Schwartz, Thomas Allen - Die Begnadigung Deutscher Kriegsverbrecher - John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg (1990)

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    T H O M A S A L AN S C H W A R T ZD I E B E G N A D I G U N G D E U T S C H E R K R I E G S V E R B R E C H E R

    John J. McC loy und die Hftlinge von Landsberg

    Am 3 1 . Januar 1951 gab der amerikanische H oh e Kommissar John J. M cCloy seineendgltige Entscheidung ber die Gnadengesuche von 89 deutschen Kriegsverbrechern bekannt, die im Gefngnis von Landsberg einsaen. McCloy besttigte fnfder insgesamt fnfzehn Todesurteile, von denen die meisten gegen Mitglieder derberchtigten Einsatzgruppen wegen Ttun g Tausender von Juden in O steuropa verhngt worden waren. Auch fnf Wehrmachtsoffizieren, die der Erschieung vonGeiseln und Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und auf dem Balkan angeklagtund teils zu lebenslnglichen, teils zu 15jhrigen Freiheitsstrafen verurteilt wordenwaren, verweigerte er die Begnadigung. In den 79 verbleibenden Fllen aber lagenihm offenbar ausreichende Grnde vor, die eine Verringerung der Strafen rechtfertigten. Aufgrund der Anrechnung von Untersuchungshaft und guter Fhrung fhrten die Urteilsminderungen zur sofortigen Entlassung von ber 30 Gefangenen 1 .Einer von ihnen war der Industrielle Alfried Krupp, der wegen des Einsatzes vonZwangsarbeitern und Mitwirkung an der Ausbeutung deutscher Besatzungsgebieteverurteilt worden war; Krupps bisher beschlagnahmtes enormes Industrievermgenwurde zurckgegeben. Insgesamt signalisierten die Entscheidungen des HohenKommissars, die als eine Geste der Vershnung angelegt waren, das Ende alliierterBestrafungspolitik" gegenber Deutschland. Viele Beobachter im In- und Auslanderblickten darin jedoch eine Zurcknahme der Nrnberger Kriegsverbrecherprozesse.Die Entscheidung ber die Begnadigungen war die umstrittenste, die McCloy inseiner Amtszeit als Hoher Kommissar in Deutschland fllte. Sie erfolgte nur einpaar M ona te, nachdem die Vereinigten Staaten die W iederbewaffnung Deu tschlands vorgeschlagen hatten. Kritiker sahen darin deshalb ein zynisch kalkuliertesProdukt politischer Zweckrationalitt. Der Wissenschaftler Fritz Ter Meer, ein alsKriegsverbrecher verurteilter ehemaliger Mitarbeiter von I. G. Farben, brachte dieseAuffassung am besten auf den Punkt: Jetzt, wo die Amerikaner Korea am Hals

    1 Vgl. John Men delsohn, W ar Crimes Trials and Clemency in German y and Japan, in: Rober t Wolfe(Hrsg.) , Americans as Proconsu ls : United States Mil itary Governmen t in Germ any and Japan , Car-bon dale , Edwardsville 1 984, S. 251 f. - Eine Liste der von M cCl oy en tschiedenen Flle findet sicham Ende dieses Beitrags; sie folgt dem offiziellen HICOG-Bericht und umfat mit dem zuletztgenannten O tto Whler insgesamt 90 Personen .

    Vierteljahrshefte fr Zeitgeschichte

    Jahrgang 38 (1990), Heft 3Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.htmlURL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1990_3.pdfVfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de

