theorie und Praxis und die sie de-terminierenden Faktoren in drei ausgewählten evangelischen Kindergärten hat die qualitativ-empirische Untersuchung von S. Wustrack im Blick.53 Auf der Grundlage offener Beobachtungen der Interaktionen im Alltag der be-treffenden Einrichtungen und anschließender Interviews mit den beteiligten Pädagoginnen wird in dieser Studie die vorfindbare Praxis religiöser Bildung beschrieben und analysiert und im Vergleich mit zuvor theoretisch erhobe-nen Kriterien einer subjektorientierten und partizipativen Religionspädagogik bewertet. Dabei zeigen sich zwei Tendenzen. Zum einen findet sich in Kon-zeption und Praxis der untersuchten Einrichtungen jener Aspekt einer „im-pliziten“ Religionspädagogik, der oben (Abschnitt 4) als Arrangement einer sozialen Atmosphäre beschrieben wurde. In diesen konfessionellen Kinder-gärten erfahren Kinder und Eltern Wertschätzung und Akzeptanz auf der Grundlage des von den Erziehenden recht selbstbewusst vertretenen christ-lichen Menschenbildes. Zum anderen aber ist die „sichtbare“ religionspäda-gogische Praxis stark erwachsenenzentriert und hebt sich durch ihren „ak-zentuierten Angebots-, Inszenierungs- und Vermittlungscharakter“54 heraus. Die Eigenaktivität des Kindes und seine Rolle als aktiver Ko-Konstrukteur

51 Vgl. Hoffmann 2009, 204ff. 52 Hoffmann 2009, 220. 53 Vgl. Wustrack 2009, 149ff. 54 Wustrack 2009 213.

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in Bildungsprozessen werden von den Erziehenden zwar als zentrale Fakto-ren gegenwärtiger Bildungstheorie wahrgenommen, gehen aber nicht struk-turierend in die Praxis religiöser Bildung ein. Die religionspädagogische Pra-xis in den untersuchten Einrichtungen wird insofern als „stagnierender“ Arbeitsbereich beschrieben, zumal auch ein Mangel an Selbstreflexivität at-testiert wird.55 Entwicklungsmöglichkeiten der hier beschriebenen Praxis könnten darin bestehen, die Wahrnehmungssensibilität der Erziehenden für die eigenen religiösen Fragen und Konstruktionen der Kinder im Alltag zu schärfen und die überkommenden Strukturen der religionspädagogischen Praxis zu überprüfen. Damit kommt als mögliche weitere Aufgabe der religi-onspädagogischen Forschung im Elementarbereich die Entwicklung von Handlungsforschungsprojekten in den Blick mit dem Ziel religiöse Bildungs-prozesse in Kindertagesstätten über einen längeren Zeitraum zu begleiten und zu optimieren.

Umgekehrt kann es Aufgabe und Ziel empirischer Forschung sein, hand-lungsleitende religionspädagogische Konzepte für den Elementarbereich zu profilieren. S. Habringer-Hagleitner beschreibt im empirischen Teil ihrer Arbeit die Alltagswirklichkeit eines multikulturell geprägten Kindergartens in Österreich mittels Feldforschung und eines narrativen Interviews und inter-pretiert das Datenmaterial u.a. mit Instrumenten, die sie aus dem Konzept der Themenzentrierten Interaktion (TZI) gewinnt.56 In einem theologischen Reflexionsgang unternimmt sie daraufhin den Versuch, diese beschriebene Wirklichkeit mit von ihr entwickelten christologischen Kriterien hermeneu-tisch zu erschließen wie umgekehrt theologische Konstruktionen von den ermittelten Alltagserfahrungen der Kinder und Erzieherinnen zu befragen. Damit löst die Autorin ihr Anliegen ein, „theologisches Denken mit der alltäglichen Praxis in pädagogischen Handlungsfeldern in Kommunikation zu bringen.“57 Ihr Modell – so der Anspruch – zielt darauf, den konkreten Alltag der Kindertagesstätte empirisch sensibel wahrzunehmen, theologisch zu deuten und daraus Handlungsoptionen und Orientierungen für die religions-pädagogische Praxis zu gewinnen. Empirische Forschung hätte insofern einen unverzichtbaren Ort in ihrem religionspädagogischen Konzept für Kindertagesstätten. Die hier exemplarisch vorgestellten Studien belegen die gegenwärtige Hin-wendung der Religionsdidaktik im Elementarbereich zu empirischer For-

55 Vgl. Wustrack 2009, 216. 56 Vgl. Habringer-Hagleitner 2006, 195. 57 Habringer-Hagleitner 2006, 17.

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schung, zugleich aber auch die Notwendigkeit diesen Bereich wissenschaft-lich weiter voran zu treiben.

