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Rhetorik im diplomatisch-politischen Diskurs: die prominente Rolle Deutschlands in Europa Mitch Cornelis Masterarbeit Master Mehrsprachige Kommunikation Betreuer: Dr. Geert Stuyckens Akademisches Jahr: 2014-2015

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Rhetorik im diplomatisch-politischen

Diskurs: die prominente Rolle Deutschlands

in Europa

Mitch Cornelis

Masterarbeit

Master Mehrsprachige Kommunikation

Betreuer: Dr. Geert Stuyckens

Akademisches Jahr: 2014-2015

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Abstract

Diese Arbeit hat zum Ziel, eine Verbindung zwischen der deutschen Europapolitik und der

verwendeten Sprache in politischen Reden herzustellen. Die Wissenschaft, die sich mit

diesem Studiengebiet beschäftigt, heißt die Politolinguistik; die Leitsätze dieser Wissenschaft

bilden den Grundsatz dieser Arbeit.

Um eine Verbindung herstellen zu können, wird am Anfang der Arbeit die Europapolitik

Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg unter die Lupe genommen. Die Westbindung war

seit der Kanzlerschaft Adenauers ein roter Faden; Deutschland ergriff kaum Initiativen auf

der internationalen Bühne, zog es aber vor, im Hintergrund zu bleiben, damit die

europäischen Partner Deutschland wieder vertrauen würden. Nach der Wiedervereinigung

sollte sich die Politik vor allem den innerstaatlichen Problemen widmen. Obwohl es nie eine

vollständige Vergangenheitsbewältigung gab, war die Wiedervereinigung doch ein Schritt zu

einem neuen Selbstbewusstsein, zu einem Deutschland, das sich wieder als eine

internationale Großmacht benehmen sollte. Im neuen Jahrtausend wurde die Stärke

Deutschlands auf die Probe gestellt: Die Finanzkrise war eine Art Prüfung, die Deutschland

mit fliegenden Fahnen bestanden hat. Die Wirtschaft war die Grundlage der Machtstellung,

und brachte Deutschland wieder an die Spitze Europas. Deutschland hat mehr als je zuvor

eine starke Verhandlungsposition im europäischen und globalen Machtspiel.

Das Korpus wurde aufgrund der Datenbank der Website Bundespräsident.de

zusammengestellt. Die Sichtweisen der Bundeskanzler werden in Untersuchungen sehr oft in

den Vordergrund gestellt. In der vorliegenden Arbeit wird die Lage aber aus dem Blickwinkel

des Bundespräsidenten betrachtet. Die Untersuchung ist auf den Zeitaum der Finanzkrise

beschränkt, und so ist "Finanzkrise" auch das Stichwort, mit dem die fünfzig verwendeten

Reden herausgefiltert werden. Es ist das Ziel der Forschung, herauszufinden, ob die im 21.

Jahrhundert erneut verwendete Machtstellung Deutschlands linguistisch unter Beweis gestellt

werden könnte. Zu gleicher Zeit wurde auf dieselbe Weise überprüft, ob es noch immer

Überbleibsel der Politik der Nachkriegszeit gibt. Mittels einer Mischung aus qualitativen und

quantitativen Forschungsmethoden wird eine Übersicht des ganzen Diskurses

zusammengestellt.

Aus den Forschungsergebnissen geht hervor, dass sich Deutschland seiner Verantwortung

und Vorbildfuntion bewusst ist. Dennoch bleiben Zusammenarbeit und Partnerschaft die

Leitprinzipien des Diskurses: ein Überbleibsel der Nachkriegspolitik oder eine unbedingte

Notwendigkeit im Zeitraum der Globalisierung?

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Danksagung

An erster Stelle möchte ich sehr gern Dr. Stuyckens danken, meinem Betreuer während

dieser Gralsuche nach einem umfassenden Wissenserwerb auf dem Gebiet der politischen

Sprache und des Einflusses Deutschlands innerhalb der Europäischen Union. Im Semester, in

dem diese Arbeit eingereicht werden sollte, musste er wegen eines Unfalls persönlichen

Schwierigkeiten und Herausforderungen die Stirn bieten. Seine Kollegin, Frau Strobl, hat

während der Osterferien das Ruder vorübergehend übernommen; ich möchte Frau Strobl

auch gern wegen ihres Engagements danken.

Ich habe diese Arbeit mit größtmöglichem Antrieb geschrieben, weil ich mich immer

brennend für sowohl Linguistik als auch Politik interessiert habe. Der Forschungsgegenstand

dieser Arbeit war also eine ideale Mischung aus diesen Interessefeldern; aus diesem Grund

habe ich also keinen Augenblick gezögert, den Antrag zu stellen, diesen

Forschungsgegenstand besprechen zu dürfen. Mein Betreuer kann bestätigen, dass ich mich

schon im August 2014 voller Fleiß und Begeisterung an die Arbeit gemacht habe; nicht nur

aus dem Grund, dass ich nichts dem Zufall überlassen wollte, sondern auch, weil ich der

Arbeit so bald wie möglich Gestalt geben wollte.

Zu guter Letzt möchte ich selbstverständlich auch meinen Eltern (und dem Rest meiner

Familie) und meinen Freunden danken, weil sie immer Verständnis dafür hatten, dass ich an

manchen Tagen wegen schwieriger Prüfungen jede Spur meiner Vernunft aus dem Auge

verlor. Wenn sie mich nicht unterstützt hätten, wäre ich nie zu diesem intellektuellen

Kulminationspunkt meiner Studentenzeit gekommen: der Masterarbeit.

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Inhaltsverzeichnis

1. EINFÜHRUNG: KONTEXT UND FORSCHUNGSENTWURF ................................................................. 5

1.1. Forschungsfrage und Hypothese ............................................................................................ 5

1.2. Korpus ..................................................................................................................................... 6

1.3. Methodologie .......................................................................................................................... 6

1.4. Aufbau der Arbeit ................................................................................................................... 7

2. DIE ENTWICKLUNG DEUTSCHER POLITIK IM LAUFE DER GESCHICHTE ........................................... 9

2.1. Der Ursprung der deutschen Nation: Von Oberherrschaft bis zum Zusammenbruch ........... 9

2.2. Die Europapolitik Adenauers: Westbindung und Multilateralismus .................................... 10

2.3. Die Wiedervereinigung: Erscheinung eines neuen Deutschlands mit unterschiedlichen

Herausforderungen ............................................................................................................... 12

2.4. Der arabische Frühling und die Eurokrise: Beharrlichkeit der derzeitigen deutschen Politik ..

.............................................................................................................................................. 14

3. SPRACHE IN DER POLITIK .............................................................................................................. 17

3.1. Verschiedene Arten der politischen Kommunikation: Entwicklung der Gesellschaftlichen

Anforderungen ...................................................................................................................... 17

3.2. Die Rolle der deutschen Sprache .......................................................................................... 18

3.3. Gegenstandsbereich der Politolinguistik .............................................................................. 20

3.4. Strategischer Wortgebrauch und die Einhaltung der Kommunikationsmaximen ................ 22

3.5. Diskursanalyse: zum Gesamtbild der analysierten Texte ..................................................... 24

3.6. Die Beziehung zur Mediengesellschaft und ihren Journalisten ............................................ 25

3.7. Die sozialen Medien: Digitalisierung der politischen Sprache .............................................. 27

3.8. Diskursanalyse: Auf der Suche nach der richtigen Vorgehensweise .................................... 28

4. FORSCHUNGSERGEBNISSE ............................................................................................................ 30

4.1. Qualitative Untersuchung ..................................................................................................... 30

4.2. Quantitative Untersuchung .................................................................................................. 31

4.3. Qualitative Analysen politischer Reden ................................................................................ 31

4.4. Erörterung des Diskurses: Verbindung qualitativer und quantitativer Elemente ................ 89

5. SCHLUSSFOLGERUNGEN ............................................................................................................... 94

6. BIBLIOGRAPHIE ............................................................................................................................. 97

6.1. Literatur ................................................................................................................................ 97

6.2. Internetquellen ..................................................................................................................... 97

7. ANLAGEN ..................................................................................................................................... 100

7.1. Politische Reden .................................................................................................................. 100

7.2. Häufigkeitstabellen Schlagwörter ....................................................................................... 304

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1. EINFÜHRUNG: KONTEXT UND FORSCHUNGSENTWURF

Diese Studie handelt von der prominenten Rolle Deutschlands innerhalb der Europäischen

Union und wird versuchen, eine Verbindung zwischen dieser Position und dem Gebrauch

rhetorischer Sprache herzustellen.

1.1. Forschungsfrage und Hypothese

Diese Arbeit wird versuchen, die Frage zu beantworten, ob es sprachliche bzw.

politolinguistische Beweise gibt für die Art und Weise, in der die deutsche Europapolitik von

Historikern und Sachverständigen beschrieben wurde und auch heutzutage betrachtet wird.

Die politischen Reden der Bundespräsidenten im Zeitraum der Finanzkrise bilden den

Forschungsgegenstand.

Es wäre nicht außergewöhnlich, noch immer Elemente der "typisch deutschen" Europapolitik

im Finanzkrisendiskurs wiedererkennen zu können. Aber in einem Diskurs des 21.

Jahrhunderts findet man diese Elemente aller Wahrscheinlichkeit nach in Kombination mit

Beweisen einer behutsamen Entwicklung. Eine Mischung aus traditionellen Merkmalen und

einem Vorgeschmack auf die zukünftige Politik Deutschlands wäre also eine logische

Hypothese am Anfang der Untersuchung. Die deutsche Europapolitik hat sich im Laufe der

letzten Jahrzehnte entwickelt: von einer zurückhaltenden Verbrüderungspolitik, die eine

Partnerschaft mit dem Westen sicherstellen soll, zu einer Politik der Verantwortung und

Führerschaft. Die Literatur zu diesem Thema legt den Nachdruck auf die Gesinnung der

Bundeskanzler, mit der in dieser Untersuchung ein Vergleich gezogen wird. Diese

historischen Entwicklungen werden im zweiten Kapitel dieser Untersuchung beschrieben.

Darüber hinaus wird untersucht, ob sich die Gesinnung der Bundespräsidenten, die im

Zeitraum 2008-2015 dieses Amt innegehabt haben, auf eine ähnliche Weise entwickelt hat.

Sind sie damit einverstanden, dass sich die Deutschen zu den Führern Europas aufwerfen

sollen? Legen sie auch großen Wert auf die europäische Zusammenarbeit und die

Verantwortung, die mit der prominenten Rolle einhergeht? Gibt es in ihren Reden Elemente

der "typisch deutschen" Europapolitik der Nachkriegszeit oder schlagen sie einen anderen

Kurs ein? Oder ist ihr Diskurs eine Mischung aus diesen Elementen?

Wegen der Dominanz der Bundeskanzler seit der Nachkriegszeit wäre es also ziemlich

merkwürdig, wenn der Inhalt der Reden der Bundespräsidenten in hohem Maße vom

herrschenden Konsens des Bundeskanzlers und der Bundesregierung abweichen würde. Die

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Bundespräsidenten haben die Aufgabe, Deutschland im Ausland zu vertreten. In Krisenzeiten

ist es immer ein wichtiger Erfolgsfaktor, eine geschlossene Front zu zeigen.

Die Reden wurden von Redenschreibern schriftlich vorbereitet und von den

Bundespräsidenten mündlich vor einem Publikum vorgetragen. Es wäre also folgerichtig, zu

erwarten, dass die Bundespräsidenten manche Wörter mehr oder weniger betont haben, als

die Redenschreiber es vorgesehen hatten. Die mündliche Darstellung der schriftlich

vorbereiteten Texte hat vielleicht einige Konnotationen geändert; diese Änderungen werden

der persönlichen Gesinnung der Bundespräsidenten völlig entsprechen.

1.2. Korpus

Das Korpus besteht aus politischen Reden, die im Zeitraum der Finanzkrise gehalten wurden,

also ab dem Jahre 2008 bis zum heutigen Tag. Die Position der Bundesregierung bzw.

Merkels wird sehr oft in den internationalen Medien in den Vordergrund gestellt und

unzählbaren Analysen unterzogen. In dieser Arbeit wird die Finanzkrise aus einem anderen

Blickwinkel betrachtet, und zwar aus dem des Bundespräsidenten. Während der Finanzkrise

haben drei Personen das Amt des Bundespräsidenten innegehabt: Horst Köhler (CDU),

Christian Wulff (CDU) und der derzeitige Präsident Joachim Gauck (parteilos). Die

politischen Reden dieser Politiker, die in der Datenbank des Bundespräsidenten

(http://www.bundespraesident.de) gefunden werden können, gehören also zum Korpus dieser

Arbeit und sind Gegenstand der Analysen.

1.3. Methodologie

Die Suchmachine der genannten Datenbank ist in der Lage, gleichzeitig sowohl nach Datum,

als auch nach Thema zu suchen. Es ist die Absicht, die Reden zum Thema Finanzkrise

herauszufiltern. Man bekommt schon eine Menge Suchergebnisse, wenn man "Finanzkrise"

ins Stichwortverzeichnis eintippt. Natürlich werden auf diese Weise auch Reden, in denen die

Finanzkrise nicht das Hauptthema ist und mit anderen Themen verbunden wird, in den

Korpus integriert. Nur die Zeitperiode soll eingeschränkt werden.

Diese Arbeit wird versuchen, eine Verbindung zwischen einer qualtitativen und einer

quantitativen Diskursanalyse herzustellen. Die Reden, die von der Suchmachine ausgewählt

wurden, werden eine nach der anderen politolinguistisch/diskursanalytisch unter die Lupe

genommen. In den Anlagen (7.2) finden Sie Häufigkeitstabellen, in denen die Wörter

aufgelistet werden, die in den analysierten Reden am meisten erwähnt wurden oder eine

besondere Nebenbedeutung bekamen. Diese Tabellen geben der Erforschung des Diskurses

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auch eine quantitative Komponente. Diese quantitativen Informationen helfen dabei, die

Erkenntnisse der qualitativen Analysen ins rechte Licht zu rücken, um ein vollständiges Bild

der politischen Sprache und der Beweggründe der Bundespräsidenten zu bekommen. Die

Rhetorik, die in der Politik verwendet wird, ist manchmal sehr subtil, die Fähigkeit, zwischen

den Zeilen zu lesen, steht bis auf Weiteres nur einem Menschen zur Verfügung; eine solche

Arbeit kann bis auf Weiteres nicht komplett von Maschinen übernommen werden.

Das Textkorpus, mittels dessen Schlussfolgerungen über die politische Sprache gezogen

werden sollen, sollte eine Repräsentativerhebung sein, damit auch Aussagen über den ganzen

Diskurs zu einem bestimmten Thema gemacht werden können. Wenn man nur "Finanzkrise"

ins Stichwortverzeichnis eintippt, werden keine anderen Themen, die mit dieser Krise

verbunden werden, bevorzugt. Auf diese Weise kann man herausfinden, welche Themen von

den Bundespräsidenten mit der Finanzkrise verbunden wurden. In dieser Arbeit wurde die

Zahl der analysierten Reden auf 50 beschränkt. Die Zahl ist hoch genug, um

Schlussfolgerungen zum politischen Diskurs in diesem Zeitraum ziehen zu können.

Im dritten Kapitel dieser Arbeit werden theoretische Konzepte der Politolinguistik dargestellt,

mit denen ein Muster für die qualitativen Analysen des vierten Kapitels herausgearbeitet

wurde. Nach diesem Muster werden die ausgewählten politischen Reden analysiert. Diese

konsistente Methodologie fundiert die Arbeit wissenschaftlich und erlaubt es, einen

Vergleich zwischen den Reden zu ziehen. Es ist also die Absicht, zu untersuchen, wie die

Reden zueinander in Beziehung stehen.

Sobald die ausgewählten Reden einer eingehenden Analyse unterzogen worden sind, wird ein

Vergleich zum politischen Hintergrund gezogen, der im zweiten Kapitel dargestellt wird. Es

wird also überprüft, in welchem Verhältnis die Reden der Bundespräsidenten zur "typischen"

deutschen Politik stehen, die seit der Nachkriegszeit die deutsche Beschlussfassung prägt.

Diese Politik wurde in hohem Maße von den Bundeskanzlern bestimmt, deshalb stellt sich

also die Frage, ob die Bundespräsidenten von den altbewährten Ansichten absehen.

1.4. Aufbau der Arbeit

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird die Entwicklung der deutschen Europapolitik

dargestellt, vor allem die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren für die Politik

Deutschlands im 20. Jahrhundert von ausschlaggebender Bedeutung. Die deutsche

Nachkriegspolitik ist sogar im 21. Jahrhundert nicht völlig verschwunden, obwohl

Deutschland eine immer prominentere Rolle in der europäischen Politik bekommt und erneut

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versuchen muss, die Führerschaft zu übernehmen. Im dritten Kapitel wird ein theoretischer

Rahmen in Bezug auf die Politolinguistik vermittelt, die Wissenschaft, die sich mit dem

Sprachgebrauch im politischen Zusammenhang beschäftigt. Dabei werden auch die

Forschungsgebiete der Diskursanalyse und der Kommunikationswissenschaft berücksichtigt.

Das vierte Kapitel enthält die eigentliche Analyse des Korpus, aus dem die politischen Reden

auf der Wort-, Satz- und Diskursebene einer linguistischen Analyse unterzogen werden. Zu

diesem Zweck werden die theoretischen Konzepte des dritten Kapitels verwendet, um die

Analyse auf strukturierte Weise wissenschaftlich zu fundieren. Zum Schluss folgt das fünfte

Kapitel, das die Schlussfolgerungen, die im vierten Kapitel mittels des theoretischen

Rahmens aus dem dritten Kapitel gezogen wurden, mit dem geschichtlichen Hintergrund des

zweiten Kapitels verbindet und also die Hypothese bestätigt oder entkräftet.

Es ist die Absicht, die Auskünfte des zweiten Kapitels aus politolinguitischer Perspektive zu

bestätigen, das heißt, dass es für die Art der Politik, die im zweiten Kapitel skizziert wurde,

sprachwissenschaftliche Beweise geben muss.

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2. DIE ENTWICKLUNG DEUTSCHER POLITIK IM LAUFE DER GESCHICHTE

Deutschland, eine europäische Großmacht in zentraler Lage, Bindeglied zwischen Ost und

West, erfolgreicher Vermittler, Antreiber der Prosperität mittels einer höchsteffizienten

Wirtschaft. Die prominente Rolle Deutschlands hat sich im Laufe der Geschichte nicht immer

als eine Privilegierung, sondern oft als ein Problem erwiesen. Die Beschaffenheit der

derzeitigen deutschen Politik ist das Ergebnis geschichtlicher Entwicklungen.

2.1. Der Ursprung der deutschen Nation: Von Oberherrschaft bis zum Zusammenbruch

Die Wurzeln der gegenwärtigen europäischen Ordnung entstanden mit dem Westfälischen

Frieden im Jahre 1648, am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Das Ergebnis war die

Gründung des modernen Staatensystems, mit Kleinstaaterei und Partikularismus, und ein

paneuropäisches und diplomatisches System, das auf den Grundsätzen der Souveränität und

der gesetzlichen Gleichberechtigung der beteiligten Staaten beruhte. Das hierarchische

System unter der Führung des Papstes und des habsburgischen Könighauses sollte gegen ein

zeitgemäßeres Staatensystem eingetauscht werden. Das Fehlen einer übergreifenden

Autoritätsquelle führte zum Gleichgewicht der Kräfte, kein einziger Staat sollte in der Lage

sein, auf irgendwelche Weise die absolute Vorherrschaft in Europa zu bekommen. Jetzt zeigt

sich "das deutsche Problem": Es war immer schwer, wegen des Wohlstands und der

wirtschaftlichen Vormachtstellung Deutschlands, diese Ebenbürtigkeit im Gleichgewicht zu

halten. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte der Versailler Vertrag die Stabilität gewährleisten,

aber das Gleichgewicht wurde nicht wiederhergestellt, was zum nächsten Zusammenbruch

führte, dem Zweiten Weltkrieg.

Das Europa nach der Konferenz von Yalta war wiederum ein Bruch mit der Vergangenheit.

Obwohl es keinen Friedensvertrag gab, wurden die Grundsätze der Nachkriegszeit auf

mehreren Gipfeltreffen zwischen den Bündnispartnern bestimmt. Die Großmächte gewannen

erneut die Oberhand in der politischen Beschlussfassung, aber die Spaltung zwischen Ost und

West war größer als je zuvor. Zwei separate Militärbündnisse wurden gegründet: die Nato als

Bündnis der westlichen Mächte und der Warschauer Pakt auf der östlichen Seite. Wiederum

befand sich Deutschland in der Mitte dieser feindlichen Verhältnisse, das Land wurde

zerrissen, es gab keine Einheit mehr, jetzt gab es West- und Ostdeutschland: die BRD und die

DDR. Die atomare Abschreckung war die größte Bedrohung zwischen dem Kommunismus

der Sowjet-Union, die auch Ostdeutschland im Griff hatte, und dem Kapitalismus der

westlichen Welt während des Kalten Krieges. Dieser Konflikt würde ein stabiles politisches

Klima in den folgenden Jahrzehnten völlig unmöglich machen. Das zerteilte Deutschland

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stand an vorderster Front in dieser langwierigen Auseinandersetzung, und die Tatsache, dass

dieser ideologische Konflikt Deutschland in zwei Teile gliedern konnte, gab Deutschland

eine symbolische Bedeutung für die nachträgliche Dynamik in der politischen Landschaft.

Die Aufteilung Deutschlands vermittelte dem Konflikt zwischen Ost und West eine nationale

Dimension, und auf diese Weise wurde das Nationalitätsgefühl der Deutschen in einen

globalen Streit verwickelt. Der Kampf um Deutschland hat die Politik der zwei

Militärbündnisse in hohem Maße bestimmt, und so wurde Deutschland zum Opfer des Kalten

Krieges. Andererseits war die Aufteilung Deutschlands die Lösung des "deutschen

Problems", die europäischen Länder sollten nicht länger der deutschen Übermacht, mit der

sie seit 1870 kämpften, weichen. Es war den anderen europäischen Staaten nie völlig

gelungen, die eigene Unabhängigkeit und Eigenständigkeit angesichts der deutschen

Übermacht zu sichern, und nun brauchten sie das auch nicht mehr: Die Teile Deutschlands

gehörten einem unterschiedlichen System. (Hyde-Price 2000: 70-77)

Die Rekonstruktion und klare Definierung der deutschen Identität war nach dem Zweiten

Weltkrieg eine heikle Sache. Die CDU hat nach dem Krieg die europäische Einigung als

Pendant zum Nationalismus der Vergangenheit betrachtet, und es gab drei wichtige Pfeiler

der neuen deutschen Identität: das Christentum, die Demokratie und die soziale

Marktwirtschaft. Er war nur noch die Frage, wie sich Deutschland in der europäischen Politik

der Nachkriegszeit verhalten würde. Das Schicksal Deutschlands oblag nur einer Person, dem

ersten Bundeskanzler der BRD: Konrad Adenauer. (Marcussen et al. 1999: 13)

2.2. Die Europapolitik Adenauers: Westbindung und Multilateralismus

Die Europapolitik Adeanuers konnte keineswegs als unumstritten bezeichnet werden, sogar

in der eigenen Anhängerschaft wurde Kritik an seiner Folgerichtigkeit in Bezug auf die

Westbindung geübt. Die Wiedervereinugung Deutschlands und die inländische Lage stand an

erster Stelle, und Adenauer war der Meinung, dass die Westbindung und die Bündnisse die

Grundläge seien, auf denen gebaut werden sollte. (Müller-Brandeck-Bocquet et al. 2010: 30-

31)

Er bemitleidete die Ostdeutschen, die im Vergleich zu den Westdeutschen in sehr einfachen

Verhältnissen lebten, aber zu gleicher Zeit behauptete er, dass eine Politik, die nur auf der

Hoffnung einer deutschen Wiedervereinigung basiere, dem wirtschaftlichen Aufbau der BRD

schade. Der Zeitgeist seiner Entscheidungen sollte nicht außer Betracht gelassen werden; die

Integration in die Nato und die europäischen Organe hätte nicht erzielt werden können, wenn

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er eine Annäherung an den Osten gesucht hätte. Erst nach der Integration konnte man den

nächsten Schritt machen. In dieser Hinsicht hat Adenauer den Weg geebnet für Politiker wie

Brandt, die diese Annäherung an den Osten suchten. (van Moorten 2010: 2-3, 9-12, 17, 150-

152) Adenauer fand das europäische System antagonistisch - Europa wurde zu einem

Bündnis, das ein Pendant zum kommunistischen Osten bilden sollte. Die sowjetische

Herausforderung hatte einen großen Einfluss auf die Zukunft dieses Systems, aber es bestand

auch die Gefahr, dass das System sich zu einem antideutschen Sysem entwickeln würde, weil

Europa die schreckliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen

Grausamkeiten noch im Hinterkopf hatte. Deswegen war Adenauer davon überzeugt, dass er

so bald wie möglich in der Ost-Westfrage Stellung nehmen sollte. Die westeuropäischen

Länder hielten zusätzlich die Hilfe der Amerikaner zum Schutz ihrer Demokratien für

notwendig. Die abendländische Position wurde immer von Adenauer betont: "Es besteht für

uns kein Zweifel, dass wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur

westeuropäischen Welt gehören." (Schwarz 1979: 417-523) Während seiner Amtsperiode

war ein vereintes Europa noch außer Reichweite, aber seine Politik hatte an erster Stelle zum

Ziel, die Eingliederung in das westliche Bündnissystem zu erreichen und die Beziehungen zu

den Nachbarn zu vereinfachen. Vor allem mit Frankreich wurde in sehr kurzer Zeit eine gute

Verständigung erzielt. Der größte Erfolg seiner Amtsperiode ist natürlich die

Zurückgewinnung der Souveränität Deutschlands, nur zehn Jahre nach dem Ende des

Zweiten Weltkrieges. Adenauer hat die BRD auch in das westliche Staatenbündnis als

zuverlässige Verbündete eingegliedert, ohne, dass dagegen Einspruch erhoben wurde. Dieser

Erfolg war das Ergebnis politischer Beharrlichkeit, die deutschen Fragen immer mit den

westeuropäischen zu verbinden. Er war felsenfest davon überzeugt, dass die

Wiederherstellung der deutschen Einheit nur mittels einer Politik der Stärke, die wie ein

Magnet den Osten anziehen würde, erreicht werden könnte. Obwohl sowohl innerhalb als

auch außerhalb seiner Partei Kritik an seiner politischen Gesinnung geübt wurde, hat er doch

die beabsichtigten Maßnahmen ergreifen können.

Beim Amtsantritt Ehrhards wurde klar, dass es, im Vergleich zu den fünfiger Jahren,

schwierig werden würde, neue Iniativen zu ergreifen. Es gab einen Mangel an politischem

Mut, die Integrationspolitik stagnierte, die Unnachgiebigkeit des französischen Präsidenten

de Gaulle hat der Entwicklung einer europäischen Partnerschaft Einhalt geboten. Ehrhards

Politik wurde nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern der Zeitpunkt, an dem er die Macht

hatte, Vorschläge zu unterbreiten, war das Problem. Der vorgeschlagene Abbau der

nationalen Zuständigkeit und die Errichtung einer europäischen Gestalt mit parlamentarisch-

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demokratischer Verantwortung waren Themen, auf die sich die europäischen Länder nicht

einigen konnten. Ehrhard griff aber nicht auf Verzweiflung zurück: "Wir müssen

konstatieren, dass das Zusammenhörigkeitsgefühl der europäischen Völker derzeit politisch

nicht organisierbar zu sein scheint. Trotzdem wird und darf die deutsche Politik in ihrem

Streben nach der Einigung Europas nicht nachlassen." (Müller-Brandeck-Bocquet et al. 2010:

48-55)

2.3. Die Wiedervereinigung: Erscheinung eines neuen Deutschlands mit unterschiedlichen

Herausforderungen

Nach der Wende gab es nicht nur neue Herausforderungen fürs Staatensystem, sondern auch

für die vereinzelten Staaten, die das Konzept der nationalen Identität erneut gestalten

mussten. Die Macht der Bundesrepublik hatte auch stark zugenommen, die bisherige Politik

des Multilateralismus würde in den neuen Verhältnissen nicht länger ausreichen. Es fiel den

Deutschen schwer, sich von dieser Politik zu verabschieden, weil sie sich auf diese Weise

von einem gehassten Staat bis zu einer wohlhabenden Nation hatten reinwaschen können. Die

deutsche Reserviertheit war noch lange allgegenwärtig und sollte die anderen europäischen

Staaten davon überzeugen, dass die deutsche Wiedervereinigung im Grunde keine großen

Änderungen herbeigeführt hatte. Dennoch sollten die EU-Strukturen, um möglichen

antideutschen Reaktionen vorzubeugen, gestärkt werden. Der deutschen Macht sollten also

Zügel angelegt werden, aber diese Vorgehensweise war keine Lösung ohne Lücken, die

Nationalisierung konnte nicht eingedämmt werden - und man bat Deutschland immer

häufiger darum, in schwierigen Fragen die Initiative zu ergreifen. Es bestand auch die Gefahr

der Überforderung; nach der Wende war Deutschland nicht gleich in der Lage, eine führende

Rolle zu spielen, d.h. es war nicht mit den nötigen Strukturen ausgestattet. Man sollte

entscheiden, ob es die Mühe wert war, dieses Risiko einzugehen, die Karten aufzudecken und

aus dem Schatten zu treten, weil etwaige Enttäuschungen der ausländischen Bewertung

Deutschlands abträglich sein könnten. (Nijhuis 2001: 435-439)

Es gab neben der deutschen Wiedervereinigung eine zusätzliche "Wende" am Ende der

neunziger Jahre: die rot-grüne Koalition Schröders, die erste rot-grüne Koalition auf

Bundesebene. Das Wahlergebnis der Bundestagswahl im September 1998 war sehr

überraschend, die rot-grüne Koalition Schröders hatte den Sieg davongetragen und führte

eine Politik im Wandel der Generationen. Die bisherigen politischen Machthaber gehörten

der Nachkriegsgeneration an, einer Generation, die von den Erlebnissen und der

Kriegseinwirkung geprägt wurde. Die rot-grüne Koalition gab den Menschen eine neue

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Hoffnung auf Vergangenheitsbewältigung, vor allem auf der politischen Ebene. Eine

wichtige Entscheidung der rot-grünen Koalition war die Beteiligung am Kosovokrieg. Das

neue rot-grüne Deutschland stand gleich beim Anfang der Wahlperiode vor einer schweren

Entscheidung, weil man sich dessen bewusst war, dass die internationale Gemeinschaft einer

deutschen Kampfmaßnahme ablehnend gegenüber stehen würde. Jedoch wurde die deutsche

Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien ein riesiger Meilenstein in der deutschen Außen-

und Sicherheitspolitik. Darüberhinaus wurde die politische und wirtschaftliche Landschaft

umgebildet: Deutschland wurde zur entscheidendsten Macht Europas, zum Herzen der

europäischen Vorgänge. Mit der politischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung wird zur

gleichen Zeit das Risiko eingegangen, dass man gefürchtet wird. Die europäischen Partner

haben Angst vor einem zu selbstbewussten Deutschland, das eine Schlüsselposition zwischen

Ost und West einnimmt und vielleicht der Herausforderungen seiner neuen Führungsrolle

nicht gewachsen wäre. Den inhärenten Verantwortungen durfte auf keinen Fall ausgewichen

werden. Nachdem Deutschland jahrzehntelang Gegenstand des Gleichgewichts zwischen

Westbindung und Ostpolitik gewesen war, sollte es jetzt in der Lage sein, aus eigener Kraft

Entscheidungen zu treffen, ohne immer im Rahmen einer Partnerschaft denken zu müssen.

(Hyde-Price 2000: 2-7) Deutschlands Erlangung tatsächlicher Gleichberechtigung im neuen

Jahrtausend hatte dafür gesorgt, dass die Bundesrepublik den Vereinigten Staaten nicht mehr

untergeordnet war. Im Gegensatz zu der Nachkriegszeit war Deutschland nicht länger den

Vereinigten Straaten untergeordnet. Schröder hat mit seiner Abneigung gegen eine

Beteiligung am Irakkrieg sogar die transatlantischen Beziehungen gefährdet, und

infolgedessen auch die europäischen Verhältnisse, weil Europa eine gute Verständigung mit

den Vereinigten Staaten in der Nato wahren will. Nach der Beteiligung am Kosovokrieg

wurde Deutschland erneut Widersprüchlichkeit vorgeworfen. Die in sich widersprüchlige

Lage der Kontinuität bei gleichzeitiger Änderung mittels Beteiligung an Friedensmissionen

bzw. mittels Streithilfe ist das Ergebnis neuer Anforderungen, die an die Bundesrepublik

gestellt wurden. Die deutsche Nachkriegspolitik wurde von einer Abneigung gegen

Militarismus als Lösung in internationalen Fragen gekennzeichnet. Deutschland gehört aber

zum größten Militärbündnis der Welt und soll Beiträge dazu leisten. Während des Kalten

Krieges diente das Militärbündnis nur dem Zweck der Abschreckungspolitik. Damals war es

also einfacher für Deutschland, nicht gegen multilaterale Anforderungen und Regeln zu

verstoßen. In Bezug auf die Frage, wie sich die Nato weiterentwickeln sollte, divergieren die

Meinungen Deutschlands und der Vereinigten Staaten. Für Deutschland sollte ein

Militäreinsatz nur vom Nato-Rat genehmigt werden können, weil im Rat Einstimmigkeit

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obligatorisch ist. Die Vereinigten Staaten betrachten die Nato als eine Art Lager, das sie je

nach Lage nutzen können. Diese Unterschiede, und die gute Beziehung zu Frankreich, die in

den Vereinigten Staaten auch Argwohn weckt, führt dazu, dass Deutschland sowohl in der

europäischen als auch in der internationalen Politik immer auf der Suche nach einem

Kräftegleichgewicht ist, das veilleicht nie erzielt werden kann. (Nijhuis 2003a: 579-583)

Dennoch war die Bundesrepublik in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre immer mehr in

sich gekehrt, es gab schwierige innenpolitische Herausforderungen, die man bewältigen

musste. Die Wiedervereinigung hatte die Staatskasse fast geleert, weil die Integration der

beiden Deutschländer wegen der offensichtlichen Gegensätze keine einfache Sache gewesen

war. Diese Lage schadete auch der Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg immer weiter an.

Einer der wichtigsten Wünsche der europäischen Staaten ist die Sicherheit, aber seit der

Irakkrise ist es klar, dass Deutschland seine Rolle als "Zivilstaat" noch nicht völlig hinter sich

gelassen hat. (Nijhuis 2003b: 113-114)

2.4. Der arabische Frühling und die Eurokrise: Beharrlichkeit der derzeitigen deutschen

Politik

Während des arabischen Frühlings ließ sich zwischen Deutschland und Frankreich ein großer

Unterschied erkennen.Die beiden Staaten waren im Großen und Ganzen derselben Meinung,

aber nicht völlig in Bezug auf einen Militäreinsatz.

Beide Staaten sind der Gewalt überdrüssig und fordern Sanktionen, damit der Wandel zu

einer demokratischen Nation moglich ist. Trotzdem steht Deutschland einem Militäreinsatz

ablehnend gegenüber, von der Politik der Züruckhaltung sollte in diesem Fall nicht

abgewichen werden. Deutschland hat andere Vorschläge unterbreitet, so sollten

wirtschaftliche Einschränkungen auf Libien Zwang ausüben. Obwohl Deutschland also, im

Gegensatz zu Frankreich, nicht am Militäreinsatz beteiligt war, kämpfte Merkel dafür, dass

diese Sanktion in die Tat umgesetzt wurde, in der Hoffnung, künftig Freiheit,

Menschenrechte und bessere Lebensverhältnisse erzielen zu können. Deutschland versuchte

auch schon in die Zukunft zu schauen und betonte vor allem den wirtschaftlichen Aspekt. Es

sei unentbehrlich, einem wirtschaftlichen Zusammenbruch vorzubeugen. Merkel hatte schon

einige Maßnahmen vorgeschlagen, die ergriffen werden sollten, um Libien wieder auf die

Sprünge zu helfen. Insbesondere die Arbeitslosigkeit und der Mangel an einem

wirkungsvollen Unterrichtswesen standen an erster Stelle. Ohne einen wirtschaftlichen

Fortschritt wäre ein Wandel zu einer Demokratie unmöglich. Auch in Syrien wählte

Deutschland eine ähnliche Vorgehensweise, obwohl es schwieriger war, eine Resolution im

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Sicherheitsrat auszuarbeiten, trotz der Unterstützung von Frankreich und Großbrittanien.

Frankreich hatte sogar die Anfangsinitiative ergriffen, und fühlte sich vor allem durch

Großbrittanien und die Vereinigten Staaten gestärkt. Khaddafi hat nicht alle Regeln

eingehalten, und deswegen musste man diesen Kampf führen, damit mehr Blutvergießen

vermieden werden konnte. Frankreich schwang sich während dieser Kämpfe zum Führer auf

und damit wurde klar, dass Frankreich und Deutschland doch nicht immer auf derselben

Wellenlänge sind. (De Smet 2012: 41-53)

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung haben sich die Rolle Deutschlands in der EU und

auch die Art und Weise, auf die Deutschland an die europäische Politik herangeht, stark

geändert. Die beharrliche Stellungnahme Merkels in der Griechenlandkrise, und ihre

Drohung, dass Griechenland, wenn es gegen die Bedingungen verstoßen würde, aus der

Europäischen Union ausgeschlossen werden könnte, war aber doch prägnant. Dieser

Alleingang war ohne Präzedenz in der deutschen Europapolitik. Vorhersagbarkeit,

Einheitlichkeit und Reserviertheit sind nicht länger die Schlüsselwörter der deutschen Politik,

die Öffentlichkeit ist der europäischen Probleme überdrüssig. Im Gegensatz zum ewigen

Verbündeten Frankreich, das eine reine europäische Lösung bevorzugte, wollte Merkel den

Internationalen Währungsfonds einsetzen. Was Deutschland in naher Zukunft in Bezug auf

die Integrationspolitik vor Augen hat, ist nicht völlig klar. Für die Türkei zog Merkel eine

priviligierte Partnerschaft einer vollständigen Integration vor, was als eine Zurückweisung

betrachtet wurde. Wegen dieser neuen Position Deutschlands ist Integration keine

Selbstverständlichkeit mehr. Frankreich ist vielleicht die einzige Nation, die Deutschland

Widerstand leisten könnte. Deutschland ist sich der großen Verantwortung bewusst, die es als

führende europäische Wirtschaft übernehmen soll, erwartet jedoch eine Gegenleistung und

gegenseitige Anstrengungen. (Bulmer & Paterson 2010: 1051-1073)

Merkel verfolgt eine Politik der selbstbewussten Bescheidenheit, nicht die Durchsetzung

deutscher Ansprüche, sondern die Stärkung des zwischenstaatlichen Engagements steht in

ihrer Vorstellung von Führerschaft an erster Stelle. Die Partner sollen darauf vertrauen

können, dass Deutschland auch ihre Interessen berücksichtigen wird. Merkel ist nicht die

Politikerin der großen Reden oder Gedanken,dafür hat sie ein Talent, pragmatisch Probleme

zu lösen. Sie glaubt ans Prinzip "In der Ruhe liegt die Kraft", sie überlegt alles gründlich,

damit sie immer gut vorbereitet ist und wohlüberlegte Entscheidungen treffen kann. In der

finanziellen Krise wurde von verschieden Machthabern, darunter Sarkozy und Obama, Druck

auf sie ausgeübt, schnelle Maßnahmen zu ergreifen, aber sie zeigte, dass sie sogar in dieser

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Lage unempfindlich gegen politischen Druck war. Trotzdem kann die vermittelnde Rolle

nicht als internationale Führerschaft bezeichnet werden, denn Macht heißt auch, die

Verantwortung auf sich nehmen zu können- und Initiativen zu ergreifen, wenn der Welt eine

große Herausforderung bevorsteht. (Nijhuis 2009: 613-615)

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3. SPRACHE IN DER POLITIK

Die politische Sprache ist Gegenstand vieler Untersuchungen und Diskussionen, es handelt

sich um alles andere als die Absicht, die Öffentlichkeit ständig hinters Licht zu führen. Es ist

keine exakte Wissenschaft, inwiefern die Verwendung bestimmter Wörter oder Ausdrücke

die politische Entscheidungsfindung beeinflusst. In diesem Kapitel wird ein theoretischer

Rahmen vermittelt, damit die Analyse im Kapitel 4 nicht so schwerverständlich ist. Die

Politolinguistik, die Wissenschaft, die sich mit der politischen Sprache beschäftigt, ist immer

mit der Diskursanalyse verknüpft, weil politische Texte nie außerhalb ihres Kontextes

bewertet werden sollten. Mit dieser Arbeit wird versucht, einen Schritt weiter zu gehen als

eine quantitative Forschung, in der Zahlen über Wortfrequenz im Mittelpunkt stehen würden.

Statt einer zahlenmäßige Analyse wird diese Forschung eine Verbindung mit der

Diskursanalyse machen und wird das Außmaß des Korpus kleiner sein, aber zielen auf

Tiefgang.

3.1. Verschiedene Arten der politischen Kommunikation: Entwicklung der Gesellschaftlichen

Anforderungen

Abhängig von der Umgebung und dem Ziel, das man erreichen will, hat politische Sprache

eine andere Form und einen anderen Stil, damit sie der kommunikativen Situation

angemessen ist. Man unterscheidet drei Arten der Kommunikation: Erstens gibt es die

Arbeitskommunikation, die Politiker hinter den Kulissen zum Zweck ihrer gegenseitigen

Kommunikation verwenden, zum Beispiel in parlamentarischen Arbeitsgruppen und

spezialisierten Ausschüssen. Es ist eine esoterische Insider-Sprache, die hauptsächlich von

Politikern verwendet und verstanden wird. Zweitens hat man die

Darstellungskommunikation, die der Kommunikation zwischen Politik und Öffentlichkeit

dient. Diese Sprache soll also nicht esoterisch, sondern für alle verständlich sein. Drittens

wird die Durchsetzungskommunikation verwendet, wenn etwas durchgesetzt werden soll,

gerissene Stilmittel, mittels derer der Gegner nichts mehr einwenden kann, um seine eigenen

Standpunkte noch länger zu verteidigen. Die Form der politischen Kommunikation hängt

davon ab, welche Umstände diese Kommunikation prägen. Es ist nicht immer die Absicht der

Politiker, sprachliche Mittel zu verwenden, um sich nicht auf eine klare Ansicht festlegen zu

müssen oder um etwas zu vertuschen. Die Art und Weise, auf die eine Rede gehalten wird,

unterliegt verschiedenen Faktoren wie Form, Zielgruppe und Gegenstand der Rede. Ein

Politiker vertritt auch nicht immer seine eigene Meinung, manchmal soll der gesamte

Standpunkt der Fraktion übermittelt werden. Weiterhin spielt die persönliche Begabung auf

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dem Gebiet der Redekunst auch eine wichtige Rolle, nicht jedem steht rhetorisches Talent zur

Verfügung, und der Mangel an diesem Talent könnte die Unbewandertheit eines Redners

bloßlegen. (Dörner & Vogt 1995: 18-21)

Die Darstellungskommunikation wird immer wichtiger, weil die Öffentlichkeit in der

derzeitigen Mediengesellschaft mit Informationen überschüttet wird. Diese Lage hat das Ziel

der Kommunikation beeinflusst: Die Reden der Politiker haben nicht nur zum Ziel,

Entscheidungen durchzusetzen, sondern auch bereits getroffene Entscheidungen zu

verantworten, weil sie von der Öffentlichkeit immer mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

In unserer modernen Kommunikationsgesellschaft sollte man sich dessen bewusst sein, dass

Aussagen eine immer größere Reichweite haben und in naher Zukunft Teil eines gesetzlichen

Kompromisses sein könnten. Die Medien wählen die Themen aus, mit denen sich die

Öffentlichkeit beschäftigen soll. Diese Art Meinungsbildung bestimmt nicht was, sondern

worüber nachgedacht wird, was als "Agenda Setting" bezeichnet wird. Aus diesem Grund

sollte man nur nach reiflicher Überlegung politische Sprache verwenden. Die

Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit des Politikers könnten jedes Mal auf dem Spiel

stehen. Der Politiker als Person hat also eine große Verantwortlichkeit. Zu den veränderten

Bedingungen gehört die Tatsache, dass politische Reden, außer in Wahlkampfzeiten, nicht

mehr die vollständige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich lenken können. Diese Lage

ist nicht die Folge eines Rückgangs der Beredsamkeit, sondern des rückgängigen Interesses

der Deutschen an den politischen Entwicklungen seit den neunziger Jahren. Die Rede eines

Politikers steht am Feierabend nicht länger unbedingt an erster Stelle, ungeachtet der Qualität

der Rede. (Kammerer 1995: 1-25)

3.2. Die Rolle der deutschen Sprache

Dieser Mangel an Interesse ist nicht der einzige Faktor, der die Stärke der deutschen Sprache

innerhalb der Europäischen Union gefährden könnte. Obwohl das Deutsche die am meisten

verwendete Sprache Europas ist, ist es nicht die führende Sprache in der Politik. Um diese

Behauptung unter Beweis zu stellen, soll zunächst der Unterschied zwischen drei anderen

Formen der politischen Sprachverwendung erläutert werden: Sprache kann als Amts-, als

Vertrags- oder als Arbeitssprache verwendet werden. Die Amtssprache ist die Sprache, in der

die Bürger die Mitteilungen der staatlichen Ebene bekommen. Die Union ist zwar kein Staat,

ähnelt aber dieser Struktur doch in gewissem Maße, weil die Bürger der Mitgliedstaaten unter

der gerichtlichen Zuständigkeit der Union stehen. Deswegen ist die Amtssprache auch die

Sprache, in der mit sowohl den Mitgliedstaaten, als auch den Bürgern kommuniziert werden

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soll. Die Vertragssprache ist die Sprache, in der Verträge geschlossen werden dürfen, damit

die Rechtsgültigkeit nicht in Abrede gestellt wird. In der Praxis schließen die

Vertragssprachen die Amtssprachen ein. Die Arbeitssprachen sind die Sprachen, die für die

interne Kommunikation zwischen den Organen verwendet werden. Obwohl alle

Amtssprachen nach dem Gesetz zur gleichen Zeit auch die respektiven Arbeitssprachen sind,

kommen nicht alle Amtssprachen in Betracht, auch wirklich als Arbeitssprache verwendet zu

werden. Bis 1973 war die deutsch-französische Partnerschaft die tonangebende Macht

innerhalb der Union, und Deutsch und Französisch waren die Arbeitssprachen der

Gemeinschaft. Französisch stand sogar an erster Stelle, weil sich alle Institutionen auf

französischem Staatsgebiet befanden. Mit dem Beitritt Großbrittaniens und Irlands wurde

Englsich schnell zur Hauptarbeitssprache, zusammen mit dem Französischen, und das

Deutsche verlor an Bedeutung. Wegen der Einverleibung zusätzlicher Staaten gibt es also

auch immer mehr Amtssprachen, was das "Sprachenproblem" der Union darstellt.

Infolgedessen hat sich die Zahl der Texte, die übersetzt werden müssen, stark gehäuft, so dass

die Union des Geldes bedürftig ist, um die notwendigen Übersetzer und Dolmetscher

bezahlen zu können. Trotz aller Anstrengungen sowie eines erhöhten Einsatzes technischer

Hilfsmittel konnte die Ebenbürtigkeit aller Amtssprachen nicht sichergestellt werden.

Verwaltungsunterlagen, Übersetzungen und andere Texte werden nicht in jeder Amtssprache

(oder nur mit großer Verspätung) veröffentlicht. Um Zeit zu sparen, beschränkt man sich oft

auf Französisch, Deutsch und Englisch. Vor allem die Kommunikation auf Englisch ist am

effizientesten- und wird des Öfteren als Arbeitssprache verwendet. Diese Lage hat dazu

geführt, dass Unterlagen und Gesetzentwürfe manchmal sogar zu spät in deutscher Sprache

erhältlich sind. (Andrei 2007: 192-203)

Es gibt mehrere Gründe, aus denen das Deutsche sich nie zu einer wirklichen Weltsprache

hat entwickeln können. Der deutsche Partikularismus hat dazu geführt, dass es in den

Bundesländern und in den anderen deutschsprachigen Ländern neben der Standardsprache

auch sprachliche Unterschiede gibt. Sprachliche Variationen auf regionaler Ebene sind

wichtige Elemente der Identität. Darüberhinaus fällt es Ausländern sehr schwer, sich der

deutschen Sprache mächtig zu werden.

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Am 16. Juni 1878 schreibt Mark Twain Folgendes über den Erwerb des Deutschen als

Fremdsprache:

"In der deutschen Grammatik gibt es Teufeleien, die mir ewig unverständlich bleiben

werden und mich aus Schüchternheit zum Schweigen bringen. Ich kenne jede Menge

Wörter. Aber nur Gott kennt ihre Endungen. Ich meine, ich kenne ihre Grundformen

und Wurzeln. Aber ihre Adjektivierungen und Dschunglifizierungen, nachdem sie aus

dem Grund hervorgesprossen sind und anfangen, Flexionen und Partizipien und

dergleichen zu bilden, übersteigen meine Vorstellungskraft." (Mark Twain, zitiert

nach Zehetmair 2010: 66)

Die globale Verbreitung der deutschen Sprache wird von verschiedenen Faktoren erschwert.

Die deutsche Sprache ist im Ausland einfach nicht beliebt. Trotz der zahlenmäßigen

Überlegenheit in Mitteleuropa (100 Millionen Menschen sprechen Deutsch als

Muttersprache) und der Tatsache, dass das Deutsche in geschichtlicher Hinsicht wichtige

Beiträge zur Literatur, Wissenschaft und Philosophie geleistet hat, lässt sich erkennen, dass

das Deutsche nicht zu den beliebten Sprachen der Welt gehört. Das Deutsche hat aber auch

eine Überlegenheit als Kommunikationssprache. Es gibt also neue Chancen, das Deutsche in

Mitteleuropa und demzufolge in der ganzen Welt wiederherzustellen. Deutsch war in der

Geschichte eine wichtige Amtssprache und sogar eine Verkehrssprache in der

zentraleuropäischen Region. Es lohnt sich also, Deutsch zu lernen, denn das Gebiet, in dem

das Deutsche eine wichtige Rolle spielt, darf nicht unterschätzt werden. Aber diese Rettung

bedarf eines hohen Maßes an Einsatzbereitschaft sowohl in Deutschland als auch in der

zentraleuropäischen Region. Die Muttersprachler sollten sich aber zunächst dessen bewusst

werden, dass der Erhalt der deutschen Standardsprache als Kommunikationssprache Europas

gefördert werden soll. Die Stärkung der deutschen Sprache wäre der Position Deutschlands

innerhalb der Europäischen Union und seiner Verhandlungsmacht zuträglich. (Zehetmair

2010: 65-68)

3.3. Gegenstandsbereich der Politolinguistik

Politische Sprache ist die Sprache der Politiker, in ihren unterschiedlichen Tätigkeiten:

Sowohl in der Öffentlichkeit, wenn mit den Massenmedien kommuniziert werden sollte, als

auch in nicht-öffentlichen Gremien. Das sprachliche Handeln der Politiker dient der

Durchsetzung ihrer Ziele, und die politische Sprache ist das Mittel, mit dem diese

Durchsetzung ausgehandelt werden kann. Die Politik bedürft einer politischen Sprache, die

sich der kommunikativen Situation gemäß anpassen kann. Sprache hat verschiedene

Grundfunktionen, laut des Organon-Modells von Karl Bühler hat Sprache eine Ausdrucks-,

Darstellungs- und Appellfunktion. Diese letzte Funktion ist für die politische Sprache von

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großer Bedeutung, obwohl immer behauptet wird, dass die Darstellungsfunktion am

wichtigsten wäre. Manipulation ist oft Teil des Sprachgebrauchs in Wahlkämpfen, in denen

sich die Gegner einer Sprache bedienen, die die eigenen Standpunkte einen größeren Wert

geben und die Standpunkte des Gegners abwerten sollen. Es wäre kurzsichtig, zu behaupten,

politische Sprache sei nur Manipulation und Propaganda, die Durchsetzung der eigenen

Interessen mittels strategischen Sprachgebrauchs ist wichtig in politischen Prozessen, aber

die Sprache, die zum Beispiel in Verfassungstexten verwendet wird, ist völlig

unterschiedlich. Dadurch, dass die Medien die Themen auswählen, mit denen sich die

Öffentlichkeit beschäftigen soll. Diese Art Meinungsbildung bestimmt nicht was, sondern

worüber nachgedacht wird. (Bühler, zitiert nach Niehr 2014a: 12-13)

Der Gegenstandsbereich der Politolinguistik geht über die Wortebene hinaus, die Bedeutung

der Wörter kann innerhalb politischer Texte oder Reden eine zusätzliche Konnotation oder

einen anderen Wert bekommen. Wort, Text und Diskurs sind also die Analyseobjekte der

Politolinguistik, die immer mehr mit der linguistischen Pragmatik verknüpft ist. In der

linguistischen Pragmatik wird davon ausgegangen, dass eine sprachliche Äußerung nie

außerhalb des Zusammenhangs betrachtet werden soll, die Äußerungssituation bestimmt die

Bedeutung der Wörter. Kommunikation ist Handeln- und geschieht immer mit einer

bestimmten Absicht. Politischer Wortschatz soll der Situation gemäß sein, deswegen gibt es

mehere Teilbereiche. Das Institutionsvokabular ist das Vokabular, mit dem über politische

Sachverhalte geschrieben und geredet wird. Es wird sowohl zwischen den Politikern- als

auch zwischen Bürgern und Politikern verwendet. Zum Beispiel die Bezeichnungen für die

Staats- und Regierungsformen und Normentexte gehören diesem Teilbereich der politischen

Sprache an. Das Ressortvokabular ist das Vokabular der esoterischen Binnenkommunikation

zwischen den Politikern. Das Ideologievokabular wird oft mit dem Begriff des politischen

Wortschatzes gleichgesetzt, aber es geht doch ein bisschen weiter. Dieses Vokabular wird

verwendet, um in öffentlich-politischen Diskussionen Sachverhalte ideologisch darzustellen,

und wird von zwei Eigenschaften gekennzeichnet: Dieses Vokabular enthält oft eine

Bewertung, und die Bedeutung der Wörter ist ideologiegebunden, das heißt, dass die

Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks von der Gesinnung des Sprechers abhängig ist, zum

Beispiel haben die Wörter "Sozialismus" und "konservativ" nicht für alle die gleiche

Bedeutung und Konnotation. Zum Schluss gibt es noch das algemeine Interaktionsvokabular,

das gemeinsprachliche oder sogar dialektale Elemente enthält.

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Manche Begriffe rufen deontische Nebenbedeutungen hervor. Diese haben eine

Appellfunktion, d.h. sie beinhalten, auf welche Weise gehandelt werden sollte. In der

Bedeutung des Wortes "Ungeziefer" etwa ist enthalten, dass es ausgerottet werden sollte. In

der politischen Sprache liegt die deontische Bedeutung nicht so auf der Hand. Sie wird oft

erst bemerkt, nachdem ein Text oder eine Rede einer gründlichen Analyse unterzogen

worden ist. Wenn die Öffentlichkeit glaubt, dass etwas geschehen sollte, und der deontischen

Bedeutung eines Wortes also zustimmt, ist es die Absicht der Parteien, dieses Wort zum

Vokabular des Parteiprogramms hinzuzufügen. Am Anfang der Finanzkrise glaubte man zum

Beispiel an den "Rettungsschirm", und konnte man sich mittels dieses Wortes zu "Retter"

aufwerfen. (Niehr 2014a: 11-16, 63-68)

3.4. Strategischer Wortgebrauch und die Einhaltung der Kommunikationsmaximen

Der strategische Wortgebrauch wird immer zur politischen Sprache gehören. In diesem

Bereich spricht man über Schlag-, Fahnen- und Stigmawörter. Schlagwörter lenken zu einem

bestimmten Zeitpunkt die Aufmerksamkeit auf sich und befürworten ein Ziel, das in der

Öffentlichkeit vergegenwärtigt werden, und zu diesem Zweck das Verhalten und Denken der

Menschen beeinflussen soll. Es sind buchstäblich Wörter, mit denen die politischen Gegner

geschlagen werden können. Der Begriff "Marxismus" zum Beispiel wurde in den zwanziger

und dreißiger Jahren von den rechten Parteien verwendet, um die Linken zu verleumden. Es

ist jedoch schwierig, Schlagwörter im politischen Diskurs zu entdecken. Nur die Steigerung

der Gebrauchsfrequenz reicht nicht aus, um ein Wort als Schlagwort zu bezeichnen. Zu

diesem Ziel ist eine qualitative Analyse der Texte- im Kontext der politischen Debatte-

erforderlich. Der Zeitgeist spielt bei der Bewertung politischer Aussagen eine wichtige Rolle,

weil sich Bedeutungen und Konnotationen im Lauf der Zeit entwickeln können. Vor dem

Scheitern des Marxismus hatte dieses Wort etwa keine schlechte Nebenbedeutung und hätte

also nicht von den rechten Gegnern als Schlagwort verwendet werden können. Fahnen- und

Stigmawörter sind entgegengesetzte Begriffe, die gute bzw. schlechte Nebenbedeutungen

hervorrufen. Die Fahnenwörter werden verwendet, um der eigenen Gesinnung Nachdruck zu

verleihen, und die Stigmawörter dienen dem Zweck, die Gegenpartei herabzuwürdigen. In

manchen Fällen werden sie zusammen benutzt, damit ein krasser Gegensatz entsteht, wie bei

einem ehemaligen Werbeslogan der CDU: "Freiheit statt Sozialismus". In der

Politolinguistik wird oft behauptet, Fahnenwörter seien positive Schlagwörter und

Stigmawörter seien negative Schlagwörter. Wegen ihrer deontologischen Nebenbedeutungen

sollten die Schlägwörter zum Ideologievokabular gerechnet werden. (Niehr 2014a: 69-75)

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Ein Politiker bedarf natürlich sprachlicher Kompetenz, um die Absichten seiner

Kommunikation verwirklichen zu können. Die Zustimmungsbereitschaft des

Gesprächspartners ist vielleicht das wichtigste Ziel politischer Kommunikation, ohne eine

gemeinsame Basis wäre es unmöglich, Beschlüsse zu fassen. Die Konversationsmaximen von

Grice stellen die Voraussetzungen politischer Sprache dar, die man im politischen Diskurs

beachten sollte, damit gegenseitiges Vertrauen und schließlich auch Zustimmungsbereitschaft

hergestellt werden können. Menschliche Kommunikation sei kooperatives Handeln, die

beiden Parteien sollen völlig an der Kommunikation beteiligt sein, es gibt gegenseitige

Erwartungen, derer man sich bewusst sein soll. Das Kooperationsprinzip besagt, dass

sprachliche Kommunikation dadurch bestimmt ist, dass in der Regel zwischen dem mit einer

Äußerung explizit Gesagten und dem mit ihr Gemeinten eine Diskrepanz besteht.

Kommunikation funktioniert, weil die Beteiligten ein gemeinsames Ziel verfolgen und sich

zu dessen Erreichung kooperativ und rational verhalten. In diesem Zusammenhang wurden

vier Konversationsmaximen eingeführt:

-Quantität: nicht mehr Auskünfte erteilen als nötig, aber auch nicht weniger.

-Qualität: man unterstellt dem Gesprächspartner, dass er wissentlich nichts Falches sagt.

-Relevanz: der Redebeitrag ist den kontextuellen Anforderungen angepasst.

-Modalität: man drückt sich verständlich aus und es gibt Kohärenz mittels kohäsiver Mittel.

Grice hat auch erkannt, dass in realen Situationen manchmal Maximen bewusst verletzt

werden, um Effekte zu erzielen, die dem übergreifenden Kommunikationszweck dienen. Für

Bedeutungen, die nicht unmittelbar aus der Äußerung hervorgehen, hat Grice den Terminus

"konversationelle Implikaturen" eingeführt, das heißt Folgerungen, die aus dem explizit

Gesagten erschlossen werden können. Zum Beispiel: "Was muss die Europäische Union

machen, um die Finanzkrise in den Griff bekommen zu können?". Der Bundespräsident

könnte auf diese Frage antworten: "Wir sind nicht in der Lage, auf eigene Faust die Lösungen

zu finden". In diesem Fall könnte es zwei konversationelle Implikaturen geben: Deutschland

hat schon alles Mögliche auf eigene Faust gemacht und will die europäischen Partner dazu

auffordern, mittels einer Partnerschaft mit gegenseitigen Anstrengungen und gegenseitiger

Verbindlichkeit die Finanzkrise zu bewältigen. Politiker sollten also über pragmatische

Kompetenz verfügen, um zwischen den Zeilen lesen zu können und auf diese Weise die

konversationellen Implikaturen völlig zu verstehen. Eine konversationelle Implikatur lässt

sich erkennen, wenn man spürt, dass Schlussfolgerungen gezogen wurden, ohne dass es

buchstäbliche wörtliche Beweise für diese Schlussfolgerungen gibt. In einem solchen Fall

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soll also etwas zum Gesagten hinzugefügt werden, um die Einhaltung der

Konversationsmaximen zu garantieren. (Grice 1967, zitiert nach Niehr 2014a: 80-84)

3.5. Diskursanalyse: zum Gesamtbild der analysierten Texte

Das sprachliche Handeln, von dem die Rede war, geschieht nicht mit isolierten Wörtern,

sondern der Zusammenhang bestimmt die Bedeutung. Es wäre möglich, dass die Bedeutung

eines Textes nur klar wird, wenn man andere Texte zum selben Thema gelesen hat. Diese

Intertextualität ist vor allem in der Diskursanalyse von großer Bedeutung. In der

gegenwärtigen Gesellschaft der Massenmedien ist es eine Herausforderung, aus der Menge

verfügbarer Texte eine repräsentative Stichprobe zu ziehen. Es wäre nicht einfach, eine

Auswahl zu begründen, weil immer Beliebigkeit vorgeworfen werden könnte. Der zu

untersuchende Diskurs muss maßstabgerecht dargestellt werden, Komponenten dürfen weder

übertont, noch gestrichen werden. In argumentativen Korpora sollte darauf geachtet werden,

dass beide Seiten in gleichem Maße ins Bild kommen können. Die Überprüfung der

diskursiven Relevanz geht oft aus einer Steigerung innerhalb einer Zeitperiode hervor, in der

der Gebrauch auffällig zunimmt und der Gebrauch also häufiger thematisiert wird. Eine

derartige Entwicklung wird erst nach einer gründlichen Analyse des Textkorpus deutlich.

Jedoch könnte die Bedeutung volatil sein, der Diskurs ist nur ein Rahmen, innerhalb dessen

die Bedeutungen nicht unabänderlich sind, Gegner können eine Lücke in der Argumentation

finden, damit sie dem Opponenten die Worte im Mund verdrehen können. Bei einer

Disursanalyse soll auch die Argumentation über die Texte hinweg unter die Lupe genommen

werden. Argumentationen sollen dazu dienen, "etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv

Geltendes zu überführen." Zum Beispiel, beim Diskurs zur Eurokrise soll zunächst

entschieden werden, welche Zeitperiode zum Gegenstand der Forschung gemacht werden

soll. Wenn die Lage Griechenlands im Mittelpunkt stehen soll, kommt auf diese Weise gleich

eine klare Abgrenzung zustande. (Niehr 2014a: 99, 121-125 , 136-140, 145-147)

Aus linguistischer Perspektive sind bei der Diskursanalyse drei Ebenen von großer

Bedeutung: Lexik, Metaphorik und Argumentation. Bei der Analyse der Texte eines

Diskurses sollte nicht auf ein bestimmtes Lexem fokussiert werden, das als Subjekt der

Forschung bezeichnet wurde, weil diese Vorgehensweise eine unzulässige Einschränkung des

Korpus wäre. Nicht alle Texte zu einem bestimmten Thema enthalten die Lexeme, die der

Forscher im Voraus für wichtig eingeschätzt hatte. Erst nach der Analyse des Korpus ist es

möglich, die zentralen Lexeme der Forschung zu bestimmen. Es bedarf keiner weiteren

Erläuterung, dass Ausdrücke, die der Glaubwürdigkeit der eigenen Standpunkte und der

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Abwertung der gegnerischen Standpunkte dienen, in einer Diskursanalyse sehr interessant

sind. Natürlich sollte darauf geachtet werden, dass Gebrauch und Erwähnung eines

Ausdrucks nicht miteinander verwechselt werden, um die diskursive Position einer Person zu

bestimmen. Es besteht auch die Gefahr, sich in die lexikalische und die aktuelle Bedeutung

eines Ausdrucks zu verrennen, Bedeutungen können sich innerhalb einer Zeitperiode und

sogar innerhalb eines Diskurses entwickeln. Metaphern dienen nicht immer der

Ausschmückung eines Textes, sondern manchmal auch der visuellen Vorstellungsfähigkeit

eines Menschen und der Struktur unseres Denkens. Es gibt viele Redewendungen, die

Argumentation mit Krieg vergleichen: Thesen verteidigen, Standpunkte werden angegriffen-

usw. Diese Bildsprache sorgt dafür, dass ein Konzept wie Argumentation durch ein anderes

Konzept, in diesem Fall Krieg, strukturiert wird. Metaphern bestimmen in gewissem Maße

auch die Weise, auf die wir handeln. Diese Kriegsmetapher führt zu der Ansicht, dass

Argumentation Krieg ist und also auf diese Weise betrachtet werden soll. Die inhärente

Konfrontation wird betont, nicht die Bereitschaft, nicht immer nur Ansprüche zu erheben,

sondern auch Kompromisse zu schließen. Darüberhinaus haben Metaphern auch eine

implizite argumentative Funktion. Wenn die Öffentlichkeit der Ansicht ist, dass die Metapher

der Darstellung der Tatsachen entspricht, gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach Teilaspekte,

die der Realität nicht gemäß sind. Metaphern werden zum Bindeglied einer anderenfalls

langwierigen Argumentation, könnten aber auch die Gesprächspartner mittels einer

unberechtigten Analogie irreführen. (Niehr 2014b: 66-70, 84-85, 93-100)

In der finanziellen Krise sind die Begriffe "Euro-Rettungsschirm" und "Schuldenbremse" zu

bekannten politischen Metaphern gemacht worden. Die Komplexität der Ereignisse wird auf

diese Weise für die Öffentlichkeit zugänglicher gemacht, Menschen bekommen eine

gedankliche Vorstellung von den Vorgängen, die ziemlich esoterisch und also

schwerverständlich sind. Metaphern können aber auch die Realität verdrehen, die Sachen

unkompliziert vorstellen, wenn das eigentlich nicht erlaubt sein sollte. Metaphern in der

Politik könnten also auch zum Täuschen der Öffentlichkeit verwendet werden, Wachsamkeit

ist also in diesem Fall immer erforderlich.

3.6. Die Beziehung zur Mediengesellschaft und ihren Journalisten

In öffentlichen Pressekonferenzen betrachten Journalisten und Politiker einander vielleicht

als Opponenten, aber in den sogenannten Hintergrundgesprächen wird diese Kluft

geschlossen. Diese vertraulichen Gespräche könnten aus mehreren Gründen geführt werden,

etwa um zusätzliche Erklärungen zu geben oder zu versuchen, herauszufinden, auf welche

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Weise die Öffentlichkeit auf eine bestimmte Nachricht reagieren würde. Es gibt einige

Regeln, die man in diesen Gesprächen genau einhalten sollte. Die Politiker sollten sich

dessen bewusst sein, dass ihre Aussagen veröffentlicht werden könnten. Die Journalisten

wiederum sollten darauf achten, dass die Anonymität der Politiker respektiert wird; deswegen

sieht in den Zeitungen oft die Formulierung "heißt es in Regierungskreisen".

Als Bonn Bundeshauptstadt war, wurden diese Regeln ohne Ausnahme mit gewissem

Respekt beachtet, aber in dem Moment, als Berlin Hauptstadt wurde, hat sich dieser Respekt

in Misstrauen verwandelt. In Berlin stand Leistungsverstärkung an erster Stelle, die

Wettbewerbsfähigkeit musste in Zeiten, in denen die Politik immer sorgfältiger unter die

Lupe genommen wurde, sichergestellt werden. Wegen der Zahl der Zeitungen, die in Berlin

veröffentlicht werden, und der Zahl der Rundfunksender mit zusätzlichen Erläuterungen

gehört die alte Praxis, dass nur einige bevorrechtigte Journalisten über Insiderinformationen

verfügen konnten, endgültig der Vergangenheit an. Im derzeitigen Konkurrenzkampf sind es

nicht nur die regionalen, sondern auch die überregionalen Medien, die versuchen, aus

Exklusivität und Vorkenntnissen ihren Vorteil zu ziehen. Dieser Konkurrenzkampf führt aber

dazu, dass Bericht erstattet wird, ohne bis ins Einzelne Nachforschungen anzustellen, ob die

Darstellung dieser sogenannten Tatsachen der Wirklichkeit entspricht. Auf diese Weise wird

in die Wirklichkeit eingegriffen- eine Macht der Journalisten, mit der sich die Politiker nur

schwer abfinden können. Aber auch die Politiker nutzen die Medien zu anderen Zwecken als

dem reinen Informationsfluss, damit die Öffentlichkeit über die politische Sachlage auf dem

Laufenden ist. Der Selbstdarstellungsdrang der Politiker ist eine Fallgrube, vor der sich die

Journalisten hüten sollten. Damit die Redaktionen zur Zeit des Wahlkampfs nicht von

zielgerichteten Handlungen zum Zweck der Popularität überschüttet werden, bestimmen sie

selbst welche Themen für die Wähler von großer Bedeutung sind. Die Politiker werden zu

Gesprächen eingeladen, bei denen die Politiker einer Fragestunde unterzogen werden. Man

darf also nicht übertreiben- die Sensationsgier in der Berichterstattung, zur Steigerung der

Auflage sowie des Gewinns hat sich nicht aller Journalisten Herr gemacht. Die Mehrheit

führt ihren Auftrag nach gutem Gewissen aus, indem sie Nachforschungen anstellen, die

Bürger mit Nachrichten versorgt und aufklärt, was die gesellschaftlichen Entwicklungen in

der Praxis zu bedeuten haben.

Das Konzept der Medienkonzentration, wegen dessen die pluralistische Medienlandschaft

gefährdet wird, könnte zu Machtmissbrauch führen, aber es wird immer die Funktion der

Medien sein, Meinungsbilder zu schaffen. (Meyn 2004: 256-273)

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3.7. Die sozialen Medien: Digitalisierung der politischen Sprache

Die sozialen Medien haben in Bezug auf die Politik ihren Platz im tagtäglichen

Kommunikationsprozess gefunden, die sogenannten Follower werden über diese Medien über

wichtige Informationen oder Ereignisse in Kenntnis gesetzt. Neben dem Erteilen von

Auskünften erteilen kann der Politiker auch seine ungeschminkte Meinung geben und

politische Diskurse bewerten, was zu einem direkten Kontakt mit den Bürgern führt.

Andererseits sollten auch die Bürger das Gefühl haben, dass sie über die sozialen Medien die

Möglichkeit haben, mit den Politikern in Verbindung zu treten. Kommunikation von

Angesicht zu Angesicht ist fast unmöglich, aber Twitter hat versucht, diese Kluft zwischen

Bürgern und Politikern einigermaßen zu schließen.

Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass die Politiker eigentlich keine andere Wahl haben, als

sich die sozialen Medien anzueignen, um nicht nur Auskünfte erteilen oder Kritik an ihren

Gegnern üben, sondern auch sich verteidigen zu können, wenn sie einer Hassgruppe

ausgesetzt werden. Die sozialen Medien machen auch den Weg frei für die Öffentlichkeit,

ungeschminkt Kritik an den Politikern zu üben, und zwar nicht nur an ihren Standpunkten,

sondern auch an nicht-politikbezogenen Aspekten wie ihrem Aussehen im Fernsehen.Twitter

ist zur Plattform der Selbstdarstellung der Bürger geworden; es gibt keine Tabus, wie weit

diese Selbstdarstellung gehen darf. Twitter ist darüberhinaus sehr geeignet, um

herauszufinden, welche Bereiche des politischen Wortschatzes ins aktive Vokabular der

Bürger eingedrungen sind. Die Bewertung politischer Gruppen und Personen durch die

Öffentlichkeit einerseits- und die der politischen Ereignisse und Sachverhalte andererseits

sind in den Kommentaren am meisten vertreten. Auf Twitter sind die Berichte der Bürger

ziemlich ernst, und das richtige Vokabular wird orthografisch fehlerfrei verwendet, im

Gegensatz zu Diskussionen auf Facebook, wo die Berichte häufiger emotional sind. Die

Kommunikation mittels der sozialen Medien ist sehr hybride, von Aneignung bis zu

Hassberichten, aber am häufigsten sind sie eine Plattform der Selbstdarstellung, ein Indiz der

derzeitigen Unzufriedenheit der Deutschen mit den politischen Verhältnissen.

Politiker können heutzutage wegen der Digitalisierung und Mediatisierung nicht mehr

leugnen, dass politische Kommunikation im Internet, von ausschlaggebender Bedeutung

geworden ist. Die Beziehung zur Presse ist völlig anders als vor dem Aufschwung der

sozialen Medien. Jetzt hat jeder die Möglichkeit, mit den eigenen Wörtern mit der

Öffentlichkeit zu kommunizieren, die Presse hat nicht länger eine Monopolstellung.

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Andererseits verwenden Journalisten Twitter oft als Quelle, wenn Augenzeugen Bericht über

das Geschehene erstatten. (Diekmannshenke & Niehr 2013: 113-115, 119, 124, 137-139)

3.8. Diskursanalyse: Auf der Suche nach der richtigen Vorgehensweise

Diskursanalytische Studien, in denen eine nur quantitative Forschungsmethodologie

verwendet wird, sind rar. Die Diskursanalyse kann aus vielen Blickwinkeln betrachtet

werden, und es gibt viele Quellen für diejenigen, die mehr über dieses Forschungsfeld der

Sprachwissenschaft lernen wollen. Cook (1989) erforschte Diskurse in den Bereichen

Struktur, Dialog und Kenntnisse. Brown und Yule (1983) verwendeten eine linguistische

Vorgehensweise und haben vor allem Nachforschungen nach Zusammenhang und Kohärenz

angestellt. Schiffrin vermittelte eine umfassende Übersicht von sechs Herangehensweisen:

1)Sprechhandlungen, 2)Pragmatik von Grice, 3)Kommunikationsethnographie,

4)Variationsanalyse, 5)Konversationsanalyse und 6)interaktionelle Soziolinguistik. Diese

sind nur Beispiele der unzähligen Vorgehensweisen, auf die Diskurse unter die Lupe

genommen werden. Obwohl es sehr viele Quellen gibt, ist es merkwürdig, dass

Sprachwissenschaftler sich nicht mit den methodologischen Problemen bei quantitativen und

qualtitativen diskursanalytischen Studien beschäftigen.

Es gibt grundsätzliche Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Forschungen,

die natürlich auch im Bereich der Diskursanalyse gelten. Die Erkentnisse, die aus qualitativen

Forschungen gefolgert werden, können im Vergleich zu quantitativen Erkenntnissen nicht

immer mit derselben Objektivität verallgemeinert werden, weil sie manchmal nur bei einer

einzigen Untersuchung Anwendung finden. Sie beschreiben eine Situation mittels

Beobachtungen, können aber manchmal subjektiv genannt werden. Bei diesen

Untersuchungen steht die Herangehensweise mehr im Vordergrund, im Gegensatz zu

quantitativen Forschungen, bei denen die Ergebnisse am wichtigsten sind, weil es sich um

objektive Fakten handelt. Diese Ergebnisse können auch verwendet werden, um in anderen

Fällen Aussagen zu machen; sie können verallgemeinert werden. Das größere Ausmaß der

quantitativen Forschungen sorgt für eine größere Repräsentativität, aber auch für weniger

Tiefgang als eine qualitative Forschung. Wenn man diese Merkmale im Hinterkopf hat, ist es

doch schwierig, die Diskursanalyse als quantitativ zu betrachten. Die Diskursanalyse

versucht, eine Entwicklung zu einem bestimmten Thema aufzudecken, und sucht also eher

nach Antworten auf die Fragen "warum" und "wie", als auf die Frage "wieviel".

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Die große Mehrheit der diskursanalytischen Studien sind also qualitativ. Die am meisten

verwendeten Vorgehensweisen der quantitativen Diskursanalyse sind die

Konversationsanalyse und die Kommunikationsethnographie. Die Konversationsanalyse

verwendet induktive Forschungsmethoden und ist auf der Suche nach wiederkehrenden

Mustern, ohne sich über die zugrundeliegenden Beweggründe oder Gedanken der Redner ein

Urteil anzumaßen. Diese Arbeit folgt der Vorgehensweise der Kommunikationsethnographie,

die Diskurs als Spiegelbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet und versucht, die

Grundsätze der Verhaltensweisen aufzudecken. Der Forscher hat die Möglichkeit, die

Ergebnisse mittels seiner eigenen Intuition zu interpretieren. Die Forschung enthält

umfassende Hintergrundinformationen zum bestimmten Thema, um allfällige kulturelle

Änderungen in größerem Rahmen betrachten zu können. Bei dieser Art Studien werden die

Forschungsergebnisse mit sozialen Themen verbunden. (Lazaraton 2002: 32-51)

Obwohl eine qualitative Fortschung im Bereich der Diskursanalyse viel üblicher ist, hat auch

diese Forschungsmethode also ihre Lücken. Deswegen wird diese Arbeit versuchen, den

pollitischen Diskurs sowohl aus einem qualitativen, als auch aus einem quantitativen

Blickwinkel zu betrachten.

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4. FORSCHUNGSERGEBNISSE

In diesem Kapitel werden die Analysen der politischen Reden chronologisch dargestellt, um

gegebenenfalls eine Entwicklung entdecken zu können. Die Reden sind als Anlagen (7.2) zu

dieser Arbeit hinzugefügt. Insgesamt wurden 50 Reden analysiert. In 4.1 wird besprochen,

welche theoretischen Konzepte aus dem dritten Kapitel konkret verwendet wurden, um die

politischen Reden qualitativ zu analysieren.

Im Unterkapitel 4.2 werden die Häufigkeitstabellen präsentiert, mit denen die Arbeit auch

neben den qualitativen Analysen auch eine quantitative Ebene bekommt. Dank der

Erkenntisse, die aus den qualitativen Analysen gewonnen wurden, werden die

zugrundeliegenden deontischen Bedeutungen der gewählten Wörter im richtigen

Zusammenhang betrachtet.

4.1. Qualitative Untersuchung

Zunächst wird überprüft, ob die Rede Arbeits-, Darstellungs- oder

Durchsetzungskommunikation enthält. Normalerweise werden die Reden eine Mischung aus

diesen Formen enthalten, weil die Botschaften, die der Bundespräsident übermitteln will,

immer einen zugrundeliegenden Beweggrund haben werden. Der Grund, aus dem politische

Reden gehalten werden, ist die Zuhörer einer Meinung oder Sichtweise zu überzeugen;

politische Reden haben also eine Appellfunktion. Die Appellfunktion geht aus der

Durchsetzungskommunikation der Rede hervor und kann als eines der wichtigsten Elemente

einer Rede betrachtet werden. Der Appell, den der Bundespräsident an seine Kollegen oder

an die Öffentlichkeit macht, ist eigentlich der Grund, aus dem er überhaupt die Rede hält.

In Bezug auf das verwendete Vokabular wird das Ideologievokabular an erster Stelle stehen.

Die Schlag-, Fahnen- und Stigmawörter werden die Verbindung zwischen dem qualitativen

und dem quantitativen Teil der Untersuchung herstellen. Es wird von ausschlaggebender

Bedeutung sein, die richtigen deontischen Nebenbedeutungen dieser Wörter herauszufinden,

um auf diese Weise die Häufigkeitstabelle des quantitativen Teils der Untersuchung mit den

richtigen Informationen ergänzen zu können.

Es wird auch überprüft, ob die Konversationsmaximen von Grice nicht verletzt wurden (siehe

Unterkapitel 3.4); in den Analysen dieser Arbeit wurde vor allem auf die konversationellen

Implikaturen der Reden geachtet. Solche Implikaturen gehen aus den zugrundeliegenden

Bedeutungen der Wörter des Ideologievokabulars hervor und bestimmen den eigentlichen

Appell der Rede.

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4.2. Quantitative Untersuchung

Nach den qualitativen Analysen wird eine Häufigkeitstabelle mit den Wörtern, die in den

Reden am meisten vorkamen, dargestellt. Es ist die Absicht, diese Wörter, dank des

qualitativen Teils der Forschung, aus dem richtigen Blickwinkel und im richtigen

Zusammenhang zu betrachten.

Der Grund, aus dem auch ein quantitativer Teil zu dieser Arbeit hinzugefügt wurde, ist, weil

anderenfalls die Forschung als subjektiv bezeichnet werden könnte. Es ist an manchen Stellen

ein persönliches Gefühl, ob ein bestimmtes Wort eine bestimmte Konnotation oder

deontische Nebenbedeutung hat, oder ob die Rede eine konversationelle Implikatur hat oder

nicht.

Aber, wenn die Forschung nur quantitativ gewesen wäre, hätten die Wörter in der

Häufigkeitstabelle gar keine Bedeutung, denn ohne eine tiefgründige Analyse könnte man

überhaupt keine Aussagen über deren Bedeutungen machen.

4.3. Qualitative Analysen politischer Reden

Die analysierten Reden finden Sie in den Anlagen (7.2). In diesem Teil werden die Analysen

selber dargestellt.

Rede 1: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich der 105. Jahrestagung der

American Chamber of Commerce (AmCham) (25. April 2008, Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers enthält eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation.

Der Hauptgedanke ist nicht nur die Wichtigkeit der deutsch-amerikanischen Beziehungen,

sondern auch die Notwendigkeit globaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Sein Appell ist

also die Förderung der globalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach dem Vorbild der

amerikanischen Handelskammer in Deutschland. Zu diesem Ziel verwendet er ein

Ideologievokabular mit vielen Fahnenworten, die sich auf Wirtschaft und Zusammenarbeit

beziehen.

Gleich zu Beginn der Rede versucht Köhler, die Beziehung zwischen Deutschland und den

Vereinigten Staaten in den Vordergrund zu stellen. Diese Beziehung geht weiter als eine

wirtschaftliche Zusammenarbeit, Deutschland und die USA sind auch politisch und kulturell

miteinander verbunden. Der Bundespräsident fängt mit einem Blick in die Vergangenheit an,

um die derzeitige wirtschaftliche Lage besser verstehen zu können. Köhler zieht mittels

Fahnen- und Stigmawörter einen Vergleich mit der Gründerzeit (1848-1871), die sowohl eine

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positive als auch eine negative deontische Nebenbedeutung bekommt. Diese Zeit hat für

"Fortschritte", "wachsende Kapitalmärkte", "Handelsverflechtungen" und "Wohlstand"

gesorgt; die Gründerzeit hat jedoch auch "Umweltverschmutzung", "Arbeitslosigkeit" und

"Armut" verursacht. Schon damals wurden die gesellschaftlichen Strukturen in hohem Maße

von den wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt, was heute mit der Finanzkrise auch der

Fall ist. "Engagement" heißt, die "Teilhabe" sicherzustellen, denn multilaterale Beziehungen

fördern "Vertrauen", ein zentrales Fahnenwort in einer Krisenzeit. Der "Wohlstand"

Deutschlands und der Vereinigten Staaten ist das Ergebnis der "Offenheit" der

Volkswirtschaften. Die Globalisierung bekommt trotz der Probleme der Finanzkrise eine

positive Nebenbedeutung dank des Fahnenwortes "Offenheit", das sich sehr beruhigend

anhört. Die Offenheit der Märkte wird die positiven Elemente der Globalisierung, darunter

Zusamenarbeit und gegenseitige Unterstützung, an die Oberfläche bringen. Im Gegensatz zu

dieser Offenheit ist die protektionistische Tendenz, die sich doch spürbar aufzeichnen lässt,

nicht die Lösung der Finanzkrise; "Protektionismus" und "Abschottung" sind also

Stigmawörter. Die schon erwähnte Offenheit soll auch "Fairness" enthalten. Wegen der

globalen Vernetzung liegt es im Interesse Deutschlands, mittels einer offenen Diskussion die

"Ungleichheit" zu bekämpfen. "Konkurrenz", "Wettbewerb" und "Produktivität" bleiben

jedoch Fahnenwörter, die den "Wohlstand" fördern, aber "Glaubwürdigkeit" und

"Verantwortung" sind auch Fahnenwörter, über die die führenden wirtschaftlichen

Großmächte verfügen sollen. "Handelspolitik" bekommt in diesem Bereich auch eine

negative Nebenbedeutung, weil sie oft als "Machtsinstrument" verwendet wird.

"Gegenseitigkeit" ist das Fahnenwort, das man im Hinterkopf haben sollte, denn der Beitrag,

den die Entwicklungsländer zur Weltwirtschaft leisten können, wird oft unterschätzt.

"Investitionsfreiheit" bekommt trotz der übermutigen Finanzrisiken, die zu der derzeitigen

Finanzkrise geführt haben, eine positive Nebenbedeutung; die "Kooperationsbereitschaft",

die Köhler mit Investitionsfreiheit verbindet, soll "Vertrauen" aufbauen. Am Ende der Rede

wendet sich Köhler an die Rolle, die die Vereinigten Staaten beim Wirtschaftswunder

gespielt haben. Auch nach dem Fall der Mauer waren es vor allem die Vereinigten Staaten,

die "Engagement" gezeigt haben und in die hochtechnologischen ostdeutschen Betriebe

investiert haben.

Die konversationelle Implikatur der Rede ist die Verantwortung der beiden Staaten, nicht nur

ihre zwischenstaatlichen Beziehungen zu fördern, sondern auch die Welt der richtigen

Vorgehensweise in Bezug auf Handelsbeziehungen bewusst zu machen. Köhler meint, dass

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Deutschland und die Vereinigten Staaten eine Vorbildfunktion haben, und, dass die Welt

eigentlich ihrem Vorbild folgen sollten.

Rede 2: Rede von Bundespräsident Horst Köhler beim Festakt zum Tag der Deutschen

Einheit (3. Oktober 2008, Horst Köhler)

Die Rede ist eine Mischung aus Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation. Köhler

gedenkt nicht nur der Wiedervereinigung, sondern blickt auch in die Zukunft. Das

Ideologievokabular enthält viele Wörter, die nicht in den anderen erforschten Reden

vorkommen, weil vor allem die deutsche Kultur(nation) im Mittelpunkt steht. Die

Appellfunktion der Rede bezieht sich auch vor allem auf die Werte und den Erhalt dieser

Werte der deutschen Kulturnation.

Die DDR bekommt mittels Fahnen- und Stigmawörtern sowohl eine positive als auch

negative deontische Nebenbedeutung. Die negative Nebenbedeutung bezieht sich auf das

Unrecht des SED-Regimes; die positive Nebenbedeutung bezieht sich auf den Mut, mit dem

die DDR-Bürger für "Einheit" gekämpft haben und "Glück", "Erfolge" und "Erfüllung"

erzielt haben. Die "Wende" bekommt aber nicht eine rein positive Nebenbedeutung, Köhler

macht sich einige Randbemerkungen. Er gesteht, dass man vielleicht nicht immer die

erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um den neuen Bundesländern auf die Sprünge zu

helfen. Trotz dieser Enttäuschungen lobt er die Bürger, er sagt, sie hätten viel erreicht. Die

Wende erforderte einen "Strukturwandel", der vor allem bei den Bürgern eine negative

Bedeutung hatte; es gab bei der Wende immerhin Verunsicherung, Arbeitslosigkeit und

Abwanderung. In Bezug auf die Wirtschaft sind "Kraft" und "Wettbewerb" die Fahnenwörter,

mittels deren die Arbeitslosigkeit im Osten bewältigt werden sollte. Auch der Begriff

"Wandel" wird vom Bundespräsidenten um einige Randbemerkungen ergänzt; ein Wandel

erfordert immer "Aufbauwillen", "Tatkraft" und "Engagement". Es bleibt aber von

ausschlaggebender Bedeutung, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Zum größten Teil der Rede widmet Köhler seine Aufmerksamkeit den Werten der deutschen

Kulturnation. "Kulturlosigkeit" ist ein Stigmawort, das verheerende Folgen haben kann:

Kulturelle Angebote erziehen die Bürger, um anderen Menschen und Kulturen mit Respekt

begegnen zu können. Es besteht immer die Gefahr der "Verblendung", aber die Deutschen

haben aus der Vergangenheit gelernt und zweifeln ein bisschen schneller. "Zweifel" bekommt

eine positive Nebenbedeutung, weil Zweifel sogar als "Ansporn" verwendet werden kann.

Ein zentraler Wert der Kulturnation ist das "Miteinander" unter den Deutschen. Köhler

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verbindet viele Fahnenwörter mit der Kulturnation: "Freundschaft", "Höflichkeit",

"Toleranz", "Achtung", "Achtsamkeit", "Anstand", "Engagement" und "Integration". Es

bedarf also keiner weiteren Erläuterung, dass Köhler großen Wert auf Kultur legt.

Im letzten Teil der Rede beschäftigt sich der Bundespräsident mit der Essenz der deutschen

Identität. Er versucht, mit Fahnenwörtern das Wesentliche der deutschen Identität zu

erfassen. Die "Lernfähigkeit" ermöglicht den Deutschen, sich auf eine rücksichtsvolle Weise

in der Welt umzuschauen und "Unterschiedlichkeit" eine positive Nebenbedeutung zu geben,

indem sie von anderen Kulturen und Nationen lernen können. Mit der deutschen "Vernunft"

und "Augenmaß" sollen die traditionellen abendländischen Werte sowie "Wohlstand",

"Demokratie" und "Recht" sichergestellt werden. Köhler ist sich auch der "Verantwortung"

Deutschlands bewusst; diese Verantwortung soll jedoch nicht als Fahnen-, sondern als

Stigmawort betrachtet werden. Die Welt ist im Umbruch, und für die europäischen Partner

einstehen ist in dieser Krisenzeit eine unumgängliche Realität. Am Ende der Rede listet er

noch einige Fahnenwörter auf, um sie nochmal ins Gedächtnis einzuprägen. Er sagt, die

Deutschen lieben "Freiheit" und "Selbstverantwortung", und im nächsten Satz wiederholt er

die Lösung: gemeinsames Engagement.

Die konversationelle Implikatur ist der Appell an die Bevölkerung, sowohl innerstaatlich die

deutschen Werte zu erhalten (und die Wichtigkeit der Kulturszene) als auch auf der

internationalen Ebene Deutschland nicht in den Hintergrund verschwinden zu lassen und die

Verantwortung zu übernehmen. Bescheidenheit ist nicht länger angesagt.

Rede 3: Rede von Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung des 4. Afrika-Forums (7.

November 2008, Horst Köhler)

Beim 4. Forum "Partnerschaft mit Afrika" verwendet Präsident Köhler

Arbeitskommunikation, weil es sich um ein Forum unter Politikern handelt. Der Gegensatz

zwischen Partnerschaft und Egoismus steht im Mittelpunkt und wird mit dem

Ideologievokabular weiter ausgearbeitet. Die Appellfunktion dieser Rede Köhlers ist also

klar: Wenn die Welt die derzeitigen Krisen überwinden will, soll es über Grenzen und

Kontinente hinweg Zusammenarbeit geben.

Köhler fängt mit einem deutschen Spruch an, um die Aufmersamkeit auf sich zu lenken und

die zentrale These seiner Rede einzuleiten: die globale Vernetzung, die Globalisierung.

"Verantwortung" ist das erste Schlagwort der Rede; obwohl es sich in den beiden

Kontinenten um eine unterschiedliche Verantwortung handelt, ist das Konzept in gleichem

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Maße wichtig. Das Fahnenwort "Klugheit" bekommt eine Nebenbedeutung: Nicht nur die

einzelne Klugheit, sondern (und vor allem) die gemeinsame kollektive Klugheit sollte aus

ihrer Unterschiedlichkeit erwachsen. "Unterschiedlichkeit" hat also eine positive

Nebenbedeutung und wird nicht als Stigmawort, sondern als Fahnenwort verwendet, weil es

die Absicht ist, voneinander lernen zu können.

Köhler verteidigt das derzeitige Wirtschaftssystem: Er warnt vor "Selbstbezogenheit" und

"Protektionismus". Im Gegensatz zu diesen Stigmawörtern erwähnt er ein Fahnenwort:

"Umdenken". Dieses "Umdenken" sei notwendig, um das wichtige Schlag- bzw. Fahnenwort

wiederherstellen zu können: "Vertrauen". "Verantwortung" bleibt aber im Mittelpunkt, und

wird auch im Kontext des Klimawandels erwähnt; die Zusammenarbeit tritt auch erneut in

den Vordergrund, "Kooperation" ist das Fahnenwort in diesem Bereich. Es gibt trotz der

Krisen in der Wirtschaft und Umwelt Optimismus. "Krise" bekommt eine besondere

deontische Nebenbedeutung und wird nicht als Stigmawort betrachtet. Die derzeitige Krise

sei von Menschen ausgelöst worden und könne deshalb auch von Menschen beseitigt werden.

Was braucht man zu diesem Ziel? "Vertrauen". Dieses zentrale Schlagwort wird mit einer

Metapher der Rohstoff der Rettung genannt. Das Wort "Krise" bekommt noch eine

zusätzliche positive Nebenbedeutung: Eine Krise sei auch eine Chance, aus den Fehlern der

Vergangenheit lernen zu können. "Bescheidenheit" und "Lernfähigkeit" sind die

Fahnenwörter, die diesem Ziel dienen. Im Kontext der Finanzkrise hat "Kapital" manchmal

einen negativen Beigeschmack, aber in dieser Rede wird mit einem Gegensatz bzw. einer

Metapher das "Umdenken" klargemacht: "Kapital" soll zum "Diener" und nicht länger zum

"Herrscher" der Menschen gemacht werden.

Eins der zwei zentralen Schlagworte, "Egoismus", bekommt am Ende der Rede auch eine

positive deontische Nebenbedeutung; das Wort wird mit der zum gegenwärtigen Zeitpunkt

wichtige Entwicklung der Vernetzung und Globalisierung verbunden. Auch diese Begriffe

bekommen mit einem Schlag eine positive Nebenbedeutung. Köhler sagt, Egoismus bedeute,

sich um den anderen zu kümmern. Die zwei zentralen Begriffe, "Partnerschaft" und

"Egoismus", die am Anfang als ein Gegensatz dargestellt wurden, werden am Ende der Rede

im positiven Sinne zusammengebracht. Die Globalisierung macht eine Partnerschaft

notwendig, alles ist in der Welt in hohem Maße miteinander vernetzt. Wenn wir also

egoistisch sind, und unsere Probleme lösen, wird das auch in anderen Teilen der Welt eine

positive Auswirkung haben. Dieses Umdenken ist sehr wichtig und wird mit der Metapher

einer Hürde verglichen: "Unverständnis" ist das, vor dem wir uns hüten sollen.

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Die konversationelle Implikatur wird in dieser Rede Schritt für Schritt klar. Wir müssen

zusammenarbeiten, aber auch aus eigener Kraft denken. Wir sind unterschiedlich, haben

unterschiedliche Probleme und Ziele, aber die Globalisierung hat dafür gesorgt, dass sogar

Egoismus auch eine positive Auswirkung haben kann.

Rede 4: Deutsche Sicherheitspolitik - Stärken, Schwächen, Aufgaben - Ansprache von

Bundespräsident Horst Köhler Ansprache beim Berliner Forum Sicherheitspolitik "Impulse

21" (27. November 2008, Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Er

gibt Einsicht in die Sicherheitspolitik Deutschlands; er listet sowohl die Stärken als auch die

Schwächen und Aufgaben der deutschen Sicherheitspolitik auf. Sein Appell ist also ziemlich

klar, das verwendete Ideologievokabular enthält hauptsächlich Fahnenwörter: Sogar im Teil

der "Schwächen" verwendet er kaum Stigmwörter, er listet die Werte auf, nach denen sie

streben sollten.

"Impulse 21" soll ein Forum für öffentliche Bewusstseinsbildung sein, um den Weg zu einer

erfolgreichen Sicherheitspolitik zu finden. Köhler beschreibt die Stärken der deutschen

Sicherheitspolitik mit Fahnenworten, die diese Politik jetzt schon kennzeichnen, und die

Schwächen mit Fahnenworten, nach denen sie streben sollen. Die erste Stärke ist die

"internationale Verantwortung", obwohl niemand den Deutschen hätte vorwerfen können,

wenn sie sich nach der Wiedervereinigung auf die inländischen Probleme konzentriert hätten.

Deutschland verhält sich "partnerschaftlich" und fördert "Zusammenarbeit" bei der

Europäischen Union und bei den Vereinten Nationen. Die deutsche Sicherheitspolitik sei

"kooperativ" und "zivil", basiere auf der "Verankerung in Werte-Allianzen". Sie haben aus

den Fehlern der Vergangenheit gelernt, um "Vertrauen" und "Achtung" wieder erwerben zu

können.

Den Schwächen der deutschen Sicherheitspolitik schenkt Köhler genauso viel

Aufmerksamkeit. Die deutsche Armee ist eine Armee im Einsatz, was vom Präsidenten auch

befürwortet wird, aber diese Art der Armee soll bei den Bürgern klarer definiert werden; die

Armee braucht auch mehr "Unterstützung von der deutschen Bevölkerung, "Desinteresse" ist

ein Begriff, der beseitigt werden sollte. Die deutsche Armee steht für "Bundnistreue", aber

die Bürger verlangen präsizere Argumente, mit denen Auslandseinsätze begründet werden

sollen; sie brauchen mehr "Selbstpräferenz" und "Normalisierung", damit Deutschland sich

nicht in Angelegenheiten einmischt, die kein klares Ziel haben und bei denen es schwierig zu

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beurteilen wäre, wenn man über Erfolg oder Scheitern sprechen kann. Die Bürger sollen

mehr "Akzeptanz" zeigen, denn diese Akzeptanz ist für das militärische "Engagement" von

ausschlaggebender Bedeutung.