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    3 76 Thomas Alan Schwartzhaben, sind sie sehr viel freundlicher geworden." Der Kalte Krieg, so McCloys Kritiker, sei zur Obsession der amerikanischen Politik geworden und habe erneut zueinem Appeasement gegenber Deutschland gefhrt, das eilfertig Industrielle undGenerle zu Verbndeten mache, die fr die brutale Eroberungspolitik des DrittenReiches verantwortlich gewesen seien. Die Freilassung so vieler Kriegsverbrecher sokurz nach dem Krieg war nach Meinung der Begnadigungs-Gegner ein Schlag insGesicht all derer, die gegen Deutschland gekmpft hatten; die Deutschen wrdendadurch in dem Glauben besttigt, alles sei vergeben und vergessen und die Vergangenheit knne begraben werden2.Bis an sein Lebensende wehrte sich McCloy gegen den Vorwurf politischerZweckorientierung und versicherte, seine Entscheidung habe nichts mit Appeasement zu tun gehabt; auch habe sie die Nrnberger Prozesse nicht nachtrglich inFrage gestellt, sondern vielmehr aufgewertet3 . Dennoch wird die Entscheidung desHohen Kommissars in den meisten historischen Darstellungen sehr kritisch behandelt und vor allem auf den Kalten Krieg und Amerikas Bemhen zurck gefhrt,sich der Bundesrepublik als militrischem Verbndeten zu versichern. In der jngsten amerikanischen Verffentlichung zu diesem Thema wird McCloys Entscheidung ein ganz wesentlicher Anteil am Mierfolg" des gesamten amerikanischenProgramms zur Bestrafung der Kriegsverbrecher zugemessen, das sein doppeltesZiel - die Schuldigen zu bestrafen und die deutsche Gesellschaft zu demokratisieren- nicht erreicht habe4. Gotthard Jasper hat argumentiert, die Nachsichtigkeit desWestens sei von der Absicht getragen gewesen, Adenauers Politik der Westintegra-tion abzusichern, da die von ihm gefhrte Koalitionsregierung auf die Untersttzung konservativer und nationalistischer Krfte angewiesen war, die die NrnbergerUrteile nicht anerkannten und ein starkes Interesse daran hatten, die nationalsozialistische Vergangenheit zu zudeck en5 . Die harte Kontroverse ber Reagans Besuch inBitburg erinnerte daran, da die unentwegten Bekundungen der deutsch-amerikanischen Freundschaft die Spuren dieser Vergangenheit nur sehr oberflchlich verbergen.Der inzwischen zum grten Teil frei gewordene Aktenbestand aus der HICOG-Periode macht nun sowohl eine Neubewertung von McCloys Entscheidung undihren Hintergrnden als auch ihrer Auswirkungen mglich. Der vorliegende Auf-

    2 Tom Bower, Th e Pledge Betrayed, Garden Ci ty, N. Y. 1 982, S. 350; Wil liam Manchester , Th e Armsof Krup p, New York 1970, S. 73 7-77 0.3 . N A, RG 466 (Records of the Off ice of the U. S. High Comm issioner for Germ any) , McC loy PapersD 51 / 1 26 , McCloy an Karl Lowens te in , 22 .3 . 19 51 .4 Frank M . Buscher, Th e U. S. War Crimes Tria l Program in Germ any, 19 46-1 955, Ne w York 1989,S. 16 0-1 64 ; mit einigen von Buschers Schlufolgerung en bin ich nicht einverstand en, aber sein Buchgibt eine fasz inierende S chi lderung des deutschen Kampfs gegen das Progra mm zur Best rafung derKriegsverbrecher.5 Go tthard Jasper , Wiederg utmachu ng und W est integra t ion. Die halbherz ige justiz ie l le Aufarbei tungder NS -Vergangenhei t in der f rhen Bundesrepubl ik , in: Ludolf H erbst (H rsg.) , W estdeutschland1945-1955 , Mnchen 1986 , S . 183 -203 .