7. Perspektiven und Desiderate

Einige Entwicklungslinien im Feld religiöser Elementarbildung wurden be-reits angedeutet. Hier soll zusammenfassend auf fünf Bereiche hingewiesen werden, die im Blick auf die Zukunft des Handlungsfeldes Bedeutung haben.

Erstens: Die Anforderungen an die religionspädagogische Praxis im Ele-mentarbereich werden immer komplexer. Globalisierung, Migration, zuneh-mende Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen, familiärer Konstellationen und weltanschaulicher und religiöser Weltdeutungen, gesellschaftliche Diffe-renzierung, Ökonomisierung, soziale Ausgrenzungsprozesse und die Dyna-mik der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung erfordern Reaktionen auch im religionspädagogischen Feld. Dies erzeugt Druck auf die religions-pädagogische Ausbildung für den Elementarbereich. Wir brauchen in Zu-kunft mehr auch in Religionspädagogik akademisch ausgebildete Elementar-pädagogen. Die vorliegenden empirischen Studien lassen erkennen, dass die religionspädagogische Praxis hinter dem reflexiven Niveau der Wissenschaft zurückbleibt. Von daher wäre zu wünschen, dass in den neu konzipierten hochschulischen Studiengängen für Frühpädagogik auch der religionspäda-gogische Bezug seinen Ort findet. Damit hängt zweitens die oben schon be-sprochene Erkenntnis zusammen, dass wir tatsächlich noch wenig empirisch gesichertes Wissen über religiöse Bildungsprozesse im Elementarbereich haben. Angesichts der großen Bedeutung, die der wissenschaftliche Diskurs Bildungsprozessen in früher Kindheit attestiert, brauchen wir dringend mehr Forschung im Feld religiösen Lernens von Vorschulkindern.

Drittens: Es wurde oben schon deutlich, dass es hinsichtlich der Quantität und Qualität religiöser Bildung große Unterschiede zwischen konfessionellen und kommunalen Kindertagesstätten gibt. Gleichzeitig wird in den Bil-dungsplänen das Handlungsfeld religiöser Bildung für alle Einrichtungen fest geschrieben. Insofern wären politische Diskurse mit Bildungsverantwortli-chen, Trägern und interessierter Öffentlichkeit wünschenswert, die das „Recht des Kindes auf Religion“ ernstnehmen und nach dem schulischen Religionsunterricht analogen Umsetzungsmöglichkeiten in Bildungseinrich-tungen für die frühe Kindheit suchen.

Viertens: Der Ausbau von Krippenplätzen für unter dreijährige Kinder wird in Deutschland gegenwärtig vorangetrieben. Die religionspädagogische

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Begleitung dieser Altersgruppe kommt dabei bislang wenig in den Blick.58 Wie sieht religionspädagogische Begleitung und Bildung von Kindern aus, die noch keine Fragen stellen und „Kindertheologie“ betreiben, die noch keine biblischen Geschichten nacherzählen oder nachspielen können, weil sie noch dabei sind sprechen und laufen zu lernen?

Wenn Kindergärten sich für die unter dreijährigen Kinder öffnen, dann müssen religionspädagogische Modelle für die Kindertagesstätte das gesamte Altersspektrum der Kinder in den Blick nehmen und auch reflektieren, wie Kinder im Baby- und Krabbelalter lernen und welche religionspädagogischen Impulse ihrer Entwicklung angemessen und förderlich sind.59Fünftens: Die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Be-hinderungen hat in Deutschland eine intensive erziehungswissenschaftliche und bildungspolitische Debatte darüber ausgelöst, wie der Leitgedanke der Inklusion im Bildungswesen zur Geltung gebracht werden kann. Auch die Kindertagestätten, in denen die Integration von Kindern mit Behinderungen fast Normalität ist, werden sich verstärkt mit der Frage auseinander setzen müssen, was Inklusion für ihren Umgang mit Heterogenität und religiöser Vielfalt auf der pädagogischen, strukturellen und personellen Ebene bedeu-tet.60 Da inklusive Bildung nur wirksam ist, wenn sie auf allen Ebenen des Bildungssystems erfahrbar wird, werden in Zukunft verstärkt gemeinsame Reflexionen im vorschulischen und schulischen Bereich darüber angeregt werden müssen, wie eine inklusive religiöse Bildung im Längsschnitt der Bil-dungsbiografie eines Kindes und Jugendlichen verlaufen könnte und wie sich vorschulische und schulische Bildung entsprechend aufeinander beziehen und abstimmen können.

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58 Vgl. Schröder 1999 und Müller-Langsdorf 2012, 219. 59 Eine der wenigen praktischen Arbeitshilfen in diesem Bereich ist neben Müller-Langsdorf 2012 die Broschüre: Gott in der Krippe. Religiöse Bildung von Anfang an, 2008. 60 Vgl. das Themenheft TPS 1 (2011): Inklusion statt Integration!?

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