Den Aufgaben Deutschlands im Bereich der Sicherheitspolitik widmet Köhler viel

Aufmerksamkeit. Die Bürger brauchen "politische Bildung"; die Soldaten verdienen

"Aufmerksamkeit", "Solidarität" und "Dankbarkeit". Darauf wechselt er das Thema und

verwendet die Finanzkrise als Beispiel, um zu zeigen, dass eine "kooperative Weltordnung"

die Antwort ist. Die Krise bekommt eine positive Nebenbedeutung, sie könne als eine

"Chance" betrachtet werden, der NATO zu ermöglichen, die Kooperationsbereitschaft weiter

zu entwickeln. Obwohl das Fahnenwort "Kooperation" zu den Stärken der deutschen

Sicherheitspolitik gehört, gehört es auch zu den Aufgaben, weil die globale Vernetzung eine

immer weitergehende Kooperation erfordert. "Frieden" und "Sicherheit" sind natürlich auch

wichtige Fahnenwörter, aber sie werden nicht über mehr Rüstung erreicht werden;

"Abrüstung" ist also auch ein Fahnenwort bzw. eine Aufgabe. Am Ende der Rede wendet

sich der Bundespräsident an die Zuhörer beim Berliner Forum "Impulse 21"; zum Schluss

werden noch einige Fahnenwörter aufgelistet, sie brauchen in diesem Bereich "Einsicht",

"Willenskraft", "Vermittlung", "Einsatz", "Überzeugungskraft" und "Engagement".

Die konversationelle Implikatur wird an manchen Stellen eigentlich ziemlich buchstäblich in

Worte gefasst; die Botschaft ist also nicht nur zwischen den Zeilen zu lesen. Die deutschen

Bürger sollten der schweren Arbeit der Soldaten würdigen und der internationalen

Kooperation mehr Unterstützung bieten.

Rede 5: Weihnachtsansprache 2008 von Bundespräsident Horst Köhler (25. Dezember 2008,

Horst Köhler)

In dieser Weihnachtsrede wendet sich Köhler an die Öffentlichkeit und verwendet also

Darstellungskommunikation. Es gibt aber auch Elemente der Durchsetzungskommunikation,

weil er diese Gelegenheit benutzen will, um einige Ansichten zu verbreiten. Sein Appell an

die Öffentlichkeit wird dank seines Ideologievokabulars klar und hat wegen des Moments, in

dem die Rede gehalten wurde, einen persönlichen Geschmack.

Köhler fängt mit der Metapher des Lichts an, das die Welt bei der Geburt des Christkindes

erhellt. Die Welt brauche jetzt etwas Ähnliches, um der Finanzkrise die Stirn zu bieten.

"Angst" ist das Stigmawort, Angst um das Ersparte. Köhler versucht, die Bürger zu

beruhigen; er listet die Gründe auf, aus denen die Bürger keine Angst haben sollten. Sie

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haben die richtigen Reformen durchgeführt, und die Betriebe arbeiten besser zusammen. Das

"Miteinander" ist das Fahnenwort, das die Verbundenheit in den Vordergrund stellt. "Mut" ist

das nächste Fahnenwort: die Unternehmer sollen die Krise als eine Chance betrachten, neue

Ideen auszuarbeiten. "Krise" bekommt also auch eine positive deontische Nebenbedeutung

und ist also kein Stigmawort.

Am Ende der Rede gibt es eine Auflistung bekannter Fahnenwörter: "Zusammenarbeit",

"Ordnung", "Verantwortung", "Rechenschaft", "das Gemeinwohl", "Anstand",

"Bescheidenheit", "Maß" und "Vertrauen". Sie laufen eigentlich auf eins hinaus: Das

Vertrauen der Bürger soll mittels Zusammenarbeit und einer neuen bescheideneren

Wirtschaftspolitik wiederhergestellt werden.

Die konversationelle Implikatur wird also am Ende der Rede ziemlich klar. Die Bürger

sollten die Hoffnung auf zukünftige Prosperität nicht aufgeben, Deutschland sei auf dem Weg

zu einer stabilen Wirtschaft, in der weniger Risiken eingegangen werden und auf eine klügere

Weise mit Geld umgegangen wird.

Rede 6: Antwort auf die Krise: Eine neue, kooperative Weltpolitik - Ansprache des

Bundespräsidenten beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps (15. Januar 2009,

Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers enthält eine umfassende Erörterung seiner Ansichten in Bezug auf die

Finanzkrise und die damit verbundenen globalen Herausforderungen. Die Rede ist eine

Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation, er skizziert nicht nur die

derzeitige Lage, er vermittelt auch seine Meinung mit einem umfangreichen

Ideologievokabular.

Köhler schaut am Anfang zurück in die Vergangenheit, Deutschland hat in der

Nachkriegszeit schwere Probleme beseitigen müssen, um die Demokratie zu bilden, die

heutzutage besteht. "Demokratie" wird mit den wichtigsten Elementen des herrschenden

Wirtschaftssystems verbunden: "Freiheit und Wettbewerb". Gleich am Anfang wird mit

Fahnenwörtern klargemacht, dass er nicht die Elemente der sozialen Marktwirtschaft in Frage

stellen wird. Er betont, dass Deutschland über die Jahre hinweg immer mehr

"Verantwortung" in internationalen Angelegenheiten übernommen hat; "Verantwortung"

wird auch in dieser Krise ein wichtiges Fahnenwort sein. Gleich im nächsten Satz betont er

aber, dass Deutschland nicht alleine diese Verantwortung übernehmen sollte; in diesem

Abschnitt spricht er ständig über eine Partnerschaft und europäische Integration. Das "wir"

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wird in den Vordergrund gestellt, sie sollen "gemeinsam" die Krise bekämpfen: Die

Finanzkrise sei eine "Weltrezession", und deswegen solle nicht nur Europa, sondern die

ganze Welt "gemeinsam" versuchen, die Krise in den Griff zu bekommen. Wenn sie diesen

gemeinsamen Willen finden können, werden sie das Fahnenwort und Ziel erreichen:

"Stabilisierung". Deutschland hat sich mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz schon

bemüht, aber die Beseitigung der Finanzkrise wird weltweite Anstrengungen benötigen.

Köhler will auch die Entwicklungs- und Schwellenländer in diese Anstrengungen

einbeziehen, weil die Welt wegen der Globalisierung stärker miteinander verflochten ist als je

zuvor.

Sie sollen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen; in dieser Hinsicht werden zwei

Stigmawörter erwähnt: "Protektionismus" und "Selbstbezogenheit". Schon im nächsten Satz

gibt es eine Umschaltung zu einer positiven Aussage; die Krise sei eine Chance, das Wort

wird also nicht als Stigmawort verwendet und bekommt sogar eine positive deontische

Nebenbedeutung. Es sei eine Chance, mittels einer weltweiten Zusammenarbeit eine bessere

Globalisierung zu gestalten. "Globalisierung" wird also nicht als Fahnenwort verwendet und

bekommt sogar eine negative Nebenbedeutung. Am Anfang der Rede wurde die Wichtigkeit

der "Freiheit" im Wirtschaftssystem betont, das Wort "Ordnungsrahmen" bekommt aber eine

positive Nebenbedeutung und man kann es als Fahnenwort betrachten. Sogar das Wort

"Wächter" ist in dieser Rede ein Fahnenwort, weil auf diese Weise die Stabilität sichergestellt

werden könne.

Immer wieder wird die Zusammenarbeit betont, das Wort wird in einem Satz zusammen mit

dem Protektionismus verwendet, um diesen Gegensatz zwischen Fahn- und Stigmawort

glasklar zu machen. Es soll eine Umsteuerung geben, "Dauerhaftigkeit", "Wettbewerb" und

"Profitabilität" sind die Fahnenwörter, mit denen die Krise bewältigt werden kann. Diese

Kombination erfordert natürlich ein neues Denken. Am Ende der Rede gibt Köhler mittels

einer Auflistung der wichtigsten Schlag- bzw. Fahnenwörter eine Art Zusamenfassung seiner

Ansichten. "Sicherheit", "Wohlstand" und "Stabilität" können dank Zusammenarbeit erzielt

werden. Sogar "Egoismus" bekommt wegen der Globalisierung eine positive deontische

Nebenbedeutung. Eigentlich gibt es keinen Egoismus im herkömmlichen Sinne des Wortes

mehr. Sowohl positive als auch negative innenstaatliche Manahmen gehen auf den Rest der

Welt über. Es gibt also eine Art positiven Egoismus, der eigentlich auch eine Art

"Zusammenarbeit" ist. Ganz am Ende wird das Schlagwort der Rede nochmal ins Gedächtnis

eingeprägt: die "kooperative Weltpolitik" ist der Weg aus der Finanzkrise.

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Das Ideologievokabular Köhlers ist sehr klar und verständlich, er wiederholt seine

wichtigsten Standpunkte an mehreren Stellen. Doch gibt es eine konversationelle Implikatur:

Er schaut zurück in die Vergangenheit, und vor allem auf den Erfolg Deutschlands nach dem

Fall der Berliner Mauer. Die Schlagwörter gehören implizit zu den "Qualitäten"

Deutschlands; obwohl Köhler eine kooperative Weltpolitik befürwortet, kann man doch

zwischen den Zeilen lesen, dass die Wirtschaftspolitik Deutschlands als Richtlinie betrachtet

werden soll.

Rede 7: Bundespräsident Horst Köhler über Deutschlands Aufgaben in der Finanzkrise, Bild-

Zeitung vom 22.01.2009 (22. Januar 2009, Horst Köhler)

In dieser Rede handelt es sich vor allem um Durchsetzungskommunikation, Köhler verteidigt

seine Ideale; er versucht, seine Zuhörer zu überzeugen, dass er weiß, wie man die Finanzkrise

bewältigen kann. Die Appellfunktion der Rede ist also klar: Er weiß den Weg, dem man

folgen sollte.

Das Ideologievokabular verbindet viele Fahnenwörter mit dem zentralen Schlagwort:

Marktwirtschaft. "Reform" wird betont, man soll einen neuen Weg einschlagen; Köhler ist

auch sehr positiv: "Krise" ist in dieser Rede kein Stigmawort, sondern eine "Chance".

Obwohl der Kapitalismus einen Beitrag zum Entstehen der Krise geleistet hat, ist das auch

kein Stigmawort: Man sollte dem Kapitalismus nicht abschwören, nur besser unter Kontrolle

halten; es wird also mit dem Fahnenwort "Reform" verbunden. Schon im nächsten Sazt

spricht er über "Freiheit und Marktwirtschaft": Diese zwei Begriffe stärken die positive

deontische Nebenbedeutung des Terminus "Kapitalismus". Das einzige Stigmawort dieser

Rede, "Armut", steht also in krassem Kontrast zu diesen Fahnworten. Köhler macht sogar

"Egoismus" zu einem Fahnenwort, weil es in unserem eigenen Interesse liegt, einander zu

helfen (mittels der Prinzipien der Marktwirtschaft). Um dieser Ansicht am Ende zusätzlichen

Nachdruck zu verleihen, werden einige Fahnenwörter, die oft mit Marktwirtschaft verbunden

werden, aufgelistet: "Solidarität", "Verantwortung" und "Wettbewerb". Keiner dieser

Begriffe wird mit einer negativen deontischen Nebenbedeutung ausgestattet.

Die konversationelle Implikatur dieser Rede ist die Tatsache, dass es keinen goldenen

Mittelweg gäbe: Das herrschende System des Kapitalismus und Marktwirtschaft braucht

vielleicht einige Reformen, soll aber nicht zur Seite geschoben werden.

Rede 8: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Verleihung des Verdienstordens

der Bundesrepublik Deutschland (22. Juni 2009, Horst Köhler)

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Diese Rede enthält sowohl Darstellungs- als auch Durchsetzungskommunikation. Er lobt die

humanitären Anstrengungen der Deutschen, will jedoch den Rest der Welt anspornen,

dasselbe zu machen. Zu diesem Ziel verwendet er ein umfassendes Ideologievokabular mit

vielen Fahnenwörtern.

Köhler spricht nicht mehr über einen "Dritte-Welt-Laden", sondern über einen "Eine-Welt-

Laden". Er macht damit die weltweite Zusammenarbeit zum Schlagwort der Rede, das mit

vielen Fahnenworten ausgestattet wird. Mit einem Gegensatz von Fahnen- und Stigmawort

erklärt er die Position der Entwicklungsländer in der derzeitigen Welt, sie seien "Partner" und

also nicht nur "Hilfeempfänger". Die ökologischen und sozialen Probleme sind wegen der

Globalisierung globalen Ausmaßes; der Welthandel braucht "Gerechtigkeit". Ab der

Metapher der staatlichen Programme und privaten Initiativen als Bausteine auf dem Weg zu

einer guten Entwicklung listet Köhler die wichtigsten Fahnenwörter der Reihe nach auf. An

dieser Stelle der Rede lässt sich der Appell Köhlers erkennen. "Bürgerschaftliches

Engagement", "Zusammenarbeit", "Verantwortung", "Partnerschaft", "Völkerverständigung",

"Verständnis"...sind die notwendigen Elemente der guten Entwicklung.

Am Ende der Rede betont er das Engagement der Deutschen im Bereich der Humanität: Sie

spenden Milliarden für gemeinnützige Zwecke, die Hilfsbereitschaft der Deutschen sei sehr

groß. Er fasst diese Hilfsbereitschaft in drei Fahnenwörter zusammen: "Solidarität",

"Verbundenheit" und "Mitmenschlichkeit". Erst an dieser Stelle äußert er sich über die

Finanzkrise; wir sollten uns in diesen schwierigen Zeiten nicht nur mit unseren eigenen

Problemen beschäftigen. "Egoismus" ist also ein impliziertes Stigmawort, im Gegensatz zu

den Fahnenworten, die mit "Zusammenarbeit" zu tun hatten. "Gerechtigkeit" ist Schlagwort

und wird "Wohlstand" und "Frieden" in den Industrieländern ermöglichen.

Die konversationelle Implikatur der Rede ist die Vorbildfunktion, die den Deutschen

zugeschrieben wird. Sie sind das Leitbild, dem der Rest der Welt folgen sollte.

Rede 9: Rede von Bundespräsident Horst Köhler bei den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag

der Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze (27. Juni 2009, Horst Köhler)

Diese Rede ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Zu diesem

Zeitpunkt war es 20 Jahre her, dass die ungarisch-österreichische Grenz geöffnet wurde; der

Beitrag, den Ungarn mit diesem ersten Schritt der Demokratie für Mittel- und Osteuropa

geleistet hat, darf nie vergessen werden. Das Ideologievokabular Köhlers dient zur

Glorifizierung der Werte und des Muts dieser Nation. Die Rede hat auch eine klare

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Appellfunktion: Die Art und Weise, auf die die Ungarn damals die Krise beseitigt hat und

einen Wandel erzielt hat, brauchen wir auch heutzutage.

Köhler dankt dem ungarischen Volk für seinen "Mut" (das wichtigste Fahnenwort der Rede)

und seine "Solidarität". Sie haben nie aufgegeben, auch nicht wenn Revolutionen in den

fünfziger Jahren mit sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurden. Die "Panzer" sind auch

eine Art Metapher für alle Maßnahmen, die die UdSSR ergriffen hat, um den

"Freiheitswillen" der Bürger zu zerstören. Dieser Freiheitswille bekommt noch eine

zusätzliche deontische Nebenbedeutung: Dieser "Geist der Freiheit" sei auch der "Geist

Europas". Die europäischen Werte werden also mit Freiheit gleichgesetzt und werden um

zusätzliche Fahnenwörter wie "Slebstbestimmung" und Miteinander" ergänzt. Es ist an dieser

Stelle schon klar, dass Köhler betonen will, dass wir auch jetzt gemeinsam für Europa

kämpfen müssen.

Die Notwendigkeit der Fahnenwörter, mit denen Köhler die Ungarn der achtziger Jahre

bejubelt, wird klar, wenn Köhler mit seiner Glorifizierung aufhört, um die Finanzkrise zu

besprechen. "Mut", "Klugheit" und "Verantwortung" waren damals die Zutaten des

demokratischen Wandels, die den ersten Schritt zur deutschen Wiedervereinigung

bedeuteten. An dieser Stelle fängt Köhler damit an, Deutschland in den Vordergrund zu

stellen. Er sagt, die deutsche Wiedervereinigung sei Teil der Einung Europas; Deutschland

habe sich dafür eingesetzt, Ungarn und die anderen Staaten Mittel- und Osteuropas in die

Europäische Union zu integrieren. Die beiden Länder haben sich also gegenseitig Hilfe

geleistet. Das Fahnenwort heißt also "Partner".

Wenn Köhler über die Finanzkrise erötert, übt er eigentlich Kritik an den Mitgliedstaaten der

Europäischen Union. Die Krise hat aufgedeckt, dass sie nicht aus den Fehlern der

Vergangenheit gelernt haben. "Bequemlichkeit" und "Unterlassung" sind die Stigmaworte,

die den Fahnenworten des letzten Abschnitts gegenübergestellt werden. Es soll

"Eigenanstrengung" geben, aber immer in Kombination mit einem "Gemeinschaftsgeist". Die

Union wird mit Fahnenwörtern wie "Freiheit" und "Recht" gleichgesetzt. Köhler listet

anschließend einige Gegensätze zwischen Fahnen- und Stigmawörter auf: Die Union steht für

"Mündigkeit" statt "Bevormundung", "Selbstverantwortung" statt "Gängelei" und

"Solidarität" statt "Egoismus". Auch "Vielfalt" bekommt eine positive deontische

Nebenbedeutung und soll zum Vorteil gereichen; dies sollten wir aus der Vergangenheit

gelernt haben. Europa stehe für "Leistungsfähigkeit", "sozialen Ausgleich" und

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"Transparenz", aber Europa ist nur der erste Schritt: Wir bedürfen einer "kooperativen

Weltpolitik".

Die letzten europäischen Wahlen haben jedoch gezeigt, dass dieses Ziel zur Zeit alles andere

als erreicht wurde. Am Ende der Rede sagt Köhler noch dazu, dass ihre Partner wegen der

Freiheitsbewegung am Ende der achtziger Jahre eine Anstrengung schuldig sind. Das

vorletzte Wort der Rede ist nicht aus reinem Zufall "gemeinsam".

Die konversationelle Implikatur der Rede ist die Tatsache, dass Köhler sowohl die

Freiheitsbewegung am Ende der achtziger Jahre glorifiziert als auch Kritik an den Europäern

übt, weil sie nicht aus dieser Bewegung gelernt haben. Europa steht für die Werte, für die

damals gekämpft wurde.

Rede 10: Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler bei der Festveranstaltung "60 Jahre

DGB" (5. Oktober 2009, Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers enthält sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Er dankt

den Gewerkschaften für ihre geleistete Arbeit während der vergangenen 60 Jahre und fügt

jedoch seine Ratschläge für eine erfolgreiche Zukunft hinzu. Köhler verwendet ein klares

Ideologievokabular mit Fahnenwörtern, die beschreiben, auf welche Weise die derzeitigen

und zukünftigen Probleme beseitigt werden können. Die Rede hat also auch eine klare

Appellfunktion.

Das "Gemeinwohl" wird ab dem Anfang der Rede zum zentralen Fahnenwort gemacht. Wir

sollten uns nicht darauf verlassen, dass die Finanzakteure immer im Interesse des

Gemeinwohls handeln; die soziale Marktwirtschaft braucht eine "Ordnungspolitik". Trotz der

Finanzkrise bleibt die soziale Marktwirtschaft also die Wirtschaftsform, die am besten

unseren Werten gemäß ist, aber Anpassungen sind notwendig. Die Ordnungspolitik, von der

die Rede ist, bekommt eine positive deontische Nebenbedeutung; sie wird nicht als eine

Bedrohung oder Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit, sondern als eine unverzichtbare

Sicherheitsmaßnahme betrachtet. In der Vergangenheit bekam der "Staat" als Schlagwort im

wirtschaftlichen Sinne eine negative Nebenbedeutung, weil uneingeschränkte Freiheit immer

an erster Stelle stehen sollte. Die Finanzkrise hat aber gezeigt, dass diese Politik der

Gegenwart nicht gemäß ist, und dass staatliche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die

Freiheit der Bürger in verschiedenen Bereichen zu sichern. Um das Gemeinwohl in den

Mittelpunkt zu stellen, braucht man drei Faktoren bzw. Fahnenwörter: "soziale Teilhabe",

"kooperatives Klima" und "Mitbestimmung". Diese Faktoren laufen eigentlich auf eins

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hinaus: Zusammenarbeit ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen wirtschaftlichen

Wiederaufstieg. Mitsprache ist der betrieblichen Konkurrenzfähigkeit nicht abträglich,

sondern eine Art Reform; auch ein Wort, das so bald wie möglich eine positivere

Konnotation braucht. Eines der Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft ist die Fähigkeit,

immer neue Ideen ins System zu integrieren. Mitbestimmung, und also eine bessere

Beziehung zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, wird auch das "Vertrauen"

steigern, was in allen Bereichen, aber ganz gewiss in der Wirtschaft ein Fahnenwort ist.

Intransparente Derivatgeschäfte und Spekulation haben die Krise ausgelöst; Köhler nennt

diese Ursachen, mittels einer Metapher, ein "Monster". Er gibt dem Begriff "Hoffnung" eine

negative Nebenbedeutung, weil wir nicht länger auf Besserung hoffen sollen; Wachstum wird

die Krise nicht unter den Teppich kehren. Man sollte sich die Hände reichen und Reformen

durchführen. Mittels einer Reform soll eine "Transformation" erzielt werden, die mit einigen

wichtigen Fahnenworten aufgebaut werden soll: "Zusammenarbeit", "Gleichgewicht",

"Achtsamkeit" und "Solidarität".

"Umweltschutz" soll auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, nicht länger als

"Kost" oder "Einschränkung", sondern als Chance gesehen werden, um dank der

Umwelttechnik Arbeitsplätze zu schaffen. Die Umwelt retten soll also nicht mit

Wohlstandsverlust gleichgesetzt werden. Im Gegensatz zu diesem Begriff, der eine positivere

Konnotation haben soll, ist "Konsum" nicht das Fahnenwort, nach dem man streben soll. Die

Umwelt und die Nachhaltigkeit der Wirtschaft sind nur einige Beispiele von Faktoren, die

neben Konsum die Lebensqualität bestimmen; dies wird das "Sozialprodukt" genannt. Die

Gewerkschaften haben eine "Mitverantwortung", ihr "Engagement" ist gefragt, um die

Wirtschaft vor "Missständen" und "Widerständen" zu schützen. Zwischen Arbeitgebern und

Gewerkschaften bleibt das Fahnenwort "Vertrauen" sehr wichtig; ohne Vertrauen wäre der

Strukturwandel schon längst in die Brüche gegangen.

Am Ende der Rede werden noch einige Fahnenwörter aufgelistet, die für die Arbeitnehmer in

diesen schwierigen Zeiten sehr wichtig sind; "Neugier" und "Wandlungs- und

Innovationsfähigkeit" sind notwendig, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu

sein. Die "Sozialpartnerschaft", die in Deutschland bisher sehr gut funktioniert, sorgt dafür,

dass es im derzeitigen Wandel auch immer "Dialog" und "Solidarität" geben wird.

Die konversationelle Implikatur geht aus der Tatsache hervor, dass Köhler immer wieder den

Wandel der Gesellschaft betont. Die Wirtschaft wird sich anpassen; uneingeschränkte

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Freiheit mit privaten Gewinnen und mit Schulden, die ohne Verantwortung von der

Gesellschaft übernommen werden, gehört zu der Vergangenheit. Diese Lage wird auch von

den Gewerkschaften Flexibilität erfordern.

Rede 11: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler beim Empfang für die Teilnehmer des

Stiftertags des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (21. Oktober 2009, Horst

Köhler)

Köhler verwendet in dieser Rede eine Mischung aus Arbeits- und

Durchsetzungskommunikation. Die Rede hat eine große Appellfunktion: Er benutzt das

Ideologievokabular, um seine Ansichten klarzumachen.

Köhler fängt mit der Metapher einer Spritze an. Einige Stiftungen haben sich während der

Finanzkrise mittels "Kapitalspritzen" retten können, aber die Krise hat doch dafür gesorgt,

dass man beim Investieren doch vorsichtiger geworden ist. "Zurückhaltung" ist das

verwendete Stigmawort, um diese Haltung zu beschreiben. "Engagement" ist das zentrale

Schlag- bzw. Fahnenwort, mit dem also ein Gegensatz hergestellt wird. Dieser Begriff wird

auch mit zusätzlichen Fahnenwörtern verbunden sowie "Willen" und "Kraft"; starke Worte,

die die Zuhörer begeistern sollen. "Zusammenarbeit" und "Kooperation" sind die nächsten

wichtigen Schlagwörter; auch in diesem Bereich spricht Köhler über "Schlagkraft". Am Ende

der Rede wird das offensichtliche Schlagwort "Kraft" nochmal wiederholt, in der Form einer

Metapher. Er dankt den Menschen, die eine Stiftung mit ihrem eigenen Vermögen gegründet

haben; sie haben eine "Kraftquelle" geschaffen, die der Wirtschaft helfen kann, um die Krise

in den Griff zu bekommen.

Die konversationelle Implikatur dieser Rede ist die Abneigung Köhlers gegen die vorsichtige

Haltung nach dem Anfang der Krise. Um die Krise bewältigen zu können, braucht die

Wirtschaft Unternehmersgeister, die bei den anwesenden Stiftern seiner Meinung nach

anwesend sind. Mit der Wiederholung der Wörter "Kraft" und "Engagement" betont Köhler,

dass sie nicht nachgeben sollten und nicht damit aufhören dürfen, wichtige Nachforschungen

anzustellen.

Rede 12: Dank an die zweite Große Koalition - Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler

bei der Aushändigung der Entlassungsurkunden an die Bundesregierung (27. Oktober 2009,

Horst Köhler)

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Bei dieser Abschiedsrede Köhlers handelt es sich nur um Arbeidskommunikation mit der

Bundesregierung. Am Ende seiner Amtsperiode hat diese Rede nicht zum Ziel, seine

Meinung über finanzpolitische Sachen durchzusetzen; er will nur betonen, was die Politiker

im Hinterkopf behalten müssen, um die Krise weiterhin zu bewältigen. Sein Appell besteht

also nur aus der Tatsache, dass sie nachgeben dürfen, sie sollen durchhalten und den Mut

weiter aufbringen.

Das Ideologievokabular Köhlers ist ziemlich geradeaus, man kann die verwendeten Begriffe

kaum auf eine andere Weise interpretieren; Mut ist das wichtigste Schlagwort, das mit

zusätzlichen Fahnenwörtern wie "Vernunft" und "Kompromissbereitschaft" verbunden wird.

Köhler glaubt, dass die Politiker während seiner Amtszeit bewiesen haben, dass sie nicht dem

traditionellen Bild des ehrgeizigen Politikers entsprechen. Für diese Behauptung verwendet

er die Stigmawörter "Macht", "Eitelkeit" und "persönliche Profilierung". Nur das Wort

"Macht" bekommt eine deontische Nebenbedeutung, die nicht auf der Hand liegt. Das Wort

wird auch als Fahnenwort verwendet, aber nicht in diesem Fall.

Die konversationelle Implikatur der Rede ist der Glaube Köhlers an die Fortsetzung der

damaligen politischen Vorgehensweise.

Rede 13: Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler beim Empfang zur Feier des 20.

Jahrestags des Mauerfalls (9. November 2009, Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers ist eine Mischung aus Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation.

Natürlich blickt er zur Feier des 20. Jahrestags des Mauerfalls zurück in die Vergangenheit,

aber er verbindet diesen Rückblick mit einem Appell und Richtlinien für die Zukunft

Deutschlands und Europas. Das Ideologievokabular bezieht sich vor allem auf Werte, die

beim Mauerfall vor allem für die damalige DDR von großer Bedeutung waren, aber

heutzutage nicht in den Hintergrund verschwinden dürfen.

Köhler fängt mit einem Gegensatz zwischen einem Fahnen- und Stigmawort an. Die Mauer

symbolisierte "Furcht", und stattdessen erforderte der Fall der Mauer "Mut" und

"Beharrlichkeit". Der Mauerfall führte zu einer "Epochenwende", dem Schlagwort dieser

Rede, die wiederum zu wichtigen Fahnenwörtern wie "Demokratie" und "Freiheit" geführt

haben. Die Fahnenwörter "Sicherheit" und "Wohlstand", die dank des Mauerfalls erreicht

wurden, bekommen jedoch eine zusätzliche deontische Nebenbedeutung: Sie beinhalten eine

"Verpflichtung" und eine "Verantwortung" für die Europäer in der Welt. Denn, obwohl die

Epochenwende notwendig war, haben sich nicht alle Hoffnungen erfüllt, viele Probleme sind

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auf der internationalen Ebene noch nicht beseitigt worden. Es gibt noch immer "Armut",

"Hunger" und "Unterentwicklung". In Bezug auf die Finanzkrise will Köhler die Wörter

"Geld" und "Kapital" nicht als Stigmawörter verwenden; er will diesen Wörtern wieder eine

positive Nebenbedeutung geben. Sie sollten eine "dienende Rolle" in der Gesellschaft

spielen. Am Ende der Rede wird sein Appell an die Politiker und an die Öffentlichkeit mittels

eines Gegensatzes zwischen einem Fahnen- und Stigmawort nochmal in den Vordergrund

gestellt: Das "Gegeneinander" von Gesellschaftssystemen sollte zugunsten einer

"kooperativen Weltpolitik" in den Hintergrund verschwinden.

Die konversationelle Implikatur der Rede ist der Appell Köhlers, die Notwendigkeit einer

kooperativen Weltpolitik einzusehen. Zu diesem Ziel versucht er, Ähnlichkeiten mit der

friedlichen Revolution zu finden. Die Deutschen waren damals in der Lage, eine

Epochenwende zu erzielen, und deswegen haben sie (zusammen mit den anderen Staaten

Europas) die Verantwortung, auch in den gegenwärtigen Krisen einen großen Beitrag zu

leisten.

Rede 14: Tischrede von Bundespräsident Horst Köhler beim Staatsbankett zu Ehren des

Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien, Herrn Luiz Inácio Lula da Silva (3.

Dezember 2009, Horst Köhler)

Diese Rede von Bundespräsident Köhler beim Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten

Brasiliens enthält Arbeitskommunikation, die die Zusammenarbeit der beiden Länder in den

Vordergrund stellen sollte. Der einzige Appell der Rede ist, dass man auf die bisherige Weise

die Zusammenarbeit weitermachen soll. Das Ideologievokabular Köhlers ist in dieser Rede

ziemlich einseitig, was bei der Analyse der Schlagwörter klar wird; dies führt auch dazu, dass

die verwendeten Wörter keine überraschenden Nebenbedeutungen bekommen.

Das zentrale Schlag- bzw. Fahnenwort der Rede ist "Verantwortung"; Köhler wiederholt

diesen Begriff Mal um Mal, denn ohne Verantwortung ist "Stabilität" unmöglich. Im ersten

Teil der Rede steht der Kampf gegen den Klimawandel an erster Stelle. Köhler verwendet

eine Metapher, um die Erhaltung der Regenwälder zu symbolisieren: Sie seien die "Lungen

unseres Planeten". In Bezug auf die Finanzkrise wird das zentrale Schlagwort mit

zusätzlichen Fahnenworten gestärkt: "Transparenz, Sicherheit und Wohlstand" sind die

Leitbegriffe. Die Transparenz soll die "Glaubwürdigkeit" steigern und Ordnung in der

Globalisierung schaffen. Köhler bejubelt die brasilianische Politik; "Stärke" und "Solidität"

werden zu Fahnenworten.

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Die konversationelle Implikatur ist ein bisschen Kritik, die Köhler nicht an seinen Zuhörern

übte wollte, weil er den Fortbestand der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und

Brasilien sichern wollte. Köhler will seine brasilianischen Zuhörer dessen bewusst machen,

das sie ein Gleichgewicht zwischen Entwicklung und Erhaltung finden sollten. Sie gehen die

Krise ziemlich erfolgreich heran, aber sie sollten auch die Natur schützen; sie müssen sich

auch dieser Verantwortung bewusst sein.

Rede 15: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler vor dem Konzert der Augsburger

Domsingknaben und des Münchner Residenzorchesters in der Sixtinischen Kapelle (4.

Dezember 2009, Horst Köhler)

In dieser Rede verwendet Köhler vor allem Darstellungskommunikation, mit zwischen den

Zeilen auch Durchsetzungskommunikation. An manchen Stellen lässt sich eine

Appellfunktion erkennen, das Ideologievokabular enthält doch einige Elemente, die die

Ansichten Köhlers in den Vordergrund stellen.

Schon im zweiten Satz wird das Schlagwort "Demokratie" verwendet. Es gibt auch gleich

eine Verweisung nach dem Mauerfall, um der Unterschied zwischen der damaligen Lage und

der derzeitigen Lage der "Freiheit" zu betonen. Köhler greift auf eine Aussage des damaligen

Papstes vor mehr als 30 Jahren zurück, der damals schon einssah, dass Zusammenarbeit über

irgendwelche Grenzen hinweg notwendig ist. "Zusammenarbeit" wird zum zentralen Schlag-

bzw. Fahnenwort der Rede gemacht; dazu brauchen wir "Vernunft" und "Glaube", zwei

Fahnenwörter, mit denen wir den Krisen den Kampf ansagen können.

Die konversationelle Implikatur geht also weiter als eine Glorifizierung der Ansichten des

Papstes Johannes Paul II. Köhler verwendet einige seiner Aussagen, um seine Meinung der

Notwendigkeit der europäischen Zusammenarbeit in der Gegenwart zu rechtfertigen.

Rede 16: Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich eines Mittagessens,

gegeben von den koreanischen Wirtschaftsverbänden, beim Staatsbesuch in der Republik

Korea (9. Februar 2010, Horst Köhler)

Die Rede enthält sowohl Arbeits-, als auch Durchseztungskommunikation. Korea ist nicht der

einzige Gegenstand der Rede, Köhler sieht Parallellen mit der Europäischen Union. Die

Fahnenwörter, mit denen er die Entwicklung Koreas bejubelt, sind Werte, denen Europa

immer nachstreben soll. Das Ideologievokabular in Bezug auf Korea hat also eine

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Appellfunktion an die europäischen Länder, trotz der Krise nicht von ihrem Glaubenssystem

abzuschweifen.

Korea wird mit der Präsidentschaft der G-20 im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen,

und schon im ersten Abschnitt betont Köhler die "Verantwortung", die sie mit dieser

Präsidentschaft übernommen haben. Diese Verantwortung bezieht sich auf einige wichtige

Schlag- bzw. Fahnenworte, die sie sicherstellen sollen: Korea soll an einem globalen

"Miteinander" mitarbeiten, eine "Neugestaltung" der Finanzmärkte erzielen und das

"Wohlergehen" der Welt gewährleisten.

Köhler blickt in die Vergangenheit des Landes zurück. Nach der Kolonisierung durch Japan

folgte die Teilung Koreas, die das Land in den Mittelpunkt des Ost-West Konfliktes stellte.

Eine Lage, mit der sich Deutschland ohne Zweifel identifizieren kann. Köhler verweist auf

die Erzählung eines koreanischen Schriftstellers, in der die Narben eine Metapher sind für die

Folgen eines Krieges. Ein Großvater zeigt seinem Enkel seine Narben, und er ist stolz auf

seine Leistung; das Enkelkind kann viele Sachen von ihm lernen. Auf dieselbe Weise könne

die Welt von Korea lernen. "Freiheitsliebe" ist an dieser Stelle ein Fahnenwort, aber vor

allem die wirtschaftliche Entwicklung Koreas wird vom Bundespräsidenten betont.

"Innovation" ist bei dieser Entwicklung das Fahnenwort von ausschlaggebender Bedeutung,

aber sogar "staatliche Planung" bekommt eine positive deontische Nebenbedeutung, obwohl

staatliche Planung normalerweise im Gegensatz zu der "Freiheit" der sozialen

Marktwirtschaft als Stigmawort verwendet wird. Köhler anerkennt, dass die Planer dem Land

wieder auf die Sprünge geholfen haben.

Im nächsten Abschnitt verweist Köhler auf die wirtschaftliche Verbindung zwischen

Deutschland und Korea. Die Fahnenwörter, mit denen die Koreaner beschrieben werden, sind

"Fleiß und Leistungsbereitschaft". Die Gastarbeiter, die in den sechziger Jahren nach

Deutschland umgezogen sind, haben einen großen Beitrag zum Wiederaufbau geleistet. Zu

gleicher Zeit haben sie mit ihrer Arbeit Kapital gemacht, was auch ihrer Heimat geholfen hat.

Der Bundespräsident will also die Notwendigkeit dieser (und auch ähnlicher) Partnerschaften

betonen. "Arbeitsmigration" wird vom Präsidenten nicht als Stigmawort verwendet, hat aber

eine positive Nebenbedeutung. Mit vernünftigen Regeln ist Arbeitsmigration der globalen

Wirtschaft zuträglich.

"Solidarität" ist das nächste Fahnenwort, Korea hat in der Vergangenheit Solidarität

bekommen, aber jetzt ist das Land in der Lage, Solidarität zu üben. Korea ist also ein Vorbild

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eines Landes, das manchmal kurz vor dem Bankrott gestanden hatte, aber jetzt zu den

führenden wirtschaftlichen Mächten der Welt gehört. Implizit will Köhler Ländern, die jetzt

Verluste erleiden, Mut zusprechen. Die internationale Politik Koreas bekommt auch die

Bewilligung des deutschen Bundespräsidenten: "Transparenz" und "Effizienz" sind in diesem

Bereich unentbehrlich. Diese Fahnenwörter verweisen erneut auf die notwendige

Zusammenarbeit in einer immer mehr vernetzten Welt.

Das nächste Thema ist der Klimawandel. In diesem Bereich will Köhler den Koreanern die

Verantwortung vor Augen führen. Vor allem die reichen Industrieländer sind Schuld am

Klimawandel, und jetzt sei auch Korea, aufgrund seiner wirtschaftlichen Erfolge, an diesem

Kampf beteiligt. Auch zu diesem Thema spricht Köhler über Zusammenarbeit: Deutschland

investiert in koreanische Firmen, die sich mit Umwelttechnik beschäftigen.

Am Ende der Rede erwähnt Köhler nochmal die geschichtliche Ähnlichkeit mit dieser noch

immer geteilten Nation. "Frieden" und "Freiheit" sind natürlich die Fahnenwörter, für die die

Koreaner kämpfen sollten.

Die konversationellen Implikaturen dieser Rede sind die zahlreichen Hinweise auf

Zusammenarbeit und Mut. Wegen der Ähnlichkeiten in Bezug auf die Geschichte der beiden

Nationen, kann Korea vieles von Deutschland lernen. Die wirtschafliche Sehensweise ähnelt

den Vortsellungen, die sich auch Deutschland macht, um in einer vernetzten Welt erfolgreich

zu sein. Korea hat gezeigt, wie eine Nation sich von einer hilfsbedürftigen zu einer blühenden

Wirtschaft entwickeln kann. Diese Erfolgsgeschichte sollte Ländern, die versuchen, aus dem

Rettungsschirm auszutreten, Mut machen.

Rede 17: Begrüßungsworte von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich des Abendessens

für den Ältestenrat des Deutschen Bundestages (17. März 2010, Horst Köhler)

Diese Rede enthält hauptsächlich Arbeitskommunikation; Dutchsetzungskommunikation ist

nur im Hintergrund anwesend, weil er in diesem Moment nur rhetorische Fragen stellt und

die Debatte eröffnen will. Er unterbreitet noch keine gegenständlichen Vorschläge. Der

Appell besteht also nur aus einer Ermutigung, nachzudenken und keine Angst davor zu

haben, miteinander zu reden und Probleme in Angriff zu nehmen. Das Ideologievokabular ist

also nicht gewagt, die Schlagwörter bekamen keine besonderen deontischen

Nebenbedeutungen.

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Die "Demokratie" ist das zentrale Schlag- bzw. Fahnenwort der Rede und wird schon im

zweiten Satz erwähnt. Drei Begriffe (Fahnenwörter) sind in diesem Zusammenhang von

großer Bedeutung: "Leidenschaft", "Augenmaß" und "Vertrauen". Das Parlament, ein

zentrales Element der Demokratie, wird mit einer Metapher mit einem Herzen verglichen.

Obwohl sie sich in einer "Umbruchzeit" befinden, ist "Stabilität" ein Fahnenwort.

Köhler stellt sich die Frage, auf welche Weise mehr Begeisterung für die Demokratie und den

Umbau zu einer ökologischen Marktwirtschaft geschaffen werden könne. Die Europäische

Union bekommt keine vollständige positive deontische Nebenbedeutung; Köhler scheint

einzuräumen, dass es in manchen Fällen weniger Einmischung geben sollte.

Die konversationelle Implikatur lässt sich vor allem am Ende der Rede entdecken. Köhler

gibt zu, dass die EU manchmal vielleicht ein bisschen mehr im Hintergrund bleiben sollte.

Jedoch betont er zu gleicher Zeit, dass wir eine kooperativere Weltpolitik brauchen, um die

Finanzkrise in den Griff kommen zu können. Man kann also zwischen den Zeilen lesen, dass

Köhler nicht die EU, sondern eine Zusammenarbeit auf Weltebene als Lösung der Krise

betrachtet.

Rede 18: Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler bei der Eröffnung des Bosch-

Halbleiterwerks (18. März 2010, Horst Köhler)

Diese Rede Köhlers enthält Darstellungskommunikation, weil es sich um Kommunikation

mit der Öffentlichkeit handelt. Er fängt mit einer Geschichte an, um die Aufmerksamkeit der

Zuhörer auf sich zu ziehen. Die Appellfunktion der Rede wird am Ende sehr klar: Obwohl

Betriebe während der Finanzkrise Verluste erlitten haben, sollten sie keine umfangreichen

Einsparungen durchführen, sondern an ihre eigenen Fähigkeiten glauben und weiter in

Forschung und Entwicklung investieren.

Das Ideologievokabular dieser Rede besteht vor allem aus Begriffen, die Köhler mit dem

Unternehmen Bosch verbindet; er zielt natürlich nicht nur auf dieses Unternehmen, sondern

in Erweiterung auch auf die gesamte deutsche Wirtschaft. "Erfahrung", "Kreativität" und

"Engagement" sind die ersten Fahnenwörter, die Köhler mit Bosch verbindet; diese positive

Bewertung verstärkt er mit einer Metapher, die Mitarbeiter seien das "Herz" des Betriebes.

Darüber hinaus sagt er explizit, Menschen seien die Quelle von "Kreativität", einem

Fahnenwort, und nicht Geld. "Finanzkrise" bekommt eine besondere deontische

Nebenbedeutung, sie könne ein Wendepunkt sein, um die Balance zwischen Kapital und

Arbeit wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und um die Wirtschaft auch im Gleichgewicht

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zu halten. "Nachhaltigkeit" ist also das nächste Fahnenwort. Diese Lage könne nur mittels

eines "Strukturwandels" und einer "Transformation" erzielt werden. "Vertrauen" ist aber das

zentrale Schlagwort und wird sogar mit einer Metapher als "Seele" der sozialen

Marktwirtschaft, die trotz der Krise eine positive Nebenbedeutung bekommt, betrachtet. Er

verbindet die Wirtschaft auch mit der Natur, man sollte die beiden Krisen eigentlich auf

dieselbe Weise angehen. Obwohl sie nachhaltiger, langfristiger "Regeln" bedürftig sind, ist

sowohl die Finanzkrise als auch der Klimawandel eine "Chance", einen neuen Weg

einzuschlagen. Am Ende wird der Betrieb zu einem Vorbild, dem die gesamte deutsche

Wirtschaft folgen sollte. In einem Satz nummeriert Köhler die zentralen Fahnenwörter:

"Selbstbewusstsein", "langfristiges Denken" und "Vertrauen".

Die konversationelle Implikatur wird erst am Ende der Rede in den Vordergrund gestellt:

Deutschland soll keine Angst haben vor einer Führungsrolle oder vor Innovationen. Diese

Schlagwörter werden am Ende erwähnt, um sie wirklich ins Gedächtnis der Zuhörer

einzuprägen.

Rede 19: Tischrede von Bundespräsident Horst Köhler aus Anlass des Staatsbanketts für den

Präsidenten der Vereinigten Mexikanischen Staaten Herrn Felipe Calderón Hinojosa und

Frau Margarita Zavala (3. Mai 2010, Horst Köhler)

Köhler verwendet in dieser Rede sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Er

feiert die deutsch-mexikanische Partnerschaft, aber es dauert ziemlich lange, bevor er

Ideologievokabular verwendet, um die Durchsetzungskommunikation zu bilden.

Bevor Köhler über die Finanzkrise spricht, stellt er zunächst den Klimawandel in den

Vordergrund. Erst in der Mitte der Rede, erwähnt er die Krise des Finanzmarktes. E schlägt

vor, die internationalen Finanzmärkte zu reformieren. "Mitsprache" und "Mitverantwortung"

sind die Fahnenwörter, die den möglichen Beitrag beschreiben, den die Schwellenländer

leisten könnten. "Stabilität" und "Wachstum" sind auch wichtige Fahnenwörter in diesem

Bereich. Er unterbricht seine Gedanken über die Wirtschaftslage und widmet der nuklearen

Sicherheit seine Aufmerksamkeit. Köhler listet daraufhin die globalen Herausforderungen

auf, die den Deutschen bevorstehen: "Migration", "epidemische Krankheiten",

"Drogenhandel", "organisierte Kriminalität", "Korruption" und "Terrorismus". Trotz dieser

ausführlichen Auflistung, braucht er nur ein Schlagwort, um diese Stigmaworte zu

bekämpfen: "Zusammenarbeit". Später erwähnt er einen verwandten Begriff, "Partnerschaft",

um der Notwendigkeit der Zusammenarbeit Nachdruck zu verleihen. Dieses Schlagwort wird

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noch mit zusätzlichen Fahnenwörtern gestärkt, die als Pendant zu den schon erwähnten

Stigmawörtern betrachtet werden sollen: "Demokratie", "Rechtsstaat" und "Menschenrechte".

Am Ende der Rede betont er nochmal die Freundschaft und seinen Willen, sich weiter

gemeinsam mit Mexiko zu bemühen, ihre Probleme zu lösen.

Köhler verwendet sein Ideologievokabular sehr direkt, er impliziert keine versteckten

Gedanken. Es lässt sich leicht erkennen, dass er den Fortbestand der Partnerschaft

unterstützen will.

Rede 20: Antrittsrede nach der Vereidigung zum Bundespräsidenten im Deutschen Bundestag

(2. Juli 2010, Christian Wulff)

Diese Antrittsrede Wulffs enthält sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation.

Wulff dankt am Anfang anderen Politikern für ihre Arbeit und versucht erst später, mit

seinem Ideologievokabular seinen Appell an die Zuhörer zu übermitteln. Am Anfang gibt es

also wenig Fahnen- oder Stigmawörter.

Gleich im ersten Abschnitt erwähnt Wulff schon die "Verantwortung", die das Amt des

Bundespräsidenten mit sich bringen wird. Im Anschluss an dieses Fahnenwort dauert es

ziemlich lange, bis er seine Ansichten in den Vordergrund stellt. Am Anfang gibt es nur

vereinzelt einige Aussagen, die zu seiner Durchsetzungskommunikation gehören. Wenn er

dem vormaligen Bundespräsidenten, Herrn Köhler, dankt, lassen sich einige Fahnenwörter

erkennen. Er betont mehrmals das "Engagement" des Bundespräsidenten für Afrika, und sein

Verständnis, dass es "Eine Welt" gibt, in der "gemeinsam" für die Zukunft gesorgt werden

soll.

Das Reichstagsgebäude wird als Symbol von "Freiheit" und "Einheit" verwendet; Werte, die

nach den Erfahrungen mit der SED-Diktatur in der ehemaligen DDR hoch im Kurs stehen.

Zur Betonung dieser Schlagworte werden einige Fahnenwörter der Reihe nach aufgelistet:

"Demokratie" erfordert "Gemeinschaftsgefühl", "Begeisterung", "Beharrlichkeit" und

"Durchsetzungsvermögen". Deutschland hat zu diesem Ziel auch eine versteckte Waffe:

"Vielfalt". Dieses Wort bekommt eine ganz positive deontische Nebenbedeutung und wird in

dieser Rede also nicht als Stigmawort verwendet.

"Chancengerechtigkeit" ist das nächste Fahnenwort, mit dem er sich beschäftigt. Obwohl das

Stigmawort nicht buchstäblich ausgesprochen wird, soll "Ungleichheit" in verschiedenen

Bereichen sowie Bildung und Berufsaussichten in Angriff genommen werden. Die Lösung

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heißt Zusammenarbeit und die Fähigkeit, voneinander lernen zu können. Die

"Verantwortung" und die "Freiheit" bleiben die zentralen Fahnenwörter, um die sich natürlich

an erster Stelle die politischen Parteien kümmern sollen. Diese Begriffe haben vor allem in

Bezug auf die Finanzkrise eine Korrelation, ein Abhängigkeitsverhältnis: Freiheit in der

Wirtschaft soll nicht uneingeschränkt sein, sondern mit Regeln ausgestattet werden, um einer

ähnlichen Krise in der Zukunft vorzubeugen. Wulff verwendet eine Reihe Wörter, die dem

Wort Verantwortung sehr ähnlich sind oder Zusammensetzungen, um den Platz dieses

Wortes bei den Werten der sozialen Marktwirtschaft zu betonen. Dieses Wirtschaftssystem

braucht "Verantwortungsbewusstsein", "Verantwortungsgefühl" und "Verantwortlichkeit".

Die Regeln, von denen soeben die Rede war, sollen auch das "Miteinander" und die

"Zusammenarbeit" sichern; Fahnenwörter, die in der derzeitigen globalisierten Welt von

ausschlaggebender Bedeutung sind. Die Globalisierung bekommt eine positive

Nebenbedeutung, weil Wulff sie als eine Chance betrachtet, die Wirtschaftskraft zu steigern

und zu gleicher Zeit Unterstützung bei den globalen Problemen, wie dem Klimawandel und

der wachsenden Bedrohung des Terrorismus, zu bekommen. Diese Zusammenarbeit soll

mittels einer Erweiterung der Macht der Europäischen Union erzielt werden. Wulff betont am

Ende seiner Rede nochmal, Deutschland sei offen für die Kooperation mit anderen Teilen der

Welt, erwarte jedoch gegenseitiges Verständnis und Vertrauen.

Die Häufigkeit, mit der Wulff über "Verantwortung" spricht, lässt doch eine konversationelle

Implikatur an die Oberfläche kommen. Deutschland hat eine Führungsrolle, die bei der

Bevölkerung und den politischen Parteien anfängt und die von der Regierung international

gezeigt werden soll. Die Globalisierung erfordert Zusammenarbeit, d.h., dass Deutschland

neben seiner eigenen Verantwortung auch Gegenleistungen beanspruchen darf.

Rede 21: Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum Thema "Deutschland und Russland

– Partner für Modernisierung" in der Staatlichen Universität - Higher School of Economics

(13. Oktober 2010, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Wulff

begrüßt die schon existierende Partnerschaft mit Russland und fordert weitere Entwicklungen

dieser Partnerschaft in naher Zukunft. Er hat eine klare Meinung, die er übermitteln will. Sein

Ideologievokabular dient dem Ziel, seinen Appell an Russland in Worte zu fassen.

Schon ab dem ersten Satz ist klar, dass "Partnerschaft" und "Modernisierung" die zwei

zentralen Schlagwörter dieser Rede sein werden. Wulff blickt in die russische Vergangenheit,

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und lobt die russichen Führer Katharina II. und Michael Gorbatschow, die für die

Entwicklung des Landes von ausschlaggebender Bedeutung waren. Modernisierung sei in

dieser globalisierten und eng vernetzten Welt ein Gebot, um der bevorstehenden

Herausfoderung sowie Klimawandel und Umweltverschmutzung gewachsen zu sein. Im

wirtschaftlichen Bereich bleibt "Planwirtschaft" ein Stigmawort, von dem Russland sich

immer weiter distanzieren soll. Wulff gesteht, dass die wirtschaftlichen Strukturen (und

Probleme) der beiden Länder unterschiedlich sind, aber ihre Ziele sind sehr ähnlich. Diese

Ziele bzw. Fahnenwörter sind "Ausgleich" und "Wachstum", die auf eine "nachhaltige"

Weise erreicht werden sollen. Kern jeder Modernisierung sei eine "Wissensgesellschaft", und

Wulff listet die Grundelemente bzw. Fahnenwörter der Reihe nach auf: "Diskussionen",

"Wettstreit", "Transparenz", "Überprüfung" und "Forschungsförderung". Im Gegensatz zum

schon erwähnten Stigmawort "Planwirtschaft" pocht Wulff auf die Notwendigkeit einer

"marktwirtschaftlichen" Ordnung, um die Modernisierung erzielen zu können, weil ein

Umbruch "Flexibilität" erfordert. Die Marktwirtschaft wird oft mit dem Schlagwort

"Demokratie" verbunden, was auch in dieser Rede der Fall ist. Die demokratischen Prinzipien

Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden auch erwähnt, um der Skepsis in Bezug auf

das Wort "Demokratie" vorzubeugen. Wulff plädiert auch für einen Beitritt Russlands zur

Welthandelsorganisation und für eine bessere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union,

in der Deutschland eine führende Rolle übernommen hat. "Investitionen" und

"Gleichbehandlung" ausländischer Unternehmen sind Fahnenwörter, nach denen Russland

weiter streben sollte, um die Zukunft zu gewährleisten. Darüber hinaus versucht er, den

möglichen Beitrag, den Deutschland zu der Entwicklung Russlands leisten könnte,

Nachdruck zu verleihen. Dieser Beitrag befindet sich vor allem im Energiesektor.

Die konversationelle Implikatur dieser Rede ist der Appell Wulffs, die Notwendigkeit

bilateraler und internationaler Zusammenarbeit einzusehen. Man kann aber zwischen den

Zeilen lesen, dass es einige Voraussetzungen gibt; Russland soll sich am Westen, und vor

allem an den westlichen Werten orientieren. Diese Gesinnung würde dieser Zusammenarbeit

zuträglich sein und auf die Dauer auch den russischen Bürgern zugutekommen.

Rede 22: Bundespräsident Christian Wulff beim Abendessen für den Stifterverband für die

Deutsche Wissenschaft (19. Januar 2011, Christian Wulff)

Diese Rede enthält sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Der Stiftverband

für die deutsche Wissenschaft wird wegen seiner Vorgehensweise gelobt, aber zugleich

übermittelt Wulff seine Ansichten, auf welche Weise Deutschland nicht nur im

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wissenschaftlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich die Zukunft sicherstellen soll.

Die Prinzipien, mit denen die Wissenschaftler rechnen müssen, um innovativ zu bleiben,

gelten auch für die Wirtschaft. Die Rede hat also eine klare Appellfunktion, die mittels des

Ideologievokabulars des damaligen Bundespräsidenten in Worte gefasst wird.

Gleich am Anfang der Rede befürwortet Wulff das Zueinanderbringen von Wirtschaft und

Wissenschaft und die Notwendigkeit eines Wandels, um "zukunftsfest" zu sein. Der Rest der

Rede ist diesem Gedanken gewidmet und dient der Rechtferigung dieses Gedankens.

"Verschiedenheit" wird nicht als Stigmawort, sondern als Fahnenwort bezeichnet;

Verschiedenheit sei, mit einer Metapher, eine "Quelle" der Kreativität. Wulff betont die

Stärke Deutschlands, die Bezeichnung "deutsch" hat trotz der Finanzkrise auf der

internationalen Ebene noch immer eine sehr positive Nebenbedeutung. Um diese These zu

rechtfertigen, listet Wulff mehrere Fahnenwörter der Reihe nach auf. "Investitionen" seien

notwendig, um die "Wettbewerbsfähigkeit" und "Wohlstand" zu gewährleisten. "Mut" ist das

Fahnenwort, mit dem der "Wandel" erzielt werden kann.

Wulff will eine positive Botschaft übermitteln, sogar "Protest" wird nicht als Stigmawort

verwendet. Die Proteste gegen Projekte sowie Stuttgart 21 und gegen gentechnische

Forschung bekommen doch eine sehr besondere Nebenbedeutung. Sie sind seiner Meinung

nach keine Ausdrücke einer Verweigerungshaltung, sondern Ausdruck des Interesses der

Bürger an dem "Gemeinwesen", was mit "Protest" kontrastiert wird. Sie sollen aus den

Fehlern der Vergangenheit lernen, und "eine Synthese aus Bewährtem und Neuem" schaffen.

Jetzt sei es die Sache, mit nachhaltiger Technologie herauszurücken. Diese gewünschte

Vorgehensweise lässt sich mit einem Fahnenwort zusammenfassen: "Innovationsfreude".

Diese Innovationsfreude soll sich der ganzen deutschen Bevölkerung Herr machen; Wulff

gratuliert den Deutschen, weil sie das tun, was seiner Meinung nach in einer Demokratie

notwendig ist. Er gibt der Innovationsfreude also auch die Nebenbedeutung, ein

demokratisches Prinzip zu sein. Nach dieser Aussage stellt er der Innovationsfreude ein

Stigmawort gegenüber: das "Sankt-Florian-Prinzip". Anhänger dieses Prinzips lehnen jede

Veränderung grundsätzlich ab. Im Ideologievokabular Wulffs ist dieses Prinzip also nicht

"demokratisch". "Engagement", "Transparenz" und "Öffentlichkeit" stehen diesem Prinzip

auch gegenüber; die Bürger sollen von der Mitbestimmung begeistert sein. Am Ende der

Rede werden die Krisen, der Klimawandel und die Umweltverschmutzung, nochmal erwähnt.

Es ist kein Zufall, dass Wulff im nächsten Satz nochmal das Fahnenwort "Innovationen"

verwendet. Er will am Ende nochmal der Kern seiner Botschaft betonen.

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Die konversationelle Implikatur dieser Rede ist die Vorbildfunktion, die den deutschen

Wissenschaftlern zugeschrieben wird. Die Wirtschaft braucht auch diese

"Innovationsfreude", mit der die Wissenschaftler arbeiten. Wulff fordert die Bevölkerung auf,

nicht indifferent zu sein und die Zukunft sicherzustellen; sie soll die Innovationen in der

Wirtschaft mitgestalten.

Rede 23: Bundespräsident Christian Wulff bei der Auftaktveranstaltung "BürgerForum 2011"

(12. März 2011, Christian Wulff)

Bei der Auftaktveranstaltung vom Bürgerforum 2011 verwendet Wulff eine Mischung aus

Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation. Er appelliert mittels seines

Ideologievokabulars mit vielen Fahnenwörtern an die Öffentlichkeit, sich an der Demokratie

zu beteiligen.

Das Bürgerforum hat zum Ziel, ein Bürgerprogramm zu erarbeiten und das bürgerschaftliche

Engagement weiter zu entwickeln; "Engagement" ist also eines der wichtigsten Fahnenwörter

dieser Rede, zusammen mit dem Begriff "Zusammenhalt", eines der Hauptziele eines solchen

Forums. Neue Formen der Zusammenarbeit sind notwendig, um die "Zukunftsfähigkeit" der

Demokratie zu fördern. Es handelt sich vor allem um "Beteiligung" und "Engagement", die

Bürger werden von ihrer Beteiligung am demokratischen Beschlussfassungsprozess eine Art

Genugtuung bekommen. Wulff begründet seine These mit dem Argument, dass die

Geschichte schon mehrmals gezeigt hat, dass große Veränderungen sehr oft aus der Mitte der

Bevölkerung stammen. In diesem Bereich brauchen sie natürlich "Mut", um einen Wandel zu

gestalten. Die Rede enthält auch eine Wortschöpfung: Die "Facebookratie". Die

Beherrschung des Internets sei eine Bedrohung für die Demokratie, kann aber auch als neue

Kommunikationsplattform verwendet werden, um Bürgerbeteiligung zu vereinfachen. Es ist

ein Problem, wenn sich die Bürger nicht in aureichendem Maße am demokratischen Prozess

beteiligt fühlen; diese Lage wird mit dem Stigmawort "Unmut" vergegenwärtigt. Die nächste

Wortschöpfung, "Wutbürger", kann auch als Stigmawort betrachtet werden; die Bürger sollen

stattdessen zu "Mutbürgern" werden. Das "Gemeinwohl" ist natürlich einer der zentralen

Begriffe in dieser Rede zum Bürgerforum. Eine Volksabstimmung ist den komplexen

Herausforderungen der Gegenwart nicht mehr gewachsen, die Bürger haben mehr zu sagen

als die Worte "ja" und "nein"; es soll eine wirkliche Diskussion geben. Wenn man die

Aussagen der Bürger in den sozialen Medien unter die Lupe nimmt, wird klar, dass sie

zwischen den Wahlen auch eine Stellung zu gesellschaftlichen Themen einnehmen wollen.

"Verantwortung" bekommt dann auch eine neue Dimension, alle, die die Demokratie

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mitgestalten wollen, sollten auch einen Teil der Verantwortung übernehmen. Wulff

verwendet die Metapher eines Elixiers, um die Wichtigkeit der Bürgerbeteiligung in einer

Demokratie zu vergegenwärtigen; ohne dieses Elixier ist Demokratie, mit einer anderen

Metapher, eine leere Hülle. Beteiligung wird auch zum "Verständnis" führen für die

Entscheidungen, für die die Politiker Verantwortung übernehmen sollen. Die Bürger werden

die Politik aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten können, und vielleicht ihre

Meinungen zu bestimmten Themen ändern. Es fällt den Bürgern auch leichter als den

Politikern, ihre Stellungnahme zu verteidigen, weil sie sich nicht mit Parteigenossen und

Fraktionsmitgliedern auseinandersetzen müssen. Am Ende der Rede wird das Engagement

der Bürger, die sich an diesem Forum beteiligen werden, nochmal betont; die Tatsache, dass

sie aus eigener Initiative an diesem Projekt mitarbeiten wollen, stellt ihr Engagement unter

Beweis.

Neben dem Lob, dem die Freiwilligen für ihre Zeit und Mühe verdienen, gibt es doch im

Hintergrund eine konversationelle Implikatur. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass

Wulff um Verständnis bittet, wenn die Öffentlichkeit nicht mit der politischen

Beschlussfassung einverstanden ist. Wenn die Bürger selbst beteiligt sein werden, werden sie

diesen Prozess aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten und einsehen, dass man nicht

alle Wünsche jedes Bürgers erfüllen kann.

Rede 24: Bundespräsident Christian Wulff zur Verleihung des Bundesverdienstordens an den

Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und den Ministerpräsidenten a. D. Roland Koch

(18. März 2011, Christian Wulff)

Die Rede enthält hauptsächlich Arbeitskommunikation, sondern auch einen kleinen Anteil an

Durchsetzungskommunikation. Er verwendet sein Ideologievokabular an erster Stelle zum

Preisen des regierenden Bürgermeisters von Berlin und des hessischen Ministerpräsidenten.

Trotzdem kann man vor allem am Anfang der Rede einige Implikaturen entdecken, die einen

Appell in sich tragen.

Wulff versucht, diesen Politikern für ihre Arbeit zu danken, indem er auch die

Schwierigkeiten ihrer Ämter mal in den Vordergrund stellt. "Verantwortung" bekommt in

dieser Rede mal eine etwas negative deontische Nebenbedeutung, weil er betont, dass

Verantwortung auch eine große Belastung impliziert. Die "Vergleichzeitigung", die dank der

technologischen Fortschritte das Leben der Politiker immer mehr bestimmt, ist sogar

Stigmawort, weil die Politiker unter immer mehr Zeitdruck stehen und es fällt ihnen schwer,

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einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch kehrt das Schlagwort "Verantwortung" immer wieder

zurück; die gelobten Politiker haben ihre Verantwortung getragen, sowohl für die

erfolgreichen Maßnahmen als auch für die gescheiterten. Auch das ist die Aufgabe eines

Politikers: die Verantwortung zu übernehmen und aus den Fehlern zu lernen, wenn

Maßnahmen in die Brüche gegangen sind.

Nach seiner umfassenden Einleitung wendet er sich an die Politiker persönlich. Wulff fängt

mit Herrn Wowereit an; der regierende Bürgermeister Berlins erinnert an die schreckliche

Vergangenheit mit der Metapher einer "Wunde". "Mauer" und "Stacheldraht" werden auch

als Metaphern der damaligen Lebensverhältnisse verwendet. Wulff bejubelt die Entwicklung

Berlins, die dank der "Überzeugungskraft" und "Durchsetzungsfähigkeit" des Herrn

Wowereit nie möglich gewesen wäre. Roland Koch, der hessische Ministerpräsident, wird

wegen seiner Wirtschaft- und Steuerpolitik gelobt. Auch Hessen bekommt eine Metapher:

Das Bundesland sei das Tor zur Welt. Das Fahnenwort, mit dem der hessische Präsident

verbunden wird, ist "Solidarität".

Wulff listet am Anfang einige negative Entwicklungen in der Politik auf. Die Politiker

bekommen nicht mehr die Zeit, sich eine Sache wirklich überlegen oder sich zu erkundigen,

bevor sie schon Aussagen machen sollen. Die Situation gilt natürlich nicht nur für die zwei

gelobten Politiker, sondern für alle Politiker. Die konversationelle Implikatur der Rede ist

also die Tatsache, dass sich diese Lage in naher Zukunft nur verschlimmern wird und, dass

man also Maßnahmen ergreifen sollen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Rede 25: Eröffnung des XIX. Deutschen Bankentages (31. März 2011, Christian Wulff)

Diese Rede aus dem Jahre 2011 wurde während des ersten Bankentages nach dem Ausbruch

der Finanzkrise gehalten. Obwohl die Rede über drei Jahre nach dem Ausbruch der Krise

gehalten wurde, ist der Umgangston sehr warnend und ziemlich pessimistisch. Die Sprache

ist zum Teil Arbeitskommunikation, weil sie sehr esoterisch ist: "Hochfrequenz-Handel",

"Marktliquidität" und "Wertpapierhandel" bedürfen für die Öffentlichkeit doch einer weiteren

Erläuterung. Diese Rede Wulffs ist ziemlich lange, und er versucht ständig, die Zuhörer

seiner Meinung zu überzeugen und Vorschläge zu unterbreiten, auf welche Weise nicht nur

Deutschland, sondern auch die Welt die Krise bewältigen soll. Die Rede ist also zum größten

Teil Durchsetzungskommunikation. Die Appellfunktion der Rede ist klar: sie sollen zu den

Grundlagen ihrer Wirtschaft zurückkehren und zu gleicher Zeit aus den Fehlern der

Vergangenheit lernen.

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Das Ideologievokabular ist esoterisch und pessimistisch. Er spricht über eine

"Vertrauenskrise" und "Begründungszwänge", Stigmawörter, die am Anfang der Rede

überhaupt keinen Mut geben. Trotzdem hat er das Gefühl, dass die Bürger keine Angst mehr

haben; die staatlichen Maßnahmen erschienen ihnen erfolgreich. "Rettungsaktion" ist

natürlich Fahnenwort, bekommt aber auch eine Nebenbedeutung: Sie sollte nicht wiederholt

werden müssen, weil der Staat in diesem überfordert wäre. Er betont die Wichtigkeit der

"Stabilität", eines der zentralen Schlagwörter des Textes. "Hybris" ist das Stigmawort, das der

Gegensatz mit Stabilität nochmal betont. Wulff behauptet, die Frauen seien unterrepräsentiert

in führenden Positionen, sie werden sogar zu Metaphern von Stabilität und

"Risikobewusstsein" gemacht; "Frau" kann also in diesem Fall auch als Fahnenwort

betrachtet werden. Er fügt noch eine Metapher hinzu: "Bäume wachsen nicht in den

Himmel", was wiederum der Mangel an einer "weiblichen" Vorgehensweise betont, im

Gegensatz zur typisch männlichen Risikobereitschaft, die es bisher gegeben hat;

"Verantwortung" kann als eines der wichtigsten Schlagwörter bezeichnet werden. Es soll

"Regeln" und "Verfahren" geben, Begriffe, die man in Bezug auf die immer betonte Freiheit

des Systems der Marktwirtschaft auch als Stigmawörter betrachten kann. Sie bekommen in

dieser Rede also eine positive Nebenbedeutung und werden zu Fahnenwörtern. "Risiko", ein

zentrales Element der Marktwirtschaft, wird in dieser Rede als Stigmawort verwendet; auch

ein "Ordnungsrahmen" bekommt eine positive Bedeutung, obwohl es in der Nachkriegszeit

eine ständige Entwicklung zu einer uneingeschränkten wirtschaftlichen Freiheit gab. Er fasst

die Grundlage ihrer Marktwirtschaft in klare Worte, Unternehmen, die Risiken eingehen,

sollen auch Verluste erleiden können. Wulff betont nochmal die Notwendigkeit von

"Sicherheit und Stabilität", die immer wieder als Fahnenwörter benutzt werden.

In der Hälfte der Rede wechselt er den Ton, Wulff fängt an, die positive Eigenschaften der

deutschen Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen. "Vertrauen" und "Glaubwürdigkeit",

Fahnenwörter, werden zu Merkmalen der deutschen Wirtschaft gemacht. Diese

"Vertrauensverhältnisse" habe in Deutschland für Stabilität gesorgt. Deutschland habe eine

"Führungsrolle", was in der Rede eine positive Bedeutung bekommt; die deutsche

"Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit" ist das Leitbild. Am Ende der Rede fasst Wulff seine

Fahnenwörter zusammen mit zwei Schlagwörtern: "Maß" und "Vernunft". Um den Gegensatz

mit den Stigmawörtern nochmal deutlich zu machen, verwendet er ein Stigmawort, auf das

die anderen eigentlich hinauslaufen: "Höhenrausch".

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Die konversationelle Implikatur ist ein Plädoyer für Reformen, die nicht innovativ sind,

sondern auf eine bewährte Strategie zurückgreifen; auf die Wurzeln ihrer Wirtschaft, aber mit

einem sichereren System der Kontrolle, um Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Stabilität und

Maßhalten garantieren zu können.

Rede 26: Mittagessen zu Ehren von Juan Carlos I. König von Spanien anlässlich des 6.

Deutsch-Spanischen Forums (7. April 2011, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Der

Bundespräsident lobt die Arbeit des deutsch-spanischen Forums; aus den Erfolgen dieser

Partnerschaft versucht er, eine Lehre zu ziehen, um die Probleme der Zukunft bewältigen zu

können. Die Rede hat also eine Appellfunktion, die mittels des Ideologievokabulars des

Bundespräsidenten hervorgehoben wird.

Ein wichtiges Fahnenwort ist "Freundschaft", der "Dialog" zwischen den beiden Ländern,

dank dessen Probleme "gemeinsam" gelöst werden können. Die deutsch-spanische

Partnerschaft zeigt, dass ähnliche Partnerschaften und ein größeres internationales

Bewusstsein die bevorzugte politische Vorgehensweise sein soll. Wulff fügt hinzu, dass sich

die Deutschen und Spanier "verantwortlich" fühlen. Die Globalisierung bereitet allen Völkern

viele Schwierigkeiten, man soll einfach einsehen, dass Zusammenarbeit sowie das deutsch-

spanische Forum, und im weiteren Sinne die Europäische Union, die einzig richtige

Vorgehensweise ist.

In Bezug auf die Krise in der arabischen Welt sind "Freiheit" und "Teilhabe" die wichtigsten

Fahnenwörter. Er erinnert an Momente, in denen die Deutschen und die Spanier für eine

Rückkehr zur Demokratie kämpfen mussten. Die arabische Welt braucht Unterstützung, um

bei diesem Kampf den Sieg davonzutragen.

Die Fahnenwörter "Solidarität", "Verantwortung" und "Vertrauen" werden erwähnt, um die

notwendigsten Qualitäten zu beschreiben, um die Finanzkrise in den Griff bekommen zu

können. Das Ziel ist eine Kultur, in der ein Gleichgewicht zwischen "Wettbewerbsfähigkeit"

und "Stabilität" gefunden wird. Sie sollten "innovativ" sein, den "Mut" zum Wandel haben;

der Begriff "Wandel" soll nicht gefürchtet, sondern gefördert werden.

Die konversationelle Implikatur ist die Tatsache, dass andere europäische Länder diesem

Vorbild folgen sollten, wenn sie einen Ausweg aus der Krise finden wollen.

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Rede 27: Festakt anlässlich der "Tage der Familienunternehmer" (12. Mai 2011, Christian

Wulff)

Diese Rede Wulffs ist eine Mischung aus Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation.

Er lobt die Familienunternehmer für ihre Qualitäten und Werte; zu diesem Ziel verwendet er

eine Reihe Fahnenwörter aus dem Ideologievokabular, die beim Thema der

Wirtschaft(skrise) üblich sind. Diese vielen Fahnenwörter dienen natürlich nicht nur zur

Glorifizierung der Unternehmer, sondern auch zur Durchsetzung seines Appells an die

anderen Unternehmer Deutschlands (und Europas).

Die Zahl der Fahnenwörter, mit denen er die Qualitäten der Familienunternehmen beschreibt,

lässt schon gleich am Anfang der Rede erkennen, dass die Rede eine Art Lobgesang sein

wird. Er lobt die "Loyalität", das "Verantwortungsgefühl", die "Verlässlichkeit" und das

"Augenmaß" der deutschen Unternehmer. In dieser Zeit der Finanzkrise sind sie ein Muster

an Fleiß, und die "Werte des ehrbaren Kaufmannes" verbinden Wirtschaft mit

Menschlichkeit; eine Mischung, die die Familienunternehmen so attraktiv gemacht hat.

"Verantwortung" ist bei Weitem das wichtigste Fahnenwort der Rede, und laut des

Bundespräsidenten einer der Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft; es geht nicht nur um

"Gewinnmaximierung", und das haben die Familienunternehmen verstanden. Der ehrbare

Kaufmann versteht, dass "Risiko" und "Haftung" miteinander in Verbindung stehen sollen.

Trotz der Finanzkrise bekommt "Risiko" keine ganz negative deontische Nebenbedeutung

und wird also nicht als Stigmawort verwendet; trotzdem soll man die Konsequenzen

gefährlicher Risiken tragen, um zu verhindern, dass Unternehmen von Gewinnen profitieren

können und die Gesellschaft für Verluste einstehen muss. Das wichtigste Kapital sei in

diesem Fall "Vertrauen". "Mut" und "Engagement" dahingegen sind wichtige Eigenschaften,

die aber in der Öffentlichkeit zu Unrecht eine negative Bedeutung bekommen. Risiko ist ein

unverzichtbares Merkmal der sozialen Marktwirtschaft, aber beim Scheitern dieser Risiken

werden Mut und Engagement nicht in Betracht gezogen, um die Unternehmer zu bewerten.

Wulff zieht einen Vergleich mit den angelsächsischen Ländern, in denen das nicht der Fall

ist. Wenn Unternehmer diese notwendigen Eigenschaften haben, aber dennoch gescheitert

sind, sollten sie eine zweite Chance bekommen (falls sie ihre Verantwortung übernommen

haben).

Der Erfolg der deutschen Unternehmen ist mit bestimmten Fahnenwörtern verbunden, die mit

technologischem Fortschritt und dem Willen, vorwärts zu gehen, zu tun haben:

"Innovationen", "Erfindergeist", "Beharrlichkeit" und "Enthusiasmus". Die wichtigste

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Innovation ist vielleicht die Steigerung des Frauenanteils in der Berufswelt, vor allem als

Gründerinnen. Auch junge Leute sind eine Art Innovation in der deutschen Wirtschaft;

trotzdem verfügen die "älteren" Gründer deutscher Unternehmen über ganz wichtige

Trümpfe, sie haben "Selbstvertrauen", eine "realistische Risikoeinschätzung" und

"Verantwortung". Deutschland sei ein geeignetes Land, ein Unternehmen zu gründen, weil

"Glaubwürdigkeit", "Beständigkeit" und "Verlässlichkeit" zu den wichtigsten

Standortfaktoren gehören. Daraufhin verwendet Wulff zwei Gegensätze: "Beständigkeit"

dürfe nicht "Starrheit" bedeuten, und "Innovation" dürfe nicht mit "Aktionismus" verwechselt

werden. Diese Gegensätze laufen auf eins hinaus: Der Erfolg der Prinzipien der sozialen

Marktwirtschaft beruht auf einem Gleichgewicht zwischen Mut und Vernunft, man soll

kalkulierte Risiken eingehen und sich nicht von der Finanzkrise entmutigen lassen.

"Familienunternehmen" heißt auch, Frauen eine Chance zu geben; der Beitrag, den sie leisten

könnten, wird zu oft unterschätzt. Die "Familienfreundlichkeit" soll also auch nicht bedeuten,

dass die Wettbewerbsfähigkeit ins Gedränge kommt, das ist die Herausforderung der

deutschen Unternehmen, der sie bisher doch gewachsen sind.

"Solidarität" bekommt keine negative, sondern eine ganz besondere Nebenbedeutung: den

anderen Ländern der Gemeinschaftswährung Solidarität zeigen heißt, sein eigenes Haus in

Ordnung halten. Wenn jedes Land diese Aufgabe erledigen würde, sind also keine

Rettungsaktionen nötig. Trotzdem ist "Euroskepsis" ein Stigmawort; Wulff ist aber davon

überzeugt, dass sich die Unternehmer der Vorteile der europäischen Wirtschafts- und

Währungsunion bewusst sind. Darüber hinaus seien viele Probleme nur "gemeinsam" zu

lösen; sie sollen also auch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit fördern.

Es gibt keine konversationellen Implikaturen, die sich auf die deutschen Unternehmer

beziehen; Wulff schätzt die Beiträge, die die Familienunternehmen zur Wirtschaftskraft

leisten. Die Nebenbedeutung des Wortes "Solidarität" impliziert aber, dass Deutschland

erwartet, dass die überschuldeten Länder ihre Verantwortung übernehmen müssen, statt die

starken Länder als ewige Retter zu betrachten.

Rede 28: Eröffnung des 3. ver.di-Bundeskongresses (17. September 2011, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs enthält sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Er lobt

nicht nur die geleistete Arbeit und die Bereiche, mit denen sich die Gewerkschaft Ver.di

beschäftigt; sondern er appelliert auch an die Öffentlichkeit und die Politik, diese Bereiche zu

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unterstützen. Zu diesem Ziel verwendet er ein Ideologievokabular mit vielen Fahnenwörtern,

die sich auf Gemeinsamkeit, Zusammenarbeit und Verantwortung beziehen.

Die Fahnenwörter werden gleich ab dem Anfang der Rede verwendet, um den roten Faden

der Rede zu gestalten. "Gemeinsinn" und "Engagement" sind die ersten Merkmale der

Vorgehensweise der deutschen Gewerkschaften; sie waren am Aufbau der sozialen

Marktwirtschaft beteiligt und fördern die notwendige "Mitbestimmung"; dieses Wort

bekommt jedoch gleich eine deontische Nebenbedeutung, Mitbestimmung heißt auch

"Mitverantwortung", eine Nuance, deren man sich bewusst sein sollte. Die Gewerkschaften

leisten auch einen wichtigen Beitrag zur "Stabilität" der Demokratie, indem sie das

"Miteinander" fördern, dem diese Stabilität zu verdanken ist. In diesem Miteinander haben

auch die Arbeitnehmer ihre Verantwortung übernommen. Dieses Miteinander soll das

"Vertrauen" stärken, weil auch Deutschland wachsam bleiben muss; die Wirtschaft hat sich

noch nicht völlig von der Krise erholt. "Antagonismus" ist in diesem Bereich das

entgegengesetzte Stigmawort, das in der derzeitigen Form der sozialen Marktwirtschaft nicht

am Platze ist. "Toleranz", "Kompromissfähigkeit" und "Solidarität" sind die Fahnenwörter,

dank deren die Sozialpartnerschaft wettbewerbsfähig bleibt. Dieser Zusammenhalt erfordert

aber auch die Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds. Die Gewerkschaftler leisten auch

einen großen Beitrag zur Integration der Zuwanderer und zur Einsicht der jungen Leute in

den Wert von "Mitverantwortung" und "Mitgestaltung". In Bezug auf den

Dienstleistungssektor ist "Anerkennung" das zentrale Fahnenwort, nach dem gestrebt werden

soll. Die sozialen Dienste brauchen wegen ihres Beitrags zum Gemeinwohl eine Aufwertung;

die Leute, die in diesem Sektor beschäftigt sind, tragen Tag für Tag eine große

Verantwortung. Trotzdem bekommen sie einen niedrigeren Gehalt, was vom

Bundespräsidenten mit einer Metapher "sozialer Sprengstoff" genannt wird. Der Bereich der

Erziehung und der Bildung bekommt auch noch immer zu wenig Anerkennung.

Am Ende der Rede warnt Wulff vor der Steigerung der Bevölkerungszahl, und vor der

Tatsache, dass die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer mehr Wohlstand

beanspruchen werden. Die "Schuldenbremse" bekommt eine ganz positive deontische

Nebenbedeutung, weil Wulff den Einsatz dieser Maßnahme in anderen Ländern befürwortet.

"Solidarität" bekommt in dieser Hinsicht eine zusätzliche Nebenbedeutung; Solidarität heißt,

die eigenen Probleme lösen, um auf diese Weise einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.

Verantwortung übernehemen ist ein ausschlaggebendes Element der sozialen

Marktwirtschaft.

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Wulff sagt ganz geradeheraus, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten und welche

Werte in der Gesellschaft verteidigt werden sollten. Er dankt den Gewerkschaften ganz

aufrichtig; es gibt also keine vertuschten Implikaturen.

Rede 29: Empfang für die Mitglieder des Rates der Europäischen Zentralbank (6. Oktober

2011, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs enthält eine Kombination von Arbeits- und

Durchsetzungskommunikation, weil es sich nicht um esoterische Sprache handelt, mit der er

zu gleicher Zeit auch seine eigene Meinung verbreiten will. Seine Sprache hat eine klare

Appellfunktion: Wir müssen jetzt handeln, sonst werden wir die Stabilität unserer beliebten

Währung nicht sichern können. Obwohl Wulffs Sprache nicht als Arbeitskommunikation

bezeichnet werden kann, sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht alle Bürger seines

finanzorientierten Institutionsvokabulars mächtig. Die EZB (Europäische Zentrale Bank) und

der Wortschatz in Bezug auf die Sanierung der Wirtschaft und die Zusammensetzungen mit

"Währung" erfordern doch einige Wirtschaftskenntnisse, um die Rede bis ins Einzelne ganz

klar zu verstehen.

Das Ideologievokabular hat zwei zentrale Schlagwörter: Mut und Stabilität. Diese Begriffe

werden um viele Fahnenwörter ergänzt, die jedoch ständig die Aufmerksamkeit auf diese

zwei Begriffe lenken. Europa sei ein "mutiges" Projekt, das "Frieden, Freiheit und

Wohlstand" anstrebt. Diesen Mut sollte man nicht aus den Augen verlieren, auch nicht, wenn

es eine Krise gibt. Wulff verwendet einen ermutigenden Gegensatz: Sie sollten die Krise als

eine Chance nutzen. Entscheidungen müssen getroffen werden, mit wiederum großem Mut:

So sei eine "Kraftanstrengung" notwendig. Jeder Mitgliedstaat soll diesen Mut haben und

sich anstrengen, die Krise in den Griff zu bekommen: "Hilfe zur Selbsthilfe" ist das Ziel, das

angestrebt werden sollte. "Eigenverantwortlichkeit" ist in diesem Fall ein Fahnenwort,

"Finanztransfer" ist infolgedessen ein Stigmawort. Wulff plädiert für seine Meinung mit

klaren Schlagworten: "Solidität, Solidarität, Einigkeit, Vertrauen und Durchsetzungskraft". Er

verwendet auch zusätzliche Metaphern, um diese etwas abstrakten Begriffe zu

vergegenwärtigen; die "Wurzeln" der "Spirale" von Ausgabe und Schulden sollten bewältigt

werden.

Die Metapher "Rettungsschirm" hat sich eigentlich schon zu einem bekannten Schlagwort

entwickelt, das in dieser Rede als etwas Positives betrachtet wird und also nicht als

Stigmawort, sondern als Fahnenwort bezeichnet werden kann. Das ist der Beweis dafür, dass

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Wulff noch immer an den Erfolg des europäischen wirtschaftlichen Systems glaubt. Er

spricht über "Demokratie" und verbindet "Freiheit" und "Unabhängigkeit" mit "sozialer

Marktwirtschaft", die noch immer als starke Schlag- bzw. Fahnenwörter verwendet werden.

Er wiederholt sogar seinen Gegensatz, dass eine Krise auch eine Chance sei; man braucht nur

"Handlungswillen".

Wulff verstößt nicht gegen die Konversationsmaximen und es gibt nur eine wichtige

konversationelle Implikatur: Deutschland glaubt noch immer an den Erfolg der

Gemeinschaftswährung, fordert jedoch gegenseitige Anstrengungen aller

Mitgliedgliedstaaten; es wird keine einfache Schenkung Deutschlands geben, um die

Finanzkrise zu bewältigen.

Rede 30: Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten der Republik Östlich des Uruguay (18.

Oktober 2011, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs enthält sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Er

bejubelt die Beziehungen zwischen Deutschland und Uruguay. Er gratuliert dem Präsidenten

Uruguays zu der Weise, auf die er und seine Vorgänger die zwischenstaatliche Beziehung

aufrechterhalten haben und die demokratischen Werte einer freien Nation geschützt haben.

Das Ideologievokabular beschreibt mit vielen Fahnwörtern, aus welchem Grund diesem Land

Lob gespendet werden soll. Doch hat die Rede auch eine implizite Appellfunktion, die man

an manchen Stellen zwischen den Zeilen entdecken kann.

Schon im zweiten Satz spricht Wulff über "Verbundenheit", was gleich deutlich macht,

welches Wort das wichtige Fahnenwort der Rede sein wird. Wulff verwendet sehr viele

Fahnenwörter in kurzer Zeit, in nur einigen Zeilen spricht er über "Wohlstand", "Freiheit",

"Sicherheit", "Stabilität", "Verlässlichkeit", "Frieden", "Demokratie" und "Wachstum". Bis

zu dieser Stelle in der Rede gibt es kein einziges Stigmawort. Wulff verwendet erstmals ein

Stigmawort, wenn er über die Finanzkrise spricht: Uruguay habe es geschafft, seine

Wirtschaft zu retten, indem es auf protektionistische Manahmen verzichtet hat. Obwohl

"Protektionismus" als eine Art Vorbeugemaßnahme betrachtet werden kann, bekamen die

Begriffe "Vorsicht" und "Bedacht" doch eine positive deontische Nebenbedeutung. Die schon

genannten Fahnenwörter seien gemeinsame Werte der beiden Länder, und deswegen sollten

sie als "Partner" zusammenarbeiten. Implizit betrachtet Deutschland Uruguay als sein

Pendant in Südamerika, weil sie beide während der Krise stabile Wirtschaften geblieben sind

und deswegen eine Vormachtsstellung haben. "Legitimität" und "Glaubwürdigkeit" sind die

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Fahnenwörter, die die Nebenbedeutung bekommen, dass sie kleinere Mitgliedstaaten in die

Beschlussfassung einbeziehen, um "Integration" auch in Lateinamerika zu stärken. Wulff

wiederholt noch das Stigmawort des Protektionismus, um es mit Fahnenwörtern zu

beseitigen. Uruguay nimmt "Verantwortung" und zeigt "Engagement", beide Wörter sind

implizit also unvereinbar mit protektionistischen Maßnahmen. Am Ende der Rede verweist er

auf die Fußballweltmeisterschaft, um auf eine unterhaltsame Weise mit einem Verweis auf

die Notwendigkeit der Verbundenheit bzw. Partnerschaft zwischen den Ländern die Rede zu

beenden.

Es gab also doch einige konversationelle Implikaturen in dieser Rede. Uruguay wird von dem

deutschen Präsidenten als das Deutschland Südamerikas betrachtet, was implizit den

Fortbestand einer Partnerschaft rechtferigt und zu gleicher Zeit auch Deutschland zum

Vorbild macht, dem Uruguay folgen sollte.

Rede 31: Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2011 (30. Oktober 2011, Christian

Wulff)

In dieser Rede handelt es sich um eine Mischung aus Darstellungs- und

Durchsetzungskommunikation. Wulff tut mehr als nur einen Preis verleihen, er bejubelt die

erfolgreichen Betriebe, die den Sieg davongetragen haben, aus einem beabsichtigten Grund:

Er will die Politik dieser Betriebe zur Leitpolitik der deutschen Wirtschaft machen. Die

Appellfunktion der Rede ist dank des Ideologievokabulars Wulffs sehr klar: Diese Politik ist

der Benchmark, dem die anderen Betriebe nachstreben sollen.

Gleich beim Anfang spricht Wulff schon über "Mut", ein Fahnenwort, das während der Krise

oft verwendet wird, um eine Art Optimismus bei den Zuhörern zu erzielen. Den

Mittelständlern wird Mut gemacht, sie haben die "Formel der Zukunft" in ihern Händen.

"Wohlstand" und "Wohlergehen" sind die Fahnenwörter, mit denen Wulff die

Zukunftperspektive vergegenwärtigt. Bei diesen Zukunftsplänen seien "Innovationen" sehr

wichtig, wiederum ein Fahnenwort, das den Bedarf an einem neuen wirtschaftlichen

Blickwinkel klarmacht. "Zukunftsfähig" heißt in dieser Rede vor allem "umweltverträglich";

"Nachhaltigkeit" ist das wichtigste Schlag- bzw. Fahnenwort Wulffs. Die negative deontische

Nebenbedeutung dieses Wortes wird so bald wie möglich beseitigt, indem er behauptet,

Nachhaltigkeit heiße nicht "mehr Kosten", sondern "mehr Umsicht".

Am Anfang des nächsten Abschnitts listet er einige Fahnenworte auf ("Umsicht", "Respekt",

"Rücksichtnahme" und "Demut") und zieht einen Vergleich zu Stigmawörtern in diesem

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Kontext ("Rücksichtslosigkeit" und "Egoismus"). "Memo AG" wird zu einem Vorbild eines

nachhaltigen Betriebs gemacht; Wulff hofft sogar, dass es viele "Nachahmer" geben werde,

ein Wort, dass nicht oft eine positive Nebenbedeutung bekommt. Die Fahnenwörter, die er

weiter in der Rede verwendet, beziehen sich auf diesen Betrieb: "Erfindergeist" und

"Beharrlichkeit" führen zu "Wohlstand". Obwohl die Krise von einer zu hohen

Risikobereitschaft ausgelöst wurde, müssen die Unternehmer ehrgeizig bleiben; dieses Wort

hat in dieser Rede noch immer eine positive Nebenbedeutung und wird also nicht als Stigma-,

sondern als Fahnenwort verwendet. Wulff fokussiert sich nicht in hohem Maße auf die

wirtschaftlichen Erfolge des Betriebes, sondern auf die ökologische Seite ihrer

Betriebspolitik. Der Markt solle in eine ökologische Richtung gelenkt werden.

"Umweltverträglichkeit" ist nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern auch in Bezug auf

den zukünftigen Erfolg der Wirtschaft ein Fahnenwort. Deutschland trägt nicht die

Alleinverantwortung, Europa solle eine "treibende Kraft" sein. Wulff betont sehr begeistert,

dass wir ohne eine nachhaltige Umweltpolitik nie die Finanzkrise werden bewältigen

können. Beide Krisen sind miteinander vernetzt. "Knappheiten" stehen im Gegensatz zu

"Wachstum", eine Stigma-Fahnenwortkombination, die die Notwendigkeit der nachhaltigen

Reformen in zwei Wörtern zusammenfasst. Am Ende der Rede wiederholt Wulff die

Schlagwörter der Rede, um sie nochmal ins Gedächtnis der Zuhörer einzuprägen: "Mut" und

"Nachhaltigkeit".

Die konversationelle Implikatur der Rede ist der Versuch Wulffs, die deutsche Wirtschaft des

Bedarfs an einer nachhaltigeren Politik bewusst zu machen. Der Zusammenhang zwischen

dem Angehen des Klimawandels und dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg liegt nicht immer

auf der Hand, weil sich "Nachhaltigkeit" immer teuer anhört. Der wirtschaftliche Wohlstand

hängt seiner Ansicht nach also mit dem Wohlstand unseres Planeten zusammen.

Rede 32: Verleihung des Roland Berger Preises für Menschenwürde 2011 (22. November

2011, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Er

unterstützt die Aufstände des arabischen Frühlings, weil für Werte gekämpft wird, die im

Abendlande befürwortet werden. Diese Werte sind die Fahnenwörter seines

Ideologievokabulars, mit denen er an die Öffentlichkeit appelliert, den Nutzen dieses

Aufstands einzusehen.

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Wulff zieht einen Vergleich zwischen dem arabischen Frühling und dem Mauerfall im Jahre

1989, weil die Deutschen damals für dieselben Rechte kämpfen mussten. Diese Rechte und

Werte können in dieser Rede Fahnenwort genannt werden: "Frieden", "Freiheit",

"Demokratie" und Rechtsstaatlichkeit" sind die typischen abendländischen Grundsätze

unserer Staatsstrukturen. Das Volk soll sich in höherem Maße am politischen

Entscheidungsprozess beteiligen dürfen; diese "Transparenz" soll ihren Ausdruck in freien

Wahlen und der Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte finden. Transparenz ist auch

wichtig, um die "Selbstbestimmung" des Volkes erzielen zu können.

Die Medien bekommen einen zentralen Platz in dieser Rede. Die neuen und sozialen Medien

haben eine positive Nebenbedeutung und werden als Instrumente der Freieheit betrachtet. Sie

leisten einen Beitrag zur schon erwähnten Transparenz, die in einer demokratischen

Gesellschaftsordnung unentbehrlich ist. Wulff erwähnt die Tatsache, dass diese Medien auch

die Möglichkeit der Überwachung steigern. In der arabischen Welt werden auf diese Weise

noch viele Menschen, die Kritik am Regime üben, verhaftet. Es sind nicht die Medien,

sondern die Regime, die eine negative deontische Nebenbedeutung bekommen: Die

Instrumente sind einer demokratischen Gesellschaftsordnung zuträglich, aber sie werden von

Menschen manchmal zum falschen Ziel verwendet.

Die "Marktwirtschaft" wird auch mit dem Begriff "Demokratie" verbunden. Die

Marktwirtschaft wird durch Offenheit gekennzeichnet und fördert die "Kooperation" und das

"Miteinander"; Fahnenwörter, deren Bedeutung im Moment in der arabischen Welt nicht

existiert. "Polarisierung" wird als Stigmawort erwähnt und gleich mit den Fahnenwörtern

"Dialog" und "Empathie" verglichen.

Die konversationelle Implikatur ist die Vorbildfunkion, die Europa in dieser Rede bekommt.

Obwohl die Bürger in der arabischen Welt für Freiheit kämpfen, werden die abendländischen

Grundsätze und Vorstelungen einer perfekten Welt in den Vordergrund gestellt. Es ist noch

die Frage, ob zum Beispiel unsere Vorstellung einer effizienten Marktwirtschaft den

Vorstellungen der arabischen Welt gemäß ist.

Rede 33: Besuch der Universität Dhaka (29. November 2011, Christian Wulff)

Diese Rede ist eine Mischung aus Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation. Wulff ist

zu Gast bei einer bengalischen Universität und verwendet eigentlich nur vereinzelt

Fahnenwörter, die man als Ideologievokabular bezeichnen könnte. Die Rede hat eine

Appellfunktion, bleibt jedoch zum größten Teil ziemlich oberflächlich.

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Wulff plädiert für einen ständigen Dialog zwischen Orient und Okzident, "Verständigung" ist

nicht nur bei diesen beiden Ländern wichtig, sondern auf der ganzen Welt. "Offenheit" und

"Toleranz" sind in diesem Bereich auch wichtige Fahnenwörter.

Die kulturelle Identität bekommt einen zentralen Platz; sie wird von Wulff mit verschiedenen

Fahnenwörtern verbunden. Bei der Gründung ihres Staates standen "Selbstbestimmung",

"Demokratie" und "Rechtsstaatlichkeit" an erster Stelle; jetzt ist es die Aufgabe, diese Werte

zu erhalten, indem sie weiter versuchen sollen, eine Reformpolitik zu führen. Obwohl man in

Bangladesh auf dem Gebiet der demokratischen Rechte große Fortschritte erzielt hat, bleibt

"Reform" ein Fahnenwort mit einer rein positiven Nebenbedeutung. Die Demokratie soll

"lebendig" bleiben.

In Bezug auf die Finanzkrise braucht Wulff kein umfassendes Plädoyer zu halten, weil

Bangladesh eigentlich von der Krise profitiert hat; sie konnten neue Produzenten anziehen,

weil es in einer Krisezeit immer mehr Nachfrage nach preiswerten Gütern gibt.

Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass Deutschland und Bangladesh völlig

unterschiedlich sind, aber Wulff betont doch die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit, um

Probleme wie den Klimawandel und Engpässe in den Griff bekommen zu können.

Es gibt keine konversationellen Implikaturen in dieser Rede, weil Wulff keine Ratschläge

durch die Blume sagen soll. Die beiden Länder beschäftigen sich mit unterschiedlichen

Problemen, aber dennoch empfiehlt es sich wegen der Globalisierung, zusammenzuarbeiten.

Rede 34: Eröffnung der Wirtschaftskonferenz "UAE - German Business Forum" (12.