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 377satz orientiert sich an d rei Fragenk omp lexen: 1. Weshalb initiierte M cClo y eineerneute, umfassende berprfung der Nrnberger Urteile? Welche Faktoren warendafr ausschlaggebend, und wie verhielt sich diese berprfung zu anderen Aspekten der am erikanischen Politik gegenbe r D eutschland? 2. W ieso entschied sichMcCloy so und nicht anders? Welchen Einflu hatte das Ergebnis der berprfungauf seine Entscheidung? Welche Mglichkeiten der Einflunahme bestanden fr diedeutsche Regierung, und welche Rolle spielte dabei die Entscheidung zur Wiederbewaffnung? 3 . Welche langfristige Bedeutung hatten McCloys Entschlsse? Wasbesagten sie ber die amerikanische Deutschlandpolitik insgesamt, und welche Auswirkungen hatte die Lsung der Frage schlielich auf den Proze der deutschenIntegration in den Westen?Aus den Quellen ergibt sich gegenber dem bisherigen ein wesentlich komplexeres Bild. Der Kalte Krieg war gewi ausschlaggebend fr die berlegungen, diePolitik gegenber den Kriegsverbrechern neu zu berdenken, jedoch liefert er keinevollstndige Erklrung fr den Zeitpunkt der berprfung. Vielmehr hatten politische Kampagnen in den USA und in Deutschland die Aufmerksamkeit bereits aufeinige problematische Details der Prozesse gelenkt und genug Zweifel produziert,die eine berprfung angebracht erscheinen lieen. Der konkrete Entscheidungsablauf bietet keine Anzeichen auf direkte Absp rachen, aufgrund derer die Industriellenund M ilitrs im Gegen zug fr ihre Unterst tzung der Wiederbewaffnung freigelassen worden wren. Freilich war McCloys Entscheidung entgegen seiner Darstellungeine fundamental politische, die einen akzeptablen Kompromi fr die neue politische Gemeinschaft zu schmieden versuchte, die aus der gerade entstehenden amerikanisch-westeuropischen Allianz unter Einschlu der Bundesrepublik hervorgehenwrde. Innerhalb dieser Gemeinschaft waren die Ansichten ber den Krieg und dieProzesse jedoch derart gegenstzlich, da eine bereinstimmung unmglich zuerzielen war. Darau s speiste sich ein Gro teil des rgers ber McC loys Entscheidu ng.McCloy hatte versucht, zwischen verschiedenen Ebenen der Verantwortlichkeitfr und der Beteiligung an NS-Verbrechen zu unterscheiden, indem er Urteilegegen diejenigen, die direkt in der Ttungsmaschinerie gestanden hatten, seltenerreduzierte. E ines der Schlsselprobleme blieb das Ausm a, in dem w ichtige Teile derpolitischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Eliten der neuen Bundesrepublik mitden verurteilten Kriegsverbrechern sympathisierten. Diese Solidaritt, die zum einendem Gefhl der Deutschen entsprang, von den Alliierten geopfert zu werden, zumanderen dem rger ber die Kollektivschuld-These, unterminierte den Versuch derAmerikaner, verschiedene Kategorien von Kriegsverbrechern zu unterscheiden, undverstrkte die Tendenz in Richtung auf Begnadigungen. Wie immer im einzelnenmotiviert, trug McCloys Entscheidung letztlich doch dazu bei, da das Programmzur Bestrafung der Kriegsverbrecher abbrckelte. Das begnstigte den allgemeinenGedchtnisschwund im Hinblick auf die nationalsozialistischen Verbrechen, der inden fnfziger Jahre n einsetzte. Das im Entstehen begriffene amerikanisch-deutscheBndnis gegen die Sowjetunion half mit, dazu bei, die hliche Vergangenheit zuverdecken.

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    378 Thomas Alan Schwartz1. Die Entscheidung zur berprfung der Urteile