Dezember 2011, Christian Wulff)

Die Rede ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Wulff appelliert

mit seinem Ideologievokabular ständig an die Wirtschaftssachverständigen, die

Zusammenarbeit zwischen sowohl den beiden Ländern als auch auf globaler Ebene, zu

fördern.

Gleich am Anfang ist es klar, dass "Zusammenarbeit" das zentrale Schlagwort der Rede sein

wird. Wulff betont am Anfang, dass es viele Ebenen gibt, auf denen die Vereinigten

Arabischen Emirate und Deutschland miteinander verbunden sind: Politik, Wirtschaft,

Wissenschaft und Kultur sind alle Bereiche ihrer Partnerschaft. Die Art dieser Partnerschaft

wird mit Fahnenwörtern erklärt, sie soll "vertrauensvoll" und "gleichberechtigt" sein. Wulff

ist sehr behutsam, seinen Zuhörern nicht den Eindruck zu geben, dass Deutschland auf

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irgendwelche Weise den Vereinigten Arabischen Emiraten überlegen wäre. Er lobt die

"Dynamik" des Landes, sie sind ein Vorbild einer hervorragenden Wirtschaftsordnung, die

von Menschen unterschiedlicher Herkunft gegründet wurde. Diese Unterschiedlichkeit

bekommt eine positive deontische Nebenbedeutung, weil es eine ähnliche Zusammenarbeit

über die Ländergrenzen auf globaler Ebene geben soll. Diesem Vorbild sollte man in der

internationalen Politik folgen.

Der nächste Bereich ihrer Zusammenarbeit ist die Energieversorgung. Die wichtigsten Ziele

bzw. Fahnenwörter in diesem Bereich sind "Nachhaltigkeit" und "Umweltschutz". Wulff

behauptet, die Vereinigten Arabischen Emirate seien sich der Notwendigkeit einer

nachhaltigen Umweltpolitik bewusst, betont jedoch, dass Deutschland eines der führenden

Länder in Bezug auf die Einbindung in das Stromversorgungssystem ist.

Wulff kehrt wieder zum Thema der Wirtschaft zurück und sagt, der G20-Gipfel in Cannes

habe nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um wirtschaftliche Stabilität zu erzielen.

"Aufsicht" und "Regulierung" bekommen von Wulff eine positive Nebenbedeutung und

werden also nicht als Stigmawörter verwendet. Darüberhinaus betont er den Erfolg und die

Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Stigmawörter dieser

Rede sind "Verschuldung", "Ungleichgewicht", "Mangel" und "Vertrauensverlust"; Wulff

warnt, dass sich diese Entwicklungen nicht auf Europa beschränken. "Reformen" und

"Haushaltsdiziplin" sind die Fahnenwörter, mittels deren die negativen Entwicklungen in den

Hintergrund verschwinden werden. Auf internationaler Ebene brauchen Nationen

gegenseitiges "Vertrauen".

Die konversationellen Implikaturen dieser Rede sind ziemlich gut vertuscht. Wulff lobt die

Politik der Vereinigten Arabischen Emirate, gibt jedoch Ratschläge und unterbreitet auf

implizite Weise Vorschläge, mit denen sie ihre Politik verbessern könnten. Im

wirtschaftlichen Bereich warnt Wulff vor einer zu gewagten Wirtschaftspolitik in diesen

prekären Zeiten. In Bezug auf die erforderliche Nachhaltigkeit in der Energiepolitik lobt er

zunächst die Politik der Vereinigten Arabischen Emirate, betont jedoch später, dass

Deutschland das erforderliche Know-how besitzt, die richtigen Maßnahmen erfolgreich in die

Tat umzusetzen. Wulff war sehr vorsichtig, die Emirate nicht zu bevormunden.

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Rede 35: Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps (10. Januar 2012, Christian Wulff)

Diese Rede Wulffs ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskomunikation. Er

benutzt den Neujahrsempfang als eine Chance, die politische Lage zu bewerten und seine

Vorschläge zur Besserung dieser Lage zu unterbreiten. Das Ideologievokabular ist voller

Fahnenwörter, die die Ansichten Wulffs klipp und klar übermitteln sollen. Die Rede hat eine

sehr starke Appellfunktion: Die Politiker sollen am Anfang dieses neuen Jahres gute Vorsätze

fassen.

Am Anfang der Rede gedenkt Wulff des ersten Präsidenten Tschechiens Havel, und vor

allem seines Streits für grundsätzliche Rechte, die auch heute noch immer an erster Stelle

stehen: "Selbstbestimmung" und "Gerechtigkeit". Er war Vorbild eines Kämpfers für

"Demokratie" und "Menschenrechte". Wulff verweist auf die derzeitige Lage der arabischen

Welt; es bedarf eines Geistes des Muts, um dort die demokratischen Prinzipien

durchzusetzen. In dieser Hinsicht sind zwei Begriffe sehr wichtig: "Reformen" und "Dialog".

Ein Umschwung dieser Art kann nur Schritt für Schritt erzielt werden. Der erste Schritt heißt

Toleranz, deswegen bekommen die Worte "Unterschiede" und "Vielgestaltigkeit" eine

positive deontische Nebenbedeutung und werden also als Fahnen- statt Stigmawörter

verwendet. Die Stigmawörter, die einer Weltgemeinschaft im Weg stehen, sind

"Fremdenhass", "Gewalt" und "Extremismus"; "Freiheit" ist natürlich das Schlagwort, dem

nachgestrebt werden soll.

An dieser Stelle häufen sich die Fahnenwörter und werden mit ihren gegensätzlichen

Stigmawörtern kontrastiert. Die Welt braucht "Offenheit" und "Verantwortung", und auch

das Recht soll überall auf der Welt die Verhältnisse bestimmen. "Transparenz" und

"Rechtsstaatlichkeit" sind notwendig, sonst wird die Welt von "Instabilität", "Armut",

"Terrorismus", "Piraterie" und "Drogenhandel" betroffen sein.

Die Wirtschaft und die Energiewende sind die nächsten Themen der Rede.

"Wettbewerbsfähigkeit" und "Vertrauen" sind die zentralen Begriffe in diesem Bereich.

Wulff betont die Notwendigkeit einer anderen Haltung; "Reformen", "Anstrengungen" und

"Ausdauer" bekommen eine positive Nebenbedeutung, weil dies die einzigen Möglichkeiten

sind, die Krise in den Griff zu bekommen.

Unabhängig vom Thema ist die "Gemeinschaft" in allen Bereichen die Zielvorgabe. Die

globale Vernetzung hat "Abhängigkeiten" kreiert, aber dieses Wort soll nicht unbedingt als

Stigmawort gesehen werden; diese Abhängigkeiten erfordern nur eine kooperative Politik,

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bei der die Länder ihre eigene Verantwortung tragen sollen. Zu diesem Ziel spielen die

Vereinten Nationen eine wichtige Rolle, und Wulff vertuscht seine Ansicht nicht, dass dieses

internationale Organ aus allen Ecken der Welt unterstützt werden soll.

Es gibt keine wirklichen konversationellen Implikaturen, weil Wulff nicht nur die Fahnen-,

sondern auch die Stigmawörter ausführlich in seine Rede inkorporiert hat. Die Konsequenzen

bleiben also nicht implizit; die Stigmawörter betonen die Notwendigkeit der internationalen

Zusammenarbeit und der Beachtung der demokratischen Werte sehr klar.

Rede 36: Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises 2012 (17. Juni 2012, Joachim Gauck)

Bei der Verleihung des Weltwirtschaftspreises verwendet Gauck sowohl Darstellungs- als

auch Durchsetzungskommunikation. Obwohl es sich um eine Preisverleihung handelt,

wendet sich der Bundespräsident erst am Ende der Rede an die Leistungen der Preisträger.

Zum größten Teil der Rede versucht er, seinen Appell an die Öffentlichkeit mittels seines

Ideologievokabulars in Worte zu fassen.

Am Anfang gibt es eine Metapher und sogar Symbolik, um die Rede einzuleiten. Es gebe

"Stürme" des Wirtschaftslebens; der Ort, an dem die Rede gehalten wurde, ist symbolisch,

weil die Offenheit des Meeres, Schlewig-Holsteins Symbol, für Freiheit, Weite und Aufbruch

steht. Auch der Tag, an dem Gauck die Rede hielt, ist symbolisch: Der 17. Juni war über

dreißig Jahre der Nationalfeiertag der BRD, um des Aufstands gegen die Willkür der

sowjetischen Diktatur zu gedenken. "Mut" war das Fahnenwort, mit dem die Leute damals

für den zentralen Begriff des Abschnitts gekämpft haben: "Freiheit". Gauck blickt in die

Vergangenheit, um die Zuhörer der Aufgabe bewusst zu machen, diese Freiheit auch

heutzutage sicherzustellen. Er erinnert an die "Bevormundung" und "Repression", die in

diesem Bereich Stigmaworte sind. Daraufhin wendet sich Gauck an die Freiheit im

wirtschaftlichen Bereich; die Fahnenwörter bekommen aber auch einige Nebenbedeutungen,

die beseitigt bzw. gefördert werden sollten. Die soziale Marktwirtschaft hat eigentlich

Wohlstand für alle versprochen, hat aber dieses Versprechen nicht einlösen können.

"Globalisierung" soll eine positivere Nebenbedeutung bekommen, weil sie Chancen gibt, die

Welt neu zu gestalten; in diesem Bereich sollte Freiheit mit "Verantwortung" und "Mut"

verbunden werden, um den "Rückzugstendenzen" entgegenzuwirken. Diese Verantwortung

erfordert "Ordnung der Freiheit"; "Ordnung" bekam oft wegen des ehemaligen Gegensatzes

zwischen Markt- und Planwirtschaft, aber diese Haltung ist nicht der Weg aus der

Finanzkrise. Die Krise hat "Verunsicherung" ausgelöst, deswegen ist Ordnung ein

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wesentlicher Teil des Begriffs Freiheit; ohne Glaube ans System gibt es keine Freiheit.

"Abschottung" und "Rückzug" sind die Stigmawörter, die mittels Mut und Kraft beseitigt

werden sollen. Die Stigmawörter laufen auf eins hinaus: das Schlagwort "Protektionismus".

Es gab mal Zeiten, in denen Protektionismus für manche Länder notwendig war, aber in der

globalisierten Welt kann dieses Wort keine positive Bedeutung mehr haben. "Soziale

Verantwortung", "Wettbewerb", "Offenheit" und "Partnerschaft" sind die notwendigen

Elemente der derzeitigen globalen Wirtschaftsordnung.

"Freiheit" und "Verantwortung" werden am Ende sehr klar in den Vordergrund gestellt, weil

sie die zwei zentralen Begriffe der Rede sind. Diese Begriffe erscheinen manchen Menschen

vielleicht ein Widerspruch in sich, aber man sollte aus der Finanzkrise gelernt haben, dass

auch wirtschaftliche Freiheit ein Regelwerk braucht, um katastrophalen Ereignissen

vorzubeugen. Deutschland befürwortet die Vorgehensweise schon lange und hat Europa

ständig "Solidarität" gezeigt. Der nächste Widerspruch in sich ist die Aussage, eine

Gemeinschaft sei nur erfolgreich, wenn das Prinzip der "Selbstverantwortung" beachtet

werde. Obwohl Partnerschaft und Zusammenarbeit immer wieder befürwortet wird, gehört

"Selbstverantwortung" also zu den wichtigsten Fahnenwörtern der Rede.

Die konversationelle Implikatur wird am Ende der Rede klar, weil Gauck die Solidarität

Deutschlands in der Europäischen Union betont und zu gleicher Zeit der Notwendigkeit der

Selbstverantwortung am Ende der Rede zusätzlichen Nachdruck verleiht. Man könnte also

die Schlussfolgerung ziehen, dass Gauck erwartet, dass andere Länder dem Vorbild

Deutschlands folgen sollten.

Rede 37: Empfang für die Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung (19. Juni 2012,

Joachim Gauck)

Diese Rede Gaucks enthält vor allem Arbeitskommunikation, mit vereinzelten und impliziten

Elementen der Durchsetzungskommunikation. Die großen politischen Herausforderungen

kommen nicht groß ins Bild; die Appellfunktion verschwindet also in den Hintergrund,

deswegen ist auch das Ideologievokabular des Bundespräsidenten ziemlich begrenzt, die Zahl

der Fahnenwörter ist also bedeutend niedriger als bei den anderen analysierten Reden.

Gauck betont vor allem die Freiheit des Geistes, des Denkens, die die Stipendiaten der

Alexander von Humboldt Stiftung kennzeichnet. Die Stipendiaten stammen aus mehr als 130

Ländern, was doch ein Hinweis auf die Notwendigkeit der internationalen Partnerschaften ist.

Gauck erinnert an die Kämpfe der Vergangenheit, an den "Mut", der im Jahre 1989 gezeigt

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werden musste, um Freiheit zu erzielen. "Freiheit" wird in mehreren Kontexten verwendet

und ist also das zentrale Fahnenwort der Rede.

Forschung und die Freiheit des Denkens sind auch immer wichtige Zutaten, um einen Wandel

herbeiführen zu können. Die großen politischen Herausforderungen wie das Armutsproblem,

die Millenniumsziele, der arabische Frühling oder die Finanzkrise müssen mit innovativen

Lösungen beseitigt werden. Ein Wandel erfordert Kraft, soll aber eine positive

Nebenbedeutung haben.

Die konversationelle Implikatur ist die Notwendigkeit von "Freiheit", sowohl im

wissenschaftlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Diese Freiheit soll in einem

internationalen partnerschaftlichen Zusammenhang erzielt werden; es ist die richtige

Vorgehensweise, die großen politischen Probleme der Gegenwart lösen zu können.

Rede 38: Woche der Welthungerhilfe 2012 (14. Oktober 2012, Joachim Gauck)

Weil Gauck sich an die Öffentlichkeit wendet, handelt es sich in dieser Rede sehr klar um

Darstellungskommunikation. Die Rede hat einen buchstäblichen Appell an die Öffentlichkeit:

Die Deutschen sollen die Welthungerhilfe unterstützen.

In Bezug auf die Finanzkrise werden keine Schlagwörter benutzt, nur das Wort "Krise"

bekommt eine positive deontische Nebenbedeutung: Gauck betont nicht die negativen

Merkmale, sagt aber, dass Krisen nicht immer in Katastrophen enden.

Die Rede hat keine konversationellen Implikaturen, Gauck sagt wörtlich, was er von der

Öffentlichkeit fordert.

Rede 39: Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps (8. Januar 2013, Joachim Gauck)

Diese Rede ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation. Er nutzt diese

Begrüßung des Diplomatischen Korps zum Neujahrsempfang als eine Chance, die

Maßnahmen, die seiner Ansicht nach in naher Zukunft ergriffen werden sollten, mit einem

umfassenden Ideologievokabular zu befürworten. Dieses Vokabular dient also der

Appellfunktion seiner Rede, er will die Politiker deutlich machen, wie sie sich ans Werk

machen sollten.

Gauck fängt mit einer ziemlich pessimistischen Aussage an, die Welt sehne sich nach

"Frieden" und "Lebensperspektiven". Im nächsten Satz werden diese Fahnenwörter ergänzt

um Stigmawörter sowie "Kriege", "Hunger" und "Mangel" (an Entwicklungschancen,

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Freiheit und Sicherheit). Der nächste Gegensatz ist die Tatsache, dass die Welt uns sowohl

"Sorgen" als auch "Hoffnung" für die Zukunft gibt; "Willen" und "Mut" sind die

Fahnenwörter, mit denen "Freiheit" erzielt werden kann. "Verschiedenheit" soll eine positive

Nebenbedeutung bekommen, weil "Dialog" unbedingt ein Fahnenwort ist, mittels dessen die

Zukunft gewährleistet werden kann. Gauck wendet sich auch an die Diplomaten persönlich,

sie haben eine "Verantwortung" für die "Freiheit". Diese Wörter sind die zentralen Schlag-

bzw. Fahnenwörter der Rede, und Gauck verwendet sie mehrmals an der Stelle, an der er sich

an die Diplomaten wendet.

Um die Notwendigkeit seiner Ansichten zu unterstützen, blickt Gauck auch nochmals in die

Vergangenheit. Er dankt der niederländischen Königin, die trotz der Grausamkeiten

Deutschlands während des Zweiten Weltkrieges am Tag, an dem sie der Befreiung gedenkt,

den deutschen Bundespräsidenten bittet, eine Rede zu halten. Das ist ein Beispiel, auf welche

Weise die europäischen Länder miteinander verfahren sollen. Europa sei ein "Projekt", in

dem die Länder sich nicht "gegeneinander", sondern "gemeinsam" arbeiten sollen. Gauck

befürwortet ein Europa, in dem die Mitgliedstaaten sich nicht vor der "Stärke", sondern nur

vor der Schwäche ihrer Partner fürchten. Er verwendet also wiederum Gegensätze, um die

Fahnenwörter extra zu betonen.

Im nächsten Abschnitt werden die Fahnenwörter der Reihe nach aufgelistet, um die Werte,

nach denen sie streben sollten, ganz klar zu machen. Sie seien eine "Weltgemeinschaft" ist

ein Widerspruch in sich, vergegenwärtigt aber die Tatsache, dass alle Länder der Welt wegen

der globalen Vernetzung Partner sein sollen. Diese Partnerschaft ist notwendig, um diese

Fahnenwörter zu gewährleisten: "dauerhafte Sicherheit", "Wohlstand", "Recht und Gesetz",

"Rechenschaftspflicht", "demokratisch organisierte multilaterale" Organisationen; das

Schlagwort "Verantwortung" wird am Ende des Abschnitts nochmal erwähnt, um in erster

Linie die Aufgabe der Diplomaten klarzumachen.

Auch am Ende der Rede häufen sich die Fahnenwörter. "Verständnis" und "Verständigung"

sollen gefördert werden. Gauck schaut in die Zukunft, also erwähnt er auch die junge

Generation: Sie setzen sich weltweit für "Freiheit", "Würde" und "Zukunftsperspektiven" ein.

Bei den Jugendlichen hat ein "Wandel" eine positive Nebenbedeutung; ein Wandel ist eine

Chance, die Welt neu zu gestalten, um die erwähnten Fahnenwörter zu gewährleisten. Gauck

verbindet die Zukunft mit der Vergangenheit: Man lernt nicht nur aus den Fehlern, sondern

auch aus den Reformen der Vergangenheit. Die Revolutionen Mitteleuropas im 20.

Jahrhundert haben gezeigt, dass ein Wandel manchmal einfach erforderlich ist. Es gibt jedoch

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zwei zentrale Schlagwörter, die die notwendigen Zutaten eines Wandels sind: "Mut" und

"Verantwortung".

Es gibt in dieser Rede keine wirklichen konversationellen "Implikaturen", weil Gauck sehr

viele Fahnenwörter verwendet, um seine Ansichten zu übermitteln. Er beschönigt den wahren

Sachverhalt nicht, er sagt buchstäblich, was zu tun sei, um die Zukunft sicherzustellen. Die

Weltgemeinschaft braucht einen Wandel, für den Mut und Verantwortung erforderlich sind.

Rede 40: Mittagessen zu Ehren des Präsidenten der Tschechischen Republik (9. Januar 2013,

Joachim Gauck)

In dieser Rede verwendet Gauck sowohl Arbeits- als auch Durchsetzungskommunikation. Er

verweist vor allem am Anfang auf die überwundenen Krisen Tschechiens und die

schwierigen Lagen der Vergangenheit. Gauck blickt aber auch in die Zukunft; er verwendet

ein umfassendes Ideologievokabular, mit dem er auch seine Ansichten einer zielstrebigen

Politik für die Zukunft mit vielen Fahnenwörtern verteidigt. Am Ende der Rede wird die

Appellfunktion also deutlich an die Oberfläche kommen.

Obwohl Gauck vermutete, dass die Zuhörer am liebsten in die Zukunft blicken, verwendet er

eine Metapher, um zu rechtfertigen, aus welchen Gründen sie zunächst in Erinnerungen

schwelgen sollten. Ohne Rückspiegel könne man kein Auto fahren, aber der Rückspiegel

dürfe nicht größer sein als die Frontscheibe. Die Metapher enthält auch einen impliziten

Appell, aus den Fehlern und aus den erfolgreichen Maßnahmen der Vergangenheit zu lernen.

Nach dem Fall des Kommunismus hatten sie "Freiheit", aber dieses Fahnenwort bekommt

eine deontische Nebenbedeutung: Wer Freiheit hat, muss auch die Verantwortung

übernehmen, diese Freiheit zu schützen. Auf der wirtschaftlichen Ebene werden Plan- und

Marktwirtschaft als Stigma- und Fahnenwort einander gegenübergestellt. Die

Marktwirtschaft wird auf diese Weise auch mit "Freiheit" und "Verantwortung" verbunden,

weil die Planwirtschaft zum kommunistischen Systems gehörte; deshalb ist die

Marktwirtschaft das System einer "demokratischen" und "freien" Nation. Gauck schreckt

auch nicht davor zurück, olle Kamellen aufzuwärmen: Er gesteht, dass Deutschland Fehler

gemacht hat, und dass deswegen die deutsch-tschechische Partnerschaft keine

Selbstverständlichkeit war. "Gemeinsam" bleibt aber das Schlag- bzw. Fahnenwort; wenn sie

gemeinsam in die Vergangenheit schauen, werden sie auch gemeinsam den Weg in die

Zukunft finden. Das nächste Schlagwort ist "Vertrauen", von dem die Notwendigkeit mit der

Metapher "Grundkapital der Beziehungen zwischen unseren Ländern" betont wird. Mit dem

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Wort "Vertrauen" verweist er also auch auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, und

dann ist nicht erstaunlich, dass die europäische Integration auch als Fahnenwort in den

Vordergrund gestelt wird. "Freiheiten und Chancen" werden "Sorgen und Ängsten"

gegenübergestellt. Gauck gibt manchen Fahnenwörtern jedoch auch eine zusätzliche

deontische Nebenbedeutung, mit der gerechnet werden soll. "Freiheit" impliziert

"Verantwortung", "Ansprüche" fordern "Anstrengungen und "Markt und Staat" erfordern

eine Balance.

Das wichtige Schlagwort "Vertrauen" wird um mehrere Fahnenwörter ergänzt, sie sollen auf

ihre Kreativität, ihre ökonomischen Fähigkeiten, ihre politische Kultur und ihre Solidarität

vertrauen. Implizit verweist er auch auf die Notwendigkeit des Vertrauens in die

(europäische) Partnerschaft: "Freiheit" steht auf dem Spiel. Diese Freiheit erfordert

"Engagement" und soll vor "Gängelung und Bevormundung" geschützt werden. Wiederum

verwendet Gauck also einen Gegensatz zwischen Fahnen- und Stigmawörtern. "Freiheit" soll

auch auf der wirtschaftlichen Ebene angestrebt werden; die soziale Marktwirtschaft ist das

System, das diese Freiheit gewährleistet. Der Aspekt "sozial" bekommt jedoch einige

Nebenbedeutungen; "sozial" heißt laut des Präsidenten nicht, dass die Bürger ohne

Voraussetzungen die Menge an Freiheit bekommen, die sie wollen. Sie sollen Freiheit

"verantwortlich" nutzen, was Gauck "soziale Gerechtigkeit" nennt. Er ist sich dessen

bewusst, dass "sozial" auf diese Weise eine negative Nebenbedeutung im Sinne des

"Paternalismus" bekommen könnte; deswegen betont er, dass diese Kritik am deutschen

System unberechtigt sei.

Die konversationelle Implikatur dieser Rede sind die Appelle Gaucks, nicht nur aus den

Fehlern der Vergangenheit zu lernen, sondern auch aus dem deutschen Erfolg in jüngster

Vergangenheit. Am Ende der Rede sagt er sogar buchstäblich: "Bleiben sie Deutschland

gewogen!". Während der ganzen Rede wird Zusammenarbeit und Partnerschaft (zwischen

den beiden Ländern aber auch auf europäischer Ebene) sowohl implizit als auch explizit als

Lösung der Probleme vorgebracht.

Rede 41: Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten der Republik Island, Ólafur Ragnar

Grímsson (25. Juni 2013, Joachim Gauck)

Diese Rede enthält hauptsächlich Arbeitskommunikation, aber an manchen Stellen sind auch

vertuschte Elemente der Durchsetzungskommunikation zu entdecken. Gauck verwendet nicht

so viele Wörter, die typisches Ideologievokabular sind, weil es nicht die Absicht ist, seine

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Meinung mit aller Kraft zu verteidigen oder zu übermitteln. Die Rede hat jedoch einen

zentralen Appell, den Fortbestand der Zusammenarbeit, der also ein Element der

Durchsetzungskommunikation vertritt.

Die ganze Rede steht im Zeichen zweier Worte aus dem ersten Abschnitt: partnerschaftliche

Verbundenheit. In einem ziemlich großen Teil der Rede handelt es sich nur um die

Geschichte der Partnerschaft; das "Miteinander" wird ständig betont. Partnerschaft enthält in

diesem Fall auch Solidarität, die Isländer haben den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg

wieder auf die Sprünge geholfen. Island wurde schon im Jahre 2008 schwer von der

Finanzkrise getroffen; diese Lage wird vom Bundespräsidenten mit einer Metapher

beschrieben: ein "Finanz-Tsunami". Island versucht seit dem Jahre 2009 der Europäischen

Union beizutreten, was Gauck als eine Lehre, die Island aus der Krise gezogen hat,

betrachtet. Wulff betont mehrere Male die "Zusammenarbeit" zwischen den beiden Ländern

und sagt, Deutschland werde diesen Versuch unterstützen; auch wenn es keinen EU-Beitritt

geben würde, wird Deutschland seine Zusammenarbeit mit Island weiter ausbauen.

Die einzige konversationelle Implikatur ist die implizite Warnung Gaucks, die Notwendigkeit

internationaler Zusammenarbeit einzusehen. Island soll also alles Mögliche machen, um der

Europäischen Union beizutreten.

Rede 42: Entlassung der Bundesregierung (22. Oktober 2013, Joachim Gauck)

Diese Rede, in der sich Gauck von der Koalition mit der FDP und der CSU verabschiedet,

enthält sowohl Arbeits- als auch einige Elemente der Durchsetzungskommunikation. Er

blickt natürlich in die Vergangenheit zurück; die Krisen, mit denen sich diese Regierung

beschäftigen musste, werden in den Vordergrund gestellt, um zu betonen, wie schwierig ihre

Arbeit gewesen ist. Gauck verwendet Ideologievokabular mit Fahnenwörtern, die die Werte

darstellen, für die die Regierung gekämpft hat.

Die Rettungspakete, Spar- und Reformauflagen werden aus einem positiven Blickwinkel

betrachtet; die Unfähigkeit der bedürftigen Länder wird nicht betont, sondern die

Maßnahmen, die egriffen wurden, um die Krise in den Griff zu bekommen, werden gelobt.

Die Fahnenwörter, mit denen die Haltung Deutschlands beschrieben wird, sind "verlässlich"

und "solidarisch"; implizit wird also die Art und Weise, auf die Deutschland die europäischen

Partnerschaft gestaltet hat, verherrlicht. "Verantwortung" ist in diesem Bereich auch ein

Kernelement der deutschen Politik. Obwohl die Regierung abgewählt wurde, betont Gauck

doch die Notwendigkeit des demokratischen "Wettbewerbs".

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Die konversationelle Implikatur der Rede ist die Verteidigung gegen Kritik, die an manchen

Bereichen der deutschen Politik geübt wurde; zum Beispiel in Bezug auf die finanziellen

Voraussetzungen für Länder, die den Rettungsschirm brauchten, oder auf den arabischen

Frühling.

Rede 43: Ernennung des Bundeskabinetts (17. Dezember 2013, Joachim Gauck)

Diese Rede ist vor allem Arbeitskommunikation, hat jedoch auch Elemente der

Durchsetzungskommunikation. Es handelt sich nicht nur um die Ernennung des

Bundeskabinetts, Gauck sieht diese Rede an manchen Stellen auch als eine Möglichkeit,

seine Ansichten in den Vordergrund zu stellen. Der Schwerpunkt des Ideologievokabulars,

mittels dessen die Appellfunktion der Rede klar wird, befindet sich vor allem am Ende der

Rede.

Am Anfang der Rede ist das erste Schlagwort "Kompromissfähigkeit", das Gauck sogar als

Tugend der deutschen Demokratie bewertet. Diese Fähigkeit sei nicht nur wichtig bei den

innerdeutschen Angelegenheiten, sondern auch bei der Zusammenarbeit bei den europäischen

Partnern und dem Rest der Welt. Er wünscht der Großen Koalition "Mut" und die Fähigkeit,

mit ihrer Mehrheit "verantwortungsvoll" umzugehen. "Mut" und "Verantwortung" stehen

beim Antritt der Koalition also an erster Stelle. Für diesen "Mut" blickt Gauck in die

Vergangenheit und zieht einen Vergleich mit der Großen Koalition der sechziger Jahre unter

Kiesinger. Damals wurden vor allem schwere innenpolitische Probleme beseitigt, im

Vergleich zur zweiten Großen Koalition im Jahre 2005 unter der Kanzlerschaft Merkels, die

sich hauptsächlich um die Finanzkrise drehte. Gauck stellt eine rhetorische Frage, ob sie den

Mut zu den notwendigen Reformen finden werden. Obwohl er also zunächst in die

Vergangenheit blickte und die Ergebnisse der damaligen Großen Koalition lobte, sollten sie

also doch einen neuen Weg einschlagen: "Wachstum" und "Zukunftsfähigkeit" sind die

Fahnenwörter, denen sie nachstreben sollen.

Er blickt erneut in die Vergangenheit. Viele Ereignisse, darunter die Weltkriege und die

friedliche Revolution, haben dafür gesorgt, dass Deutschland auf der internationalen Ebene

eine große "Verantwortung" trägt. Dieses zentrale Schlagwort wird mit einer Reihe von

Fahnenwörtern verstärkt: "Frieden", "Freiheit", "Menschenrechte" und "Lebenschancen".

Deutschland hat die Verantwortung, diese Werte sicherzustellen.

Die konversationelle Implikatur der Rede ist der Appell Gaucks, sowohl aus den Erfolgen als

auch aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Es heißt nicht, weil die neue Große

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Koalition eine überzeugende Mehrheit hat, dass sie sich nicht ihrer großen Verantwortung

bewusst sein sollten. Sie haben einen Gestaltungsspielraum, den sie zum Zweck neuer

Reformen benutzen sollen.

Rede 44: 20. Deutscher Bankentag (9. April 2014, Joachim Gauck)

In dieser Rede hat Bundespräsident Gauck ein klares Ziel: Er will betonen, dass nicht nur die

Banken die Verantwortung für die Krisen tragen sollten. Dieser Standpunkt ist in dieser Rede

überhaupt keine konversationelle Implikatur, er beschönigt seine Meinung nicht.

Seine Rede bei der Eröffnung des Bankentags ist eine Kombination von Arbeits- und

Durchsetzungskommunikation. Es handelt sich nicht um eine esoterische Insidersprache,

sondern um eine sehr verständliche, nachvollziehbare Alltagssprache. Das

Institutionsvokabular ist sehr beschränkt und einfach, die große Mehrheit der Deutschen

weiß, was mit "Bankenunion" gemeintist. Darüberhinaus hat seine Rede eine klare

Appellfunktion: Bürger sollen über Geld reden, mehr davon erfahren und der sozialen

Marktwirtschaft trotz der Finanzkrise nicht die kalte Schulter zeigen. Gaucks

Ideologievokabular ist in dieser Rede auch sehr direkt; er fängt mit einigen Begriffen an, die

seiner Meinung nach den Banken manchmal unberechtigt vorgeworfen werden: Gier,

Größenwahn, Kontrollverlust, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation. Ein

wichtiges Schlagwort in dieser Rede ist Vertrauen: Die Akteure des Bankgewerbes seien

keine Finanzjongleure. In diesem Bereich äußert er vier wichtige Fahnenwörter: Wachstum,

Dynamik, Beschäftigung und Innovation. Diese Wörter seien Komponenten des zentralen

Schlagwortes: (soziale) Marktwirtschaft. Er verwendet eine Metapher, um seine Kritik an der

Kritik der Öffentlichkeit zu üben: "Das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet", die positiven

Punkte der Marktwirtschaft verschwinden in den Hintergrund. "Gewinnstreben" gehört auch

zu seinem Ideologievokabular: Im Gegensatz zu denen, die den Banken und vielleicht der

Marktwirtschaft im Allgemeinen ablehnend gegenüber stehen, hält er dieses Wort nicht für

verwerflich. "Gewinnstreben" ist in diesem Fall also noch immer ein Fahnenwort. Die Bürger

haben seiner Meinung nach auch die Verpflichtung, sich aus freien Stücken über die

aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen zu erkundigen und sogar einen Schritt weiter zu

gehen als nur auf dem Laufenden zu sein, sie sollten sich an diesen Debatten beteiligen.

Gauck nennt diese Haltung eine Komponente des nächsten Schlagwortes: "Demokratie". Im

abendländischen Ideologievokabular ist "Demokratie" immer mit "Freiheit" verbunden, was

auch in dieser Rede der Fall ist. Obwohl Gauck die Notwendigkeit des Glaubens an die

Marktwirtschaft und an deren inhärente Freiheiten immer wieder in den Vordergrund stellt,

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begrenzt er auch diese Freiheit. Es sei die Rolle der Politik, zu entscheiden, wo die Grenze

des Notwendigen verläuft.

Weiter spricht Gauck mit vielen Gegensätzen; er versucht, seine Meinung als die richtige

drazustellen, indem er die "fatalen" Gegensätze vergegenwärtigt. So verleiht Geld Einfluss,

aber auch Abhängigkeiten. Es hat noch nie sowohl so viele Schulden als auch Vermögen

gegeben. Einerseits sollten die Bürger an die Fähigkeit der sozialen Marktwirtschaft glauben,

andererseits auch für die Risiken einstehen. "Freiheit" ist das nächste Fahnenwort, das auch

mittels eines Gegensatzes erklärt wird: "Die Fratze der ungezügelten Freiheit" steht der

"Freiheit, die ich meine" gegenüber. Dieser Gegensatz wird sogar wiederholt, damit die

Bedeutung seiner Äußerung nochmals betont wird, so meint er "die Freiheit der sozialen

Marktwirtschaft" und nicht "die Freiheit des grenzenlosen Übermuts". Die ständige

Wechselwirkung zwischen diesen Fahnen- und Stigmawörtern haben vor allem zum Ziel, die

positiven Nebenbedeutungen des zentralen Schlagwortes "Marktwirtschaft" zu stärken.

"Wettbewerb" wird zum Pendant zum Begriff "Exzesse", weil Wettbewerbsfähigkeit

wiederum eine Form von Freiheit ist und nicht bedeuten sollte, dass man nicht vernünftig mit

den erzielten Gewinnen umspringen soll. Mit den Gegensätzen betont Gauck auch ständig die

gegenseitigen Verantwortung von Banken und Bürgern, "Bringschuld" und "Holschuld"

zielen auf die Verpflichtung der Banken, die Bürger mit einem reinen Gewissen über die

Risiken ihrer Finanzgeschäfte zu informieren. Die Bürger haben jedoch eine "Holschuld",

weil sie klug genug sein sollten, den Bankmanagern blindlings zu vertrauen.

Gauck verstieß nicht gegen die Konversationsmaximen, vor allem die Maxime der Modalität

wurde bequem eingehalten. Man sollte keine Nachforschungen anstellen, um

konversationelle Implikaturen zu entdecken; er hat seine Botschaft ganz klar in Worte

gefasst.

Rede 45: Mittagessen mit deutschen Wirtschaftsverbänden und dem DGB (18. Juni 2014,

Joachim Gauck)

Diese Rede Gaucks enthält Arbeitskommunikation, weil er sich an Sachverständige der

Wirtschaft wendet, und Durchsetzungskommunikation, weil er sie von seinen Ansichten

überzeugen will. Die Appellfunktion der Rede wird klar bei der Analyse des

Ideologievokabulars, insbesondere der Schlagwörter.

"Verantwortung" ist das wichtigste Schlag- bzw. Fahnenwort. Gauck fügt aber auch eine

Zukunftsperspektive hinzu: Er drückt "Hoffnung" und "Erwartung" aus, dass sie einen neuen

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Weg einschlagen werden, "Wechsel" und "Wandel" sind die Fahnenwörter in diesem

Bereich. Sie sollen innovieren, weil sie trotz der Krise noch immer sehr leistungsfähig sind

(dank der "Verantwortung"). Die "Selbstverwaltung" und "Verantwortung" wird immer

wieder betont, "Macht" bekommt eine pejorative deontische Nebenbedeutung und ist eine Art

Stigmawort, es soll "ausbalanciert werden, weil sonst "Unmündigkeit" und "Abhängigkeit"

entstehen.

Gauck verwendet in dieser Rede mehrere Metaphern, die etwas mit Holz zu tun haben.

Mittels Expertise entstehe eine "gewollte Reibung"; die Gäste sollten sich darüber

entscheiden, mit welcher "Körnung geschliffen wird". Er stellt die Frage, ob nur eine

"Oberflächenpolitur von störenden Ecken und Kanten" möglich sei, oder ein neues

"Werkstück" entstehen könne.

Gauck sagt, dass sie nicht nur die Probleme der Finanzkrise beseitigen sollen, sondern auch

die der Umwelt. "Wandel" ist das wichtigste Schlagwort dieses Abschnitts, das von mehreren

Fahnenwörtern unterstützt wird . Um die Probleme der Zukunft beseitigen zu können, braucht

Deutschland "Innovationsfähigkeit", "Erfahrung" und "Entdeckersgeist". Diese Fahnenwörter

seien wichtig, um den "Ruf als Wirtschaftsstandort" zu sichern. Das Wort "Wandel"

bekommt noch eine zuversichtliche Nebenbedeutung, sie sei als "Raum unserer

Möglichkeiten" zu betrachten. Die Krise ist also eine Chance, einen wirtschaftlichen Wandel

erzielen zu können.

Am Ende der Rede betont Gauck nochmal die wichtigsten Fahnenwörter seiner Rede; die

Wirtschaft soll "Mut und Willen" aufbringen, um die "Beweglichkeit" zu ermöglichen.

"Veränderung" stehe an erster Stelle.

Die konversationellen Implikaturen der Rede sind nicht schwer zu erkennen. Gauck

schmeichelt seinen Zuhörern am Anfang, indem er ihre "Verantwortung" während der

Finanzkrise bejubelt. Dank dieser rhetorischen Gewieftheit fällt es seinen Zuhörern leichter,

die verhüllte Kritik, die Gauck später an ihnen übt, zu ertragen. Sie sollen mehr innovieren,

einen Wandel erzielen, um die Schwierigkeiten der Zukunft beseitigen zu können. Sie sollen

sich buchstäblich "in Bewegung setzen", damit die zukünftigen Generationen nicht unsere

Probleme lösen sollten.

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Rede 46: Deutsch-Portugiesische Industrie- und Handelskammer (24. Juni 2014, Joachim

Gauck)

In dieser Rede verwendet Gauck vor allem Arbeitskommunikation, er feiert den 60.

Geburtstag der deutsch-portugiesischen Handelskammer ; er wendet sich an die Mitglieder

der Handelskammer und blickt vor allem in die Vergangenheit. Es gibt jedoch auch

Elemente der Durchsetzungskommunikation, weil er den Fortbestand der Partnerschaft auch

in der Zukunft sichern will. Diese Rede hat also eine klare Appellfunktion: Gauck betont

immer wieder die Wichtigkeit dieser Partnerschaft, die erhalten werden sollte.

Obwohl die deutsch-portugiesische Handelskammer kein bekannter Begriff ist, ist die Rede

sehr leicht verständlich; es gibt kein schwieriges Institutionsvokabular. Das

Ideologievokabular ist sehr positiv, voller Hoffnung in die Bezug auf die Zukunft, die Krise

wird als "Herausforderung" statt "Scheitern" bezeichnet. "Verbindung" ist das Schlagwort

dieser Rede und wird in Kombination mit vielen Fahnenwörtern verwendet, um die

Partnerschaft mit der portugiesischen Wirtschaft zu glorifizieren. Gauck sagte, "Prägung" und

"Haltung" seien die zentralen Themen dieser Rede. Die beiden Länder prägen einander, um

eine Front zu bliden, zusammen seien sie stärker. Er spricht über "Gastarbeiter" als über eine

Bereicherung, eine Haltung, die seit einigen Jahrzehnten in Deutschland keine

Selbstverständlichkeit mehr ist. Im Ideologievokabular kann es sowohl Fahnen- als auch

Stigmawort sein. "Vertrauen" und "Vertrautheit" sind die nächsten Fahnenwörter; die

Gegenseitigkeit der Partnerschaft bleibt auch nach 60 Jahren sehr wichtig. Ein klassisches

Wortpaar bildet einen Gegensatz von Fahnen- und Stigmawort: "Demokratie" und "Diktatur".

Demokratie wird mit Marktwirtschaft verbunden, um den Glauben ans herrschende

Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten. Der "Rettungsschirm" wird jedoch nicht als Rettung,

sondern als etwas Negatives betrachtet, dem man so bald wie möglich entfliehen sollte.

"Reform" ist das nächste Schlagwort bzw. Fahnenwort, man sollte aus den Fehlern der

Vergangenheit lernen und auf diese Weise in der Lage sein, die Finanzkrise und zukünftige

Krisen zu bewältigen; auch "Umstrukturierungen" bekommen eine positive Konnotation.

Sowohl die Zusammengehörigkeit zwischen den beiden Ländern als auch die "Solidität" und

"Solidarität" in Europa seien sehr wichtig. "Reform" wird mit der "Prosperität" der Zukunft

der Europäischen Union verbunden. In dieser Hinsicht spricht er über "Perspektiven" für die

Jugend; die deutschen Unternehmen seien bereit, in die portugiesische Wirtschaft zu

investieren, was diese Perspektiven sicherstellen sollte. Portugal hat also jedes Interesse an

der Partnerschaft mit Deutschland.

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Die konversationelle Implikatur geht jedoch weiter als die Glorifizierung der Partnerschaft;

Man kann zwischen den Zeilen lesen, dass Portugal Deutschland braucht, um die Stagnation

der Wirtschaft in den Griff zu bekommen.

Rede 47: Staatsbankett während des Staatsbesuchs in Portugal (24. Juni 2014, Joachim

Gauck)

Die Rede ist eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation.

Bundespräsident Gauck feiert nicht nur die Partnerschaft mit Portugal, sondern befürwortet

diese Partnerschaft als ein Vorbild, dem die anderen Länder Europas folgen sollten. Das

Ideologievokabular Gaucks enthält vor allem Fahnenwörter, die sich auf die internationale

Partnerschaft beziehen. Der Appell ist alles andere als implizit, das Ideologievokabular ist

offen und ehrlich.

Ab dem ersten Abschnitt der Rede stellt Gauck die Partnerschaft in den Vordergrund: Sie

seien "Nachbarn". Ihre Wege in die Europäische Union waren vielleicht unterschiedlich, aber

ihre derzeitige Vorgehensweise ist dieselbe. Die beiden Länder befürworten dieselben Werte

bzw. Fahnenwörter: "Freiheit", "Frieden", "Demokratie" und "Teilhabe". Es gibt noch mehr

Fahnenwörter, die die Partnerschaft betonen. Gauck befürwortet das weitere

Zusammenwachsen und die Entwicklung der bilateralen Beziehungen. In Bezug auf die

Finanzkrise würdigt er die portugiesische Reformpolitik. Reformen sollen nicht gefürchtet,

sondern befürwortet werden. "Reform" bekommt eine positive Nebenbedeutung und soll also

angestrebt werden. Gauck weiß die portugiesische Politik zu schätzen, deswegen stellt er die

Unterstützung Deutschlands sicher. "Investitionen" und "Zusammenarbeit" sind wichtig, weil

es einen Strukturwandel gibt. Deutschland kann jedoch einige Sachen von den Portugiesen

lernen; der "Multilateralismus" und die "Leistungsfähigkeit" Portugals, dank deren Portugal

eine Brücke zwischen Europa und Afrika geschlagen hat, sei ein Vorbild, dem Deutschland

folgen sollte. Auch "Verständnis" ist ein wichtiges Fahnenwort in dieser Zeit, Portugal hat

natürlich eine enge Beziehung zu Brasilien. Portugal spielt die wichtige Rolle des Vermittlers

in Bezug auf die sozialen Konflikte im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft. Die

Portugiesen verstehen also die Bedeutung des Fahnenwortes "Nachbarschaft".

Es gibt keine wirkliche konversationelle Implikatur. Gauck sagt buchstäblich, was er meint.

Er betont die gegenseitigen Vorteile ihrer Partnerschaft. Die deutschen Unternehmen sind

sehr wichtige Partner in dieser Periode, und Portugal ist ein Vorbild im Bereich des

Multilateralismus.

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Rede 48: Empfang des Bundespräsidenten in Sintra während seines Staatsbesuchs in Portugal

(25. Juni 2014, Joachim Gauck)

Diese Rede enthält hauptsächlich Arbeitskommunikation, Gauck hat natürlich keine Autorität

in Portugal, aber er vermittelt doch seine Meinung mit seinem Ideologievokabular. Manche

Teile der Rede enthalten also auch eine Art Durchsetzungskommunikation.

Gauck ist sehr positiv und zuversichtlich, er leugnet gleich am Anfang, dass es Panik in

Bezug auf die Finanzkrise geben würde. Das Stigmawort heißt "Resignation", wird aber

gleich mit mehreren Fahnenwörtern bekämpft. Die Portugiesen seien voller "Energie", und es

gebe eine große "Solidarität" bei der portugiesischen Bevölkerung. "Solidarität" ist das

wichtigste Fahnenwort und wird von anderen Fahnenwörtern bekräftigt; Gauck lobt den

"Familienzusammenhalt", die "Nachbarschaftshilfe" und die "Freundschaft" der Portugiesen.

Portugal braucht die Hilfe des Rettungsschirms nicht mehr, was doch ein wichtiges Indiz

eines wirtschaftlichen "Aufschwungs"; die Wörter sind Gegensätze und also als Stigma- und

Fahnenwort zu betrachten. "Reform" ist hier auch "Fahnenwort", sie haben "Opfer" bringen

müssen, aber dieses Wort hat in dieser Rede eine positive deontische Nebenbedeutung und

symbolisiert die solidarische Kampfbereitschaft. Die Positivität der Portugiesen wird immer

wieder mit Fahnenwörtern in den Vordergrund gestellt: "Zuversicht" und "Optimismus" stehe

ihnen ins Gesicht geschrieben. Gauck betont jedoch, dass sie sich nicht nur auf die Wirtschaft

fokussieren soll, sondern auch auf Kultur und Bildung. Diese Ansicht wird mit einer

Metapher illustriert: Alles andere solle nicht auf "Sparflamme" kochen. Am Ende der Rede

feiert er nochmal die "Kraft" Portugals, die eigentlich doch zum Schlagwort der Rede wird,

und die "Freundschaft" zwischen den beiden Ländern.

Es gibt trotz der positiven Atmosphäre einige konversationelle Implikaturen. Gauck bejubelt

nicht nur die Erfolge Portugals und den Ausstieg aus dem Rettungsschirm, sondern gibt auch

seine Ansichten, auf welche Weise Portugal jetzt weitergehen sollte.

Rede 49: Besuch des Präsidenten der Slowakischen Republik (23. Juli 2014, Joachim Gauck)

Diese Rede ist eine Mischung aus (hauptsächlich) Arbeits- und nur wenig

Durchsetzungskommunikation. Gauck blickt vor allem in die Vergangenheit, indem er die

Kraft der Slowakei während der Friedlichen Revolution lobt. Doch kann man zwischen den

Zeilen konversationelle Implikaturen in Bezug auf die Zukunft entdecken. Diese

Implikaturen enthalten einen Appell an die zukünftige Politik der Slowakei und Europas, um

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die derzeitigen Krisen bewältigen zu können. Das Ideologievokabular Gaucks ist also

sorgfältig ausklamüsert.

Die Slowakei sei eine europäische Erfolgsgeschichte, vor allem seit dem Austritt aus dem

Warschauer Pakt. Der Warschauer Pakt wird also zum Schlagwort, aber im negativen Sinne

eines Stigmawortes. Obwohl dieser Pakt im Grunde genommen auch eine Partnerschaft war,

ein Begriff, der in dieser Rede als Fahnenwort in Bezug auf die Europäische Union

verwendet wird. Diese Art Partnerschaft bekommt also eine negative deontische

Nebenbedeutung, weil es keine Partnerschaft mit den "richtigen" Ländern oder (nach unserer

Gesinnung) den "richtigen" Regeln entsprechend war. Im nächsten Satz wird "Unabhängkeit"

als Fahnenwort verwendet, um die Unterschiede völlig klarzumachen: Die Slowakei ist ein

"selbständiger" Partner als EU- und NATO-Mitglied. Am Ende der neunziger Jahre gab es

auch eine finanzielle Krise in der Slowakei, aber ihre "mutige" politische Führung habe eine

Wende eingeleitet, um die "politische Stabilität" und die "demokratische Verlässlichkeit"

sicherzustellen. "Mut" ist also das Schlagwort, mit dem die Fahnenwörter "Stabilität" und

"Verlässlichkeit" geschützt werden sollen. "Vertrauen" sei auch sehr wichtig, und

"Korruption" und "Klientelismus" sollen bekämpft werden. Gleich nach diesem Gegensatz

zwischen Fahnen- und Stigmawörtern wird betont, dass die Slowakei eine stabile

parlamentarische Demokratie sei.

Am Ende der Rede betont Gauck die Wichtigkeit der Europäischen Union, diese

Partnerschaft funktioniere nur, wenn die "Leidenschaft" aller Mitglieder lebendig bleibe. Die

Slowakei wird zum Vorbild in Bezug auf wirtschaftliche Reformen gemacht. "Reform" ist

ein Fahnenwort, weil die Finanzkrise neue Ideen und Vorgehensweisen erfordert, um alle

Länder Europas auf derselben konkurrenzfähigen Ebene der Slowakei zu bringen. Das

Leitbild sei die Automobilindustrie, aber eigentlich will Gauck anhand dieses Beispiels

wiederum die Notwendigkeit der überstaatlichen Partnerschaften in den Vordergrund stellen.

Die konversationellen Implikaturen dieser Rede sind also die Appelle Gaucks, die

Notwendigkeit wirtschaftlicher Reformen und überstaatlicher Partnerschaften einzusehen.

Aus der Weise, auf die die Slowakei vorherige Krisen bewältigt hat, sollten sie lernen, um

mit der derzeitigen Krise auf ähnliche Weise umgehen zu können. Am Ende ist das Beispiel

der erfolgreichen Automobilindustrie der Slowakei keine einfache Verherrlichung, sondern

ein Appell, ähnliche Partnerschaften zu gründen oder zu erhalten, um aus der Krise

auszusteigen.

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Rede 50: 350. Jubiläum der Handelskammer Hamburg (19. Januar 2015, Joachim Gauck)

Diese Rede Gaucks enthält eine Mischung aus Arbeits- und Durchsetzungskommunikation.

Er lobt die geleistete Arbeit der ältesten Handelskammer und übermittelt zu gleicher Zeit

mittels seines Ideologievokabulars wichtige Ratschläge für die Zukunft der (deutschen)

Wirtschaft. Die Rede ist also nicht nur ein Lobgesang, sondern hat auch eine klare

Appellfunktion.

"Solidarität" und "Prosperität" sind die zwei ersten Fahnenwörter, mit denen Gauck die

Handelskammer Hamburg beschreibt. Die Kammer vertritt schon über 300 Jahre die

Interessen der deutschen Wirtschaft und spielt eine große Rolle beim beruflichen

Bildungswesen. Darüberhinaus vertreten seit ihrer Gründung Werte, die heutzutage noch an

erster Stelle stehen (sollen). Diese Werte bzw. kennzeichnende Fahnenwörter der

Handelskammer sind: "Wissen und Innovation", "Freiheit, Weltoffenheit und Freihandel",

"Selbstorganisation" und "Gemeinwohlorientierung". Initiativen, die in der Vergangenheit

von dieser Handelskammer ergriffen wurden, haben die Grundlage der modernen

Bürgergesellschaft gebildet. "Engagement" ist ein wichtiges Element dieser Grundlage. "Der

ehrbare Kaufmann" ist das Vorbild, dem Wirtschaftler folgen sollten; er ist treu und

unbestechlich und wird nicht vom von einer zu weitgehenden kapitalistischen Profitsucht

geleitet. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie wichtig eine solche Haltung sein kann.

"Verantwortung" ist in diesem Bereich ein Fahnenwort von ausschlaggebender Bedeutung;

Wirtschaftler sollten keinen beschränkten Horizont haben, sondern in die Welt blicken und

einsehen, dass Wirtschaft mit dem Gemeinwohl verbunden werden soll. Die globalisierte

Wirtschaft ist langfristig und sehr kompliziert, deswegen braucht sie Regeln; "Regeln"

bekommen an dieser Stelle eine positive Nebenbedeutung, weil sie notwendig sind, um die

Wirtschaft in die Richtung des Gemeinwohls zu lenken. Diese Regeln gehören zu der schon

erwähnten "Verantwortung". Trotz der Notwendigkeit einiger "Regeln", die den Wohlstand

in der internationalen globalisierten Wirtschaft sichert, hat eine vollständige staatliche

Lenkung der Wirtschaft eine sehr negative deontische Nebenbedeutung. Die Stigmaworte

"Merkantilismus" und "Kameralismus" waren die Haltungen, gegen die die Handelskammer

Hamburg Widerstand leistete. Diese Stigmaworte laufen auf eins hinaus: Protektionismus.

Dieses Schlagwort kann sowohl positiv, weil es eine Art Schutz ist, als auch negativ, weil es

die wirtschaftliche Freiheit beschränkt, betrachtet werden. Im abendländischen

Wirtschaftssystem des Kapitalismus hat der Begriff eine negative Konnotation; die

Fahnenwörter des demokratisch inspirierten Kapitalismus sind "Freiheit des Handels",

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"Freiheit des Menschen" und "Demokratie". Aus diesen Elementen soll also eine Synthese

gemacht werden. Diese Prinzipien schaffen Ordnung im Wust der Globalisierung. "Freiheit"

soll trotz der Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens an erster Stelle stehen, die kalkulierte

Risikobereitschaft sei das "Lebenselixier" des Händlers; eine unverzichtbare Komponente des

wirtschaftlichen Erfolgs. Diese Neugier ist die Basis der Innovation, erneut ein Begriff von

ausschlaggebender Bedeutung. Die Neugier soll schon im Unterricht erregt werden, Bildung

und Forschung sollen Gegenstände der Investitionen bleiben.

Gauck lässt eine konversationelle Implikatur erkennen, die in erster Linie nichts mit der

Handelskammer zu tun hatte. Er verweist auf das Ereignis aus dem Jahre 2014, bei dem "ein

einzelner Akteur die Grundregeln des Zusammenwirkens der Völker missachtet". Er

bemäntelt die Maßnahmen, die von Deutschland und seinen europäischen Partnern ergriffen

worden sind. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass sich diese Aussage auf Russland

bezieht.

4.4. Erörterung des Diskurses: Verbindung qualitativer und quantitativer Elemente

In diesem Abschnitt wird mittels der Häufigkeitstabellen (in 7.2) und der qualitativen

Analysen (in 4.3) eine Übersicht angefertigt, um die wichtigsten Zusammenhänge zwischen

den am häufigsten verwendeten Fahnen- und Stigmawörtern sehen zu können.

Aus den Häufigkeitstabellen geht hervor, dass es keine Steigerung oder Senkung der

Häufigkeit bestimmter Fahnen- oder Stigmawörter gibt. Die am häufigsten verwendeten

Schlagwörter wie zum Beispiel "Mut" (73 Mal) haben keine auffälligen Höchstwerte in

einem Zeitraum eines bestimmten Bundespräsidenten; sie werden ständig im gesamten

Zeitraum der Untersuchung verwendet. Das bedeutet, dass, obwohl es in diesem Zeitraum

verschiedene Bundespräsidenten gab, ständig dieselben Werte verteidigt wurden. Relative

Zahlen, Prozentanteile, sind weniger von Bedeutung, weil diese Zahlen nichts an der

zeitlichen Verteilung der Fahnen- und Stigmawörter ändern würden. Obwohl Europa sieben

Jahre nach dem Krisenausbruch noch immer in dieser hartnäckigen Krise steckt, wurden im

Großen und Ganzen während der ganzen Krise dieselben Vorschläge unterbreitet, dieselben

Werte verteidigt und dieselben Argumente verwendet. Wenn man die Häufigkeit dieser

Schlagwörter mit der qualitativen Analysen verbindet, bekommt man eine klare Übersicht

über die wichtigsten Grundsätze der Argumentation der Bundespräsidenten. Diese Tabellen

erleichtern auch die Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen bestimmten Wörtern

herauszufiltern. Die absoluten Zahlen, wieviele Male welche Schlagwörter, in welcher Rede

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90

und von welchem Bundespräsidenten verwendet wurden, finden Sie in den

Häufigkeitstabellen (7.2). In diesem Unterkapitel wird beschrieben, wie diese Wörter

zueinander in Beziehung stehen.

"Mut" war eines der wichtigsten Wörter des Ideologievokabulars. Die Bundespräsidenten

betonen oft die Ereignisse am Ende der achtziger Jahre, um die Deutschen daran zu erinnern,

dass sie in der Vergangenheit schon gezeigt haben, dass sie die Fähigkeit haben, große Krisen

zu überwinden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sollten sie auch in den Zeiten der

Finanzkrise "Mut" haben, damit sie auch diese Krise in den Griff bekommen. Um den

Deutschen Mut zu machen, wird die Krise von den Bundespräsidenten sehr oft als eine

"Chance" (66 Mal) bezeichnet: Die Unternehmer sollten sich nicht entmutigen lassen und

weiter an die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft glauben. Die (soziale) Marktwirtschaft

(43 Mal) wird von den Rednern oft mit der "Demokratie" (73 Mal) verbunden, einem

Schlagwort, das die abendländischen Werte in sich vereint. Eine Wirtschaft, die auf eine

demokratische Weise gestaltet wurde, erfordert die Konkurrenz zwischen den

Wirtschaftsteilnehmern. Die soziale Marktwirtschaft wird als Pendant zur Planwirtschaft

betrachtet, die in der DDR eine schwierige Wirtschaftslage verursacht hatte. Mit diesem

Wirtschaftssystem im Hinterkopf hat "Regulierung" (7 Mal) natürlich sehr oft eine negative

Nebenbedeutung, aber in diesem Diskurs wurde doch versucht, im Kontext der Finanzkrise

die Konnotation dieses Begriffs zu wechseln. "Wettbewerb(sfähigkeit) (33 Mal) ist ein

demokratisches Element, das trotz der Schwachstellen unseres abendländischen

kapitalistischen Systems nicht in den Hintergrund verschwinden darf. Die soziale

Marktwirtschaft wird von den Bundespräsidenten ständig mit "Freiheit" (108 Mal)

verbunden. Es handelt sich im engeren Sinne natürlich um wirtschaftliche Freiheit, aber man

kann zwischen den Zeilen lesen, dass diese Art Freiheit mit den anderen "abendländischen"

Freiheiten wie etwa mit den Menschenrechten in Verbindung steht. Oft wird in diesem

Zusammenhang auf die schrecklichen Ereignisse in der ehemaligen DDR verwiesen; Freiheit

in der Wirtschaft heißt auch Freiheit in der Gesellschaft. Jedoch wurden einige Fahnenwörter

verwendet, um die Marktwirtschaft krisenfester zu machen. "Reformen" (17 Mal) bekamen in

diesem Zusammenhang also eine positive Nebenbedeutung. Derjenige, der Risiken eingeht,

soll auch für die möglichen negativen Konsequenzen einstehen; das heißt "Verantwortung"

(125 Mal), ein sehr wichtiges Wort nach den Ereignissen, die die Finanzkrise ausgelöst

haben. Die Öffentlichkeit soll den Menschen, die im Finanzsektor beschäftigt sind, wieder

vertrauen. Dieses "Vertrauen" (44 Mal) kann nur mittels "Transparenz" erreicht werden, die

Finanzgeschäfte sollten nicht länger hinter den Kulissen stattfinden. Auch die Politiker dürfen

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in diesem Bereich nicht länger im Dunkeln tappen, weil der Staat bisher für die

Konsequenzen einstehen musste. Dieser Lage sollte jetzt ein Ende bereitet werden;

"Mitbestimmung" ist zusammen mit "Transparenz" (9 Mal) eine zentrale Komponente des

schon erwähnten "Vertrauens". Ohne Vertrauen wird es nie wieder "Sicherheit" geben; nicht

nur die Krise, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der die Welt sich entwickelt, beängstigt

die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit braucht mehr Sicherheit, in einer Welt, in der immer

weniger sicher zu sein scheint. Die Bundespräsidenten verteidigen die Werte der

Marktwirtschaft, befürworten also zu gleicher Zeit einen "Wandel" (52 Mal); dieser Wandel

erfordert "Innovation" (27 Mal). Die Krise sollte alle wachgerüttelt haben und die

Notwendigkeit eines Wandels mittels Innovationen unter Beweis gestellt haben.

Beim zweiten Pfeiler der Argumentation der Bundespräsidenten handelt es sich vor allem um

die Notwendigkeit der "Zusammenarbeit" (61 Mal) zwischen Ländern, weil wir jetzt in einer

globalisierten Welt leben und aus dieser neuen Weltordnung unseren Vorteil ziehen sollten.

Deswegen wird auch ständig von einer erfolgreichen "Weltpolitik" (9 Mal) geredet. Diese

Weltpolitik soll aber nicht heißen, dass die "Selbstbestimmung" (6 Mal) der einzelnen

Staaten nicht mehr wichtig ist. Jeder einzelne Staat kann am besten einschätzen, auf welche

Weise innerstaatliche Probleme gelöst werden sollen. Wenn die Probleme beseitigt sind, ist

das sowieso dem "Gemeinwohl" (21 Mal) zuträglich. Viele der verwendeten Fahnenwörter

beziehen sich auf dieses Thema. Bevor wir aber eine Zusammenarbeit auf globaler Ebene

erzielen können, steht die Intensivierung der europäischen "Partnerschaft" (71 Mal) auf der

politischen Tagesordnung. Die Europäische Union erfordert "Engagement" (40 Mal), um das

Potential voll auszuschöpfen. Vor allem in einer Krise braucht man "Solidarität" (24 Mal)

und "Kooperation" (13 Mal), deren Auswirking nur erfolgreich sein kann, wenn es

Verständigung zwischen den Mitgliedstaaten gibt. "Frieden" (31 Mal) ist also auch der

Wirtschaftslage zuträglich; es ist (mehr als je zuvor) im Interesse der einzelnen Staaten,

Partnerschaften einzugehen. Die Welt ist mit der Globalisierung zu einem Dorf geworden, in

dem Staaten der Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft nicht ohne Vertrauen in

die Partner gewachsen sind. "Verlässlichkeit" (7 Mal) ist deshalb eine Qualität, die seit dem

Krisenausbruch immer wichtiger geworden ist. Deswegen ist (internationale) "Teilhabe" (15

Mal) so wichtig; man sollte immer ein Gefühl der Ruhe haben, weil man weiß, dass die

Partner im Notfall helfen können (und werden). Sowohl auf europäischer Ebene, die von den

Bundespräsidenten noch an die erste Stelle gesetzt wird, als auch auf globaler Ebene bilden

wir schon eine "Einheit" (17 Mal), wir müssen aber lernen, uns auch auf diese Weise zu

verhalten. Zu diesem Thema waren jedoch die Verwendung und die Konnotation des Begriffs

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"Egoismus" (6 Mal) eine Überraschung. "Egoismus" ist beim Bekämpfen der Krise ein

positives Merkmal: Wenn sich die Staaten alle sehr fleißig mit den eigenen

Haushaltsordnungen beschäftigen würden, käme das auch den Partnern zugute. Für

Probleme, die man innerstaatlich nicht lösen kann, sollte jedoch "Verständnis" (10 Mal)

gezeigt werden, weil die Bundespräsidenten wissen, dass manche Probleme nur "gemeinsam"

(156 Mal) beseitigt werden können. Die Vernetzung der globalisierten Welt hat dafür gesorgt,

dass buchstäblich alle Länder der Welt an dieser globalen Partnerschaft beteiligt sein sollten;

"Beteiligung" (16 Mal) ist unverzichtbar, sowohl die größten Industriestaaten als auch die

Schwellenländer sind für das "Gemeinwohl" (21 Mal) verantwortlich.

Die Finanzkrise wurde in den analysierten Reden manchmal mit dem arabischen Frühling,

aber hauptsächlich mit dem Klimawandel und mit ökologischen Problemen verbunden. Die

"Dauerhaftigkeit" (21 Mal) der schon erwähnten Reformen sollte zu einem neuen Typus des

"Wohlstands" (33 Mal) führen; man sollte nicht mehr nur Gewinne im kapitalistischen Sinne

des Wortes verfolgen, sondern auch an die Lebensqualität der zukünftigen Generationen

denken. Die Umweltproblematik tritt immer häufiger in den Vordergrund; vor allem seit den

schrecklichen Ereignissen in Fukushima im Jahre 2011 ist diese Problematik wieder ins

Gedächtnis der Öffentlichkeit eingeprägt. Der Klimawandel (26 Mal) erfordert genauso wie

die Finanzkrise eine gemeinsame Weltpolitik, zu der jeder einzelne Staat einen Beitrag

leisten soll; natürlich werden die größten Industriestaaten an erster Stelle beglaubigt. Der

Grund, aus dem diese beiden Probleme, die Umwelt und der Klimawandel, miteinander

verbunden werden, ist die erforderliche Lösung: Zusammenarbeit (61 Mal).

Die konversationelle Implikatur, die sich am meisten zwischen den Zeilen lesen ließ, ist die

angebliche Vorbildfunktion Deutschlands. Die Bundespräsidenten sind davon überzeugt, dass

sich Deutschland der gegenwärtigen und der zukünftigen Herausforderungen bewusst ist.

Deutschland fördert die europäische Zusammenarbeit und versteht, dass es auch auf globaler

Ebene eine dauerhafte Weltpolitik geben soll. Jedoch wird von den Bundespräsidenten

"Zusammenarbeit" nicht mit "Wohltätigkeit" gleichgesetzt. Deutschland erwartet von seinen

Partnern schwere innerstaatliche Anstrengungen (und Leistungen). Die Weise, auf die die

Misstände der ehemaligen DDR überwunden wurden und die Gründsätze, auf denen die

Bundesrepublik Deutschland gebaut wurde, werden mehrmals als das Leitbild einer

erfolgreichen Wende benutzt. Jetzt braucht die Welt eine ähnliche Reformbereitschaft, um

einen Ausweg aus der Finanzkrise zu finden. Deutschland ist also das Vorbild, dem man

folgen sollte. Die Bundespräsidenten können sich eine solche Implikatur leisten, weil es

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außer Frage steht, dass Deutschland während dieser Krise seine Widerstands- und

Anpassungsfähigkeit mit einer Hartnäckigkeit sondergleichen unter Beweis gestellt hat.

Deutschland ist die führende Wirtschaftsmacht Europas und übernimmt deswegen eine

immer größere Verantwortung in der internationalen Politik.

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5. SCHLUSSFOLGERUNGEN

In diesem Abschlusskapitel wird eine Übersicht der Ergebnisse dieser Untersuchung

gegeben. Es ist die Absicht in diesem Kapitel, übergreifende Schlussfolgerungen der

gesamten Untersuchung ziehen zu können. Die Ergebnisse, die im vierten Kapitel dargestellt

wurden, werden im Rahmen der deutschen politischen Geschichte betrachtet. Die Gründe,

aus denen manche Elemente in der vorlegenden Studie häufig in den Vordergrund traten,

werden vor dem Hintergrund der deutschen politischen Geschichte beschrieben, um ein

umfassendes Verständnis des gewählten Diskurses zu erzielen.

Aus den Nachforschungen, die mittels einer Kombination von qualtitativen und quantitativen

Elementen angestellt wurden, geht hervor, dass die deutsche politische Geschichte sehr klar

ihre Spuren hinterlassen hat. Doch gibt es auch Indizien, aus denen geschlossen werden kann,

dass sich die deutsche Politik auch weiterentwickelt hat. Die Vergangenheit ist also Teil der

Gegenwart, aber die typischen Elemente der deutschen Nachkriegspolitik sind dabei, in den

Hintergrund zu rücken. Die europäische und weltweite Zusammenarbeit stehen noch immer

an erster Stelle. In der Nachkriegszeit war es die Absicht Adenauers, die Verankerung

Westdeutschlands im europäischen Bündnissystem sicherzustellen. Obwohl es nach den

Gründungen der BRD und der DDR keine Einheit auf nationaler Ebene gab, war es in

Westdeutschland vorrangig, sich von den abendländischen Werten leiten zu lassen. In Bezug

auf die Finanzkrise besteht bei den deutschen Bundeskanzlern noch immer die Leidenschaft,

europäische Zusammenarbeit zu fördern. Obwohl Deutschland trotz der Krise über die

stärkste Wirtschaftskraft Europas verfügt, ergreifen oder befürworten die Bundespräsidenten

keine protektionistischen Maßnahmen. Die Handelsvernetzung ist der Grund, aus dem

Deutschland in diesen schwierigen Zeiten, in denen seine Partner in einer Krise ohne Ende

stecken, an der Spitze steht. Es geht darum, sich die europäische und globale Vernetzung zum

Vorteil zu machen; auf diesem Gebiet nimmt Deutschland im 21. Jahrhundert eine

Vorbildfunktion ein. Die Fähigkeit, die Interdependenz aus einem positiven Blickwinkel zu

betrachten und die positiven Merkmale dieser Realität herauszufiltern, ist der Grund, aus dem

Deutschland die Krise (im Vergleich zu seinen Partnern) einigermaßen in den Griff

bekommen und infolgedessen die Schäden in Grenzen halten konnte.

Aus den Häufigkeitstabellen ging hervor, dass Deutschland die Rolle des Vermittlers auf

sich nimmt, um die Stabilität der Partnerschaften zu sichern und darüber zu wachen, dass sich

die Gemüter nicht erhitzen. Die Häufigkeit der Schlagwörter "Mut" und "Vertrauen" stellen

diese These unter Beweis; darüberhinaus werden auch die Schlagworte, die sich auf

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Zusammenarbeit und Partnerschaft beziehen, in hohem Maße verwendet. Die Bundeskanzler

sind sich auch der neuen Rolle Deutschlands bewusst. Die Haltung der Nachkriegszeit, in der

Deutschland eher widerwillig war, den Vorreiter zu mimen, gehört der Vergangenheit an;

deswegen war das Wort "Verantwortung" so wichtig, dieses Wort hat in diesem Diskurs eine

Doppelbedeutung: Deutschland ist sich seiner Führungsrolle bewusst, fordert zu gleicher

Zeit, trotz der Betonung auf Zusammenarbeit, Verantwortung seiner Partner auf nationaler

Ebene. In diesem Bereich zeigt sich das Musterbeispiel einer Mischung aus Vergangenheit

und Gegenwart der deutschen Politik: Deutschland will sich zum Leitbild aufwerten, aber die

Bundeskanzler machen das nicht buchstäblich; das Prinzip der konversationellen

Implikaturen wird in diesem Fall verwendet, aber man kann diesen Unterton an manchen

Stellen sehr klar zwischen den Zeilen lesen. Diese Verantwortung beschränkt die

Zusammenarbeit im engeren Sinne des Wortes; die in hohem Maße erwähnte Verantwortung

bezieht sich im Diskurs der Finanzkrise auch auf die innerstaatliche Verantwortung jedes

Mitgliedstaates, so viel wie möglich aus eigener Kraft Sparmaßnahmen zu ergreifen und die

Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern. Egoismus dient also einem höherem Ziel,

wenn jeder Staat die eigenen Probleme in den Griff bekäme, würden sie sich in den Dienst

der europäischen Sache stellen. Die Vormachtstellung und Prosperität Deutschlands sollen

nicht mit Wohltätigkeit verwechselt werden. Die Europäische Union ist eine Partnerschaft,

deswegen erwartet Deutschland gegenseitige Anstrengungen, um der Finanzkrise ein Ende

bereiten zu können. Die Bundespräsidenten versuchen ständig, das Gleichgewicht zwischen

Unterstützung und Druck zu finden. Sie wollen betonen, dass Deutschland immer Partner der

schwerverschuldeten Länder bleiben wird; zu gleicher Zeit fühlen sie die

Unausweichleichkeit, den Ländern, deren Wirtschaftspläne nicht ausreichen, auf die Finger

zu klopfen. Die Ansprüche werden einigermaßen im Hintergrund, als konversationelle

Implikaturen, erwähnt. Die Verantwortung, die Führerschaft übernehmen zu müssen, ist also

eine Entwicklung, die sich in diesem Diskurs aufzeichnen ließ.

Der politische Diskurs zur Finanzkrise enthält also politolinguistische Beweise der Hypothese

dieser Arbeit. Es handelt sich in der deutschen Europapolitik noch sehr oft um die Förderung

einer Zusammenarbeit und Partnerschaft, aber dieses Element wurde um eine neue

Einstellung ergänzt, ein zugrundeliegendes Bewusstsein, dass Deutschland seine Ansichten

mehr in den Vordergrund stellen soll, um den verschuldeten Ländern zu helfen, ihre

Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen. Deutschland ist dabei, die Vergangenheit

hinter sich zu lassen und fühlt sich seines Erfolgs berechtigt, gegenseitige Anstrengungen

seiner Partner zu erfordern. Diese "harte Liebe" dient nicht nur der Wiederauflebung der

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einzelnen Länder, sondern auch der der europäischen Partnerschaft und der Stärkung der

globalen Zusammenarbeit. Der Diskurs lässt also, wie erwartet, sowohl Elemente der

Vergangenheit als auch Indizien der Art und Weise erkennen, auf die Deutschland an die

Zukunft herangehen will. Die Hypothese wurde also im Großen und Ganzen bestätigt.

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7. ANLAGEN

7.1. Politische Reden

Rede 1 - 25. April 2008 - Horst Köhler

Das Deutsche Historische Museum steht heute ganz im Zeichen der Wirtschaft: Heute Abend

feiern wir mit dem 105-jährigen Bestehen der Amerikanischen Handelskammer in

Deutschland die engen wirtschaftlichen, aber auch politischen und kulturellen Beziehungen

zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Und heute Morgen öffnete hier eine

Ausstellung ihre Pforten über die industrielle Entwicklung in Deutschland in den Jahren

zwischen 1848 und 1871, der so genannten Gründerzeit. Es ist schon erstaunlich, wie aktuell

die Themen jener Zeit noch heute sind und welche Parallelen zwischen damals und heute

deutlich werden, bei allen Unterschieden im Detail.

Schon damals hielten der rasante technische Fortschritt, gerade auch im Transport- und

Kommunikationsbereich, die dynamisch wachsenden Kapitalmärkte und die immer engeren

Handelsverflechtungen die Welt in Atem und sorgten zugleich für steigenden Wohlstand.

Auch die Schattenseiten der Gründerzeit erinnern uns an aktuelle globale Probleme:

Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit und Menschen, die versuchen, drückender Armut zu

entfliehen, indem sie ihr Glück, das hieß damals und heute Arbeit, an einem anderen,

besseren Ort suchen. Schließlich: Schon damals wirbelten wirtschaftliche und soziale

Umwälzungen traditionelle Gesellschaftsstrukturen durcheinander, und es erwies sich als

schwierig, auf dem Weg des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts alle mitzunehmen.

Wie wichtig es ist, die Teilhabe aller sicherzustellen, dafür ist das Bewusstsein heute

sicherlich ausgeprägter als seinerzeit. Aber ist es schon ausreichend stark, vor allem bei

denen, die die Kraft haben, die Lage zum Besseren zu wenden? Ich finde, wir müssen heute

beweisen, dass unsere offene Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch in der Lage ist, die

Situation der Schwächsten zum Besseren zu wenden.

Nicht bis in die Gründerzeit, aber immerhin bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts reicht die

Geschichte der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland zurück. Die AmCham ist

damit nicht nur die größte, sondern auch die älteste bilaterale Handelskammer in

Deutschland. Dass sie trotzdem keinerlei Anzeichen von Altersmüdigkeit zeigt, ist ganz

wesentlich auch Ihr Verdienst, Herr Irwin, und für dieses Engagement für die deutsch-

amerikanischen Beziehungen danke ich Ihnen sehr.

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Die Erfahrung zeigt: Länder, die regen Handel miteinander treiben, pflegen auch insgesamt

einen freundschaftlicheren Umgang. Durch wirtschaftlichen Austausch wächst Vertrauen -

und das Bewusstsein, dass der eine den anderen braucht und dass es beiden besser geht, wenn

sie zusammenarbeiten. Diese Erkenntnis ist wichtig, aber beileibe nicht neu. Vor über 250

Jahren schrieb dazu bereits Baron de Montesquieu: "Die natürliche Wirkung des Handels ist,

Frieden zu bringen. Zwei Nationen, die miteinander Handel treiben, werden voneinander

abhängig [...] und deshalb beruht ihre Einigkeit auf wechselseitigen Bedürfnissen."

"Miteinander handeln" - das hat auch sprachlich eine doppelte Bedeutung, nämlich "Handel

treiben" und "gemeinsam ein Ziel verfolgen".

Der Wohlstand Europas und der Vereinigten Staaten beruht ganz wesentlich auf der

Offenheit unserer Volkswirtschaften. Deutschland und die USA gehören zu den wichtigsten

Handelsnationen der Welt. Fast ein Fünftel der weltweit gehandelten Waren und

Dienstleistungen stammt aus unseren beiden Ländern. Für Deutschland gilt: Jeder dritte Euro

wird im Export erwirtschaftet und fast jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Außenhandel ab.

Deutschland hat ein elementares Interesse an der Offenheit der Märkte und auch an einem

guten Fortgang der Globalisierung.

Vor diesem Hintergrund sehe ich es mit Sorge, dass sich die Anzeichen für protektionistische

Tendenzen sowohl in Europa als auch in den USA mehren. Mit Protektionismus schaden wir

uns selbst und wir treffen die armen Länder der Welt, für die ein freier und fairer Handel die

beste Chance auf Entwicklung ist. Die Politik muss aber auch darauf reagieren, dass viele

Menschen in den Industrieländern die Offenheit der Märkte zunehmend als Bedrohung

empfinden. Das sieht in den USA nicht grundlegend anders aus als in Europa. Der

Wahlkampf in den USA macht uns das deutlich. Viele Menschen haben schlicht Angst um

ihre Arbeitsplätze und vor einem steigenden Lohndruck. Sie fürchten den sozialen Abstieg.

Diese Sorgen dürfen wir nicht ignorieren.

Doch Abschottung wäre definitiv die falsche Antwort. Was wir stattdessen brauchen, ist eine

offene Diskussion über mehr Fairness in der Globalisierung, sowohl bezogen auf Reichtum

und Armut zwischen Volkswirtschaften als auch innerhalb von Volkswirtschaften, besser

Gesellschaften. Ich halte es zum Beispiel für zwingend, dass der Rohstoffreichtum von

Entwicklungsländern viel stärker als bisher diesen Völkern selbst zugute kommt. Die

Gewinner der Globalisierung - und dazu gehören wir hier alle sicher in besonderem Maße -

müssen sich einer ernsthaften Diskussion über gesellschaftlichen Ausgleich stellen. Denn die

auseinanderdriftenden Einkommens- und Vermögensentwicklungen und vor allem die

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beschämende Ungleichheit der Bildungschancen belasten immer mehr den bürgerschaftlichen

Zusammenhalt, auf den unsere freiheitlichen Demokratien angewiesen sind.

Wir brauchen also eine bessere Globalisierung, eine Globalisierung, die möglichst für alle

Menschen von Nutzen ist. Die friedliche und faire Konkurrenz der Nationen birgt

unerschöpfliche Kraft. Der Wettbewerb ist das Suchverfahren für bessere Lösungen und nach

wie vor für Produktivität und Wohlstand. Doch diese Kraft muss durch politische Gestaltung

in geordnete Bahnen gelenkt werden, damit sie allen zugute kommt. Dazu müssen und

können auch Unternehmen und Unternehmer beitragen. Zum Beispiel, indem sie ihr Handeln

ihren Mitarbeitern und der Öffentlichkeit besser erklären und dabei Gewinne und

Einkommen auch im gesellschaftlichen Kontext sehen.

Auch Marktwirtschaften garantieren nur dann dauerhaft Arbeit und wachsende Einkommen,

wenn sie von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen werden. Die

zunehmende Skepsis weiter Teile der Bevölkerung gegenüber der Globalisierung kann und

darf den Unternehmen nicht gleichgültig sein. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, dass

Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft sich wieder stärker ihrer Vorbildfunktion bewusst

werden, indem sie glaubwürdig und verantwortungsvoll handeln. Sie haben eine

Vorbildfunktion und es gab in Deutschland mal einen Unternehmer, Merkle, der sagte als

Definition von führen sinngemäß: Führen heißt Dienen. Also: Unsere Wirtschaftsführer

sollten mit gutem Beispiel vorangehen, etwa bei Bildung und Ausbildung. Wer junge

Menschen ausbildet und dafür sorgt, dass "Lebenslanges Lernen" keine leere Formel bleibt,

der erfüllt gleichermaßen eine unternehmerische wie eine gesellschaftliche Aufgabe.

Die gegenwärtige internationale Finanzkrise ist ein ernster Weckruf, dass wir uns energischer

als bisher um einen stabilen Ordnungsrahmen für grenzüberschreitendes wirtschaftliches

Handeln kümmern müssen. Dazu gehört auch eine erhebliche Stärkung der entsprechenden

multilateralen Institutionen.

Da multilaterale Verhandlungen sich oft mühsam und langwierig gestalten, setzen viele

Länder - gerade auch die Staaten der EU und die USA - zunehmend auf bilaterale

Abkommen. Diese können sich jedoch gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen

in den Industrieländern und auch für Unternehmen aus den Entwicklungsländern als

nachteilig erweisen. Denn die zahlreichen komplizierten und uneinheitlichen Regelungen

verursachen einen hohen bürokratischen Aufwand, den kleinere Unternehmen sich oft nicht

leisten können. Und die Entwicklungsländer leiden oft unter den bilateralen

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Handelsverträgen, weil sie nicht mit der gleichen Verhandlungs- und Wirtschaftsmacht

auftreten können wie die USA oder Europa.

Die Verwirklichung eines fairen, multilateralen Handelsregimes ist nach meiner Meinung der

wichtigste Beitrag, den die internationale Gemeinschaft zur Bekämpfung der Armut in der

Welt leisten kann. Und deshalb muss es das gemeinsame Interesse der Staatengemeinschaft

sein, die laufende Doha-Welthandelsrunde zu einem - für alle - erfolgreichen Abschluss zu

bringen. Wer Handelspolitik heute auch als ein Machtinstrument versteht, der unterschätzt

sowohl die wechselseitige Abhängigkeit der Volkswirtschaften im 21. Jahrhundert als auch

das Wachstumspotential, das die Integration der Entwicklungs- und Schwellenländer für die

Weltwirtschaft insgesamt hat. Handel beruht immer auf Gegenseitigkeit. Wer dies nicht

erkennt, schadet sich langfristig selbst. Und ich gebe zu bedenken, dass sich die Rollen in den

internationalen Wirtschaftsbeziehungen rasch ändern können und sie sind gerade dabei, es zu

tun. Länder, die vor ein paar Jahren noch ökonomisch unbedeutend schienen, sind heute

schon aufstrebende Wirtschaftsmächte. Wir sehen dies an vielen Beispielen in Asien, aber

auch immer häufiger in Afrika, das aufgrund der steigenden Rohstoffnachfrage auf einmal

ein ganz anderes wirtschaftliches Gewicht erhält. Auch deshalb ist es weitsichtig, sich in

Phasen vermeintlicher Stärke und Überlegenheit als seriöser und fairer Partner zu zeigen.

Neben Handel ist die Offenheit bei Investitionen ein zweiter wichtiger Pfeiler, um höheren

Wohlstand in einer globalisierten Welt zu gewinnen. In Deutschland sind mehr als 2

Millionen Arbeitnehmer in Unternehmen beschäftigt, an denen ausländische Investoren

beteiligt sind. Umgekehrt erschließen sich deutsche Unternehmen mit Auslandsinvestitionen

neue Märkte, und auch das sichert hierzulande Arbeitsplätze. Bei anderen Nationen sieht das

ähnlich aus. Darum sollten wir uns wirklich fragen: Sind wir angesichts all der positiven

Effekte grenzüberschreitender Investitionen wirklich gut beraten, wenn wir ausländische

Investoren mit Misstrauen beäugen? Gewiss, Investitionsfreiheit heißt nicht Regellosigkeit.

Wer sich bei uns in Deutschland einkauft, ist an Recht und Gesetz gebunden und soll die

Bedingungen der weiteren Zusammenarbeit stärken, nicht schwächen. Aber warum sollten

wir von vornherein befürchten, dass ihm, dem Investor, der gute Wille dazu fehlt? Wie

verträgt sich das mit der Offenheit und Kooperationsbereitschaft, die wir schon oft

erfolgreich praktiziert haben und die gerade uns Deutschen zugute kam? Gerade jetzt - in der

Fragilität der weltwirtschaftlichen Situation - brauchen wir Vertrauen in arbeitsteilige

internationale Wirtschaftsbeziehungen.

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Deutschland und die USA pflegen traditionell eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Beide Länder gehören füreinander jeweils zu den wichtigsten Handels- und

Investitionspartnern. Ich habe keinen Zweifel, dass die enge Verflechtung unserer

Volkswirtschaften auch in Zukunft Bestand haben wird.

Die gute wirtschaftliche Entwicklung, die die alte Bundesrepublik nach dem Krieg erfahren

hat und die noch heute viele als "Wirtschaftswunder" bezeichnen, wäre ohne die Hilfe und

Unterstützung der USA und ihrer Bürger nicht denkbar gewesen. Deshalb freue ich mich

besonders darüber, dass sich amerikanische Unternehmen nach dem Fall der Mauer auch in

den neuen Bundesländern engagiert haben. Mehr als die Hälfte aller amerikanischen

Investitionen in Deutschland fließen inzwischen nach Ostdeutschland. Und über ein Drittel

aller in Deutschland investierten amerikanischen Unternehmen sind in Ostdeutschland tätig.

Dieses große Engagement zeigt, dass die ostdeutschen Bundesländer inzwischen - gerade im

Bereich der Hochtechnologie - gute Investitionsbedingungen bieten. Und ich bin den

amerikanischen Investoren dankbar, dass sie diese Bedingungen aufgreifen.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind nicht nur wirtschaftlicher und politischer,

sondern in hohem Maß auch persönlicher Natur: So haben etwa 50 Millionen Amerikaner

deutsche Wurzeln. Die größte Gruppe unter den Auswanderern waren übrigens die so

genannten "Achtundvierziger", die Deutschland nach der gescheiterten Märzrevolution 1848,

also zu Beginn der Gründerzeit, verließen - unter ihnen so berühmte Namen wie Heinrich

Steinweg, vielen heute besser bekannt als Henry Steinway oder Karl (Charles) Pfizer. In ihrer

neuen Heimat wurden sie zu bedeutenden Gründerpersönlichkeiten. Zu ihnen gehörte auch

ein gewisser Löb Strauß, der 1829 als Sohn einer armen, jüdischen Familie in Oberfranken

geboren wurde. Später, nach der Auswanderung nach Amerika, hat er den Namen Levi

Strauss ange-nommen und seither viel für die deutsch-amerikanische Handelsbilanz getan.

Andere Deutsch-Amerikaner wie Johann August Roebling, der Erbauer der Brooklyn Bridge,

oder Walter Gropius haben markante Akzente in den Skylines amerikanischer Städte gesetzt.

Und umgekehrt prägen das moderne Berlin heute auch die Bauten amerikanischer

Architekten, zum Beispiel das Sony Center des Deutsch-Amerikaners Helmut Jahn oder -

gleich hier nebenan - der von dem chinesisch-amerikanischen Architekten Pei entworfene

moderne Anbau des Deutschen Historischen Museums.

Ich denke, meine Damen und Herren, die deutsch-amerikanische Freundschaft steht auf

einem festen Fundament, sie ist vom intensiven Austausch auf allen Gebieten geprägt und sie

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führt zu beeindruckenden Ergebnissen. Und wir dürfen ruhig auch kritisch miteinander

umgehen, schließlich sind wir Freunde. Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, dass es in

alle Zukunft so bleibt!

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Rede 2 - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler

Neulich bin ich in Sachsen-Anhalt unterwegs gewesen, im Burgenlandkreis, entlang der

Unstrut.

Wir sind durch ein paar kleine Orte gewandert, die haben alle eines gemeinsam: Überall

hatten sich Bürgerinnen und Bürger zusammengetan, um ihre Kirche zu retten, die vom

Verfall bedroht war.

Das fing schon Mitte der 80er Jahre an; die DDR gab es noch. Der SED-Staat hatte weder

Geld noch Sinn dafür, es in kleine Kirchen zu stecken, und die evangelische Kirche war zu

arm dafür.

Also halfen sich die Leute selbst. Mitglieder der Kirchengemeinde setzten sich mit Menschen

zusammen, die gar nicht mehr in der Kirche sind. Gemeinsam sagten sie: "Die Kirche bleibt

im Dorf."

"Warum haben Sie das eigentlich gemacht?" habe ich gefragt. Und die Antwort war: "Wir

können doch unsere Kirche nicht einfach verfallen lassen. Die gehört zu uns. Das ist doch

unsere Heimat, unsere Geschichte."

Die Menschen aus dem Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt haben mehr bewahrt als Mauern,

Steine und Türme. Sie haben etwas bewahrt, was das Leben lebenswert macht und Zuversicht

stiftet. Zu wissen: Da waren welche vor uns, und wir kümmern uns um das, was sie

hinterließen; zu wissen: Da kommen welche nach uns, und die sollen auch unsere Spuren

finden und bewahren - das ist schon der Kern dessen, was es braucht, damit unsere

Kulturnation lebendig bleibt.

Heute vor 18 Jahren haben wir die Teilung Deutschlands endgültig hinter uns gebracht. Das

Unrechtsregime DDR war überwunden, denn seine Bürgerinnen und Bürger hatten die Mauer

zum Einsturz gebracht.

Bei allem, was danach geschah; bei allem, was gelang, was schiefging: Was für ein Glück ist

und bleibt diese friedlich und mutig erkämpfte Einheit, was für ein Segen für unser

Vaterland!

Die DDR ist Vergangenheit. Dabei vergessen wir nicht, dass die einzelnen Geschichten der

Menschen in der DDR nicht nur vom System und seinem Unrecht geprägt waren. Die

meisten haben hart gearbeitet, viel geleistet, sie haben sich umeinander gekümmert,

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miteinander gelebt, gelitten und gefeiert. Es gab in der DDR Glück, Erfolge und Erfüllung.

Nicht wegen, sondern oft trotz der SED-Diktatur. Deshalb bitte ich um Anerkennung und

Respekt für die Menschen, die in der DDR ihren Weg gegangen sind, ohne sich schuldig zu

machen.

Dann kam die Wende, und vieles stürzte auf uns ein. Ich war mittendrin und im Rückblick

sage ich: Praktisch war es unmöglich, im Vereinigungsprozess immer genau zu wissen, was

die richtige Entscheidung ist. Und deshalb wollen wir nicht länger so tun, als sei alles immer

nur richtig gewesen.

Ich stoße heute in Ostdeutschland auf viel Freude am Erreichten, auf Stolz an der eigenen

Leistung und auf Selbstbewusstsein. Sicher: Manches dauert länger als gedacht, es gab und

gibt Härten und Enttäuschungen. Doch wer die Augen aufmacht, der sieht: Wir haben viel

erreicht. Vielleicht ist es weniger, als manche in der ersten Euphorie erhofft haben. In

Wirklichkeit ist es sehr viel mehr, als manche sehen - oder sehen wollen. Und ich denke: Wir

sind auf dem gemeinsam zurückgelegten Weg erwachsener geworden.

Ich möchte Ihnen berichten von Regionen, die vor großen Schwierigkeiten standen - in Ost

und West. Ich war in Rostock, in Bitterfeld und in Gotha, ich habe Selb und Zweibrücken

besucht. An all diesen Orten habe ich erfahren, was es bedeutet, wenn der größte Arbeitgeber

von heute auf morgen wegfällt. Akademisch heißt das Strukturwandel, für die Menschen

bedeutet es tiefe Verunsicherung, oft Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Doch diese Städte

stehen auch dafür, dass die Menschen die Herausforderungen tatkräftig anpacken.

Im Rostocker Hafen werden heute mehr Güter umgeschlagen als zu Zeiten der DDR.

Bitterfeld ist wieder ein wichtiger Standort der Chemieindustrie. In der Gothaer

Fahrzeugtechnik sind die Auftragsbücher für die nächsten zwei Jahre gefüllt, vor allem dank

der Schweißer dort, die sind einfach Spitze. Das oberfränkische Selb fängt den Niedergang

der Porzellanindustrie mit dem Aufbau einer modernen Kunststoffverarbeitung auf. Und im

rheinland-pfälzischen Zweibrücken hat man nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte

aus der Not eine Tugend gemacht: Auf den frei gewordenen Flächen sind eine

Fachhochschule und Unternehmen angesiedelt worden, die florieren und neue Arbeitsplätze

schaffen. Die Leute sagen überall: Es war hart, es war schwer, aber jetzt geht's wieder

aufwärts.

Diese Beispiele stehen für eine messbar positive Entwicklung: Die deutsche Wirtschaft hat

Kraft bewiesen, hat sich erholt und kann im internationalen Wettbewerb wieder gut

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mithalten, was uns auch in der aktuellen Finanzkrise hilft. Der Lohn der Anstrengung in den

letzten Jahren ist nicht zuletzt ein erfreulicher Rückgang der Arbeitslosigkeit. Keine Frage:

Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mussten harte Anpassungen und zum Teil

auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren. Unser Ziel ist natürlich gute Arbeit für

alle. Und unser Ziel bleibt es, besonders energisch die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland

abzubauen, die noch immer doppelt so hoch ist wie im Westen. Ostdeutschland wird darum

weiter unserer besonderen Unterstützung bedürfen. Ich freue mich, dass es darüber einen

parteiübergreifenden Konsens gibt.

Es bleibt also weiß Gott noch viel zu tun in unserem Land, doch wir sind gut

vorangekommen. Und wir haben erlebt: Gegen Wandel, den wir nicht aufhalten können, hilft

der Wandel, den wir gemeinsam klug und beherzt ins Werk setzen.

Dafür brauchen wir weiterhin Aufbauwillen, Tatkraft, Engagement, alles das, was ungezählte

Menschen in unserem Land Tag für Tag beweisen. Aber diese Kraft braucht auch Anker, sie

muss sich erneuern können, sie braucht Orientierung, Maßstäbe für Qualität und manchmal

sogar Trost. Alles das finden wir in unserer Kultur.

Sie ist ein Speicher an Erinnerungen, Erfahrungen und Gelerntem. Immerfort sind wir in

diesem Speicher beschäftigt, wir räumen auf, finden Vergessenes, legen anderes wieder

beiseite. Wir prüfen, was bewahrenswert bleibt, was veraltet ist, was vergessen werden darf.

Wir fragen: Haben wir etwas dazugelernt? Haben wir etwas Wichtiges vergessen? Was führt

weiter?

Kultur stärkt das Schöpferische in unserem Leben, die Fantasie, das Schöne, die

überraschenden Ideen. In ihr sind Kreativität und Energie lebendig. Sie weckt

Möglichkeitssinn und führt uns vor Augen, wie unterschiedlich und eigensinnig die

Menschen doch gottlob sind und dass sie sich immer wieder Neues einfallen lassen.

Da kann der Einzelne Ausdrucksmöglichkeiten für sich selbst finden, in Bildern, Worten,

Musik; da können neue Sichtweisen auf die Welt ausprobiert und zur Diskussion gestellt

werden, ob im Theater oder im Film oder im Roman; da können Freude und Leid, Kummer

und Glück, Konflikte und Versöhnung zum Gedicht, zum Stück, zum Bild, zum Lied werden.

Wer solche Angebote einer Kultur nicht - und zwar möglichst von Kindesbeinen an - kennen

lernt, dem fällt es viel schwerer, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken, seinen eigenen

Stil zu entwickeln; der wird sich viel eher allein und ohne Freunde finden und im

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schlimmsten Fall viel weniger in der Lage dazu sein, anderen Menschen und Kulturen mit

Respekt zu begegnen.

Kulturlosigkeit öffnet die Tür zur Barbarei. Aber, und das wissen gerade wir Deutschen,

Kultur zu haben ist allein noch kein Schutzschild gegen Verblendung. Wir haben zu zweifeln

gelernt, und das sehe ich als eine Stärke - vorausgesetzt, wir nehmen diesen Zweifel als

Ansporn.

Kultur haben bedeutet: Unterschiede erkennen und gelten lassen. Wer sich auf seine Kultur

besinnt, findet sich gebunden in das, was vor ihm da war, und in das, was um ihn herum ist,

und er räumt jedem anderen Menschen auf der Welt dasselbe Recht auf Halt in der eigenen

Kultur ein: Kultur gibt innere Sicherheit und befreit dadurch auch dazu, andere auf ihre

Weise leben zu lassen, macht tolerant und frei.

Wir spüren, dass unsere Kultur zu dem gehört, was uns alle in Deutschland gemeinsam

bestimmt. Wir spüren das noch einmal neu, seit unser Land wieder vereinigt ist: Wir sind

seither wieder erlebbar die eine Kulturnation, die als ganze unser Leben inspiriert.

Dazu gehören die Dresdner Frauenkirche und der Kölner Dom, das Gewandhausorchester in

Leipzig und die Berliner Philharmoniker, das Bauhaus in Dessau und die Ulmer Hochschule

für Gestaltung. Goethe gehört nach Frankfurt und nach Weimar, Schiller nach Marbach und

nach Jena, und wenn wir an Martin Luther denken, der unsere gemeinsame deutsche Sprache

wie kein anderer geformt und gestaltet hat, dann gehören zur Erinnerung an ihn Wittenberg

und Worms.

Übrigens gab es auch in den Jahren der Teilung Projekte, die das kulturelle Erbe der Nation

bewahren halfen und in Ost und West gemeinsam weiterbetrieben wurden - auch wenn davon

nicht viele wussten: Da ist die Deutsche Akadamie der Naturforscher Leopoldina zu Halle an

der Saale, eine jahrhundertealte Vereinigung von Gelehrten aus Ost- und Westdeutschland

und aus aller Welt, die jüngst zu unserer Nationalen Akademie der Wissenschaften erhoben

wurde. Da ist die Neue Bach-Ausgabe, die im letzten Jahr vollendet wurde, und da ist die

Arbeit an der Schiller-National-Ausgabe, die im kommenden Jahr vollendet sein wird.

Das SED-Regime hatte Stasi-Leute, die nannten sich allen Ernstes "Abwehroffiziere Kunst

und Kultur". Aber als die DDR 1976 ihr offiziöses "Deutsches Lesebuch" veröffentlichte, da

stand darin als erster Text Luthers Choralgedicht nach dem 46. Psalm: "Ein feste Burg ist

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unser Gott." Selbst die DDR musste zugeben: Zur Kulturnation Deutschland gehört ihre

christliche Prägung.

Heute braucht es keine Verrenkungen mehr, um deutsches Kulturgut zu bewahren und zu

pflegen. Und ungezählte Menschen tun das mit Freude, begeistert und kreativ - in

Schülerbands, in Literaturkursen, in Theatergruppen, in Orchestern, in Chören, in der

Organisation von Orts- und Stadtteilfesten oder in der Gestaltung von tausenden von Web-

Seiten im Internet.

Die Kulturnation lebt von dieser Kreativität, vom kulturellen Erbe, sie lebt von der

Hochkultur. Sie lebt aber nicht minder von der Alltagskultur. Die Kulturnation lebt vom

Selbstverständlichen und Alltäglichen, das aber auch selbstverständlich und alltäglich bleiben

sollte. Sie lebt vom respektvollen Umgang miteinander, von der Freundschaft zwischen Jung

und Alt, von Höflichkeit und Achtung vor dem anderen, von der Toleranz gegenüber

unterschiedlichen Lebensweisen, von Respekt vor öffentlichem Eigentum und ganz allgemein

von Achtsamkeit und Anstand. Ich glaube, an der Stelle müssen wir aufpassen: Da ist schon

einiges eingerissen, an das wir uns besser nicht gewöhnen.

Es ist das entschiedene Interesse, die Kreativität und das Engagement der Bürger, was die

Kulturnation ausmacht. Es geht darum, Raum und Unterstützung dafür zu schaffen. Ich finde,

der Schlussbericht der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in

Deutschland" ist eine Fundgrube praktischer Vorschläge dafür. So genau ist die kulturelle

Landschaft Deutschlands noch nie vermessen worden. Den Abgeordneten und allen

beteiligten Experten sage ich dafür heute meinen herzlichen Dank.

Unsere Nation steht vor großen Aufgaben. Es geht um Arbeit, die wir schaffen müssen; um

Bildung, die allen gerechte Chancen gibt; um Integration, die uns zusammenhält: Stadt und

Land, Ost und West, Alt und Jung, Arm und Reich, einheimisch und mit Wurzeln von weit

her.

Vor diesen Aufgaben braucht uns nicht bange zu sein. Unser Land hat ja selbst in der

jüngsten Geschichte weit größere Herausforderungen gemeistert - nach 1945, nach 1989.

Außerdem: Wir haben ja noch nicht einmal alle Kräfte erschlossen, die uns bei den neuen

Aufgaben helfen werden. Dabei denke ich zum Beispiel an die Vitalität und Erfahrung der

Älteren unter uns, die sowohl im Arbeitsleben als auch im bürgerschaftlichen Engagement

eine viel größere Rolle spielen können und spielen sollten. Und ich denke an die Frauen in

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Deutschland, deren Gleichberechtigung in Familie, Beruf und Karriere noch längst nicht

völlig verwirklicht ist. Übrigens: Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist eines der

attraktivsten Angebote, das unsere Kultur begabten und fleißigen Menschen aus anderen

Kulturkreisen überhaupt machen kann.

Und es gibt noch eine wichtige Quelle für Orientierung und Kraft, die wir noch nicht recht

erschlossen haben: Das ist die Überzeugung, als Nation mehr zu sein als eine

Wohngemeinschaft und ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Überzeugung, als

Nation und als Staat eine Aufgabe zu haben, die über das Hier und Jetzt hinausweist, die groß

ist und anstrengend, aber gut und erreichbar und gerade für uns gemacht.

Stellen wir uns deshalb ruhig die Frage: Was ist eigentlich gut daran, deutsch zu sein? Ich

finde, es ist vor allem, dass wir gelernt haben aus der Geschichte, und wir lernen weiter.

Lernfähigkeit ist Teil unserer Kultur, unseres Charakters, geworden. Wir sind auf

rücksichtsvolle Weise neugierig, wenn wir uns ernsthaft in der Welt umschauen; wer draußen

etwas anders macht als wir, der weckt unser Interesse, nicht unsere Ablehnung. Wir arbeiten

gern daran, hinter der Unterschiedlichkeit der Nationen das gemeinsame Anliegen zu

entdecken und uns dafür einzusetzen, dass alle etwas davon haben. Dabei gibt uns das Wissen

um unsere Leistungsfähigkeit Gelassenheit, und wir bleiben bescheiden. Das ewige

Schwanken zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt kann ein Ende haben. Wir

können einfach lebenstüchtig sein und mit Vernunft und Augenmass daran arbeiten, unser

Land zu verbessern, anderen zu helfen und die Welt heiler zu machen.

Unser Volk ist frei und politisch geeint. Wir leben in sicheren Grenzen, umgeben von

Freunden und Partnern. Wir genießen so großen Wohlstand wie wenige, und wir halten die

Demokratie und das Recht hoch. Wir finden zu uns selbst.

Freuen wir uns darüber, feiern wir es!

Wir haben keinen Grund, uns größer zu machen als wir sind. Aber auch nicht kleiner.

Deshalb bin ich dafür, dass wir auch unserer Führungsverantwortung in Europa nicht

ausweichen. Unsere europäischen Partner erwarten das auch gar nicht. Diese

Führungsverantwortung verlangt von uns, dass wir sagen, was wir in der Europäischen Union

als deutsche Nation selber wollen; dass wir unser eigenes Haus in Ordnung halten und dass

wir gleichzeitig jederzeit zum fairen Interessenausgleich mit unseren Partnern bereit sind.

Trauen wir uns und Europa etwas zu. Die Welt braucht das europäische Modell gerade in

diesen Zeiten des globalen Umbruchs.

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Aus freiem Willen füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen, nicht als Last,

sondern als Erfüllung: Auf diese Haltung stoße ich immer wieder in unserem Land. Ein

Beispiel möchte ich Ihnen noch erzählen, ein Beispiel aus Westdeutschland. Es geht um

Kinder und um Zukunftsmusik:

Vor kurzem half ich in Gelsenkirchen bei einer Aktion, die heißt: "Jedem Kind ein

Instrument." Wenn alles klappt, dann sollen alle Grundschüler im Ruhrgebiet in den

kommenden Jahren die Chance erhalten, ein Musikinstrument zu erlernen. Das ist eine der

schönsten Ideen für Essen und Ruhr als Kulturhauptstadt Europas 2010.

Zum neuen Schuljahr bekamen 46 Kinder der Don Bosco- und der Martin Luther-

Grundschule ein Instrument überreicht, für das sie nichts bezahlen müssen. Mehr als die

Hälfte der Kinder kamen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. Aber die Freude und

der Lerneifer, die waren bei allen gleich.

Wir alle wissen es: Die nächste Generation unseres Landes wird noch viel stärker von

Menschen geprägt sein, deren Wurzeln fern von Deutschland liegen. Ich sehe eine große,

aber eben auch eine schöne Aufgabe darin, sie für unsere Kulturnation zu gewinnen. Das

wird diese Kulturnation verändern, weil noch mehr Traditionen, Herkünfte,

Glaubensgewissheiten, Talente und Familiengeschichten in ihr aufgehen. Unsere Liebe zur

Freiheit und das Bekenntnis zur Selbstverantwortung, das Streben nach Glück und die

Achtung der Würde und der Rechte eines jeden Menschen bleiben dabei unveräußerlich. Auf

die Kraft dieser Werte können wir vertrauen.

Die Menschen in Deutschland zeigen mit gemeinsamem Engagement, dass sie unsere

Kulturnation lebendig halten und liebenswert. Kümmern wir uns alle um unsere Heimat.

Gott segne unser deutsches Vaterland.

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Rede 3 - 7. November 2008 - Horst Köhler

Herzlich willkommen zum 4. Forum "Partnerschaft mit Afrika". Herr Präsident Yar´Adua,

ich freue mich sehr, dass Sie dieses Treffen in Ihrer Hauptstadt Abuja für uns möglich

gemacht haben; danke dafür.

Es gibt in Deutschland einen Spruch: "Besser ein Onkel, der was mitbringt, als eine Tante,

die Klavier spielt."

Ich kann kein Klavier spielen, und ich habe auch nichts zu verteilen. Trotzdem sind wir alle

hier zusammengekommen.

Ich traue mir zu, zu sagen, woran das liegt: Unsere Welt scheint zu schrumpfen. Wir alle

spüren, dass wir immer stärker voneinander abhängen. Deshalb sind wir auch aufeinander

angewiesen. Afrika braucht Europa. Europa braucht Afrika. Und aus dieser Erkenntnis haben

wir bislang bei weitem noch nicht genug gemacht.

Die Menschen, die heute hier aufeinander stoßen, sind sehr unterschiedlich. Wir vertreten

sicherlich unterschiedliche Meinungen. Wir sehen unterschiedlich aus. Unsere Kultur ist

unterschiedlich. Unsere Verantwortung ist unterschiedlich.

Aber wir alle glauben, dass gerade aus unserer Unterschiedlichkeit Klugheit erwachsen kann.

Nicht Klugheit, die uns gehört als einzelnen. Dafür Klugheit, die für alle da ist. Und deshalb

sind wir hier.

Lassen Sie mich angesichts der Weltlage zwei sehr unterschiedliche Szenarien an die Wand

malen.

Szenario 1: Die Finanzkrise führt im Westen zu nationaler Selbstbezogenheit und

Protektionismus. Chinas Wachstum bricht ein. Die Rohstoffpreise verfallen. Investitionen in

die Länder Afrikas werden gestoppt. Die Mittel für die entwicklungspolitische

Zusammenarbeit werden gekappt. Die innerafrikanischen Konflikte brechen neu und blutig

aus. Armut und Migration steigen dramatisch. Der Klimawandel interessiert nicht mehr. Die

neue Weltordnung heißt Chaos.

Szenario 2: Die Finanzkrise führt zu einem Umdenken. Die Industriestaaten begreifen: Es ist

ihr ureigenes Interesse, mit allen Kräften daran zu arbeiten, dass eine global vernetzte Welt

wieder Vertrauen finden kann. Das Krisenmanagement schließt ein, dafür zu sorgen, dass die

wirtschaftliche Abschwächung nicht massiv auf die Schwellen- und Entwicklungsländer

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durchschlägt. Die Staatengemeinschaft hat die Kraft, die Doha-Runde noch in diesem Jahr

zum Abschluss zu bringen. Ein entwicklungsfreundliches, multilaterales Handelssystem ohne

Doppelstandards entsteht. Ein weltweites, umfangreiches Programm für

Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und Bildung wird aufgelegt, mit Schwerpunkt in den

ärmeren Ländern. Rohstoffländer und Rohstoffabnehmer gehen gemeinsam energisch gegen

illegalen Rohstoffhandel vor. Wo Konflikte ausbrechen, wie jetzt wieder im Kongo oder im

Sudan, da stellen sich die regionalen Partner der Konfliktparteien ihrer Verantwortung,

wirken Blutvergießen und Gewalt entgegen und unterstützen eine Lösungsfindung auf der

Basis des Rechts. Die Industriestaaten erkennen ihren Anteil der Verantwortung für den

Klimawandel und die Folgen für die armen Länder; der Norden lässt den Süden nicht im

Stich. Eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten wird erarbeitet. Es entsteht eine

neue Weltordnung im Geiste der Kooperation.

So, meine Damen und Herren: In welchem Szenario möchten wir, dass unsere Kinder und

Enkel groß werden?

Ich weiß, die Welt wird nie so leuchtend sein, wie wir sie uns wünschen. Aber wohl auch nie

so finster, wie wir fürchten. Und es gibt mir Zuversicht, dass nahezu alles, was uns derzeit

belastet, von uns selbst gemacht worden ist. Menschen haben die Krise angerichtet. Also

können Menschen sie auch lösen und Lehren aus ihr ziehen.

Das einzusehen, heißt begreifen, dass unser Handeln künftig vernetzt und nachhaltig

ausfallen sollte. Wir wissen, dass die Dinge, die wir zum Leben brauchen, endlich sind. Und

wir wissen auch, dass sich in Afrika die Zahl der Menschen in den kommenden 50 Jahren

nahezu verdoppeln wird. Der Rohstoff, auf den es jetzt am meisten ankommt, ist Vertrauen.

Es ist an uns, nur an uns, diesen Stoff herzustellen.

Deshalb sage ich: In der gegenwärtigen Krise liegt auch eine große Chance. Die Krise ging

aus von den Industriestaaten - von denen, die sich bisher am stärksten fühlten. Sie haben

durch eigene Fehler erfahren, dass auch sie verwundbar sind. Es steht den Industrieländern

gut an, daraus mehr Bescheidenheit und Lernfähigkeit abzuleiten. Weit über das rein

Ökonomische hinaus. Es ist eine Zeit gekommen, in der wir uns auf gemeinsame

Menschheitsaufgaben verständigen und uns an sie binden können. Es geht um einen neuen

Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft, der Kapital zum Diener und nicht zum Herrscher

über die Menschen macht und in dem die Bekämpfung der Armut und des Klimawandels als

strategische Aufgabe für alle definiert ist. Es geht um Meilensteine für eine neue, kooperative

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Weltordnung. Ich hoffe, dass der Finanzgipfel der G20 in der kommenden Woche in

Washington hierzu einen Anstoß gibt.

Egoismus bedeutet heute, sich auch um den anderen zu kümmern. Wir haben es wirklich

selbst in der Hand.

Als wir uns vor drei Jahren in Bonn zum ersten Mal trafen, da haben wir gelernt, uns mit

Offenheit und Respekt aufeinander einzulassen. In Accra, im Jahr drauf, haben wir Jung und

Alt zusammengebracht. Es entstand die Erklärung der Young Leaders "Zwei Generationen -

Eine Zukunft." Sie zeigt einen Geist der Partnerschaft, wie wir ihn uns nur wünschen können.

Das kritische Gespräch zwischen den Generationen stand uns allen gut zu Gesicht. In

Eberbach, vor einem Jahr, haben wir erkannt, dass die Globalisierung uns unwiederbringlich

zusammenführt in Einer Welt, und dass es darum geht, diese Entwicklung politisch zu

gestalten.

Hier in Abuja haben wir uns vorgenommen, über Hürden zu sprechen, die zwischen uns

stehen - Hürden der Wahrnehmung und des Unverständnisses, aber auch sehr reale Hürden.

Ich verstehe den Weg, den wir bislang gegangen sind, so: Wir haben einander zugehört. Wir

sind nachdenklich geworden. Wir haben begriffen, dass wir noch viel mehr voneinander

wissen müssen. Und wenn es uns jetzt gelingt, die Hürden zu benennen, die uns trennen,

damit wir sie überwinden können, dann ist der Weg frei zur Tat.

Ich freue mich auf das 4. Afrika Forum, auf die Einführungs-Statements von Botschafter

Kiplagat, von Professor Lahnstein von der ZEIT-Stiftung, die die Partnerschafts-Initiative

gemeinsam mit mir gegründet hat, und nicht zuletzt von den Young Leaders. Ich freue mich

aber vor allem auf unsere Diskussion - im Plenum, und dann auch in den kleineren

Arbeitsgruppen.

Ich wünsche Ihnen und uns allen: Gutes Gelingen!

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Rede 4 - 27. November 2008 - Horst Köhler

Ich bin der Einladung, heute bei Ihnen zu sprechen, gerne gefolgt. Wir Deutsche sind gut

beraten, gründlicher darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie wir unsere Interessen

definieren, schützen und durchsetzen und wie wir mithelfen, die Welt friedlicher und sicherer

zu machen. Dieser Debatte sollten entsprechende Entscheidungen folgen und den

Entscheidungen konsequentes Handeln. Das alles auf den Weg zu bringen, ist eine

ansehnliche Herausforderung für alle, die sich wie Sie mit Sicherheitspolitik beschäftigen und

auskennen. Aber gerade deshalb bin ich heute in Ihrer Mitte, meine Damen und Herren: Ich

denke, "Impulse 21" kann ein wertvolles Forum sein für die öffentliche Bewusstseins- und

Meinungsbildung, die Deutschland braucht, und ich hoffe, die Konferenz bestärkt Sie als

sicherheitspolitische Experten darin, nicht nachzulassen in der Suche nach dem richtigen

Weg, das heißt also auch: der Sisyphosarbeit des Aufklärens und Überzeugens.

Mein Beitrag dazu heute sollen drei Anmerkungen unter den Überschriften Stärken,

Schwächen, Aufgaben sein.

1. Stärken:Deutschland hat sich weit besser eingefunden in seine internationale

Verantwortung, als ihm das manche Kritiker zugestehen wollen. Wer hätte es uns verargen

können, wenn wir uns nach der Wiedervereinigung erst einmal auf uns selbst zurückgezogen

hätten? Mit der Gestaltung der Inneren Einheit und dem Aufbau der ostdeutschen

Bundesländer gab es und gibt es weiß Gott viel zu tun. Und trotzdem hat Deutschland mit

Nachdruck und im partnerschaftlichen Geist die Erweiterung der Europäischen Union

vorangebracht. Unser Land hat seinen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit und seinen

Beitrag zur Arbeit der Vereinten Nationen verstärkt. Und wir können selbstbewusst sagen:

Deutschland hat auch sicherheitspolitisch Schritt für Schritt mehr Verantwortung

übernommen.

Unser Land tut das mit Soldatinnen und Soldaten, die ihr Handwerk verstehen, und die

wissen: Der Einsatz ist gefährlicher geworden; immer häufiger geraten unsere Soldatinnen

und Soldaten in den Kampf. Doch der strategische Erfolg hängt mindestens ebenso sehr ab

vom besonnenen Schlichter, vom glaubwürdigen Botschafter unserer Werte und vom

kundigen Aufbau-Helfer. Ich denke: Allen diesen Herausforderungen werden unsere

Soldatinnen und Soldaten vorbildlich gerecht - auch dank Auftragstaktik, dank Innerer

Führung und politischer Bildung der Bürger in Uniform und dank einer dritten Stärke:

Deutschland und die Deutschen sind mit Recht überzeugt davon, dass eine kooperative und

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möglichst zivile Außen- und Sicherheitspolitik die unverzichtbare Basis für dauerhaften

Frieden ist. Das haben wir viele Jahre eingeübt, und heute entdecken wir, dass eine solche

Politik in der multipolaren Welt besonders wichtig ist: eine Politik, die auf die Verankerung

in Werte-Allianzen und ihren Institutionen setzt; eine Politik, die auch die Kleinen und

Schwächeren respektiert und die nicht auftrumpfend daherkommt, sondern zu gewinnen

versucht; eine Politik, die ehrlich auch den Vorteil des anderen im Auge behält und sich an

ethische Grundsätze bindet.

Wir haben nach dem 2. Weltkrieg aller Macht- und Gewaltpolitik abgeschworen, um langsam

wieder Vertrauen und Achtung zu erwerben. Aber die Bundesrepublik und ihre Bundeswehr

haben gleichzeitig gemeinsam mit den NATO-Partnern stark und verlässlich Wacht gehalten

gegen die Bedrohung durch die Sowjetunion.

2. Schwächen:Manche haben 1989 das Ende der Geschichte ausgerufen. Wir Deutsche sind

im Maßstab geblieben - und waren doch froh über das Ende von Teilung und Bedrohung. Wir

hatten mehr als vierzig Jahre lang mit einer blutenden Grenze mitten durch unsere Heimat

gelebt; da waren die Erwartungen an eine Friedensdividende naturgemäß groß. Tatsächlich

geben wir heute real sehr viel weniger Geld für unsere Sicherheit und Verteidigung aus als

vor 1989. Ist das heute, angesichts neuer Bedrohungen noch angemessen? Der Einsatzalltag

in der Heimat und draußen wirft da Fragen auf, die Sie als Experten alle besser kennen als

ich, und denen wir nicht ausweichen sollten.

Die Neuorientierung der Bundeswehr von der Territorialverteidigung zur Armee im Einsatz

war notwendig und ist insgesamt gelungen. Aber die Deutschen halten diese Transformation

ganz gern vor sich selbst geheim. Darum besteht die Gefahr, dass der Bundeswehr

möglicherweise allmählich größere Lasten aufgebürdet werden, als es der gebotenen

Solidarität der Bürger mit ihren Landsleuten in Uniform entspricht.

Aber da ist noch eine weitere Dimension zu beachten: keine Armee der Welt will sich bei

ihrem Einsatz nur auf moderne Waffen und Gerät stützen, sie will auch begleitet sein von

Unterstützung durch die Mitbürger, von Anteilnahme an ihrem gefährlichen Dienst. Bei

"freundlichem Desinteresse" für die Bundeswehr darf es nicht bleiben Die Bundeswehr leistet

einen vitalen Beitrag für die gute Zukunft unseres Landes.

Bündnistreue ist ein hohes Gut. Wir Deutsche verdanken ihr unsere Freiheit und Einheit.

Aber Bündnistreue allein reicht als Argument noch nicht, wo die Bürgerinnen und Bürger mit

Recht überzeugende Gründe für schwierigste militärische Interventionen verlangen. Solche

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Gründe zu benennen, kann die Einsicht in interessenpolitische Notwendigkeiten stärken.

Aber das setzt voraus, dass wir unsere Interessen überzeugend definieren, für sie werben und

sie dann entschieden verfolgen. Das wiederum setzt ein gesundes Maß an Selbstpräferenz

(Peter Sloterdijk) voraus. Auch hier steht uns eine Normalisierung gut an. Es sollte uns zum

Beispiel nicht passieren, dass wir Soldaten in einen Einsatz schicken, für den es kein klares

oder ein falsches, weil zu hochgestecktes Ziel gibt, denn dann haben wir auch keinen

zutreffenden Begriff für Erfolg und Scheitern und am Ende womöglich nicht einmal eine

klare Vorstellung davon, wann und wie die Intervention beendet werden soll.

Es sollte uns auch nicht passieren, dass wir gute Ziele mit unzureichenden Mitteln verfolgen.

Das würde auch unserer internationalen Glaubwürdigkeit schaden. Insgesamt gilt: Was nötig

ist, das muss politisch überzeugend vermittelt und durchgesetzt werden, auch und zuerst bei

der heimischen Bevölkerung, denn mit deren Akzeptanz steht und fällt in Demokratien

militärisches Engagement im Ausland.

3. Aufgaben:Das setzt - und damit beginnt mein dritter Punkt - politische Bildung voraus,

damit die Bürger den Wert der Institutionen, Bündnisse und vor allem der Menschen noch

besser schätzen lernen, die Freiheit und Recht schützen und durchsetzen. Dafür können wir

alle etwas tun, jede und jeder im eigenen Wirkungskreis. Was wir brauchen, ist

Aufmerksamkeit, Solidarität und Dankbarkeit für unsere Soldatinnen und Soldaten. Und wir

sollten die in Ehren halten, die im Kampf gegen Terror und Gewalt fallen und die ihr Leben

und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen für die Gemeinschaft der Deutschen und eine bessere

Welt und sichere Welt.

Die internationale Finanzkrise zeigt einmal mehr, dass eine Lösung der globalen

Menschheitsaufgaben nur im Rahmen einer kooperativen Weltordnung möglich ist. Dies ist

auch eine große Chance. Ich bin überzeugt, dass der NATO hier eine wichtige Rolle

zukommen kann. Gegebenenfalls muss die NATO die dafür notwendige Kultur von

gegenseitigem Zuhören und von dem Willen zur Kooperation noch weiter entwickeln.

Ich würde mir wünschen, dass die Allianz sich wieder mehr als Wertegemeinschaft und als

ein politisches Bündnis versteht. Und damit auch als zentraler Ort für strategische

Konsultationen im transatlantischen Verhältnis. Ich hoffe, dass von dem NATO-Gipfel im

nächsten Jahr in Straßburg und Kehl ein starkes Signal für eine neue, internationale

Sicherheitsarchitektur ausgeht. Stärker als bisher muss dabei Sicherheit nicht nur mit Blick

auf militärische und terroristische Bedrohungen, sondern auch auf die Bedrohung unserer

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Werte und Freiheit durch Armut und Klimawandel verstanden werden. Ich sehe die Chance,

dass sich die NATO zu einem zentralen Pfeiler einer vernetzten Sicherheitsarchitektur, in

enger Kooperation mit den Vereinten Nationen - das ist mir ganz wichtig -, aber auch der

Europäischen Union entwickeln kann. Diese Herausforderung mit konzeptioneller Kraft zu

gestalten, würde ihr auch für die nächsten 60 Jahre ihres Bestehens eine wichtige,

glaubwürdige Rolle für die gute Entwicklung ihrer Mitgliedsstaaten und der Welt insgesamt

sichern.

Ein konkreter Bereich, in dem meiner Ansicht nach schon in Straßburg und Kehl

Veränderungen eingeleitet werden sollten, ist die Abrüstung. Ich glaube nicht, dass wir

Frieden und Sicherheit in der multipolaren Welt von heute über mehr Rüstung erreichen

werden. Ich denke Komma Hans-Dietrich Genscher hat eine besondere Gefahr auf den Punkt

gebracht Komma und ich zitiere: "Die Gefahr der Ausbreitung von Atomwaffen wird größer,

auch wegen der vertragswidrigen, ungezügelten Entwicklung der Atompotenziale der großen

Atommächte. Der Ausstieg aus schon getroffenen Vereinbarungen bedeutet einen Rückfall in

altes Denken. Wer könnte den Mahnruf von Henry Kissinger, von George Shultz, von Sam

Nunn und William Perry nach vollständiger atomarer Abrüstung überhören?"

Ich teile die Auffassung von Hans-Dietrich Genscher. Ich finde, dieser Frage müssen wir

dringend die nötige intellektuelle und politische Aufmerksamkeit geben.

Und wir werden auch nicht darum herumkommen, uns mit der Frage zu konfrontieren, wie

sehr sich die sogenannten "neuen Kriege" in den armen Ländern der Welt von allem

unterscheiden, wofür unsere Armeen aufgestellt wurden.

Wir haben es heute nämlich auch mit Kriegen zu tun, die in entlegenen Teilen der Welt teils

jahrzehntelang schwelen und immer wieder heftig ausbrechen, weil sie ökonomisch lukrativ

sind. Diese Kriege werden geführt, weil Milizenführer und Warlords sich angekoppelt haben

an die Weltmärkte für Drogen und für illegal erbeutete Rohstoffe. Diese Konflikte werden

angeheizt von der Flut billiger Handfeuerwaffen, vom Zerfall staatlicher Ordnungen und vom

Mangel an Chancen für Generationen junger Leute.

Diese Konflikte stellen uns vor die Frage: was sind uns unsere Werte wert? Und, in der

praktischen Ableitung: Was ist zu tun, damit wir unsere Werte wirksam schützen und auch

unseren eigenen jungen Menschen glaubwürdig vermitteln können?

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Trotz mancher ungelöster Aufgabe: Deutschland und die Deutschen haben außen-,

sicherheits- und entwicklungspolitisch insgesamt einiges ganz ordentlich gemacht. Wir

können verlangen, dass man unsere guten Erfahrungen damit ernst nimmt. Wir gestehen aber

zu, dass wir auch Defizite haben. Wir Deutsche gelten allgemein als konzeptionelle Köpfe,

aber die auswärtigen Bedingungen für unsere Freiheit und unseren Wohlstand im 21.

Jahrhundert haben wir uns noch nicht ausreichend bewusst gemacht. Und darum tun wir noch

nicht genug dafür, diese Faktoren zu benennen, zu diskutieren, zu stabilisieren und zu

pflegen. Viele Nationen schauen auf uns und hoffen auf unseren Beitrag. Es werden uns

Opfer abverlangt werden. Dieser Tatsache ins Auge zu blicken und die damit verbundenen

Schmerzen aushalten zu können, da werden wir noch lernen müssen.

Sicherheitspolitik ist ein schwieriges und vor allem auch komplexes Terrain. Sie verlangt

Einsicht und Willenskraft. Die wollen erarbeitet sein in unserer freiheitlichen Demokratie.

Dafür, meine Damen und Herren, kommt es entscheidend auch auf Ihre Vermittlung an, auf

Ihren Einsatz, auf Ihre Überzeugungskraft. Ich wünsche Ihren heutigen Beratungen und

Ihrem weiteren Engagement viel Erfolg und die verdiente öffentliche Aufmerksamkeit.

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Rede 5 - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler

Liebe Landsleute,

meine Frau und ich wünschen Ihnen allen von Herzen ein frohes und gesegnetes

Weihnachtsfest.

Für jeden von uns, ob Christ oder nicht, sind die Bilder von Weihnachten einleuchtend: Ein

Kind wird geboren, in einem Stall in einer Futterkrippe - und mit ihm kommt Licht in die

Welt. Menschen in Sorge und Angst hören den Ruf: "Fürchtet euch nicht!"

Dieses Fest und diese Botschaft brauchen wir - alle Jahre wieder. Denn auch in unserem

Alltag ist vieles nicht heil.

Das gilt im persönlichen Leben, wo es bis in die Familien hinein nie ganz ohne Streit zugeht.

Wo uns Krankheit trifft, wo wir Einsamkeit spüren, wo uns der Tod einen lieben Menschen

nimmt. Viele haben im vergangenen Jahr solche Erfahrungen gemacht, und ich wünsche

Ihnen, dass Sie Trost finden und auch wieder Zuversicht.

Ich denke heute Abend auch an unsere Soldatinnen und Soldaten, die in der Ferne für

Sicherheit und Wiederaufbau sorgen. Sie dienen dem Frieden, unter Einsatz von Leib und

Leben. Dafür wollen wir ihnen danken.

Sorgen macht uns allen die weltweite Finanzkrise mit ihren Folgen. Unvorstellbar viel Geld

ist verspielt worden. Viele haben Angst um ihr Erspartes. Und viele fürchten um ihren

Arbeitsplatz. Es ist richtig, dass der Staat entschlossen handelt, um die Betriebe zu schützen

und um Arbeit und Einkommen der Menschen zu sichern.

Wir werden uns anstrengen müssen. Aber ich habe Zuversicht, dass wir die Herausforderung

meistern werden.

Warum? Unser Land, seine Bürger und die Politik haben klug und besonnen reagiert. Ich

meine, darauf können wir auch in Zukunft bauen.

Und ich habe Zuversicht, weil ich weiß: Wir haben ein gutes Fundament. Die Reformen der

vergangenen Jahre und die neue Bereitschaft zum Miteinander in den Betrieben haben uns

gestärkt für die Aufgaben, die vor uns liegen. Ich bin froh über den Ideenreichtum, die

Tatkraft und die Gelassenheit, die ich überall im Lande erlebe. Wir sind gewappnet durch die

vielen tüchtigen Menschen, die unsere Gemeinschaft tragen: gut ausgebildete, motivierte

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Arbeitnehmer, ideenreiche, mutige Unternehmer und Millionen von engagierten Bürgerinnen

und Bürgern, die gestalten und anpacken und füreinander einstehen. Das kann uns allen Mut

machen.

Ich sehe in der Krise auch eine Chance. Eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit

zwischen den Völkern. Eine Chance für eine bessere Ordnung von Wirtschaft und Finanzen,

in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich niemand davon beherrscht fühlen muss.

Wenn wir dafür arbeiten, dann macht uns diese Krise stärker.

Jetzt muss sich entsprechend verhalten, wer Verantwortung trägt und Rechenschaft schuldet.

Wir brauchen Achtsamkeit für das Gemeinwohl. Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und

Maß. Glaubwürdigkeit bringt das Vertrauen zurück. Es ist das Band, das unsere Gesellschaft

zusammenhält.

Liebe Landsleute, lassen Sie uns dieses Band gemeinsam stärken.

Es liegt wirklich an uns selbst. Schöpfen wir die Kraft aus unseren Möglichkeiten.

Diesen Gedanken wollte ich Ihnen heute Abend mitbringen. Und ich möchte allen Dank

sagen, die an den Feiertagen Dienst tun, ob hauptberuflich oder im Ehrenamt. Was Sie tun,

tut uns gut.

Meine Frau und ich wünschen Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, alles Gute - und

in diesen Tagen, wie es in dem alten Lied heißt, eine fröhliche, selige, Gnaden bringende

Weihnachtszeit.

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Rede 6 - 15. Januar 2009 - Horst Köhler

Herr Nuntius, meine Damen und Herren Botschafter und Vertreter Internationaler

Organisationen, Deutschland und die Deutschen fühlen sich Ihnen verbunden in dem

gemeinsamen Wunsch nach einem Schweigen der Waffen im Nahen Osten - und nach

Frieden.

Das ist es, was ich heute als erstes sagen möchte.

Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in Schloss Bellevue.

2009 wird für uns Deutsche ein besonderes Jahr. Die Bundesrepublik Deutschland wird 60

Jahre alt. Und wir begehen den 20. Jahrestag des Mauerfalls. Die Deutschen können dieses

zweifache Jubiläum im Zeichen von Freiheit und Einheit feiern. Darüber sind wir dankbar

und froh. Wir haben gelernt, welch kostbares Gut die Freiheit ist. Und wir haben gelernt,

guten Gebrauch von ihr zu machen. Die Deutschen haben eine stabile Demokratie und eine

Wirtschaftsordnung aufgebaut, die Freiheit und Wettbewerb mit sozialem Ausgleich

verbindet. Und vor 20 Jahren haben die Menschen in der ehemaligen DDR gemeinsam mit

den Völkern in Mittel- und Osteuropa nach vielen vergeblichen Versuchen den Eisernen

Vorhang friedlich überwunden und die Berliner Mauer zum Einsturz gebracht. Seitdem

arbeiten wir in Deutschland gemeinsam daran, die Folgen der Teilung zu überwinden und

eine Kraft zum Guten zu sein in der Welt. Das alles wollen wir feiern - gemeinsam mit

unseren Freunden überall auf der Welt, die uns auf diesem Weg begleitet haben.

Deutschland dient heute als "gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden

in der Welt". So haben es uns 1949 die Väter und Mütter unserer Verfassung als Leitbild ins

Grundgesetz geschrieben. Wir können mit ruhigem Selbstbewusstsein sagen, dass wir diesem

Auftrag in den vergangenen 60 Jahren treu geblieben sind. Wir haben seit 1949 Schritt für

Schritt internationale Verantwortung übernommen. Deutschland hat sich partnerschaftlich in

die europäische Integration eingebracht. Unser Land hat seinen Beitrag zu den Vereinten

Nationen und zur Entwicklungszusammenarbeit verstärkt. Unsere Partner können sich auf

Deutschland verlassen.

Mein Land steht wie alle Staaten der Weltgemeinschaft angesichts der internationalen

Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 vor schwierigen Herausforderungen. Ich halte

nichts von Schwarzmalerei, auch nicht, wenn sie sich in historische Vergleiche hüllt. Wir

erleben heute ein anderes Szenario als das der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre im 20.

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Jahrhundert. Die G 20-Konferenz am 15. November in Washington hat gezeigt: Die

internationale Staatengemeinschaft weiß um die Herausforderung und kann auf gemeinsamer

Linie handeln. Darauf können wir aufbauen.

Die Bundesregierung hat gestern kraftvolle Maßnahmen zur Stärkung der deutschen

Wirtschaft beschlossen. Sie stützen die Anstrengungen der Europäischen Union und auch der

internationalen Gemeinschaft, der Weltrezession entgegenzuwirken. Schon im Herbst hat

Deutschland mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz rasch und entschlossen einen Beitrag

zur Überwindung der Krise und zur internationalen Stabilisierung geleistet.

Die Synchronität des Abschwungs der Weltkonjunktur verlangt die volle Einbeziehung der

Schwellen- und Entwicklungsländer in das globale Krisenmanagement. Ihre

weltwirtschaftliche Bedeutung ist gewachsen und durch die starke Verflechtung der

Volkswirtschaften hängen wir alle voneinander ab. Die multilaterale Überwachungs-Aufgabe

("surveillance") der internationalen Finanzinstitutionen ist jetzt wie nie zuvor gefragt. Sie

müssen bereit und in der Lage sein, - wenn immer erforderlich - schnell und unbürokratisch

zu helfen. Sie sollten den Mitgliedstaaten für ihre Frühjahrstagung auch einen Plan für ein

weltweites Programm für Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Infrastruktur, Ökologie und

Bildung zur Entscheidung vorlegen. Und das Wichtigste überhaupt ist - und dies ist die Lehre

aus der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts -, dass die internationale

Staatengemeinschaft Protektionismus und Selbstbezogenheit eine Absage erteilt.

Die Krise ist auch eine Chance. Weil sie das Bewusstsein dafür schärft, in welch großem

Maße die Völker aufeinander angewiesen sind und wie wichtig deshalb gemeinsames

Handeln ist. Das sollte den Weg bereiten helfen für die Gestaltung einer besseren

Globalisierung. Damit dies bestmöglich gelingt, ist eine sorgfältige Analyse der Ursachen der

Krise wichtig. Diese Analyse steht im Grunde noch aus.

Zur systematischen Aufarbeitung der Krise gehören meines Erachtens vier zentrale Bereiche:

Erstens: Es geht darum, einen neuen Ordnungsrahmen für die internationalen Finanzmärkte

zu schaffen. Er muss getragen sein von gemeinsamen Werten und dem Willen, keine

aufsichtsfreien Räume zuzulassen. Ich halte es für richtig, einem reformierten Internationalen

Währungsfonds die Wächterfunktion über die Stabilität des internationalen Finanzsystems

anzuvertrauen.

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Zweitens: Eine zentrale, tiefer liegende Ursache für das Entstehen der Krise waren die

globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichte. Wir brauchen ein politisches Verfahren, das

dafür sorgt, dass diese Ungleichgewichte abgebaut werden und in dieser Form nicht wieder

entstehen können.

Drittens: Die Bekämpfung der weltweiten Armut und des Klimawandels müssen als

strategische Ziele, und damit als Querschnittsaufgabe, in allen Bereichen internationaler

Zusammenarbeit verankert werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für eine

Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten, also wohlweislich auch für die Entwicklung in

den Industrieländern. Ein unschätzbar wichtiges vertrauensbildendes Signal für

Zusammenarbeit und gegen Protektionismus wäre der Abschluss der Doha-Runde für ein

entwicklungsfreundliches multilaterales Handelssystem noch im 1. Halbjahr 2009. In jedem

Fall darf die internationale Finanzkrise nicht zur Ausrede werden, in der

Entwicklungszusammenarbeit nachzulassen. Und auch nicht zur Ausrede, die weltweite

Umsteuerung auf erneuerbare Energien und Steigerung der Energie- und Rohstoffeffizienz zu

verlangsamen.

Viertens: Wir müssen uns als Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Ethos verständigen,

also auf einen Grundkonsens "bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe

und persönlicher Grundhaltungen" (Hans Küng). Ein Grundprinzip dafür ist: Wir dürfen

andere nur so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Im Übrigen denke ich, dass

die Finanzkrise jenen Wirtschaftsführern Recht gibt, die sich davon leiten lassen, dass

ethische Prinzipien und eine Orientierung an dauerhafter wirtschaftlicher Wertebildung mit

Wettbewerb und Profitabilität durchaus vereinbar sind.

Die Dimension der Krise verlangt neues Denken. Ich habe dazu ein neues Bretton Woods

vorgeschlagen. Es könnte auch in China stattfinden.

Die Chance der Krise ist die Schaffung einer neuen, kooperativen Weltordnung. Das ist der

Auftrag, der sich aus der Verflechtung aller Staaten und Völker auf unserem Planeten ergibt.

Auch die mächtigsten Nationen müssen erkennen, dass sie ihre Interessen nicht im

Alleingang durchsetzen können. Nationale Interessen wie Sicherheit, Wohlstand und

Stabilität lassen sich im 21. Jahrhundert nur durch eigene Anstrengungen und durch bessere

Zusammenarbeit zwischen den Völkern verwirklichen.

Egoismus heißt deshalb heute, sich auch um den anderen zu kümmern. Wir sollten begreifen,

dass zur verantwortungsvollen Wahrnehmung staatlicher Souveränität heute nicht nur

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Verpflichtungen gegenüber den eigenen Staatsbürgern, sondern auch gegenüber anderen

Staaten gehören.

Gelingt es uns mehr als bisher, Gemeinsamkeiten zu definieren und danach zu handeln, dann

kann uns die Krise weltweit zu einer neuen, innovativen Politik führen: Einer Weltpolitik im

Geiste der Kooperation, die nicht nur isolierten nationalen Interessen dient, sondern

nachhaltig und umfassend auch das globale Gemeinwohl voranbringt und damit eine

gemeinsame gute Zukunft. Der wichtigste und legitime Ort für eine kooperative Weltpolitik

sind die Vereinten Nationen. Sie für diese Aufgabe zu stärken und effizienter zu machen,

liegt in unser aller Interesse. Ich weiß, der Weg dorthin ist lang und schwierig. Aber ich sehe

keine bessere Alternative.

In der Krise wird deutlich, dass wir in Europa auch durch eine gemeinsame Währung, den

Euro, zusammengehalten und geschützt werden. Die Erfolgsgeschichte der Europäischen

Union zeigt, dass es möglich ist, Frieden zu sichern, in der Welt an Gewicht zu gewinnen und

Wohlstand zu mehren - indem man sich zur Zusammenarbeit verpflichtet und lernt, auch

Souveränität zu teilen. Wir Europäer sollten diese Erfahrung selbstbewusst in die Arbeit an

einer neuen Weltordnung einbringen. Deutschland wird weiterhin auf den europäischen

Einigungsprozess bauen, auch damit Europa noch mehr als bisher mit einer Stimme an

unserer einen Welt mitwirken kann.

Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, gemeinsam eine bessere Zukunft für alle

Menschen zu erreichen. Dafür bitte ich Sie, meine Damen und Herren, ganz persönlich um

Ihre Unterstützung. Denn wir brauchen Vermittler, Botschafter im wahrsten Sinne des

Wortes, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der

kooperativen Weltpolitik zu machen.

Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Ihren Mitarbeitern ein gutes, neues Jahr. Es ist schön,

dass Sie unsere Gäste sind.

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Rede 7 - 22. Januar 2009 - Horst Köhler

Unser Land steht vor einer Zeit der Anstrengung. Die Finanzkrise hat schnell auf die

Realwirtschaft durchgeschlagen. Es gibt begründete Sorge um Arbeitsplätze. Trotzdem habe

ich Zuversicht, dass wir in Deutschland die Lage meistern werden. Unsere Soziale

Marktwirtschaft, die Reformen der vergangenen Jahre und das neue Miteinander in den

Betrieben geben uns Kraft. Wir sind gewappnet durch die vielen tüchtigen Menschen, die

unsere Gemeinschaft ausmachen. Wenn wir uns ins Zeug legen und die Staaten

zusammenstehen und ihre Einzelmaßnahmen koordinieren, dann sehe ich in der Krise auch

eine große Chance:

Eine Chance für eine bessere Globalisierung, in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich

niemand davon beherrscht fühlen muss. Die unmittelbare Aufgabe lautet: Geldkreislauf und

Kredit an die Wirtschaft wieder in Gang setzen. Und: Zusammenarbeit aller Staaten, um die

Rezession zu brechen. In Amerika setzt Barack Obama Zeichen, auf die wir eingehen sollten.

Die Frage, vor der wir stehen, lautet nicht: Hat der Kapitalismus vollständig versagt? Denn

darauf hat die Geschichte bereits geantwortet: Freiheit und Marktwirtschaft haben in den

vergangenen Jahrzehnten weltweit hunderte von Millionen Menschen aus bitterster Armut

befreit.

Die Idee der Freiheit entscheidet weiter über Verbesserung in der Welt. Aber die Frage

bleibt: Wo haben wir es versäumt, dem Kapitalismus Zügel anzulegen? Den Ursachen für die

Krise wirklich auf die Spur zu kommen, ist menschenmöglich. Dann können wir daraus die

richtigen Lehren ziehen. Ich sehe vier Arbeitsschwerpunkte: Erstens müssen die Staaten

Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten schaffen. Wir brauchen wirksame

Kontrollen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Zweitens geht es um den Abbau der

großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Welt. Dass die Amerikaner auf Pump gelebt

haben, hat uns Deutschen lang Exporterfolge beschert. Jetzt müssen wir unsererseits das

Wachstum im Inneren stärken.

Damit das nachhaltig gelingt, müssen wir auch an die denken, die hart arbeiten und ihre

Steuern und Abgaben zahlen. Ihre Anstrengungen sollen sich auch für sie selber lohnen.

Drittens sollten wir uns klarmachen: Armut und Klimawandel bedrohen nicht nur Länder, die

weit weg liegen. Sie bedrohen auch uns. Also sollten wir den Kampf gegen Armut und

Klimawandel als Aufgabe begreifen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Heute schon

ist Deutschland Spitze in der Umwelttechnologie. Wenn wir diesen Vorsprung ausbauen,

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dann sichern wir uns die Arbeitsplätze der Zukunft. Und viertens braucht die

Weltgemeinschaft eine Moral, die alle verbindet.

Wir müssen lernen, mit anderen nur so umzugehen, wie wir selbst behandelt werden wollen.

Egoismus im 21. Jahrhundert heißt, sich auch um die anderen zu kümmern. Es geht um eine

Marktwirtschaft, die sich weltweit an Solidarität und Verantwortung bindet, ohne die Kraft

von Markt und Preis und Wettbewerb auszuschalten. Es geht um einen Kapitalismus mit

menschlichem Antlitz. Dazu kann unser Land einen guten Beitrag leisten. Dann geht

Deutschland gestärkt aus der Krise hervor.

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Rede 8 - 22. Juni 2009 - Horst Köhler

Eigentlich ist es unüblich, dass ich einen solchen Anlass wie heute mit einer Geschichte von

mir beginne, aber: Als ich Ihre Lebensläufe las, hat mich berührt, dass sich viele von Ihnen

auch in einem Eine-Welt-Laden engagieren. Das ist für mich wie ein Stück Heimat, denn mit

einem solchen Laden verbinden meine Frau und ich eigene Erfahrungen. Vor langen Jahren

haben wir gemeinsam mit Freunden einen Dritte-Welt-Laden - wie das damals noch hieß - im

schwäbischen Herrenberg gegründet. Wir wollten einfach etwas gegen die Armut in der Welt

tun und sie nicht als eine unveränderliche Tatsache akzeptieren. Auch Sie treibt dieses

Anliegen um. Das finde ich gut! Dass wir dabei heute bewusst von Eine-Welt-Läden

sprechen, zeigt, dass sich seit damals doch Einiges verändert hat. Wir haben lernen müssen,

dass wir die drängenden Probleme unserer Zeit nur gemeinsam lösen können. Dabei sehen

wir die Menschen in den Entwicklungsländern als Partner - nicht mehr nur als

Hilfeempfänger. Partner, die auf die Globale Ökologische Frage und auf die Globale Soziale

Frage gemeinsame Antworten finden müssen.

Sie haben Ihre persönliche Antwort darauf schon gefunden. Und ich freue mich, Sie heute

dafür auszeichnen zu können. Die Bandbreite Ihrer Aktivitäten hat mich beeindruckt. Sie

setzen sich für mehr Gerechtigkeit im Welthandel ein. Sie fördern den Bau von Schulen und

kümmern sich darum, dass junge Menschen eine Berufsausbildung erhalten. Sie richten dabei

ein besonderes Augenmerk auf benachteiligte Kinder und AIDS-Waisen. Sie engagieren sich

für die Verbesserung des Gesundheitssystems, bauen Kliniken und Krankenstationen und

bilden Fachpersonal aus. Sie verwenden Ihren Jahresurlaub, um kostenlos Kranke zu

behandeln. Damit helfen Sie bei der Verbesserung der Lebensbedingungen armer Menschen

insgesamt. Und all dies in enger Zusammenarbeit mit Ihren einheimischen Partnern.

Sie tun jedoch nicht nur viel. Sie packen Grundlegendes an! Mit Ihren Projekten tragen Sie

konkret dazu bei, dass Menschen Zugang zu Bildung, Gesundheitsdiensten und sauberem

Wasser erhalten.

Dabei sehe ich staatliche Programme und Ihre privaten Initiativen als sich gegenseitig

ergänzende Bausteine auf dem Weg zu einer guten Entwicklung. Bürgerschaftliches

Engagement kann und darf die staatliche Zusammenarbeit und Verantwortung nicht ersetzen.

Aber fest steht: Initiativen der Zivilgesellschaft werden immer wichtiger. Sie erfüllen

Begriffe wie Partnerschaft und Völkerverständigung mit Leben. Und sie bauen Brücken:

zwischen Städten und Gemeinden, zwischen Schulen, zwischen Menschen.

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Dabei, liebe Gäste, erzeugen Sie einen entscheidenden Mehrwert. Denn Sie leisten nicht nur

wertvolle Arbeit vor Ort, in den Partnerländern. Sie geben Ihre Erfahrungen auch an die

Menschen hier in Deutschland weiter. Dadurch schaffen Sie Verständnis für die

Zusammenhänge in unserer Einen Welt. Und Sie zeigen, dass jeder Einzelne eben doch etwas

ändern kann. Überzeugungskraft entsteht aus praktischem Handeln. Oder wie Albert

Schweizer es einmal ausgedrückt hat: "Mit gutem Beispiel voranzugehen ist nicht nur der

beste Weg, andere zu beeinflussen - es ist der einzige".

Diese Ordensverleihung steht unter dem Motto: "Miteinander in Einer Welt". Ich freue mich

besonders, dass auch die Botschafter einiger Länder, in denen sich unsere Ordensträger

engagieren, gekommen sind. Mit ihrer Anwesenheit machen sie deutlich, wie wichtig ihnen

dieses bürgerschaftliche Engagement ist. Ich möchte Sie alle ermutigen, die Gelegenheit der

Begegnung zu nutzen. Die heutige Veranstaltung bietet die schöne Gelegenheit, miteinander

ins Gespräch zu kommen. Das ist gut, denn wie häufig hat der sprichwörtliche "kurze Draht"

schon geholfen, wenn es darum ging, praktische Probleme, etwa bei der Einfuhr von

Hilfsgütern, zu überwinden.

Allein bei VENRO, dem entwicklungspolitischen Dachverband deutscher

Nichtregierungsorganisationen, sind etwa 2.000 lokale Initiativen und Vereine organisiert, die

sich für die Eine Welt einsetzen. Die Deutschen spenden jährlich mehrere Milliarden Euro für

gemeinnützige Zwecke, das meiste davon für humanitäre Projekte. Diese Zahlen

dokumentieren, wie groß die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland

ist. Wie viel das Engagement des Einzelnen wirklich wert ist, lässt sich aber nicht in Zahlen

erfassen. Denn es geht hier um Menschen, die durch ihre Arbeit in Afrika, in Lateinamerika

und in Asien ein Zeichen der Solidarität, der Verbundenheit und der Mitmenschlichkeit

setzen.

Und dieses Handeln ist heute umso wertvoller, als in den Zeiten der Wirtschafts- und

Finanzkrise die Beschäftigung mit den eigenen Problemen oft in den Vordergrund rückt.

Dabei muss uns gerade die gegenwärtige Krise klar machen, dass wir als Menschen in der

Einen Welt aufeinander angewiesen sind. Wohlstand und Frieden kann es auch in den

Industrieländern dauerhaft nur geben, wenn mehr Gerechtigkeit in die Welt kommt. Dass

unsere heutigen Ehrengäste dies längst erkannt haben, stellen sie mit ihrer Arbeit tagtäglich

unter Beweis - viele von Ihnen seit Jahrzehnten.

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Es ist mir eine Ehre, dass ich Sie heute auch stellvertretend für viele andere, die in Ihren

Projekten mitarbeiten, mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen

kann. Dabei möchte ich Sie ermutigen: Tragen Sie Ihren Orden, damit Sie auch andere

anstiften, Ihrem Beispiel zu folgen. Denn Vorbilder sind umso wirksamer, je sichtbarer sie

sind.

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Rede 9 - 27. Juni 2009 - Horst Köhler

"Die ungarische Solidarität und Hilfe bleibt uns Deutschen unvergesslich". Mit diesen

Worten hat Bundeskanzler Helmut Kohl im Dezember 1989 in Budapest dem ungarischen

Volk für die mutige Entscheidung gedankt, die ungarische Westgrenze für Deutsche aus der

DDR zu öffnen.

Ich will diesen Dank heute hier im ungarischen Parlament erneuern und bekräftigen. Ich

danke im Namen aller Deutschen dem ungarischen Volk für das Signal von 1989, für seinen

Mut und seine Solidarität mit den ostdeutschen Flüchtlingen. Und ich danke besonders den

Politikern, die damals in Ungarn dieses Signal so klug vorbereitet und verwirklicht haben.

Den Eisernen Vorhang auch nur einen Spalt weit zu öffnen: das schien unmöglich. Mehr als

vierzig Jahre lang hatte er Europa, Deutschland und Berlin geteilt, hatte er Familien getrennt

und die Menschen daran gehindert, zueinander zu kommen. Immer wieder hatten die Völker

gegen diese Unterdrückung aufbegehrt - 1953 in Ost-Berlin, 1956 in Budapest und Posen und

1968 in Prag. Immer wieder hatten Panzer den Freiheitswillen niedergewalzt, waren

Menschen ermordet, eingekerkert oder ins Exil getrieben worden. Aber der Geist der Freiheit

blieb ungebrochen. Es ist der Geist Europas.

Darum bahnte sich das Streben nach Freiheit neue Wege und fand neuen Ausdruck - in der

tschechischen Charta 77 zum Beispiel, die auch in Ungarn und der DDR ungezählte

Verfechter hatte, und im jahrelangen Kampf der polnischen Solidarnosc, der überall in der

Welt mit Hoffnung und Respekt verfolgt wurde. Michael Gorbatschow und seine Regierung

respektierten den Wunsch der Völker nach Freiheit, Selbstbestimmung und friedlichem

Miteinander.

Mit Mut und Klugheit haben die Ungarn in ihrem Vaterland sachte die Bastionen des alten

Denkens ausgehöhlt. Die Partei-Nomenklatura wurde entmachtet, und Schritt für Schritt

wurde erprobt, wie weit die sowjetische Führung den Wandel dulden und damit ermutigen

würde. Es war die Krönung dieser Leistung, als am 27. Juni 1989 der ungarische

Außenminister Gyula Horn gemeinsam mit seinem österreichischen Amtskollegen Alois

Mock den Stacheldrahtzaun an der ungarisch-österreichischen Grenze durchtrennte.

Die Verantwortung für die mutige Grenzöffnung hat damals der ungarische Premierminister

Miklos Nemeth übernommen. Er hat sich damit als großer Ungar und als großer Europäer

erwiesen.

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Die Ungarn sind dann auf dem Weg zur Freiheit weiter vorangegangen: Schon am 23.

Oktober 1989 - dem Jahrestag des Ungarischen Volksaufstandes von 1956 - riefen sie die

neue ungarische Republik aus und setzten eine neue, demokratische Verfassung in Kraft.

Das machte auch den Menschen Mut, die zu dieser Zeit in der DDR um Freiheit kämpften.

Und die friedliche Revolution vollendete sich in der deutschen Einheit. Wir Deutsche haben

unsere Wiedervereinigung stets auch als Teil der Einigung Europas verstanden. Darum war

es für uns auch eine Selbstverständlichkeit, die deutsche Vereinigung zu verbinden mit dem

Streben nach einer Vertiefung und Erweiterung der europäischen Integration. Wir haben uns

dafür eingesetzt, Ungarn und die anderen mittel- und osteuropäischen Staaten in die

Europäische Union aufzunehmen. Wir haben unseren Partnern und Freunden die Daumen

gedrückt, als sie die Beitrittsbedingungen erfüllten, und wir haben ihnen dabei geholfen,

soweit das möglich war. Und wir haben Ihren Beitritt mitgefeiert, weil wir überzeugt sind:

Jetzt findet Europa wieder ganz zu sich, auch wenn noch viel Arbeit vor uns liegt - in den

Mitgliedstaaten und in der Union.

Bei dieser Arbeit hat uns alle die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise zurückgeworfen.

Sie hat schmerzhaft aufgedeckt, was es in den Mitgliedstaaten und im europäischen

Integrationsprozess an falscher Bequemlichkeit, an Unterlassungssünden und Fehlern gab

und gibt. Die Krise hat aber auch schon erwiesen, wie wertvoll abgestimmtes Handeln ist,

zum Beispiel bei den einzelstaatlichen Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur, und wie

unverzichtbar gemeinsames Handeln ist, zum Beispiel bei der Verbesserung der Aufsicht

über die Finanzmärkte und das Bankenwesen.

Die Krise testet unsere Kraft, unseren Willen zur Eigenanstrengung und unseren

Gemeinschaftsgeist. Sie stellt uns alle vor Aufgaben, die keiner uns abnimmt. Aber ich bin

überzeugt: Wir können und werden die Probe bestehen und dadurch Europa stärker

zusammenbringen.

Dabei sollten wir uns zuerst einmal vor Augen führen, was wir an der Europäischen Union

haben. Sie ist ein Raum der Freiheit und des Rechts, in dem sich die Ideen und der Fleiß von

500 Millionen Menschen friedlich entfalten können. Die Union ist gebaut auf Mündigkeit

statt Bevormundung, auf Selbstverantwortung statt Gängelei und auf Solidarität statt

nationalem Egoismus. Sie zieht Stärke aus der Vielfalt der europäischen Vaterländer und aus

den Lehren, die wir aus der Geschichte gezogen haben, die unsere Völker verbinden und die

das Wohl aller voranbringen. Wir können stolz sein auf das europäische Modell, das

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Leistungsfähigkeit mit sozialem Ausgleich verbindet. Wir sollten es selbstbewusst einbringen

in die Gestaltung einer kooperativen Weltpolitik, die unser Planet so dringend braucht.

Sind wir uns der Vorzüge Europas ausreichend bewusst? Pflegen und stärken wir sie genug,

zum Beispiel durch mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger und durch

entschlossenes gemeinschaftliches Handeln? Widerstehen wir der Versuchung, Europa als

Sündenbock zu missbrauchen für Probleme, die wir eigentlich selber in den Griff bekommen

müssten? Und sorgen wir umgekehrt energisch genug dafür, dass sich die Union auf

diejenigen Aufgaben konzentriert, die wirklich einen gemeinschaftlichen Mehrwert

versprechen?

Die jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament haben jedenfalls gezeigt: Die Europäische

Union bewegt ihre Bürgerinnen und Bürger noch längst nicht genug. Die europäische

politische Öffentlichkeit steckt noch in den Kinderschuhen. Die einzelstaatlichen und die

gemeinschaftlichen Politiken und Anstrengungen greifen noch nicht anschaulich und

wirksam genug ineinander.

Viele Baustellen also, viel Raum für Verbesserungen. Nehmen wir die Aufgabe an, in

unseren Heimatstaaten und auf europäischer Ebene. Das liegt im Interesse unserer Kinder

und Enkel, unserer Völker und ganz Europas. Es dient zugleich dem guten Miteinander in

unserer Einen Welt. Nehmen wir die Aufgabe an!

Ich gehe noch weiter: Wir sind diese Anstrengung und diese Bewährung schuldig. Wir

schulden sie uns selbst als Patrioten und Bürger der Europäischen Union; wir schulden sie der

Ehre der Gegner und Opfer der Unterdrückung; und wir schulden sie der großen

Freiheitsbewegung, die vor 20 Jahren Europa den Weg ins Offene gebahnt und uns allen

einen neuen, gemeinsamen Horizont erschlossen hat. Die erste Bresche auf diesem Weg

haben die Ungarn erreicht. Blicken wir heute dankbar zurück - und gehen wir morgen weiter

gemeinsam voran!

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Rede 10 - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler

60 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbund - ein stattliches Jubiläum und ein guter Grund,

zurückzublicken auf Erlebtes und Erstrebtes und vorauszuschauen auf die kommenden

Aufgaben der Gewerkschaften in Deutschland und weltweit. Ich gratuliere dem DGB, und ich

sage Ihnen aus Überzeugung: Sie, der DGB, die Gewerkschaften, werden gebraucht. Bleiben

Sie stark, bleiben Sie streitbar und kompromissbereit und auf das Gemeinwohl bedacht!

Herzlichen Glückwunsch also. Aber in Deutschland sind offiziell mehr als 3,3 Millionen

Menschen arbeitslos, und die noch immer virulente Krise auf den Finanz- und

Wirtschaftsmärkten hat unseren Arbeitsmarkt noch gar nicht voll erreicht. Sie werden darum

von mir auch heute keine bloße Festrede erwarten - zur Sache also:

Die internationale Finanzkrise hat gezeigt, was geschieht, wenn mächtige wirtschaftliche

Akteure den Blick fürs Ganze und den Blick über den Tag hinaus verlieren. Das wirft zwei

grundsätzliche Fragen auf:

Erstens: Dürfen sich die Völker der Welt eigentlich einfach darauf verlassen, dass die

Akteure auf den Märkten den nötigen Blick für das Gemeinwohl und für nachhaltiges

Wirtschaften haben? Antwort: Nein, das dürfen die Nationen nicht. Die Krise hat bewiesen:

Im Wirtschafts- und Finanzleben ist eine energische staatliche und zwischenstaatliche

Ordnungspolitik unentbehrlich. Die ordnungspolitischen Vordenker unserer Sozialen

Marktwirtschaft haben Recht behalten: Der Markt alleine richtet nicht alles zum Guten. Wir

brauchen wirtschaftspolitisch weltweit "einen starken Staat, einen Staat oberhalb der

Wirtschaft, oberhalb der Interessenten". Das hat Alexander Rüstow gesagt, einer der

Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft. Stark ist ein Staat, der dem Marktgeschehen klare

und wirksame Regeln und Grenzen setzt. Und stark ist gerade auch ein Sozialstaat, der keine

Versprechungen macht, die er nicht einlösen kann.

Die zweite Frage lautet: Lässt sich die Wirtschaft so gestalten, dass sie mehr verfolgt als

bloße Eigeninteressen, dass die an ihr Beteiligten immer auch das Gemeinwohl und die

Erfordernisse nachhaltigen Wirtschaftens im Blick behalten? Antwort: Ja, und dafür sind vor

allem drei Faktoren gut - soziale Teilhabe, ein kooperatives Klima in den Arbeitsbeziehungen

und eine Kultur der Mitbestimmung.

Soziale Teilhabe schaffen heißt: möglichst allen Menschen die Überzeugung, die Gewissheit

geben "Ich werde gebraucht. Meine Stimme zählt." Arbeit haben, mitarbeiten dürfen, das ist

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eine der wichtigsten Formen sozialer Teilhabe. Schon deshalb muss "Arbeit für alle" ein

vorrangiges politisches Ziel sein und bleiben. Für mich gehört zu diesem Ziel auch, dass wir

noch stärker als bisher Anreize setzen, Sorgearbeit für Angehörige, Nachbarn und Freunde

sowie Gemeinwohlarbeit ins eigene - länger gewordene - Leben zu integrieren.

Arbeit ist meist erst als Zusammenarbeit wirklich produktiv. Für solche Zusammenarbeit sind

Mitspracherechte der Arbeitnehmer und ein kooperatives Klima zwischen Arbeitgebern und

Arbeitnehmern eindeutig förderlich. Die Mitsprache der Arbeitnehmer hat in Deutschland

eine lange Tradition. Betriebliche Arbeitervertretungen gab es bei uns schon im neunzehnten

Jahrhundert, und 1905 schrieb sie erstmals der Gesetzgeber für einen Teil der Wirtschaft

zwingend vor. Schon damals zeigten die sogenannten Arbeiterausschüsse, zum Beispiel im

Maschinenbau: Je mehr die Arbeitnehmer an der Gestaltung der Produktion beteiligt wurden,

je mehr sie sich damit identifizieren konnten und je mehr sie ihren fairen Anteil am Erfolg

bekamen, desto weniger bedurfte es kostspieliger Kontrolle, desto weniger Ausschuss wurde

produziert und desto weniger riskant war es, teure Maschinen anzuschaffen, die auf

störungsfreie Bedienung angewiesen waren und ungestört von Arbeitskämpfen laufen

mussten, um sich bezahlt zu machen. Wenn das schon damals so war - um wie viel mehr

dann erst heute, in unserer komplexen und hoch vernetzten Wissensökonomie!?!

Die betriebliche Mitsprache der Arbeitnehmer und die Mitbestimmung sind also nicht eine

wohltätige Einrichtung oder gar ein Hemmschuh für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen

Wirtschaft. Sie sind im Gegenteil - das hat zuletzt die von Gerhard Schröder berufene und

von Kurt Biedenkopf geleitete Kommission überzeugend herausgearbeitet - ein Produktions-

und Innovationsfaktor ersten Ranges und einer der großen Vorteile der hiesigen

Wirtschaftskultur auch in der Zukunft! Dabei will ich nicht unerwähnt lassen, dass die Praxis

der Mitbestimmung in Einzelfällen auch zu Kungeleien geführt hat. Dagegen ist

Wachsamkeit geboten und nötigenfalls auch Reform. Insgesamt haben situationsgerechte

Tarifverträge und kluge Betriebsvereinbarungen aber maßgeblich zu Deutschlands

Wirtschaftsstärke und sozialer Leistungsfähigkeit beigetragen. Bis heute. Ich denke zum

Beispiel an die "Pforzheimer Vereinbarung" in der Metallindustrie und an den Tarifvertrag

zur demographischen Entwicklung in der Chemieindustrie. Das sind gute Beispiele für kluge,

innovative Tarifpolitik. Wir haben also allen Grund, ein gutes Miteinander von Arbeitgebern

und Arbeitnehmern als wichtige Voraussetzung zur Bewältigung auch der heutigen und

zukünftigen Herausforderungen zu verstehen und zu pflegen. Und ich denke: Auch eine echte

Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und an Kapitaleinkommen könnte

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diese Linie in der Zukunft noch komplettieren. Es läge auf dieser Linie und die soziale

Marktwirtschaft war immer ein offenes System für neue Ideen. In jedem Fall: Wir Deutsche

sollten erkennen, was wir an dem schon Erreichten haben, und wir sollten den Beitrag der

Gewerkschaften dazu erkennen und zu schätzen wissen.

60 Jahre DGB, das ist deshalb auch ein Anlass danke zu sagen: Danke für den Beitrag des

Deutschen Gewerkschaftsbundes und der in ihm verbundenen Gewerkschaften zur sozialen

Teilhabe, zur Vertrauensbildung in unserer Gesellschaft, zum Aufbau der Sozialen

Marktwirtschaft und auch zur Stärkung unserer Unternehmen.

Die Arbeit an einer besseren Weltfinanz- und Weltwirtschaftsordnung hat begonnen. Das ist

gut. Und der Einsatz unserer Bundeskanzlerin und unseres Bundesfinanzministers in dieser

Frage verdient Dank und Anerkennung - ja, und auch Beifall, meine Damen und Herren. Ich

kann aber selbst, ehrlich gesagt, aus den veröffentlichten Beschlüssen von Pittsburgh leider

noch nicht entnehmen, dass sich eine Krise dieser Dimension auf den Weltfinanzmärkten

nicht doch eines Tages wiederholen kann. Eine solche Krise aber mit hoher

Wahrscheinlichkeit auszuschließen muss doch der Maßstab sein, an dem wir den Erfolg der

internationalen Bemühungen messen. Wie sollte Politik sonst überhaupt Sinn machen? Wie

könnte die Politik den Menschen sonst guten Glaubens zum Beispiel Vorsorgesparen für das

Alter empfehlen?

Tatsächlich beobachten wir auf den internationalen Finanzmärkten schon wieder ein Déjà-vu

mit Hütchenspielern im Shadow-Banking, mit intransparenten Derivategeschäften und

Spekulation auf den Rohstoffmärkten - und alles davon in Größenordnungen, die weiterhin

völlig unvorstellbar sind. Ja, ich sehe "das Monster" noch nicht auf dem Weg der Zähmung.

Vor allem kann ich auch noch keine tiefer gehende Selbstreflexion der globalen

Finanzakteure erkennen, das heißt, ihr Nachdenken über die Krise im eigenen Haus, über die

Wertekrise im eigenen Denken und Handeln. Es kommt einem so vor, dass die Branche die

Politik im Regen stehen lässt. Und die Diskussion darüber, wer die Kosten der aktuellen

Krise eigentlich trägt, hat noch nicht einmal ernsthaft begonnen.

Ich warne jedenfalls davor, die Finanzmarktkrise zu stark nach dem "Prinzip Hoffnung" zu

handhaben - auch in der Form von Hoffnungen, Wachstum könne das Geschehene zudecken

und vergessen machen. Ich bin auch der Ansicht, dass die Aufarbeitung der Krise mehr

Europa verlangt, als es die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bisher

zulassen. Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Gelegenheit, das europäische Modell auch mit

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einer europäischen Stabilitätskultur weiter zu untermauern? Die Arbeit der Kommission der

Europäischen Union hat jedenfalls mehr Aufmerksamkeit und mehr Unterstützung verdient.

Und ich bin davon überzeugt: Eine grundlegende Reform der Weltfinanzordnung verlangt

auch die Beteiligung der Gewerkschaften. Mischen Sie sich ein und schließen Sie Ihre Reihen

auch über Ländergrenzen hinweg!

Wir stehen bekanntlich an der Schwelle zu einer neuen industriellen Revolution im Zeichen

von Ökologie und Nachhaltigkeit. Die Nationen ebnen heute die Pfade für ihr Wohlergehen

von morgen. Je klüger und schneller sie das tun, desto mehr werden sie von den neuen

Chancen profitieren. Dabei ist Zusammenarbeit nötig - keine Nation kann mehr auf Kosten

anderer ihr Glück machen, alle müssen auf das Gleichgewicht der Welt achten - und dabei ist

Anstrengung nötig, denn die Zukunft ist und bleibt aus Bildung, Ideen und Fleiß gemacht und

aus der Bereitschaft, lebenslang zu lernen, statt am gewohnten Trott festzuhalten und auch an

überkommenen Vorrechten und Vorstellungen.

Bange sein muss uns in Deutschland vor den Herausforderungen nicht, das zeigen unsere

bisherigen Leistungen. Aber die neue, die ökologische Soziale Marktwirtschaft wird

erarbeitet werden müssen, wie alles bisher erarbeitet werden musste, und auch diese

Transformation wird Gewinner und Verlierer haben - darum sind unser aller Achtsamkeit und

Solidarität gefordert.

Treiben wir also den Wandel voran, technologisch und auch in unseren Überzeugungen vom

guten Leben und vom richtigen Lebensstil. Der Wandel ist ökologisch nötig, er ist

wirtschaftlich chancenreich, und er bietet viele Möglichkeiten, in besserem Einklang mit der

Umwelt und in besserem Einvernehmen mit sich selbst und mit den anderen zu leben.

Umweltschutz zum Beispiel bedeutet ja längst nicht immer nur Auflagen, Kosten,

Einschränkungen. Gerade in Deutschland erleben wir doch, dass Umweltschutz Arbeitsplätze

schafft und den Himmel wieder blau, die Kinder wieder gesund und die Flüsse wieder sauber

macht. Wir exportieren unsere Umwelttechnik in alle Welt und genießen die

Wettbewerbsvorteile des Vorreiters, des Pionierunternehmers. Wir müssen uns selbst und

unseren Mitbürgern deutlich machen, dass solch ein Wandel, wenn wir ihn klug angehen,

nicht Einschränkung und Wohlstandsverlust bedeutet, sondern neue Arbeit und ein Mehr an

Lebensqualität. Dabei wünsche ich mir ganz wesentlich auch das Mitmachen der

Gewerkschaften: Seien auch Sie bitte Boten und Vermittler dieser Transformation. Es ist eine

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Transformation nicht nur im wirtschaftlichen, nicht nur im ökologischen, auch im

gesellschaftlichen, in unserem Lebensstil.

Wissenschaftler wie Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker rechnen uns vor, dass wir unsere

Ressourcenproduktivität um den Faktor 4 oder 5 verbessern können - ohne ökonomische

Verluste, aber mit enormen Verbesserungen für das Klima und damit die Lebensqualität auf

diesem Planeten. Was wir tun müssten? Möglichst viel vom Gewohnten neu und besser

erfinden - von der Revolutionierung der Material- und Energiewirtschaft bis zu ganz neuen

Mobilitätskonzepten für Stadt und Land.

Gewerkschaften können und sollten sich an vielen Stellen dafür einsetzen, dass wir nicht

weiter Ressourcen verschwenden. Das kommt allen zugute. Es muss aber erklärt werden,

denn es bedeutet natürlich Veränderung und Verzicht auf Gewohntes, es bedeutet

Umstellung, und das macht oft vielen Menschen Angst. Wir müssen daran arbeiten, unnötige

Ängste und Vorbehalte abzubauen und Zuversicht zu stiften. Ich bitte die Gewerkschaften:

Machen Sie mit dabei.

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Es ist Zeit darüber nachzudenken, ob ein

schlichtes "immer mehr"-Denken die Zukunft gewinnen kann. Unser Blick verengt sich leicht

auf das Wachstum dessen, was man kaufen kann. Aber Lebensqualität ist mehr als Konsum. -

Und ich sage das, ohne zu übersehen, dass viele Menschen sich gern mehr Konsum leisten

würden, aber Lebensqualität ist eben mehr als Konsum. - Lassen Sie uns deshalb den Blick

weiten: Es gibt gute Gründe, auch andere Indikatoren für das Wohlbefinden der Bürger und

die Weiterentwicklung der Gesellschaft anzuschauen.

Die Diskussion ist ja nicht neu: Das Sozialprodukt ist ein ziemlich ungenauer Indikator für

das Wohlergehen einer Gesellschaft. Trotzdem richten sich auf seine Wachstumsrate in der

Öffentlichkeit immer noch alle Blicke. Dabei sind wir eigentlich schon weiter: Seit 1990 gibt

es den Human Development Index der Vereinten Nationen, der neben der

Einkommensentwicklung auch misst, wie es um Gesundheit und Bildung bestellt ist. Und die

OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat ein

umfangreiches Projekt ins Leben gerufen, das sich damit beschäftigt, wie der Fortschritt von

Gesellschaften besser eingeschätzt werden kann als durch das statistische

Bruttoinlandsprodukt. Auch die EU-Kommission will künftig Fortschritt jenseits des BIP

messen. Ich finde, das sind interessante Ansätze, die unsere - auch Ihre - Aufmerksamkeit

verdienen. Dabei geht es mir nicht darum, dass wir die alles umfassende Maßzahl für

Fortschritt entwickeln. Denn die gibt es nicht. Mir geht es auch nicht darum, den Eindruck zu

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erwecken, wir könnten nicht noch mehr Wachstum erreichen. Es geht mir darum, dass wir

anderen Entwicklungen in unseren Gesellschaften - "Jenseits von Angebot und Nachfrage"

(Wilhelm Röpke) - mehr Aufmerksamkeit widmen; dass wir genauer hinschauen. Die OECD

weist mit Recht darauf hin, dass es bei der Suche nach den Maßeinheiten für Lebensqualität

auch um politische Kontrolle geht: Wir müssen besser beschreiben und messen lernen, was

eine gute Gesellschaft ausmacht, damit die Wähler Politiker und die Ergebnisse ihrer Politik

genauer beurteilen können. Der Mensch ist nicht allein Konsument oder Produzent - so

wichtig das auch ist. Er ist auch Bürgerin oder Bürger, Nachbar, Mutter, Vater oder Kind. Er

hat Wünsche und Träume und er trägt Verantwortung - für seine Mitmenschen, die

Schöpfung und auch für künftige Generationen. Haben wir das schon ausreichend im Blick?

Haben wir die richtigen Maßstäbe dafür? Geben wir der Diskussion um die richtigen

Maßstäbe genügend Zeit?

Ich denke: Wer sich die Frage stellt: "Was bringt mir ein Mehr an Lebensqualität?", der blickt

wirklich nach vorn. Der fragt aus eigenem Antrieb: Wie können wir dem Klimawandel

begegnen? Wie gehen wir mit dem demographischen Wandel um? Wie machen wir die

Städte weltweit menschenfreundlich? Wie bekämpfen wir Krankheit und Armut? Wer solche

Fragen stellt, der wird gute Wirtschafts- und Sozialpolitik eben nicht vorwiegend an der

Wachstumsrate des BIP festmachen. Der wird die Fragen nach dem Wohlergehen der

Menschen stellen. Und darum sollte es uns am Ende vor allem gehen.

Vor 60 Jahren gab Hans Böckler seiner Grundsatzrede beim Gründungskongress des DGB

die Überschrift: "Die Aufgaben der deutschen Gewerkschaften in Wirtschaft, Staat und

Gesellschaft". Ich finde, dieser Titel passt heute nicht minder. Die Gewerkschaften tragen für

alle drei Bereiche Mitverantwortung, sie sollten auch Mitgestalter sein. Das lässt bloße

Klientelpolitik nicht zu. Sie wäre auch unklug, denn sie fordert Misstrauen und Widerstände

heraus. Wer dagegen deutlich macht, dass er um die Situation der anderen weiß und ihre

Interessen mit im Blick hat, wird ernst genommen und kommt weiter. Wirtschaft und

Gewerkschaften sitzen in einem Boot. Das klingt ein wenig nach Zwangsgemeinschaft, in

Wahrheit ist es das Zukunftskonzept einer Lern- und Arbeits- und Gewinngemeinschaft. Gute

Unternehmensführer wissen: Dauerhafter Erfolg lässt sich nur mit motivierten Mitarbeitern

erreichen, und Motivation setzt mehr denn je angemessene Mitsprache voraus.

Die Gewerkschaften und der DGB sind in den vergangenen Jahrzehnten den Weg des

Einsatzes für alle gegangen, den Hans Böckler - nicht zuletzt mit seiner Grundsatzrede vor 60

Jahren - gewiesen hat: mit ihrem Engagement für die politische Bildung zum Beispiel, mit

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der gewerkschaftlichen Unterstützung der Europäischen Union und mit ihrem Einsatz für den

Umweltschutz. Dass die Gewerkschaften Wandel mitgestaltet haben, das kann man auch

regelrecht sehen - im Ruhrgebiet zum Beispiel. Dort habe ich in der vergangenen Woche den

Botschaftern aus aller Welt gezeigt, wie Deutschlands Industrie sich in den letzten

Jahrzehnten verändert hat. Und ich habe ihnen gesagt: Diesen beeindruckenden

Strukturwandel haben wir auch deshalb so gut bewältigt, weil es bei uns insgesamt eine

vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften gibt, die sich

auch in Zeiten der Krise und des Umbruchs bewährt hat.

Die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerade auch in schwierigen Zeiten

zu vertreten, den Belegschaften zur Seite zu stehen, das ist das Kerngeschäft der

Gewerkschaften. Zur Interessenvertretung gehört dabei auch, der eigenen Mitgliederschaft

gelegentlich unbequeme Wahrheiten zu sagen, zum Beispiel, dass es ohne lebenslanges

Lernen in der heutigen Arbeitswelt einfach nicht mehr geht, dass Neugier und permanente

Wandlungs- und Innovationsfähigkeit überlebensnotwendig sind, weil Wirtschaften, das

Erhalten und Schaffen von Arbeitsplätzen, - wie alles Leben - Veränderung bedeutet, wenn

wir nicht alle in einem Industriemuseum enden wollen; und das wollen wir nicht; und das

müssen wir auch nicht. Und zur Interessenvertretung gehört über den Einzelfall oder den

einzelnen Betrieb hinaus eben auch, gesellschaftliche Entwicklungen mit zu beeinflussen.

Eine funktionierende Sozialpartnerschaft bleibt ein Standortvorteil Deutschlands, gerade in

Zeiten des Umbruchs. Suchen Sie den Dialog und bringen Sie in den Wandel Ihren

Sachverstand ein. Wir brauchen ihn. Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Für die Bewältigung

der großen Zukunftsaufgaben brauchen wir auch weiterhin starke Gewerkschaften und

Gewerkschaftsführer, die den Blick fürs Ganze haben.

Wir haben eine Zeit der Vereinzelung erlebt. Das haben auch die Gewerkschaften zu spüren

bekommen. Ich glaube, die Zeiten ändern sich. Menschen entdecken, dass zum Wohlergehen

immer auch die anderen gehören. Menschen sind soziale Wesen, und Gewerkschaften sind

Orte der Solidarität. Das macht die Gewerkschaften attraktiv - besonders, wenn deutlich wird,

dass diese Solidarität auch das Gemeinwohl fördert. Denn dann sind sie glaubwürdig und

bleiben durchsetzungsstark.

Nutzen Sie Ihre Stärke zum Wohle Aller. Seien Sie Anwälte derer, die etwas leisten wollen,

und derer, die den Wandel voranbringen. Ich danke Ihnen.

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Rede 11 - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler

Der Stiftertag - und damit verbunden der Dank an die Stifter und die Freude über die neu

gegründeten Stiftungen - fällt traditionell in den Herbst. Das ist von jeher eine stürmische

Jahreszeit, aber in diesem Jahr haben wir auch wirtschaftlich raue Zeiten erlebt.

Die Finanzkrise trifft auch die Stiftungen: durch den Verlust von Stiftungskapital und durch

gesunkene Kapitalerträge. Ich weiß, einige Stiftungen konnten die Verluste durch

"Kapitalspritzen" ihrer Gründer auffangen. Einige konnten die bisherigen Einbußen durch die

Rücklagen vergangener Jahre ausgleichen. Aber viele werden laufende Programme vielleicht

kritischer beurteilen und sich bei neuen Projekten möglicherweise Zurückhaltung auferlegen

müssen. Ich hoffe sehr, dass wir die Krise rasch überwinden und dass sich die Stiftungen

schnell von Rückschlägen erholen. Denn Stiftungen stärken die Bürgergesellschaft auf

doppelte Weise. Sie sind zum einen unmittelbarer Ausdruck bürgerschaftlichen Handelns.

Und sie unterstützen zum anderen das Engagement vieler Menschen, die den Willen und die

Kraft zum Handeln haben, denen es aber ohne die Stiftungen an den notwendigen

finanziellen Mitteln fehlen würde. Darum ist ihr Beitrag so wertvoll und so wichtig. Er

veranschaulicht, dass die im Grundgesetz verlangte Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums

in unserer Gesellschaft lebt. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihr Engagement und für Ihre

Arbeit.

Im vergangenen Jahr wurden - trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten - erneut über 1.000

Stiftungen gegründet, rund 30 davon unter dem Dach des Deutschen Stiftungszentrums. Das

ist eine ermutigende Zahl.

Die Stiftungslandschaft in Deutschland wird immer vielfältiger und reichhaltiger. Das betrifft

sowohl die Handlungsfelder als auch die finanziellen Spielräume der Stiftungen. So

ermöglicht beispielsweise eine im vergangenen Jahr gegründete, großzügig ausgestattete

Stiftung eines Unternehmerehepaars den Aufbau eines Instituts zur Erforschung der

Vaskulären Demenz. Andere Stiftungen sind vergleichsweise klein, aber ich bin überzeugt:

jede Stiftung - ob groß oder klein - bringt die unterstützten Menschen und Projekte einen

Schritt weiter. Und manche Stiftung, die klein angefangen hat, ist im Laufe der Zeit durch

Zustiftungen und Spenden zu stattlicher Größe gewachsen. Darum gilt mein Dank auch den

Zustiftern und Spendern.

In einer wachsenden, sich verzweigenden Stiftungslandschaft erscheint mir die

Zusammenarbeit der Stiftungen wichtiger denn je. Sie fördert die Schlagkraft der Stiftungen

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und ihre Sichtbarkeit - sowohl in der Öffentlichkeit als auch für jene, die daran interessiert

sein könnten, mit einer Stiftung ins Gespräch zu kommen.

Ein Beispiel für die gelungene Kooperation größerer Stiftungen ist die Initiative "Lernen vor

Ort", in der sich Partner zusammengetan haben, um den Aufbau lokaler Bildungslandschaften

zu unterstützen, und um - "vor Ort" beginnend - unser ganzes Land zum Besseren zu

verändern. Solche Veränderung ist möglich, und sie ist nötig.

Meine Damen und Herren, durch die Gründung einer Stiftung haben Sie alle mit einem Teil

Ihres Vermögens eine Kraftquelle geschaffen, die helfen kann, unser Land voranzubringen.

Deshalb noch einmal herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg. Mit meinen Möglichkeiten

möchte ich weiterhin dazu beitragen, dass Ihr Engagement gesehen wird, dass es anerkannt

wird und dass es auch weitere Unterstützung bekommt.

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Rede 12 - 27. Oktober 2009 - Horst Köhler

Heute Morgen hat sich der neue Deutsche Bundestag konstituiert. Damit endet die Amtszeit

der Bundesregierung - auch wenn sie bis zur Ernennung eines neuen Bundeskanzlers oder

einer neuen Bundeskanzlerin die Regierungsgeschäfte weiterführen wird. Zeit, Abschied zu

nehmen!

In den vergangenen vier Jahren wurde Deutschland zum zweiten Mal in der Geschichte der

Bundesrepublik von einer Großen Koalition geführt. Der Koalitionsvertrag aus dem Jahre

2005 trug den Titel: "Gemeinsam für Deutschland - Mit Mut und Menschlichkeit". Viel von

dem, was damals auf mehr als 200 Seiten an gemeinsamen Vorhaben und Projekten geplant

war, haben Sie in den vergangenen vier Jahren verwirklichen können.

Als Ihre Regierungskoalition gebildet wurde, gab es nicht wenige, die ihr ein schnelles Ende

prophezeit haben. Sie alle gemeinsam haben das Gegenteil bewiesen. Der Chef des

Bundespräsidialamtes hat mir von der stets professionellen, kollegialen und oft auch

freundschaftlichen Zusammenarbeit im Kabinett berichtet.

Sie haben gezeigt, dass trotz häufig unterschiedlicher politischer Vorstellungen mit Vernunft

und Kompromissbereitschaft erfolgreiches Regieren möglich ist. Sie haben damit zugleich

das Vorurteil widerlegt, in der Politik gehe es vor allem um Macht, Eitelkeit und persönliche

Profilierung. Ihre Koalition stand dafür, dass im Mittelpunkt aller Politik immer das Wohl

und die Lebensqualität der Menschen stehen. Das war besonders wichtig in der schweren

Wirtschafts- und Finanzkrise, die in ihren Auswirkungen noch längst nicht durchgestanden

ist.

Mit Ihrem entschlossenen Handeln zur Rettung des Finanzsystems und zur Stützung von

Konjunktur und Beschäftigung haben Sie Schaden von unserem Land abgewendet. Sie haben

mit Ihrer ganzen Kraft unserem Land gedient.

Für Ihre Arbeit und die dem deutschen Volke damit geleisteten treuen Dienste spreche ich

Ihnen Dank und Anerkennung aus. Jedem von Ihnen wünsche ich alles Gute für Ihren

weiteren Weg und persönliches Wohlergehen.

Ich überreiche Ihnen nun Ihre Entlassungsurkunden.

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Rede 13 - 9. November 2009 - Horst Köhler

Die Mauer war ein Bauwerk der Furcht. Am 9. November vor 20 Jahren wurde sie zu einem

Ort der Freude. 28 Jahre lang durften sich die Ostdeutschen ihr nicht einmal nähern. Am 9.

November 1989 tanzten die Menschen auf ihr. Und die Welt sah anders aus danach.

Meine Frau und ich, wir sind glücklich, die Erinnerung an diesen Tag mit Ihnen gemeinsam

begehen zu können. Damals waren wir beide noch Westdeutsche, und wir staunten über den

Tanz auf der Mauer. In ganz Deutschland fielen sich die Menschen in die Arme und sie

dachten an die Vielen in der DDR, die mit Mut und Beharrlichkeit und ohne Gewalt eine

friedliche Revolution in Deutschland möglich gemacht haben.

Diejenigen, die sich nicht mehr einschüchtern ließen und in den Wochen und Monaten vor

dem 9. November zu Tausenden und Abertausenden in Leipzig, Berlin, Dresden und

anderswo für ihre Rechte auf die Straße gingen, haben ihre Freiheit und die Einheit unseres

Landes errungen. Sie riefen: "Wir sind das Volk", und sie entwaffneten ein Regime, das

längst nicht mehr vom Willen der Regierten getragen war.

Im Nachhinein können wir viele Gründe für die friedliche Revolution benennen. Aber sie

bleibt auch ein Wunder, und alles hätte anders kommen können, wenn nicht eine mutige

Bürgerrechtsbewegung, kluge Staatsmänner wie George Bush, Michail Gorbatschow und

Helmut Kohl, aber wohl auch eine glückliche Fügung den Weg geebnet hätten.

Helmut Kohl kann heute leider nicht hier sein. Er bat mich aber, Ihnen herzliche Grüße zu

übermitteln.

Viele haben dazu beigetragen, dass die Mauer fallen konnte: Die Gewerkschaft Solidarität in

Polen, die mutige Regierung in Ungarn, die unerschrockene Freiheitsliebe der Völker in

Mittel- und Osteuropa, die Bereitschaft der Demokratien des Westens, ihre Werte zu

behaupten, die Einsicht der sowjetischen Führung in die Notwendigkeit des Wandels.

Dass die Mauer fiel, war das Zeichen für eine Epochenwende. Eine Epochenwende zu

Freiheit und Demokratie. Der Wandel, der folgte, hat das Gesicht unseres Kontinents und das

Leben von Millionen von Europäern grundlegend verändert. Die Europäische Union und die

NATO haben sich nach Osten und Südosten erweitert. Zwischen Ländern, die vor 20 Jahren

noch auf verschiedenen Seiten des Eisernen Vorhangs lagen, gibt es heute praktisch keine

Grenzkontrollen mehr. Im Euroraum benutzen wir eine gemeinsame Währung. Die EU und

Russland verbinden vielfältige Beziehungen, ein neues grundlegendes Abkommen wird

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gerade verhandelt. Mit ihren Nachbarn im Osten und im Süden hat die EU enge

Partnerschaften geknüpft.

Ich glaube, das Glück der europäischen Vereinigung, der gewonnenen Sicherheit und des

gemeinsam erreichten Wohlstands birgt auch eine Verpflichtung für uns Europäer zur

Verantwortung in der Welt. Die Europäische Union als einzigartiger Staatenverbund mit 500

Millionen Einwohnern und einer enormen Wirtschaftskraft hat allen Grund, sich mit

Selbstbewusstsein in die Gestaltung einer besseren Welt einzubringen.

Denn nicht alle Hoffnungen der euphorischen Zeit nach 1989 haben sich erfüllt. Das Ende

des Kalten Krieges hat keineswegs alle Probleme gelöst, denen sich die Welt gegenübersieht.

Vielmehr hat sich gezeigt, dass der Ost-West-Konflikt grundlegende Probleme wie Armut,

Hunger und Unterentwicklung in unserer Aufmerksamkeit nur in den Hintergrund gedrängt

hatte.

In der in Chancen und Problemen vernetzten Welt von heute lassen sich die

Menschheitsaufgaben nicht mehr unter den Teppich kehren. Der Kampf gegen die Armut und

der Kampf gegen den Klimawandel, das ist ein gemeinsamer Kampf für Frieden und für eine

lebenswerte Welt. Und die internationale Finanzkrise fordert uns auf, Geld und Kapital

wieder in eine dienende Rolle für die Menschen zu bringen. Machen wir uns klar: Der Fall

der Mauer hat uns frei gemacht, gemeinsam eine neue Politik zu wagen. Heute stehen nicht

mehr das Gegeneinander von Gesellschaftssystemen im Vordergrund, sondern die Chancen

einer kooperativen Weltpolitik zum Nutzen aller.

Auch das Vertrauen unserer Freunde und Partner hat uns Deutschen die Wiedervereinigung

in Freiheit gebracht. Im Namen aller Deutschen sage ich Ihnen: Danke, diese Nation wird das

nicht vergessen.

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Rede 14 - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Frau und ich heißen Sie in Deutschland herzlich

willkommen! Wir freuen uns, dass Sie uns heute besuchen! Dies gibt mir die schöne

Gelegenheit, die liebenswürdige Gastfreundschaft zu erwidern, die Sie uns bei unserem

Besuch in Ihrem Land vor nunmehr fast drei Jahren erwiesen haben.

Neben den vielen guten Gesprächen, die wir geführt haben, war ein Höhepunkt dieser Reise

für mich die Fahrt auf dem Amazonas. An das grandiose Schauspiel, wenn der schwarze auf

den weißen Amazonas trifft und beide in einen breiten Strom münden, erinnere ich mich

gerne. Die atemberaubende Schönheit und Einzigartigkeit der brasilianischen Natur haben

meine Frau und mich tief beeindruckt. Und wir haben gespürt: Auch die Weltgemeinschaft

trägt Verantwortung dafür, dieses einmalige Ökosystem der Schöpfung zu schützen.

Brasilien und Deutschland verbindet eine über die Jahrhunderte reichende tiefe und enge

Freundschaft. Unsere bilateralen Beziehungen sind intensiv und vielfältig. Schon früh zog es

Deutsche nach Südamerika, etwa 300.000 haben sich seit der Staatsgründung Brasiliens 1822

dort niedergelassen.

2010 werden wir auf 40 Jahre wissenschaftliche Zusammenarbeit zurückblicken können - ein

sehr guter Grund für ein deutsch-brasilianisches Wissenschaftsjahr! Unsere Forscher und

Wissenschaftler schauen dabei nach vorne, in die Zukunft, und widmen sich gemeinsam den

großen Themen Klima und Energie. Unsere Hochschulen kooperieren eng miteinander, und

mit 10.000 - überwiegend brasilianischen - Schülern ist das Colegio Vizconde de Porto

Seguro in Sao Paulo die größte deutsche Begegnungsschule weltweit. Damit steht unsere

künftige Zusammenarbeit auf einem festen Fundament.

Im Wirtschaftsbereich ist Brasilien unser wichtigster Partner in Südamerika. Auf die

Beschäftigungszahl bezogen kann man den Großraum Sao Paulo als "größte deutsche

Industriestadt außerhalb Deutschlands" bezeichnen. Auch in Brasilien ist VW mittlerweile

ein Volkswagen geworden. Fast 1.300 deutsche Unternehmen in Brasilien geben 250.000

Menschen Arbeit. Und die deutsch-brasilianische Außenhandelskammer engagiert sich in

vorbildlicher Weise für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch

Unternehmen. In unserer globalisierten Welt gewinnt "Corporate Social Responsibility"

immer mehr an Bedeutung.

Brasilien ist uns in der Welt ein guter Freund. Ein Freund, der die weitere Entwicklung auf

unserem Planeten maßgeblich mitbestimmen wird.

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Kaum etwas symbolisiert den Aufstieg Brasiliens besser als die Ausrichtung der

Fußballweltmeisterschaft 2014 dort und der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de

Janeiro. Ich gratuliere Ihnen und Ihrem Land dazu noch einmal herzlich!

Ich bin froh, dass sich Ihre Anstrengungen gelohnt haben. Und ich setze unverändert meine

Anstrengungen fort, für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2018 in München

und Garmisch-Partenkirchen zu werben.

Brasilien übernimmt Verantwortung. Verantwortung zunächst in Südamerika, wo es

Stabilitätsanker ist und die treibende Kraft der regionalen Integration. Sie, Präsident Lula,

haben erkannt, dass nachhaltiges Wachstum und Entwicklung in Ihrem Land einhergehen

müssen mit Wachstum und Entwicklung in der gesamten Region. Dass die ärmeren Länder

nicht abgehängt werden dürfen. In diesem Zusammenhang freue ich mich über Ihr erklärtes

Interesse an den Strukturen und dem Geist der Zusammenarbeit in der Europäischen Union.

Ich glaube in der Tat, dass wir Europäer der Welt hier etwas vorzeigen können.

Verantwortung und politische Tatkraft beweist Brasilien auch gegenüber den großen

gemeinsamen Herausforderungen für unsere Eine Welt. Der Kampf gegen den Klimawandel

steht dabei an erster Stelle.

Brasilien ist das artenreichste Land unserer Erde, der tropische Regenwald im

Amazonasbecken das größte zusammenhängende Waldgebiet der Welt. Auch dank Ihres

persönlichen Einsatzes, Präsident Lula, sind in den letzten Jahren große Fortschritte beim

Schutz des Amazonasgebiets gelungen. Deutschland hat dabei nach Kräften geholfen und

wird das auch weiterhin tun. Aber wir dürfen uns nicht täuschen - der Amazonaswald und der

Tropenwald weltweit bleiben bedroht. Und die Abholzung von Tropenwald setzt

Treibhausgase frei. In Kopenhagen wollen Sie, Herr Präsident, eine Absenkung der

Emissionen aus Entwaldung um 80 Prozent bis 2020 ankündigen. Damit setzt Brasilien

Maßstäbe!

Denn den Klimawandel können wir nur in den Griff bekommen, wenn wir die Regenwälder

als "Lunge unseres Planeten" erhalten, wenn wir mit unseren Rohstoffen sorgsam umgehen

und Energie umweltschonend erzeugen und nutzen.

Ich freue mich, dass Sie Brasilien persönlich auf der Klimakonferenz in Kopenhagen

vertreten.