    Als Joh n J. McC loy im Juli 1949 nach D eutschland k am, um General Lucius D. Clayzu e rsetzen, hatten allein die Vereinigten Staaten an die 1900 Deu tsche w egenKriegsverbrechen verurteilt, davon mehr als 700 inhaftiert und 277 hingerichtet;28 Todesurteile waren noch nicht vollstreckt. Die Verurteilungen waren in drei verschiedenen Gruppen von Prozessen zustande gekommen: Der erste und wohlberhmteste Proze vor dem Internationalen Militrgerichtshof der vier Siegermchte in Nrnberg hatte ber das Schicksal von NS-Gren wie Rudolf He undAlbert Speer entschieden. Sie wurden in Berlin-Spandau inhaftiert und verbliebenunter Vier-Mchte-Rechtsprechung. Nach Beendigung dieses Prozesses im Oktober1946 strengten die Siegermchte in ihren jeweiligen Besatzungszonen Verfahren an,die den neuen vlkerrechtlichen Grundstzen folgten, die in Nrnberg aufgestelltworden waren, besetzten die Gerichte jedoch ausschlielich mit Angehrigen dereigenen Nationalitt. In den nchsten drei Jahren fhrten die Vereinigten Staatendie meisten Verfahren durch: insgesamt zwlf Prozesse mit 185 Angeklagten - allesamt Deutsche, die whrend des Dritten Reiches hohe Stellungen innegehabt hattenals Mitglieder des deutschen Generalstabs, der SS-Einsatzgruppen und der Gestaposowie als Angehrige wichtiger Ministerien und als fhrende Industrielle. Die Verbrechen, die ihnen zur Last gelegt wurden, reichten von den Massakern der Einsatzgruppen im Osten ber die Befehle der Generle, Geiseln zu erschieen, bis zuder Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Unabhngig von diesen Nrnberger Nachfolgeprozessen verurteilte die am erikanische Armee 1672 Person en vo r Militr-oder Sondergerichten, die nach den Richtlinien der Genfer Konvention verfuhren.In diesen sogenannten Dachauer Prozessen, die hufig mit den Nrnberger Nachfolgeprozessen verwechselt werden, standen vor allem Wachleute der in der US-Zone gelegenen Konzentrationslager vor Gericht sowie Deutsche, die gefangengenommene amerikanische Soldaten, vor allem abgestrzte Piloten, gettet hatten.Die meisten dieser Flle erlangten keine besondere Bedeutung, zwei waren jedochspektakulr und heftig umstritten. Der eine betraf Ilse Koch, die berchtigte Ehefrau des Kommandanten von Buchenwald, der andere das Massaker von Malmedy,in dem 70 SS-Mnner der Erschieung von unbewaffneten amerikanischen Kriegsgefangenen whrend der Ardennen-Offensive beschuldigt wurden 6 .Das Hauptproblem bei allen diesen Verfahren bestand in der fehlenden Beru-fungsmglichkeit und darin, da man sich im Vorfeld nicht genug darum gekmmert hatte, was mit den Gefangenen nach ihrer Verurteilung geschah. Obwo hl Clayersteres gegenber deutschen Kritikern stets mit dem Hinweis verteidigte, er glaubenicht, da man eine Verfahrensweise, die so breite internationale Anerkennungerfahren hat, ernsthaft kritisieren kann", bereitete die Berufungsfrage dem General

    6 Trials of War Criminals before the N uremberg Military Tribunals Under Control Council Nr. 10,15 Bde., Washington, D. C. 1949-1 953; vgl. Mendelsohn, S. 226 ff., 247f.

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    Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher 379einige Probleme7. Er versuchte sie in den Griff zu bekommen, indem er mehrereamerikanische Anwlte und R ichter zu Beratern ernann te, die ihn bei der b erprfung de r Flle untersttzen sollten. Die Frage wurde jedo ch m it der Zeit und unterdem Eindruck der internationalen politischen Klimavernderung bis 1949 immerdringlicher und fhrte zu einer Neueinschtzung der Kriegsverbrecherprozesse bzw.zu dem Wunsch, die Urteile zu berprfen.Das historische Gedchtnis der Amerikaner ist bekanntermaen sehr kurz, undebenso wie das Verbot der Fraternisierung mit der deutschen Bevlkerung gescheitert war, schien die leidenschaftliche antideutsche Haltung aus der Kriegszeit nichtso lange vorzuhalten, wie sich die Prozesse hinzogen. Die Konfrontation mit derSowjetunion lenkte den Ha der Amerikaner gegen Nazi-Deutschland auf die neuetotalitre Bedrohung im Osten um. Der Mut, den die Berliner Bevlkerung whrend der sowjetischen Blockade der Stadt bewiesen hatte, lie in Amerika ein neues,positives Bild vom Nachkriegsdeutschland entstehen. Doch das berdenken dereigenen Haltung gegenber Deutschland war nicht nur ein Ergebnis des KaltenKrieges. Zur gleichen Zeit erschienen Bcher wie zum Beispiel Germany's Underground" von Allen Dulles, der den Heldenmut der Mnner des 20 . Juli 1944 hervorhob8. Gerade die Tatsache, da es deutschen Widerstand gegen Hitler gegebenhatte, konterkarierte n un die whrend des Krieges vorherrschende Ansicht, alle fhrenden Reprsentanten des Dritten Reiches seien Teil einer Verschwrung" gewesen, die einen aggressiven Raub- und Eroberungskrieg zum Ziel gehabt habe -unter anderem auf dieser Annahme basierte die Nrnberger Anklageschrift. Seit1948/49 angestrengte Verfahren endeten tendenziell hufiger mit Freisprchen undmilderen Strafen als frher. Allein diese Tatsache bewies in den Augen mancher dieNotwendigkeit einer generellen berprfung, um gleiche Strafen fr vergleichbareVerbrechen zu erreichen9.