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Die Industrieländer tragen dabei sicherlich eine besondere Verantwortung. Der Hauptteil der

von Menschen verursachten Treibhausgase geht immer noch auf ihr Konto. Sie sind deshalb

gefordert zu zeigen, dass Wachstum mit dem Wohlergehen von Mensch und Schöpfung

einhergehen kann. Das ist gerade wichtig für die Entwicklungs- und Schwellenländer, die im

Kampf gegen Armut auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind. Deutschland und die EU

stehen zu ihrer Zusage, diese Länder bei einer klimaverträglichen, nachhaltigen Entwicklung

finanziell und technologisch zu unterstützen.

Neben der globalen ökologischen Frage stellt sich den Menschen die globale soziale Frage,

der Kampf für mehr Gerechtigkeit und gegen Hunger und Armut in der Welt. Es ist ein gutes,

ein ermutigendes Zeichen, dass Brasilien das erste Ziel der Millennium Development Goals

der Vereinten Nationen, die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, aus eigener Kraft

erreicht hat.

Eine gute Entwicklung hängt davon ab, dass alle Bevölkerungsschichten für sich Chancen

sehen, am wachsenden Wohlstand teilzuhaben, und die Einkommensschere nicht zu weit

auseinander klafft. Der Zugang zu Bildung spielt hier eine entscheidende Rolle. Und

Transparenz im staatlichen und wirtschaftlichen Handeln bleibt Voraussetzung für eine

bessere Zukunft.

Die Grundlagen hierfür zu schaffen, liegt in erster Linie in den Händen eines jeden Landes.

Sicherheit, Wohlstand und Frieden kann es für uns alle dauerhaft nur dann geben, wenn die

Welt gerechter wird. Wir alle müssen uns fragen - auch wir Deutschen -, was sich bei uns

ändern muss, um der Welt eine gute Zukunft zu sichern.

Wir brauchen eine Entwicklungspolitik für den ganzen Planeten. Zu einer solchen Politik

gehört ein entwicklungsfreundliches Handelsregime zum Nutzen aller Menschen. Ein

rascher, erfolgreicher Abschluss der Doha-Welthandelsrunde ist auch eine Sache der

Glaubwürdigkeit, der Vertrauensbildung.

Wir brauchen mehr Ordnung in der Globalisierung, bessere Regeln und effektive

Institutionen. Zur Bewältigung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise spielen die G20

eine wichtige Rolle. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie aufstrebende Nationen wie

Brasilien, Indien und China in internationale Verantwortung wachsen können und wie ihrer

zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung angemessen Rechnung getragen

werden kann. Und uns alle verbindet die Verantwortung für die Menschen, die in Afrika Not

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leiden, ebenso wie wir alle ein gemeinsames Interesse haben, die Chancen dieses Kontinents

zu entwickeln.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat unser Bewusstsein dafür geschärft, wie sehr wir

weltweit miteinander vernetzt und aufeinander angewiesen sind. Die globalen

Herausforderungen können wir daher nur gemeinsam mit einer kooperativen Weltpolitik

bewältigen. Der zentrale Ort dafür sind die Vereinten Nationen. Brasilien und Deutschland

sind davon überzeugt, dass es in unser aller Interesse liegt, die Vereinten Nationen zu stärken

und effizienter zu machen. Sie sind bereit, hierbei an entscheidender Stelle mitzuwirken und

Verantwortung zu übernehmen.

Brasilien ist Deutschland ein guter Freund und wichtiger Partner. Besser als viele andere

Nationen hat Brasilien in der Wirtschafts- und Finanzkrise seine Stärke und Solidität gezeigt.

Herr Präsident, Sie sind mit Recht stolz auf das, was Ihr Volk schon erreicht hat. Brasilien

will Teil der Lösung der anstehenden Fragen sein und will mitarbeiten an der Gestaltung

einer besseren Welt. Wir in Deutschland freuen uns darüber, und ich weiß aus eigener

Erfahrung der Zusammenarbeit mit Ihnen, dass Ihr Wort verlässlich ist.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben auf das Wohl von

Präsident Lula und auf das Wohl des brasilianischen Volkes und die Freundschaft zwischen

unseren Völkern.

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Rede 15 - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler

Deutschland hat in diesem Jahr allen Grund zur Dankbarkeit. Wir sind dankbar für 60 Jahre

geglückte Demokratie. Wir sind dankbar dafür, dass vor 20 Jahren in einer friedlichen

Revolution die Mauer fiel und sich der Weg für die deutsche Einheit in Freiheit öffnete. Und

da sind unsere Gedanken natürlich auch bei Papst Johannes Paul II.

Er hat den Menschen vor mehr als 30 Jahren zugerufen: "Habt keine Angst! Öffnet, ja, reißt

die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und

politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts

seiner rettenden Macht!" Johannes Paul II. hat sich nicht an einzelne Staatsmänner gewandt,

sondern direkt an die Völker. "Habt keine Angst!" Wie viel Kraft hat er den Menschen damit

gegeben. Seine Worte waren eine große Ermutigung für die Freiheitsbewegungen in Mittel-

und Osteuropa.

Für mich bleibt auch das folgende Wort von Johannes Paul II. eine bleibende Wegweisung:

"Es ist Gottes Wille, der Deutschland und Polen zu Nachbarn gemacht hat." Ich verstehe

dieses Wort als Verpflichtung, gerade auch die gute Zusammenarbeit und Versöhnung mit

unseren polnischen Nachbarn voran zu bringen. Wir haben auf diesem Weg schon viel Gutes

erreicht. Und unsere gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union erleichtert die

weiteren Fortschritte.

Vor 20 Jahren schwammen die Völker Europas auf einer Welle der Euphorie. Doch nicht alle

Erwartungen von damals haben sich erfüllt. Probleme, die der Ost-West-Konflikt in den

Hintergrund gedrängt hatte, fordern jetzt unsere Aufmerksamkeit. Ich nenne Armut, Hunger

und Unterentwicklung. Und ich nenne neue Herausforderungen wie den Klimawandel und

eine nachhaltige Bewältigung der Finanzkrise.

Sie, Eure Heiligkeit, haben die Staaten der Welt aufgefordert, bei diesen Fragen gemeinsam

zu handeln. "Die Entwicklung der Völker hängt vor allem davon ab, sich als eine einzige

Familie zu erkennen, die in einer echten Gemeinschaft zusammenlebt (...)", heißt es in Ihrer

Sozialenzyklika. In einer echten Familiengemeinschaft muss niemand beiseite stehen, und

alle achten und helfen einander. Für die Völkergemeinschaft heißt das: Afrika muss sich mit

den gleichen Rechten und Pflichten in sie einbringen können. Sie haben das schon oft

hervorgehoben, Eure Heiligkeit, und ich bin dankbar dafür. Uns eint der Wunsch und die

Forderung, eine "echte politische Weltautorität" zu schaffen, damit alle Menschen unserer

Erde ein gutes Leben haben können.

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Vernunft und Glaube begründen eine kooperative Weltpolitik. Der Kampf gegen Armut und

der Kampf gegen den Klimawandel sind ein gemeinsamer Kampf für Frieden und für eine

lebenswerte Welt.

Denken wir an unsere gemeinsamen Verpflichtungen. Denken wir an das Glück, das der

Mauerfall und die europäische Einigung uns gebracht haben. Denken wir daran, wenn wir

gleich die Augsburger Domsingknaben und das Münchner Residenzorchester spielen hören.

Mit den Kantaten aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach entbieten wir

Ihnen, Eure Heiligkeit, zugleich die besten Grüße aus der Heimat. Wir wünschen Ihnen

Gesundheit und Kraft. Mit Ihrem Wirken tragen Sie zum Zusammenhalt der Welt bei. Das

macht uns froh und dankbar.

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Rede 16 - 9. Februar 2010 - Horst Köhler

In Deutschland erinnern sich die Menschen noch sehr gut an die beiden sportlichen

Großereignisse in Korea, die Olympischen Spiele 1988 und die Fußball-Weltmeisterschaft

2002. Korea wird dieses Jahr wieder im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit stehen. Mit der

Präsidentschaft der G-20 hat das Land eine große Verantwortung in turbulenten Zeiten

übernommen. Es geht darum, neue Regeln für ein globales Miteinander zu finden. Dies

beginnt bei der dringenden Neugestaltung der internationalen Finanzmarktordnung. Die Welt

darf nicht noch einmal durch verantwortungsloses Handeln an den Finanzmärkten an den

Rand des Abgrunds gebracht werden. Es geht aber weit darüber hinaus: Bei der globalen

Armutsbekämpfung, der Klimapolitik und im Welthandel sind globale Regeln unerlässlich.

Denn das Wohlergehen der Welt ist unteilbar.

Korea wird als G-20-Präsidentschaft seine ganz eigene Geschichte und unterschiedlichen

Erfahrungen im Umgang mit der "Außenwelt" einbringen: Wie in China und Japan gab es im

19. Jahrhundert in Korea heftige Debatten darüber, wie man am besten mit dem Westen

umgehen sollte. Das "Einsiedler Königreich" weigerte sich lange, Forderungen nach

Öffnungen des Landes nachzugeben. Auf die gewaltsame Kolonialisierung durch Japan

folgte die Teilung des Landes, das durch den bitteren Bürgerkrieg plötzlich ins Zentrum des

Ost-West Konfliktes katapultiert wurde.

Der Schriftsteller und Germanist Yi Chongjun hat dieser wechselvollen Geschichte Koreas in

seiner Kurzgeschichte "Die Narben" ein literarisches Denkmal gesetzt. Darin zeigt ein

Großvater seinem Enkel mit Stolz und Wehmut seine vielen Narben von der Arbeit und dem

Krieg. Er ist stolz auf seine Leistung, glücklich, überlebt zu haben. Aber er ist auch etwas

wehmütig, dass die Narben langsam verschwinden, da sie ihn zu dem gemacht haben, was er

ist. Der Enkel kann viel von seinem Großvater lernen - ebenso wie die Welt von Koreas

Erfahrungen.

Zum Beispiel von der Freiheitsliebe eines Volkes, das seine bürgerlichen Rechte unter großen

Opfern erkämpft hat. Korea zeigt, wie konfuzianische Traditionen und Menschenrechte

miteinander verbunden werden können. Und es zeigt, dass auch asiatische Bürger darüber

bestimmen wollen, wie und von wem sie regiert werden und welche Werte ihre Regierungen

vertreten.

Dazu gehört auch eine phänomenale wirtschaftliche Entwicklung. Korea hatte 1950 ungefähr

das gleiche Pro-Kopf-Einkommen wie viele afrikanische Länder. Heute ist es eines der

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reichsten Länder der Welt. Gerade in den heutigen entwicklungspolitischen Diskussionen

lohnt sich ein genauerer Blick auf Korea: Die Offenheit für technologische Innovation und

ein starker Fokus auf Bildung und Erziehung haben sicherlich eine wichtige Rolle bei der

Entwicklung vom Agrarland zum Hochtechnologie-Standort gespielt. Ebenso bemerkenswert

ist aber auch die staatliche Planung, die sich um das nötige Kapital zum Aufbau des Landes

bemüht hat. Für die Planer war dabei klar, dass die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft

dienen sollte und nicht umgekehrt. Eine einfache Erkenntnis, deren Bedeutung gerade

angesichts der Finanzkrise nicht oft genug betont werden kann.

Zu all dem kamen Fleiß und Leistungsbereitschaft der Menschen. Wir Deutschen konnten

uns persönlich schon früh davon überzeugen. Die Bergarbeiter und Krankenschwestern, die

seit den 60er Jahren aus Korea zu uns kamen, haben mit ihrem enormen Einsatz einen

wichtigen Beitrag zum deutschen Wiederaufbau geleistet. Wir werden dies in Deutschland

nicht vergessen. Gleichzeitig hat ihre Arbeit Kapital nach Korea gebracht und damit zur

Entwicklung des Landes beigetragen. Ein Gewinn für unsere beiden Länder.

Heute ist Korea selber Zielland für Arbeitsmigration. Wer, wie Korea, dieses Phänomen von

beiden Seiten kennt, kann seine Erfahrungen mit hoher Glaubwürdigkeit in die

internationalen Diskussionen einbringen. Die Welt ist gut beraten, auch die Vorteile von

Migration zu erkennen und vernünftige Regeln für sie zu vereinbaren.

Korea kann in den globalen Debatten zur Armutsbekämpfung mit mehr Nachruck auftreten:

Nachdem das Land selbst viel internationale Solidarität erfahren hat, hat es mit seiner

erreichten Stärke nun selber Gelegenheit, mehr Solidarität mit anderen zu üben. Wenn Korea

den Weg in das "Development Assistance Committee" der Organisation für wirtschaftliche

Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, findet, setzt dies weltweit zwei wichtige Zeichen:

Erstens, es ist möglich, aus einem armen und zerstörten Land innerhalb von knapp zwei

Generationen in den Kreis der reichsten Volkswirtschaften der Welt vorzudringen. Und

zweitens: Korea beteiligt sich an den internationalen Abstimmungen, die zu mehr

Transparenz und Effizienz führen sollen und erteilt damit denen eine Absage, die

Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich als verlängerten Arm der jeweils eigenen

Wirtschaftsinteressen sehen.

In einer sich immer stärker vernetzenden Welt müssen wir uns alle darauf einstellen, viel

enger miteinander zusammenzuarbeiten als bisher. Im Gegensatz zu einzelnen

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Wirtschaftsunternehmen, die durchaus im scharfen Wettbewerb miteinander stehen, können

die Nationen der Welt ihre Probleme nur gemeinsam lösen.

Dies gilt in besonderer Weise für die zweite große Herausforderung der Menschheit: den

Klimawandel. Auch in Korea selber ist in den letzten Jahren die Durchschnittstemperatur

gestiegen. Die möglichen Folgen eines ungebremsten Klimawandels sind bekannt.

Die Enttäuschung von Kopenhagen sollte Ansporn sein, nicht nachzulassen und neue Wege

im Klimaschutz zu gehen. Dies betrifft die großen Schwellenländer, die zwar niedrige Pro-

Kopf-Emissionen, aber hohe Gesamtemissionen an Treibhausgasen aufweisen. Dies betrifft

ebenso die reichen Industrieländer - allen voran die USA und die Europäische Union -, die

ihre globale Verantwortung annehmen müssen. Meines Erachtens gehört Korea aufgrund

seiner wirtschaftlichen Erfolge auch zu dieser Gruppe, selbst wenn es im Kyoto-Protokoll

derzeit gemeinsam mit anderen Entwicklungsländern aufgeführt wird.

Ebenso wie die deutsche Industrie letztlich einen Wettbewerbsvorteil durch klare

Rahmenbedingungen hat, die energieeffizientes Handeln belohnen, wird sich ein klares

Reduktionsziel auch für Korea auszahlen. Daher bin ich zuversichtlich, dass unsere beiden

Länder in der Frage des Klimaschutzes eine wichtige Rolle spielen werden. Diese Zuversicht

speist sich auch aus meinem Besuch der größten Industriemesse der Welt, der Hannover-

Messe, im letzten Jahr. Die beteiligten Firmen zeigten deutlich das außerordentliche

Wachstumspotential der Umweltindustrie. Viele der Firmen kamen aus Korea - dem

offiziellen Partnerland 2009.

In Deutschland tragen viele Unternehmer mit ihren Investitionen im Umweltbereich zur

wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Landes bei. Heute sind deutsche Unternehmen bei

erneuerbaren Energien führend. Ich bin sicher, dass deutsche und koreanische Firmen mit

ihrem technologischen Wissen und langfristig ausgelegten Strategien große Möglichkeiten

zur Zusammenarbeit haben. Daher freue ich mich auch darauf, heute Nachmittag ein solches

Beispiel deutsch-koreanischer Kooperation zu besuchen und mehr über das geplante

Pilotprojekt eines Meeresströmungskraftwerks zu erfahren.

Bessere Ressourceneffizienz und erneuerbare Energien sind Bausteine einer dringend

notwendigen neuen industriellen Revolution. Staatliche Regelungen, sei es auf nationaler

oder internationaler Ebene, spielen dabei eine wichtige Rolle. Ich finde es eindrucksvoll, dass

die Regierung hier mit ihrer Strategie "Low Carbon, Green Growth" auf ökologisches

Wachstum umsteuern will. Zur Bedeutung unternehmerischen Handelns bei der

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Verwirklichung dieser Ziele brauche ich hier vor Ihnen, keine langen Ausführungen zu

machen. Aber zum erfolgreichen Umsteuern ist es ebenfalls erforderlich, die Bürger zu

überzeugen und zu beteiligen. Es bedeutet auch, viele Konsumgewohnheiten einer

Industriegesellschaft auf den Prüfstand zu stellen.

Korea ist immer noch eine geteilte Nation. Uns Deutschen sind die Leiden, Sorgen und

Gefahren dieser Lage aus eigener Erfahrung sehr bewusst. Koreanische Wissenschaftler

haben die deutsche Wiedervereinigung genau analysiert. Viele von ihnen haben Sorge vor

den damit verbundenen hohen finanziellen Belastungen. Das ist verständlich. Aber die

Kosten sollten nicht von anderen, entscheidenden Punkten ablenken: Durch die

Wiedervereinigung Deutschlands konnten 17 Millionen Menschen nach Jahrzehnten der

Diktatur endlich in einem wohlgegründeten demokratischen Rechtsstaat leben. Mit dem Ende

der Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke ist die Gefahr, dass aus dem Kalten Krieg ein

heißer wird, gebannt. Dass wir Deutschen heute in Frieden und Freiheit im Herzen Europas

leben, ist unbezahlbar.

Niemand kann vorhersagen, wie eine koreanische Wiedervereinigung aussehen wird. Aber

unsere deutsche Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Ereignisse manchmal überschlagen

können. Wir Deutsche freuen uns über 20 Jahre Wiedervereinigung. Das menschliche Leid

einer Teilung, die viele Familien auseinanderriss, ist bei uns nicht vergessen. Ich hoffe daher

von ganzem Herzen, dass auch Korea seine nationale Teilung bald friedlich überwinden

kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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Rede 17 - 17. März 2010 - Horst Köhler

Ich freue mich, dass wir heute wieder zusammen sind, wenn auch teilweise in anderer

Zusammensetzung. So funktioniert Demokratie.

Wir leben unübersehbar in einer Umbruchzeit. Da kommt es in der Politik auf "Leidenschaft

und Augenmaß" in der Sache an, vielleicht aber noch mehr auf das Vertrauen der Menschen

in die demokratischen Institutionen. Darum müssen die Verfassungsorgane - jedes in seiner

ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Funktion - ihre Aufgaben gut erledigen, und dazu

müssen sie gut miteinander zusammenarbeiten.

Herr Präsident, ich teile voll und ganz Ihre Überzeugung: Das Parlament ist das "Herz der

politischen Willensbildung in unserem Land". Und ich bin an Ihrer Seite, wenn es darum

geht, dass es kraftvoll schlägt. Wo, wenn nicht im Parlament, muss mit Herz und Verstand

um die res publica, um das Wohl aller gerungen werden. Und wenn draußen draufsteht "Dem

Deutschen Volke", dann muss das auch drinnen stattfinden. Deshalb, und das haben Sie zu

Recht mehrfach angemahnt, dürfen die Minderheitenrechte, dürfen vor allem die

Informationsrechte des Parlaments nicht beschnitten werden, denn sie sind eine essentielle

Voraussetzung für eine gute Gesetzgebung. Ich halte auch eine Verlängerung der

Wahlperiode von vier auf fünf Jahre für bedenkenswert. Die Argumente sind bekannt, ich

möchte hier keine Eulen nach Athen tragen.

Ich verstehe das Grundgesetz auch als Verpflichtung für den Bundespräsidenten, sich mit den

langfristigen Herausforderungen unseres Landes zu befassen. Ich bin überzeugt davon, wir

befinden uns mitten in einem Transformationsprozess. Die Stabilität unserer demokratischen

Ordnung und ihre Akzeptanz durch die Bevölkerung wurden in den letzten 60 Jahren nicht

zuletzt durch Wirtschaftswachstum und damit verbundene Verteilungsspielräume gefördert.

Nach meiner Einschätzung werden wir uns in Zukunft auf geringere Wachstumsraten

einstellen müssen. Der demographische Wandel und der Klimawandel sind zusätzliche

Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund, so glaube ich, müssen wir den Bürgern auf drei

Schlüsselfragen Antworten geben:

Erstens: Wie schaffen wir einen Zuwachs an Teilhabe und Begeisterung für unsere

Demokratie? Dazu gehören Fragen nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft, von

Jung und Alt, von Einheimischen und Zugewanderten. Ich habe mir vorgenommen, öfter und

systematischer mit Bundestagsausschüssen im Gespräch zu sein.

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Zweitens: Wie schaffen wir den notwendigen Umbau unserer Wirtschaftsordnung hin zu

einer ökologischen Sozialen Marktwirtschaft? Dazu gehören Fragen nach nachhaltigen

Formen des Wachstums, ressourcenschonender Produktion, regionalen

Wirtschaftskreisläufen, zukunftsfähiger Arbeit, neuen Formen dem Gemeinwohl dienender

Tätigkeiten wie Sorgearbeit und ehrenamtliche Arbeit. Es geht um die Sicherung der

Lebensgrundlagen, der natürlichen wie der sozialen, es geht um Verteilungsgerechtigkeit, um

Qualifizierung und Forschung, aber auch um alternative Grundlagen des Wohlergehens

jenseits eines rein ökonomisch und materiell orientierten Wachstums, es geht um neue

Lebensstile.

Drittens: Wie schaffen wir es in einer sich formierenden Weltgesellschaft, Europa als

kraftvolle und handlungsfähige Union zu beweisen, mit der sich die Bürger identifizieren und

in die sie sich einbringen können? Wo brauchen wir womöglich "mehr EU", um

voranzukommen? Wo ist womöglich "weniger EU" angezeigt? Wir erleben zugleich, dass in

der Weltrisikogesellschaft die alten Ordnungen nicht mehr tragen, dass aufstrebende

Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und andere eine wachsende Rolle spielen. Das

Bewusstsein nimmt zu, dass wir alle aufeinander angewiesen sind, alle in einem Boot sitzen.

So nimmt auch die Einsicht zu, dass wir eine neue, eine kooperative Weltpolitik brauchen,

eine Politik des fairen Interessensausgleichs in einem rechtlich geordneten Rahmen, mit

starken supranationalen Institutionen, die die Einhaltung international verbindlicher Regeln

überwachen und durchsetzen. Wir brauchen good governance und wir brauchen, das lehrt uns

die Finanzkrise, das Primat der Politik.

Meine Damen und Herren, große Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen

können. Stoff also genug für einen Meinungsaustausch. Noch einmal: Seien Sie willkommen;

ich freue mich auf unser Gespräch.

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Rede 18 - 18. März 2010 - Horst Köhler

Der alte Robert Bosch hat im Zimmer seines Sohnes einmal ein paar Magnete gefunden.

Deshalb erzählte er ihm von einem neuen Verfahren, mit dem die Wirkung von Magneten

verstärkt werden konnte. Der Junge entgegnete: "Hängt das vielleicht damit zusammen, dass

beim absoluten Nullpunkt absolute Ruhe in den Molekülen herrscht?" Darauf, so der Vater,

sei er lieber nicht weiter eingegangen. Denn: Dabei könne er sich nur blamieren.

Ich denke, auch ich werde mich heute lieber nicht an wissenschaftlichen Erklärungen

versuchen. Nur soviel: Es ist faszinierend zu wissen, was deutsche Forscher und Ingenieure

an neuen Ideen und findigen Produkten entwickeln. Darauf können wir stolz sein, und das

kann uns auch zuversichtlich machen für die Zukunft unseres Landes. Nehmen wir zum

Beispiel Jiri Marek, Michael Offenberg und Frank Melzer. Sie haben hier bei Bosch Sensoren

so weiterentwickelt, dass sie nicht nur wie bisher im Auto, sondern auch in Handys, Laptops

oder Navigationsgeräten eingesetzt werden können. 2008 habe ich sie dafür mit dem

Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet. Und das bringt mich heute nach Reutlingen. Es ist

gute Tradition, dass der Bundespräsident die Träger seines Preises für Technik und

Innovation besucht. Dass ich dabei auch gleich eine Fabrik eröffnen kann, zu deren Entstehen

die Arbeit der Zukunftspreisträger beigetragen hat, ist für mich eine neue Erfahrung. Ich

könnte mich daran gewöhnen.

800 Menschen werden in der WaferFab - wie die neue Fabrik genannt wird - Arbeit finden.

Bosch hat sich bewusst für Reutlingen als Standort entschieden. Einer der Hauptgründe: Hier

kann das Unternehmen auf Mitarbeiter mit Fachwissen und Erfahrung, mit Kreativität und

hohem Engagement zählen.

Es ist gut, wenn eine Unternehmensführung erkennt: Das Herz eines Betriebes sind seine

Mitarbeiter. Je mehr sie sich als Teil eines Teams fühlen, desto besser sind am Ende auch die

Ergebnisse für das ganze Unternehmen. Das gilt nicht nur in Reutlingen. Das gilt überall. Ich

denke, die aktuelle Finanzkrise kann auch in dieser Hinsicht einen Wendepunkt markieren:

Den Wendepunkt zur Wiederentdeckung der notwendigen Balance zwischen Kapital und

Arbeit. Nicht Geld, sondern Menschen sind die eigentliche Quelle von Kreativität.

Einige der Beschäftigten hier in Reutlingen kommen aus dem Werk in Rommelsbach, das

gerade geschlossen wurde. Die dort hergestellte Technologie wird nicht mehr nachgefragt.

Das erinnert an die Situation vor knapp 50 Jahren. Damals rauchten an dieser Stelle die

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Schlote der Textilfabrik Gminder. Als die deutsche Textilindustrie einbrach und das Werk

schließen musste, übernahm Bosch das Gelände und viele der Beschäftigten.

Bosch stellt Sensoren her. Sie wissen das. Aber die Geschäftsführung hat offenbar auch selbst

einen Sensor für die Zukunft, für Umbrüche und technologische Entwicklungen. Sie reagiert

frühzeitig und beweist: Wer offen ist für Neues, wer an seine Leistungsstärke glaubt, wem es

um Nachhaltigkeit geht, für den ist Strukturwandel keine Bedrohung, sondern ein

Überlebensprinzip und eine Herausforderung, die zu neuen Höchstleistungen anspornen.

Solche Höchstleistungen brauchen wir, wenn wir den Klimawandel begrenzen, wenn wir

unsere Ressourcen schonen, wenn wir die Wirtschaftskrise meistern und neue Arbeitsplätze

schaffen wollen. Dann gelingt uns die Transformation unserer Wirtschaftsordnung. Und so

unterschiedlich die aktuellen Problemfelder sind, so kann man sie doch auf einen

gemeinsamen Punkt zurückführen: Wir haben zu lange sorglos Zukunft verbraucht.

Bei der Umwelt liegt das auf der Hand: Wir verschmutzen jetzt die Atmosphäre mit CO2-

Emissionen, obwohl wir wissen, dass wir damit uns und unseren Kindern eine schwere Bürde

aufladen. Wir verschwenden jetzt Ressourcen, obwohl wir wissen, dass sie uns in Zukunft

fehlen werden. Wenn die ganze Menschheit schon heute so leben wollte wie wir, dann

bräuchten wir schon jetzt mehr als eine Erde. Aber wir haben nur die eine.

Die Finanzkrise führt uns vor Augen: Es reicht nicht, nur an das "Jetzt", an den eigenen

kurzfristigen Vorteil zu denken. Möglichst schnell möglichst viel Geld machen, das war bei

vielen die Devise. Welche Risiken damit langfristig für uns alle verbunden waren, wurde

außer Acht gelassen. Die Folgen sind noch nicht überwunden.

Es geht hier übrigens nicht nur um die Schuldenpyramiden an den Finanzmärkten - die

westlichen Gesellschaften insgesamt haben über ihre Verhältnisse gelebt. Irgendwann aber

muss man seine Schulden zurückzahlen. Ich bin mir mit Ihnen, lieber Herr Fehrenbach, einig,

dass noch lange nicht alle notwendigen Konsequenzen aus der Krise gezogen wurden. Ich

warne davor, sich auf die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung zu verlassen.

Jetzt müssen die richtigen Weichen gestellt werden, damit sich so eine Krise nicht

wiederholen kann. Ich sage es offen: Ich bin noch nicht sicher, ob die politische Kraft dafür

da ist in der internationalen Staatengemeinschaft. Aber nur das schafft Vertrauen. Und

Vertrauen ist die Basis unserer Wirtschaftsordnung, die Seele der Sozialen Marktwirtschaft.

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Es geht darum, über den Tag hinaus zu denken - in der Wirtschaft genauso wie im Umgang

mit der Natur. In Kopenhagen ist es zwar noch nicht gelungen, weltweite Regeln für den

Klimaschutz aufzustellen. Entmutigen lassen sollten wir uns davon aber nicht. Im Gegenteil,

wir sollten das als Ansporn begreifen. Verstehen wir den Klimawandel endlich als Chance,

neue Märkte zu erschließen, als Chance, mit Innovationen ein anderes und nachhaltiges

Wachstum zu erreichen, als Chance, mutig den Weg in die ökologische Soziale

Marktwirtschaft zu gehen. Wir - das sind Bürgerinnen und Bürger, Verbraucherinnen und

Verbraucher, Unternehmerinnen und Unternehmer - wir sollten erkennen: Abwarten reicht

nicht.

Bosch wartet nach meinem Eindruck nicht. Nachhaltig zu wirtschaften, ist schon lange

tragender Teil der Unternehmenspolitik, auch jetzt in der Wirtschaftskrise. Der Umsatz ist

auch bei Bosch eingebrochen, das Unternehmen hat massive Verluste erlitten. Das ist

schmerzlich. Und trotzdem hat Bosch - wie übrigens viele andere deutsche Unternehmen -

die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bislang weitgehend stabil gehalten. Das spricht

für Selbstbewusstsein, langfristiges Denken und Vertrauen in die Zukunft. Gut so!

Manch einer mag argumentieren, für ein Unternehmen wie Bosch, das nicht so sehr auf die

Kapitalmärkte angewiesen ist, sei es leichter, langfristig zu denken als für Unternehmen, die

regelmäßig Quartalsberichte vorlegen müssen. Da kann etwas dran sein. Der Welt-Erfolg des

schwäbischen Traditionsunternehmens aber zeigt, dass etwas anderes noch wichtiger ist.

Robert Bosch hat dafür ganz einfache Worte gefunden: "Eine anständige Art der

Geschäftsführung ist auf Dauer das Einträglichste."

Er hat zugleich vorgelebt, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Technik aussehen kann.

Technik und Wirtschaft müssen Menschen dienen. Ich bin überzeugt, wenn wir uns

anstrengen und noch mehr auf Innovationen und Technologieführerschaft setzen, dann

werden wir nicht nur die Umweltprobleme in den Griff bekommen. Dann werden wir auch

unseren Wohlstand halten und Arbeitsplätze sichern können. Ganz unabhängig davon, ob nun

beim absoluten Nullpunkt absolute Ruhe in den Molekülen herrscht oder nicht.

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Rede 19 - 3. Mai 2010 - Horst Köhler

Ich freue mich, Sie alle heute Abend hier in Schloss Bellevue begrüßen zu können.

Bereits kurz nach Ihrem Amtsantritt haben Sie, Herr Präsident, im Januar 2007 Deutschland

besucht. Ich erinnere mich gut an unser damaliges Gespräch. Viele der Themen, die wir

schon damals besprochen haben - Umweltschutz, Globalisierung, Intensivierung der deutsch-

mexikanischen Wirtschaftsbeziehungen -, beschäftigen uns weiterhin. Daher freut es mich,

Sie heute im Rahmen eines Staatsbesuchs erneut willkommen heißen zu dürfen.

2010 ist für unsere beiden Länder ein besonderes Jahr: Deutschland feiert den 20. Jahrestag

der deutschen Einheit. Und Mexiko kann sogar ein doppeltes Jubiläum begehen: Vor 200

Jahren begann der Kampf um die Unabhängigkeit; vor 100 Jahren brach die mexikanische

Revolution aus, die die Grundlagen für ein modernes Mexiko legte.

Wir würdigen diese Jubiläen mit einer Reihe von gemeinsamen Veranstaltungen: Die

Ausstellung über die berühmte, auch in Deutschland populäre mexikanische Malerin Frida

Kahlo haben Sie heute bereits besucht. Ende Juni beginnt im Martin-Gropius-Bau die

großartige "Teotihuacán"-Ausstellung, deren Schirmherrschaft Sie und ich gemeinsam

übernommen haben. Ich bin neugierig auf die Grabungsergebnisse der letzten 30 Jahre in

dieser meistbesuchten Pyramidenanlage Mexikos. Beide Ausstellungen geben uns auf

besondere Weise Gelegenheit, der vorkolonialen wie der modernen Kultur Mexikos zu

begegnen. Ich bin sicher, dass sie ein großes Publikum anziehen werden.

Neben vielfältigen Kulturveranstaltungen in Mexiko und Deutschland findet im Juni in

Mexiko-Stadt ein weiteres großes Ereignis statt, das mir besonders am Herzen liegt - ein

dreifaches Fest gewissermaßen, das Wirtschaft und Wissenschaft gewidmet ist: Die Industrie-

Ausstellung "Hecho en Alemania", die Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft

und der "Science-Tunnel" der Max-Planck-Gesellschaft.

Herr Präsident, Sie haben gestern gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am

Petersberger Klimadialog in Bonn teilgenommen. Ab dem 29. November findet in Cancún

die Nachfolge-Konferenz des Klima-Gipfels von Kopenhagen statt. Deutschland und Mexiko

verbindet die Überzeugung, dass Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer nur

gemeinsam erfolgreich den Klimawandel und seine Folgen begrenzen können.

Zweifellos tragen die Industrieländer dabei die Hauptverantwortung. Unter den

Schwellenländern nimmt Mexiko beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle ein. Besonders

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bemerkenswert finde ich, dass Mexiko als Erdöl produzierendes Land sich für dieses globale

Anliegen engagiert. Ihr Land bekennt sich ausdrücklich dazu, dass auch die Schwellen- und

Entwicklungsländer aufgerufen sind zu handeln und beschränkt sich nicht darauf,

Forderungen an die Industrieländer zu richten. Ihren Vorschlag eines "Grünen Fonds" zur

Finanzierung des Weltklimaschutzes, der eine gemeinsame, aber nach den Gesamtemissionen

differenzierte Verantwortung aller Länder vorsieht, ist weiterhin interessant. Ich könnte mir

vorstellen, dass er bei den Verhandlungen 2010 wieder mehr Aufmerksamkeit erhält. Auch

zu Hause haben Sie ein ehrgeiziges Klimaschutz-Programm aufgelegt und sich darin die

Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 50 Prozent bis 2050 vorgenommen.

Die Ergebnisse von Kopenhagen sind nicht zufriedenstellend. Die Welt erwartet, dass wir

mehr erreichen - vor allem im Interesse künftiger Generationen. Schaffen werden wir das nur,

wenn der weitere Verhandlungsprozess in einem Klima des Vertrauens stattfindet. Wir hoffen

sehr, dass Mexiko hierfür der Durchbruch gelingt. Wo immer wir können, werden wir Sie

unterstützen. Es geht um die gute Zukunft unseres Planeten.

Deutschland und Mexiko tun derzeit alles, um die Folgen der internationalen Wirtschafts-

und Finanzkrise zu überwinden. Eine unserer wichtigsten Aufgabe wird es dabei sein, die

internationalen Finanzmärkte zu reformieren, damit sich eine solche Krise nicht wiederholen

kann. Hierbei müssen die großen Schwellenländer in die Entwicklung geeigneter Strategien

einbezogen werden. Wir haben diesen Prozess, der den Schwellenländern mehr Mitsprache

einräumt, aber auch ihre Mitverantwortung einfordert, bereits durch die deutsche G8-

Präsidentschaft 2007 in Heiligendamm - zusammen mit Ihnen - eingeleitet. Inzwischen ist die

G20 zum zentralen Forum für die Kooperation in Weltwirtschaftsfragen geworden. Mexiko

ist dabei Partner Deutschlands in der G20 und der OECD. Ihrem Land ist es nach der

Finanzkrise von 1994/95 gelungen, wieder zu Stabilität und Wachstum zu kommen. Mexiko

sollte seine spezifischen Erfahrungen aktiv in die Diskussion zur Neugestaltung der

Weltfinanzmärkte einbringen.

Beim Gipfel für nukleare Sicherheit in Washington Mitte April hat Mexiko auf den Besitz

hoch angereicherten Urans verzichtet. Es hat damit ein wichtiges Zeichen für die

Eindämmung von Proliferationsrisiken gesetzt. Hierfür möchte ich Ihnen ausdrücklich

danken. Ich bin zuversichtlich, dass Mexiko und Deutschland auch gemeinsam zu einem

Erfolg der bevorstehenden Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags beitragen

können. Das kann uns dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt ein Stück näher bringen.

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Die Liste der globalen Herausforderungen ließe sich fortsetzen. Ob Migration, epidemische

Krankheiten, Drogenhandel, organisierte Kriminalität, Korruption oder Terrorismus: Wir

können diese Probleme nur gemeinsam lösen. Das Schlüsselwort unseres Jahrhunderts heißt

daher Zusammenarbeit in der Region, aber auch in der Welt. Mexiko hat eine wichtige

Brückenfunktion zwischen Nord- und Lateinamerika, zwischen Atlantik und Pazifik,

zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Deutschland und Mexiko, Europa und Lateinamerika sollten ihre Kräfte bündeln und ihr

gemeinsames Gewicht in der Welt zur Geltung bringen. Das bevorstehende Gipfeltreffen

zwischen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik sowie der EU-Mexiko-

Gipfel in Spanien bieten hierfür eine Gelegenheit. Die EU und Mexiko verbindet seit 2008

eine strategische Partnerschaft. Sie gerade zu den globalen Fragen mit Leben zu erfüllen, ist

unsere gemeinsame Aufgabe. Ich hoffe daher sehr, dass hierzu ein substantieller Aktionsplan

vereinbart wird.

Unsere gemeinsame Grundlage sind dabei die Werte, die Europa und Lateinamerika

miteinander teilen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte. Aber es reicht nicht, diese

hehren Ziele zu fordern. Diese Werte verlangen unseren tatkräftigen Einsatz. Mit großer

Aufmerksamkeit, Herr Präsident, verfolgen wir Ihren Kampf gegen das organisierte

Verbrechen in Mexiko.

Uns verbindet die gemeinsame Überzeugung, dass das wichtigste Forum zur Behandlung der

globalen Herausforderungen die Vereinten Nationen sind und bleiben. Dort ist der natürliche

und legitime Ort für eine kooperative Weltpolitik, für eine Entwicklungspolitik für den

ganzen Planeten, die allen Menschen eine gute Zukunft ermöglichen soll.

Dafür müssen die Vereinten Nationen aber auch in die Lage versetzt werden, zu einer Lösung

der Probleme noch effektiver als bisher beitragen zu können. Deshalb setzen wir uns beide

für eine Reform der Vereinten Nationen ein, die ihre Legitimität und Handlungsfähigkeit

stärkt.

Die Faszination, die Mexiko auf Deutschland und die Deutschen ausübt, ist seit der Reise

Alexander von Humboldts vor über 200 Jahren ungebrochen. Der rege Austausch auf den

Gebieten der Wissenschaft, der Kultur, des Tourismus und des Handels beweist es. Mexiko

bietet der deutschen Wirtschaft hervorragende Möglichkeiten, sich an dem von Ihnen 2007

aufgelegten, ehrgeizigen "Nationalen Infrastrukturprogramm" zu beteiligen. Wie ich weiß, ist

es Ihnen ein besonderes Anliegen während Ihres Besuchs, dass auch die mexikanischen

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Unternehmen in Deutschland stärker sichtbar werden. Hier sind die Möglichkeiten bei

weitem noch nicht ausgeschöpft. Daher ist die Ernennung Ihres neuen Botschafters in

Deutschland, Herrn Francisco González Díaz, der langjährige Erfahrungen bei der

Außenhandelsförderungsgesellschaft ProMéxico in Frankfurt am Main gesammelt hat, eine

gute Nachricht. Er wird viel zu tun bekommen!

Erheben Sie mit mir das Glas auf das schöne und solide Fundament der deutsch-

mexikanischen Freundschaft, auf das Wohlergehen unserer Völker, den Erfolg unserer

gemeinsamen Bemühungen zum Wohle unserer Einen Welt - und erlauben Sie mir zum

besonderen Anlass des "BiCentenario" ein herzliches

Viva México !

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Rede 20 - 2. Juli 2010 - Christian Wulff

Es wird mir wahrscheinlich niemand verübeln, wenn ich sage: Das ist ein bedeutender und

auch ein bewegender Moment. Er erfüllt mich mit Freude und Ernst, mit Zuversicht und

Demut zugleich. Denn ich weiß um die große Verantwortung, die das Amt des

Bundespräsidenten mit sich bringt. Ich bin dankbar dafür, nun in diesem Amt dienen zu

dürfen: Deutschland und den Deutschen und allen Menschen, die hier bei uns leben.

Einmal mehr gab es für das Amt des Bundespräsidenten eine echte Wahl. Deshalb danke ich

hier ausdrücklich Frau Jochimsen und Herrn Gauck für den fairen Wettstreit über die letzten

30 Tage. Denn jeder faire Wettstreit tut unserer Demokratie gut. Daran haben Sie ganz

großen Anteil und haben damit auch unserem Land in entscheidendem Maße gedient. Dafür

herzlichen Dank Ihnen beiden!

Lieber Herr Gauck, Ihre Stimme hat in den letzten Wochen viele Menschen mehr als schon

zuvor erreicht. Wir alle dürfen Sie bitten, auch künftig über Ihre Erfahrungen mit der SED-

Diktatur zu berichten. Bitte erzählen Sie auch weiterhin von Ihrer Liebe zur Freiheit. Denn

das hilft, zu verstehen. Das tut besonders denen gut, die das SED-Unrecht erlitten und die

Selbstbefreiung der Menschen in der DDR erstritten haben, und es ist unersetzlich für die

Jüngeren, die Ihnen zuhören und dadurch besonders gut verstehen können.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Herr Köhler, auch ich danke Ihnen von Herzen für

alles, was Sie in Ihrer Amtszeit für unser Land geleistet haben. Gerade der Kummer über

Ihren Rücktritt hat besonders bewegend gezeigt, wie nah Sie unseren Mitbürgerinnen und

Mitbürgern waren. Sie haben den Menschen zugehört. Sie haben ihre Sorgen und Nöte ernst

genommen. Sie haben ermutigt und die vielen guten Ideen, die es in unserem Land gibt,

häufig sichtbar gemacht und tatkräftig unterstützt. Wo Sie mit den Ergebnissen von

politischen, gesetzgeberischen und auch medialen Prozessen nicht zufrieden waren, da haben

Sie es ganz deutlich ausgesprochen.

Sie haben mit Ihrer Frau Deutschland in der Welt würdig und erfolgreich repräsentiert.

Besonders Ihr Engagement für Afrika, es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, hat viel

bewirkt. Sie haben uns bewusst gemacht, wie sehr das Schicksal unseres Nachbarkontinents

mit dem unseren verbunden ist. Ganz viele Menschen in unserem Land verstehen nun viel

besser, wie wichtig es ist, auch an andere, ja an alle auf dieser Einen Welt zu denken, weil

wir nur gemeinsam Zukunft haben werden. Wir beginnen zu verstehen, wie viel sich von der

Würde und der Zuversicht lernen lässt, die sich die Menschen in Afrika unter ganz anderen

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Bedingungen, als wir sie hier haben, in bitterster Not, bewahrt haben. Ihr Engagement für

Afrika bleibt allen unvergessen und verpflichtet uns zugleich.

Sehr verehrte Frau Köhler, auch Ihnen ist eben sehr herzlich für Ihr großes Engagement

gedankt worden, weil Sie vielen Menschen, die Zuwendung und Hilfe brauchen, Gehör

verschafft haben, frei nach Bertolt Brecht: Die einen stehen im Licht, und die im Schatten

sieht man nicht. Sie haben Zuwendung und Hilfe gegeben und vielen Menschen Gehör

verschafft. Besonders als Schirmherrin von ACHSE, der Allianz Chronischer Seltener

Erkrankungen, haben Sie wichtige und bleibende Akzente gesetzt. Das werden wir auch

weiterhin nach unseren Möglichkeiten unterstützen.

Auch ich möchte erwähnen, dass Sie, liebe Frau Köhler, lieber Herr Köhler, Ihr inniges

persönliches Miteinander in Ihrer ganzen Familie, mit Ihren Kindern und Ihren

Familienmitgliedern, so gezeigt und gepflegt haben, dass es andere nicht nur tief beeindruckt

hat, sondern auch ganz viele Familien mit ihren Kindern ermutigt hat, in schwierigen

Situationen dauerhaft zusammenzustehen. Deshalb wünsche ich Ihnen und Ihrer ganzen

Familie alles erdenklich Gute und Gottes reichen Segen. Auch meinerseits herzlichen Dank

für den Dienst für unser Land von Ihnen beiden!

Meine Damen und Herren, heute vor 15 Jahren war das Reichstagsgebäude verhüllt von

einem großen silbrigen Tuch. Hunderttausende kamen damals und staunten, wie fremd und

zugleich wie schön dieser Schicksalsort deutscher Demokratie auf einmal wirkte, dank

künstlerischer Kraft und auch dank technischem Können. Das Kunstwerk hat damals ein

Gemeinschaftsgefühl geweckt zwischen Menschen aller Altersstufen, Nationalitäten,

Herkünfte und Berufe. Es hat sein Teil beigetragen zu dem neuen, fröhlichen Gesicht unseres

Landes in der Welt. Die Entscheidung zur Verhüllung des Reichstags wiederum hatte uns alle

gelehrt, wie spannend politische Debatten sein können, wenn ernsthaft und leidenschaftlich

diskutiert wird. Das hat damals bereits gezeigt: Wir Deutsche leben in einer gefestigten, in

einer selbstbewusst gelassenen Demokratie. Nebenbei zeigte das Projekt von Christo und

Jeanne-Claude: Ein großer Erfolg braucht oft einen langen Atem. Die beiden blieben fast ein

Vierteljahrhundert lang überzeugt und begeistert von ihrer

Idee, und am Ende waren fast alle überzeugt. Aber es dauerte halt 25 Jahre.

Heute sind das Reichstagsgebäude und der Deutsche Bundestag die Mitte unserer

parlamentarischen Demokratie und ein absolutes Muss für jeden Berlin-Besucher. Die

Silhouette ist weltweit ein Symbol unserer geglückten Einheit in Freiheit. In diesem Bau, in

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dem wir hier versammelt sind und am 30. Juni versammelt waren, herrscht der Geist

parlamentarischer Demokratie, wie es die Mütter und die Väter des Grundgesetzes erhofft

und vorgedacht haben - friedfertig und wehrhaft, vielstimmig und solidarisch, auf Mehrheiten

gebaut und die Minderheit achtend. Auch dieser Geist der Demokratie lebt von

Gemeinschaftsgefühl und Begeisterung, von Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen,

von kühnen Ideen und gekonnter Verwirklichung.

Auch die Rede von Herrn Bundesratspräsident Böhrnsen hat mich eben wieder ermutigt,

welches Signal man geben kann, wenn man gepflegt miteinander umgeht. Ich bin Ihnen

dankbar für die Freundschaft zwischen unseren Bundesländern.

Die größte Stärke unseres Landes sind die Menschen, die hier leben. Ihre Vielfalt, ihre

Talente machen Deutschland lebens- und liebenswert. Mir ist es dabei wichtig, Verbindungen

zu schaffen: zwischen Jung und Alt, zwischen Menschen aus Ost und West, Einheimischen

und Zugewanderten, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitslosen, Menschen mit und

Menschen ohne Behinderung. Das ist naturgemäß nicht einfach. Es gibt unterschiedliche

Interessen, es gibt Vorurteile gegeneinander, Bequemlichkeiten und Anspruchsdenken. Ich

möchte helfen, über all das hinweg Brücken zu bauen, weil wir unvoreingenommen

aufeinander zugehen müssen, einander aufmerksam zuhören sollten und miteinander

sprechen müssen.

Es gibt so unendlich viele Erfolgsgeschichten in unserem Land. Sie werden mir nachsehen,

dass ich mich in diesem Jahr, 2010, besonders an meine Begegnung mit dem Vater von Frau

Özkan, der ersten Landesministerin muslimischen Glaubens in Deutschland, erinnere, einem

Mann, der fast 50 Jahre hart gearbeitet hat - er arbeitet immer noch -, der auf die Bildung und

den Fleiß seiner Kinder Wert gelegt hat und der nun erlebt hat, wie erfolgreich und geachtet

seine Tochter in unserer Gesellschaft ist. Seine Augen strahlten vor Glück. Das gibt

manchmal mehr an Empathie als vieles, was wir hier in Form von Gesetzesberatungen erlebt

haben und weiter erleben werden.

Die Frage, ob man dazu verhilft, dass viel mehr Menschen in unserem Land, viel mehr Eltern

in unserem Land dieses Glück empfinden können, hier auf- und angenommen zu sein und

gleichberechtigt zu sein, das ist mir ein wichtiges Anliegen. Dabei weiß ich: Es gibt längst

nicht genug solcher Erfolgsgeschichten. Wann wird es bei uns endlich selbstverständlich

sein, dass unabhängig von Herkunft und Wohlstand alle gleich gute Bildungschancen

bekommen? Wann wird es selbstverständlich sein, dass unabhängig von Herkunft und

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Wohlstand nicht nur gleiche Bildungschancen gewährt werden, sondern dass auch alle

Kinder, die hier groß werden, die deutsche Sprache beherrschen, auch die deutsche Sprache

neben ihrer Muttersprache gut beherrschen? Wann wird es selbstverständlich sein, dass

jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er

Yilmaz oder Krause oder anders heißt? Die Untersuchungen dazu lassen mich jedenfalls nicht

ruhen, weil hier großer Handlungsbedarf besteht und weil, vielleicht auch aus Unwissenheit,

manche Form fehlender Chancengerechtigkeit bisher hingenommen wird.

Meine Antwort auf solche Fragen lautet: Wenn wir weniger danach fragen, woher einer

kommt, als danach, wohin er will, wenn wir nicht mehr danach fragen, was uns trennt,

sondern was uns verbindet, auch die monotheistischen Weltreligionen, dann wird das

Zusammenleben in unserem Land menschlicher und zugleich erfolgreicher sein. Wenn wir

nicht mehr danach suchen, was wir einander voraushaben, sondern was wir voneinander

lernen können, dann wird Neues, Gutes entstehen, zum Beispiel aus urdeutscher Disziplin

und türkischem Dribbling, aus preußischem Pflichtgefühl und angelsächsischer Nonchalance,

aus schwäbischer Gründlichkeit und italienischer Lebensart, demnächst vielleicht aus

rheinländischer Lebenskunst und chinesischer Bildungsbegeisterung.

Deutschland wird auch dann gewinnen, wenn wir weniger danach fragen, wie alt jemand

geworden ist, sondern erkennen, wie jung viele geblieben sind. Ich jedenfalls bin immer

wieder beeindruckt von dem Elan, mit dem Seniorinnen und Senioren bei uns Verantwortung

übernehmen und Gutes bewirken, zum Beispiel als Berater für Unternehmensgründer, als

Vorlesepaten in Schulen und Kindergärten oder als verlässliche Mitglieder in

Kirchengemeinden und ungezählten Vereinen und Verbänden in Deutschland. Diese Älteren

wissen bereits, was die Jüngeren noch lernen werden: Es lohnt sich, aktiv zu sein; es macht

reich, nicht an Finanzen, sondern an Freunden, nicht an Zahlungsmitteln, sondern an

Zufriedenheit. Es gibt unserem Leben Sinn, und auf Sinn sind wir alle angelegt.

Darum ist es so wichtig, dass unser Land viele Gelegenheiten dafür bietet, Verantwortung zu

übernehmen und für andere da zu sein. In Deutschland ist die Freiheit verbürgt, Vereine und

Bürgerinitiativen zu gründen. Aber diese Freiheit ist nichts ohne das Bedürfnis so unendlich

vieler Bürgerinnen und Bürger, sie tatsächlich zu nutzen und alltäglich zu leben.

Das gilt nach meiner festen Überzeugung auch für politische Parteien und ihre

Jugendorganisationen. Sie sind allesamt hier im Hause und draußen viel besser als ihr Ruf.

Sie bieten politisch Interessierten eine Heimat und ringen um die besten Lösungen für unser

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Land. Dennoch - das beschäftigt uns - greift das Gefühl um sich, die Parteien seien

verschlossen und neigten dazu, die Herausforderungen nicht wirklich beim Namen zu

nennen, die Dimensionen zu verschweigen und die politischen Angelegenheiten ziemlich

unter sich auszumachen.

Erinnern wir uns: Die politischen Parteien wirken an der politischen Willensbildung des

Volkes mit. So will es unsere Verfassung. Wenn nun aber immer mehr politische

Entscheidungen von immer weniger in den Parteien aktiven Menschen vorbereitet und

getroffen werden, dann sollten wir weniger diese Aktiven kritisieren sie sind eher noch mehr

zu ermutigen und zu belobigen als vielmehr die anderen wieder stärker für die Aufgabe der

politischen Selbstbestimmung begeistern und sie daran beteiligen.

Das kann auf vielen Wegen und auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens geschehen: vom

kommunalpolitischen Bürgerentscheid über das Bürgerforum im Internet bis hin zum

stärkeren Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die Listen bei Wahlen. Die politische

Willensbildung unseres Volkes braucht möglichst viele unterschiedliche Bahnen, auf denen

sich neue Ideen, Argumente und Mehrheiten von der Graswurzelebene bis in die Parlamente

und Kabinettssäle verbreiten. Auch die Bürgerinnen und Bürger, die nicht in Parteien

engagiert sind, müssen leicht die Erfahrung machen können, wie spannend die Mitarbeit an

politischen Aufgaben sein kann, wie schwierig diese Aufgaben oft sind und wie befriedigend

es gerade deshalb ist, im friedlichen Wettstreit gute und faire Lösungen zu erarbeiten.

Genau das geschieht tagein, tagaus. Nehmen wir nur das Sie so beschäftigende Thema der

Finanz- und Wirtschaftskrise, die uns seit mehr als zwei Jahren in Atem hält. Seither lastet

auf der vorhergehenden und auf der jetzigen Bundesregierung eine besonders hohe

Verantwortung. Durch rasche und besonnene Entscheidungen ist es gelungen, die Folgen der

Krise besser abzufedern als in nahezu jedem anderen Industrieland dieser Erde. Überall ist

das Wirtschaftswachstum massiv eingebrochen, auch bei uns. Überall hat die Arbeitslosigkeit

massiv zugenommen, aber nicht bei uns. Darauf kann auch die Politik, sie ist nicht allein

verantwortlich, aber auch, die frühere und die jetzige Bundesregierung, stolz sein.

Es haben viele dazu beigetragen: die Tarifparteien, vorausschauende Unternehmen und

verantwortungsvolle Gewerkschaften. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, dass ich bei

Volkswagen und bei der IG Metall einiges Positive gelernt und manches auch überprüft habe;

auch als Bundespräsident darf man noch manches weiterhin überprüfen. Ich bin dankbar für

die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die

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extrem viel Verantwortungsbewusstsein, Verantwortungsgefühl und Mut gezeigt haben, diese

Krise mit uns gemeinsam, im Miteinander statt im Gegeneinander, zu bewältigen; denn das

ist Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft, auf die wir dann stolz sein können, wenn es

nicht nur um Rendite geht, sondern wenn es auch um Verantwortung geht, um Ethik und

Moral, Verantwortung für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Familien, die

Produkte, die man herstellt, die Produktionsverfahren, mit denen man sie herstellt, und für die

Stadt, in der man tätig ist, die Region, in der man produziert, und das Land, in dem man sein

Unternehmen betreiben darf, nämlich hier bei uns. Diese umfassende Verantwortlichkeit ist

das, was wir mit sozialer Marktwirtschaft verbinden. Das unterscheidet uns von der

Ellenbogengesellschaft, vom Raubtierkapitalismus und anderen Formen, die wir alle nicht

wollen.

Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sich Krisen dieser Art und dieses Ausmaßes nicht

wiederholen. Darum ist es wichtig, die Verursacher der Bankenkrise in Haftung zu nehmen

und den Finanzmärkten endlich gute Regeln zu geben. Das kann und das wird nur in

europäischer und in internationaler Zusammenarbeit gelingen. Das macht die Aufgabe

außerordentlich komplex. Deswegen bin ich geneigt zu sagen: Darum ist niemand - auch Sie

nicht - zu beneiden. Aber wer sollte es tun, wenn es nicht der Deutsche Bundestag mit der

deutschen Bundesregierung und der Hilfe des Bundesrates tut?

Das vereinte Deutschland ist mit seinen Nachbarn in Europa und den anderen Erdteilen so

eng vernetzt wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Unsere Wirtschaft agiert global, unsere

Bürger haben weltweite gesellschaftliche und kulturelle Kontakte, viele Menschen aus

anderen Ländern kommen vorübergehend oder auf Dauer zu uns. Ich sage für mich

ausdrücklich: Diese Globalisierung bietet für Deutschland großartige Chancen. 82 Millionen

Menschen mitten in Europa und angesehen in der Welt - das ist eine gute Grundlage dafür,

dass unsere Wirtschaft profitiert vom europäischen Binnenmarkt, vom Euro, von weltweiten

Absatzmärkten und vom Handel. Unsere Bürger reisen in alle Welt, und wir haben gerne die

Welt zu Gast.

Gleichzeitig stehen wir vor gigantischen globalen Problemen, die Deutschland nicht alleine

wird lösen können, wie dem Klimawandel, der Wirtschafts- und Finanzkrise, der Migration,

der Bedrohungen unserer Sicherheit durch Terrorismus und organisierte Kriminalität und

andere Fragen, und wir müssen auf ständige Änderungen im internationalen Umfeld

eingestellt sein.

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Die Bevölkerungszahl steigt in weiten Teilen der Welt an, in Europa und gerade in

Deutschland ist sie rückläufig. Es wäre auch darüber intensiver zu reden, was wir daran

ändern können. Schwellenländer wie Brasilien, China und Indien wachsen dynamisch. Viele

Länder entwickeln ihr demokratisches System, ihren Rechtsstaat und heben den

Lebensstandard ihrer Bevölkerungen, aber es gibt eben auch in weiten Teilen der Welt

Armut, Unterentwicklung, fragile Staaten, Ressourcenknappheit, Naturkatastrophen und

Krisen.

Für die Gestaltung des Globalisierungsprozesses brauchen wir einen festen Ankerpunkt, und

das kann aus meiner Sicht nur die Europäische Union sein. Sie ist ein einzigartiges Friedens-,

Werte- und Wohlstandsprojekt, mit dem die Völker unseres Kontinents eindrucksvoll die

Konsequenzen aus Jahrhunderten von Kriegen und Zerstörung gezogen haben. Wir dürfen

hier im Reichstag, in unserer Hauptstadt, niemals vergessen, welche Lehren Europa machen

musste und welche Konsequenzen es aus diesen Lehren gezogen hat. Es ist ein großes

Friedens-, Werte- und Wohlstandsprojekt. Dieses europäische Projekt sollte Deutschland

weiterhin als fairen Partner und Unterstützer erleben.

Auch wenn in der augenblicklichen Finanz- und Schuldenkrise großer Anpassungsbedarf

sichtbar wird, so steht außer Zweifel, dass wir mit dem Lissabon-Vertrag eine politische und

wirtschaftliche Integration erreicht haben, die jedenfalls uns Europäern erlaubt, kraftvoll und

gemeinsam zu handeln, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Wir

Deutsche sind offen für die Kooperation mit allen anderen Teilen der Welt auf der Grundlage

gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens. Dazu müssen wir andere Kulturen besser

kennen- und verstehen lernen. Wir müssen auch hier auf andere zugehen und den Austausch

verstärken.

Wir müssen unser Land weiter internationalisieren. Das können wir schon hier bei uns

einüben in unserer Bundesrepublik, in unserer bunten Republik Deutschland. Unsere Vielfalt

ist zwar manchmal auch anstrengend, aber sie ist letztlich Quelle der Kraft und der Ideen und

eine Möglichkeit, die Welt mit anderen Augen zu sehen und aus unterschiedlichen

Blickwinkeln kennenzulernen.

Wir sollten neugierig sein und ins Gespräch kommen. Besonders dazu will ich in den

kommenden Jahren beitragen. Wenn viele sich dafür begeistern, dann werden wir unser Land

und was in ihm steckt ganz neu entdecken. Ich bin überzeugt: Dann wird es uns auch in

Zukunft gelingen, häufig zu erleben, so fröhlich und so staunend auf das zu blicken, was

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Ihnen, was uns gemeinsam gelungen ist - ganz wie damals vor dem hier vor 15 Jahren

verhüllten Reichstag.

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Rede 21 - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff

Ich freue mich sehr, dass ich heute vor Ihnen an der renommierten Hochschule für Wirtschaft

in Moskau über die Partnerschaft unserer Länder für Modernisierung sprechen kann.

Vor fast 250 Jahren, im Sommer 1762, wurde Katharina II. Zarin des Russischen Reiches. Sie

war eine deutsche Prinzessin, geboren in Stettin. Schon ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung

begann sie, deutsche Bauern ins Land zu holen, um die großen Gebiete im Süden Russlands

beiderseits der Wolga zu besiedeln. Sie versprach ihnen Religionsfreiheit, Steuerfreiheit und

das Verfügungsrecht über ihr Land. Neben einer groß angelegten Verwaltungsreform

gründete sie Volksschulen, Gymnasien und Ingenieurfachschulen in Russland. Unter ihrer

Herrschaft kümmerte sich der Staat erstmals um die medizinische Versorgung der

Bevölkerung und die Armenfürsorge. Katharina gehört damit - neben Peter dem Großen - zu

den herausragenden Modernisierern Russlands. Dazu zähle ich auch Michail Gorbatschow,

der mit Glasnost und Perestroika für die späte Sowjetunion die Modernisierung eingeleitet hat

und uns Deutschen als wichtiger Akteur bei der Herstellung der deutschen Einheit und zu

Recht als Friedensnobelpreisträger in Erinnerung bleibt.

Heute, unter der Führung von Präsident Medwedew, hat Russland wieder die Weichen in

Richtung Modernisierung gestellt. Unterstützen Sie als junge Bürgerinnen und Bürger Ihres

Landes diesen Weg konsequent: Denn das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert schneller

Veränderungen für alle Staaten dieser Erde.

Der Prozess der Globalisierung führt zu einer immer engeren weltweiten Vernetzung,

verbunden mit ständigem Wechsel der technologischen und ökonomischen

Rahmenbedingungen. Das fordert von allen Staaten und Gesellschaften eine kontinuierliche

Anpassung an die neuen Gegebenheiten, um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen und im

Interesse ihrer Bevölkerungen Anschluss an die Entwicklungen halten zu können.

Modernisierung ist also ein Gebot für alle Staaten! Deutschland und Russland sind in

besonderer Weise betroffen. Die demografische Entwicklung in unseren beiden Ländern wird

in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung führen.

Wir müssen also mit einer schrumpfenden Bevölkerung den Anschluss an die Entwicklung

von Ländern mit jungen, dynamischen Arbeitskräften halten und gleichzeitig

Sozialleistungen für den größer werdenden Anteil älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger

erbringen. Gleichzeitig müssen wir wachsende globale Herausforderungen wie den

Klimawandel, Umweltverschmutzung, wachsende Gefahren durch den internationalen

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Terrorismus und die Bedrohung durch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

bewältigen. Keiner kann allein etwas bewirken! All dies können wir nur schaffen, wenn sich

unsere staatlichen Institutionen und Gesellschaften permanent an die neuen Gegebenheiten

anpassen, also modernisieren.

Russland ist in den vergangenen 20 Jahren bereits einen sehr weiten Weg in der

Modernisierung seines Staates und seiner Gesellschaft gegangen. Ihr Land musste die

enormen Veränderungen weg von der sozialistischen Planwirtschaft der Sowjetzeit und einen

grundlegenden politischen Umbruch bewältigen. Das war eine gewaltige Aufgabe. Viele

Wege musste Russland erstmals begehen. Wir wissen sehr gut, welche Schwierigkeiten bei

der deutschen Einheit zu überwinden waren und mit wie vielen Brüchen, aber auch Chancen

für die Menschen die Umstellung auf ganz neue politische und wirtschaftliche Gegebenheiten

verbunden sind. Deutschland und Russland können jeweils ihre spezifischen Erfahrungen

einbringen, wie Modernisierung zu gestalten ist und wie sie in dieser wichtigen

Zukunftsaufgabe erfolgreich zusammenarbeiten können.

Natürlich sind die Voraussetzungen in unseren Ländern nicht gleich: Unsere

Wirtschaftsstruktur ist nicht identisch. Russland verfügt über große Rohstoff- und

Energiereserven, Deutschland nur über beschränkte. Andererseits hat Russland mit seiner

geografischen Ausdehnung auch ganz andere Probleme zu bewältigen, was klimatische

Bedingungen und die Überwindung großer Entfernungen angeht. Wenn also auch die

Ausgangslage unterschiedlich ist, so sind unsere Ziele im Modernisierungsprozess sehr

ähnlich: Wir wollen unseren Bevölkerungen nachhaltig einen hohen Lebensstandard sichern

und für sozialen Ausgleich sorgen. Dazu brauchen wir Wachstum, das aber nicht auf Kosten

der Ausbeutung der Umwelt gehen darf. Eine Modernisierung erfordert einen umfassenden

Ansatz, denn die wirtschaftlichen, technischen, politischen und gesellschaftlichen Prozesse

sind untrennbar verbunden.

Kern jeder Modernisierung ist eine Wissensgesellschaft, die für ihre Entfaltung spezifische

Bedingungen braucht:

offene Diskussionen,

Wettstreit um die besten Lösungen,

Transparenz der Entscheidungsprozesse,

ständige Überprüfung der Rahmenbedingungen,

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gezielte Forschungsförderung und

hohen Bildungsgrad der Bevölkerung und Chancengleichheit.

Meine Position: Nur eine marktwirtschaftliche, gleichzeitig sozial abgefederte Ordnung

garantiert ausreichende Flexibilität für einen kontinuierlichen Modernisierungsprozess. Nicht

alle Ratschläge, die Russland in Sachen Marktwirtschaft gegeben wurden, waren gut.

Gleichzeitig, das hat uns die Finanzmarktkrise der letzten zwei Jahre noch einmal ganz

deutlich vor Augen geführt, bedarf es einer Regulierung aller Märkte nach grundlegenden

ordnungspolitischen Prinzipien.

Wissensgesellschaft und Marktwirtschaft brauchen die Transparenz von

Entscheidungsprozessen und permanente, unbehinderte Debatten über alle aktuellen Fragen

ebenso wie über grundlegende Freiheiten und Werte. Alle Bürger und die Unternehmen

müssen das Vertrauen und die Sicherheit haben, dass Regelungen in geordneten Verfahren

getroffen und dann auch umgesetzt werden. Rechtssicherheit ist unabdingbar für Planungs-

und Investitionsentscheidungen. Alle diese Voraussetzungen für eine erfolgreiche

Modernisierung kann, davon bin ich zutiefst überzeugt, am besten eine funktionierende

Demokratie garantieren. Eine Demokratie mit engagierten Bürgern und einer aktiven

Zivilgesellschaft, in der Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit

uneingeschränkt verwirklicht sind und in der politische Parteien ungehindert gegründet

werden und agieren können. In der jeder Bürger seine Rechte vor Gericht durchsetzen kann

und in der eine unabhängige Justiz über die Einhaltung der Rechtsordnung wacht. Und in der

eine starke Opposition und eine freie Presse Kritik äußeren, Missstände anprangern und

Alternativen aufzeigen können.

Präsident Medwedew hat deshalb völlig zu Recht die Modernisierung nicht nur der

Wirtschaft, sondern der gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zum Ziel

seiner Modernisierungsstrategie für Russland erklärt. Deutschland wird ihn auf diesem Weg

gerne mit den eigenen Erfahrungen unterstützen. Deutschland und Russland ergänzen sich

mit ihren spezifischen Fähigkeiten und haben einander längst bewiesen, dass sie für den

jeweils anderen zuverlässige Partner sind. Ich habe gestern mit Präsident Medwedew

ausführlich über diese Frage gesprochen und ihm deutsche Vorschläge für die Partnerschaft

gerade im Rechtsbereich unterbreitet. Ich bin mir sicher, dass hier großes Potential für eine

weitere Zusammenarbeit liegt.

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Seit 1996 gehört Russland dem Europarat, der ältesten europäischen Organisation, an. Seine

Prinzipien sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.

Ich weiß, dass das Wort "Demokratie" in Russland wegen der Erfahrungen der Jahre von

1990 bis 2000 vielfach auf Skepsis stößt. Demokratie ist nach meinen Erfahrungen aber nicht

Unordnung, Durcheinander und Instabilität. Demokratie lebt davon, dass im Wettstreit der

Meinungen um die beste Lösung gerungen wird.

Unsere Modernisierungspartnerschaft erstreckt sich neben dem Rechtsbereich auch auf

andere strategische Zukunftsfelder wie das Gesundheitswesen, Verkehr und Logistik,

Wissenschaft und Bildung und natürlich auch auf den Energiebereich. Ich freue mich über die

Einrichtung der Deutsch-Russischen Energieagentur.

Ein Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation würde die Rechtssicherheit unserer

Zusammenarbeit weiter erhöhen. Deshalb hat Deutschland ein hohes Interesse an diesem

Beitritt und ermuntert Russland, die Verhandlungen hierüber zielgerichtet und zügig

voranzutreiben. Gleichzeitig begrüßen wir, dass Russland in diesem Jahr auch mit der

Europäischen Union eine eigene Modernisierungspartnerschaft vereinbart hat. Der schnelle

Abschluss eines neuen grundlegenden Abkommens zwischen der Europäischen Union und

Russland, das derzeit verhandelt wird, würde eine noch breitere und umfassendere Grundlage

auch für unsere bilaterale Zusammenarbeit mit Russland schaffen. Deutschland ist politisch

und wirtschaftlich umfassend in die Europäische Union integriert. Gute Beziehungen

Russlands zur Europäischen Union und zu all ihren Mitgliedstaaten sind deshalb für uns ganz

besonders wichtig. Dies gilt auch und gerade für die Mitgliedstaaten der EU, die in enger

Nachbarschaft zu Russland liegen.

Die Modernisierungspartnerschaft zwischen Deutschland und Russland muss nicht erst

geschaffen werden, sie existiert seit langem, gerade im Bereich der zivilgesellschaftlichen

und kulturellen Kooperation: Zahlreiche Städtepartnerschaften zwischen deutschen und

russischen Städten sind bereits geschlossen worden.

Im Petersburger Dialog werden regelmäßig wichtige Fragen der zivilgesellschaftlichen

Kooperation erörtert. Der Jugendaustausch zwischen unseren Ländern hat schon zahlreiche

Jugendliche zusammengeführt. Die Jugend unserer Länder muss sich immer besser

kennenlernen, denn sie wird die Zukunft unserer Beziehungen später gestalten. Das geplante

Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Moskau, in dem alle deutschen

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Wissenschaftsorganisationen einmal unter einem Dach vertreten sein sollen, wird unsere

weitgespannte wissenschaftliche Zusammenarbeit weiter fördern.

Der Handelsaustausch zwischen Deutschland und Russland ist nach einem Rückgang

während der Wirtschafts- und Finanzkrise wieder auf einem hohen Niveau angelangt. Mehr

als 6.000 deutsche Firmen sind in Russland tätig, zahlreiche Unternehmen haben wichtige

Investitionen in Ihrem Lande getätigt, darunter viele Mittelständler. Viele dieser Investitionen

sind sehr erfolgreich, aber der weitere Abbau von noch bestehenden Investitionshemmnissen

würde sicherlich noch mehr deutsche Unternehmen ermuntern, sich in Russland zu

engagieren. Die angekündigte Gleichbehandlung russischer und ausländischer Unternehmen

ist in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiger Schritt.

Ich sehe ein weites Feld, auf dem sich deutsche Unternehmen mit ihrem spezifischen Wissen

in Russland engagieren könnten. Neben dem Energiesektor, der hier besondere Bedeutung

hat, sehe ich mögliche Bereiche intensiverer Zusammenarbeit auch in der Medizintechnik,

der Pharmazeutik, der Telekommunikation, der Umwelttechnologie und bei der Lieferung

von Investitionsgütern. Auf all diesen Gebieten gibt es bereits erfolgreich tätige

Unternehmen. Ich bin mir sicher, dass wir noch weitere gewinnen können, ihr Know-how in

den russischen Markt einzubringen. 1.000 von deutschen Unternehmen im Ausland

geschaffene Arbeitsplätze sichern 200 Arbeitsplätze bei uns in Deutschland. Umgekehrt sind

russische Unternehmen in Deutschland willkommen.

Ich selbst freue mich jetzt darauf, im Rahmen meines Staatsbesuches in Russland mit

Besuchen in Twer und Uljanowsk konkrete Projekte unserer Modernisierungspartnerschaft

besuchen zu können, darunter das Lerntechnische Zentrum der Firma Bosch und das

Dialysezentrum der Firma Fresenius Medical Care in Uljanowsk.

Sie, die Studenten der Wirtschaftshochschule in Moskau, werden einen wichtigen Teil des

Nachwuchses für die russische Wirtschaft stellen. Ich möchte Sie ermuntern, die

Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern und deutschen Unternehmen zu suchen.

Gemeinsam können wir für unsere Länder in der Zukunft viel erreichen. Der große russische

Schriftsteller Dostojewski formulierte es wie folgt: "Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel,

sondern wir schaffen sie selbst." Lassen Sie uns in diesem Sinne die Probleme anpacken und

zusammenarbeiten.

Deutschland möchte Russland auf diesem Wege als enger Freund und zuverlässiger Partner

begleiten und die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern ausbauen.

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Vielen Dank!

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Rede 22 - 19. Januar 2011 - Christian Wulff

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft wirkt seit vielen Jahrzehnten segensreich.

Er hat sich in den über 90 Jahren seiner Geschichte oft gewandelt und ist dabei immer

Avantgarde geblieben. Erhilft in vielen Bereichen, Wirtschaft und Wissenschaftzueinander zu

bringen undim Wandel zukunftsfest zu machen.Er verbessert die Rahmenbedingungen für

Wissenschaft, fördert exzellente Lehre, stärkt den Austausch zwischen Wirtschaft und

Wissenschaft und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, fördert Stiftungsaktivitäten

nach Kräften. Ich freue mich besonders über Projekte wie "Ungleich besser! Verschiedenheit

als Chance". Denn es ist eine Tatsache, dass unsere Gesellschaft heterogener geworden ist -

diese Verschiedenheit dürfen wir nicht als Hindernis sehen, sondern im Gegenteil als Quelle

für Kreativität. Das gelingt aber nur, wenn Verschiedenheit bewusst mitbedacht wird und ihre

Vorteile zur Entfaltung gebracht werden.

Der Stifterverband beobachtet mit Argusaugen die Anstrengungen der Wirtschaft für

Forschung und Entwicklung. Da gibt es im Rückblick auf die vergangenen JahreErfreuliches

zu bilanzieren. Es ist erstaunlich, wie stark die deutschen Unternehmen Kurs gehalten haben,

trotz der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten. Wir können stolz sein:

International hat "Made in Germany" oder auch "Created in Germany" hat einen sehr guten

Klang.

Klar ist,Deutschlandhat dieKrisenicht nur deshalb sogut überstanden, weil es eine solide

industrielle Basis hat, sondern auch, weil die deutsche Wirtschaft den Grundsatz beherzigt

hat, dassInvestitionen in Forschung und Entwicklung die Grundlage für

Wettbewerbsfähigkeitsind - und damit letztlich die Grundlage für unser aller Wohlstand. Wir

können diesen Wohlstand nur dann halten, wenn wir weiterhin Lust auf Zukunft haben, den

Mut zum Wandel und Offenheit für Innovationen. Und genau deshalb ist es so wichtig, den in

Teilen der Gesellschaft wachsenden Widerstand gegenüber bestimmten Innovationen ernst zu

nehmen und auch die Chancen zu sehen, die in ihm stecken.

Die Proteste gegen Großprojekte wie "Stuttgart 21", Widerstand gegen Kraftwerksneubauten

und neue Stromtrassen, gegen Brücken oder Straßen und schließlich auch grundsätzliche

Skepsis etwa gegenüber gentechnischer Forschung - das sind für mich keine Signale einer

grundsätzlichen Verweigerungshaltung. Denn dahinter stecktzum einen ein vitales Interesse

der Bürgerinnen und Bürger an ihrem, an unserem Gemeinwesen. Und zum anderen durchaus

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berechtigte Fragen nach dem Mehrwert von bestimmten Innovationen, nach dem Verhältnis

von Kosten und Nutzen und nach den zu setzenden Prioritäten. Fangen wir mit Letzterem an.

Es ist gut und wichtig, eine Debatte darüber zu führen, wie wir unsere fantastischen

wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten so nutzen, dass sie dem Wohle von

möglichst vielen dienen, und wie wir eine kluge Synthese aus Bewährtem und Neuem

schaffen.Was brauchen wir für die Gestaltung einer besseren Zukunft? Was führt in die

Sackgasse? Welche langfristigen Folgen haben bestimmte Innovationen für die Gesellschaft?

Denn es ist ja nicht zu übersehen: Ein bedeutender Teil der Forschung basiert darauf, die

Folgen von Fehlern der Vergangenheit abzumildern. Denken Sie nur an den unglaublichen

technischen Aufwand, mit dem das Bohrloch im Golf von Mexiko wieder verschlossen

werden musste oder an die Entwicklung von Techniken für die CO2-Abscheidung und -

Speicherung.

Unseren Ideenreichtum müssen wir so nutzen, dass er unseren Kindern und Enkeln einen

bewohnbaren und lebenswerten Planeten sichert. Ich bin sicher: Wir könnten so vieles besser

machen - schon jetzt.Indem wirEnergien und Ideen in einen nachhaltigen Umbau der

Industriegesellschaft stecken. Und damit zugleich unseren Platz in der Welt sichern. Denn

Deutschland ist da gut, wo die Innovationsfreude am größten sein muss: bei erneuerbaren

Energien, moderner Kraftwerkstechnik, ressourcenschonenden Produktionsverfahren und der

Entwicklung von geschlossenen Produktionskreisläufen, bei rückstandsfreier Chemie, bei

Verfahren zur Luftreinhaltung, Wasseraufbereitung und -klärung, bei umweltfreundlicher

Verkehrstechnik, bei nachhaltiger Biotechnologie.

Die mit immer mehr Nachdruck gestellten Fragen nach dem Verhältnis von Kosten und

Nutzen großer Investitionen sind urdemokratische Fragen. Es muss Raum geben, sie so zu

diskutieren, dass ein für das Gemeinwohl tragfähiger Kompromiss herauskommt.Viele

Bürgerinnen und Bürger sind wacher geworden, anspruchsvoller, informierter, und sie tun

das, was in einer Demokratie nötig ist. Sie mischen sich ein in die öffentlichen

Angelegenheiten, in die "res publica".Sie wollen nicht nur betroffen, sondern beteiligt sein -

an denEntscheidungen, die ihre Zukunft mitgestalten werden. Letztlich also genau das, was in

vielen Sonntagsreden über Demokratie verlangt wird.

Was nicht zugelassen werden darf, ist das "Sankt-Florian-Prinzip" - zwar prinzipiell für etwas

zu sein, nicht aber, wenn es mich persönlich betrifft.Und auch alles Neue per se abzulehnen

darf keine akzeptierte Haltung sein.Aber da, wo Alternativen entwickelt werden, wo

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Sachargumente ausgetauscht werden, da müssen die Proteste ernst genommen

werden.Politikerinnen und Politiker werden sich künftig im Vorfeld von großen Projekten -

nicht nur im Bereich der Infrastruktur - viel stärker als bisher um Erläuterung und öffentliche

Zustimmung bemühen müssen.

Gerade auch die Parteien sollten diese Energie, dieses Engagement aufgreifen, wenn sie als

Orte der politischen Willensbildung weiterhin glaubhaft und unverzichtbar bleiben wollen.

Dabei gibt es viele neue Möglichkeiten, viele neue Formen von Transparenz und

Öffentlichkeit, etwa via Internet.Mir persönlich liegt sehr viel daran, die Menschen wieder

stärker für die Idee der politischen Mitbestimmung und des Zusammenhalts zu begeistern.

Darum habe ich gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung und der Heinz Nixdorf Stiftung das

"Bürgerforum 2011" ins Leben gerufen, bei dem 10.000 Bürgerinnen und Bürger eigene

Ideen und Vorschläge für die Zukunft unseres Landes entwickeln, in virtuellen

Diskussionsrunden und bei Treffen überall in Deutschland.

Wenn Politik sich wieder stärker im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern entfaltet, wenn

leidenschaftlich debattiert wird - dann wird, da bin ich sehr zuversichtlich, auch die

Akzeptanz zunehmen für notwendige Sachentscheidungen und auch für die Demokratie

insgesamt. Ich bin darum sehrgespanntauf Ihr Impulsreferat, HerrLeggewie. Denn Sie sagen

ja: Die Demokratien des Westens stehen vor die Herausforderung, sich so zu modernisieren,

dass sie zukunftsfähig werden - vor dem Hintergrund von Klimawandel, schwindenden

Ressourcen, Umweltverschmutzung, Ernährungskrisen und Bevölkerungswachstum.

Fest steht: Wir sind für unsere Zukunftsgestaltung auf Innovationen angewiesen und diese

wiederum auf gute politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Darum brauchen wir Institutionen wie den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft -

meinen herzlichen Dank für Ihre Arbeit und die besten Wünsche für die Zukunft.

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Rede 23 - 12. März 2011 - Christian Wulff

Ich heiße Sie herzlich willkommen hier in der Frankenhalle in Naila und in allen 24 anderen

Hallen in Deutschland über die gesamte Republik verteilt.

Nach dem schrecklichen Erdbeben vor Japan, nach dem damit verbundenen Tsunami und

seinen Auswirkungen halte ich es für angemessen und glaube, dass ich auch einem Bedürfnis

von vielen von Ihnen entspreche, wenn wir uns zu Beginn dieser Veranstaltungen erheben;

wenn wir uns die Gelegenheit eines stillen Gedenkens geben an die vielen Getöteten, an die

unendlich vielen Hinterbliebenen der Verstorbenen, an die vielen Verletzten und die vielen

Millionen Betroffenen durch dieses Erdbeben und diesen Tsunami. Die Welt bietet unseren

japanischen Freunden jede erdenkliche Hilfe an. Wir rechnen minütlich mit positiven

Nachrichten aus Japan. Wir sind alle gespannt. Unser Mitgefühl gilt den von dieser

schrecklichen Naturkatastrophe betroffenen Menschen. Ich glaube, das bewegt uns. Und

deswegen sollten wir zu Beginn diese Minute des Schweigens einlegen.

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich zu Ehren der so vielen Betroffenen erhoben haben, und

bitte Sie, sich wieder zu setzen.

Ein anderer Anlass führt uns heute zusammen:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fichtner, Herr Landrat Hering, Herr Bürgermeister

Stumpf, sehr geehrte Damen und Herren Oberbürgermeister und Landräte in den 24 weiteren

Regionen, die uns heute live zugeschaltet sind, und vor allem aber: liebe Bürgerinnen und

Bürger!

Sie sind wahrlich mutig. Denn Sie haben sich überzeugen und der eine oder andere vielleicht

auch überreden lassen, bei diesem Experiment, bei diesem vielleicht größten Projekt

repräsentativ über das ganze Bundesgebiet hinüber Diskussionen zu führen, Entscheidungen

zu treffen, ein Bürgerprogramm zu erarbeiten und damit neue Formen bürgerschaftlichen

Engagements zu erproben und damit auch zu entwickeln.

In den letzten Wochen wurden Sie angerufen und gefragt, ob Sie bereit seien, teilzunehmen,

mitzumachen. Manche von Ihnen waren sofort begeistert und haben gesagt: Auf den Anruf

haben wir eigentlich immer schon gewartet. Viele andere, das weiß ich von denen, die

angerufen haben, waren anfangs aber auch außerordentlich skeptisch.

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Erstmal haben sie bezweifelt, ob ihr Bundespräsident wirklich hinter diesem Projekt steht.

Man hat ja schon vieles erlebt, was am Telefon so behauptet wird. Diese Sorge kann ich

Ihnen durch meine heutige Präsenz jedenfalls nehmen. Ich stehe hinter diesem Projekt, weil

es sehr zu den Themen passt, die ich mir für die noch viereinhalb Jahre als Bundespräsident

in der Amtszeit vorgenommen habe: Nämlich den Zusammenhalt der Menschen in unserem

Land zu stärken. Zwischen Einheimischen und Zugewanderten, Kinderlosen und

Kinderreichen, Alten und Jungen, Armen und leistungs- oder geldmäßig Stärkeren. Ich

möchte etwas tun für den Wandel, Mut machen für den bevorstehenden Wandel, auch vor

dem Hintergrund der Demografie, dass erfreulicherweise immer mehr Menschen immer älter

werden, dass aber unerfreulicherweise nicht mehr so viele junge Leute nachkommen. Davon

weiß hier ja auch der Landkreis Hof einiges zu berichten. Und ich möchte - als drittes großes

Thema - etwas tun für die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie, die wir errungen haben, die

wir verteidigen wollen, die aber nicht irgendwo ein Klingelzeichen ertönen lässt, wenn sie

sich verflüchtigt. Dass sie verschwindet, mit einem Mal nicht mehr da ist, das wollen wir

gemeinsam sicherlich vermeiden.

Eine andere offene Frage kann ich Ihnen nicht so einfach beantworten, nämlich die, was am

Ende dieses Projekts stehen wird. Das hängt nämlich ganz von Ihnen ab. Das ist ein

Experiment, ein Modell, neue Wege der Bürgerbeteiligung auszuprobieren. Das ist ein

Experiment mit offenem Ausgang. Sie sind dabei, das kann ich Ihnen versichern, nicht

Versuchskaninchen, sondern Sie sind die Versuchsleiter. Sie haben es in der Hand, diesen

Versuch zu einem großen Erfolg zu machen, wenn Sie zusammenhalten, wenn die

Diskussionen von der Vielfalt profitieren, die Sie mitbringen mit Ihren Erfahrungen aus

Ihrem bisherigen Engagement in Ihrer Stadt, in Ihrem Dorf, in Ihrem Landkreis. Mit Ihren

ganz unterschiedlichen Erfahrungen, mit Ihren Ideen und Ihrem ganz verschiedenem Wissen

können Sie alle zusammen zu neuen und möglicherweise auch zu besseren Ergebnissen für

die Politik beitragen.

Ab heute liegt es in Ihrer Hand, die Fragen zu präzisieren, Lösungsansätze vorzuschlagen,

gemeinsam zu diskutieren und dann auch darüber abzustimmen. Sechs Wochen haben Sie

dafür Zeit. Das ist ein sehr langer Zeitraum. Neben Ihrem Beruf, Ihrer Familie und Ihren

sonstigen Verpflichtungen wollen Sie regelmäßig mitmachen, mitdiskutieren und

mitgestalten. Dafür danke ich Ihnen. Das ist keineswegs selbstverständlich.

Ich bin aber auch der Überzeugung, dass Sie am Ende sagen werden: Gut, dass ich

mitgemacht habe. Denn ich habe Neues erfahren, es hat mir Freude gemacht, ich habe eigene

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Erkenntnisse einbringen können. Und ich bleibe sogar aktiv in Parteien oder Bürgerinitiativen

oder werde aktiv in Verbänden, Institutionen, bei freiwilligem ehrenamtlichem Engagement.

Sechs Wochen können auch sehr kurz sein. Ein Gesetzgebungsverfahren im Deutschen

Bundestag dauert meistens mehrere Monate, einzelne Stellungnahmefristen betragen

zuweilen bereits sechs Wochen. In sechs Wochen kann sich aber auch unvorstellbar viel

ereignen. Denken Sie an die Finanzkrise, wo innerhalb von Tagen Milliarden-

Rettungsschirme errichtet wurden, wo Freitags die Idee war und eine Woche später das

Gesetz verkündet im Gesetzblatt veröffentlicht war, vorher beschlossen von Bundestag und

Bundesrat. Oder wenn ich hier in Naila daran erinnern darf, dass am 1. Oktober 1989 nicht

weit von Hof entfernt die Züge aus Prag mit den Botschaftsflüchtlingen eintrafen. Und sechs

Wochen später gab es die Mauer nicht mehr, die uns so lange getrennt hatte. Es waren damals

mutige Bürgerinnen und Bürger, die gekämpft hatten für die Freiheit, die auf die Straße

gegangen waren, allen widrigen Umständen zum Trotz, und den Wandel hervorgerufen

haben. Es zeigt sich da: Die wirklichen großen Veränderungen kommen häufig von unten,

aus der Mitte der Bevölkerung. Da mussten wir nicht erst bis Nordafrika schauen, nach

Ägypten, Tunesien oder Libyen. Das ist auch in Deutschland in der Geschichte regelmäßig

der Fall gewesen. Und dass wir jetzt in Nord und Süd, aber auch in Ost und West hier in

Naila mitten in Deutschland so ein Projekt auf den Weg bringen können, das verdanken wir

dem Mut von Bürgerinnen und Bürgern.

Ich möchte Sie öffnen für den Gedanken, dass Demokratie nie statisch ist. Sie ist nicht so und

bleibt so wie sie ist, sondern sie ist in Bewegung und verändert sich. Wandel ist längst im

Gange. Das zeigen die demografische Entwicklung, die rückläufige Wahlbeteiligung und die

nachlassende Bereitschaft der Menschen, sich langfristig in Parteien oder Verbänden zu

binden. Das zeigen aber auch die steigenden Zahlen von Bürgerpetitionen an Landtage und

an den Bundestag, der steile Anstieg der seit 1989 durchgeführten Volksbegehren und die

vielfältigen Initiativen, in denen Menschen sich lokal zu verschiedenen Themen engagieren.

Das zeigt aber auch ganz aktuell die Debatte im Internet in den vergangenen zwei Wochen

über einzelne Politiker, einen Bundesminister und andere Vorgänge. Der Spiegel schrieb

jüngst eindrucksvoll über die Hektik des Politikbetriebs und die mangelnde Zeit, mit

Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Die ZEIT im Zeitmagazin dieser Woche

spricht schon davon, man müsste nicht mehr von Demokratie sprechen, sondern von

"Facebookratie", weil Facebook eine große Bewandtnis erlangt habe. Und die Süddeutsche

Zeitung titelt heute: Nicht die Zensur, sondern die Beherrschung des Internets sei die wahre

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Gefahr für die Demokratie. Die Aktualität des Wandels zeigen nicht zuletzt die aktuellen

Diskussionen um mehr Bürgerbeteiligung in Stuttgart und andernorts, aber auch das

Bürgerforum 2011, das sich in diese Reihe einzureihen versucht.

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich heute nicht mehr ausreichend in

Entscheidungsprozesse eingebunden. Und es ist interessant, dass der Präsident des Deutschen

Bundestages vorgestern selbst geschrieben hat, auch die Mitglieder des Deutschen

Bundestages fühlten sich nicht mehr angemessen in Entscheidungsprozesse eingebunden.

Offensichtlich kann man bestimmte Dinge nicht mehr auf einer Ebene abschließend

entscheiden, sondern es ist heute so komplex, so international verwoben zwischen

international, europäisch, national, landespolitisch und kommunal, dass die Dinge einfach zu

anderen Anforderungen auf manche Entscheidungsprozesse Anlass geben. Fast nichts kann

eben auf einer Ebene in Ruhe und Gelassenheit im Dialog mit Bürgern so ohne weiteres

entschieden werden. Manche Bürgerinnen und Bürger äußern vielerorts immer häufiger und

lautstärker Protest, Unmut, Unzufriedenheit. Ich glaube, die Glückseligkeit mit Politikerinnen

und Politikern war schon mal höher. Früher als man sagte, "Mensch toll, dass Sie das

machen, als Bürgermeister sich die Zeit um die Ohren zu hauen. Klasse, dass wir Sie haben",

das war eine Begeisterung, wie ich Sie noch von Klassensprechern gekannt habe. Dass man

sagte: "Den haben wir jetzt gewählt, die haben wir jetzt gewählt, jetzt müssen wir sie auch

unterstützen, weil wir sie ja gewählt haben und einen einfachen Job haben die ja nicht." Diese

Begeisterung: "Mensch toll, dass wir die haben", ist - glaube ich - ein bisschen gewichen der

Kritik, dass man gern andere hätte, sie anders hätte. Das Wort des Jahres 2010 war das Wort

"Wutbürger". Wir müssen - glaube ich - daran arbeiten, dass aus Wutbürgern Mutbürger

werden. Wir müssen den Austausch zwischen Wählern und Gewählten intensiver, offener

und frühzeitiger kommunizieren. Wir müssen neue Formen der Bürgerbeteiligung

entwickeln, um aus Betroffenen Beteiligte zu machen. So hat es Hannelore Kraft, die

derzeitige Präsidentin des Deutschen Bundesrates und nordrhein-westfälische

Ministerpräsidentin bei ihrer Antrittsrede gesagt. Das Ziel muss es sein, aus Betroffenen

Beteiligte zu machen und Mitgestalter zu finden, die sich mit anderen austauschen und

Kompromisse mittragen.

Und ich möchte auch eines als Bundespräsident ganz deutlich sagen: Bei allem, was man neu

macht, sollte man immer gucken, was man an Bewährtem sich erhält. Und wir Deutsche

haben gute Erfahrungen gemacht mit der repräsentativen, mit der parlamentarischen

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Demokratie. Sonst hätte sich unser Land in den letzten über sechs Jahrzehnten nicht so

erfreulich entwickeln können.

Wir brauchen auch künftig Menschen, die die großen Zusammenhänge des Gemeinwohls im

Auge behalten, die bereit sind, sich um Kompromisse zu bemühen, die letztlich demokratisch

legitimiert sind. Bei Volksabstimmungen unmittelbarer Demokratie ist die Akzeptanz oft sehr

hoch, weil ja keiner mehr mosern kann, weil ja jeder mitwählen konnte und jeder akzeptieren

musste, wie die Mehrheit ist. Aber auf Dauer ist die Wahlbeteiligung oft sehr gering und die

Abwägung komplizierter Dinge ist mit einer Fragestellung "ja oder nein" oft nicht richtig zu

umgreifen. Wir brauchen Bürgermeisterinnen und Landräte, Mitglieder von Gemeinderäten,

Abgeordnete im Bundestag und Landtag, die sich der Mühsal des täglichen

Entscheidungsprozesses unterwerfen und die Verantwortung tragen nicht nur für all die tollen

Dinge, die sie entschieden haben, sondern die auch daran tragen, was sie falsch entschieden

haben. Auch daran hat man nämlich zu tragen, dass man etwas falsch entschieden hat, was

man aber zum damaligen Zeitpunkt noch nicht wissen konnte. Auch das leisten ja unsere

Volksvertreterinnen und Volksvertreter.

Repräsentative Demokratie mit Parlamenten bedeutet aber nicht, dass die Bürgerinnen und

Bürger am Wahltag ihre Stimme abgeben und dann für einige Jahre ihre Teilhabe, ihre

Mitwirkung abgegeben haben. Sondern sie wollen auch zwischen Wahlterminen gefragt

werden und sie wollen einbezogen werden. Das zeigt die Diskussion im Internet in den

letzten Jahren in einer wachsenden Dynamik. Dort stellen mit einmal Zehntausende fest, dass

sie in der Lage sind, innerhalb von 48 Stunden 22000, 25000 Gleichgesinnte hinter einer

Forderung zu versammeln und für diese Forderung eine Mehrheit zu organisieren. Auch

deshalb tun wir gut daran, nach neuen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung unter

Einbeziehung des Internets zu suchen und neue Kommunikationsmittel einzubeziehen.

Beim Bürgerforum 2011 geht es darum, dass wir Ihnen als Bürgerinnen und Bürgern eine

neue Möglichkeit zur Mitgestaltung Ihrer eigenen Lebenswelt geben wollen. Denn

Demokratie lebt vom Mitmachen. Demokratie lebt von Menschen, die sich für andere

einsetzen und Verantwortung tragen.

Es geht beim Bürgerforum um Fragen des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Es geht

darum, gemeinsam voranzukommen, unser Land, unsere Stadt, unseren Landkreis, unser

Bundesland, die Bundesrepublik Deutschland in eine gute Zukunft zu entwickeln.

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Mit dem Bürgerforum 2011 möchte ich dazu beitragen, Menschen wie Sie für Politik zu

begeistern. Und ich weiß, wie schwer das ist, weil Sie alle sagen: Wird das denn auch

beachtet werden vom Bürgermeister, vom Landrat, von den Landrätinnen? Wird denn das

auch Widerhall finden? Wird denn auch meine Meinung einfließen in das, was wir dann als

Bürgerprogramm vorlegen? Aber Demokratie lebt von lebendiger Bürgerbeteiligung. Das ist

das Elixier von Demokratie. Ohne Demokraten, ohne demokratische Mitwirkende ist

Demokratie dann am Ende eine leere Hülle. Auch der Weg ist das Ziel. Und der Weg ist am

28. Mai, wenn wir ein Bürgerprogramm vorlegen, das Sie erarbeitet haben, ganz gewiss noch

nicht zu Ende.

Ich wünsche mir, dass sich viele von Ihnen in Zukunft noch stärker engagieren: als Mitglied

einer Bürgerinitiative, einer Partei oder eines Verbandes, in der Verfolgung eines einzelnen

Ansatzes aus dem Bürgerprogramm, von dem Sie besonders überzeugt sind. In der

frühkindlichen Bildung, in der Nachbarschaft, in der Integrationspolitik, insbesondere in den

Städten. Oder auch in der Gestaltung des demografischen Wandels gerade auf dem Land, wo

man Sorge hat, dass Junge wegziehen und nach Phasen der Aus- und Weiterbildung nicht

zurückkehren, sondern in Ballungsräumen verbleiben. Die Demokratie hätte bereits

gewonnen, wenn viele der Zehntausend, die heute dabei sind und jetzt mitmachen, in Zukunft

durch die gemachte Erfahrung die Debatten in den Nachrichten, in den Medien und in den

Zeitungen lebendiger und engagierter verfolgen würden und vielleicht auch ein bisschen

mehr Verständnis entwickelt haben für diejenigen, die bisher die Politik verantworten. Denn

das sage ich Ihnen auch voraus: Mancher von Ihnen wird sagen: Bisher habe ich mein

Argument als unumstößlich gesehen, aber mit einem Mal sehe ich, da gibt es noch ein paar

andere, die auch keine schlechten Argumente haben. Mancher von Ihnen wird nachts

aufwachen und sagen: Ich habe da gestern eine Meinung geäußert. Jetzt habe ich drei andere

gelesen. Vielleicht sollte ich meine korrigieren. Dann werden Sie vielleicht sogar nachts

aufstehen - das Netz ist 24 Stunden offen, sieben Tage die Woche - und werden sagen: Ich

habe da noch einmal drüber nachgedacht oder gar drüber geträumt. Ich korrigiere meine

eigene Position von gestern.

Da sind Sie im Übrigen, glaube ich, ein bisschen freier als diejenigen im parlamentarischen

Politikbetrieb, weil man da ja dann auch oft mit der eigenen Partei, der eigenen Fraktion in

Kollision gerät. Sie sind mitten aus dem Volk, mitten aus der Bevölkerung, nicht gebunden,

unterliegen keinen Zwängen, stehen nur für sich gerade, zeigen Gesicht, Ihren Namen, Ihre

Position. Das ist reizvoll an diesem großen Projekt.

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Ich danke denjenigen, die es möglich gemacht haben. Ohne die Heinz-Nixdorf-Stiftung und

die Bertelsmann-Stiftung wäre dies nicht möglich. Ich danke den Bürgermeisterinnen und

Bürgermeistern, den Landrätinnen und Landräten, die mitmachen. Die haben nämlich gesagt:

Wir nehmen das ernst, wir tragen das vor in unseren Gremien. Das war mutig. Manche

bekommen auch dafür Kritik, ich weiß das. Aber das können Sie gut durchstehen, weil das

Ziel ein hehres ist, die Demokratie in unserem Land wieder zu festigen. Und Sie haben sich

mit Ihrer Stadt und Ihrem Landkreis zur Teilnahme entschieden: hier in Hof der Landkreis

und die kreisangehörige Stadt als Sitz des Kreises. Deswegen bin ich heute hier in Naila. Sie

haben hier heute eine große Unterstützung durch die Politik der Region, des Landes und des

Bundes, wenn hier der Bundes- und der Landesinnenminister vor Ort sind. Und alle

unterstützen die heutige Veranstaltung sowie die am 14. Mai tatkräftig.

Ganz besonders danken möchte ich aber Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, dass Sie

freiwillig, unentgeltlich und uneigennützig am Bürgerforum 2011 teilnehmen. Man könnte

am Samstag den ganzen Tag über auch noch anderes machen. Das ist mir bewusst. Das

rechne ich Ihnen ganz hoch an.

Auf der anderen Seite darf ich Ihnen sagen: Es ist wissenschaftlich belegt, dass

Ehrenamtliche, die sich nicht nur um sich kümmern, sondern auch um das Allgemeine, sogar

im Durchschnitt länger leben. Nach einer US-Studie sind 21 Prozent Lebensverlängerung

möglich durch ehrenamtliches, freiwilliges Engagement. Denn dort bekommt man natürlich

auch etwas zurück. Man lernt neue Menschen kennen. Manche an Ihren Tischen, die haben

Sie noch nie wahrgenommen. Heute Abend werden Sie sagen: Mensch, an diesem Tisch habe

ich neue Menschen aus meinem Landkreis kennengelernt. Und es hat sich gelohnt, diese

Menschen am heutigen Tage kennengelernt zu haben.

Ich sage Ihnen: Unter Ihnen sind eben alle, die wir so im Lande haben, weil Sie repräsentativ

ausgewählt sind, ganz spannende, sicher auch einige ganz anstrengende. Aber ohne

Anstrengung geht ja gar nichts, kommen wir gar nicht voran. Auf den Gipfel kommt man nur,

wenn man sich müht. Und dann hat man den schönen Ausblick. Sonst bleibt man einfach nur

im Tal. Es ist vorbildliches, gelebtes, bürgerschaftliches Engagement. Und ich empfinde den

Gedanken einfach faszinierend, dass 10000 Bürgerinnen und Bürger heute an 25 Orten

versammelt sind und sich Gedanken machen um die Zukunft ihrer Region und ihres Landes.

Das Schöne ist, dass Sie sich jetzt Tag und Nacht in die Debatte einbringen können durch den

Zugang zum Netz. Das gilt sieben Tage, 24 Stunden je Tag. Und ich wünsche einen fairen

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Wettstreit, angeregte und anregende Diskussionen. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt und

freue mich, einige von Ihnen in den Foren am 28. Mai in der früheren Bundeshauptstadt

Bonn wiederzusehen, wenn wir dort die Ergebnisse des Bürgerforums aller Zehntausend

vorstellen werden.

Lassen Sie mich am Schluss eines sagen: Ich bin fest davon überzeugt, Sie werden auf das,

was Sie bis dahin geleistet haben, mit ganz großem Stolz blicken können. Sie werden das

Heft, was dann als Ihr Arbeitsergebnis entstanden ist, nicht irgendwo im Bücherschrank

abstellen, sondern sagen: An dem Projekt, an diesem Buch habe ich mitgewirkt. Und jede

von Ihnen, jeder von Ihnen hat die große Chance, an einzelnen Stellen dieses Buches

"Bürgerprogramm für Deutschland" ganz präzise nachschauen zu können, wo man sich

eingebracht und damit auch durchgesetzt hat. Und Sie sollen Freude haben, Sie sollen Spaß

haben, Sie sollen Erfüllung haben und Sie sollen sagen: Das war eine gute Sache. Denn sonst

müssen wir andere Projekte mit Ihnen machen, müssen wir wieder ganz von vorne anfangen.

Also, dieses Projekt soll schon ein Erfolg werden.

Herzlichen Dank, dass Sie mitmachen! Ich rechne Ihnen das hoch an und werde viele von

Ihnen ja auch heute kennenlernen, wenn wir gleich an den einzelnen Tischen zusammen

diskutieren.

Vielen Dank!

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Rede 24 - 18. März 2011 - Christian Wulff

Das Amt der Ministerpräsidenten, dabei schließe ich die Oberhäupter unserer Stadtstaaten

selbstverständlich ausdrücklich mit ein, ist eines der wichtigsten, die es in der deutschen

Politik gibt. Man ist Staats- und Regierungschef in einer Person. Man ist einerseits - um einen

Landeschef zu zitieren - nah bei den Menschen, spielt aber auf der Bundesebene eine

wichtige Rolle. Manchmal - als Präsident des Bundesrats - muss man sogar den

Bundespräsidenten vertreten.

Franz-Josef Strauß soll ja das Amt des bayrischen Ministerpräsidenten als das schönste der

Welt bezeichnet haben. Gelegentlich wurde diese Formulierung aber auch gerade dann

verwandt, wenn der öffentliche Druck stark war, ein anderes Amt in der Bundeshauptstadt sei

ins Visier genommen. Das Lob ist sicher eine subjektive, durch landsmannschaftliche

Verbundenheit geprägte Einschätzung. Gerade deshalb lässt es sich aber auf die anderen

Regierungschefs der Länder übertragen. Allerdings war es der derzeitige Ministerpräsident

Bayerns, der kürzlich den Termindruck der Politiker beklagte und das wird von allen geteilt,

so meine Einschätzung. Repräsentation und Regierungsverantwortung im Land gegenüber

dem Bund und in der Welt: Das bedeutet eine extreme Belastung! In der Tat ist es ja so, dass

aktive Spitzenpolitiker schon zu Beginn eines neuen Jahres 800 bis 1000 Termine mit Partei-,

Fraktions- und anderen Gremiensitzungen im Kalender haben, auf die sie kaum Einfluss

nehmen können.

Anfang des Jahres hat "Der Spiegel" auf den ungeheuren Zeitdruck hingewiesen, unter dem

Politik heute stattfindet. Handy, iPod und Internet steigern das Nachrichtentempo und führen

zur Zeitverdichtung, zur "Vergleichzeitigung". Dabei hat die Gehirnforschung

herausgefunden, dass Entscheidungen, die sorgfältiger Analyse und kreativer Lösungen

bedürfen, unter Zeitdruck häufig fehlschlagen. Nun hat das vergangene Wochenende gezeigt,

wie die Wirklichkeit schon genug für Gleichzeitigkeit sorgt: Die fortdauernde Schuldenkrise

im Eurobereich mit weitreichenden Beschlussfassungen, der Krieg Gaddafis gegen sein

eigenes Volk und die uns alle in Atem haltende Erdbebenkatastrophe in Japan. Die wichtigste

Aufgabe politischer Führung in dieser Zeit ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Nehmen

wir uns die Zeit zum Nachdenken, die wir brauchen, und handeln wir dann entschlossen.

Es ist eine besondere Leistung, wenn sich jemand in dieser schnelllebigen Zeit, unter

ständiger öffentlicher Aufmerksamkeit über rund ein Jahrzehnt in den Dienst der

Gemeinschaft, des Staates und seiner Bürger in einem solchen Spitzenamt stellt. Sie beide

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haben dies getan. Sie sind in Ihren Ländern gewählt und mehrfach wiedergewählt worden.

Sie haben Verantwortung übernommen für unzählige und die ganz wichtigen

Entscheidungen, für die richtigen ebenso wie für die, die sich im Nachhinein als weniger

geglückt darstellen. Sie haben Verantwortung getragen oder tragen sie noch für viele

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schulen, Polizei, Justiz und Verwaltung und für

Milliardenetats. Sie prägen das Bild Deutschlands in der Welt mit: durch die vielfältigen

Verbindungen, die die Länder ins Ausland pflegen, zu unseren unmittelbaren Nachbarn und

in alle Welt, nicht zuletzt im Interesse der heimischen Wirtschaft. Sie ermutigen Menschen,

belobigen sie und ehren sie, auch mit Orden und Auszeichnungen.

Lieber Herr Wowereit,

seit fast zehn Jahren sind Sie nun Regierender Bürgermeister von Berlin. Angesichts der

schwierigen Haushaltslage der Stadt und der Folgen ihrer jahrzehntelangen Teilung ist dies

wahrhaftig keine einfache Aufgabe. Die Länder müssen zur Reduzierung der

gesamtstaatlichen Verschuldung beitragen. Berlin ist in der Zeit Ihrer Regierung in seine

Aufgaben als Bundeshauptstadt hineingewachsen. Der im November 2007 abgeschlossene

Hauptstadtvertrag war hierfür ein Meilenstein. Das Zusammenwachsen von Ost und West

schreitet in Berlin für alle sichtbar voran. Die Wunden der deutschen Teilung, von fast 40

Jahren Mauer und Stacheldraht, unter denen Berlin besonders zu leiden hatte, heilen langsam,

aber sie heilen.

Reichstag, Pariser Platz und die Straße des 17. Juni sind zum Mittelpunkt des öffentlichen

Lebens in unserem Land geworden. Die neue Mitte Berlins, Prenzlauer Berg, Friedrichshain,

Potsdamer Platz haben die Stadt attraktiv gemacht. Heute schaut die Welt nicht nur auf

Berlin; alle Welt kommt nach Berlin. Wir arbeiten hier eng zusammen, um der Welt ein guter

Gastgeber in Deutschland und Berlin und ein verlässlicher Partner zu sein. Sie, Herr

Wowereit, haben an dieser Entwicklung maßgeblichen Anteil. Immer wieder waren

Widerstände zu überwinden, wenn man etwa an wichtige Infrastrukturmaßnahmen denkt.

Ohne Ihren persönlichen Einsatz, ohne Ihre Überzeugungskraft und Durchsetzungsfähigkeit

wäre manches so nicht möglich gewesen. Die Argumente habe ich nicht zu bewerten, aber

Sie ringen engagiert um den besten Weg und das ist Wesensmerkmal parlamentarischer

Demokratie. Dafür gebührt Ihnen Dank.

Ich freue mich, Ihnen heute das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des

Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verleihen zu können.

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Lieber Roland Koch,

mehr als elf Jahre waren Sie als hessischer Ministerpräsident eine der profilierten

Persönlichkeiten auf der politischen Bühne unseres Landes. Mit Ihren Vorschlägen zur

Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie zum Verhältnis von Bund und Ländern haben Sie immer

wieder wichtige Anstöße gegeben. Obwohl Hessen als wichtigster Bankenstandort und mit

seiner exportorientierten Wirtschaft besonders unter der Wirtschafts- und Finanzkrise zu

leiden hatte, gehörte es auch 2010 nach seinem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und der

Kaufkraft seiner Einwohner mit Bayern und Hamburg zur Spitzengruppe unter den deutschen

Bundesländern. Nicht nur als Finanzplatz, sondern auch mit Deutschlands größtem

Luftverkehrsdrehkreuz ist Hessen unser Tor zur Welt. Besonders erwähnen möchte ich Ihren

weltweiten Einsatz für die Menschenrechte, der in Ihrer besonderen Solidarität mit dem

tibetischen Volk und dem Dalai Lama zum Ausdruck kommt.

Sie haben einen großen Teil Ihres Lebens der Politik, unserem Land, vor allem den Bürgern

Hessens gewidmet. Sie haben nun deutlich gemacht, dass es für Sie ein Leben jenseits der

aktiven Politik gibt. Bleiben Sie aber der Politik mit Rat erhalten, denn ich sehe mit einer

gewissen Sorge auch Aderlass bei profilierten Persönlichkeiten in den vergangenen Jahren.

Ich danke Ihnen für Ihren großen Einsatz und freue mich, Sie mit dem Großkreuz des

Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen zu können.

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Rede 25 - 31. März 2011 - Christian Wulff

Dies ist der erste deutsche Bankentag nach Ausbruch der größten weltweiten systemischen

Finanzkrise. Daher sind die Erwartungen an diesen Bankentag hoch - und sicherlich auch

kritischer als an vergangene Bankentage vor fünf oder zehn Jahren. Denn die Folgen der

gravierenden Vertrauenskrise im gesamten Finanzsektor sind noch nicht ausgestanden und

werden uns weiterhin beschäftigen.

Unbestritten ist, dass die Banken und der Finanzsektor von wesentlicher Bedeutung für

unseren Wirtschaftskreislauf sind. Welch verantwortungsvolle und wichtige Position Sie als

Vertreter des Finanzsektors für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung einnehmen, ist

Ihnen und mir bewusst.

Unbestritten ist auch, dass Banken in erster Linie Dienstleister sind und die allermeisten der

fast 700.000 Beschäftigten im deutschen Bankensektor Tag für Tag verantwortungsvolle,

grundsolide Arbeit leisten. Sie dienen ihren Kunden als Berater, Treuhänder und Finanzierer.

Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass Sparer, Häuslebauer, Gewerbetreibende, Mittelständler

und Großunternehmen in Finanzfragen gut beraten sind. Mit Hilfe ihrer Hausbank machen sie

Geschäfte und schaffen nachhaltige Werte. Dies begründet den soliden und seriösen Ruf

vieler Bankhäuser. Mit ihrer Arbeit sorgen sie dafür, dass der Wirtschaftskreislauf nicht

blutleer wird, sondern rund läuft und gut funktioniert.

Die deutschen Banken blicken dabei auf eine lange Tradition. Sie haben zum Aufstieg und

Wohlstand unseres Landes maßgeblich beigetragen. Dafür gebührt ihnen Dank. Deshalb

haben sie eine außerordentlich herausgehobene Stellung in der deutschen Wirtschaft und

Gesellschaft. Mir ist wichtig, dass Sie sich dessen bewusst sind und sich Ihrer Verantwortung

stellen.

Nur aufgrund dieser fundamentalen Bedeutung des Finanzwesens für das gesamte

Wirtschaftssystem war es gerechtfertigt, mit Steuergeld die größte Bankenrettung der

Nachkriegszeit in so vielen Ländern zu initiieren. Nur deswegen konnten die politisch

Verantwortlichen rechtfertigen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in unserem und den

anderen Ländern Opfer bringen und maßgeblich an der Rettung des Finanzsystems beteiligt

werden mussten.

Führen wir uns noch einmal die Dimensionen der Rettungsmaßnahmen vor Augen:

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In Deutschland wurden 400 Milliarden Euro staatliche Garantien für die Banken und weitere

80 Milliarden Euro Beteiligungen für notleidende Finanzinstitute bereitgestellt. Für die Euro-

Länder wurde ein Rettungsschirm über insgesamt 750 Milliarden Euro aufgespannt, um

unsere Währung - den Euro - vor den Folgen der Staatsschuldenkrisen in einigen Euro-

Mitgliedstaaten zu schützen. Dazu kommen weitere 110 Milliarden Euro an Hilfen für

Griechenland.

Dies hat die Politik in schwierigste Begründungszwänge gebracht: Einerseits werden

Sportanlagen oder Bibliotheken aus Geldmangel geschlossen, andererseits wird über

Hunderte Milliarden verhandelt. Das ist für sehr viele Bürger nur schwer nachzuvollziehen.

Der Ausbruch der Finanzkrise war für alle ein Schock. Die globale Finanzwelt und die

gesamte Weltwirtschaft - wir alle haben damals in den Abgrund geblickt.

Hat dieser Schock dauerhaft nachgewirkt? Hat er dazu geführt, das Fundament unseres

Bankensystems zu stabilisieren, die Regeln dauerhaft zu justieren, das Finanzsystem zu

erneuern und wetterfest zu machen?

Ich habe noch Zweifel. Manchmal scheint mir, dass dank der staatlichen Krisenmaßnahmen

der Schreck bei vielen verflogen ist und die alten Verhaltensweisen zurückgekehrt sind. Mir

wäre sehr recht, wenn ich mich täuschen würde, aber Zweifel müssen ausgeräumt werden.

Die Finanzkrise hat die Finanz- und auch die Geldpolitik bis an die Grenze ihrer

Möglichkeiten gebracht. Machen wir uns nichts vor: Eine so umfangreiche konzertierte

Rettungsaktion ist nicht wiederholbar. Die Steuerzahler werden nicht noch einmal bereit und

in der Lage sein, einen solchen Kraftakt zu schultern.

Wir dürfen nicht vergessen: Diese Krise brach nicht aus heiterem Himmel über uns herein.

Da reichte der Ordnungsrahmen nicht aus, um die Stabilität des Finanzsystems zu

gewährleisten. Da gab es die Neigung von Menschen zur Hybris, zur Selbstüberschätzung.

Was ich auch erwähnenswert finde: Die Akteure an den Finanzmärkten sind zumeist Männer.

Es täte dem Finanzsektor gut, wenn auch in den Banken mehr Frauen in führende Positionen

kämen. Frauen wird ein anderes Risikobewusstsein zugeschrieben. Ich glaube, mehr Vielfalt

führt auch hier zu besseren, tragfähigen Ergebnissen.

Wahrscheinlich haben einige von Ihnen schon vor dem Herbst 2008 gespürt, dass die

Geschäfts- und die Bonusentwicklung im Finanzsektor zu gut ist, um dauerhaft tragfähig zu

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sein. Ein Blick aus dem Fenster hätte genügt, um sich an die schlichte Erkenntnis zu erinnern:

Bäume wachsen nicht in den Himmel!

Also frage ich mich: Wie groß ist der Lerneffekt? Ist er dauerhaft? Sind die Ursachen der

Krise beseitigt? Haben wir aus den Fehlern wirklich gelernt?

Ich möchte ganz offen sein, mein Fazit lautet: Nein - weder haben wir die Ursachen der Krise

beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt - Gefahr gebannt.

Dabei ist mir bewusst, dass sowohl auf nationaler als auch internationaler Bühne inzwischen

durchaus einiges erreicht wurde. Allen voran die Anstrengungen auf der Ebene der G20, die

Basler Beschlüsse für verbessertes Eigenkapital und Liquidität und die Reform der EU-

Finanzaufsicht. Aber nicht nur ich frage mich: Geht das weit genug? Auf nationaler Ebene

sind mit der Verabschiedung des Bankenrestrukturierungsgesetzes und der Einführung einer

Bankenabgabe wichtige Weichenstellungen erfolgt. Und gerade vor wenigen Tagen hat der

Europäische Rat eine Strategie beschlossen, um die Währungsunion aus der Krise

herauszuführen. Dies gelingt aber nur, wenn die beschlossenen strikteren Regeln und

Verfahren nun auch konsequent eingehalten werden. Nur dann sind die drückenden

Verschuldungsprobleme zu lösen.

Wir dürfen dabei nicht vergessen: Diese Schuldenkrisen wurden auch dadurch beflügelt, dass

Banken zu leichtfertig hohe Kredite vergaben. Viele schauten lange nicht so genau hin. Und

sie vertrauten darauf, dass hohe Zinsen kein hohes Risiko bedeuten, da andere die Zeche

zahlen. Auch dies hat zu der systemischen Dimension der Finanzkrise beigetragen. In einigen

Ländern ist somit die Staatsschuldenkrise zu einem wesentlichen Teil die "andere Seite

der Medaille" der Verwerfungen im Finanzsektor. Meines Erachtens kann jedenfalls in der

Zukunft überhaupt nicht strittig sein: Bei Überschuldung müssen private Gläubiger auf

Forderungen verzichten. Das ist quasi systemimmanent. Der Widerstand dagegen macht viele

misstrauisch. Die Probleme in allen Mitgliedstaaten der Währungsunion müssen auch an

ihren Wurzeln angepackt werden. Dies gilt insbesondere für den Bankensektor, wo wir bei

der Restrukturierung, in Deutschland gerade der Landesbanken, zügiger und umfassender

vorankommen müssen. Die Eigentümer müssen sich ihrer Verantwortung stärker stellen,

auch was nachhaltige Geschäftsmodelle anbelangt.

Trotz der mittlerweile erreichten Fortschritte bleibe ich bei der These - der ersten von drei

Thesen, die ich Ihnen heute mit auf den Weg geben möchte: Es ist bislang lediglich gelungen,

die Finanzkrise einzudämmen und den Bankensektor zu stabilisieren. Die Gründe aber für die

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Schieflagen, die Gründe für die wirtschaftlichen und finanziellen Fehlentwicklungen und für

die Krise sind noch nicht beseitigt, teilweise wurde nur Zeit gekauft. Ich befürchte: Ohne

einen grundlegenden Kurswechsel drohen neue Finanzkrisen.

Sicher, die Ursachen sind vielfältig. Die globale systemische Krise ist gewissermaßen das

Ergebnis eines "multiplen Versagens". Dies darf aber nicht dazu führen, darin eine

Entschuldigung für individuelles Fehlverhalten zu suchen. Wenn gegen Recht verstoßen

worden ist, muss dies geahndet werden. Gleichwohl ist es müßig, heute mit dem Finger auf

einzelne Bankinstitute oder Banksparten zu zeigen. Vieles wurde an vielen Stellen falsch

gemacht. Dies betrifft auch solche Banken, die vermeintlich gut durch die Finanzkrise

gekommen sind, aber natürlich Nutznießer der staatlichen Rettungsschirme waren und bis

heute sind. Aber es betrifft auch die Aufsichtsbehörden und die Notenbanken und auch die

Politik.

Viele der tiefgreifenden Veränderungen im Finanzsektor haben auch mit der rasanten

Entwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologie zu tun. Dadurch sind

viele Innovationen möglich geworden, die Vorteile für die Kunden gebracht haben. Zum

Beispiel im bargeldlosen Zahlungsverkehr oder im Online-Banking und im

Wertpapierhandel. Aber es gibt sicherlich auch andere Finanzinnovationen, deren Sinn und

Zweck unklar bleiben. Hier sehe ich eine besondere Aufgabe der Banken, den Kunden, aber

auch den Aufsichtsbehörden die teils äußerst komplex strukturierten Produkte klar und

verständlich zu erläutern.

Dabei geht es auch um Anlageprodukte, um Wertpapiere, die oft sehr riskante Finanzwetten

beinhalten und die bei näherem Hinsehen hohe Gebühren für den Kunden zur Folge haben.

Viele Anleger können die komplexe Struktur dieser Produkte nicht nachvollziehen -

wenngleich viele allzu häufig leichtfertig auf scheinbar hohe Renditen zielen. Handelt es sich

hierbei noch um solide Anlageprodukte? Schon über eine halbe Million

Wertpapierzertifikate, die an Indizes gekoppelt sind, die oft aber auch spekulative

Turboeffekte oder Bonuselemente enthalten, sind in Deutschland von Banken aufgelegt

worden. Ich frage mich: Ist diese Entwicklung wirklich gesund oder wiederholen wir hier

nicht die Fehler der Vergangenheit? Wer Finanzprodukte verkauft, muss sie verstehen, und

wer sie kauft, sollte sie ebenfalls verstehen. Sonst sollten beide Seiten die Finger davon

lassen.

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Jüngsten Berichten zu Folge entfallen schon fast 40 Prozent der Börsenumsätze in

Deutschland auf den so genannten Hochfrequenz-Handel. Einige Experten weisen darauf hin,

dass dieser Handel in Bruchteilen von Sekunden der Marktliquidität helfe und die

Handelskosten senke. Dies mag sein. Aber wäre nicht auch zu überlegen, ob nicht eine

"Entschleunigung" zu besseren Resultaten führen würde? Zu überlegten Entscheidungen an

den Finanzmärkten? Zu einem behutsameren Vorgehen bei der Geldanlage und im

Wertpapierhandel? Sonst könnten wir es mit zunehmendem Hochfrequenz-Handel auch mit

zunehmenden Hochfrequenz-Entscheidungen an den Finanzmärkten zu tun haben. Ist das

wirklich wünschenswert? Ich denke, hierüber sollte und muss noch viel kritischer reflektiert

werden als dies bislang getan worden ist, vor allem, wenn man die Volumina anschaut.

Daher sage ich an dieser Stelle: Es war ein Fehler, den Kapitalverkehr und die Kapitalmärkte

global zu deregulieren und zu liberalisieren, ohne zuvor einen funktionierenden globalen

Ordnungsrahmen geschaffen zu haben. Ein Ordnungsrahmen, der erlaubt, was ökonomisch

und finanzpolitisch gewollt ist und der drastisch ahndet, was unerwünscht und schädlich ist.

Ein globaler Finanzmarkt braucht eine feste Ordnung mit klaren Regeln und fairen

Wettbewerbsbedingungen. Damit stünde man in einer guten ordnungspolitischen Tradition.

Wenn wir freien Kapitalverkehr und freie Kapitalmärkte bewahren wollen - und das steht am

Ende auf dem Spiel - dann müssen wir diese Versäumnisse jetzt nachholen.

Eine wichtige Spielregel unserer Marktwirtschaft ist nun einmal: Unternehmen tragen das

Investitionsrisiko. Wer Gewinne macht, kann auch Verluste erleiden. Die Haftung muss beim

Unternehmen bleiben. Dazu gehört auch, dass Unternehmen scheitern können. Dieses

Grundprinzip dürfen wir nicht aushebeln, auch nicht im Bereich der Finanzwirtschaft und der

Banken. Deshalb stimmt es mich nachdenklich, wenn nun der Internationale Währungsfonds

davor warnt, dass die systemischen Risiken im Finanzsystem größer geworden sind. Es darf

nicht sein, dass wir am Ende durch Rettungs- und Stützungsmaßnahmen die Fehlanreize für

den Finanzsektor weiter erhöhen. Wir brauchen aus diesem Grund dringend eine

überzeugende Antwort auf die Frage, wie mit komplexen systemisch relevanten Banken auf

internationaler Ebene umgegangen werden soll.

Und dies bringt mich zu meiner zweiten These: Eine weitere Krise dieser Dimension können

wir uns nicht mehr leisten. Das wäre dann nicht mehr nur eine Krise unseres Finanz- und

Wirtschaftssystems, sondern eine Krise unserer Demokratie, die letztlich die Akzeptanz

unseres Wirtschaftssystems unterminieren würde. Daher fordere ich die Finanzwirtschaft auf,

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aktiv mitzuarbeiten, dass wir zu klaren Regeln kommen, um die Stabilität des Bankensektors

und der Finanzmärkte zu gewährleisten.

Dies ist notwendig, damit die Politik nicht wieder unter Zugzwang gerät. Die Leitplanken für

das Finanzsystem müssen wieder von der Politik gesetzt werden. Es bleibt keine andere

Wahl: Die Rahmenbedingungen sind zu verschärfen, damit das Finanzsystem

widerstandsfähiger wird und Krisen weniger wahrscheinlich werden. Dieses notwendige

Mehr an Sicherheit und Stabilität hat seinen Preis, ist aber unverzichtbar.

Ich muss auch die Banken für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in die Verantwortung

nehmen. Und natürlich gehört an diese Stelle auch die Frage der Angemessenheit der

Vergütung. Solange die Bankvorstände nicht angestellt waren, sondern mit ihrem

Privatvermögen hafteten, stand diese Frage nicht im Vordergrund. Aber heute müssen wir

diese Diskussion führen.

Natürlich benötigt der Beruf des Bankers ein hohes Maß an Expertise und eine Ausbildung,

die vielfach anspruchsvoll ist. Dies trifft, meine Damen und Herren, aber auch auf andere

Berufe zu. Auch andere Berufe benötigen vielfach eine umfassende Ausbildung, Ausdauer

und ein hohes Maß an Hingabe. Mir und vielen anderen fällt es deshalb schwer zu verstehen,

warum es in der Finanzwirtschaft möglich ist, so hohe Vergütungen zu erzielen, ohne

entsprechend an den Risiken beteiligt zu sein. Schließlich spielen auch viele andere Berufe

für unsere Gesellschaft eine ganz wichtige Rolle. Ob beispielsweise Lehrerin oder Pfleger im

Altenheim, denen Tag für Tag viele Menschen anvertraut sind, oder Architektin und

Ingenieur, die innovative Bauten entwerfen und für Brücken und Infrastruktur Verantwortung

tragen. Aktuell kämpfen Hebammen um die Zukunft ihres ganzen Berufstandes, weil hohe

Haftpflichtversicherungsbeiträge ihre geringen Einkommen aufzehren.

Daher ist die Frage nach der Höhe und nach der Struktur der Vergütung bei den Banken nicht

allein eine funktionale Frage - und schon gar keine des Neides. Es geht auch um die Anreize,

die richtig gesetzt werden müssen, damit nicht kurzfristig orientiertes Handeln an den

Wertpapiermärkten bestimmend ist, damit nicht Entscheidungen nur auf das Ergebnis des

laufenden Geschäftsjahres oder vielleicht des kommenden ausgerichtet sind. Es geht aber

auch darum, klar zu sagen, dass es in einer globalisierteren Wirtschaftsordnung nicht sein

kann, dass es Gruppen in unserer Gesellschaft gibt, die den Eindruck vermitteln, in

abgehobenen Parallelwelten zu leben. Und die ihre Ansprüche aus einer vermeintlich hohen

Wertschöpfung ableiten, die am Ende keine ist und der gesamten Volkswirtschaft schadet.

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Wer zur Elite eines Landes gehören will, muss auch Vorbildfunktion und Verantwortung

übernehmen - ohne Wenn und Aber.

Aus all dem folgt meine dritte These, die eine Aufforderung an Sie ist. Ich sehe die Banken in

einer besonderen Verantwortung, Vertrauen zurückzugewinnen. Banken müssen im

Eigeninteresse zeigen, dass sie den notwendigen Wertewandel leben. Im Eigeninteresse, weil

das eigentliche Kapital der Banken Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind. Die Banken und

ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Dienstleister und handeln nicht aus Selbstzweck.

In unserer Gesellschaft besteht seit langem Konsens, dass keine geschäftlichen Vorteile durch

Ausnutzung von Unerfahrenheit oder Mangel an Urteilsvermögen eines Vertragspartners

erlangt werden dürfen, und dass sich auch niemand durch ein auffälliges Missverhältnis von

Leistung zu Gegenleistung Vorteile verschafft. Diese Maßgabe stellt Schranken auf, die auch

und gerade im vernetzten globalisierten Bankgeschäft auf den internationalen Finanzmärkten

gelten müssen.

Bankmanager sollten in erster Linie hilfreich sein, um die wirtschaftlichen Interessen der

Kunden zu nachhaltigen Erfolgen zu bringen. Bankmanagerinnen übrigens auch. Es ist

immer eine Stärke der deutschen Banken gewesen, vor Ort präsent zu sein und den Kunden

persönlich zu kennen und ihn zu schätzen. Daraus sind langfristige, tragfähige

Geschäftsbeziehungen und intakte Vertrauensverhältnisse entstanden. Das hat in der

Finanzkrise auch stabilisierend gewirkt.

Im Bankgewerbe pflegt man eine nüchtern kaufmännische Sprache. Sie wissen, meine

Damen und Herren, was es heißt, wenn Sicherheiten zu hinterlegen und Forderungen fällig zu

stellen sind. Sie wissen, dass Sie der Gesellschaft, die sich zur Sicherung der Banken

verbürgt hat, etwas zurückgeben müssen.

Uns muss allen klar sein: Wir stehen in einem immer intensiveren globalen Wettbewerb.

Wenn wir hier nicht ins Hintertreffen geraten wollen, dann brauchen wir leistungsfähige

Strukturen und müssen die Schieflagen im Finanzsektor so schnell wie möglich beheben.

Deutschland stellt an sich den Anspruch, als wirtschaftsstarke Nation Führungsqualitäten zu

zeigen. Unsere Stärken beruhen auf Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und einer hohen

Kreditwürdigkeit. Vertrauen ist die Grundlage unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft.

Dann muss Deutschland auch in Europa und auf globaler Ebene bereit sein voranzugehen, um

ein intelligentes und nachhaltiges Wirtschaften zu erreichen. Wir dürfen uns nicht hinter

anderen verstecken. Wer etwas bewegen möchte, muss sich auch selbst bewegen.

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Um den Blick klar nach vorne zu richten, müssen wir uns bewusst machen, dass Maß und

Vernunft unsere Prämissen sind. Maßhalten ist eine Primärtugend. Für den Banken- und

Finanzsektor heißt dies: Die Zeit unverhältnismäßiger Gewinne und schneller Profite ist

vorbei und darf so nicht zurückkommen. Nicht für die Banken, die sich mit geringeren

Renditen und höheren Sicherheitsvorschriften zurechtfinden müssen. Und nicht für die Sparer

und Anleger, die geblendet vom Höhenrausch an den Börsen leichtfertig auf schnelle

Gewinne setzten. Und nicht für die Politik, die national und global Handlungsspielräume

zurückgewinnen muss, indem sie endlich die Regeln einhält und die öffentlichen Haushalte in

Ordnung bringt und auch dem Finanzsektor klare Regeln setzt. Das alles mag für den

heutigen Anlass sehr nüchtern klingen, es wäre aber eine tragfähige Richtung. Und darauf

kommt es an.

In fünf Jahren sollten gelassenere Töne zu hören sein. Es muss bis dahin ins Lot gebracht

werden, was aus den Fugen geraten ist.

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Rede 26 - 7. April 2011 - Christian Wulff

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue. Ich freue mich sehr, dass ich Sie, Majestät, und

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 6. Deutsch-Spanischen Forums begrüßen darf.

Spanien und Deutschland verbindet eine tief empfundene Freundschaft. Diese Nähe speist

sich nicht zuletzt aus persönlichen Erlebnissen: Über 100.000 Spanier leben in Deutschland

und noch deutlich mehr Deutsche haben sich dauerhaft in Spanien niedergelassen. Hinzu

kommen jedes Jahr rund neun Millionen deutsche Touristen in Spanien und immer mehr

spanische Touristen in unserem Land. Gerade Berlin ist inzwischen eines der populärsten

Ziele: Wer hätte gedacht, dass einmal so viele junge Spanier zum Feiern nach Deutschland

kommen würden? Aber sie kommen natürlich nicht immer nur zum Feiern, sondern auch zum

Arbeiten, zum Beispiel im Deutsch-Spanischen Forum.

Das Deutsch-Spanische Forum nimmt in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern

einen wichtigen Platz ein. Ihnen, Majestät, gebührt dafür Dank, denn Sie haben das Forum

von Anfang an nach Kräften unterstützt. Ich danke auch den beiden Präsidenten, Herrn

Bernardo Cremades und Herrn Gerd Schulte-Hillen, ebenso wie den Veranstaltern, für Ihren

großen Einsatz.

Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass sich beim Deutsch-Spanischen Forum in besonderer

Weise zeigt, was der enge Dialog unserer Gesellschaften bewirken kann. Die strategischen

Themen, die Sie in diesen Tagen diskutieren, zeigen: Ihre Reflexionen helfen uns,

längerfristige europäische und globale Probleme gemeinsam zu bewältigen. Das Forum zeigt,

dass das Bewusstsein für die europa- oder gar weltweite Dimension vieler Fragen in unseren

beiden Ländern stark ist. Spanier und Deutsche fühlen sich für die Zukunft Europas und der

Welt politisch verantwortlich.

Das ist bedeutend in einer Zeit rasanter Veränderungen und schwelender Konflikte. Die Rufe

nach Freiheit und Teilhabe, vor allem in der arabischen Welt, sollten wir politisch und

wirtschaftlich nachhaltig unterstützen. Die Rufe in diesem "Frühling der Erhebung" erinnern

uns auch an unsere eigene Geschichte: Mutige Bürger, in Spanien wie in Deutschland, haben

in Schlüsselmomenten um ihre Rechte gekämpft und eine neue, freiheitliche Richtung für ihr

Land eingefordert. Dabei konnten sich unsere Länder aufeinander verlassen.

Deutschland hat Spaniens Rückkehr zur Demokratie unterstützt und sich dann stark für die

spanische EU-Mitgliedschaft eingesetzt. Der spanische Beitritt jährt sich in diesem Jahr zum

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25. Mal. Er ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Europäischen Union. Spanien hat den

Deutschen in ihrem Wunsch nach Wiedervereinigung bereits mit dem Mauerfall

uneingeschränkt zur Seite gestanden. Wir Deutschen werden das nicht vergessen.

Unsere beiden Länder teilen die Überzeugung, dass das Projekt Europa elementare

Antworten auf die Globalisierung gibt. Spanien hat 2010 die schwierige erste EU-

Ratspräsidentschaft nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hervorragend gemeistert. Es

hat die neuen Institutionen nach Kräften unterstützt.

Deutsche und Spanier wurden von der Finanz- und Wirtschaftskrise getroffen. In Spanien

kam aber noch das Platzen einer Spekulationsblase im Immobiliensektor hinzu. Bei der

Überwindung dieser Krise kann Spanien auf unsere Solidarität als Europäer zählen. Zugleich

sind wir uns einig, dass Solidarität damit beginnt, sich seiner Verantwortung als Mitgliedstaat

zu stellen. Die spanischen Bemühungen, den Haushalt zu konsolidieren und den

Bankensektor zu stärken, finden unsere Anerkennung und Unterstützung. Auch Deutschland

muss sich anstrengen, um bei der Restrukturierung des Bankensektors zügiger und

umfassender voranzukommen. Daneben haben die Banken selbst eine besondere

Verantwortung, Vertrauen zurückzugewinnen: Auch sie müssen zum Zusammenhalt unserer

Gesellschaften beitragen.

Wir alle haben ein Interesse an einem nachhaltig wettbewerbsfähigen Europa. Dazu müssen

wir eine tragfähige Europäische Stabilitätskultur entwickeln und uns wirtschafts- und

finanzpolitisch abstimmen. Wer dauerhaft vorne sein will, muss sich wandeln: unsere

gemeinsam definierten Ziele für Wissenschaft und Forschung, Klimaschutz und

Energiesicherheit sind richtig, wir müssen sie aber auch wirksam umsetzen.

Neue, dynamische Akteure wollen die Entwicklung der Welt mit gestalten und effiziente,

umweltschonende Technologien machen rasante Fortschritte. Das sollte uns Ansporn sein,

innovativ zu bleiben: Nur mit Mut zum Wandel und mit Lust auf Neues bleiben wir Europäer

eine wirtschaftsstarke, verantwortlich handelnde Gemeinschaft, die sich auch in der Welt von

morgen noch wohlfühlt. Nutzen wir diese Zeit des Umbruchs, um das europäische Projekt zu

erneuern!

Majestät, vor acht Wochen haben wir uns anlässlich meines Antrittsbesuchs in Ihrem

wunderschönen Land getroffen. Ich freue mich sehr, dass es mir heute möglich ist, Ihre

Gastfreundschaft zu erwidern. Gemeinsam werden wir auch für die in wenigen Tagen in

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Madrid beginnende Reihe "Raum der deutsch-spanischen Begegnung" die Schirmherrschaft

übernehmen.

Sie haben vor wenigen Monaten Ihr 35-jähriges Thronjubiläum gefeiert. In dieser Zeit

leiteten Sie in Spanien den friedlichen Wandel zur Demokratie ein und ermöglichten die

Ausarbeitung der Verfassung. Kürzlich jährte sich zum 30. Mal der Putschversuch, den Sie

mit entschlossenem Handeln zum Scheitern brachten. Dafür gilt Ihnen unser großer Respekt.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nun, mit mir das Glas zu erheben: Auf die Gesundheit

Seiner Majestät, auf das 6. Deutsch-Spanische Forum und auf die Freundschaft zwischen

unseren Völkern in einem zusammenwachsenden, wirtschaftlich erfolgreichen Europa!

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Rede 27 - 12. Mai 2011 - Christian Wulff

"Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene

Weise unglücklich." Dieser berühmte Eingangssatz aus Leo Tolstois Roman "Anna

Karenina" gilt nicht nur für Familien, sondern auch für Familienunternehmen.

Viele Dinge müssen zusammenkommen, damit eine Familie glücklich ist - und ein

Familienunternehmen erfolgreich. Ganz anders auf den Punkt gebracht hat dieses so genannte

"Anna-Karenina-Prinzip" Peter May, Autor des neuen Governance-Kodex für

Familienunternehmen: "Familienunternehmen sind dann erfolgreich, wenn sie so agieren, wie

erfolgreiche Familienunternehmen agieren sollten."

Sie alle kennen diese Erfolgsfaktoren am besten. Sie sind hier sicher schon oft genannt und

zu Recht gewürdigt worden, ich will sie darum nur kurz anreißen: Loyalität gegenüber den

Kunden und hohes Verantwortungsgefühl für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

Verlässlichkeit in der Unternehmensleitung und mutige, auf langfristigen Erfolg angelegte

Unternehmensstrategien, oft auch eine große Bodenständigkeit und ein hohes Augenmaß.

Es sind letztlich die Werte des ehrbaren Kaufmannes. Bisweilen als antiquiert belächelt, hat

dieses Leitbild in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Management-Exzessen stark an

Attraktivität gewonnen. Es lenkt den Blick darauf, dass hinter jedem Unternehmen, sei es

groß oder klein, Menschen stehen, die so oder auch anders agieren können, und die nicht

isoliert von der Gesellschaft existieren, in der sie wirtschaften.

Es geht eben nicht nur um Gewinnmaximierung, sondern Erfolg in der sozialen

Marktwirtschaft folgt auch aus der umfassenden Verantwortung für die Mitarbeiter und deren

Familien, für das kommunale Umfeld, für die Produkte und die Produktionsverfahren sowie

für den Standort.

Das Leitbild des ehrbaren Kaufmannes ruft in Erinnerung, dass Risiko und Haftung Hand in

Hand gehen müssen, dass nicht Gewinne privatisiert, Verluste aber sozialisiert werden

dürfen. Und es macht bewusst, dass Vertrauen unverzichtbares Kapital für nachhaltigen

Erfolg ist.

All das wussten auch die Gründerväter unserer Sozialen Marktwirtschaft. Bisweilen ist dieses

Wissen verloren gegangen. Durchaus auch, aber lange nicht so stark bei - weniger

glücklichen - Unternehmen in Familienhand. Und deshalb sind die glücklichen, nicht zuletzt

dank ihrer Werte erfolgreichen Familienunternehmen so wichtig - für unsere Wirtschaft, für

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den gesellschaftlichen Zusammenhalt und als Botschafter der sozialen Marktwirtschaft in

aller Welt.

Die Familienunternehmen sind auch bekannt dafür, dass sie stets mit Skepsis reagieren, wenn

diese Grundsätze verletzt werden. Dies ist meines Erachtens ein ganz zentraler Beitrag der

Familienunternehmen für unsere gesellschaftliche Debatte.

Beeindruckende 90 Prozent der größten deutschen Familienunternehmen sind im Ausland

tätig, vertreiben oder produzieren ihre Produkte jenseits der Landesgrenzen. Wie erfolgreich,

davon konnte ich mich gerade bei meiner Lateinamerika-Reise überzeugen - etwa in

Brasilien.

Sehr geehrter Botschafter Vargas, ich freue mich sehr, Sie heute wieder zu sehen. Ich bin

beeindruckt von der wirtschaftlichen Dynamik in Ihrem Land. Die Erfolge unserer deutschen

Unternehmen dort, meine ich, beruhen nicht nur auf ihrer herausragenden Leistungs- und

Innovationsfähigkeit, sondern eben auch auf den Werten, die sie leben.

Sehr geehrter Herr Dr. Adenauer, Sie haben immer, über Ihr eigenes Unternehmen hinaus,

gesellschaftliche Verantwortung übernommen - auch das ist ein typisches Merkmal vieler

Familienunternehmer. Als Präsident der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer

(ASU) haben Sie seit 2005 den Interessen der Familienunternehmer Gehör verschafft. Dabei

haben Sie auch immer wieder an ordnungspolitische Prinzipien erinnert, gerade im

Zusammenhang mit der Schuldenkrise im Euroraum. Darüber hinaus haben Sie auch noch die

Zeit gefunden, sich in Ihrer Heimatstadt Köln umfangreich ehrenamtlich zu engagieren: zum

Beispiel im Heimatmuseum, für die Oper oder für die städtischen Grünflächen. Für dieses

Engagement möchte ich Ihnen danken. Ich wünsche Ihnen für Ihre sicherlich weiterhin

zahlreichen Vorhaben viel Erfolg.

Sehr geehrter Herr Goebel, Ihnen möchte ich sehr herzlich zur Wahl als neuer Präsident der

ASU gratulieren. Ich wünsche Ihnen Freude, Tatkraft und viel Erfolg für die vor Ihnen

liegenden Aufgaben und bin mir sicher: Das verantwortliche Unternehmertum wird mit Ihnen

auch in Zukunft eine starke Stimme haben.

Diese Stimme werden wir brauchen. Die Nachrichten sind zwar zurzeit überwiegend gut. Die

deutsche Wirtschaft hat sich bemerkenswert schnell von der schwersten Rezession seit

Bestehen der Bundesrepublik erholt - ganz gewiss auch dank eines starken, flexiblen und

weitsichtigen Mittelstands, zu dem viele unserer Familienunternehmen gehören.

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Viele dieser Unternehmen haben trotz Umsatzeinbrüchen ihre Forschungs- und

Entwicklungsprojekte konsequent weitergeführt und an ihren Mitarbeitern festgehalten oder

sogar neue Stellen geschaffen. Loyalität, Weitblick und Unabhängigkeit haben sich also auch

in der aktuellen Krise deutlich gezeigt und bewährt. Gerade deshalb aber müssen die

Bedingungen für ein erfolgreiches Familienunternehmertum weiterhin gestärkt werden. Dazu

gehört auch, den Gründernachwuchs zu sichern.

Wir brauchen junge Menschen, die den Mut, das Selbstbewusstsein und die Fähigkeiten

haben, sich unternehmerisch selbstständig zu machen. Unternehmer oder Unternehmerin zu

werden, das muss attraktiv sein. Leider stellen wir immer noch fest, dass gerade bei jungen

Menschen zwischen 18 und 24 ein zu geringes Interesse daran besteht, ein Unternehmen zu

gründen. Am gesellschaftlichen Ansehen liegt es nicht. Geben die meisten doch an, hohen

Respekt vor erfolgreichen Unternehmensgründern zu haben. Was aber Angst macht, ist das

Risiko, ist die Gefahr des Scheiterns.

Denn anders als beispielsweise in den angelsächsischen Ländern werden hierzulande im Fall

eines Scheiterns nicht in erster Linie der Mut und das Engagement gewürdigt. Bei uns wird

vor allem gemäkelt und der Makel des Scheiterns ist im späteren Berufsleben nur schwer

wieder loszuwerden. Das muss sich ändern, wenn wir mehr Gründungsbegeisterung in

Deutschland wollen. Dazu gehört, dass wir denjenigen, die mit Umsicht unternehmerisches

Risiko übernommen haben und gescheitert sind, dann auch eine zweite Chance geben.

Der Erfolg deutscher Unternehmen ist eng mit technischen Innovationen verbunden. Für die

deutsche Technikgeschichte ist heute ein wichtiger Tag - denn heute vor 70 Jahren, am 12.

Mai 1941, stellte der Berliner Erfinder Konrad Zuse den ersten funktionsfähigen

programmierbaren Computer der Welt vor. Zuse steht für viele Tugenden: für Erfindergeist,

für eine Beharrlichkeit, die den widrigen Umständen trotzt, für harte Arbeit und für

Teamgeist. Weggefährten berichten häufig von der Begeisterungsfähigkeit Zuses, mit der es

ihm gelang, immer wieder Unterstützung für sein "waghalsiges" Projekt zu gewinnen. Auch

heute brauchen wir die Kraft zur Vision und den unternehmerischen Enthusiasmus eines

Konrad Zuse, um die vor uns liegenden Aufgaben zu lösen.

Ich meine, wir können vieles noch tun, um in der Schule und in der Ausbildung solche

Qualitäten zu fördern. Vielen fehlen attraktive Vorbilder in der direkten persönlichen

Umgebung, aber auch das notwendige theoretische Wissen. Saint-Exupéry hat gesagt: "Wer

ein Schiff bauen will, muss die Sehnsucht nach dem Meer wecken. Wecken wir also die Lust

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darauf, im wahrsten Sinne des Wortes etwas zu unternehmen und damit die Welt von morgen

mitzugestalten."

Ich begrüße es daher sehr, dass die Jugendorganisation der ASU, die "Jungen Unternehmer",

schon seit über dreißig Jahren das Projekt "Schüler im Chefsessel" fördert. Aber eine Bitte:

Vergessen Sie mir die Schülerinnen nicht! Schließlich wird inzwischen mehr als jedes dritte

Unternehmen von einer Frau gegründet - die Chefinnen-Sessel werden also immer wichtiger.

Von diesen Gründerinnen kommt übrigens inzwischen schon fast jede Sechste aus einer

Zuwanderer-Familie und der Frauenanteil bei den Gründungen mit Migrationshintergrund ist

in den letzten zehn Jahren um 88 Prozent gestiegen. Das sind Wachstumsraten, von denen die

meisten Unternehmen nur träumen können.

Und noch etwas: Assoziieren wir nicht "Unternehmensgründung" und "junge Leute". In einer

alternden Gesellschaft werden die älteren Gründerinnen und Gründer immer wichtiger. Die

Jungen mögen schneller laufen können - die Älteren aber kennen die Abkürzungen! Sie

haben Selbstvertrauen, eine realistische Risikoeinschätzung und oft auch Erfahrungen damit,

Verantwortung zu tragen. Ganz zu schweigen von den Kenntnissen eines langjährigen

Berufslebens und den vielfältigen Kontakten zu potenziellen Kunden. Auch sie brauchen

gezielte Unterstützung, Beratung und faire Kredite.

Das Gründungsklima eines Landes hängt aber natürlich nicht alleine von sozialen und

kulturellen Einstellungen ab. Wichtig sind auch die ökonomischen und

politischen Rahmenbedingungen. Hier kann Deutschland viel bieten. Wir haben eine gut

ausgebaute Infrastruktur, Rechtssicherheit, einen hohen Schutz von geistigem Eigentum, um

nur einige Beispiele zu nennen.

Zu unseren wichtigsten Standortfaktoren gehören seit jeher die Glaubwürdigkeit,

Beständigkeit und Gültigkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen im privaten wie im

öffentlichen Bereich. Diese Verlässlichkeit ist ein hohes Gut. Sie spart Unternehmen und

Bürgern viel Geld, das sie ansonsten in die Absicherung von Risiken und Gefahren stecken

müssten. Geld also, das stattdessen für Investitionen und Konsum ausgegeben werden kann.

Für die Politik hat daher schon Walter Eucken auf die Bedeutung einer konstanten

Wirtschaftspolitik verwiesen.

Nun darf Beständigkeit nicht Starrheit bedeuten. Wir stehen vor großen gesellschaftlichen

Umbrüchen. Wir leben in einer Welt, die immer mehr vernetzt ist, in der immer stärker

globale politische Lösungen gefordert sind, sei es im Bereich der Umwelt- und

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Energiepolitik, der Finanzpolitik oder aber im Bereich der Sicherheitspolitik. In Deutschland

wie auch in vielen anderen westlichen Ländern stehen wir vor tiefgreifenden

gesellschaftlichen Veränderungen durch den demografischen Wandel. Um diese Umbrüche

zu gestalten, brauchen wir neue, innovative Ansätze.

Doch Innovation darf nicht mit Aktionismus verwechselt werden. Die Politik muss langfristig

tragfähige Lösungsansätze entwickeln, sie muss Leitplanken setzen, die es allen Betroffenen

ermöglichen, sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen und ihre Planungen daran

zu orientieren. Eine solche Planungssicherheit ist wichtig für die Unternehmen, denn

Unsicherheiten verteuern Investitionen und verringern damit die wirtschaftliche Dynamik.

Planungssicherheit ist aber genauso wichtig für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die

beispielsweise wissen müssen, mit welcher gesetzlichen Absicherung bei Rente und

Gesundheit sie rechnen können. Nur so können sie eine vernünftige private Vorsorge treffen.

Auch Konsum und Lebensentscheidungen werden zumindest aufgeschoben, wenn

Unsicherheit und Flexibilitätsanforderungen zu groß sind.

Die Lösung struktureller Probleme in den öffentlichen Haushalten und sozialen

Sicherungssystemen etwa darf nicht weiter in die Zukunft verschoben werden. Seitens der

Politik verlangt das Mut, bisherige Schieflagen zu korrigieren, und Standhaftigkeit, um der

Versuchung zu entgehen, mit Wahlversprechen auf Stimmenfang zu gehen. Bereits

beschlossene Reformen wieder zurückzunehmen, verstärkt die Probleme und senkt das

Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik.

Gleichzeitig müssen wir Gestaltungschancen, die sich uns bieten, auch nutzen. Eines der

größten Potenziale im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels

liegt in den Millionen Frauen, die gerne mehr arbeiten würden, es jedoch nicht können, weil

Kindergartenplätze oder hinreichend flexible Arbeitsplätze fehlen. Hier sind Politik und

Wirtschaft gefragt.

Denn wir brauchen beides: die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, vor allem durch den

Ausbau von Kindergartenplätzen und längere und flexiblere Öffnungszeiten in den

Kindergärten, und die unternehmerischen Rahmenbedingungen durch noch mehr Flexibilität

in der Arbeitsorganisation. Die gibt es in Deutschland in hohem Maße. Allerdings sollte sie

nicht allein der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit dienen, sondern auch der

Familienfreundlichkeit.

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Hier gibt es noch viel Spielraum für kreative Lösungen in beiderseitigem Interesse, sei es

über Arbeitszeitkonten, Telearbeit oder Teilzeitbeschäftigungen, gerade auch in

Führungspositionen. Viele Familienunternehmen können hier punkten, weil die Atmosphäre

eben familiärer ist und Lösungen oft "auf dem kurzen Dienstweg" gefunden werden können.

Vor allem aber müssen solche Instrumente Männern und Frauen gleichermaßen angeboten

werden. Die Potenziale der Frauen besser zu nutzen, ist nicht allein ein Gebot der

Gerechtigkeit oder ein ökonomisches Erfordernis in einer alternden Gesellschaft. Es ist auch

und vor allem eine Frage unternehmerischer Klugheit. Viele familiengeführte Unternehmen

in Deutschland gehen auch hier mit gutem Beispiel voran - die Zahl der Frauen auf dem

Chefsessel liegt hier deutlich höher als in den großen DAX-Unternehmen.

Auf eine weitere zentrale Rahmenbedingung für Planbarkeit und Erfolg wirtschaftlichen

Handelns möchte ich noch eingehen: eine nach innen und außen stabile Währung. Die

Probleme und Turbulenzen der Eurozone lassen niemanden von uns unberührt. Ich glaube,

ich muss in diesem Kreis keine Überzeugungsarbeit für den Euro leisten. Der deutsche

Mittelstand hat in den vergangenen Jahren enorm von der stabilen Gemeinschaftswährung

profitiert. Sie hat den Außenhandel für unsere exportorientierte Wirtschaft deutlich

erleichtert. Gerade weil dies so ist, müssen wir der Sicherung der Eurostabilität größte

Priorität einräumen.

Nun hilft es wenig, darüber zu sinnieren, was in der Vergangenheit anders gemacht hätte

werden müssen. Wir müssen uns mit dem Jetzt auseinandersetzen. Bei den Reformen in der

Währungsunion ist es wichtig, dass wir an den Grundprinzipien festhalten, die wir uns in

Europa gesetzt haben: eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb bei stabilen

Preisen und gesunden öffentlichen Finanzen. Und es ist wichtig, dass die verschärften

Haushaltsregeln und die Maßgaben für mehr Wettbewerbsfähigkeit nun auch wirklich

durchgesetzt werden.

Der Euro ist nicht gesichert, wenn Beschlüsse nur auf Papier gebracht werden. Der

Maastricht-Vertrag hat unter anderem daran Schaden genommen, dass Deutschland und

Frankreich Regelungen relativierten, als sie 2004 die Maastricht-Kriterien nicht einhielten.

Auch so etwas - das ist eine der Lehren aus der Krise - darf sich nicht wiederholen.

Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn Risiko und Haftung Hand in Hand gehen. Wir

müssen Lösungen finden, die diesen Grundsatz beachten und die Verursacher der Krise an

den Folgekosten beteiligen. Mir erscheint es angemessen, wenn Gläubiger sich mit einem

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überschuldeten Land einig werden und beispielsweise längere Rückzahlungsfristen

einräumen. Dies wäre ein weiterführender Weg, um verantwortungsvoll aus der Krise

herauszufinden.

Damit ein solcher Weg gangbar wird, muss er allerdings unbedingt unterlegt werden durch

harte und einschneidende strukturelle Reformen. Die Hauptverantwortung liegt also bei den

Ländern, die besonders von der Schuldenkrise getroffen sind. Denn Solidarität in der

Währungsgemeinschaft bedeutet zu allererst, dass jeder sein eigenes Haus in Ordnung hält.

Das sind wir nicht zuletzt auch der jüngeren Generation in Europa schuldig.

Ein Land kann seine Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft nur zurückfinden, indem es seine

Institutionen von Grund auf reformiert und in Bildung, Forschung und Innovationen

investiert. In einigen Ländern der Währungsunion setzt dies voraus, dass die Art, Politik und

Wirtschaft zu betreiben, auf den Prüfstand muss. Europa braucht in allen seinen

Mitgliedstaaten transparente Verwaltungsverfahren, ein effizientes Steuerwesen und einen

funktionierenden Wettbewerb. Alles andere kann sich Europa heutzutage angesichts des

globalen Wettbewerbs einfach nicht mehr erlauben. Gerade hier liegt der Schlüssel, um

Europa wieder stark zu machen!

Eine falsche Subventionspolitik oder Transfers, ob auf nationaler oder EU-Ebene, lösen keine

Probleme, sie verzögern und verteuern letztlich nur notwendige Reformen und sie

unterminieren damit die Zukunftschancen der Jugend.

Ich weiß, auch viele von Ihnen sind über die aktuelle Entwicklung besorgt - Herr Dr.

Adenauer hat es angesprochen - nicht aus Europa- oder Euroskepsis, sondern weil Sie um die

Bedeutung und die Vorteile der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wissen.

Gerade angesichts der dynamischen Entwicklung der großen Volkswirtschaften in Asien und

Lateinamerika brauchen wir, braucht die Wirtschaft ein starkes, handlungsfähiges Europa.

Denn die großen Herausforderungen unserer Zeit - von den Fragen der Energieversorgung

und des Klimaschutzes bis hin zur Terrorismusbekämpfung und der Reform der

Finanzarchitektur - können wir nicht mehr einzelstaatlich, sondern nur gemeinsam mit

anderen Staaten lösen. Lassen Sie uns deshalb alle daran mitwirken, dass Europa gestärkt aus

der Finanzkrise hervorgeht.

Und machen wir uns dabei bewusst: Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten Enormes

vollbracht. Denken Sie nur an die revolutionären Umbrüche in Mitteleuropa und auch die

Wiedervereinigung unseres Landes mit all ihren Herausforderungen. Wir wissen also: Wir

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können mit den uns gestellten Aufgaben wachsen, auch im Bereich der Währungspolitik.

Aber wir müssen, gerade auch durch Ihr überzeugendes, engagiertes und sachliches

Mitwirken, zu einem Europa zurückkehren, in dem die europäischen Werte und die

Grundsätze des ehrbaren Kaufmannes den Weg in die Zukunft auch tatsächlich bestimmen.

Dieses Bewusstsein brauchen wir für Europa. Ein Europa, das mit einer Stimme spricht. Und

ein Europa, das als Familie zusammensteht. Sie als Familienunternehmer wissen, was es

heißt, Verantwortung in einer Familie zu übernehmen. Tragen Sie bitte mit Ihrer Erfahrung

und mit Ihrer Verantwortung dazu bei, dass auch Europa eine glückliche, eine erfolgreiche

Familie bleibt!

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Rede 28 - 17. September 2011 - Christian Wulff

Was wäre unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, ohne Gewerkschaften?

Es wäre in jeder Hinsicht ärmer. Materiell ärmer und vor allem ärmer an Gemeinsinn und

Engagement für unser Land. Man vergisst manchmal, Erfolge zu benennen, vielleicht auf

Seiten der Gewerkschaften auch deshalb, weil man meint, dann weitergehende Forderungen

nicht mehr so glaubhaft vorbringen zu können. Aber als Bundespräsident sage ich Ihnen: Der

Anteil der Gewerkschaften an der Erfolgsgeschichte unseres Landes ist ein ganz wesentlicher

– zu allen Zeiten, aber vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg. Dass dies heute so breite

Zustimmung in der Bevölkerung findet, ist eine ausgesprochen erfreuliche Tatsache, war aber

nicht immer so. Ich glaube, Sie spüren im Moment mehr als zu anderen Zeiten, dass die

Menschen auf das hören, was die Gewerkschaften zu sagen haben.

Ich denke bei der Erfolgsgeschichte natürlich an Gewerkschafter wie Hans Böckler, Heinz

Kluncker oder Heinz Oskar Vetter. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben unser

Land und die soziale Marktwirtschaft mitgeprägt und manches anfangs heftig Umkämpfte

durchgesetzt. Die Mitbestimmung, die Betriebsverfassung, das Recht der Personalvertretung

– wichtige Gesetze, die heute zu einem selbstverständlichen Bestandteil unserer

Sozialordnung geworden sind.

Mitbestimmung heißt Mitverantwortung. Die Arbeit in Gewerkschaft und Betriebsrat war

und ist gelebte Demokratie: Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, das Wort zu erheben,

Arbeitsbedingungen zu verbessern, für gerechte Löhne und Gehälter zu kämpfen,

Mitverantwortung für die gemeinsame Sache zu tragen.

Die Gewerkschaften haben einen wesentlichen Anteil an der Stabilität unserer Demokratie,

am wirtschaftlichen Erfolg und am Gelingen unserer sozialen Marktwirtschaft.

Gerade in der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich unsere Tradition des am Gemeinwohl

orientierten Miteinanders von Arbeitgebern und Arbeitnehmern eindrucksvoll bewährt. Bei

allen unterschiedlichen Interessen, die es selbstverständlich gibt, gibt es doch ein

gemeinsames Interesse am gemeinsamen Erfolg eines Unternehmens. Diesem Miteinander

verdanken wir, dass unser Land trotz der schweren Finanz- und Schuldenkrise bislang so gut

wie kaum eine andere große Industrienation dasteht und zugleich der soziale Ausgleich eine

wirkliche Stärke in unserem Land darstellt. Dass wir heute so gut dastehen, verdanken wir

auch maßvoller Lohnpolitik über viele Jahre hinweg und flexiblen, intelligenten Instrumenten

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wie der Kurzarbeit und den Arbeitszeitregelungen, den Arbeitszeitkonten. Hier schauen

inzwischen viele Länder in der ganzen Welt auf Deutschland, wie wir das gemacht haben.

Die gute Idee war, in der Krise Belegschaften nicht zu entlassen, sondern im Betrieb zu

halten, um sie, wenn der Konsum wieder anzieht, der Export wieder zunimmt,

hochqualifiziert und hoch motiviert an Bord zu haben. Ich glaube, dass es vor allem ein

Verdienst der Gewerkschaften und der Wirtschaft ist, mit Hilfe der Politik auf diese Art und

Weise mit der Krise umgegangen zu sein. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ihren

Teil der Verantwortung übernommen.

Dass unser Land so gut dasteht, darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir

wachsam bleiben müssen, dass es Gefahren gibt für die Weltwirtschaft, für die Konjunktur,

auch in Deutschland. Daher ist es umso wichtiger, zu beachten, was uns die Krise gelehrt hat:

Wie wichtig es ist, vor Ort miteinander zusammenzuarbeiten, sich zu kennen, sich zu

vertrauen und zusammenzuhalten. Hier sehe ich im Kern die gestiegene Bedeutung der

Gewerkschaften und ihr gestiegenes Ansehen begründet. Immer mehr Menschen erkennen,

wie wichtig Vertrauen für die Zusammenarbeit ist.

Die Zustimmung, die ich auch von Banken für meine Reden beim Deutschen Bankentag und

vor Wirtschaftsnobelpreisträgern in Lindau erfahren habe, hat mir gezeigt: Wir müssen

wachsam bleiben, es werden schon wieder die Fehler gemacht, die uns in die Krise geführt

haben. Das Verhalten hat sich nicht grundlegend verändert. Das muss uns sehr besorgt

stimmen und daher gilt es auch aufmerksam denen zuzuhören, die auf Vertrauen setzen. Sie

leisten als Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretungen, Betriebsräte, in ihren Branchen, in

ihren Unternehmen Vertrauensarbeit.

Die gemeinsame Verantwortung der Sozialpartner in Deutschland – das ist die bewährte

Antwort auf den herkömmlichen Antagonismus von Arbeitnehmer- und

Arbeitgeberinteressen. Die gemeinsame Verantwortung und die Verantwortung eines jeden

Chefs, eines jeden Arbeitgebers, eines jeden Dienstherrn - nicht nur für Umsatz und

Gewinne, sondern auch für die Beschäftigten, für deren Familien, für die Produkte, die man

herstellt, die Produktionsverfahren, mit denen man sie herstellt, für den Ort, an dem man

produziert, für die Region, in der man tätig ist, für das Land, in dem man erfolgreich ist.

Diese umfassende Verantwortung ist gemeint, wenn man von sozialer Marktwirtschaft

spricht. Einen Kapitalismus, in dem man davon nichts weiß, wollten wir eben in unserem

Land nie haben.

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Gemeinsam ist man erfolgreicher. Die Sozialpartnerschaft ist ein Wettbewerbsvorteil für

unser Land. Ich habe es am Tag der Deutschen Einheit in Bremen gesagt und ich will es hier

wiederholen: Wir können stolz sein auf unsere kulturellen, wissenschaftlichen und

wirtschaftlichen Leistungen. Vor allem können wir aber stolz sein auf das soziale Klima in

unserem Land, auf Toleranz, Kompromissfähigkeit und Solidarität. Gewerkschafter,

Arbeitgeber, Beschäftigte - alle haben gezeigt: Die Kraft zum Ausgleich, zu einfallsreichen

Lösungen, die Kraft zum Zusammenhalt, das zeichnet uns vor allem in Deutschland aus.

Neuer Zusammenhalt in der Gesellschaft ist nur möglich, wenn sich kein Stärkerer entzieht

und kein Schwächerer ausgegrenzt wird. Wenn jeder in Verantwortung genommen wird und

jeder verantwortlich sein kann. Wer lange vergeblich nach Arbeit sucht, sich von einem

unsicheren Job zum nächsten hangeln muss, wer das Gefühl hat, nicht gebraucht zu werden

und keine Perspektive erhält, der wird sich verständlicherweise enttäuscht von unserer

Gesellschaft abwenden.

In Chile, in Israel, in Madrid oder London und an vielen weiteren Orten der Welt erzielt ein

Buch „Empört Euch!“ große Auflagen. Hunderttausende kommen zusammen, um einem

Gefühl des Unwohlseins, der Ungerechtigkeit, der gefühlten oder tatsächlichen Unfairness

Ausdruck zu verleihen. Ich will nicht, dass wir erst in diese Diskussion eintreten, wenn wir

auch in Deutschland große Demonstrationen Jüngerer wie Älterer haben, von Menschen, die

meinen, es ginge nicht fair und gerecht zu. Deshalb sollten wir jetzt, auf den

Gewerkschaftstagen und nach den Gewerkschaftstagen, mit allen Parteien und

Verantwortungsträgern, mit denen, die in den Parlamenten die Entscheidungen treffen, diese

Diskussion intensiv führen.

Ich danke Ihnen als Gewerkschaftern für die Integration der vielen Zuwanderer, die gerade

über den Arbeitsplatz, in den Betrieben ihren Weg in unsere Gesellschaft finden. Auch auf

diesen Beitrag zum Gelingen unseres Gemeinwesens können wir nicht verzichten. Sie sind

als Gewerkschaften nicht einfache populistische Wege gegangen, sondern den schwierigen

Weg des Miteinanders, der Offenheit für Fremde und Fremdes.

Ihre Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di knüpft an die große Tradition deutscher

Gewerkschaften in unserem Land an. Auch deshalb gratuliere ich Ihnen zu Ihrem

zehnjährigen Jubiläum und den Jahrzehnten des erfolgreichen Wirkens Ihrer

Vorgängerorganisationen. Sie haben vor zehn Jahren die Zeichen der Zeit erkannt und den

Weg einzelner Branchen-Gewerkschaften beendet. Ich weiß, dass das nicht einfach war und

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bis heute ist es eine große Herausforderung, die ganz verschiedenen Interessen der

unterschiedlichen Branchen zusammenzuhalten.

Ihrer Gründungsurkunde vom 19. März 2001 war bereits zu entnehmen, dass es Ihnen dabei

nicht nur um Branchen- und Arbeitnehmerinteressen im engen Sinne geht. Sondern um die

Mitarbeit für eine bessere Gesellschaft und eine bessere Welt: Für eine

„gemeinwohlorientierte Politik“, für „qualitatives Wachstum“, wie Sie schon damals

formulierten – eine Diskussion, die Sie heute verstärkt führen und die geführt werden muss –,

„gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ und für die internationale

„Verwirklichung der Menschenrechte“. Das setzen Sie bis heute fort. Ich erlebe vor allem

ihre internationalen Kontakte als außerordentlich hilfreich, denn Sie exportieren damit eine

Kultur des Gemeinsinns und der Würde jedes einzelnen Menschen in einem großen Ganzen.

Darin sehe ich neben der nötigen Interessenpolitik den Wert starker Gewerkschaften für

unsere Gesellschaft: Sie wirken an der demokratischen Willensbildung mit. Sie geben

moralische und solidarische Impulse, die uns daran erinnern, worum es in unserer sozialen

Marktwirtschaft zu allererst gehen muss: um den Menschen und sein Wohlergehen, um ein

freies, solidarisches und gerechtes Zusammenleben aller.

Wie für alle großen Organisationen ist es auch für Sie schwer, junge Leute zu gewinnen und

zu halten. Das wird sich nur ändern können, wenn wir den Wert von Mitverantwortung und

Mitgestaltung stärker empfinden und thematisieren. Es ist Aufgabe von uns allen, vorzuleben,

wie bereichernd es für jede und jeden ist, sich für andere, für die Gemeinschaft zu

engagieren. Ich werbe dafür, dass Menschen in Parteien oder Gewerkschaften eintreten und

gemeinsam für ihre Interessen und Anliegen kämpfen.

Ich habe bei Wirtschaftstagungen darauf hingewiesen, mich mit Betriebsräten, den

Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften oder den Vizepräsidenten der

Handwerksorganisationen getroffen und dabei jeweils deutlich gemacht: Im Handel oder in

der Altenpflege sind höhere Organisationsgrade und eine höhere Tarifbindung

wünschenswert. Das würde dem Ganzen dienen und gute Arbeitsbedingungen begünstigen.

Der Dienstleistungsbereich erbringt über zwei Drittel der Wertschöpfung und beschäftigt

mehr als 30 Millionen Menschen in unserem Land. Seit dem Jahr 2008, als die globale

Finanz- und Wirtschaftskrise ausbrach, sind über eine halbe Million Arbeitsplätze zusätzlich

geschaffen worden. Sie beschäftigen sich in den nächsten Tagen mit der Tatsache, dass

darunter viele geringfügig Beschäftigte sind. Das erleichtert manchen den Einstieg in den

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Arbeitsmarkt, das ermöglicht manchem Hinzuverdienste. Aber für die, die eine

Vollzeitbeschäftigung suchen, von der sie leben und ihre Familie ernähren können, dürfen

Zeitarbeit, Minijobs und befristete Beschäftigung nicht zur Sackgasse werden, sondern

müssen Brücke sein. Unter diesem Aspekt muss staatliche Förderung stets überprüft werden.

Missbrauch darf nicht toleriert werden.

Gerade im Dienstleistungssektor entstehen Arbeitsplätze der Zukunft – von der

spezialisierten Dienstleistung für Industrieunternehmen bis hin zum Dienst am

pflegebedürftigen Menschen in der alternden Gesellschaft. Damit das gute Arbeitsplätze

werden, brauchen wir gesellschaftliche Anerkennung für Dienstleistungen und solide Aus-

und Weiterbildung.

Menschen brauchen einen verlässlichen Rahmen, faire Perspektiven, um sich zu entfalten,

eine Familie zu gründen, Kinder in die Welt zu setzen, ein Haus zu bauen und auch für

Mitmenschen Zeit und Kraft zu haben Dieses elementare Bedürfnis nach Sicherheit ist das

eine. Das Bedürfnis nach Flexibilität, nach Mobilität, nach Beschleunigung ist das andere. Es

täte unserem Land gut, wenn wir immer wieder über die richtige Balance reden. Einen Weg

zu finden, der den Interessen der Menschen gerecht wird, das ist alle Anstrengungen wert.

Der Missbrauch von Instrumenten, die Flexibilität und Mobilität ermöglichen sollen, muss

verhindert werden, damit das notwendige Maß an Sicherheit gewährleistet wird.

Sie verrichten tagtäglich in Unternehmen und in der Verwaltung, im Handel und im

Finanzsektor, an Flughäfen und Bahnhöfen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen, in

Schulen und Kindertagesstätten ihren Dienst mit großem Einsatz. Deutschland verdankt auch

dieser Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft seine Stärke. Sie leisten tagtäglich viel

und die meisten leisten sogar mehr als man erwarten darf. Mir haben zum Beispiel

Bürgerinnen und Bürger sehr bewegend geschrieben, die von schwer zu bekämpfenden

Krankheiten heimgesucht waren. Sie haben geschrieben, wie in Situationen der Ratlosigkeit

das Personal in den Krankenhäusern geholfen hat, weit über alles erwartbare Maß hinaus.

Ich möchte deshalb heute hier bei Ihnen auf drei Dienstleistungsbereiche eingehen, um

gesellschaftliche Debatten zu begleiten.

Zuerst auf die sozialen Dienste, den Dienst in der Pflege und im Gesundheitswesen. Was ist

uns dieser aufopferungsvolle Dienst am Menschen in unserer Gesellschaft wert? Da kann ich

nur sagen: Er muss uns künftig mehr wert sein, um auch die Beschäftigten zu finden, die wir

brauchen!

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Wir brauchen im umfassenden Sinne mehr Anerkennung, eine Aufwertung dieser Dienste. Es

bleibt eine Zumutung für das moralische Empfinden, dass der aufopferungsvolle Dienst am

Menschen so viel schlechter bezahlt wird als manche Tätigkeiten, deren Beitrag zum

Gemeinwohl weit weniger offensichtlich ist. Ich habe es bereits beim Bankentag vor einigen

Monaten gesagt: Das Ausmaß der Differenz zwischen dem, was Pfleger in einem Altenheim

verdienen, die jeden Tag unmittelbar Verantwortung für viele Menschen tragen, und den

Bonizahlungen im Bankensektor, der uns so viele Probleme macht, ist unerträglich.

Darin steckt sozialer Sprengstoff. Denn es ist ein menschliches Urbedürfnis, dass es fair

zugeht. Man will in einer Familie, man will in einer Gemeinde, man will in einer Gruppe,

auch in einer Gewerkschaft, dass es insgesamt fair zugeht. Man lässt nicht zu, dass es zu viele

Trittbrettfahrer zu Lasten des Ganzen gibt. Es ist Konsens in unserem Land, dass es kein

Missverhältnis von Leistung zu Gegenleistung geben darf. Aber es gibt manche, die haften

für nichts, erhalten aber Gelder, als würden sie persönlich haften. Und es gibt andere, die

haften ganz persönlich für Leben und Tod von Menschen und erhalten dafür tagtäglich zu

wenig Anerkennung. Es ist bedrückend, dass es Gruppen in unserer Gesellschaft gibt, die den

Eindruck vermitteln, in abgehobenen Parallelwelten zu leben. Und die ihre Ansprüche aus

einer vermeintlich hohen Leistung ableiten, die am Ende keine ist und der gesamten

Volkswirtschaft schadet.

Wer zur Elite eines Landes gehören will, muss Vorbildfunktion und auch Verantwortung

übernehmen – ohne Wenn und Aber.

Unbestreitbar ist auch, dass die Arbeitsbedingungen in den sozialen Diensten sich bessern

müssen. Dann fällt es auch leichter, gegen den bereits herrschenden und künftig zu

erwartenden Mangel an Fachkräften anzukommen. Die soziale Arbeit darf allerdings nach

meinem Verständnis nicht ausschließlich berufliche Angelegenheit sein. Eine menschliche

Gesellschaft braucht auch diejenigen, die in Familien und im Ehrenamt Angehörige pflegen,

den Großeltern helfen, Kinder in der Nachbarschaft unterstützen. Aber professionelle

Dienstleistung kann so nur begleitet, sie kann niemals ersetzt werden. Deshalb müssen wir

diesen professionellen Dienstleistungen in den Gesundheits- und Pflegeberufen unsere ganze

Aufmerksamkeit widmen.

Ich möchte den Fokus auf eine zweite Gruppe richten: auf den Bereich der Erziehung und der

Bildung. Dort wird die vielleicht wichtigste Arbeit für die Zukunft unserer Gesellschaft

geleistet. Der notwendige Respekt wird dieser Arbeit immer noch zu wenig gezollt. Das wird

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sich ändern müssen. Wir sehen vielerorts bei den Kindertagesstätten Veränderungen zum

Besseren. Aber wir haben immer noch nicht überall die grundlegende Bedeutung gerade

frühkindlicher Bildung erkannt. Wir dürfen nicht nachlassen, eine höhere Anerkennung

dieser Arbeit einzufordern. Es werden auch zu wenig Männer Erzieher in den Tagesstätten.

Auch das liegt nicht zuletzt an den finanziellen Rahmenbedingungen, die wir für diese

pädagogische Kärrnerarbeit tolerieren.

Drittens danke ich für die Arbeit in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst. Ohne den

öffentlichen Dienst wäre unser Land nicht so erfolgreich wie es ist. Er ist dem Gemeinwohl

verpflichtet und er ist ein Standortvorteil. Bei vielen Gesprächen mit Unternehmerinnen und

Unternehmern im Ausland höre ich viel über Unsicherheiten und lange, oft intransparente

Behördenabläufe und sogar Korruption. Im weltweiten Maßstab können wir auf die Qualität

unserer behördlichen Dienstleistungen mehr als stolz sein. Sicherheit, Ordnung, geregelte und

transparente Verwaltungsverfahren können ausschlaggebend sein für geschäftlichen Erfolg.

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer wissen das heute mehr denn je zu schätzen. Auch

wenn manche Kritik an Vorschriften und Bürokratie berechtigt ist und Ansporn sein muss, es

noch besser zu machen: Die Qualität behördlicher Dienstleistungen in Deutschland ist gut,

trotz der damit einhergehenden Arbeitsverdichtung.

Alle Bürgerinnen und Bürger, auch die Gewerkschaften, stehen heute vor einer besonderen

Aufgabe: Wir müssen die Kehrtwende hin zu nachhaltigem Wirtschaften und Haushalten

schaffen.

Wir werden ehrlicher als in der Vergangenheit den Realitäten ins Auge zu schauen haben:

Die Welt verändert sich rapide, die Gewichte in der Welt verschieben sich rasant. Die

Bevölkerung der Welt wird weiter schnell wachsen. Schon im Jahr 2030 werden über acht

Milliarden Menschen auf dieser Erde leben. Die heute noch so genannten Schwellen- und

Entwicklungsländer werden mit dem Selbstbewusstsein wachsender Bevölkerungen und

Volkswirtschaften mehr Anteil am Wohlstand beanspruchen. Das ist auch fair, gerecht und

richtig. Auf der anderen Seite müssen wir erkennen, dass bei uns heute schon viele junge

Menschen fehlen. Ohne geregelte Zuwanderung, ohne höhere Beteiligung von Frauen und

Älteren am Arbeitsleben mit sehr viel flexibleren Übergängen in Rente und Pension würde in

Deutschland in nur 15 Jahren die Zahl der Erwerbstätigen um sechseinhalb Millionen

Menschen zurückgehen. Wenn wir hier nicht klug reagieren, werden wir unsere bislang

erreichten Wachstumsraten nicht in die Zukunft fortschreiben können. Wir werden uns

anstrengen müssen, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren, die sozialen

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Sicherungssysteme demografiefest zu gestalten und die Lasten nicht weiter in die Zukunft zu

verschieben. Wenn jetzt Spanien und andere die Schuldenbremse einführen, dann macht mir

das Mut, dass jeder sich zur Decke streckt und wir gemeinsam die Probleme in den Griff

bekommen.

Viele Länder der Erde haben auf Kosten natürlicher Lebensgrundlagen und auf Kosten der

Nachkommenden gelebt. Jahr für Jahr haben wir, auch in unserem Land, mehr öffentliche

Gelder ausgegeben, als wir öffentliche Einnahmen erzielten. Das war unmoralisch und auch

unsolidarisch mit den kommenden Generationen. Immerhin deutet heute vieles darauf hin,

dass wir uns in einer Zeit des Umdenkens und der Umkehr befinden, wenn ich an die

Energiewende oder die Schuldenbremse denke. Wir müssen heute darüber streiten, was die

notwendigen Ausgaben sind. Jedes Land in Europa muss seine Probleme lösen, dann werden

wir insgesamt als Europäer auch solidarisch bleiben, wie wir es immer gewesen sind. Im

Moment brauchen andere die Hilfe von uns, irgendwann brauchen wir wieder die Hilfe

anderer. Mit wieder neuen Schulden und unter Aufschub dringend nötiger Reformen werden

wir der Krise aber nicht Herr werden.

Jeder, der heute politische Programme entwirft, muss seine Pläne für Schuldenabbau,

staatliche Mehreinnahmen und neue Ausgaben miteinander in Einklang bringen. Jeder hat an

seiner Stelle Verantwortung zu übernehmen für stabile Verhältnisse in unserem Land und in

Europa. Parteien und Gewerkschaften müssen für ihre Programme Verantwortung tragen,

Staaten und Regierungen für ihre Politik und ihre Haushalte, Private – ob Kleinanleger oder

große Banken – für ihre Investitionen.

Es müssen wieder die Grundsätze der Marktwirtschaft gelten. Wer sein Geld verleiht, der

muss genau hinsehen, wie die Aussichten stehen, dass er es zurück erhält und Gewinne

erzielt, und er hat auch die möglichen Verluste zu tragen. Auch das heißt Verantwortung zu

übernehmen. Wenn wir diese Grundsätze außer Kraft setzen, dann wird uns keine gute

Zukunft blühen.

Sie werden in den nächsten acht Tagen viele Probleme diskutieren, die Sie in unserer

Gesellschaft sehen. Manche sind unabweisbar: Die Unterschiede bei den Arbeitseinkommen

haben zugenommen. Soziale Brennpunkte und prekäre Verhältnisse gibt es ohne Zweifel

auch in unseren Städten, in unserem Land. Wir müssen uns diesen Problemen stellen, und Sie

tun das.

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Wir wollen gemeinsam die Vorzüge unseres Gemeinwesens für die Zukunft sichern. Einiges

dabei müssen wir verbessern. Vor allem brauchen wir mehr Entfaltungschancen für alle. Zu

viele junge Menschen werden noch immer nicht ausreichend gefördert. Aber richtig ist auch:

Die Chancen mehren sich aufgrund der demografischen Entwicklung – für junge Leute, für

Lehrlinge und Fachkräfte, die heute schon dringend gesucht werden. Die Botschaft an die

Eltern ist: Wer seine Kinder fördert oder ihnen die Förderung durch andere eröffnet, der

eröffnet ihnen auch die Aussicht auf eine gut bezahlte und erfüllende Arbeit.

Wir haben alle Chancen, auch unter veränderten Bedingungen den Zusammenhalt unserer

Gesellschaft zu bewahren. Dazu müssen wir menschlich miteinander umgehen. Das tun wir,

wenn wir das Dienen nicht verlernen. Und das tun Sie, die den Dienst am Menschen zu ihrem

Beruf gemacht haben. Ich weiß nicht, wie oft Sie darüber nachdenken, dass ver.di die

Gewerkschaft des Dienens ist. „Dienen“ ist ja ein nicht unumstrittener Begriff. Aber nutzen

Sie ihn für sich positiv! Denn eine Gesellschaft guter Dienstleistungen – das ist eine

menschliche Gesellschaft, die Zukunft hat!

Sie haben in unserem Land viel Gutes geleistet. Sie haben viel Sympathie verdient. Ich

wünsche Ihnen gute und fruchtbare Debatten in den nächsten sieben Tagen und ein

erfolgreiches weiteres Jahrzehnt als Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft!

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Rede 29- 6. Oktober 2011 - Christian Wulff

Seien Sie alle herzlich willkommen hier im Schloss Bellevue. So viel an persönlicher

Währungsgeschichte und Währungspolitik vereint ist etwas Besonderes. Die Verantwortung

für die Stabilität unserer gemeinsam so erfolgreichen Währung Euro liegt gerade in Ihren

Händen – in ganz schwieriger Zeit.

Ich danke für das offene Gespräch mit EZB-Präsident Trichet, danke ihm für so überaus

engagierte Arbeit als Präsident und wünsche Herrn Draghi großen Erfolg nach der

Amtsübernahme am 1. November 2011.

Europa ist ein mutiges, ein einzigartiges Projekt. Es lebt von den gemeinsamen

Anstrengungen und dem Willen zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit für Frieden, Freiheit

und Wohlstand.

Vor fast 60 Jahren hatten die Staatsmänner Monnet, Schuman und Adenauer den Mut und

den Weitblick für die dauerhafte Aussöhnung der europäischen Nationen. Auf dem Weg der

Europäischen Einigung gab es immer wieder Rückschläge und Probleme. Sie wurden aber

stets gemeinsam gelöst. Krisen wurden als Chancen genutzt. Dies ist der Kern des

Europäischen Gedankens. Das muss auch jetzt so sein. Deutschland steht zu Europa und zum

Euro.

Gerade hier in Berlin möchte ich an die tiefgehenden gesellschaftlichen Umbrüche erinnern,

die die mittel- und osteuropäischen Staaten seit dem Fall der Berliner Mauer und des

Eisernen Vorhangs insgesamt so erfolgreich bewältigt haben. Sie zeigen beispielhaft die

Fähigkeit zum Wandel, die Europa ausmacht.

Europa stellt einen weit größeren Auftrag dar, als die gegenwärtigen Herausforderungen der

wirtschaftlichen und finanziellen Probleme manchmal Glauben machen. Wenn wir die

Banken- und Schuldenprobleme an ihren Wurzeln packen, dann wird Europa gestärkt aus

dieser Krise hervorgehen.

Eine stabile Währungsunion liegt im Interesse Europas und auch im nationalen Interesse

Deutschlands. Als bevölkerungsreichstes und wirtschaftsstarkes Mitgliedsland sieht sich

Deutschland in einer besonderen Verantwortung. Diesem Verständnis bleiben wir treu

verpflichtet.

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Vor uns liegen große Entscheidungen, die Mut erfordern. Alle Verantwortlichen arbeiten mit

großer Kraftanstrengung daran, den Euro zu sichern. Dabei solidarisch zu helfen, also Hilfe

zur Selbsthilfe zu leisten, dies sieht Deutschland als seine Aufgabe an.

Nicht allen ist klar, in welcher Lage wir uns befinden. Die Politik mit ungedeckten Wechseln

auf die Zukunft ist an ihr Ende gekommen. Wir alle können aber auf Dauer ökonomische

Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Wir Europäer müssen mutiger werden und das

Heft des Handelns in die Hand nehmen.

Es geht um mehr, als um vorübergehende Wirtschafts- und Haushaltsnotlagen. Alle

Mitgliedstaaten in Europa haben ihren Willen bekräftigt, die Ausgaben anzupassen und ihre

Haushalte zu sanieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle zu den Stabilitätskriterien der

Währungsunion zurückkehren müssen und werden. Und dass uns dies gemeinsam gelingt.

Wir alle haben ein ureigenes Interesse an finanzpolitischer Solidität und die gleiche

Verpflichtung, uns an die gemeinsam beschlossenen Stabilitätsvorgaben zu halten. Zum

universellen Völkerrecht und zum gemeineuropäischen Verfassungsrecht gehört der

Grundsatz: „Pacta sunt servanda.“ Wenn alle die Regeln einhalten, wird das Vertrauen in die

europäischen Institutionen Bestand haben.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind die wichtigsten Währungsreserven jeder Zentralbank.

Die Notenbanken betonen zu Recht ihre Unabhängigkeit. Sie ist ein hohes Gut und gesetzlich

und vertraglich verankert. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die EZB ihren primären

Auftrag, Preisstabilität zu gewährleisten, erfüllen kann. Auf dieses Mandat müssen EZB und

die Zentralbanken alle Kräfte richten.

Ich begrüße, dass nun Einigkeit besteht, den Stabilitäts- und Wachstumspakt mehr

Durchsetzungskraft zu geben und die Anforderungen an die Wirtschafts- und Finanzpolitik

der Mitgliedstaaten zu erhöhen. Auch werden die Möglichkeiten verschärft, Sanktionen zu

verhängen. Diese Reform wird greifen, wenn alle ihre Rollen annehmen und ihrer

Verantwortung in vollem Umfang gerecht werden.

Europa hat nun den institutionellen Rahmen der Währungsunion gestärkt, einen Euro-

Rettungsschirm eingerichtet, der nun erweitert wird, und einen dauerhaften

Krisenmechanismus beschlossen. Die Instrumente, die fortan zur Verfügung stehen, müssen

so eingesetzt werden, dass Verantwortung und Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten

gestärkt werden. Finanzielle Hilfen in Notlagen erfolgen bereits befristet und konditioniert.

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Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Finanzpolitik bleibt ein

konstitutiver und notwendiger Bestandteil der Währungsunion. Ein umfassender

Finanztransfer ist für alle keine Lösung.

Am besten schützen wir unsere Demokratie und unsere Unabhängigkeit, wenn wir schnell die

Spirale von immer höheren staatlichen Ausgaben und höheren Schulden durchbrechen und

die Politik des billigen Geldes beenden. Solidarität in Europa erfordert, den nachkommenden

Generationen Chancen und Gestaltungsfreiheiten zu belassen. Das ist

Generationengerechtigkeit. Wir Europäer müssen zu unseren eigenen Grundsätzen einer

offenen, freien und sozialen Marktwirtschaft zurückkehren.

Diese Krise ist nicht nur eine wirtschaftliche und finanzielle Krise, sondern im Kern eine

Krise des Vertrauens. Krisen sind immer Chancen, Schwachpunkte auszuräumen und einen

neuen Aufbruch zu wagen. Bei starkem Handlungswillen ist die Lage beherrschbar. Wir

Europäer müssen handeln, sonst gehen Unabhängigkeit, Einfluss und Gestaltungsspielraum

verloren. Ich bin mir sicher: Als Stabilitätsunion wird die Europäische Währungsunion

Bestand haben und die Stimme Europas überzeugend hörbar bleiben.

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Rede 30 - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff

Es ist mir eine große Freude, Sie, Herr Präsident, heute Abend in Schloss Bellevue anlässlich

Ihres Staatsbesuches in Deutschland begrüßen zu dürfen.

Ihr Besuch steht ganz im Zeichen der engen Verbundenheit von Deutschland und Uruguay.

Eine Verbundenheit, die wir weiter stärken und vertiefen wollen. Das Fundament, auf dem

sie ruht, ist tief: So ist etwa die Deutsche Schule in Montevideo die älteste deutsche Schule

Südamerikas. Bereits 1857 wurde sie gegründet. Heute lernen dort mehr als 1.400

Schülerinnen und Schüler.

Die deutschen Einwanderer in Uruguay haben einen wesentlichen Anteil an unseren guten

und vertrauensvollen Beziehungen. 10.000 Deutsche und etwa 40.000 Deutschstämmige

leben heute in Uruguay. Das kleine, großherzige Land am „Silberfluss“, dem Rio de la Plata,

hat im 19. und 20. Jahrhundert tausende Deutsche mit offenen Armen empfangen. Menschen,

die nach Arbeit und Wohlstand, nach Freiheit und Sicherheit suchten. Erinnert sei hier vor

allem an die vielen deutschsprachigen Juden, die ab 1935 in Uruguay Zuflucht fanden. Dafür

sind wir bis heute dankbar.

Uruguay steht für Stabilität und Verlässlichkeit. Der Weg, den Ihr Land in den vergangenen

Jahrzehnten zurückgelegt hat, war aber kein einfacher. Ihre eigene Biografie, Herr Präsident,

legt davon Zeugnis ab. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, Uruguays erfolgreiches

Streben nach Frieden, Freiheit und Demokratie meine Anerkennung auszusprechen. Der

Schriftsteller Eduardo Galeano hat es so ausgedrückt: „Wenn wir uns zum Wandel

entschließen, wird es ernst. Jetzt wehen in unserem Land gute Winde der Veränderung."

Stabilität, Wachstum und sozialer Ausgleich kennzeichnen den wirtschaftspolitischen Kurs

Ihres Landes. Dies sind Faktoren, die für deutsche Investoren wesentlich sind und mit denen

die namhafte Wirtschaftsdelegation, die Sie begleitet, bei ihren Gesprächen werben kann.

Mit Vorsicht und Bedacht hat Uruguay auch in der weltweit derzeit sehr unruhigen

Finanzlage gehandelt. So konnte sich Ihre Regierung, Herr Präsident, internationale

Kreditlinien sichern. Durch den gleichzeitigen Verzicht auf protektionistische Maßnahmen

hat Uruguay es geschafft, ein Geschäftsklima aufrecht zu erhalten, das in Südamerika als

vorbildlich gilt.

Lateinamerika – das habe ich bei meiner Reise im vergangenen Frühjahr nach Mexiko, Costa

Rica und Brasilien deutlich gespürt – gewinnt international an Gewicht. Die großen Fragen

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unserer globalisierten Welt – die Bewältigung der internationalen Finanzkrise oder die

Bekämpfung der Folgen des Klimawandels – lassen sich ohne die lateinamerikanischen

Staaten nicht lösen. Sie sind aufgrund der Werte, die wir teilen, ein natürlicher Partner

Deutschlands und Europas. Dabei denke ich nicht nur an die großen Länder Lateinamerikas.

Gerade die kleinen Staaten zeigen sich oft als besonders innovativ und haben im

Umweltschutz, im nachhaltigen Wirtschaften und in guter Regierungsführung die Nase vorn.

Mit dem ambitionierten Ziel, bis 2015 90 Prozent der Elektrizität im Land aus regenerativen

Energien zu gewinnen, stellt Uruguay dies eindrucksvoll unter Beweis.

Mit großer Anerkennung verfolgt Deutschland auch die Anstrengungen Uruguays, den

MERCOSUR, für den es in diesem Jahr die Präsidentschaft inne hat, zu einer echten

Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Bei allen Schwierigkeiten, mit denen Europa in diesen

Monaten zu kämpfen hat, sind wir in Deutschland im Zuge der europäischen Integration zur

tiefen Überzeugung gelangt: Die Zusammenarbeit zwischen Ländern wird intensiver,

verlässlicher und dauerhafter, wenn sie sich auf gemeinsame Institutionen stützen können.

Dabei beruhen Legitimität und Glaubwürdigkeit auch darauf, dass sich große und kleine

Mitgliedstaaten im Umgang miteinander auf Augenhöhe begegnen. Vielleicht können diese

Erfahrungen Europas auch für Uruguay und unsere weiteren Partner in Lateinamerika

nützlich sein, wenn sie dafür eintreten, die regionale Integration voranzutreiben.

Uruguay und Deutschland wollen die Zusammenarbeit von MERCOSUR und Europäischer

Union voranbringen, vor allem die Verhandlungen über ein umfassendes

Assoziationsabkommen. Dabei sind noch einige Hürden zu überwinden, protektionistischen

Tendenzen auf beiden Seiten gilt es gegenzusteuern. Ich wünsche mir, dass uns die

Gespräche, die im November in Montevideo stattfinden werden, hier weiterbringen.