    Der Druck, die Urteile zu berprfen, nahm zu, als die Nrnberger Nachfolgeprozesse in den Vereinigten Staaten zu einem politischen Tagesthema wurden. Whrend die groe Mehrheit" der Amerikaner die Prozesse fr richtig hielt, hatte sicheine Minderheit immer strikt dagegen ausgesprochen 1 0. Einige wenige nur hattenden Internationalen Militrgerichtshof kritisiert, allerdings weniger aus Sympathiemit den NS-Gren als aus Abneigung gegen die juristische Verfahrensweise. Dadamals stalinistische Richter mit zu Gericht saen, erregte vor allem George Ken-nans Zorn: Das hie, den einzigen Sinn verhhnen, den die Prozesse berhaupthaben konnten", nmlich Massenverbrechen" jeder Art zu chten 1 1 . SenatorRobert Taft attackierte das Urteil von Nrnberg als Siegerjustiz", die gegen einfundamentales Prinzip des amerikanischen Rechts" verstoen habe, wonach nie-

    7 NA , RG 338 (Records of the Theat re Judge Advocate Division), War C rimes Branch Administ ra t iveFiles (WCBA F), Box 9, Clay an Bischof Wurm, 1 9.6.1 948 .8 Allen W. Dul les, Germ any's Under groun d, N ew York 1947.9 Men delsohn, S. 229.10 William J. Bosch, Judge ment o n Nu remb erg, C hapel Hi l l , N. C. 1970, S. 116.11 George K ennan, M emoiren e ines Diplomaten. Memoirs 1 925-1 950, Stut tgar t 1967, S. 265.