Uruguay übernimmt in der Region, aber auch international Verantwortung. Besonders

beeindruckt hat mich das enorme Engagement Ihres Landes bei Peacekeeping-Einsätzen der

Vereinten Nationen: Pro Kopf der Bevölkerung ist Uruguay der größte internationale

Truppensteller. In Haiti und im Kongo stellt Ihr Land mit ungefähr 2.500 Soldaten rund zehn

Prozent seines Militärs. Auch im VN-Menschenrechtsrat, dem es in diesem Jahr vorsitzt,

leistet Uruguay überzeugende Arbeit. Gemeinsam treten Deutschland und Uruguay für eine

Reform der Vereinten Nationen ein.

Viele Spuren deutscher Kultur finden sich in Uruguay. Nicht nur die Deutsche Schule, auch

deutsche Kirchen, die große Außenhandelskammer, der Deutsche Klub und viele weitere

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Institutionen und die Menschen, die dort tätig sind, bilden wichtige Brücken zwischen

unseren beiden Ländern.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir heute und in Zukunft noch viele Brücken bauen

werden – gerade auch durch den Austausch in Wissenschaft und Forschung. Es freut mich

besonders, dass der Deutsche Akademische Austauschdienst bald ein eigenes Lektorat an der

staatlichen Universität in Montevideo einrichten wird.

Die Beziehungen zwischen Uruguay und Deutschland sind ausgezeichnet. Wir teilen

gemeinsame Werte und Interessen. Auch die Liebe zum Fußball teilen wir. Deshalb will ich

es nicht versäumen, Ihnen, Herr Präsident, Ihrem Land und Ihrer Nationalmannschaft zum

glänzenden Sieg bei der diesjährigen Copa América zu gratulieren! Deutschland und

Uruguay hatten auch bei der WM mit dem Erreichen der Halbfinale großen Erfolg.

Für Ihre Bewerbung um die Fußball-WM 2030 gemeinsam mit Argentinien drücke ich Ihnen

die Daumen. Es wäre schön, wenn Uruguay dann wieder im Endspiel stünde. Und ich hätte

nichts dagegen, wenn der Endspielgegner Deutschland hieße.

Ich bitte Sie, Ihr Glas zu erheben auf die Gesundheit von Präsident Mujica, das Wohlergehen

von Uruguay und auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern und Völkern!

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Rede 31 - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff

Es ist eine große Freude für mich als Bundespräsident, den Deutschen Umweltpreis

überreichen zu dürfen, weil von dieser Veranstaltung ein großer, notwendiger Konsens

ausgeht. Diese Veranstaltung macht Mut, dass wir die vor uns liegenden Herausforderungen

gemeinsam lösen können. Und was mich immer wieder besonders freut, ist, dass es die

innovativen mittelständischen Unternehmen sind, die zeigen, welche Lösungen es geben

kann, gerade auch für die Großindustrie. Auf diese Mittelständlerinnen und Mittelständler

können wir stolz sein!

Wenn man hier aufmerksam zuhört, kann man die Formel der Zukunft leicht begreifen.

Knapp gesagt: mit möglichst wenig endlichen Ressourcen und möglichst wenig

Umweltbelastung Wohlstand zu schaffen und zu erhalten und Wohlergehen zu sichern.

Wir haben gesehen, wie die diesjährigen Umwelt-Preisträger und ihre beiden

ausgezeichneten Unternehmen diese Formel in die Tat umsetzen – und damit auch noch im

wahrsten Sinne gutes Geld verdienen. Dazu meinen herzlichen Glückwunsch!

Bei allen Unterschieden – etwas sehr Wichtiges haben beide gemeinsam: Sie haben mit ihren

Innovationen nicht nur Details verbessert, sondern neue Maßstäbe gesetzt: Joachim Alfred

Wünning und Joachim Georg Wünning durch eine große, grundlegende technologische

Innovation – die flammenlose Verbrennung. Und Jürgen Schmidt durch viele kleine, aber

ebenso wichtige Innovationen – ausgelöst durch das ehrgeizige Ziel, alle Aktivitäten seines

Unternehmens klimaneutral zu gestalten.

Beides ist wichtig, um unsere Wirtschaftsweise umweltverträglich und damit zukunftsfähig

zu machen: die großen technologischen Sprünge und die vielen kleinen Schritte, die nötig

sind, damit Nachhaltigkeit kein Lippenbekenntnis ist, sondern im alltäglichen Handeln

überall mit bedacht wird.

In beidem haben wir in Deutschland schon viele Fortschritte gemacht. Aber es muss noch

viel mehr Unternehmen geben, die so konsequent handeln wie die „memo AG“. Es gibt

überall Potential zur Verbesserung: von den Produkten bis zum Druckerpapier, von

alternativen Formen der Werbung bis zum klimaneutralen Versand, von der Umstellung auf

eigene Energieversorgung bis zur Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei den

Zulieferern in aller Welt. Die Preisträger zeigen: mehr Nachhaltigkeit heißt oft gar nicht

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„mehr Kosten“ – immer aber „mehr Umsicht“, vor allem im Umgang mit Ressourcen aller

Art.

Die Begriffe klangen zum Teil schon an im Laufe des Festakts: Umsicht, Respekt,

Rücksichtnahme, Demut. Ich spüre bei vielen meiner Begegnungen, dass diese Begriffe

immer wichtiger werden, und dass es immer mehr darauf ankommt, über „Verhalten“ in

Form einer „Haltung“ zu sprechen, gegenüber Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Es gibt hier

in unserem Land einen erkennbaren Wandel. Ich wünsche mir, dass es noch mehr

Unternehmen gibt wie die Unternehmen der Preisträger. Und ich wünsche der „memo AG“

weiter so großen Erfolg und vor allem – auch wenn das die Konkurrenz verschärft – viele

Nachahmer!

Die WS Wärmeprozesstechnik GmbH wiederum ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie viel

Potential in innovativen technischen Lösungen liegt. Sogar – oder sollte man sagen vor

allem? – in den industriellen Bereichen, in denen extrem viel Energie verbraucht und

besonders viele Schadstoffe ausgestoßen werden. Das sind die Branchen, auf die es

entscheidend ankommen wird, weil ohne sie die Energiewende nicht gelingen wird.

Sie, meine Herren, haben gezeigt, wie man durch Erfindergeist und Beharrlichkeit

hergebrachte Verfahren geradezu revolutionieren kann. Und es sind noch viele wichtige

Einsatzbereiche für Ihre Entwicklung denkbar. Auch Ihnen meinen großen Respekt!

Ihr Beispiel zeigt auch, dass man nie sagen sollte: noch besser, noch sparsamer geht es nun

wirklich nicht. Schließlich hätte vor 250 Jahren auch noch niemand für möglich gehalten,

dass ein Mensch einmal die Arbeit von vielen Hunderten erledigen kann. Warum sollte es uns

nicht gelingen, durch bessere Verfahren aus einer Einheit Rohstoff, Energie oder Wasser ein

Vielfaches an Wohlstand herauszuholen?

Wir sollten nicht nur ehrgeizig sein. Wir müssen ehrgeizig sein. Morgen ist der errechnete

Stichtag, an dem wir sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten sein werden. Noch nie

in der Geschichte wurden durch menschliche Aktivitäten dermaßen viele Treibhausgase

ausgestoßen. Der Anstieg im vergangenen Jahr war der höchste seit Beginn der Messungen.

Global sind wir schon jetzt gefährlich nah an dem Ausmaß von Emissionen, das eigentlich

nicht vor 2020 hätte erreicht werden dürfen, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu

begrenzen. Über die Hälfte der weltweiten Ökosysteme sind bereits heute geschädigt.

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Bei bald möglicherweise acht oder neun Milliarden Menschen muss der Naturverbrauch

drastisch sinken. Nur so bleibt Wohlstand langfristig erhalten und wird auch denen

zugänglich, die jetzt noch nicht davon profitieren. Eine ehrliche Berechnung von Wohlstand

– das wird immer klarer – muss die Folgen von Umweltschäden mit einbeziehen, die durch

Übernutzung entstehen.

Ein Team um den renommierten amerikanischen Ökonomen William Nordhaus hat kürzlich

darauf hingewiesen, in welchen Bereichen Marktpreise nicht die vollen Kosten

widerspiegeln. In manchen Branchen werden – volkswirtschaftlich gesehen – sogar mehr

Werte vernichtet als geschaffen! In Kohlekraftwerken etwa und im Straßenbau. Auch in der

Getreide- und Fleischproduktion gilt es, neue Lösungen zu finden. Dabei hatten Nordhaus

und seine Kollegen allein die Folgen der Luftverschmutzung berücksichtigt und andere

Folgeschäden wie Lärm-, Wasser- und Bodenbelastungen ausgeblendet.

Um die Dynamik des Marktes in eine ökologische Richtung zu lenken, sind politische

Zielvorgaben, rechtliche Normen und ökonomische Anreize unverzichtbar. Die Wirtschaft

braucht verlässliche Rahmenbedingungen, die Investitionen in Klima- und

Umweltverträglichkeit langfristig wirtschaftlich sinnvoll machen. Darum sind internationale

Abkommen mit vergleichbaren Verpflichtungen für alle Wettbewerber wichtig.

Nun läuft im nächsten Jahr das Kyoto-Protokoll und damit das bisher einzige bindende

internationale Klimaschutzabkommen aus. Ich beobachte mit größter Sorge, dass es auf dem

Weg zu einem Nachfolgeabkommen in Rio im kommenden Jahr an allen Stellen hakt. Ich

finde es wichtig, dass Deutschland geschlossen auftritt, im Hinblick auf die in vier Wochen

beginnende UN-Klimakonferenz in Durban. Es gibt ein gemeinsames Ziel: den Anstieg der

globalen Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit auf zwei Grad zu

begrenzen. Nun müssen aber auch alle einen Beitrag zum Erreichen dieses Zieles leisten –

und diese Beiträge müssen verbindlich sein!

Hier sind an erster Stelle die Industriestaaten gefordert. Sie haben in der Vergangenheit

besonders viele klimaschädliche Emissionen verursacht haben. Europa muss hier treibende

Kraft sein. Und auch die USA müssen sich viel stärker als bisher dieser Verantwortung

stellen. Klar ist aber auch, dass wir ohne den Beitrag aller Staaten die Klimaschutzziele weit

verfehlen würden.

„Klimaschutz ist Weltordnungspolitik“ – so haben Sie, Herr Bundesminister Röttgen, es

formuliert. „Weltinnenpolitik“ – so hat es Carl Friedrich von Weizsäcker genannt – ist

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Klimaschutz ohnehin. Wir wissen: Entweder eine Lösung ist gemeinsam möglich oder sie ist

gar nicht möglich bei einem für die Erde so dramatisch wichtigen Ziel.

Trotz der aktuellen Finanzmarkt- und Schuldenkrise dürfen wir nicht vergessen, dass hier

unsere Zukunft auf dem Spiel steht! Und dass die Risiken, die möglichen materiellen

Schäden größer sind als die der gigantischen Finanzkrise.

Im Grunde geht es um eine Krise, die der gleichen Diskussion und der gleichen

Konsequenzen bedarf wie die Finanzkrise. Sie hat gezeigt, dass sich unsere

Wachstumsmodelle letztlich nicht als nachhaltig erweisen. Und der Pfad, der aus der Krise

herausführt, ist ein ganz ähnlicher. Er besteht darin, ehrlich Knappheiten zu benennen und

aufzuhören, auf Pump und über die materiellen Verhältnisse zu leben im Vertrauen darauf,

das Wachstum der Zukunft werde es schon richten. Überall gilt: es muss endlich nachhaltig

gehaushaltet und gewirtschaftet werden! Das ist der beste Weg.

Dazu brauchen wir einen Ordnungsrahmen, der ein Wachstum fördert, das wirtschaftlich und

ökologisch sinnvoll ist und nicht die Substanz zerstört. Ein Wachstum, das im Einklang mit

den verfügbaren Ressourcen steht und die Folgeschäden nicht einfach ausblendet. Wasser,

Böden, Artenvielfalt, endliche Ressourcen – dieses Kapital lässt sich eben nicht beliebig

vermehren. Dieses Kapital lässt sich in seiner Substanz nur erhalten, wenn wir aus weniger

mehr machen.

Nicht das Unmögliche sollte uns verzweifeln lassen, sondern die Unfähigkeit, das Mögliche

zu erreichen. Wenn ich mich auch in diesem Jahr hier umschaue, dann macht es mir wieder

Mut, dass wir das Mögliche erreichen können.

Ich wünsche mir, dass ich viele von Ihnen bei der „Woche der Umwelt“ im Park von Schloss

Bellevue wiedersehe, wo wir eindrucksvoll zeigen wollen, dass Nachhaltigkeit möglich ist

und wie viele Menschen in unserem Land bereit sind, am nachhaltigen Wirtschaften

mitzuwirken. Dort wollen wir zeigen, dass es viele einzelne intelligente, zukunftsweisende

Lösungen für die großen Herausforderungen gibt, vor denen wir stehen – sie müssen nur

überall, weltweit, genutzt werden. Wenn jeder das tut, was ihm oder ihr möglich ist, können

wir eine nachhaltige Welt für uns Menschen schaffen. Und wenn jede und jeder ein bisschen

mehr tut, als er oder sie zu können glaubt, dann schaffen wir es – wenn wir es zu unserem

gemeinsam Ziel erklären, wenn wir nicht nur darüber reden, sondern auch entsprechend

handeln.

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Rede 32 - 22. November 2011 - Christian Wulff

Ein libyscher Aktivist beschrieb vor kurzem das Gefühl, das er während der Proteste in der

arabischen Welt verspürte: „Es ist, als ob du dein ganzes Leben lang unter Wasser gedrückt

wurdest und plötzlich auftauchen darfst, um einen tiefen, befreienden Atemzug zu holen – du

willst mehr davon.“

Dass die Menschen in der arabischen Welt befreit atmen, über ihr Leben endlich selbst

bestimmen und wirtschaftlich teilhaben können – das ist und das bleibt die große Chance des

Arabischen Frühlings und dessen, was daraus hoffentlich folgt. Es ist eine Chance von

historischer Dimension, vergleichbar mit dem Jahr 1989 in Berlin, Deutschland und Europa.

Aber wir wissen und wir spüren: Noch ist nichts gesichert oder gar unumkehrbar. Europa ist

gefordert, jetzt, wo immer möglich, effektiv zu helfen und denjenigen überzeugend

beizustehen, die sich für Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.

Ins Rollen kam die Bewegung in Tunesien. Mit den Wahlen zur verfassunggebenden

Versammlung haben die Tunesierinnen und Tunesier ein neues Kapitel in ihrer Geschichte

aufgeschlagen. Zu diesem Kapitel gehört, dass Tunesien als eines der ersten Länder in der

arabischen Welt das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert hat.

Nicht nur deshalb hat Tunesien die Chance, Vorbild für die gesamte Region zu sein. Die

Botschaft von Tunis lautet: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte lassen sich nicht auf

Dauer unterdrücken. Die „Halbwertzeit“ für die Herrschaft von Tyrannen nimmt ab.

Anfang dieses Jahres hat in Ägypten die Demokratiebewegung einen Übergangsprozess

freigesetzt: die Staatssicherheit und die alte Regierungspartei wurden aufgelöst, die rechtliche

Aufarbeitung des Mubarak-Regimes hat begonnen. Aber die Zukunft ist noch nicht

gewonnen.

In den vergangenen Tagen ist es wieder zu unerträglicher Gewalt mit vielen Toten und

Verletzten, darunter auch Kindern und Jugendlichen, gekommen. Ich bin in tiefer Sorge: Was

voller Hoffnung als Arabischer Frühling begonnen hat, darf nicht als Herbst der

Enttäuschungen enden.

Der Oberste Militärrat bleibt deshalb aufgefordert, die Herrschaft des Volkes zu akzeptieren.

Dazu gehören Transparenz, freie Wahlen und die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte,

einschließlich der Freiheit der Religion und der freien Meinungsäußerung.

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In Syrien wird der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung brutal unterdrückt. Die

Syrerinnen und Syrer geben auch nach dem Tod Tausender Kinder, Frauen und Männer –

bestätigt sind über 3.500 Tote – nicht auf. Das Regime in Damaskus hat die Möglichkeit,

diese Krise zu beenden. Ich fordere gemeinsam mit der internationalen Völkerfamilie dazu

auf, dass die Regierung diesen Zustand beendet und dem Volk das Land zurückgibt. Wie

kann jemand gegen sein eigenes Volk herrschen wollen, statt freie Wahlen abzuhalten und zu

weichen?

Wir müssen gemeinsam gerade mit der Arabischen Liga den Druck weiter erhöhen. Das

Blutvergießen muss sofort aufhören! Jedes Volk hat das Recht, seine Geschicke in die

eigenen Hände zu nehmen.

Herr Mazen Darwish, der syrische Preisträger, kann heute Abend leider nicht bei uns sein.

Der leer gebliebene Stuhl ist das traurige Symbol seines Ausbleibens. Ich habe für diese

Entscheidung des syrischen Regimes keinerlei Verständnis. Sie zeigt aber gerade, dass es auf

eine klare Botschaft von Deutschland und Europa in diesen Tagen ankommt: Mazen Darwish

hat in seinem friedlichen Engagement für die freie Meinungsäußerung in Syrien unsere volle

Unterstützung – dieses Signal geht vom heutigen Abend aus!

So unterschiedlich die Umstände der Proteste in den einzelnen Ländern auch sind: Es sind

unabhängige Medien, die den Protestierenden die Möglichkeit geben, weltweit über Unrecht

zu informieren. Neue Technologien, wie die sozialen Netzwerke, erlauben es, Informationen

verfügbar zu machen und sich virtuell zu organisieren, also sich zu verabreden, sich

auszutauschen und gemeinsam aufzutreten.

Technik alleine kann sicherlich keine Demokratisierung begründen. Zunächst aber geht es um

Freiheit: „Diktaturen werden zerstört durch den Willen zur Freiheit“ – so hat es jüngst der

chinesische Schriftsteller Bei Ling formuliert.

Gleichzeitig sind mit der Technik aber auch die Möglichkeiten der Überwachung gewachsen.

In Ägypten ist selbst heute die Meinungsfreiheit nicht gesichert: Wir sorgen uns wegen der

vielen Prozesse gegen Zivilisten vor Militärgerichten, weil angeblich das Militär beleidigt

worden sei. Und wir sorgen uns angesichts der Blogger, die nach kritischen Äußerungen

gegenüber dem Militär inhaftiert wurden. Ob Militär oder Staatsoberhäupter: Wir alle müssen

uns der Kritik stellen. Transparenz, offener Wettstreit der Meinungen und Ideen sind

Ausdruck demokratischer Gesellschaften.

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Und ich freue mich: totale Kontrolle ist unmöglich geworden. Der öffentliche

Meinungsaustausch blüht in unterschiedlichen Foren und in vielen Ländern. Das ist ein Sieg

all derer, die sich für Menschenrechte, freie Medien und die freie Meinungsäußerung stark

machen!

Europa hat den Arabischen Frühling nicht vorhergesehen. Zu lange haben viele, auch in

freien demokratischen Ländern, an Autokraten festgehalten und sie in ihren Hauptstädten

zelten lassen. Umso entschlossener sollten wir heute unsere Unterstützung anbieten. Wir

sollten nicht davon ausgehen, dass sich die nun freieren Länder automatisch in Richtung

Demokratie und Marktwirtschaft entwickeln.

Europa tut deshalb gut daran, auf die sich demokratisierenden Gesellschaften zuzugehen und

Austausch und Investitionen zu ermöglichen: auf deutscher Seite durch den bilateralen

Dialog, im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik und gemeinsam mit unseren

amerikanischen Partnern, die den Wunsch nach Freiheit und Frieden mit uns teilen. Europa

beweist, wie viel Positives durch Kooperation zwischen Völkern in Bewegung geraten kann.

Deshalb sollten wir unsere europäischen Erfahrungen des friedlichen Miteinanders anbieten.

Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, setzen sich unter hohem persönlichem Risiko für

Menschenrechte ein und tragen zur Stärkung der Rechtstaatlichkeit bei. Dabei brauchen Sie

Unterstützung.

Eine Form davon ist Anerkennung, Solidarität, gemeinsames Auftreten. Heute ehren wir Sie,

aber eigentlich ehren Sie uns – durch Ihren Kampf und Ihr Hiersein heute. Und: Sie machen

uns eine Freude. Mich beeindrucken Menschen, die etwas in Kauf nehmen. Viele meiner

Präsidentenkollegen haben in den ersten Jahren ihres demokratischen Engagements für ihre

Ideen in Haft gesessen, beispielsweise Dilma Rousseff in Brasilien und Bronek Komorowski

in Polen.

Ich bin überzeugt, dass gesellschaftliche und religiöse Akteure viel bewegen können, damit

nicht extremistische Polarisierung, sondern Dialog und Empathie den Umgang der Menschen

miteinander bestimmen. Gemeinsam sollten wir dazu beitragen, ein globales Bewusstsein zu

schaffen für die unantastbare Würde aller Menschen!

Dazu braucht es gemeinsame Symbole: Deutschland und andere Staaten haben in einem

Wettbewerb ein universelles Menschenrechtslogo gesucht und inzwischen auch gefunden: Es

verbindet die Silhouette einer Hand mit der eines Vogels. Über 15.300 Einsendungen aus fast

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allen Staaten der Erde zeigen, wie sehr der Wunsch, Menschenrechte auch als Symbol

erkennbar zu machen, kulturen- und religionenübergreifend wirksam ist.

Geeint können wir eine ganze Menge dafür tun, dass Freiheit und Würde in der Welt gestärkt

werden. Dazu tragen auch Sie bei, sehr geehrter Herr Berger. Herzlichen Dank dafür, dass Sie

sich dafür einsetzen, Verteidigern der Menschenrechte eine Bühne zu bereiten. Damit haben

Sie sich an Ihrem heutigen Ehrentag und uns allen gemeinsam das wohl schönste Geschenk

gemacht. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag und Ihrem Engagement!

Ich danke Ihnen, dass Sie offen waren bei den Planungen und Entscheidungen. Denn mir geht

es um Beistand derer, die in Not und noch nicht so bekannt sind. Denen können wir mit

Ihrem Preis effektiv helfen. Gerade in diesem Jahr ist die Auswahl fürchterlich aktuell. Umso

wichtiger ist es, einen Preis zu geben.

Ich wünsche Ihnen allen, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, sehr geehrte Damen und

Herren, einen festlichen, aber auch einen nachdenklichen Abend. Denn wir wissen: Der

Einsatz für Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit geht weiter, weltweit – und gerade in

diesen uns so bewegenden Tagen in Ägypten, Syrien, aber auch in Tunesien, in Libyen und

vielen anderen Ländern. Sie träumen nicht nur ihr Leben, sondern sie leben ihre Träume. Sie

überwinden Ängste – Ängste, die Diktatoren als Grundlage ihrer Macht haben. Hier wollen

wir helfen.

Deutschland steht an der Seite jener, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben. Wir haben

Diktatoren, Unfreiheit und Unterdrückung im eigenen Land erlebt. Wir können deshalb die

Menschen in anderen Ländern gut verstehen – und stärker unterstützen.

Gehen Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, gestärkt in Ihre Heimatländer zurück.

Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg!

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Rede 33 - 29. November 2011 - Christian Wulff

Vielen Dank für den herzlichen Empfang. Es ist mir eine große Ehre, heute an dieser

geschichtsträchtigen und bedeutenden Universität zu Gast zu sein.

Zwei der wichtigsten Denker und Nobelpreisträger des 20. Jahrhunderts trafen sich 1930 bei

Berlin: Albert Einstein unterhielt sich mit dem großen bengalischen Dichter und Philosophen

Rabindranath Tagore über Mathematik und Musik. Einstein wollte wissen, wie europäische

Musik auf einen Bengalen wirkt, der sie in seiner Jugend nie gehört hat. Er frage sich, ob

europäische Musik universelle Gefühle ausdrücke. Einstein sagte zu Tagore „Sogar die rote

Blume, die vor mir auf Ihrem Tisch steht, ist vielleicht nicht dieselbe für Sie und für mich.“

Wir wissen nicht wirklich, was Tagore in diesem Moment vor sich sah. Sicher ist aber, dass

er zutiefst davon überzeugt war, dass nicht nur eine Verständigung zwischen Orient und

Okzident möglich ist, sondern dass sich beide Welten gegenseitig befruchten können. Dafür

müssen wir einen intensiven Dialog führen. Dieser wird nur erfolgreich sein, wenn beide

Seiten einander zuhören.

Bangladesch musste lange für seine sprachliche und kulturelle Eigenständigkeit streiten und

hat dafür große Opfer gebracht. Schon kurz nach der Teilung Indiens bildete diese Universität

im damaligen Ostpakistan ein Zentrum der Bewegung für die Anerkennung der bengalischen

Sprache, die 1971 zur Unabhängigkeit von Bangladesch führte.

Dass die UNESCO den 21. Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache erklärte,

verdanken wir der Initiative Ihres Landes. Auf diese Weise können wir alle ein wenig Anteil

an der berühmten Liebe der Bengalen zu ihrer Sprache und Literatur nehmen. Immerhin

gehört Bangla zu den meist gesprochenen Sprachen der Welt. Deutschland hat Ihre Initiative

damals gerne unterstützt.

Bengalische Kultur hatte aber nie etwas Ausschließendes. Sie schöpfte immer aus

verschiedenen asiatischen Kulturen und setzte sich gleichzeitig mit Europas

Geistesgeschichte auseinander. Schon im Mittelalter begegneten sich Händler aus allen

Teilen Asiens, aus Persien, Äthiopien und der arabischen Welt, später auch aus Europa, auf

den Flusswegen Bengalens. Wie die 250 großen und kleinen Flüsse im größten Flussdelta der

Welt, die sich immer wieder neue Wege suchen und die Landschaft stetig verändern, so

waren auch seine Bewohner immer offen für neue Ideen und Einflüsse, ohne aber dabei die

Richtung zu verlieren. Religiöse Begeisterung hatte in Bengalen immer auch eine universale

und humanistische Seite. Ich hoffe, dass Sie sich die Liebe zu Ihrer Kultur und Ihre

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gleichzeitige Offenheit immer bewahren werden, denn damit sind Sie für die Zukunft in

unserer immer stärker zusammenwachsenden Welt gut gerüstet.

Toleranz lässt sich nicht verordnen. Aber der Staat muss den Rahmen dafür schaffen, dass sie

sich entfalten kann und geschützt wird. Es ist sicher kein Zufall, dass Bangladesch sich nach

der Unabhängigkeit für eine säkulare Verfassung entschieden hat, die den Menschen eine

freie Wahl ihrer Religion und Weltanschauung zusichert. Verfassungen sind immer nur so

gut, wie sie in der Rechtswirklichkeit und im Alltag mit Leben gefüllt werden. In

Bangladesch sind religiöse Minderheiten ins politische und gesellschaftliche Leben integriert.

Zu ihrer Anerkennung gehört aber auch, dass sie gegen Gewalt umfassend geschützt und dass

Übergriffe verfolgt werden. Der Staat hat eine Schutzverantwortung für alle seine Bürger.

Das gilt selbstverständlich auch für Deutschland. Die Nachrichten, dass in Deutschland

Mitbürger von rechtsextremen Gewalttätern ermordet wurden, haben mich persönlich empört

und erschüttert. Ich habe mich mit den Angehörigen der Opfer getroffen und allen ist klar:

Wir dürfen und werden Gewalt gegen Menschen nicht hinnehmen.

Deutschland ist ebenso wie Bangladesch ein säkularer Staat. Unsere Gesellschaft verändert

sich und wird bunter. Ich habe letztes Jahr gesagt, dass inzwischen auch der Islam zu

Deutschland gehört. Mir ist es wichtig, dass die muslimischen Bürgerinnen und Bürger sich

in Deutschland zuhause fühlen. Auf meiner Reise begleiten mich zwei deutsche Muslime und

Islamwissenschaftler, die mit Kollegen in Bangladesch auch über muslimisches Leben in

Deutschland sprechen werden. Es ist gemeinsame Aufgabe aller Weltreligionen, sich für den

Zusammenhalt in ihren Gesellschaften einzusetzen.

Es war die kulturelle Identität, die den Menschen in Ostbengalen die Kraft gab, sich

unabhängig zu machen. Es war aber auch ihr Wunsch nach Selbstbestimmung, Demokratie

und Rechtsstaatlichkeit, der die Gründung von Bangladesch prägte.

Auf dem Weg hierher habe ich Ihren berühmten Parlamentsbau gesehen, entworfen vom

amerikanischen Architekten Louis Kahn. Er ist ein starkes Symbol für den demokratischen

Aufbruch in eine neue und moderne Zeit, in den die Menschen damals große Hoffnungen

setzten. Seine Bauherrn wussten: Ohne ein gut funktionierendes und konstruktives Parlament

wird es keine demokratische Zukunft geben. Nicht alle Träume Ihrer Eltern und Großeltern

wurden in der 40-jährigen Geschichte Ihres Landes erfüllt. Heute aber spielen demokratische

und säkulare Werte in Bangladesch eine zentrale Rolle. Ihr Land ist 2008 durch freie und

anerkannte Wahlen zur Demokratie zurückgekehrt und dies mit einer Wahlbeteiligung von

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fast 90 Prozent. Das ist für einen Europäer eine sehr beeindruckende Zahl. Es wird jetzt

darum gehen, den großen Erwartungen, die insbesondere die jungen Menschen in

Bangladesch mit diesem Mandat verbinden, gerecht zu werden. Sie erwarten eine Fortsetzung

der Reformpolitik, sie wollen Rechtssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven, eine

lebendige Demokratie ebenso wie mehr Raum für zivilgesellschaftliche Beteiligung.

Bangladesch verfügt über die wohl größte Zahl an Nichtregierungsorganisationen weltweit.

Mit ihren 40.000 großen und kleinen Organisationen und Vereinen erreicht sie auch die

kleinsten Dörfer. Bangladesch ist auch Heimat der größten Nichtregierungsorganisation der

Welt „BRAC“. Viele der in Bangladesch erprobten Ideen, wie die berühmten Spar- und

Mikrokreditprogramme der Grameen-Bank, wurden weltweit übernommen. Darauf können

Sie sehr stolz sein.

Wie stark Frauen in Bangladesch sind, zeigt nicht zuletzt ihre große Beteiligung an diesen

Programmen. 97 Prozent der Mitglieder von „BRAC“ sind Frauen. Auch in der

Textilindustrie, die in Bangladesch über die Hälfte des Exports ausmacht, arbeiten in der

Mehrheit Frauen, viele von ihnen unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen. Ihr berühmter

Dichter Kazi Nazrul Islam schrieb in einem seiner wunderbaren Gedichte „Ich besinge die

Gleichheit. In meinen Augen ist kein Unterschied zwischen Mann und Frau.“ Und doch sind

Frauen – nicht nur in Bangladesch – noch in vielen Lebensbereichen benachteiligt. Wir in

Europa wissen aus eigener Erfahrung: Zwischen Frauenrechten auf dem Papier und ihrer

Umsetzung liegt ein langer Weg.

Die bangladeschische Zivilgesellschaft suchte nach der Unabhängigkeit Ihres Landes schnell

den Anschluss an die Welt und konnte dabei auf lang bestehende Netzwerke zurückgreifen.

Schon im 18. Jahrhundert waren viele Bengalen nach Europa und Amerika ausgewandert.

Später gingen sie auch nach Südostasien und in die arabische Welt. Mit den Menschen

wanderten Wissen und Ideen. Aber erst die Verbreitung des Mobiltelefons im 21. Jahrhundert

ermöglichte auch den Bewohnern entlegener Dörfer in Bangladesch mit Verwandten in der

ganzen Welt zu sprechen. Heute bietet das digitale Zeitalter nun vielleicht zum ersten Mal in

unserer Geschichte die Chance auf Entstehung einer globalen Bürgergesellschaft. Noch ist

diese hauptsächlich auf die Städte dieser Welt beschränkt. Aber vor allem jungen Menschen

bietet das Internet völlig neue Formen der Kommunikation und politischen Teilhabe. Auch in

Deutschland verändert es die politische Landschaft. Über Kontinente hinweg entstehen

Kontakte und werden gemeinsam neue Ideen entwickelt.

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Sicher tragen diese Netzwerke auch dazu bei, dass uns die globalen Zusammenhänge

bewusster werden. Wir in Europa fragen uns zunehmend, unter welchen Bedingungen unsere

Kleidungsstücke oder Smartphones hergestellt wurden oder warum es auch im 21.

Jahrhundert noch zu Hungerkrisen kommen kann. Und die Menschen in den

Entwicklungsländern sehen, wie wir in Europa leben und verändern ihre Ansprüche.

In Bangladesch sind die Chancen und Probleme, die mit Globalisierung einhergehen

besonders spürbar. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen. Erstens: Im 17. Jahrhundert war

Dhaka berühmt für seine feinen Baumwollstoffe, die in der ganzen Welt begehrt waren. Im

Rahmen der erzwungenen Globalisierung der Kolonialzeit wurden wichtige Teile dieser

Industrie in den Westen verlagert. Heute, zwei Jahrhunderte später, produziert Bangladesch

wieder Textilien für die Welt, wenn auch unter ganz anderen Bedingungen. Ihr Land konnte

von der weltweiten Finanzkrise sogar profitieren und neue Produzenten anziehen. Immer

mehr Menschen bei uns möchten aber nicht nur preiswerte Kleidung kaufen, sondern auch

eine sozial verträgliche und umweltschonende Produktion unterstützen. Es liegt in unserer

gemeinsamen Verantwortung als Verbraucher und Hersteller, für einen nachhaltigen Umgang

mit unseren Ressourcen Sorge zu tragen.

Das gilt zweitens auch für die Ernährungssicherheit. Im Jahre 2050 werden voraussichtlich

250 Millionen Menschen in Bangladesch leben. Das wären 100 Millionen mehr als heute.

Auch die Produktion von Nahrungsmitteln hat sich vervielfacht. Nach seiner Gründung hat

Bangladesch zwölf Millionen Tonnen Reis produziert, heute sind es fast doppelt so viel. Und

doch bleibt die Frage, wie angesichts von Klimawandel, Rückgang der Anbauflächen,

Engpässen bei Düngemitteln, veränderten Ernährungsgewohnheiten und steigender

Nachfrage nach Agrotreibstoffen auf Dauer Nahrungsmittelsicherheit für so viele Menschen

auf unserem Planeten gesichert werden kann. Diese Frage kann nicht von Entwicklungs- und

Schwellenländern allein, sondern muss von uns allen gemeinsam beantwortet werden.

Und drittens denke ich an den Klimawandel, unter dem Bangladesch besonders leidet.

Jahrhunderte lang haben die Menschen im Delta mit der bisweilen zerstörerischen Kraft des

Wassers gelebt. Seine Bewohner wussten: Wenn der Fluss an der einen Stelle Land mit sich

reißt, baut er es an einer anderen wieder auf. Doch zunehmende Naturkatastrophen riesigen

Ausmaßes überfordern diese traditionelle Anpassungsfähigkeit, zwingen die Menschen zur

Flucht und machen Entwicklungserfolge zunichte. Das kann nicht nur Ihr Land, sondern die

ganze Region destabilisieren. Deutschland und Europa stehen zu ihrer Verantwortung für

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gestiegene Emissionen und haben sich ehrgeizige Reduktionsziele gesetzt. Aber nur

gemeinsam werden wir in den internationalen Klimaverhandlungen vorankommen.

Kommen wir noch einmal auf den großen Bengalen Tagore zurück. Er gründete 1921 eine

Welt-Universität und dies nicht in einer Stadt, sondern in einem kleinen Dorf in Bengalen.

Heute leben wir in einer globalen Wissensgesellschaft. Informationen sind jederzeit und

überall verfügbar. Und doch führt dies nicht automatisch zu mehr Verständnis füreinander.

Ich denke, wir sollten uns öfter an die damals von Tagore entwickelte Idee des gemeinsamen

Lernens erinnern. Denn nur so können wir heute eine Welt schaffen, in der es sich auch

morgen noch zu leben lohnt und in der kommende Generationen leben können.

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Rede 34 - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff

Vielen Dank für Ihren herzlichen Empfang! Ich freue mich hier zu Ihnen zu sprechen. Diese

große Konferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstreicht – wie ich finde – in

beeindruckender Weise die enge Zusammenarbeit unserer beiden Staaten. Dafür danke ich

den Organisatoren, der Behörde für Wirtschaftliche Entwicklung des Emirats Abu Dhabi, der

Handelskammer Abu Dhabi und der Deutsch-Emiratischen Handelskammer.

Die Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland sind durch vielfältige Kontakte in

Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur miteinander verbunden. Wie eng und

vertrauensvoll wir seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen unseren

Ländern miteinander mittlerweile umgehen, zeigt sich auch daran, dass die Vereinigten

Arabischen Emirate als einziges Land in der Region mit Deutschland eine strategische

Partnerschaft eingegangen sind. Der weitere Ausbau dieser vertrauensvollen,

gleichberechtigten Partnerschaft bleibt für uns auch in Zukunft wichtig.

Das vielleicht sichtbarste Zeichen unserer Partnerschaft sind die hervorragenden

Wirtschaftsbeziehungen. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind der größte Handelspartner

Deutschlands in der Golfregion, und die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel

entwickelt sich besonders schwungvoll. Dies zeigt, auf welch starkem Fundament die seit

Langem bestehenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern beruhen.

Und es zeigt auch, welche besonderen Chancen wir haben, gemeinsam weiter nach vorne zu

kommen.

Wichtige Voraussetzungen dafür bestehen: Das modernisierte Doppelbesteuerungsabkommen

schafft Klarheit bei Steuerfragen, das liberale Luftverkehrsabkommen geht in vielem über das

hinaus, was mit anderen Staaten vereinbart worden ist. Wir wollen nun von unserer Seite

alles daran setzen, dass unsere Beziehungen noch enger und erfolgreicher werden. Deshalb

bin ich froh, dass vor zwei Jahren die Deutsch-Emiratische Handelskammer gegründet

wurde, dass alle zwei Jahre die Gemischte Wirtschaftskommission tagt und jedes Jahr in

Deutschland das Deutsch-Emiratische Wirtschaftsforum zusammentritt.

Und ich freue mich, dass die Zusammenarbeit auch im Bereich Bildung und Forschung

gedeiht und im September unter Mitwirkung von drei deutschen Universitäten in Abu Dhabi

die Deutsch-Emiratische Hochschule für Logistik eröffnet werden konnte.

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Ich werde auf dieser Reise begleitet von einer Delegation führender deutscher Unternehmer.

Einige von Ihnen sind bereits seit langem vor Ort tätig. Rund 750 deutsche Firmen

unterhalten in den Emiraten Repräsentanzen oder Niederlassungen. Andere wiederum sind an

einem künftigen Engagement sehr interessiert. All dies liefert Chancen über Chancen, die es

nun beherzt zu ergreifen gilt!

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Sie wollen ihre

Industrie stärken und ihre Wirtschaft auf eine breitere Basis stellen. Diese Ziele sind

erreichbar. Sie sind erreichbar vor allem mit der Dynamik dieses Landes, die von Menschen

unterschiedlichster Herkunft friedlich getragen wird. Sie sind erreichbar auch durch eine

intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland. Deutsche Firmen bieten zum

Beispiel beim Aufbau von Infrastruktur oder im Maschinenbau exzellentes Know-how und

verlässliche Qualität.

Ein weiteres großes Zukunftsfeld unserer Zusammenarbeit ist die Energieversorgung. Heute

geht es um den Übergang in eine veränderte globale Wirtschaftsordnung. Sie muss mit der

rasanten Industrialisierung, mit knapperen Ressourcen und wachsendem Energiebedarf

Schritt halten. Sie muss sich auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz gründen. Das ist Ihnen in

den Vereinigten Arabischen Emiraten wohl bewusst, obgleich – oder besser – gerade weil Sie

über die derzeit sechst- beziehungsweise siebtgrößten Vorkommen an Erdöl und Erdgas

verfügen.

Sie beherbergen und unterstützen folgerichtigdie Internationale Agentur für Erneuerbare

Energien und nehmen eine regionale Führungsrolle in den Verhandlungen zur Begrenzung

des globalen Klimawandels ein. Hier gibt es eine große Übereinstimmung zwischen unseren

beiden Ländern und ein gemeinsames Ziel: den Anstieg der globalen

Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit auf zwei Grad zu begrenzen.

Europa will in diesem Prozess eine treibende Kraft sein.

Doch zeigt die Konferenz von Durban, die mit viel zu schmalen Ergebnissen gerade zu Ende

gegangen ist, wie weit der Weg zu einem tragfähigen Kyoto-Nachfolgeprotokoll noch ist. Ich

setze dabei auch auf die aktive Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate.

Ich sehe mit Anerkennung, welch konsequente Schritte die Emirate im Umweltschutz und

dem Ausbau Erneuerbarer Energien gehen, um in Zukunft den hohen CO2-Pro-Kopf-Ausstoß

zu senken. Aus diesem Grund besuche ich heute Nachmittag ein weiteres Mal Masdar City,

um mich über den Fortgang dieses CO2- und abfallfreien Stadteilprojektes zu informieren.

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Ein Projekt, an dem übrigens auch der Weltkonzern Siemens aus Deutschland als

strategischer Partner mitarbeitet.

Deutschland zählt im Umweltschutz, bei erneuerbaren Energien und bei Lösungen zu deren

Einbindung in das Gesamtsystem der Stromversorgung zu den führenden

Technologieländern. Gerade hier gibt es also ein großes Potenzial für eine vertiefte

Zusammenarbeit. Die Aufgabe einer nachhaltigen Energieversorgung – und dies gilt auch für

alle uns bevorstehenden globalen Herausforderungen – kann nur gemeinsam bewältigt

werden.

Die Staaten am Golf haben an wirtschaftlichem und politischem Gewicht gewonnen. Dies hat

sich auch auf dem letzten G-20-Treffen in Cannes gezeigt, an dem die Vereinigten

Arabischen Emirate erstmals teilgenommen haben.

Die G20 hatte sich nach Ausbruch der globalen Finanzkrise viel vorgenommen – auch aus

der Einsicht, dass Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte zu weit gegangen

sind. Der jüngste

G-20-Gipfel in Cannes hat nicht die Fortschritte gebracht, die wir weltweit dringend

brauchen – etwa durch Aufsicht und Regulierung des „verwilderten“ Teils des Finanzsektors

und strengere Maßgaben für systemrelevante Großbanken. Die bisherigen Lösungsansätze

sind zu klein für die Größe der Probleme, die mit der Krise offenkundig geworden sind.

Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa, international sehr verflochten und

zugleich auch sehr wettbewerbsfähig. Wir haben unsere industriellen und technologischen

Stärken, unsere Wirtschaft ist aber keineswegs sicher gegenüber den Entwicklungen in der

Welt.

Exzessive Verschuldung, ökonomische Ungleichgewichte und Mangel an

Wettbewerbsfähigkeit in einer Reihe von Staaten haben zu erheblichen Vertrauensverlusten

auf den globalen Finanzmärkten geführt. Dieser Befund ist keineswegs auf Europa

beschränkt. Auch im Kontext der G20 und der globalen Verantwortung appelliere ich an alle,

in Zukunft noch viel mehr auf nachhaltige, solide wirtschaftliche Entwicklungen und

Finanzen zu achten.

In diesen Tagen konzentrieren sich die Sorgen gewiss in besonderem Maße auf Europa.

Ich kann Ihnen versichern, dass die politisch Verantwortlichen mit großer Kraftanstrengung

daran arbeiten, die Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen und den Euro zu sichern.

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Die Herausforderung ist aber eine weltweite und betrifft viele Staaten - und es handelt sich

auch um eine Zuspitzung durch die Bankenkrise infolge zu risikoreicher und zu voluminöser

Geschäfte. Europa ist dabei, den institutionellen Rahmen der Währungsunion dauerhaft zu

stärken und dort, wo dringend notwendig, weitreichende wirtschaftliche Reformen und

Haushaltsdisziplin auch rigoros durchzusetzen. Dafür tritt Deutschland ein, und dieser

Prozess lohnt, er wird Früchte tragen, doch er benötigt Zeit und erfordert große politische und

gesellschaftliche Anstrengungen.

Wir haben in Europa schon mehr als einmal Umbrüche erlebt, zuletzt nach dem Fall des

Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer. Europa hat die Ereignisse stets zum Besten

gewandt und ist weit vorangekommen auf dem Weg der Freiheit, der Integration und der

technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Das sollte nicht vergessen werden, wenn

wir heute wirtschaftliche Fehler abstellen, entstandenen Schaden beseitigen und den Weg

wieder freimachen für ein offenes, wettbewerbsfähiges und geeintes Europa. Wir Europäer

brauchen dafür Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen. Und wir Deutsche zählen auch

weiterhin auf die Vereinigten Arabischen Emirate als wichtigen Investor in unserem Land.

Ich bin optimistisch, dass die Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland wichtige

Beiträge zur Lösung globaler Herausforderungen einbringen können. Nutzen wir die Chancen

einer noch engeren Zusammenarbeit auf bilateraler und auf globaler Ebene. Der

Wirtschaftskonferenz heute in Abu Dhabi wünsche ich einen erfolgreichen Verlauf!

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Rede 35 - 10. Januar 2012 - Christian Wulff

Herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Herr Nuntius, haben Sie vielen Dank für die guten

Wünsche zum neuen Jahr, die Sie im Namen des Diplomatischen Korps ausgesprochen

haben. Ich erwidere sie gerne.

Vor wenigen Wochen haben wir von Václav Havel Abschied genommen. Zehntausende

Menschen erwiesen ihm in Prag die letzte Ehre. Die Trauerfeier machte das beeindruckende

Erbe deutlich, das er uns hinterlässt. Václav Havel trat in Zeiten politischer Unfreiheit

standhaft für universelle Werte ein. Er war und ist Vorbild für viele, die sich nach

Selbstbestimmung und Gerechtigkeit sehnen.

Mich hat im vergangenen Jahr sehr bewegt, eindrucksvolle Präsidenten zu treffen, die früher

ebenfalls selbst zeitweilig politisch verfolgt wurden, weil sie für ihre Überzeugungen

einstanden: Meinen Freund Bronisław Komorowski aus Polen mehrfach, Dilma Rousseff aus

Brasilien, José Mujica aus Uruguay und Zillur Rahman aus Bangladesch. Persönlichkeiten

wie sie zeigen uns, dass der Einsatz für Demokratie und die Achtung der Menschenrechte

große Entbehrungen fordern, aber auch unter widrigsten Umständen am Ende doch zum

Erfolg führen können.

Immer mehr Länder sind dabei, die universellen Grundsätze von Demokratie und

Menschenrechten zu verwirklichen. In vielen Ländern, auch und gerade in der arabischen

Welt, beweisen Menschenrechtsverteidiger derzeit großen Mut, diese Prinzipien

durchzusetzen. Unbewaffnete Bürger, auf die geschossen wird, dürfen wir nicht alleine

lassen.

Deutschland steht auf der Seite der friedlichen Reformkräfte – das war auch eine zentrale

Botschaft meines Besuchs in der Golfregion vor einigen Wochen. Gleichzeitig suchen wir

den Dialog mit jenen, die noch nicht so weit sind, aber für den Austausch mit uns ein offenes

Ohr haben.

Menschenrechte zu achten heißt auch, auf Unterschiede Rücksicht zu nehmen und

Vielgestaltigkeit wertzuschätzen. Einheit in Vielfalt: Dies ist der Leitsatz vieler politischer

Gemeinschaften auf der Welt – von den Vereinigten Staaten über Indonesien bis zur

Europäischen Union. Damit diese Idee Wirklichkeit werden kann, ist es wichtig, dass

Menschen sich respektieren und miteinander ins Gespräch kommen. Das gilt weltweit, auch

hier in Deutschland.

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Fremdenhass, Gewalt und politischen Extremismus werden wir nicht dulden. Unser Staat

steht für das Leben und die Freiheit aller, die in Deutschland leben, ein. Jede und jeder ist

aufgerufen, dazu beizutragen, dass dies gelingt. In Abstimmung mit den anderen obersten

Verfassungsorganen lade ich für den 23. Februar zu einer Gedenkfeier für die Opfer

rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland ein, um ein deutliches Zeichen zu setzen.

Mir geht es darum, der Vielgestaltigkeit in unserer Welt offen, verantwortungsvoll und mit

Empathie zu begegnen. Im Inland, indem ich die gesellschaftliche Breite in Deutschland

anerkenne – und dazu gehört auch der Islam. Und gegenüber dem Ausland, indem ich für

kulturenübergreifenden Dialog werbe – nicht zuletzt in meinen Gesprächen mit

Religionsführern wie Papst Benedikt XVI. oder bei Foren wie der UN-Allianz der

Zivilisationen in Doha, Katar.

Offenheit zum Gespräch und verantwortungsvolles Handeln sind auch nötig, wenn wir bei

politischen Krisenherden vorankommen wollen. Gleichzeitig müssen wir aber denen

entschieden entgegentreten, die internationales Recht missachten, Gewalt gegen friedliche

Menschen anwenden oder sich gar terroristischer Mittel bedienen.

Um Instabilität und Armut zu bekämpfen, kommt es darauf an, Transparenz,

Rechtsstaatlichkeit und gutes Regieren zu stärken. Denn die Folgen schwacher Staatlichkeit –

das zeigen Probleme wie Terrorismus, Piraterie und Drogenhandel – betreffen uns alle.

Der globale Klimawandel stellt eine weitere Gefahr da. Hier gilt es, gemeinsam

Verantwortung zu übernehmen. Die für Juni 2012 geplante Rio+20-Konferenz bietet dafür

ein wichtiges Forum und eine große Chance, um weltweit mehr Nachhaltigkeit zu erreichen.

Gleichzeitig profitieren viele, auch ärmere Länder von den Handels- und Investitionsströmen

im Zuge der Globalisierung. Entscheidungen wie die deutsche Energiewende erschließen

neue Felder für die wirtschaftliche Kooperation – etwa bei der Energieeffizienz. Deutschland

will im Interesse eines effektiven Klimaschutzes international eng zusammenarbeiten.

Europa steht seit Monaten unter dem massiven Druck der globalen Finanzmärkte. Der Druck

konnte nur deshalb so groß werden, weil Staaten und Haushalte sich exzessiv verschuldeten

und ihre Wettbewerbsfähigkeit vernachlässigten. Nun müssen verlorene

Wettbewerbsfähigkeit, verlorene Gestaltungsspielräume und Vertrauen zurückgewonnen

werden.

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Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben begonnen, notwendige Strukturreformen

in die Wege zu leiten. Jetzt geht es für die Regierungen in Europa darum, dauerhaft

stabilitätsorientiert vorzugehen und Reformen zum Vorteil von möglichst vielen Menschen,

ganz besonders der Jugend, durchzusetzen. Der Weg der ökonomischen Gesundung erfordert

– im Übrigen nicht nur in Europa, sondern an vielen Orten – große politische und

gesellschaftliche Anstrengungen, er benötigt Zeit und Ausdauer. Wir werden zu sichern

haben, was uns Europa in den vergangenen Jahrzehnten an Gutem gebracht hat. Für den

intensiven Meinungsaustausch mit nahezu allen 26 EU-Botschaftern bin ich sehr dankbar

gewesen.

Bei der Regulierung der Finanzmärkte bedarf es auch auf Ebene der G20 noch weit

ehrgeizigerer Maßnahmen als das, was bislang dazu vereinbart werden konnte. Ich bin mir

sicher: Der Weg der Erneuerung wird sich lohnen. In Europa geht es gleichzeitig auch darum,

für einen stärkeren institutionellen Rahmen der Währungsunion zu sorgen und die

demokratische Legitimität der auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen zu

stärken.

Das sind beachtliche Aufgaben.

Ich bin überzeugt, dass Europa sie meistern kann. Voraussetzung ist, dass wir uns auf den

Geist der Gemeinsamkeit besinnen, der die friedvolle Einigung unseres Kontinents in den

vergangenen Jahrzehnten ermöglicht hat.

Die gegenseitigen Abhängigkeiten in Europa und der Welt erfordern, Politik kooperativ zu

gestalten. Ein Zurück in die nationale Nische wird es nicht geben. Gemeinsames

Nachdenken, gemeinsames Entscheiden und gemeinsames Tragen von Verantwortung für die

Entwicklung der Welt müssen unser Vorgehen bestimmen. Hierbei kommt den Vereinten

Nationen als dem legitimen universellen Ort die zentrale Bedeutung zu. Deutschland wird

sich als nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat auch weiterhin für eine Stärkung der

Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen einsetzen.

Erlauben Sie mir, am Ende auf Václav Havel zurückzugreifen, der über die Zweideutigkeit

des schönen deutschen Worts „Heimat“ reflektierte: „Wir sollten lernen“, so Václav Havel,

„die Heimat wieder – so wie es wahrscheinlich einst geschah – als unseren Teil der ‚Welt im

Ganzen’ zu empfinden, das heißt als etwas, das uns einen Platz in der Welt verschafft, statt

uns von der Welt zu trennen.“

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Ich möchte, dass Deutschland als verlässlicher und fairer Partner seine Aufgaben in der Welt

wahrnimmt. Deshalb suche ich den engen Kontakt mit meinen Amtskollegen und anderen

Entscheidungsträgern weltweit. Ich bin dabei auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen

angewiesen und diese ist vorzüglich.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihrer

Botschaften ein glückliches und friedvolles neues Jahr 2012.

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Rede 36 - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck

Die Kieler Woche hat begonnen. Kiel ist besonders schön in diesen Tagen, egal wie das

Wetter ist, die Schleswig-Holsteiner mit ihrem etablierten Leben zwischen zwei Meeren

haben sich mit der Kieler Woche ein besonderes Geschenk gemacht. Die meisten Menschen,

die an Schleswig-Holstein denken, verbinden die Idee und Existenz am Meer mit dem Gefühl

von Weite und Freiheit.

Aber für die Menschen, die hier leben, ist es eben nicht nur immer erfreulich, Weite und

Freiheit zu genießen. Denn was die Alten erlebt haben, wenn die Stürme Land bedrohten, das

bemerken die Jüngeren von uns oder die Zeitgenossen seit Jahrzehnten, dass es Stürme des

Wirtschaftslebens gibt, die noch nachhaltiger uns bedrohen als die Sturmfluten, die wir an

den Küsten kennen. Und diese Stürme haben mitunter konkrete Namen wie Werftenkrise,

Fischereiproblematik, Wandel in der Landwirtschaft – all das ist die Problemwelt, die uns

hier auch begegnet und nicht nur das Meer mit seiner Offenheit, mit seinem Symbolgehalt für

Freiheit, für Weite und Aufbruch.

Und hier, mitten in dieser Landschaft, Schönheit und Problematik gemischt, steht nun das

weltberühmte Kieler Institut für Weltwirtschaft. Und es steht hier einfach richtig gut. Deshalb

freue ich mich, dass wir in dieser wunderbaren Umgebung heute an kluge und wegweisende

Zeitgenossen den Weltwirtschaftspreis verleihen, an Zeitgenossen, die uns etwas zu sagen,

etwas zu geben haben.

Und dann kommt noch dazu, es ist heute nicht nur Sonntag, sondern es ist auch der 17. Juni.

Das war lange ein Nationalfeiertag im Westen Deutschlands. Weil es im Osten Deutschlands

etwas Besonderes gegeben hatte, 1953 an über 700 Orten des Landes standen unterdrückte

Menschen auf, gegen die Willkür einer kommunistischen Diktatur. Sie sind in den Aufstand

gezogen und sind friedlich geblieben, aber wurden unfriedlich niedergeschlagen. Wir denken

heute einmal in dieser Stunde, bevor wir die Auszeichnungen vornehmen, an die Menschen,

die damals noch nicht frei sein konnten, obwohl sie miteinander riefen: „Wir wollen freie

Menschen sein.“ Ich habe das damals am Radio fiebernd mitverfolgt. Alle diese Menschen

wurden niedergeschlagen, aber ihr Mut und ihre Sehnsucht, die wollen wir nicht vergessen.

Und in einer nachfolgenden Generation ist beides wieder erwacht, Mut und Sehnsucht nach

Freiheit. Am Ende gab es einen Versuch, der erfolgreich war. Die Mauern fielen und Freiheit

schuf sich Raum. Das alles betrachten viele Menschen heute in Deutschland als

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selbstverständlich. Wir sollten dieser Versuchung nicht verfallen. Freiheit ist nie

selbstverständlich, sondern immer auch Aufgabe.

Und wie hat sich diese Welt nun verändert in den letzten 20 Jahren! In vielen Ländern haben

Menschen politische und wirtschaftliche Freiheiten errungen. In anderen sind sie dabei. Wir

haben in den letzten Monaten voller Spannung in den Mittelmeerraum geschaut und voller

Sorge schauen wir nach Syrien. Die Menschen dort haben Bevormundung und

Einschüchterung zum Teil abgeschüttelt, zum Teil wollen sie sie abschütteln. Sie haben

Grenzen geöffnet. Und im Osten Europas, wo das früher geschehen ist, konnten erstmals

viele an Freiheit und Wohlstand teilhaben und am Fortschritt mitwirken. Kräfte wurden

freigesetzt. Fleiß und Ideen konnten sich neu entfalten.

In vielen anderen Ländern ringen aber die Menschen noch um mehr politische und

wirtschaftliche Freiheiten. Und das betrifft auch eine wirtschaftliche Ordnung, von der wir

erwarten, dass sie Millionen Menschen weltweit nicht niedergeschlagen macht, sondern ihnen

einen eigenständigen Weg aus Armut eröffnet, sie zu aktiven Menschen macht, mit Mut und

aufrechtem Gang.

Für viele ist, was sie erhoffen, also Wirklichkeit geworden, frei denken, frei leben zu können

und materiell für sich und andere zu sorgen. Aber eben nicht für alle. Und „alle“ in den

Wohlstand mit nehmen zu können, das war das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft,

das noch heute Hoffnung macht. Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich sagen, dass der

schlichte Gebrauch des Wortes Kapitalismus für so unterschiedliche Formen von Wirtschaft,

wie wir sie in Europa und weltweit erleben, einfach leichtfertig ist. Also: Alle diese Chancen,

die wir hier in Deutschland, die wir auch in Skandinavien gesehen haben, die müssen wir nun

mit dem Stichwort Globalisierung verbinden.

Wenn wir das Gefühl haben, dass die Grundrichtung unserer Zeit dort stimmt, wo wir die

Zunahme von Freiheit und Verantwortung erleben – dann wissen wir doch auch, dass es

kluge Leute gibt, die sagen: Diese Globalisierung von Freiheit und Verantwortung steht in

unseren Jahren am Scheideweg.

Mancher Mut – das haben wir erlebt – sinkt. Wirtschaftliche Probleme führen zu

Rückzugstendenzen – auch in Ländern, die sie sich gerade erst ihre Freiheit erkämpft haben.

Und es gibt Menschen, die laut „Aber!“ rufen.

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Weltweit wächst der Wohlstand – aber eben nicht für alle. Die Armut nimmt ab, aber die

Unterschiede zwischen Armen und Reichen werden größer und gefährden mancherorts den

sozialen Frieden. Noch nie gab es einen so blühenden und ausgedehnten Welthandel. Aber

Ökonomen weisen auf Schieflagen hin. Unternehmer nutzen Chancen – aber nicht alle haben

verstanden, dass ein dauerhafter Erfolg nicht allein auf Niedriglöhnen und laxen Vorschriften

für Arbeits- und Umweltschutz gründet. Arbeitnehmer stellen sich einem erhöhten

Wettbewerbs- und Leistungsdruck. Aber oft genug erleben sie, dass Tätigkeiten in andere

Länder verlagert werden – zu schlechteren Arbeits- und Umweltbedingungen.

Wir alle sind für den Schutz unserer Lebenswelt verantwortlich. .Aber nach wie vor sind die

Warnungen berechtigt, dass die Folge unseres Lebensstils das Klima verwandelt, dass

lebensnotwendige Wälder abgeholzt werden und Landmassen erodieren.

Gerade auch junge Menschen auf dieser Welt empfinden diese Spannungen verstärkt. Sie

sagen: „Globalisierung gefällt mir, aber da ist noch etwas, was mir wichtig ist!“

Und wenn ich, der Nichtökonom, dann die Ökonomen frage, was sie dazu beitragen können,

dass wir optimistisch auf die Globalisierung und ihre Chancen sehen, dann höre ich oft: Nicht

die Offenheit der Märkte sei das Problem, sondern ihre oft noch unzureichende Ordnung!

Nicht der Markt sei schlecht, sondern ein ungeordneter Markt sei schlecht.

Wenn die Globalisierung heute am Scheideweg steht, dann deshalb, weil wir eine weltweit

überzeugende Ordnung der Freiheit und des Friedens erst noch erringen müssen.

Wo immer das – und gerade auch mit Ihrer Hilfe hier am Kieler Institut – geschieht, wo

immer Sie helfen, dieses Aber mit Argumenten abzubauen, Menschen zu überzeugen, ihnen

Ängste zu nehmen, da tragen Sie als Ökonomen dazu bei, dass Menschen die Furcht vor der

Freiheit verlieren und stattdessen Freude finden an Gestaltung und Mitwirkung.

In unseren Jahren ist der Wirtschaftstheorie eine besondere Verantwortung zugewachsen.

Ökonomisches Denken prägt die Welt. Denn Finanz- und Schuldenkrisen sind überall präsent

und damit eben weitreichende Verunsicherungen in großen Bevölkerungsgruppen.

Darum habe ich mit großer Aufmerksamkeit vernommen, was der Präsident des

Weltwirtschaftsinstituts Dennis Snower sagt: Er weist uns darauf hin, dass das, was Banken

an den Rand des Kollapses gebracht habe, eigentlich noch ganz legales Verhalten gewesens

ei. Kurzfristige Gewinnmaximierung sei erlaubt, aber sie sei in einer freien Gesellschaft nicht

zuträglich, sagt er. Und auch das sagt er: In der Wirtschaftstheorie stünden wir am Anfang

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einer Revolution: „Die etablierten Vertreter der Ökonomenzunft haben über Jahrzehnte ein

Wissensgebäude aufgebaut, dessen Fundament heute stark bröckelt.“ Sie, die Ökonomen,

gingen davon aus, wir haben es eben gehört in der Einleitung, dass der Mensch immer

rational handele, was in der Krise auf den Finanzmärkten ganz offensichtlich nicht der Fall

gewesen sei. Er empfehle daher jungen Menschen, Ökonomie zusammen mit Soziologie,

Philosophie und Psychologie zu studieren. Soweit der „Kieler Weltwirtschaftspräsident“,

wenn ich ihn einmal so bezeichnen darf.

Diese Öffnung für eine vertiefte Rationalität, nämlich der von mehr Achtsamkeit für das

Ganze, ja auch mehr Menschlichkeit in der Ökonomie lässt weit über die Zunft hinaus

aufhorchen. Und wenn dann noch Psychologen Wirtschaftspreise bekommen oder

gelegentlich Ökonomen den Friedensnobelpreis, dann schafft das doch sehr lohnende

Perspektiven für die vielen, die nicht Diplom-Ökonomen sind oder werden wollen.

Ich will auch das hier in Kiel sagen: Ich freue mich, dass die Ökonomie, als Wissenschaft

sich in den letzten Jahren geöffnet hat und den Austausch mit anderen Disziplinen sucht und

neue Lösungswege erörtert. Denn neues Denken ist gefragt. Der Mensch ist mehr, als dass es

nur eine Disziplin erfassen könnte.

Auch Ökonomietheorie kann Mut machen und verhindern, dass Ängste lähmen. Wer sich von

Angst regieren lässt, verliert nämlich ja er vergisst oft seine Kraft. Aber Menschen brauchen

Kraft, im Persönlichen genauso wie in der Politik, in der Gesellschaft, in Wirtschaft, Technik

– um uns weltweit weiter behaupten zu können und zugleich hier in unserem Land allen die

Chance zu geben, mitzutun.

Dabei ist nicht Abschottung und Rückzug ins Nationale der richtige Weg. Kofi Annan, der

ehemalige UN-Generalsekretär, hat zu Recht gemahnt: „Die größten Verlierer der sehr

ungleichen Welt von heute sind nicht jene, die der Globalisierung zu sehr ausgesetzt sind,

sondern jene, die außen vor bleiben.“

Auch das kenne ich nur zu gut: Dass auf Herausforderungen mit Flucht reagiert wird oder

einfach mit Rückzug ins Private. Manche resignieren dann, andere radikalisieren sich, wieder

andere inszenieren sich als krisenblinde Passagiere auf einem Schiff in schwerer See.

Widerstehen wir solchen Fluchten!

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Egoistischer Protektionismus zum Beispiel ist Angstpolitik, verdüstert die Aussichten der

Menschen, er versperrt den Weg des Fortschritts. Das gilt für Menschen wie für Staaten und

gewiss auch für die Wirtschaft.

Gute Globalisierung braucht Verantwortung und mutige Politik. Gerade unser Land zeigt uns

doch: Offenheit tut gut. Sie fordert uns heraus, aber sie stärkt uns auch. Wir sind ein offenes,

international verflochtenes Land, das gilt wissenschaftlich, technologisch, wirtschaftlich,

politisch und – besonders schön – das gilt auch menschlich. Jugendliche reisen zum Beispiel

wie nie zuvor.

Wir sind erfolgreich im Welthandel, bestehen im internationalen Wettbewerb und zugleich

sind wir ein solidarischer Sozialstaat mit einer verlässlichen und weitsichtigen Partnerschaft

zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Studien zeigen immer wieder diesen

Zusammenhang: Soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Gegensatz, im

Gegenteil. Eigentlich bedingen sie einander. Ich kann es auch so sagen: Globalisierung ist

von Menschen gemacht, sie ist kein finsteres Schicksal, sondern sie eröffnet auch Chancen.

Nun haben wir aber in den letzen Jahren bekanntlich vor allem Krisen vor Augen – Krisen,

die tiefgreifend und vielfältig sind und denen sich unsere Regierung darum sehr ernsthaft

stellt.

In solchen Zeiten ist es besonders wichtig, sich klar zu machen: Wir können etwas, wir

können für uns sorgen und für andere, wir können unser Denken ändern und unser Verhalten

und die Regeln und Institutionen verbessern, die uns überkommen sind. Wir haben

Potenziale, wir haben sie erprobt, wir müssen sie weiter nutzen. Zukunft ist oft genug die

Geschichte gewesen, die Menschen mit Mut aus Krisen gemacht haben. „Wir sind das Volk!“

– was die Menschen in Ostdeutschland so nachhaltig verändert hat, zur Selbstbestimmung

und Eigenverantwortung geführt hat.

Für mich stellt sich deshalb hier in unserem wirtschaftlichen Kontext nicht die Frage: „Mehr

oder weniger Markt?“ - Der Markt ist einfach ein Ausdruck des menschlichen Miteinanders,

er ist ja nie Selbstzweck. Auch in der Wirtschaft gibt es keine Freiheit ohne Verantwortung.

Und wo es sie gibt, wird sie schädlich. Wer wirtschaftliche Freiheit in Anspruch nimmt, der

muss auch verantwortlich handeln. So müssen Unternehmen, Banken die Auswirkungen ihres

Handelns auf die Gesellschaft aus eigenem Antrieb einkalkulieren. Es gibt eine

Verantwortung des Einzelnen, die er nicht auf Regeln oder auf ihr Fehlen abschieben kann.

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Zugleich bleibt die Verantwortung Aufgabe der Gesellschaft. Sie muss Regeln schaffen, die

verhindern, dass wirtschaftliche Freiheit zerstörerische Folgen hat.

Noch erscheint es vielen so, dass gerade die politische Verantwortung für verbindliche

globale Regeln, die auch durchgesetzt werden – für die Wirtschaft, für die Finanzmärkte, für

die Umwelt- und den Klimaschutz –, eher zaghaft wahrgenommen wird. Insbesondere die

Reformanstrengungen für einen dienlichen globalen Finanzsektor sind für die Nichtfachleute,

also für fast alle, die mit uns leben, oft nur schwer zu verstehen. Und doch sind diese

Arbeiten von elementarer Bedeutung – damit strauchelnde Banken nicht Staaten in den

Abgrund reißen können.

Die globalen Herausforderungen unserer Zeit bedürfen deshalb globaler Antworten. Bislang

hinkt die Politik noch dem globalen Marktgeschehen hinterher. Wenn globale Regeln der

Freiheit fehlen – und das haben wir doch wohl in der großen Finanzkrise erlebt –, ist das

nicht nur ein spannender, archaisch-lebendiger Vorgang. Sondern vielmehr gefährdet das

nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Akzeptanz der Demokratie! Zwar treffen sich die

Staats- und Regierungschefs auf internationalen Gipfeln – und das ist wichtig – und doch

kommen die Reformen der internationalen Regelwerke, Organisationen und Gremien nur

langsam voran.

Ich wiederhole es: Freiheit braucht ein Regelwerk, das beachtet wird, eine Ordnung, der wir

uns mit allen anderen im gemeinsamen Interesse unterordnen: Dies habe ich vor Augen,

wenn ich uns ermuntere – manchmal wohl auch zumute –, mehr Europa zu wagen – gerade in

diesen für Europa so entscheidenden Wochen. Europa braucht unser Herz, es braucht unseren

Verstand, aber auch eine Ordnung, die in die Zukunft trägt.

Dazu gehört, dass die Vereinbarungen, die wir Europäer gemeinsam getroffen haben, auch

eingehalten werden. Das heißt wir Deutsche werden weiter solidarisch handeln können in

einem Raum der Verlässlichkeit. Deutschland hat seine Solidarität, sein Ja zu Europa immer

wieder unter Beweis gestellt. Aber über alle Rettungsoperationen hinaus werden wir nur dann

eine erfolgreiche Gemeinschaft, wenn das Prinzip der Selbstverantwortung in Europa

allgemein anerkannt ist. Wir haben viel in unserem Land wie auch in Europa erreicht. Das,

was wir uns gemeinsam geschaffen haben in Europa, unsere gemeinsame europäische

Ordnung, müssen wir bewahren.

Und es bleibt richtig: Eine bessere Welt ist möglich. So unvollendet die globalen Märkte sind

und so lückenhaft das, was man vielleicht gerade erst den Anfang einer sich andeutenden

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globalen Ordnung nennen könnte, so wichtig ist jede einzelne Stimme, die mit Mut und guten

Ideen Freiheit und Verantwortung weltweit fördert.

Das gilt für Wissenschaftler, das gilt für Praktiker, für Politiker und für jeden Einzelnen von

uns. Und dass Einzelne sich angesichts so gigantischer globaler Probleme nicht entmutigen

lassen müssen, daran erinnern uns heute in Kiel unsere Preisträger. Und das ist vielleicht das

Schönste und Besondere heute hier: Wir ehren Menschen, die, jeder auf seine Weise,

gleichsam an der aufgepeitschten See stehen, die hohen Wellen und die starken Kräfte sehen,

und dennoch sagen: Da lässt sich was machen.

Professor Nathan Eagle, Ihre Ideen tragen entscheidend dazu bei, dass Menschen sich über

moderne Telekommunikationstechnologien vernetzen. Sie ertüchtigen die Menschen,

Grenzen zu überwinden und sich global einzubringen in einen lohnenden Austausch von

Ideen und Engagement.

Professor Daniel Kahnemann, Ihre wissenschaftlichen Beiträge erhellen: Auf dieser Welt

sind nicht nur Länder- und Kulturgrenzen zu überwinden, sondern Menschen müssen auch

die Grenzen ihres rationalen Handelns beachten. Sie stellen grundlegende Annahmen

menschlicher Rationalität produktiv und zukunftsweisend in Frage und lehren uns mit

unseren Unvollkommenheiten verantwortlich zu leben.

Und schließlich, verehrter Präsident Martii Ahtisaari, Ihr Einsatz ermutigt uns in ganz

besonderer Weise. Sie haben unermüdlich für die Befriedung von Konflikten auf drei

Kontinenten agiert – Sie haben sich engagiert im Südwesten Afrikas, im Kosovo und in der

indonesischen Provinz Aceh. Sie haben geholfen, Spannungen abzubauen und eine

Lebensnormalität herzustellen, in der freie Entfaltung der Persönlichkeit überhaupt erst

möglich wird.

Mein großer herzlicher Dank gilt Ihnen allen, verehrte Preisträger! Ich freue mich nun mit

allen im Saal auf die Laudationes, damit wir mehr hören über die Erfolge und die Leistungen

der Menschen, die wir heute ehren, und auf das, was sie uns, verehrte Preisträger, zu sagen

haben.

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Rede 37 - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck

Danke für den freundlichen Applaus, aber ich habe doch noch gar nichts gesagt.

Das sind ja schöne Tage, die wir hier jetzt im Schloss Bellevue haben. Gestern eine Menge

Kinder und Jugendlicher, die sich aktiv für eine lebendige Demokratie einsetzen. Und heute

Sie, die lieben Gäste, die wir aus allen Teilen der Welt bei uns haben, die internationale

Humboldt-Familie!

Ein herzliches Willkommen Ihnen allen im Schloss Bellevue, hier im Garten, unter einem

schönen Himmel in Deutschlands Hauptstadt Berlin. Willkommen also in Deutschland oder

welcome again! Es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie alle hier sind. Herr Professor Schwarz

hat einmal so schön gesagt: „Der größte Wunsch der Humboldt-Stiftung ist es, dass sich die

Stipendiatinnen und Stipendiaten aus der ganzen Welt bei uns willkommen fühlen. Das ist die

beste Voraussetzung für Spitzenforschung.“

Das gefällt mir! Diese Haltung und dieses Wort, das gefällt mir. Ich glaube nämlich daran,

dass Menschen immer dann besonders leistungsfähig sind, wenn sie nicht nur einer

bestimmten Aufgabe sich annehmen, sondern in ihrer ganzen Persönlichkeit wahrgenommen

und anerkannt werden. Das spürt man im täglichen Miteinander genauso wie in

Forschungsprojekten, in denen unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten aufeinander

treffen. Wenn unsere Seele offen für andere ist, dann öffnet sich auch unseren Geist. Dann

kommt Bewegung in Herz und Hirn. Dann kann sich das entfalten, was wir Inspiration

nennen und was Sie, sehr geehrte Damen und Herren, schon zu großen Erfolgen in Ihren

unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen beflügelt hat.

Humboldtianer kommen aus über 130 Ländern der Welt zu uns. Sie gehören in der Regel zu

den Besten in Ihrem Fach, sie sind schon von vielen Stellen ausgezeichnet und für exzellent

befunden worden. Dazu gratuliere ich Ihnen von Herzen! Und ich möchte Ihnen danken,

denn Sie haben sich entschieden, einen Teil Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn in

Deutschland zu absolvieren. Das ist ein Vertrauensbeweis, ein Geschenk für unser Land. Sie

bereichern nicht nur unsere Universitäten mit Ihrem Wissen und Können. Sie bereichern

unsere ganze Gesellschaft. Ich möchte Ihnen deshalb im Namen meines ganzen Landes

sagen, wie sehr wir das zu schätzen zu wissen!

Und ich möchte Sie einladen, Ihre Zeit bei uns in Deutschland zu einer ganz besonderen zu

machen. Frei forschen zu können, das ist ein so großes Privileg! Diesen Satz hören Sie von

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jemandem, für den die Freiheit zu einem Lebensthema geworden ist, gerade weil er sie eben

nicht hatte. Weil er einst erfahren hat, wie sich staatlich begrenzter Alltag anfühlt: auch in der

Wissenschaft, in der Wirtschaft, einfach überall. Damals hat uns in Ostdeutschland, wo ich

herkomme, die Kraft der Gedanken gerettet, eine Sehnsucht nach Freiheit, die innere

Überzeugung, etwas ändern zu müssen und auch ändern zu können. So ist dann der Umbruch

1989 Realität geworden.

An diese Kraft muss ich oft denken, wenn heute die großen politischen Themen diskutiert

werden: die Nutzung erneuerbarer Energien, das Armutsproblem, die Milleniumsziele der

Entwicklungszusammenarbeit oder der arabische Frühling, dem hoffentlich niemals ein kalter

Winter folgt.

So viele Dinge, die Mut erfordern und nicht nur unsere Bereitschaft, sich zu fürchten oder zu

flüchten. Wo entstehen heute die Gedanken, aus denen eine starke Überzeugung und dann die

Kraft zum Wandel erwächst? Die Universitäten und Wissenschaftsorganisationen können –

und ich finde: sie müssen – ein solches Feld für Vordenker und für langfristige

gesellschaftliche Veränderungen sein.

Alexander von Humboldt hat einmal gesagt: „Überall geht ein früheres Ahnen dem späteren

Wissen voraus.“ - Bitte, verehrte Stipendiatinnen und Stipendiaten, seien Sie mutig und

gehen Sie Ihren Ahnungen, Ihrer Intuitionen nach! Ob nun in der Naturwissenschaft oder in

der Philosophie: Wenn Sie Ihre Exzellenz mit der nötigen Entschlossenheit verbinden, dann

kann aus Ihrem Forschungsaufenthalt in Deutschland etwas entstehen, was weit über die

Dauer Ihres Stipendiums hinausreicht. 48 Nobelpreisträger stammen aus den Reihen der

Humboldtianer! Eine tolle Zahl. Und die nächsten sehe ich vielleicht gerade vor mir. Wenn

nicht unter den Erwachsenen, so vielleicht unter den Kindern, die Sie mitgebracht haben.

Viele Alumni zog es auch schon in die Politik. Sie haben bei den Vereinten Nationen eine

Mission gefunden oder gelegentlich wurde einer sogar Staatspräsident. In Ungarn war das

Laszlo Solyom. Bei solchen Berufungen ist die Wahrscheinlichkeit übrigens groß, dass wir

uns eines Tages wieder hier im Bellevue treffen könnten. Das würde mich freuen!

Freuen würde ich mich aber ganz besonders, wenn möglichst viele Humboldtianer

Deutschland sogar länger, auf Dauer zum Arbeits- und Lebensmittelpunkt wählen. Dass wir

hochqualifizierte Akademiker gern halten möchten, ist schon seit vielen Jahren kein

Geheimnis mehr. Zu den noch nicht so bekannten Entwicklungen gehört, dass inzwischen

auch für die mitziehenden Partnerinnen und Partner die Startbedingungen bei uns besser

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geworden sind. Die Anerkennung ausländischer Berufe und Studienabschlüsse kommt

beispielsweise deutlich voran. Auch der Ausbau der Kindertagesstätten an den Hochschulen

und in den Kommunen liegt uns am Herzen. Das soll eingewanderten Familien helfen, wenn

beide Elternteile arbeiten wollen.

Einige von Ihnen haben ja heute – das hört man und sieht man – Kinder mitgebracht. Liebe

Kinder, schön, Euch hier im Park zu sehen! Ihr sollt Euch wohl fühlen in Deutschland! Die

Humboldt-Stiftung hat auch Euer Wohl und das Glück der ganzen Familie im Auge. Ich

denke, darüber wird mir der Herr Professor Schwarz noch einiges erzählen und ich bedanke

mich sehr dafür, dass das so ist. Wenn von „Willkommenskultur“ gesprochen wird – und das

tun Sie ja häufig –, dann ist das nicht nur ein Wort. Sie haben dafür mit der Stiftung und

gemeinsam mit den Universitäten und Ausländerbehörden ganz wunderbare Geschichten fürs

Leben geschrieben. Dafür danke ich Ihnen sehr!

Wer die Abschlussberichte der Humboldtianer liest, der versteht, dass gerade diese

umfassende Unterstützung viel zu den guten Erinnerungen an Deutschland beiträgt. Oft sind

übrigens in diesen Berichten lobende Worte zu finden, zum Beispiel über deutsche

Pünktlichkeit und Ordnung. Ich dachte, das hätte sich schon aufgelöst, offensichtlich kommt

es noch vor. Als ich anno dazumal – es ist ziemlich lange her – in einem Hörsaal saß, hätte

man solche preußischen Tugenden lieber verschwiegen. Heute sind deutsche Universitäten

sogar in offiziellen Umfragen auch ausdrücklich wegen ihrer Organisationsfreude und

Zuverlässigkeit beliebt. Schön, so etwas zu hören!

Ich glaube, das Willkommensgefühl geht heute in sehr viele, erfreuliche Richtungen. Gerade

eben durfte ich einem japanischen Professor den Philipp-Franz-von-Siebold-Preis verleihen.

Herr Professor Takada, Sie haben sich eben so herzlich für meine Komplimente bedankt. Das

gilt umgekehrt genauso. Für mich ist es das schönste Kompliment, dass Sie – genauso wie

1.200 Humboldtianer – bei uns in Deutschland sind. Dafür danke ich Ihnen!

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Rede 38 - 14. Oktober 2012 - Joachim Gauck

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,

wenn Sie die Nachrichten sehen, wird Ihnen oft von Krisen berichtet: Finanzkrisen,

Energiekrisen, immer wieder auch von humanitären Krisen. Ganz selten hören Sie von den

Krisen, die nicht in Katastrophen enden.

So zum Beispiel in Westafrika: In diesem Jahr sind in der Sahelzone fast 20 Millionen

Menschen von einer schweren Hungersnot bedroht. Bisher ist die befürchtete große

Katastrophe nicht eingetreten, weil rechtzeitig gehandelt wurde. Das ist ein Erfolg – aber

keiner, der uns ruhen lassen darf. Noch immer leiden fast eine Milliarde Menschen weltweit

unter Hunger und Mangelernährung. Jeden Tag sterben 6.000 Kinder an Hunger.

Die Welthungerhilfe arbeitet seit 50 Jahren mit vielen anderen daran, dass alle Menschen auf

unserer Erde genug zu essen haben. Sie tut dies nicht nur durch Hilfe in akuten Notlagen,

sondern auch indem sie die Ursachen von Hunger und Armut bekämpft.

Wir können mit unserem Einsatz keine perfekte Welt schaffen – aber für eine bessere Welt

arbeiten, das können wir sehr wohl. Ich bitte Sie: Unterstützen Sie die Welthungerhilfe.

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Rede 39 - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck

Herr Nuntius, haben Sie vielen Dank für Ihre Worte zu Beginn! Sehr gerne erwidere ich Ihre

Glückwünsche, die Sie im Namen des Diplomatischen Korps ausgesprochen haben. Viele

von Ihnen habe ich vor einigen Monaten bei der Reise nach Sachsen kennengelernt. Ich

erinnere mich gerne an die Besichtigungen, an die gemeinsame Zeit, die wir da verbracht

haben, aber auch an den entspannten Teil auf dem Schiff bei – typisch deutsch – Kaffee und

Kuchen. Auch unser heutiger Neujahrsempfang ist ein schönes, allerdings deutlich

internationaleres Ritual. Und wir machen uns bewusst, was uns dabei antreibt:

Diese Welt sehnt sich nach Frieden und Lebensperspektiven für alle Menschen. Diese Welt

sieht aber dauernd Kriege, Hunger und noch viel zu häufig einen Mangel an

Entwicklungschancen, an menschlicher Freiheit und an Sicherheit. Sie alle wissen zudem,

wie schwierig es ist, etwa die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Sie wissen,

wie wir darum ringen, die richtigen Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die zur weltweiten

Wirtschafts- und Finanzkrise geführt haben.

Diese Welt gibt uns aber nicht nur Anlass zur Sorge, sondern auch Anlass zur Hoffnung: Es

gibt guten Willen und Mut und die Erkenntnis – und ich meine, sie wächst –, dass langfristig

jene Nationen prosperieren, die mit anderen kooperieren und in denen die Menschen die

Freiheit haben, ihre Fähigkeiten zum Guten zu entwickeln.

In diesem vielfältigen, teils etwas unübersichtlichen Bild, das sich uns hier bietet, wenn wir

auf die Weltgemeinschaft schauen, sehe ich vor allem die guten Möglichkeiten unseres

Zusammenlebens: eines respektvollen Umgangs miteinander im Bewusstsein unserer

Verschiedenheit und auch unserer oftmals divergierenden Interessen – aber auch in dem

Bewusstsein, dass wir im Dialog zueinander kommen können und dass es immer wieder

einzelne Menschen sind, auf die es ankommt. Als Diplomaten stehen Sie Ihrem Staat oder

Ihrer Organisation zur Verfügung, Sie dienen diesen. In Ihre Tätigkeit bringen Sie

Überzeugungen, Prägungen und Werte ein – und damit übernehmen Sie persönliche

Verantwortung. Denn die Freiheit des erwachsenen Menschen konkretisiert und erfüllt sich in

dem, was er aus seinen Möglichkeiten macht: in seiner Verantwortung für andere Menschen

und für unsere gemeinsame Welt.

Ich glaube fest daran, dass jeder einzelne Mensch, wenn er dies beachtet, einen Unterschied

machen kann.

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In den ersten Monaten meiner Amtszeit hatte ich bei meinen Auslandsreisen viele

eindrucksvolle Begegnungen. Einige unter Ihnen haben mir geholfen, diese ersten Reisen

zum Erfolg zu führen. Zwei Reisen ins europäische Ausland möchte ich stellvertretend

erwähnen. Ich denke an mein Zusammentreffen mit meinem polnischen Amtskollegen

Bronisław Komorowski. Früher wurde er politisch verfolgt, weil er für Freiheit kämpfte. Jetzt

ist er Präsident. Ich denke mit Dankbarkeit zurück an Königin Beatrix und die Niederländer,

die – trotz des Leids, das Nazideutschland über ihr Land gebracht hat – den deutschen

Bundespräsidenten eingeladen haben, am Tag ihrer Befreiung von deutscher Besatzung eine

Rede zu halten.

Und vor allem weiß ich und erlebe immer wieder: Wir gestalten in Europa gemeinsam ein

großes Projekt, an dem wir immer weiter arbeiten wollen. Ein Projekt, in dem die Völker

nicht mehr gegeneinander aufgebracht werden, sondern in der gemeinsamen Achtung der

Menschenrechte vereint sind. Es ist doch einzigartig, dass wir uns von den Waffen unserer

europäischen Nachbarn nicht bedroht fühlen und dass wir uns nicht vor der Stärke, sondern

allenfalls vor der Schwäche unserer Nachbarn fürchten. Es lohnt sich, dass wir unsere Kraft

dafür einsetzen, das Projekt Europa zu sichern und fortzuentwickeln und die jungen Leute

dafür zu gewinnen.

Kürzlich habe ich in Schloss Bellevue Kofi Annan, den langjährigen Generalsekretär der

Vereinten Nationen, getroffen. Er hat die Herausforderungen, die vor uns als

Weltgemeinschaft liegen, so zusammengefasst: Wir werden für uns selbst nur dauerhafte

Sicherheit erlangen, wenn wir auch anderen Sicherheit verschaffen. Wir erhalten unseren

Wohlstand langfristig nur, wenn wir anderen die Chance bieten, an ihm teilzuhaben. Wir

brauchen den Schutz der Menschenwürde durch Recht und Gesetz, eine Rechenschaftspflicht

von Regierungen für nationale und internationale Taten, fair und demokratisch organisierte

multilaterale Organisationen. Kurz gesagt: Wir tragen Verantwortung auch füreinander.

Vieles davon voranzubringen, das liegt im kommenden Jahr auch in Ihrer Hand. Die Erfolge

des diplomatischen Geschäfts sind nicht immer gleich sichtbar, das wissen Sie, liebe Gäste,

nur zu gut. Ein deutscher Botschafter meinte einmal: „Manchmal ist es schon ein Erfolg,

wenn man miteinander Tee trinkt.“ Solange man im Gespräch bleibt, gibt es jedenfalls die

Chance auf eine gemeinsame und friedliche Lösung. Erfreulich, wenn Ihre diplomatischen

Anstrengungen dazu beitragen, Konflikte abzubauen, abzumildern und, wo immer möglich,

Verständnis und Verständigung zu fördern.

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Die politischen Umbrüche in der arabischen Welt und anderswo zeigen, dass der Wunsch

zahlreicher Menschen auf unserer Welt wächst, ihre Lebensbedingungen und ihre

Gesellschaft mitzugestalten. Gerade die junge Generation setzt sich weltweit für Freiheit,

Würde und bessere Zukunftsperspektiven ein. Sie nutzt das Internet und andere Medien, um

sich zu informieren und mit anderen zu vernetzen. Nehmen wir also diejenigen ernst, die sich

nach mehr politischer und wirtschaftlicher Teilhabe sehnen! Forderungen werden nicht

verschwinden, wenn ihre Artikulation unterdrückt wird!

Die Erfahrungen Mittelosteuropas haben mich gelehrt, dass Wandel möglich ist, wenn viele

Menschen ihre Rolle als Bürger annehmen. Den Mut, notwendige Veränderungen zu

gestalten und Verantwortung füreinander zu übernehmen, wünsche ich uns allen auch in der

weltweiten Politik!

Meine Damen und Herren, viele von Ihnen werde ich im Laufe der nächsten Monate

wiedersehen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen und auf die Gespräche

jetzt gleich im Anschluss.

Ich zähle auch weiterhin auf Ihre Unterstützung bei meinen Reisen. Sie leisten hier in

Deutschland eine wichtige und von unserem Land geschätzte Aufgabe.

Gemeinsam mit Ihren Staaten und Organisationen will ich und wollen wir Deutsche dazu

beitragen, dass der Wunsch nach einem freien und friedlichen Leben, der Wunsch nach

menschlichem Miteinander und gegenseitigem Respekt, wahr wird.

Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ihren

Vertretungen ein glückliches und friedliches Jahr 2013. Alles Gute!

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Rede 40 - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck

Es ist gerade mal drei Monate her, dass ich von Ihnen mit großer Gastfreundschaft auf der

Prager Burg empfangen wurde. Heute freut es mich sehr, Sie als meine Gäste in Schloss

Bellevue zu begrüßen.

Bei einem Abschiedsbesuch liegt es nahe zurückzublicken. Ich will das nicht allzu

ausführlich tun. Zum einen bin ich mir sicher, dass wir weiterhin von Ihnen hören werden.

Zum anderen vermute ich: Das Vorwärtsschauen liegt Ihnen mehr. Ich habe noch Ihr schönes

Bild vor Augen: ohne Rückspiegel sollte man kein Auto fahren, aber der Rückspiegel darf

auch nicht größer sein als die Frontscheibe, durch die man nach vorne schaut. Wir werden

also nur kurz in den Rückspiegel schauen. Aber tun müssen wir es! Dafür waren Ihre letzten

20 Jahre zu wichtig – die Jahre seit dem Sturz des kommunistischen Regimes.

Welch ein Glück ist es gewesen, nach fünf Jahrzehnten in einer unfreien

Gesellschaftsordnung endlich Verantwortung für die neu gewonnene Freiheit übernehmen

und als Bürger existieren zu können! Dass aus Freiheit Verantwortung erwächst, diese

Freiheit zu sichern und eine freiheitliche Gesellschaft zu gestalten – daran haben Sie nie

einen Zweifel gelassen. Und darin fühle ich mich Ihnen sehr verbunden.

An allen wichtigen politischen Richtungsentscheidungen Ihres Landes haben Sie in den

letzten zwei Jahrzehnten mitgewirkt: an der Transformation von der Planwirtschaft zur

Marktwirtschaft, an der friedlichen Auflösung der Tschechoslowakei in zwei sich weiterhin

freundschaftlich verbundene Staaten, am Beitritt Tschechiens zur Nato und zur Europäischen

Union. Sie waren Parteivorsitzender, Finanzminister, Premierminister, Parlamentspräsident

und in den letzten zehn Jahren Präsident der Tschechischen Republik – und in all diesen

Ämtern haben Sie die Ordnung der Freiheit mitgestaltet.

Sie haben das Gesicht Ihres Landes im Innern wie nach außen geprägt – und auch die

Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Ich erinnere mich gut daran, wie Sie – vor

fast genau 16 Jahren – mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl im Liechtenstein-

Palais die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichneten.

Angehörige unserer Generation empfinden ganz besonders: Das war nicht selbstverständlich,

nach der Grausamkeit der deutschen Besatzung und den schmerzhaften Folgen, für die

Angehörigen unserer beiden Völker. Ein zentraler Satz aus diesem Dokument lautete denn

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auch: „Der gemeinsame Weg in die Zukunft erfordert ein klares Wort zur Vergangenheit.“

Also auch dort: Rückschau, um den Weg nach vorne besser zu finden.

Heute sind die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen auf allen Ebenen und in

allen Bereichen eng und vertrauensvoll. Gott und den Menschen sei Dank. Vieles ist wieder

lebendig geworden, was einst abgeschnitten war. Dieses Vertrauen, das Grundkapital der

Beziehungen zwischen unseren Ländern, konnten wir in den vergangenen beiden Jahrzehnten

kontinuierlich aufstocken. Mir liegt viel daran, dass es weiter gemehrt wird.

Das kann am besten gelingen in einem geeinten Europa. Die europäische Integration war für

unsere Generation eine große Verheißung – für unsere Enkel ist sie selbstverständliche,

grenzüberschreitende Lebenswirklichkeit, mit allen Freiheiten und Chancen. Sie haben ganz

andere Sorgen und Ängste, als wie sie hatten. Derzeit überwiegen bei vielen Bürgerinnen und

Bürgern vor allem die Sorgen und die Ängste. In manchem hat die EU tatsächlich nicht alle

Hoffnungen erfüllt, die wir in sie gesetzt haben. Aus Finanzkrisen wurden

Staatsschuldenkrisen. Freiheit und Verantwortung, Ansprüche und Anstrengungen, Markt

und Staat – all das wieder in eine gute Balance zu setzen, muss unser Ziel in Europa sein.

Sie, Herr Präsident, haben einmal Milan Kundera zitiert. In seiner Adaption von Diderots

Roman „Jacques der Fatalist und sein Herr“ lässt er eben jenen Herrn angstvoll fragen:

„Wohin gehen wir?“ Die Antwort: „Vorwärts.“ Nur: Wo ist vorwärts? Diese Antwort

bekommt der Herr nicht. Und auch wir wissen es nicht immer. Wir werden darüber streiten

müssen, offen und verantwortungsbewusst, im Bewusstsein der schrecklichen wie auch der

großartigen Geschichte dieses Kontinents, im Vertrauen auf unsere Kreativität, unsere

ökonomischen Fähigkeiten, unsere politische Kultur des produktiven Streits und der

Solidarität. Wir können nicht sicher sein, wie es ausgeht. Aber ich bin sicher, dass es einen

Sinn hat zu versuchen, die Krisen gemeinsam zu überwinden und Europa als großen

Freiheitsraum zu sichern.

Ihre Passion galt und gilt der Freiheit. Darin fühle ich mich Ihnen verbunden. Wer die

Unfreiheit hautnah erfahren hat, und das haben wir, wird mit ungleich größerem Engagement

für die Freiheit eintreten als derjenige, für den sie selbstverständlich ist. Sie verabscheuen alle

„-ismen“, die Ihnen Synonym sind für Gängelung und Bevormundung.

Ihr politisches Bemühen vor allem auch um die wirtschaftliche Freiheit und die freie

Marktwirtschaft ist vielfach hervorgehoben und ausgezeichnet worden. Ich vermute, der

renommierte Friedrich-August-von-Hayek-Preis wird Sie besonders gefreut haben. In

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Deutschland haben wir die Marktwirtschaft nicht nur um das Attribut „sozial“ ergänzt – wir

haben das Sozialstaatsprinzip sogar in unserem Grundgesetz verankert. Idealerweise ist

dieses Sozialstaatsprinzip Leitsatz einer Politik, die den Menschen durch soziale

Gerechtigkeit ermöglicht, ihre Freiheit verantwortlich zu nutzen. Ich habe gehört, dass ein

solcher Sozialstaatsbegriff bei Ihnen die Warnung vor einem neuen Paternalismus

hervorgebracht hat. In Deutschland sehe ich diese Gefahr zurzeit nicht, aber ich verstehe Sie.

Weil wir beide aus einer Tradition kommen, in der dem Einzelnen von oben gesagt wurde,

was zu tun sei. Aber ich teile Ihre Kritik nicht, weil Deutschland gut gefahren ist.

Herr Präsident, Sie haben sich in Ihrer mehr als 20-jährigen politischen Karriere den Ruf

eines Mannes erworben, der seine Politik engagiert vertritt – nicht immer bequem, aber stets

respektiert. Ich bin mir sicher, dass Sie uns als kritischer Geist, als scharfer Kommentator des

politischen und wirtschaftlichen Geschehens erhalten bleiben. Streiten Sie weiter für die

Freiheit, als Buchautor, als Vortragender. Genießen Sie Ihre Talente und Fähigkeiten als

Sportler und Jazzfreund. Und nicht zuletzt: Bleiben Sie Deutschland gewogen!

Ich erhebe mein Glas auf Ihr Wohl und das von Frau Livia Klausová.

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Rede 41 - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck

Ich freue mich, mit Ihnen heute Abend das Staatsoberhaupt eines Landes begrüßen zu

können, welches, obwohl es so weit entfernt liegt, uns im Herzen und Geiste doch so nah ist.

Gemessen an den ausgezeichneten Beziehungen unserer beiden Länder liegen die letzten

Staatsbesuche, der von Präsidentin Vigdís Finnbogadóttir im Juli 1988 in Deutschland und

der von Bundespräsident Johannes Rau in Island im Juli 2003, eigentlich schon viel zu lange

zurück. Umso glücklicher schätzen wir uns, dass Sie, Exzellenz, Deutschland auch zu

anderen Gelegenheiten besuchen und so der partnerschaftlichen Verbundenheit unserer

beiden Länder Ausdruck verleihen.

Ich freue mich, dass Sie während Ihres Staatsbesuchs nicht nur Berlin, sondern auch die zwei

Bundesländer Bremen und Sachsen besuchen werden – in meinen Augen eine sehr gelungene

Mischung. Zu Bremen unterhält Island fast tausend Jahre alte Beziehungen. Adalbert, der

Bischof von Bremen, entsandte und weihte 1056 Ísleifur Gíssurarson zum ersten isländischen

Bischof. Mit Leipzig besuchen Sie eine bedeutende Stadt in den neuen Bundesländern, die

sich nicht nur mit ihrer Buchmesse einen Namen gemacht hat. Leipzig hat auch eine große

musikalische Tradition. Aber vor allem spielte Leipzig 1989 bei der friedlichen Revolution in

der DDR eine zentrale Rolle.

Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen unserer beiden Länder reichen über

Jahrhunderte, unsere Kulturbeziehungen sogar über tausend Jahre zurück. Es ist bei weitem

nicht nur der Dreiklang von "Kirche – Kaufmann – Kabeljau", der das Miteinander unserer

Länder in der Geschichte geprägt hat. Aber am Anfang waren es tatsächlich vor allem diese

drei Elemente, die Island und Deutschland miteinander verbanden. Im Zuge der

Christianisierung kamen junge Männer aus Island zum Theologiestudium nach Herford und

Magdeburg. Die ersten Bischöfe Islands erhielten ihre theologische Ausbildung und ihre

Weihen im Bistum Bremen. Hansische Kaufleute ließen sich in Hafnarfjörður nieder. Von

Anfang an bewegte der Handel zwischen Island und Deutschland nicht nur Waren, sondern

auch Ideen: So brachte die 1412 gegründete Hamburger St.-Annen-Bruderschaft der

Islandfahrer den Kabeljau und die ersten Isländersagas an die Elbe. Und später trugen die

Schiffe der Hanse die neue Lehre Luthers und das Gedankengut der Reformation über den

Nordatlantik nach Island.

Die Suche nach ihren eigenen kulturellen Wurzeln führte viele Deutsche Anfang des 19.

Jahrhunderts nach Island. Die kräftige Sprache und die reiche Literatur der Insel – die Sagas

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und die Edda – begeisterten deutsche Germanisten ebenso wie den Tondichter Richard

Wagner, dessen 200. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Ohne deutsche Übersetzungen der

Edda wäre sein Hauptwerk, der Ring der Nibelungen, wahrscheinlich nie entstanden.

Lassen Sie mich heute aber auch dankbar daran erinnern, wie uns die Isländer in Zeiten der

Not halfen. Nach dem Krieg, als Deutschland in Schutt und Asche lag, spendeten sie

großzügig Fisch und Lebertran. So manchen Deutschen meiner Generation hat isländische

Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft vor Hunger und Mangelkrankheiten bewahrt. Wir

werden das in Deutschland nicht vergessen.

Viele meiner Landsleute schätzen Island außerordentlich. Die Zahl deutscher Touristen in

Island steigt von Jahr zu Jahr. Eine der größten Vulkaninseln der Welt fasziniert uns mit ihren

Gletschern und Fjorden, Sagas und Mythen.

Aber es sind nicht nur die Natur und die Sagen, die den guten Ruf Islands in Deutschland

prägen. Die hohe Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt und eine der höchsten

Geburtenraten in Europa sind beeindruckende Belege einer innovativen Familien- und

Gleichstellungspolitik. Mit gutem Beispiel gehen Sie auch beim Einsatz für den Schutz der

Umwelt und des Klimas voran.

Dass Island auch in praktisch allen anderen Bereichen der Gegenwartskultur, vor allem in der

klassischen Musik, einer vibrierenden Popszene wie auch in der bildenden Kunst

Spitzenleistungen erbringt und weltweit bekannt ist, darf hier nicht unerwähnt bleiben.

Einen der herausragenden Exponenten der isländischen Gegenwartskultur, Ólafur Elíasson,

möchte ich hier ganz besonders hervorheben. Ólafur Elíasson gehört zur ersten Garde der

europäischen Künstler – soeben ausgezeichnet mit dem Mies van der Rohe-Preis der

Europäischen Union. Dazu gratuliere ich ganz herzlich. Wir sind stolz, dass er Berlin als

Lebensmittelpunkt gewählt hat. Dass Sie, verehrter Herr Präsident, sein Studio für den

informellen Auftakt Ihres Deutschlandbesuchs gewählt haben, zeigt, dass Sie ihn ebenso

schätzen.

Ihr Land wurde von der Finanzkrise schon zu einem frühen Zeitpunkt im Jahre 2008 ganz

besonders hart betroffen. Island wurde von einem Finanz-Tsunami ohne Beispiel

heimgesucht, mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft und entsprechend großen

Belastungen für die Isländer. Dass Island vergleichsweise schnell mit mutigen

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Sanierungsschritten einen Ausweg aus der Krise gefunden hat, hat international Anerkennung

gefunden und nötigt uns großen Respekt ab.

Mit dem Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union hat Island 2009 eine weitere beachtliche

Konsequenz aus der Krise gezogen. Sie wissen, dass Deutschland den Beitritt Islands zur EU

von Anfang an nachdrücklich unterstützt hat. Der Deutsche Bundestag hat dies in einer

Entschließung unterstrichen. Natürlich wissen wir aber auch, dass die Haltung der Isländer

zum EU-Beitritt geteilt ist und dass nun eine Entscheidung über den Fortgang der

Verhandlungen ansteht. Ich möchte den heutigen Abend nicht verstreichen lassen, ohne Ihnen

zu sagen: Wir würden uns sehr freuen, Island als Teil der Europäischen Union begrüßen zu

dürfen. Klar ist aber auch: Wie immer sich die neue Regierung Ihres Landes entscheidet, wir

werden unsere Zusammenarbeit mit Island, sei es in der Perspektive eines Beitritts zur

Europäischen Union oder der Fortsetzung der Zusammenarbeit im bestehenden Rahmen des

Europäischen Wirtschaftsraums, konstruktiv fortsetzen.

Sehr geehrter Herr Präsident, wir Deutschen kommen leicht ins Schwärmen, wenn wir an

Island denken. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass das gegenseitige Interesse und

der Austausch, vor allem auch unter jungen Leuten, in den kommenden Jahren weiter

wachsen.

Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben auf das persönliche Wohlergehen Seiner Exzellenz,

Herrn Dr. Ólafur Ragnar Grímsson, von Frau Dorrit Moussaieff und auf die deutsch-

isländische Freundschaft!

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Rede 42 - 22. Oktober 2013 - Joachim Gauck

Der Bundespräsident hat am 22. Oktober der Bundeskanzlerin und den Mitgliedern der

Bundesregierung aufgrund der Beendigung ihrer Ämter die Entlassungsurkunden

ausgehändigt. In seiner Ansprache sagte er:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

meine Damen und Herren Bundesminister,

der Wille des Wählers hat einmal mehr das Gesicht des Parlaments verändert. Heute Morgen

ist der 18. Deutsche Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Ein

feierlicher Moment der parlamentarischen Demokratie, aber auch ein Moment des Abschieds

– des Abschieds von dieser Regierung, des Abschieds von dieser Koalition aus Christlich

Demokratischer Union, Christlich-Sozialer Union und Freier Demokratischer Partei.

Meine Damen und Herren, Sie haben regiert in schwierigen Zeiten. Europas Finanz- und

Wirtschaftskrise forderte Ihre Regierung durchgehend heraus. Rettungspakete, Spar- und

Reformauflagen brachten Ihnen im In- und Ausland Anerkennung, aber natürlich auch Kritik

ein. Es ist Ihr großes Verdienst, dass unser Land den betroffenen Staaten beigestanden hat,

verlässlich und solidarisch. Sie haben unbeirrt an der Währungsunion festgehalten und dazu

beigetragen, den Weg zu einer besseren Zukunft wieder zu ebnen.

Das furchtbare Erdbeben in Japan und die Nuklearkatastrophe von Fukushima fielen

ebenfalls in Ihre Amtszeit. Sie haben sich schnell entschlossen, daraus Konsequenzen zu

ziehen und die Energiewende in Deutschland voranzutreiben. Es wird nun Aufgabe künftiger

Regierungen sein, dieses ehrgeizige Projekt zum Erfolg zu führen.

Auch die Verwerfungen im Nahen und Mittleren Osten wurden zu einem zentralen

außenpolitischen Thema Ihrer Regierung. Denn was als „Arabischer Frühling“ begonnen hat,

schlug in manchen Ländern um in Bürgerkrieg und Repression. Und viele Menschen sind auf

der Flucht. Die Antwort auf die Frage, wie die Bundesrepublik in dieser Region ihrer

Verantwortung gerecht werden kann, ist schwierig und sie ist umstritten. Aber: Der Einsatz

dieser Bundesregierung für elementare Menschenrechte stand immer außer Zweifel.

Wenn ich Ihnen nun gleich die Entlassungsurkunden überreiche, dann ist das auch ein

Zeichen: Ein Regierungswechsel gehört zu unserer Demokratie, er ist republikanische

Normalität. Demokratie überträgt Regierungsverantwortung nun einmal immer auf Zeit.

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Abschied aus einem hohen Amt kann für Politiker auch schmerzhaft sein. Sie, Frau

Bundesministerin und meine Herren Bundesminister von der FDP, scheiden nicht nur aus der

Regierung aus. Ihre Partei ist auch nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten. Ich weiß:

Das Wahlergebnis ist bitter für Sie und die Freie Demokratische Partei. Es ist auch ein

Einschnitt in der bundesrepublikanischen Parteiengeschichte. Ich möchte Sie ermutigen, sich

in guter liberaler Tradition weiterhin für die res publica, für die öffentlichen Dinge, zu

engagieren und sich dem demokratischen Wettbewerb zu stellen.

Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, mit Ihrer Arbeit haben Sie sich um unser

Land und seine Menschen verdient gemacht. Ich danke Ihnen für Ihren beharrlichen Einsatz.

Für die Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute und Gottes Segen.

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Rede 43 - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck

Dass Sie heute gemeinsam in diesem Saal stehen, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn so

zutreffend der Lehrsatz ist, dass alle demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit in der

Lage sein sollten, so schwierig kann es dann in der Praxis sein, aus politischen Konkurrenten

Koalitionspartner zu formen.

Sie haben intensive, mitunter schlafraubende Verhandlungen hinter sich. Und Sie haben es

sich in ihren Parteien nicht leicht gemacht. Zu guter Letzt haben Sie etwas unter Beweis

gestellt, das zu den wichtigsten Tugenden unserer Demokratie gehört: Kompromissfähigkeit.

Dafür verdienen Sie Anerkennung und Respekt.

Deutschland braucht eine stabile, eine handlungsfähige Regierung. Das erwarten die

Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Partner in Europa und in der Welt.

Die große Koalition, die Ihre Regierung trägt, verfügt über vier Fünftel der Sitze im

Deutschen Bundestag. Das verschafft Ihnen einen erheblichen politischen

Gestaltungsspielraum. Ich wünsche Ihnen Mut, auch schwierige Probleme anzugehen. Ich bin

mir sicher, dass Sie mit Ihrer besonders großen Mehrheit besonders verantwortungsvoll

umgehen.

So wie unser Land eine handlungsfähige Regierung benötigt, so braucht es eine

handlungsfähige parlamentarische Opposition – mag sie auch zahlenmäßig klein sein. Das

ändert nichts an ihrer unverändert wichtigen Rolle, Ihre Regierung zu kontrollieren und

politische Alternativen zu formulieren. Das gehört zu den essentialia unserer

parlamentarischen Demokratie.

Die Bundesrepublik wird nun zum dritten Mal von einer großen Koalition regiert werden.

Das Kabinett von Kurt Georg Kiesinger, das von 1966 bis 1969 im Amt war, hatte in

unruhigen Zeiten komplexe außen- und innenpolitische Probleme zu bewältigen. Die zweite

große Koalition, schon unter Ihrer Führung, Frau Bundeskanzlerin, stand in den Jahren von

2005 bis 2009 im Zeichen des Kampfes gegen die Krise an den Finanzmärkten.

Wir werden erst in Zukunft wissen, welches Markenzeichen der dritten großen Koalition

angeheftet werden wird. Eins aber ist heute schon klar: Deutschland steht weiterhin vor

großen Herausforderungen. Wir fragen uns: Werden wir den Mut zu notwendigen Reformen

finden? Wie begegnen wir den Herausforderungen, die aus dem demografischen Wandel

erwachsen? Wie können wir unserer Wirtschaft zu Wachstum und Zukunftsfähigkeit

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verhelfen, ohne errungene soziale Standards zu gefährden? Und: Bleiben wir auf einem guten

Weg, Bildung für alle zu ermöglichen? Und schließlich: Werden wir gemeinsam mit unseren

europäischen Partnern Wege aus der Staatsschulden- und Finanzkrise finden, um unser Land,

die Europäische Union und die Eurozone in eine sichere Zukunft zu steuern?

Die drei einschneidenden historischen Ereignisse, derer wir im kommenden Jahr gedenken

werden, führen uns die Bedeutung des europäischen Einigungswerkes noch einmal besonders

deutlich vor Augen: Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges jährt sich zum 100., der Beginn

des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal, die friedlichen Revolutionen in Ost- und Mitteleuropa

zum 25. Mal.

Aus dieser Geschichte und seiner historischen Rolle erwächst für Deutschland die besondere

Verantwortung, gemeinsam mit seinen Partnern weiter an der Union der Europäer zu bauen –

einer Union, die für Frieden und Freiheit steht, für Menschenrechte und Lebenschancen. Und

für diese Werte tragen wir auch über Europas Grenzen hinaus Verantwortung,

Mitverantwortung jedenfalls, ebenso wie für den Fortbestand und die Reform der

internationalen Ordnung.

Ich wünsche Ihnen allen eine glückliche Hand, besonders mit Blick auf den Zusammenhalt in

unserer Gesellschaft, in der ganz unterschiedliche Menschen gut und in selbstverständlicher

Vielfalt miteinander leben wollen.

Ich werde Ihnen nun die Urkunden überreichen. Es gilt dann für Sie, in praktische Politik

umzusetzen, was Sie sich gemeinsam vorgenommen haben. Dafür wünsche ich Ihnen Erfolg

und Gottes Segen!

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Rede 44- 9. April 2014 - Joachim Gauck

Wenn der Bundespräsident den Deutschen Bankentag eröffnet, im siebten Jahr nach dem

Ausbruch der weltweiten Finanz- und Schuldenkrise, dann steht er ganz unterschiedlichen

Erwartungen gegenüber. Viele Bürger wünschen sich, dass den Banken wieder einmal die

Leviten gelesen werden, dass noch einmal abgerechnet wird mit Gier, Größenwahn,

Fehlverhalten und Kontrollverlust. Viele Bankmanager, vielleicht auch manche von Ihnen

hier im Saal, wünschen sich dagegen eine Würdigung der Reformen, auch einer neuen

Geschäftskultur, um die sich die Politik und die Branche jeweils bemühen.

Beide Erwartungen sind selbstverständlich.

Es stimmt ja: Einige Banken und einige Mitarbeiter haben sich eine Menge zu Schulden

kommen lassen. Die Justiz ermittelt noch immer in mehreren Fällen wegen des Verdachts auf

Untreue, Bilanzfälschung oder Marktmanipulation. Und erst vor wenigen Tagen wurden

weitere Vorwürfe öffentlich: Die Finanzbehörden untersuchen, ob durch einige besonders

trickreiche Anlagemodelle der Banken und der Geldanlagefonds Steuern in Milliardenhöhe

hinterzogen wurden. Auch dort, wo nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde, war

manches Geschäft ethisch fragwürdig, manches Risiko auch unvertretbar hoch. Falsche

Anreize im Bonussystem, übersteigerte Gewinnansprüche, verantwortungsloses Verhalten zu

Lasten Dritter – da war viel fehlgeleitete Kreativität im Spiel.

Hinzu kamen Mängel in der staatlichen Aufsicht und Regulierung, eine Politik des billigen

Geldes und eine hohe Verschuldung bei Staaten, Unternehmen und Bürgern. Das alles trug

dazu bei, dass die Stabilität des ohnehin extrem komplexen Finanzsystems unterminiert

wurde. Einzelne Banken mussten, weil too big to fail, von der Politik gerettet werden,

natürlich auf Kosten der Steuerzahler. So wurde ein zentrales Prinzip der Marktwirtschaft

außer Kraft gesetzt: Wer Risiken eingeht, muss für Verluste haften.

Das alles ist oft und völlig zu Recht kritisiert worden – auch ich habe mich gelegentlich

kritisch dazu geäußert.

Andererseits ist aber auch richtig: Es hat sich inzwischen viel getan. Banken müssen heute

mehr Eigenkapital vorhalten als vor der Krise. Neue Regeln sollen riskante Geschäfte

kontrollierbarer, durchschaubarer machen. Mit Stresstests wird die Überlebensfähigkeit der

Banken im Krisenfall überprüft. Und nicht zuletzt haben viele Institute Fehler eingestanden,

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sie haben neue Geschäftsmodelle entwickelt und sie haben sich ethischen Fragen gestellt.

Kein Zweifel: Die Branche befindet sich im Wandel.

Ein Zwischenfazit fast sieben Jahre nach Beginn der Krise fällt also gemischt aus: Fehler sind

erkannt, politische und unternehmerische Reformen auf dem Weg. Dieser Prozess ist in

vollem Gang, aber er ist noch lange nicht abgeschlossen.

So will ich heute weder Bankenbeschimpfung betreiben noch kann ich eine heile Bankenwelt

besingen.

Vielmehr möchte ich einen Schritt zurücktreten und mit etwas Grundlegendem beginnen: Ich

möchte über Geld sprechen.

Nun wird mancher denken: nicht die originellste Idee auf einem Deutschen Bankentag. Aber

ganz so naheliegend ist das Thema eben doch nicht. Denn es ist in unserer Gesellschaft ja

keineswegs selbstverständlich, über Geld zu sprechen. Ganz im Gegenteil, es heißt doch oft:

Über Geld spricht man nicht! Das gilt als anstößig, als unmanierlich. Es mag im Privatleben

durchaus Gründe für diese Meinung geben. Im öffentlichen Leben aber, in der Sozialen

Marktwirtschaft, wäre eine solche Haltung fatal. So, als ob sich die Bürger in unserer

Demokratie auf die Maxime einigten: "Über Politik spricht man nicht!"

Geld verleiht Einfluss, aber es erzeugt auch Abhängigkeiten. Man kann es verdienen, sparen

und anlegen – und dann darauf vertrauen, dass andere es vermehren. Man kann es sich leihen

und muss es anschließend zurückzahlen. Banken sind Mittler zwischen Schuldnern und

Gläubigern, und sie selbst sind beides: Schuldner und Gläubiger. Geld und Kredit,

Forderungen und Verbindlichkeiten erzeugen Abhängigkeiten. Und wo Abhängigkeiten

entstehen, da wird auch Macht ausgeübt.

Welche Macht heute von Banken und Finanzmärkten ausgeht, lässt eine einzige Zahl

erahnen: 30 Billionen Euro – das ist die Summe der Bankbilanzen im Euroraum. Seit der

Finanzkrise hat sich der Wert der weltweit zirkulierenden Schuldtitel noch einmal erhöht.

Noch nie gab es so viele Schulden, und noch nie gab es so viel Vermögen wie heute. Nie war

also die Rolle der Vermittler zwischen Gläubigern und Schuldnern wichtiger.

Die Finanz- und Schuldenkrise hat uns vor Augen geführt, welche Konsequenzen es haben

kann, wenn Akteure versagen und die Kontrolle lückenhaft ist oder gar ausbleibt. Gerade

weil die Wirkungsmacht der Finanzwirtschaft so groß ist und so weit in die

Lebenswirklichkeit der Menschen hineinreicht, gerade deshalb ist unser Wirtschaftssystem

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zwingend darauf angewiesen, dass alle Akteure informiert und verantwortungsbewusst

handeln. Alle Akteure, was heißt das? Für mich erstens: die Banken, also ihre Mitarbeiter und

Manager. Zweitens die Bürger, die als Anleger nicht nur nach Renditeverheißungen schielen

dürfen, sondern auch nach dem Risiko fragen sollten, das ihnen allerdings nicht verborgen

bleiben darf. Und drittens die Politik, die vor der Herausforderung steht, die Marktordnung

fortzuentwickeln und kluge Regeln zu formulieren, die helfen, die Kräfte des Marktes

freizusetzen und gleichzeitig Missbrauch zu verhindern.

Lassen Sie mich mit der besonderen Verantwortung der Banken beginnen.

Es lohnt sich, einen Blick auf die Geschichte Europas zu werfen, um zu verstehen, welche

Rolle Banken und Geldwirtschaft beim Weg in die Neuzeit spielten. Damals, als Markt- und

Münzrechte verliehen wurden, als die Städte aufblühten, als das Geldwesen sich ausbreitete

und das Bankenwesen entstand, da löste sich Europa aus dem Mittelalter. Der Raum des

Handels und Austausches wuchs. Und das war gut für die Bürger der damaligen Zeit. Und als

sich das Bürgertum im 19. Jahrhundert zunehmend emanzipierte, da öffnete sich das

Bankwesen für Handwerker, Kleinunternehmer und Bauern – und für ihre Ideen. Zur

gleichen Zeit entstanden damals die Genossenschaftsbanken, die vom Gedanken der

gemeinschaftlichen Selbsthilfe geprägt waren. Diese Bankenwelt, die aus großen

Universalbanken und Spezialinstituten, aus Sparkassen und Privatbanken besteht, sie ist heute

ein Spiegel der deutschen Wirtschaft in ihrer ganzen Vielfalt – vom Mittelstand bis zu den

international aktiven Großunternehmen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen, dass es sich lohnt, an diesem Neben- und

Miteinander von Privat- und Genossenschaftsbanken sowie öffentlich-rechtlichen Sparkassen

festzuhalten! So viel muss sein auf einem Bankentag.

Heute ist fast jeder Bundesbürger ein Bankkunde, dem Girokonto, Sparbuch, Kreditkarte,

Privatdarlehen und manchmal auch ein Wertpapierdepot zur Verfügung stehen. Weil so viele

Menschen so einfach so viele Finanzprodukte kaufen können – übrigens durchaus ermutigt

von der Politik –, weil in der Branche so vieles neu, schnell und unübersichtlich ist, wächst

ihren Managern und Mitarbeitern eine besondere Verantwortung zu – für ihre Kunden und

für das Funktionieren unserer Sozialen Marktwirtschaft und damit letztlich für das Vertrauen

der Bürgerinnen und Bürger in Staat und Gesellschaft.

Worauf kommt es also an? Auch wenn es ein wenig altmodisch klingt: Mitarbeiter von

Banken dürfen sich durchaus am Ideal des ehrbaren Bankiers orientieren, gerade in Zeiten, da

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die Geschäfte so komplex sind wie nie zuvor. Sie müssen durch Seriosität und Sachkenntnis

überzeugen, müssen ihr Handeln erklären können, Chancen und Risiken offenlegen. Und

zwar nicht nur im Kleingedruckten, sondern im Klartext. Nicht nur zur eigenen rechtlichen

Absicherung, sondern zur bestmöglichen Aufklärung der Kunden. So wird vermieden, dass

sich das Risiko, für das sich ein Kunde bewusst entscheidet, in eine Gefahr verwandelt, der er

hilflos ausgeliefert ist.

Meine Damen und Herren, an diesem Punkt sehe ich Sie in der Bringschuld!

Ich weiß sehr wohl: Die meisten Akteure des Bankgewerbes in unserem Land halten sich an

diese Regeln. Sie haben nichts gemein mit dem Finanzjongleur, der in manchem

Hollywoodfilm eine Hauptrolle spielt, sondern sie vergeben Firmen- und Hypothekenkredite,

informieren über Spareinlagen und Altersvorsorge – und leisten dabei gute Arbeit. Sie tragen

bei zu Wachstum und Dynamik, Beschäftigung und Innovation.

Vertrauen zu erwerben und zu erhalten liegt im eigenen Interesse der Banken. Denn sonst

entziehen sie sich selbst und dem Markt die Geschäftsgrundlage. Nichts illustriert dies besser

als der Zusammenbruch des Geldmarktes zu Beginn der Finanzkrise, damals haben sich nicht

einmal die Banken untereinander vertraut.

Damals zeigte sich, was ich einmal die „Fratze der ungezügelten Freiheit“ genannt habe. Es

ist die Freiheit, man könnte sagen, der Pubertierenden, die sich nur als Freiheit von etwas

definiert, von Regeln, von Zwängen, und die zu wenig nach den Folgen des eigenen

Handelns fragt. Dagegen ist die "Freiheit, die ich meine", und nach der wir gemeinsam

streben sollten, eine Freiheit zu etwas, zu Gestaltung und Mitgestaltung. Es ist Freiheit in

Verantwortung, die die Bindungen und Beziehungen zu anderen Menschen und zum

Gemeinwesen respektiert und fördert.

Das ist die Freiheit der Sozialen Marktwirtschaft - nicht der grenzenlose Übermut. Diese

Freiheit steht für eine Kultur der Verantwortung, die über den Bilanzgewinn hinausgeht. In

unserer Wirtschaftsordnung können Privatleute und Unternehmer gutes Geld verdienen, und

sie sollen es sogar. Gewinnstreben ist keinesfalls verwerflich, sondern Voraussetzung für

Investitionen und Innovationen. Und wer Geschäfte macht, geht auch immer das Risiko ein

zu scheitern. Zur Verantwortung aber gehört es, Verluste dann auch selbst zu tragen. Wer

besonders hohe Risiken eingeht, weil er weiß, dass im Notfall ein anderer die Kosten

schultern wird, der handelt diesem Prinzip zuwider.

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Die Abkehr von Tugenden der Sozialen Marktwirtschaft hat das Vertrauen der Bürger in die

Banken erschüttert. Und, ehrlich gesagt: Angesichts mancher Exzesse verstehe ich das auch.

Zugleich habe ich den Eindruck, dass auch die Kritik an diesen Zuständen manchmal das

Kind mit dem Bade ausschüttet. Sie schlägt bisweilen um in eine ganz allgemeine Skepsis

gegenüber der Marktwirtschaft. Da werden Wettbewerb und Freiheit für das Problem

gehalten, und nicht deren Missbrauch. Das halte ich für fatal, denn Soziale Marktwirtschaft

braucht informierte Bürger, die selbstbewusst am Wirtschaftsleben teilnehmen. Und damit

bin ich bei meinem zweiten Punkt angelangt, bei der Rolle der Bürger.

Henry Ford, dem amerikanischen Industriellen, wird folgende Feststellung

zugeschrieben: "Es ist gut, dass die Menschen das Bank- und Geldsystem nicht verstehen,

sonst hätten wir eine Revolution noch morgen früh." In einem Punkt muss ich da

widersprechen: Es ist ganz und gar nicht gut, wenn Bürger einen wichtigen Wirtschaftssektor

nicht hinreichend verstehen oder verstehen können. Es ist nicht gut, wenn es vielen

schwerfallen muss, Sachverhalte zu durchdringen, weil ganze Teilbereiche der Gesellschaft

auf kaum durchschaubare Art miteinander verflochten sind. Selbst Experten haben nach

eigenem Bekunden oft nicht nachvollziehen können, was auf den Finanzmärkten tatsächlich

vor sich ging.

Banken, ich habe es eben erwähnt, haben hier eine Bringschuld. Aber der Bürger, er hat

durchaus auch eine Holschuld. Wer die Quellen unseres Wohlstands verstehen, wer

persönliche Chancen nutzen und Risiken einschätzen will, der muss sich informieren und in

Finanzfragen kompetenter werden. Er darf sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass

man über Geld nicht spricht.

Zum informierten Bürger gehört doch eigentlich eine ökonomische Grundbildung. Studien

belegen, dass viele Deutsche hier Nachholbedarf haben. Ich weiß, dass einiges getan wird,

um ökonomisches Wissen kreativ zu vermitteln. Da gibt es Beispiele, bei denen junge

Menschen in der Schule schon eigene Firmen gründen oder an der Börse handeln. Sie lernen

dabei wie Unternehmer zu agieren, von der Produktentwicklung bis hin zu Marketing und

Vertrieb. Auch der Bankenverband leistet auf diesem Gebiet einen guten Beitrag. Trotzdem,

ich frage mich: Wird die ökonomische Bildung in unseren Schulen und Berufsschulen

ausreichend berücksichtigt? Hat das Wissen über ökonomische Zusammenhänge den

gleichen Rang, den die Ökonomie heute für unser Leben und Wirtschaften hat?

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Das ist nicht nur wichtig, damit der Einzelne gute Entscheidungen für sich selbst treffen

kann. Wie durch politische Bildung Urteilsfähigkeit und Engagement junger Mitbürger

gefördert werden kann, so ist auch die Fähigkeit wichtig, wirtschaftspolitische Debatten zu

verfolgen, sich dort ein eigenes Urteil zu bilden und sich selbst an den Debatten zu beteiligen.

Das gehört elementar zur Demokratie. Deren Schlüsselfigur ist doch der vielzitierte "mündige

Bürger". Und der ist auch gefragt, wenn es um die Gestaltung unserer Wirtschaftsordnung

geht. Nicht nur politische, auch ökonomische Apathie und Unwissenheit sind gefährlich.

Wie wichtig die Fähigkeit zum öffentlichen Gespräch über wirtschaftliche Fragen ist, das

zeigt sich gerade dann, wenn es darum geht, die Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. Also:

welche Regeln brauchen Banken, welche Grenzen die Märkte? Welche Rolle spielt die

Geldpolitik, welche Macht darf sie ausüben? Und wie finden wir den Weg aus der hohen

Staatsverschuldung?

Dabei reicht es nicht aus, individuelles und unternehmerisches Handeln in den Blick zu

nehmen und nur auf die Veränderung von Mentalitäten und Geschäftsmodellen zu setzen.

Das alles ist richtig. Aber es war auch die staatliche Rahmenordnung, die Fehlverhalten

ermöglicht und oft auch begünstigt hat. Und damit bin ich beim dritten und letzten Punkt.

Seit dem G20-Gipfel vor fünf Jahren in Washington wird daran gearbeitet, Banken stärker in

Haftung zu nehmen und Regeln zu setzen, um Krisen weniger wahrscheinlich zu machen.

Wir Europäer schaffen mit der Bankenunion eine einheitliche Aufsicht im Euroraum und

neue Verfahren, um Eigner und Gläubiger in Haftung zu nehmen, wenn Banken ins

Schlingern geraten. Damit kann es uns in Europa gelingen, Marktwirtschaft und

Währungsunion zu stärken.

Es würde uns guttun, wenn solche wichtigen Fragen nicht allein von kau Fachpolitikern und

Experten diskutiert würden, sondern stärker als bisher auch von Bürgern und Medien. Denn

es wird weiter um das Ausmaß der Regulierung gerungen werden, gerungen werden müssen.

Wir müssen uns fragen: Wurde wirklich schon genug getan, um das Finanzsystem

krisenfester zu machen und Exzesse zu vermeiden? Oder geht manche Regel gerade für

kleine Banken, die nicht "systemrelevant" sind und mit anderen Banken verflochten sind,

vielleicht schon zu weit?

Dazu kann es durchaus unterschiedliche Antworten geben. Eine, die mir persönlich sehr

sympathisch ist, stammt von Karl Popper, dem Begründer des Kritischen Rationalismus. Er

hat einmal gefordert, den freien Markt nicht als "ideologisches Prinzip" zu betrachten,

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sondern einfach als eine Ordnung, die davon lebt, dass die Freiheit nur dort zu beschränken

ist, wo es aus wichtigen Gründen notwendig ist. Er war sich bewusst, dass oftmals umstritten

sein wird, wo genau die Grenze des Notwendigen verläuft. Das wird auch so bleiben.

Diese Grenze in kluger und verantwortungsvoller Weise zu ziehen, das ist Aufgabe der

Politik. Sie gibt den Rahmen vor. Mindestens genauso wichtig ist es dann aber, wie Banken

und Bürger diesen Rahmen füllen. Lassen Sie uns also weiter diskutieren, wie

verantwortungsvolles Handeln von Banken und Bürgern zu stärken wäre. Lassen Sie uns über

notwendige Grenzen und die Grenze des Notwendigen auf den Finanzmärkten diskutieren! In

diesem Sinne also: Lassen Sie uns über Geld reden.

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Rede 45 - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck

Herzlich willkommen in Schloss Bellevue! "Treffen mit Spitzen der Wirtschaft" steht heute

in meinem Kalender - neue Spitzen, füge ich gern hinzu, denn Sie alle wurden in den

vergangenen eineinhalb Jahren in die obersten Ämter der führenden Wirtschaftsverbände und

des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt. Und Sie haben mit Ihren Ämtern große

Verantwortung übernommen! Dafür danke ich Ihnen.

Aber ich will es nicht bei einer freundlichen Geste bewenden lassen. Ich möchte eine

Hoffnung, ja, eine Erwartung äußern und Sie ermutigen, sich Großes vorzunehmen und den

Gestaltungsspielraum, den Sie jetzt haben, zu nutzen. Sie stehen für Wechsel und können für

Wandel stehen, für neue Wege und neue Möglichkeiten in der Wirtschaft, im Arbeitsleben,

im Sozialen. Und Sie vertreten Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,

Hunderttausende von Unternehmen sowie Hunderttausende von Ehrenamtlichen in

Betriebsräten und in Organisationen der Wirtschaft. Ihre Stimme hat Gewicht!

Ja, Ihre Stimme hat Gewicht, weil fast überall dort, wo in Deutschland gearbeitet wird – wo

mit Händen und Köpfen etwas bewegt, verändert, neu geschaffen wird –, Ihre Vereinigungen

Einfluss geltend machen. Deutschland ist nicht zuletzt deshalb so leistungsfähig, weil bei uns

viele Ebenen von Verantwortung und Mitwirkung existieren: in Bund, Ländern und

Kommunen bekanntermaßen, zugleich in den Verbänden – und die Vertreter der größten

Wirtschaftsverbände darf ich hier begrüßen. Es ist fürwahr ein ausdifferenziertes System. Seit

ich Bundespräsident bin und mehr denn je in der Welt herumkomme, habe ich alle paar

Wochen Gelegenheit, Vergleiche zu ziehen und mir ein Bild davon zu machen, wie wertvoll

solche Errungenschaften sind: die Selbstverwaltung der Wirtschaft, freie Gewerkschaften,

gelebte Sozialpartnerschaft, gesamtgesellschaftliche Verantwortung. All das ist eben mehr als

die Summe von Partikularinteressen. Diesen Unterschied spüre ich sehr deutlich, wenn ich in

Ländern zu Gast bin, in denen Mechanismen zur Ausbalancierung von Macht fehlen und

ganze Bevölkerungsgruppen in Unmündigkeit und Abhängigkeit leben.

Das deutsche Modell profitiert von der Tatsache, dass kein Politiker – und auch keine

Politikerin! – an den großen Vereinigungen mit ihren Millionen Mitgliedern vorbeikommt.

Ihr Einfluss liegt freilich nicht allein in ihrer Mitgliederzahl und ihrer Größe begründet,

sondern in ihrer Fähigkeit, mit Expertise und eigenen Konzepten zu überzeugen. So entsteht

eine gewollte Reibung im Diskussions- und Entscheidungsprozess. Mit welcher Körnung

dabei geschliffen wird, das bestimmen Sie, liebe Gäste. Gelingt nur eine Oberflächenpolitur

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und die Beseitigung von störenden Ecken und Kanten? Oder entsteht sogar ein völlig neues

Werkstück?

Wenn ich über die Aufgaben der kommenden Jahre nachdenke, dann lohnt es durchaus,

Grundsätzliches anzugehen. Beispielsweise gilt weiterhin: Es sind die Ursachen, nicht nur die

Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beheben. Auch unseren Ansprüchen beim Klima-

und Umweltschutz müssen wir gerecht werden. Das Großprojekt Energiewende muss zum

Erfolg geführt werden, die hohe Staatsverschuldung soll abgebaut, die Chancen der digitalen

Revolution sollen stärker ergriffen und die Risiken besser eingehegt werden. Natürlich ist

auch die Frage des sozialen Aufstiegs und der Teilhabe aller am wirtschaftlichen Erfolg

weiterhin von immenser Bedeutung. Viele Bürgerinnen und Bürger würden sie weit nach

oben auf die Liste setzen. Ich tue es auch.

Es gibt ein Querschnittsthema, das von zahlreichen dieser Aufgaben berührt wird – der

demografische Wandel. Wir kennen die Prognosen. Aber handeln wir auch schon mit der

nötigen Konsequenz? Haben wir wirklich alle Facetten dieses Phänomens im Blick? Wie

gewährleisten wir zum Beispiel, was gemeinhin Generationengerechtigkeit genannt wird? Ich

denke dabei nicht allein an die materielle Ebene, an Fachkräfte, Infrastruktur und

Sozialversicherung. Ich denke auch an die Innovationsfähigkeit unserer Industrie, unserer

Gesellschaft insgesamt. Neues entsteht ja meist dank einer guten Mischung aus Erfahrung

und Entdeckergeist, Vorsicht und Experimentierfreude, Alt und Jung. Wie kann diese

Dynamik unter neuen Vorzeichen erhalten bleiben? Wie kann sich die Generation von

Morgen als Minderheit Gehör verschaffen? Der Ruf unseres Landes als Wirtschaftsstandort

und nicht zuletzt unsere Lebensqualität werden davon abhängen, wie es Deutschland gelingt,

offen und beweglich zu bleiben.

Meine Hoffnung gründet auf einer einfachen Einsicht: Offenheit ist glücklicherweise nicht

nur eine Alters-, sondern auch eine Haltungsfrage. Daran können wir also arbeiten – an der

Haltung, Wandel nicht nur hinzunehmen oder gar zu bremsen, sondern als Raum unserer

Möglichkeiten zu begreifen.

Diese Beweglichkeit brauchen wir, um neuen Ideen Platz zu schaffen. Produkte und

Dienstleistungen "Made in Germany" exportieren wir schon heute erfolgreich in alle Welt.

Wünschenswert scheint mir aber auch, dass wir noch mehr aus der Welt in unsere

Gesellschaft zurückbringen. Ich meine damit vor allem den Mut und Willen zu neuen

Sichtweisen, zu neuen Konzepten!

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Lassen Sie uns darauf das Glas erheben: auf die Veränderung als wertvolle gesellschaftliche

Kraft und alles, was Sie persönlich – liebe Ehrengäste – in Ihren neuen Ämtern dazu

beitragen werden. Ich freue mich auf unseren heutigen Gedankenaustausch, ein Gespräch

über die Zukunft unseres Landes. Auf Ihr Wohl!

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Rede 46 - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck

Vielen Dank für diesen herzlichen Empfang, den Sie der deutschen Delegation, Daniela

Schadt und mir in Portugal bereitet haben! Fast 2.500 Kilometer liegen zwischen Lissabon

und Berlin – und doch ist das Gefühl nach diesem erlebnisreichen Tag ganz eindeutig: Wir

sind Nachbarn in Europa. Unsere Wege in die Gemeinschaft der Europäer, sie waren

verschieden, aber das, was uns dabei angetrieben hat und bis heute antreibt, das war und ist

sehr ähnlich. Allen voran die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden, nach Demokratie und

Teilhabe: politisch, kulturell und ökonomisch. Ich habe festgestellt: Es gibt viele gedankliche

Parallelen zwischen portugiesischen Zeitzeugen, die von der Nelkenrevolution 1974, von der

Überwindung der Diktatur und der Hinwendung zur Europäischen Union erzählen, und jenen,

die – wie ich –, 1989 den Umbruch in Mittel- und Osteuropa erlebt und gestaltet haben. Ich

fühle mich deshalb als Deutscher wie als Europäer in Ihrem Land sehr willkommen.

Mein Reiseprogramm hätte einladender kaum beginnen können: schon morgens das prächtige

Hieronymuskloster mit seinen Mauern, die Geschichte atmen. Beides hat dort im Kloster

seinen Platz gefunden: das Gedenken an Nationalikonen wie Vasco da Gama und Luís de

Camões, zugleich das Versprechen auf europäische Erneuerung. Die Bodenplatte zu Ehren

des Vertrags von Lissabon samt der eingravierten Unterschriften der Staats- und

Regierungschefs wird bei künftigen Generationen vielleicht ähnliche Gefühle wecken wie die

Bilder der kühnen Seefahrer des 15. Jahrhunderts es heute bei uns tun.

Viele Anklänge an das Zusammenwachsen Europas waren auch am Nachmittag zu hören, als

wir das 60. Gründungsjubiläum der Deutsch-Portugiesischen Handelskammer gewürdigt

haben. Die Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen ist inzwischen untrennbar mit der

Europäischen Union verbunden. Ich bin also zugleich Gast, Freund und Partner, wenn ich

sage: Wie Portugal dabei ist, die Finanzkrise durch einen entschlossenen Reformkurs

einzuhegen, das verdient unseren großen Respekt. Ich wünsche Ihrem Land, dass diese

erfreuliche Entwicklung konsequent vorangetrieben werden kann und schon bald – ablesbar

an den Wirtschaftsdaten, aber vor allem auch spürbar für die Bevölkerung – zu weiterem

Aufschwung und neuen Arbeitsplätzen führen wird. Vor allem das Problem der

Jugendarbeitslosigkeit muss dringend gelöst werden. Da weiß ich mich mit allen meinen

portugiesischen Gesprächspartnern einig.

Deutschland will Portugal auf seinem europäischen Weg der Reformen weiterhin

unterstützen. Dass ich von Unternehmern aus Deutschland begleitet werde, die hier in

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Portugal Erfahrung haben, das soll mehr sein als ein symbolischer Akt. Zum einen bringen

diese Unternehmer die Bereitschaft für Investitionen und zur Zusammenarbeit bei der dualen

Ausbildung mit. Zum anderen will ich zeigen: Der Strukturwandel hat begonnen, er wird

greifbar. Und er lohnt sich!

Strukturwandel bleibt ein abstraktes Wort. Wer Portugal erlebt, wer hier in Lissabon das

faszinierende Nebeneinander von Tradition und Moderne sieht, der wird mir vielleicht

zustimmen: Strukturwandel beginnt mit einer neuen Sicht auf sich selbst und auf die Welt –

besser noch: in die Welt. Portugal ist gerade dabei, so scheint mir, nicht nur seine Rolle in

Europa, sondern auch seine Rolle im internationalen Gefüge neu zu bestimmen. Die

Intensivierung des Außenhandels mit Ländern in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten

ist dafür ein Beleg. Ebenso das portugiesische Bekenntnis zum Multilateralismus. Wenn von

großen portugiesischen Persönlichkeiten die Rede ist, fallen einem internationalen Publikum

sogleich der Präsident der Europäischen Kommission ein und der Flüchtlingskommissar der

Vereinten Nationen.

Die Leistungsfähigkeit der portugiesischen Diplomatie wird weltweit sehr geschätzt, in vielen

Staaten schon aus kultureller Verbundenheit – 250 Millionen Menschen sprechen Ihre

Sprache. Und geschätzt wird Ihr Land für die besonderen Brückenschläge, die sich aus seiner

Geschichte in die Gegenwart ergeben. Wer in Deutschland nach dem Lebensgefühl in Angola

oder Mosambik fragt, wird nur vergleichsweise wenige Erfahrene und Experten finden. Hier

in Portugal scheinen Europa und Afrika geografisch wie auch mental näher beieinander zu

liegen. Davon kann auch Deutschland lernen.

Ähnliches gilt für Brasilien. Viele meiner Landsleute waren über die sozialen Konflikte im

Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft dort überrascht bis erschrocken. Die meisten

Portugiesen verstehen die manchmal schwierigen Bedingungen, aber auch die Hoffnungen

jenseits des Atlantiks sehr viel besser. Dieses Verständnis ist kostbar in einer Zeit, in der wir

globale Aufgaben wie in der Sicherheitspolitik oder beim Klimawandel nur bewältigen

können, wenn wir gemeinsame Interessen und im Fall von Konflikten Kompromisslinien

finden.

Ich begrüße es deshalb sehr, wenn Sie die portugiesische Perspektive einbringen – sei es in

Europa, sei es im Rahmen der NATO, der Vereinten Nationen oder in der Gemeinschaft der

portugiesischsprachigen Länder.

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Jetzt meine Bitte zum Schluss, die wird Sie nicht überraschen: Erheben wir das Glas auf eine

Welt, in der gute Nachbarschaft keine Frage des Abstands in Kilometern ist, sondern eine

Frage gemeinsamer Werte. Und natürlich auf das Wohl unserer Gastgeber, die uns heute

zusammengeführt haben!

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Rede 47 - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck

Vielen Dank für die doppelte Freude, aus diesem besonderen Anlass Ihr Redner sein zu

dürfen. Zum einen, weil ich gemeinsam mit Ihnen, Herr Staatspräsident, hier sein und ein

Schlusswort richten kann an eine Versammlung von Menschen, die unsere beiden Länder

voranbringen wollen – und das gemeinsam. Und zum anderen, weil das Jubiläum, das wir

hier begehen, einen so trefflichen Titel hat: "60 Jahre in Verbindung".

Diese Überschrift will ich gern aufgreifen – natürlich mit Blick auf die Institution, die wir

heute feiern, die Deutsch-Portugiesische Handelskammer. Aber ich will auch über unsere

beiden Länder sprechen, die so intensiv miteinander in Verbindung stehen. Was ist es, das

uns bisher verbunden hat? Und was könnte uns morgen verbinden?

Ich glaube, ein wenig Selbstvergewisserung kann nicht schaden, wenn sich die gegenseitige

Wahrnehmung im Alltag gelegentlich auf kleine Ausschnitte der Realität verengt. Wenn

Alltag dominiert, ist das im Verhältnis von Staaten eigentlich immer ein gutes Zeichen. Es

zeugt von Normalität und von Reibungslosigkeit. Aber politische Zusammenarbeit ist in

Wahrheit so viel mehr! So viel mehr als das Pressestatement nach einer Sitzung in Brüssel.

Und wirtschaftliche Verflechtung ist so viel mehr als das importierte Familienauto, die

Bohrmaschine oder umgekehrt die Kiste Portwein und der Badeurlaub an der Algarve. Und

so viel mehr als Zahlen! Sie mögen positive Entwicklungen beschreiben, etwa, dass

Deutschland der zweitgrößte Handelspartner Portugals ist. Aber Zahlen können nicht

Auskunft geben über die Prägung, die jeder der Partner in eine Verbindung mit einbringt.

Auch nicht über die Haltung, mit der man sich in guten wie in schlechten Zeiten begegnet.

Prägung und Haltung, Portugal und Deutschland – das ist heute mein Thema.

Lassen Sie mich mit den bilateralen Beziehungen im engeren Sinne beginnen. Vor 60 Jahren

standen die Zeichen dafür vergleichsweise gut. Portugal war eines der wenigen Länder in

Europa, das im Zweiten Weltkrieg nicht unter deutscher Besatzung zu leiden hatte.

Emigranten wie Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und mehr als 100.000

Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, konnten in diesem Land Asyl

finden. Den meisten ist über Lissabon die Ausreise nach Amerika gelungen.

Als sich Deutschland Anfang der 50er Jahre neu finden und neu ausrichten musste – nach

dem tiefen Zivilisationsbruch, nach all den Verbrechen, die in der Zeit des

Nationalsozialismus verübt worden waren –, da war Portugal eines der ersten Länder, die sich

der jungen Bundesrepublik, und das nicht nur wirtschaftlich, öffneten. 1954 war

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Westdeutschlands Grundgesetz erst fünf Jahre alt und das Wirtschaftswunder – später so

berühmt – begann gerade, sich zum spürbaren Aufschwung für die Bevölkerung zu

entwickeln. Maschinen"Made in Germany" hielten Einzug in portugiesische

Produktionshallen, und neben dem berühmten Wein fand eine Fülle weiterer Erzeugnisse aus

Portugal den Weg in deutsche Einkaufsregale.

Aber nicht nur die Güter kamen in Bewegung. Genau zehn Jahre nach Gründung der

Auslandshandelskammer wurde in Köln der millionste Gastarbeiter – Armando Rodrigues de

Sá, ein Zimmermann aus Vale de Madeiros –, feierlich begrüßt. Er bekam ein Moped

geschenkt. Und dieses Moped steht heute im Haus der Geschichte in Bonn. Aus den

Gastarbeitern von damals sind hundertausendfach Bürgerinnen und Bürger der

Bundesrepublik geworden. Ihre Kinder und Enkel empfinden Deutschland als Zuhause, als

Heimat. Viele von ihnen haben studiert und die Träume der Einwanderer – vor allem den

Traum vom sozialen Aufstieg – zur eigenen Wirklichkeit gemacht. Und die Rückkehrer, sie

prägten mit ihren Geschichten aus Deutschland das Bild, das Portugiesinnen und Portugiesen

von meinem Land und seinen Menschen haben.

Gegenseitiges Vertrauen und Vertrautheit sind in diesen Zeiten gewachsen. Portugal, die

Kulturnation mit großer Geschichte, lernte Deutschland dank der vielen Migrantenfamilien

als Land für Bildung und Broterwerb zu schätzen. Und Deutschland – zumindest der Teil, der

sich Bundesrepublik nannte und sich westlich der Mauer befand – ich war leider nicht dort –

setzte große Hoffnungen in Portugal und in die Portugiesen, die sich 1974 mit der

Nelkenrevolution aus der Diktatur befreien konnten. Bei meinem Besuch eben im Parlament

haben mich die eindrücklichen Bilder einer Ausstellung, die den Weg von der Diktatur hin in

eine funktionierende Demokratie dokumentieren, sehr bewegt.

Vierzig Jahre ist das jetzt her, und wie viel hat das Land seither erreicht! Es hat die politische

und ökonomische Isolation überwunden, Demokratie und Marktwirtschaft eingeführt und

nicht zuletzt: Europa für sich gewonnen.

Ja, gewonnen! Das sage ich ganz bewusst. In den Geschichtsbüchern steht viel darüber, wie

die Bundesrepublik und andere europäische Nachbarn Portugal auf dem Weg in die

Europäische Gemeinschaft bestärkt haben, wie sie Hilfestellung leisteten. Hauptakteur dieses

Erfolgs war jedoch das Land selbst, waren die Menschen, die hier lebten und die in den

1970er bis 1990er Jahren einen beispiellosen Aufholprozess geschafft haben. Europa wurde

in diesen Jahren für Portugal zum Glücksfall – allerdings auch zur bleibenden

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Herausforderung. Und wir spüren alle, dass die politisch und ökonomisch Verantwortlichen

noch vor weiteren Herausforderungen stehen, um das Projekt Europa auch künftig zum

Erfolg zu führen.

Letztlich wurde nicht nur Portugal durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008

wachgerüttelt. Wir – wir alle – mussten anerkennen: Europa, besonders die Eurozone, ist

ebenso wenig perfekt wie jedes ihrer Mitglieder. Aber die Gemeinschaft zeigt sich lernfähig.

Portugal konnte – was für ein schöner Erfolg – vor wenigen Wochen seinen Austritt aus dem

europäischen Rettungsschirm verkünden. Das Land ist dabei, die Krise mit einem

entschlossenen Reformprogramm einzuhegen.

Die jüngsten Nachrichten sind nicht nur ermutigend für Portugal, sondern auch für Europa.

Sie reihen sich ein in erfolgversprechende Entwicklungen anderer Eurostaaten wie etwa

Irland oder Spanien. Sie zeigen, dass Europa mit dem Ansatz aus Solidarität und Solidität

richtig liegt, dass Konsolidierung und Strukturreformen zwar schwierig sind, aber dass sie die

Ursachen der Krise beheben, anstatt nur Symptome zu behandeln. Und genau das gibt uns

Grund für Zuversicht.

Allerdings sollte uns diese Zuversicht nicht den Blick auf weiteren Handlungsbedarf

verstellen. Wir – und ich meine wieder: wir alle – müssen jetzt unsere Kräfte bündeln, damit

das Wachstum robuster wird und mehr Beschäftigung entsteht. Nur dann kann die Situation

von Grund auf verbessert werden. Ich denke vor allem an die hohe, an die inakzeptabel hohe

Jugendarbeitslosigkeit. Sie tatenlos hinzunehmen, das kann sich niemand in Europa leisten.

Uns Deutschen ist sehr bewusst, welche großen Belastungen für die portugiesische

Bevölkerung mit der Krise und ihren Folgen einhergehen. Wir wissen, wie viele Familien

Schwierigkeiten haben, das nötige Geld aufzubringen für die Miete, für Medikamente, oft gar

für ausreichende Nahrung. Mit Recht fragen sich die Menschen, wann ihre Opferbereitschaft

mit einer Verbesserung ihrer Lebensumstände belohnt wird. Einige haben ihre Enttäuschung

bei der Europawahl zum Ausdruck gebracht, andere sind den Wahlkabinen gleich ganz fern

geblieben.

Wie geht die Europäische Union mit solchen Fragen, mit solchen Sorgen und mit solchen

Reaktionen um? Da hat nun niemand einfache Lösungen. Aber wir haben in den vergangenen

Jahren genügend Erfahrungen gesammelt, um zu wissen: Es lohnt sich, den angefangenen

Reformweg konsequent weiterzugehen und dies der Bevölkerung angemessen zu erklären. Es

lohnt sich, um neue Zustimmung für das europäische Projekt zu werben, denn es ist nach wie

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vor ein Zukunftsprojekt, zu dem wir Europäer stehen. Wo immer ich kann, möchte ich mich

dafür stark machen, diese Krise nicht als Scheitern zu interpretieren. Wir sollten sie als

Herausforderung betrachten, auch als Auftrag, mit innovativen Ideen gemeinsam erneut

Verantwortung für Europa zu übernehmen.

Bei meinen ersten Gesprächen hier heute in Lissabon habe ich den Eindruck gewonnen:

Genau diese Selbstvergewisserung passiert hier gerade. Portugal ist dabei, ein neues

Gleichgewicht für sich zu finden, nicht nur wirtschaftlich. Ich will meinen Besuch auch dazu

nutzen, all jenen den Rücken zu stärken, die ihre Landsleute ermutigen, beim Blick auf die

großen Aufgaben und Lasten die sich öffnenden Möglichkeiten nicht zu übersehen. Wenn der

Reformprozess gelingt – und es spricht vieles dafür, dass er in Portugal gelingen wird –, kann

neue Prosperität genauso wie neue Gerechtigkeit aus ihm erwachsen. Wenn alte Strukturen

aufgebrochen werden, entsteht Hoffnung gerade für die junge Generation, die sich derzeit so

oft im Stich gelassen fühlt.

Ich habe es schon erwähnt: Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Teilen Europas, sie bedrückt

und beschäftigt mich sehr. Formal betrachtet sind zunächst ja einmal die betroffenen

Mitgliedstaaten die Zuständigen, aber mit Blick auf unsere gemeinsame Zukunft trifft die

Verantwortung uns doch eigentlich und genau genommen alle, als Nachbarn in Europa wie

als Mitmenschen! Deshalb ist es mir wichtig, während meiner Reise die berufliche

Ausbildung aufzugreifen. Wie können unsere bilateralen Beziehungen zur Überwindung der

Jugendarbeitslosigkeit beitragen? Morgen Vormittag werde ich ein portugiesisch-deutsches

Berufsbildungszentrum in Palmela besuchen. Die Zusammenarbeit bei der dualen

Berufsausbildung umfasst inzwischen fast 30 Jahre. Was 1983 einmal als Initiative der

Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer und zwölf deutscher Unternehmen

begann, um deren eigenen Fachkräftebedarf zu decken, das wurde inzwischen zu einer

landesweiten Bewegung. Und ich bin all den Unternehmungen dankbar, die aus Deutschland

kommen und sich hier aktiv eingebracht haben. Portugal schuf die nötige Gesetzesgrundlage.

Heute gelingt mehr als 90 Prozent der Absolventen der Schritt von der dualen Ausbildung in

die betriebliche Übernahme oder in eine andere reguläre Beschäftigung. Ich bin froh, Ihnen

versichern zu können, dass sich die Kammer und ihre deutschen Partner in der Berufsbildung

weiter stark engagieren werden, um dieses erfolgreiche System künftig auszubauen.

Perspektiven für die junge Generation zu schaffen – das war und bleibt in meinen Augen ein

deutsch-portugiesisches Kernthema.

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Hohe Priorität auf unserer bilateralen Agenda genießt außerdem die Investitionspolitik. Der

deutsche Präsident selbst hat ja leider kein Budget mit dem Titel "Zukunft", über das er frei

verfügen könnte und hier große Versprechungen machen könnte. Aber ich habe hochrangige

Vertreter der deutschen Wirtschaft an meiner Seite. Sie haben mir bestätigt: Deutsche

Unternehmen, etwa aus der Automobil-, Pharma- und Optikbranche, aus dem

Tourismusbereich, sind sehr interessiert daran, in Portugal zu investieren. Und das nicht

allein aus freundschaftlicher Verbundenheit zu Portugal, sondern weil dieser Standort

Perspektiven hat. Portugal verfügt über qualifizierte, zuverlässige und hoch motivierte

Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Und dieses Land ist wirtschaftlich so viel facettenreicher

als die Klischees, die noch in den Köpfen einiger Europäer nisten!

Möglichst viele Menschen sollen wissen: Die positiven Entwicklungen in Portugal sind keine

glücklichen Zufälle, sondern Teil einer selbst erarbeiteten Entwicklung, einer Strategie.

Portugal schafft es immer besser, auf den Weltmärkten seine Chancen zu ergreifen. Das ist

Zeugnis einer tiefgreifenden Umstrukturierung der portugiesischen Wirtschaft zugunsten

wettbewerbsfähiger Produkte und Dienstleistungen. Deutsche Unternehmen werden – dessen

bin ich mir sicher – auch künftig ihren Beitrag dazu leisten. Nicht nur die großen bekannten

Firmen, auch viele kleine und mittlere deutsche Betriebe haben in der Vergangenheit die

Wirtschaftskraft Portugals und den portugiesischen Export gestärkt. Ich bin sehr optimistisch,

dass dieser Einsatz in Zukunft noch intensiviert wird.

Sie merken, ich möchte den schönen Titel dieser Veranstaltung gern fortgeschrieben sehen:

in Verbindung sein und in Verbindung bleiben. Ich bin gekommen, um der Deutsch-

Portugiesischen Industrie- und Handelskammer für all das Geleistete zu danken und Sie für

neue Aufgaben zu bestärken. Was Sie in den vergangenen 60 Jahren erreicht haben, war gut

für unsere bilateralen Beziehungen genauso wie für unser Zusammenwirken in Europa. Möge

das auch in Zukunft so bleiben!

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Rede 48 - 25. Juni 2014 - Joachim Gauck

Ganz, ganz herzlichen Dank für diesen eindrucksvollen Abschluss meines Besuchs! Was für

ein Schatz Ihr Sintra ist und wie wir uns freuen, hier zu sein! Jetzt kann ich einen Freund

verstehen, der vor der Reise zu mir sagte: "Du wirst den Palast sehen – und bleiben

wollen." Der Mann hatte Recht.

Ja, worauf war ich vorbereitet? Ich war gedanklich darauf vorbereitet, viel über die

Finanzkrise und ihre Folgen zu hören. Davon kam auch etwas. Aber mir ist dabei keine

Resignation begegnet, stattdessen große Energie, mit der die Probleme angegangen werden,

und vor allem: große Solidarität. Der enge Familienzusammenhalt in Portugal, die rege

Nachbarschaftshilfe, der hohe Wert von Freundschaft – all das zusammen scheint mir

mindestens so wirksam zu sein wie der vielzitierte europäische Rettungsschirm.

Dass Portugal diesen Schirm wieder verlassen konnte, war eine der erfreulichsten

Nachrichten der vergangenen Wochen. Ich hoffe für Ihr Land, dass die Aufbruchsstimmung

anhält und sich noch verstärkt – und dass diese Stimmung sich auch jenen vermittelt, die für

den Reformkurs große Opfer bringen mussten, die von Existenzsorgen gequält werden und

sich nichts mehr wünschen, als dass ihr Alltag wieder in geregelte Bahnen findet. Ich bin

froh, mit meinen Begleitern aus der deutschen Wirtschaft Anzeichen für den Aufschwung

gefunden zu haben. Und ich möchte Ihnen versichern: Deutsche Unternehmen wollen und

werden Teil dieser positiven Entwicklung sein, so wie wir es heute gehört haben, mit neuen

Millionen Investitionen des Volkswagen-Konzerns und der Schaffung neuer Arbeitsplätze als

ein Beispiel.

Jeder, der zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit etwas beitragen kann, soll sich beteiligen –

Partner aus Deutschland und auch aus anderen Ländern Europas. Deshalb war mir mein

heutiger Besuch im Berufsausbildungszentrum ATEC so wichtig. Wir brauchen doch alle

solche Beispiele des Gelingens. Wir brauchen Orientierung, um das Problem grundlegend

und in der Fläche zu bewältigen. Es darf doch nicht sein, dass so viele Jugendliche ohne

berufliche Perspektive bleiben.

Bitte sehen es Sie mir nach, wenn ich in so prachtvoller Umgebung ein so ernstes Thema

anspreche. Aber das liegt mir doch wirklich am Herzen. Und hier im Saal sind gerade so viele

Menschen versammelt, von denen ich weiß, dass sie ähnlich empfinden. Vielleicht sollte ich

noch einmal kurz auf meinen Besuch bei ATEC zurückkommen. Wir haben auch mit jungen

Leuten gesprochen, die in diesem Ausbildungsprogramm tätig sind. Wir haben durchweg in

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Gesichter geschaut, die Zuversicht und Optimismus ausstrahlen. Einer war sogar dabei, der

war noch in der Ausbildung und hatte schon ein Unternehmen gegründet. Er hatte eine

unternehmerische Idee, für die das Vorstandsmitglied des Volkswagenkonzerns sich sofort

interessiert hat. Er hat den jungen Mann angesprochen und ihm beispielsweise geraten, gleich

einen Patentschutz zu beantragen. Das sind natürlich tolle Begegnungen, die uns ermutigen –

Zeichen der Zuversicht. Wir spüren alle, das Land braucht eine wirtschaftliche Erholung und

wirtschaftlichen Erfolg und das wird in den nächsten Jahren Priorität haben. Das heißt aber

nicht, dass alles andere auf Sparflamme kochen soll. Im Gegenteil: Wie bedeutend sind

Kultur und Bildung für jeden Fortschritt. Wichtig ist der Austausch darüber, was sich eine

Nation vornimmt und was sie sich zutraut. Meine Damen und Herren, Ihre Arbeit hat gerade

in Zeiten wie diesen großes Gewicht.

Lassen Sie uns deshalb das Glas erheben: auf Portugal, auf die Kraft Portugals, auch

schwierige Situationen zu meistern. Und auf die Freundschaft unserer beiden Länder, die uns

auch in Zukunft beflügeln soll!

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Rede 49 - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck

Ich freue mich, Sie heute offiziell hier im Schloss Bellevue und hier in Deutschland zu

begrüßen. Kennengelernt haben wir uns ja schon bei unserer Begegnung in Budapest vor

einem Monat. Schon damals haben wir festgestellt: Die Erinnerung an die europäische

Selbstbefreiung 1989 verbindet unsere beiden Länder – und sie verbindet auch uns beide

ganz persönlich.

Wenn ein Mensch neu in ein hohes Amt kommt, dann werden natürlich alle Gesten und

Aussagen des Neuen genau angeschaut. Bei uns ist also sehr aufmerksam und mit großer

Sympathie bemerkt worden, dass Sie zu Ihrer Amtseinführung, erstmals in der Geschichte

Ihres Staates, auch Vertreter verschiedener Menschenrechts- und Minderheitenorganisationen

eingeladen haben. Ihre persönliche beruflich-wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gibt uns die

ruhige Gewissheit, dass Sie viel von Wirtschaft verstehen. Und schließlich haben Sie in der

Vergangenheit nicht nur privat viel Erfolg gehabt. Sie haben auch soziales Engagement durch

die Gründung der inzwischen größten privaten Hilfsorganisation Ihres Landes bewiesen.

Wir begrüßen Sie also hier im Schloss als ersten Repräsentanten Ihres Landes, eines jungen,

aber in jeder Hinsicht selbständigen und erwachsenen Staates in Europa. Mit Ihnen begrüße

ich einen ehemaligen Dissidenten, Martin Bútora. Was für ein schönes Zeichen in diesem

Jahr 2014, in dem wir an die samtene Revolution in der ČSSR erinnern.

Die Slowakei ist, wenn man so sagen darf, eine europäische Erfolgsgeschichte. Sie hat sich

seit den Friedlichen Revolutionen vor 25 Jahren vom Teil eines Staates im Warschauer Pakt

zu einem umfassend integrierten, selbständigen Partner in Europa entwickelt: NATO-

Mitglied,EU-Mitglied, Mitglied der Euro- und der Schengen-Zone. In den ersten Jahren der

Unabhängigkeit der Slowakischen Republik hätte dies vielleicht niemand zu prophezeien

gewagt. Umso beeindruckender ist diese Entwicklung.

Diese Integrationserfolge wurden der Slowakei nicht geschenkt. Sie hat sie sich verdient.

Durch eine imponierende Kraftanstrengung hat sie ihren Weg in die Mitte Europas geschafft.

Ende der 1990er Jahre stand die Slowakische Republik an einem politischen und

wirtschaftlichen Scheideweg. Die Wirtschaft stagnierte, die Staatsfinanzen waren zerrüttet

und die politische Stabilität und demokratische Verlässlichkeit des Landes schien gefährdet.

Eine mutige politische Führung hat die Wende eingeleitet.

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Der größte Anteil am Umschwung und am Wiederaufbau gebührt der slowakischen

Bevölkerung. Ihre Unterstützung für den Wandel war groß, ihr Engagement und auch ihre

Bereitschaft zu Opfern müssen in Erinnerung bleiben. Sie dienten dazu, der jungen

Generation eine bessere Zukunft zu sichern.

Politisch ist nach schwierigen Anfangsjahren das Vertrauen der eigenen Bevölkerung und der

internationalen Gemeinschaft in das Funktionieren des politischen Systems gewachsen. Die

demokratischen Institutionen wurden gestärkt, die Zivilgesellschaft entwickelt, Korruption

und Klientelismus bekämpft. Die Slowakische Republik ist heute eine stabile

parlamentarische Demokratie mit einer dynamischen Zivilgesellschaft. Das internationale

Renommee der Slowakischen Republik beruht nicht zuletzt auf diesen Erfolgen.

Im Mai 2003 entschied sich das slowakische Volk mit einer für demokratische Verhältnisse

unerhörten Mehrheit von 92,5 Prozent für denEU-Beitritt. Umfragen zeigen, dass das

slowakische Volk die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der Eurozone sehr

schätzt. Das ist ein Ansporn für die Europäer in den alten Vertragsstaaten, die in ihrer

Leidenschaft für Europa vielleicht manchmal mehr oder weniger nachlassen. Europa aber

kann nur Zukunft gewinnen, wenn es in den Köpfen und Herzen der Bürgerinnen und Bürger

verankert und lebendig bleibt.

Durch entschiedene wirtschaftliche Reformen wurde die Slowakei zu einem der

konkurrenzfähigsten Standorte der Region. Das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen

zehn Jahren immer an der Spitze der Europäischen Union, und auch nach der Finanzkrise ist

das so geblieben.

Ein Symbol des wirtschaftlichen Erfolges ist die Automobilindustrie. Hier können wir uns

über eine großartige deutsch-slowakische Zusammenarbeit freuen. Das VW-Werk in

Bratislava gehört zu den modernsten und leistungsfähigsten innerhalb des VW-Konzerns.

Aber auch zahlreiche mittelständische und kleinere Unternehmen aus Deutschland haben sich

in der Slowakei angesiedelt und sind mit ihrer Standortwahl hoch zufrieden – wie die

alljährliche Umfrage der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer immer

wieder zeigt.

Die Erfolge des VW-Werks in Bratislava und anderer Unternehmen hängen entscheidend von

einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft ab. Qualifizierte Ausbildung ist der Schlüssel für

unsere wirtschaftliche Zukunft, für zukunftsweisende Investitionen und zur Bekämpfung des

bedrückenden Problems der Jugendarbeitslosigkeit.

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Sie, Herr Präsident, haben gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit wichtige neue Akzente gesetzt.

Daraus konnten wir schließen, dass Ihnen eine freiheitliche und selbstbewusste

Bürgergesellschaft am Herzen liegt, ebenso wie eine besser funktionierende Justiz. Ihr Land

befindet auf sehr gutem Weg. Heute, nach mehr als 21 Jahren slowakischer Unabhängigkeit

kann die Slowakei stolz auf ihre Leistungen und Erfolge sein, und wir Deutsche sind stolz,

dass wir Partner der Slowakei auf dem Weg nach Europa sind.

Ich erhebe mein Glas auf Sie, Herr Präsident, auf eine glückliche Entwicklung der Slowakei

und auf unsere freundschaftlichen Beziehungen.

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Rede 50 - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck

Zuerst einmal: Herzlichen Glückwunsch – an Sie, die Mitglieder und Freunde der Hamburger

Handelskammer und natürlich auch an die Freie und Hansestadt selbst, in der diese

Einrichtung so lange florieren konnte und die in so Vielem den Geist dieser Stadt atmet.

Herzlichen Glückwunsch. Es ist etwas Besonderes, wenn man in Deutschland das 350.

Jubiläum feiert, und zwar wenn es um ein Institutionsjubiläum geht, um eine Institution des

politischen und wirtschaftlichen Lebens, die wirklich Anerkennung verdient. Dreieinhalb

Jahrhunderte, das ist in der politischen Geschichte Deutschlands wahrlich eine halbe

Ewigkeit.

Denn, wir erinnern uns, allzu oft sind es ja nicht die Kontinuitäten, sondern die Brüche und

die Schicksalsschläge, die sich in unser Gedächtnis eingraben. Das gilt für Hungersnöte und

Hochwasserkatastrophen, genauso wie für Seuchen und Brände, jene Heimsuchungen, die

auch Hamburgs Geschichte beständig begleitet haben.

Und es gilt noch viel mehr für menschengemachte Katastrophen, die uns zurückgeworfen

haben und oftmals zur Neuerfindung zwangen. Es waren die absolute Macht und die Macht

der Ideologien, die uns gefesselt hielten und politische Brüche auslösten. Wie viele Krisen

und Wirtschaftskrisen, wie viele Zerstörungen und Besatzungen, wie viele

Grenzverschiebungen und Währungsreformen, wie viele politische Systemwechsel hat diese

eine Hamburger Handelskammer während ihres 350-jährigen Bestehens erleben müssen?

Allein der Blick auf die letzten 100 Jahre zeigt uns, dass wir mit großem Respekt und mit

Hochachtung auf das Wirken der Verantwortlichen in der Kammer zurückblicken dürfen. Sie

haben es geschafft, auch in schwersten Zeiten erfolgreich für Solidität und Prosperität zu

wirken.

Deshalb entbiete ich heute mit großer Hochachtung Deutschlands ältester Handelskammer

einen Glückwunsch, und zwar genau an dem Tag, an dem sich vor 350 Jahren die zur See

handelnden Kaufleute dieser Stadt versammelten, um ihre Interessenvertretung zu wählen,

damals noch unter dem Namen "Commerz-Deputation".

Verehrter Herr Präses, ich bin Ihrer Einladung, heute zu sprechen, sehr gerne gefolgt. Zum

einen gibt mir dieses Jubiläum Gelegenheit zu fragen, was die Stabilität dieser, Ihrer

Institution ausmacht. Es gibt eine schlichte Antwort, sie lautet: Die Kammern, hier und

andernorts, wurden gebraucht, so wie sie heute gebraucht werden – als politische

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Interessenvertretung der heimischen Wirtschaft, als Motoren der Standortpolitik, als Berater

und Unterstützer von Existenzgründern und nicht zuletzt als eine wichtige Säule unseres

beruflichen Bildungswesens. Und wir wissen: Diese berufliche Bildung ist ein unschätzbarer

Erfolgsfaktor unserer Wirtschaft, übrigens auch ein wichtiges Exportgut.

Sodann will ich einen Kern benennen, der gerade an diesem Jubiläumstag nicht unerwähnt

bleiben soll: Nach meiner Meinung sind es Werte und Überzeugungen, die die Gründer schon

in den ersten Dekaden der damaligen "Commerz-Deputation" einbrachten. Werte, die der

Prüfung der Jahrhunderte standhielten und auch manche Irrung überlebten. Werte, die sich als

derart widerstandsfähig erwiesen, dass sie sich in die Moderne übersetzen ließen und sich

deshalb auch heute in den Leitlinien der modernen Handelskammer wiederfinden. Drei

besonders wichtige Ideen möchte ich herausgreifen: Da ist einmal der Glaube an die Kraft

von Wissen und Innovation. Da ist zweitens das Bekenntnis zu Freiheit, Weltoffenheit und

Freihandel. Und schließlich der Wille zur Selbstorganisation und Gemeinwohlorientierung.

Mit letzterem möchte ich beginnen.

Die "Commerz-Deputation", deren Wurzeln schon im frühen 16. Jahrhundert zu finden sind,

ist bei ihrer Gründung eine Art Zusammenschluss der Hamburger Fernhandelskaufleute. In

einem Akt von Selbsthilfe erschien es gerade dieser einflussreichsten Gruppierung Hamburgs

dringlich, ihre Interessen gegenüber dem Rat wirkungsvoller zu vertreten. Und das in einer

Stadt, einer Hafenstadt, deren Wohl und Wehe davon abhing, dem Fernhandel sichere

Geschäftsbedingungen zu garantieren.

Genau diese Sicherheit schien aber 1665 nicht gewährleistet, als die"Commerz-

Deputation" erstmals zusammentrat. Hamburger Handelskonvois waren von Piraten

bedroht, "streifende Seeräuber"nannte man sie damals. Die Stadt konnte bewaffneten

Geleitschutz, wiewohl seit langem versprochen, nicht rechtzeitig bereitstellen. Da

entschlossen sich die zur See handelnden Kaufleute, aktiv zu werden und Druck auszuüben.

Das ist die Geburtsstunde der Interessenvertretung. Das ist der Beginn der kaufmännischen

Selbstverwaltung, die bis heute regelmäßig durch den Wahlakt legitimiert wird.

Und jeder Mensch, ob arm oder reich, und jede Berufsgruppe, ob mächtig oder marginal, hat

Interessen. Sie zu vertreten, auch im Zusammenschluss mit anderen, ist legitim und,

zumindest im freiheitlichen Staat der Moderne, auch erwünscht. In der Rückschau entdecken

wir in Initiativen wie der "Commerz-Deputation" die Grundlage dessen, was wir –

dreieinhalb Jahrhunderte und einige Regierungssysteme später – Bürgergesellschaft nennen.

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Sie, die Bürgergesellschaft der Gleichen, fußt auf Engagement und Selbstorganisation. Sie ist

das Netzwerk, das unsere Demokratie trägt. Sie will erlernt und eingeübt sein, wie seit

Jahrhunderten, so auch heute. Und wir spüren, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Altes

wieder neu erlernt werden muss. Ich will die aktuellen Beispiele für Sorgen dieser Art

während dieser Feier, in dieser feierlichen Stunde nicht ausbreiten.

Von Anfang an stand Hamburgs organisierte Kaufmannschaft vor der Herausforderung, nicht

allein den eigenen Handelsfirmen, sondern zugleich dem Gemeinwohl zu dienen. Denn

beides hängt in einer Stadt der Kaufleute zusammen: Der "ehrbare Kaufmann" führt eben

nicht nur erfolgreich sein Geschäft, er wirkt durch sein ganzes Verhalten als Vorbild. Er

weiß, dass nicht alles, was rechtlich zulässig ist, auch ehrbar ist. Treu und Glauben,

Unbestechlichkeit, ein Mann, ein Wort, heute auch: eine Frau, ein Wort – das sind

wirtschaftsethische Maximen, wie sie hanseatischer nicht sein könnten. Mancher mag diese

Grundlagen des fairen Umgangs miteinander eine Zeit lang belächelt haben. Aber

allerspätestens in der Finanzkrise hat sich gezeigt, wie richtig und wie wichtig solche

Haltungen sind, auch wenn sie sich nicht per Gesetz erzwingen lassen.

Zugleich übernimmt der "ehrbare Kaufmann" Verantwortung für die Gesellschaft. Heinrich

Lübke, der zweite Bundespräsident, sagte in diesem Saal vor genau 50 Jahren: " […]

Geschäftssinn und Erwerbsstreben reichen nicht aus, um Großes zu bewirken." Diese

Einsicht trugen Generationen von Kaufmannsdeputierten in sich. Sie lernten, den Blick über

die enge Interessenwahrnehmung hinaus zu weiten auf die Gemeinschaft, in der erfolgreiches

Handeln eben erst möglich wird. Über die Jahre und Jahrhunderte haben sie sich im

Zusammenwirken mit dem Rat darum bemüht, Hafen und Verkehrswege, Bildung und

Infrastruktur zu verbessern. Sie haben sich verdient gemacht um die Wohlfahrt der Vielen.

Manche sind auch direkt hineingewachsen in die Politik. Andere engagieren sich in den

Gremien der Handelskammer, in Ausschüssen, in Arbeitsgruppen. Heute unterstützen allein

4.000 ehrenamtliche Prüfer die knapp 300 hauptamtlichen Mitarbeiter. Wieder andere haben

dazu beigetragen, Hamburg zur Hauptstadt des deutschen Mäzenatentums zu machen. Ihnen

allen, die sie danach streben, Wirtschaft mit Wohlstand und Gemeinwohl zu vermählen,

Ihnen allen möchte ich heute von Herzen Dank sagen.

In Zeiten der Gründung der "Commerz-Deputation" entsprach der Horizont des Gemeinwohls

im Wesentlichen dem Bereich innerhalb der eigenen Stadtmauern. Ende des 19. Jahrhunderts

wurde dann der Nationalstaat zur Bezugsgröße politischen und unternehmerischen Handelns.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann Europa hinzu, und seit etwa zwei Jahrzehnten hat es

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sich sogar in küstenfernen Regionen herumgesprochen, dass wir im Zeitalter der

wirtschaftlichen Globalisierung leben. In einer weltoffenen Hansestadt wie Hamburg und in

Ihrem Kreis brauche ich dazu eigentlich gar nicht mehr viel zu sagen. Nur ein Gedanke: Eine

globalisierte Wirtschaft ist langfristig auch auf global gültige Regeln angewiesen. Und wer in

einer globalisierten Welt über den Tag hinaus erfolgreich handeln will, tut gut daran, auch

das globale Gemeinwohl im Auge zu behalten.

Denn wenn die Welt zum Dorf schrumpft, dann wird uns der Ferne eben zum Nächsten.

Dann sind Klimawandel, Seuchen und leergefischte Ozeane nicht mehr nur die Probleme

ferner Länder oder zukünftiger Generationen, sondern sie verlangen von uns, dass wir unserer

Verantwortung als Weltbürger gerecht werden. Immer mehr tun das. Auch dafür bin ich

dankbar.

Die Hamburger "Commerz-Deputation" entstand in einer Zeit, als in Deutschland und Europa

nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges endlich eine neue Ordnung errichtet worden

war. Noch wenige Jahre zuvor hatten der Krieg und in seinem Gefolge Hunger und Seuchen

ganze Landstriche entvölkert. Die staatliche Ordnung war vielerorts zusammengebrochen. An

arbeitsteiliges Wirtschaften, an Fernhandel gar, war kaum zu denken. Vor dem Hintergrund

dieser furchtbaren Erfahrungen und aus der Einsicht heraus, dass dieser Krieg für niemanden

zu gewinnen war, rangen sich die beteiligten Mächte damals endlich zu einem

Friedensschluss durch. Ein später, aber wahrhaft notwendiger Sieg der Vernunft!

Kennzeichnend für die neue Ordnung waren die Trennung von Religion und Politik und die

Herrschaft des Rechts, niedergelegt in einem fein austarierten System von

zwischenstaatlichen Verträgen. Zugleich aber manifestierte diese Ordnung sich in einem

Flickenteppich absolutistischer Klein- und Kleinststaaten: mit eigenem Hoftheater, eigener

Armee und eigenen Zollschranken.

Nun, die vielen Hoftheater waren für die kulturelle Entwicklung Deutschlands tatsächlich ein

unschätzbarer Gewinn. Die Handelsbarrieren waren dagegen ein echtes Problem, vor allem in

Konkurrenz zu den großen Nachbarn Frankreich und England und auch zu den Niederlanden.

So verwundert es aus heutiger Sicht kaum, dass die Hamburger Handelskammer und ihre

Vorläuferorganisation sich von Anfang an den Freihandel auf ihre Fahne geschrieben hatten.

Für damalige Verhältnisse war das freilich alles andere als eine Selbstverständlichkeit, denn

die herrschende Lehrmeinung in der Ökonomie jener Tage setzte auf eine straffe staatliche

Lenkung der Wirtschaft, auf die Abschottung des eigenen Wirtschaftsraumes durch

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Schutzzölle und auf eine aggressive Konkurrenz zwischen den verschiedenen

Volkswirtschaften."Merkantilismus" oder auch "Kameralismus" wurde diese Lehre später

genannt, und sie war der ökonomische Zwillingsbruder des absolutistischen Machtstaates.

Die Hamburger nun, sie lehnten beides ab: Gegen den Fürstenstaat von Gottes Gnaden

setzten sie ihr historisch gewachsenes Verständnis von Bürgerlichkeit und gegen die

merkantilistische Planwirtschaft die Idee des freien Handels und des kooperativen

Wettbewerbs, der den Handelspartner eben nicht vernichtet und an die Wand drückt, sondern

den gemeinsamen Vorteil für beide sucht.

Es lohnt sich, auch heute noch an diese Geschichte zu erinnern, weil das süße Gift des

Protektionismus keineswegs gänzlich überwunden ist. Wir alle kennen den Reflex, nach dem

Staat zu rufen, anstatt sich auf eigene Kräfte und Möglichkeiten zu besinnen. Und wir kennen

auch die Versuchung, Grenzen künstlich hochzuziehen, um sich ungeliebte Konkurrenz vom

Leib zu halten oder kurzfristige Vorteile zu erzielen.

Es lohnt sich deshalb, an diese Geschichte zu erinnern, weil sie uns lehrt, dass es einen

historischen, inneren Zusammenhang zwischen freiem Handel und offener Gesellschaft und

demokratisch legitimierter Herrschaft gibt. Diese Überzeugung wird leider nicht überall in

der Welt geteilt. Manche glauben, man könne wirtschaftlichen Erfolg auch ohne Freiheit und

ohne die Mühen eines demokratischen Prozesses erreichen und auf Dauer sichern. Auch vor

dieser Versuchung – das ist eine sehr reale – kann ich nur warnen! Und zugleich möchte ich

Sie, die welterfahrenen und weltoffenen Kaufleute einladen: Werben Sie draußen in der Welt

und auch manchmal daheim bei uns für diese Trias: für die Freiheit des Handels, aber auch

für die Freiheit der Menschen und für die Demokratie. Alle drei gehören zusammen. Das ist

unsere Art zu leben und zu wirtschaften. Das ist unsere Lehre aus der Geschichte. Und es ist

der Kern unseres Erfolgs.

Wir haben auch gelernt, dass Freihandel nicht allein dem freien Spiel der Kräfte folgen kann,

sondern Spielregeln braucht. Auch das gehört zu den frühen Erkenntnissen der Hamburger

und ihrer Handelskammer. Sie setzten sich immer wieder politisch und diplomatisch dafür

ein, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, wenn sie neue Handelswege

eröffneten und neue Handelsvereinbarungen abschlossen.

Heute fußt der Welthandel auf einem Netz von zwischenstaatlichen Vereinbarungen und dem

Regelwerk der Welthandelsorganisation. So ist der Welthandel Teil jener internationalen

Ordnung rund um die Vereinten Nationen, von der gerade die Bundesrepublik Deutschland

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profitiert, weil sie im Weltmaßstab relativ klein und international trotzdem so stark vernetzt

ist. Es ist eine Weltordnung, die Frieden und Wohlstand sichert, eine Weltordnung, die es

Deutschland erlaubt, seinen Interessen zu folgen und zugleich seine grundlegenden Werte zu

leben.

Im vergangenen Jahr haben wir erlebt, was es bedeuten kann, wenn ein einzelner Akteur

Grundregeln des Zusammenwirkens der Völker missachtet. Deshalb sahen sich unsere

Regierung und unsere wichtigsten Verbündeten in Europa und Übersee gezwungen,

Handelssanktionen zu verhängen. Ich will das ruhig im Zusammenhang mit dem Freihandel

erwähnen. Denn wir wollen die Welt so sehen, wie sie sich uns darstellt. Ich kann in der

Verhängung dieser Sanktionen keine Überreaktion erkennen. Vielmehr geht es darum, dem

Ordnungsgefüge des globalen Miteinanders wieder Geltung zu verschaffen, das ist doch das

Ziel dieses Handelns. Es zu erreichen, verlangt vielen, auch Mitgliedern der hiesigen

Hamburger Kammer, kurzfristig möglicherweise etwas ab, aber langfristig müssen wir es

akzeptieren, weil wir doch wollen, dass wir langfristig alle sicher und gut leben können.

Denn es sind ja gerade international tätige Unternehmen, deren Wohlergehen von

Voraussetzungen abhängen, und diese Voraussetzungen können sie nicht alle selber schaffen,

und sie können sie auch nicht alle selber garantieren. Auch dazu braucht es den Staat, die

Staatengemeinschaft und die Regeln, die sich diese Gemeinschaft gegeben hat.

Ihre Hansestadt und unser Land haben erheblich profitiert von der Weltzugewandtheit Ihrer

Vorfahren. Jede Generation ist aufs Neue offen gewesen für das Andere, für das Fremde. So

konnte Hamburg zum Knotenpunkt deutscher Beziehungen nach Übersee werden. Den

stolzen Beinamen "Tor zur Welt" führt die Stadt zweifelsfrei zu Recht. Und "Tor zur

Welt" ist sie nicht allein für die Region Hamburg, sondern genauso für große Teile der

deutschen Exportwirtschaft.

Nicht die Klage, wie der Volksmund meint, sondern neben kalkulierter Risikobereitschaft, ist

Neugier des Händlers Lebenselixier. Sie ist die notwendige, aber nicht hinreichende

Voraussetzung des Erfolgs. Denn mit der Welt kann nicht handeln, wer nichts von ihr weiß.

Wissen ist Macht, und, gemeinsam mit Neugier, eine wunderbare Basis für Innovation.

Aber Wissen fällt dem Neugierigen nicht automatisch zu. Das erkannten schon die

ehrwürdigen Mitglieder der "Commerz-Deputation". Ich erinnere deshalb an die Gründung

der Commerz-Bibliothek, das geschah vor 280 Jahren. Das war eine der großen kulturellen

Einrichtungen der Stadt, eine der "Staatsmerkwürdigkeiten Hamburgs", wie es bis zum

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frühen 19. Jahrhundert hieß. Ausdrücklich sollten damals nicht nur Bände über das

Wirtschaftsleben, sondern umfassende Informationen über die Welt gesammelt werden:

politische, geographische, technische. Weltwissen und Weltzugewandtheit. Dass es in

Hamburg Jahrhunderte später ein Weltwirtschaftsinstitut gibt, ein Institut für Globale und

Regionale Studien und eine School of Business Administration, das ist also die konsequente

Fortschreibung einer alten Erkenntnis – ebenso, dass gerade die Handelskammer für derlei

Institutionen immer wieder Ideengeber ist, bisweilen auch Unterstützer und Träger.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass in Deutschland heute

nur ca. ein Prozent der Weltbevölkerung lebt, dass wir zugleich aber einer der wichtigsten

Exporteure von Hightechgütern sind. Wenn wir die Spitzenstellung in einer wissensbasierten

Ökonomie halten wollen, müssen wir in Zukunft verstärkt in Bildung und Forschung

investieren. Natürlich ist das eine Aufgabe für Bund und Länder – aber eben auch für die

Wirtschaft und auch für engagierte Bürger. Ich bin dankbar, dass sich die Hamburger

Handelskammer auch dieser Aufgabe stellt, und wünsche ihr viele Nachahmer.

Zu den großen Projekten der Kammer zählt seit 2004 der Hamburg Summit, eine bedeutende

europäisch-chinesische Konferenz. Auch dieses Engagement ist folgerichtig, wenn man

bedenkt, dass China längst der größte Handelspartner des Hamburger Hafens ist. Solche

Initiativen sind notwendig, damit eines Tages unser Wissen über China genauso schnell

wächst wie der Handel mit China.

Dasselbe gilt für andere, sich schnell entwickelnde Weltregionen: Ich habe von den Büros

gehört, die Sie errichtet haben in Mumbai, Dubai, Schanghai, aber auch in St. Petersburg und

Kaliningrad – das sind heute die Kontore Hamburgs in der Welt. Konferenzen,

Delegationsreisen und Austausche, das sind die Netze, mit denen die Handelskammer

Kontakte knüpft und Wissen fängt – Wissen, das die Mitglieder der Kammer in Geschäfte

verwandeln können. Denn Weltoffenheit, das heißt nicht zuletzt: Offenheit für das Wissen

und für die Einsichten des anderen.

Die Handelskammer will "Ideenwerkstatt und Reformmotor" sein. So steht es in Ihrem

Leitbild. Das ist Traditionspflege und Zukunftsstrategie in einem. Eine Zukunft, die von

Erfolg und Stabilität geprägt ist, sie kommt nicht von alleine. Sie lebt von Voraussetzungen.

Aber hier in Hamburg, hier bei der Handelskammer, sind Ihnen derartige Voraussetzungen

bekannt. Sie bringen etwas mit, was es nicht überall gibt. Sie können schöpfen aus einer

Vergangenheit, die ein Schatz ist. Wer auf einem stabilen Fundament von bewährten

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Grundüberzeugungen steht, wer sich einwebt in das Netzwerk der Zivilgesellschaft, wer sich

beharrlich dem Gemeinwohl verpflichtet, wer den regelbasierten Freihandel als politischen

Wesenskern fortentwickelt, und wer beständig Bildung und Entdeckergeist fördert, dem

braucht um die Zukunft nicht bange zu sein.

Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen: Viel Erfolg für die nächsten 350 Jahre!

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7.2. Häufigkeitstabellen Schlagwörter

Beteiligung

Rede Titel Anzahl

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 7

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 3

41 Rede - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 16

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Chance

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 2

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 2

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 3

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 3

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 2

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 2

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 2

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 2

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 3

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 4

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 2

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 2

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 3

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 3

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 3

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 3

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 2

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 4

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 5

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 3

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Rede Titel Anzahl

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 2

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 66

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Dauerhaft

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 4

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 21

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308

Demokratie

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 2

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 3

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 6

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 6

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 3

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 14

24 Rede - 18. März 2011 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 2

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 4

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 3

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

42 Rede - 22. Oktober 2013 - Joachim Gauck 3

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309

Rede Titel Anzahl

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 2

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 2

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 2

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 73

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310

Egoismus

Rede Titel Anzahl

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

Gesamtzahl 6

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311

Einheit

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 2

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 17

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312

Engagement

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 2

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 4

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 3

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

11 Rede - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler 3

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 3

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 5

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 2

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 3

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 2

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 40

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313

Freiheit

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 2

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 5

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 3

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 2

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 6

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 4

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 4

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 5

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 10

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 20

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 2

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 5

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 10

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 10

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314

Rede Titel Anzahl

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 5

Gesamtzahl 108

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315

Frieden

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 3

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 3

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 4

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 3

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 31

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316

Gemeinsam

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 3

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 9

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 3

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 12

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 3

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 4

12 Rede - 27. Oktober 2009 - Horst Köhler 3

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 5

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 4

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 5

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 13

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 4

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 3

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 3

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 9

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317

Rede Titel Anzahl

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 5

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 4

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 5

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 8

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 6

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 3

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 5

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 4

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 6

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 2

41 Rede - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 4

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 4

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 2

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 156

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318

Gemeinwohl

Rede Titel Anzahl

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 5

11 Rede - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 4

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 6

Gesamtzahl 21

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319

Gleichheit

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

Gesamtzahl 3

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320

Innovation/Innovationen

Rede Titel Anzahl

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 1

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 3

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 6

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 2

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 4

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 3

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 2

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 27

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321

Klimawandel

Rede Titel Anzahl

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 2

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 2

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 2

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 2

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 2

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 2

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 26

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322

Kooperation

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

11 Rede - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 2

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

Gesamtzahl 13

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323

Kooperativ-

Rede Titel Anzahl

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 3

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 16

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324

Loyalität

Rede Titel Anzahl

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 2

Gesamtzahl 2

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325

Marktwirtschaft

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 3

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 5

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 2

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 2

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 3

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 5

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 5

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 3

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 8

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 43

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326

Mitbestimmung

Rede Titel Anzahl

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 3

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 2

Gesamtzahl 6

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327

Mut

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 5

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 3

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

12 Rede - 27. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 3

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 8

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 7

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 4

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 2

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 13

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 3

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 2

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328

Rede Titel Anzahl

41 Rede - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck 1

42 Rede - 22. Oktober 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 2

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 73

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329

Partner-

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 2

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 3

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 4

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 2

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 5

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

11 Rede - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 2

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 2

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 2

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 9

24 Rede - 18. März 2011 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 2

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 5

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

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330

Rede Titel Anzahl

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 2

41 Rede - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 4

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 3

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 2

48 Rede - 25. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 2

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 71

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331

Reformen

Rede Titel Anzahl

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 4

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 2

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 17

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332

Regulierung

Rede Titel Anzahl

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 2

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 7

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333

Rettungsschirm

Rede Titel Anzahl

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

48 Rede - 25. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 5

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334

Schuldenbremse

Rede Titel Anzahl

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 2

Gesamtzahl 2

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335

Selbstbestimmung

Rede Titel Anzahl

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 6

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336

Sicherheit

Rede Titel Anzahl

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 11

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 3

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 6

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 4

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 3

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 3

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 43

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337

Solidarität

Rede Titel Anzahl

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 3

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 3

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

24 Rede - 18. März 2011 - Christian Wulff 1

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

48 Rede - 25. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 24

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338

Teilhabe

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 4

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 2

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 15

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339

Transparenz

Rede Titel Anzahl

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 2

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 2

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

Gesamtzahl 9

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340

Verantwortung

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 4

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 3

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 2

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 1

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 9

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 3

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 9

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 2

24 Rede - 18. März 2011 - Christian Wulff 2

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 6

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 2

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 8

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 15

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 4

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

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341

Rede Titel Anzahl

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 3

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 4

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 12

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 4

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 3

42 Rede - 22. Oktober 2013 - Joachim Gauck 2

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 2

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 5

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 3

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 2

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 125

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342

Verlässlichkeit

Rede Titel Anzahl

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 3

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 7

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343

Verständigung

Rede Titel Anzahl

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 2

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344

Verständnis

Rede Titel Anzahl

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 10

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345

Vertrauen

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 2

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 2

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 2

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 3

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 3

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 3

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 4

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 4

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

40 Rede - 9. Januar 2013 - Joachim Gauck 2

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 4

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

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346

Rede Titel Anzahl

Gesamtzahl 44

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347

Wandel

Rede Titel Anzahl

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 3

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 9

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 2

23 Rede - 12. März 2011 - Christian Wulff 6

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 3

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 2

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

33 Rede - 29. November 2011 - Christian Wulff 2

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 1

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 1

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 2

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 1

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348

Rede Titel Anzahl

45 Rede - 18. Juni 2014 - Joachim Gauck 3

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 52

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349

Weltpolitik

Rede Titel Anzahl

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 3

9 Rede - 27. Juni 2009 - Horst Köhler 1

13 Rede - 9. November 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

17 Rede - 17. März 2010 - Horst Köhler 1

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

Gesamtzahl 9

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350

Wettbewerb-

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 1

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 2

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 2

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 1

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 1

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 2

26 Rede - 7. April 2011 - Christian Wulff 1

27 Rede - 12. Mai 2011 - Christian Wulff 6

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

32 Rede - 22. November 2011 - Christian Wulff 1

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 3

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 2

42 Rede - 22. Oktober 2013 - Joachim Gauck 1

44 Rede - 9. April 2014 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 33

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351

Wohlstand

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 4

2 Rede - 3. Oktober 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 2

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 1

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 2

18 Rede - 18. März 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 4

22 Rede - 19. Januar 2011 - Christian Wulff 2

25 Rede - 31. März 2011 - Christian Wulff 1

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

31 Rede - 30. Oktober 2011 - Christian Wulff 4

36 Rede - 17. Juni 2012 - Joachim Gauck 3

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

50 Rede - 19. Januar 2015 - Joachim Gauck 2

Gesamtzahl 33

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352

Zusammenarbeit

Rede Titel Anzahl

1 Rede - 25. April 2008 - Horst Köhler 3

3 Rede - 7. November 2008 - Horst Köhler 1

4 Rede - 27. November 2008 - Horst Köhler 1

5 Rede - 25. Dezember 2008 - Horst Köhler 1

6 Rede - 15. Januar 2009 - Horst Köhler 4

7 Rede - 22. Januar 2009 - Horst Köhler 1

8 Rede - 22. Juni 2009 - Horst Köhler 2

10 Rede - 5. Oktober 2009 - Horst Köhler 5

11 Rede - 21. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

12 Rede - 27. Oktober 2009 - Horst Köhler 1

14 Rede - 3. Dezember 2009 - Horst Köhler 4

15 Rede - 4. Dezember 2009 - Horst Köhler 1

16 Rede - 9. Februar 2010 - Horst Köhler 3

19 Rede - 3. Mai 2010 - Horst Köhler 1

20 Rede - 2. Juli 2010 - Christian Wulff 1

21 Rede - 13. Oktober 2010 - Christian Wulff 9

28 Rede - 17. September 2011 - Christian Wulff 1

29 Rede - 6. Oktober 2011 - Christian Wulff 1

30 Rede - 18. Oktober 2011 - Christian Wulff 2

34 Rede - 12. Dezember 2011 - Christian Wulff 7

35 Rede - 10. Januar 2012 - Christian Wulff 2

37 Rede - 19. Juni 2012 - Joachim Gauck 1

39 Rede - 8. Januar 2013 - Joachim Gauck 1

41 Rede - 25. Juni 2013 - Joachim Gauck 2

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353

Rede Titel Anzahl

43 Rede - 17. Dezember 2013 - Joachim Gauck 1

46 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 2

47 Rede - 24. Juni 2014 - Joachim Gauck 1

49 Rede - 23. Juli 2014 - Joachim Gauck 1

Gesamtzahl 61