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    380 Thomas Alan Schwanzmand ex post facto verurteilt werden darf"12. Aber diese frhen Kritiker standenziemlich isoliert und blieben die Ausnahme. Erst als sich mit dem Marshallplan undder Absicht, die deutsche Wirtschaft wiederaufzubauen, die amerikanische Politikgegenber Deutschland nderte, waren neue kritische Stimmen zu vernehmen.Rechtsgerichtete politische Kreise in den USA, meist tief verwurzelt in den isolationistischen Strmungen der Vorkriegszeit, wollten mit der Frage der Behandlung derKriegsverbrecher ein Exempel statuieren fr die angeblich fehlgeleitete, ja vonKommunisten inspirierte Politik der Regierung Truman 1 3 . Konservative wie derSenator William Langer behaupteten, die Fortsetzung der Prozesse in Verbindungmit der Dem ontage der deutschen Industrie wrde Stalin in die H nd e spielen, weilsie den Mittelstand auslschen" und den deutschen Wiederaufbau verlangsamenwrden 1 4 . Die konservative Chicago Tribune machte sich mit den uerungen desRichters Charles Wennerstrum, dem Vorsitzenden des Gerichts im Geisel-Prozegegen die Sdost-Generale, zum Sprachrohr der Kritik an den Nrnberger Prozessen. Wennerstrum verurteilte das Programm zur Bestrafung der Kriegsverbrechenals rachschtig" gegenber den Deutschen und monierte das Fehlen einer Berufungsinstanz. Wennerstrums Bemerkung, einige der Nrnberger Anklger seienerst in den letzten Jahren Amerikaner" geworden und hegten auf Grund ihrer persnlichen Geschichte Vorurteile", die eingebettet waren in die Hagefhle undVorurteile Europas", sorgte fr weiteren Zndstoff. Diese nicht gerade subtileAnspielung auf die Rolle, die jdische Em igranten bei der Strafverfolgung spielten,fand anscheinend ihre Besttigung, als berichtet wurde, Dr. Robert Kempner habeim Wilhelmstraen-Proze Zeugen einzuschchtern versucht 1 5.Zwei Verfahren waren fr die Vereinigten Staaten von besonderer Bedeutung undsind ein Beweis fr die politische Sprengkraft der Kriegsverbrecherfrage: Die Fllezeigen, da sowohl Milde als auch Hrte gegenber den Kriegsverbrechern inDeutschland politische Konsequenzen in Amerika zeitigten. Im Fall von Ilse Koch,der Hexe von Buchenwald", die solcher Grausamkeiten wie der Herstellung vonLampenschirmen aus Men schenhaut beschuldigt worden war, hatte das Gericht auflebenslngliche Haft erkannt. General Clays berprfungsgremium aus neun Juristen jedoch hielt das Urteil aus Mangel an Beweisen fr unhaltbar und empfahl eineStrafverkrzung auf vier Jahre Gefngnis. Clay folgte dieser Beurteilung. (Whrendseiner Zeit als Militrgouv erneur v erwarf der Gen eral 69 Urte ile, wan delte119 Todesurteile in Gefngnisstrafen um und v erringerte das Strafma von138 Urteilen aus den Dachauer Prozessen 1 6.) Als in den USA bekannt wurde, daim Fall Koch die Strafe herabgesetzt werden wrde, fhrte das zu einem Untersuchungsausschu des Senats und zu harscher Kritik am Vorgehen der Militrregie-12 James T. Patters on, M r. Republican: a biography of Rob ert A. Taft, Boston 1972, S. 326 ff.13 Bow er, S. 256 ff.; Bosch, S. 67 -8 6.14 Glenn H . Smith, Langer of Nor th D ako ta , Ne w York 1979, S. 150.15 Bower, S. 256-2 59.16 Lucius Clay, Decision in German y, Garde n C ity, N . Y. 195 0, S. 253 f.

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 3 81rung. Die ffentliche Kontroverse schmerzte den politisch empfindlichen Generalund lie seine Bereitschaft zu Strafminderungen in prominenten Fllen sinken. BeiVerurteilten aus den Nrnberger Prozessen verkrzte er lediglich in drei Fllen dasStrafma17.Von noch grerer Bedeutung fr die ffentliche Untersttzung des Programmszur Bestrafung der Kriegsverbrecher war die Auseinandersetzung ber das Mal-medy-Verfahren. Das amerikanische Gericht hatte 1946 alle 73 deutschen Angeklagten fr schuldig befunden und 43 zum Tode verurteilt. Doch als Beschuldigungen laut wurden, Gestndnisse seien mit physischer Gewalt und anderen Formenvon Zwang erpret worden, wurden die Hinrichtungen aufgeschoben; schlielichwurde ein weiterer Untersuchungsausschu des Senats eingesetzt. Unter den Konservativen, die sich auf den Fall strzten und die Armee der Gestapo- und GPU-Methoden" 1 8 bezichtigten, war auch Senator Joseph M cCarthy. Obw ohl der Senatsausschu zu dem Schlu kam, die Armee sei von den schwerwiegenden Vorwrfenfreizusprechen, lie die Aufregung ber die Malmedy-Urteile insgesamt Zweifel ander Fairness der Nrnberger Prozesse aufkommen und verstrkte die Forderungennach einer berprfung. Die Proteste des Kongresses hatten immerhin ausgereicht,da Armeeminister Kenneth Royal, selbst ein vehementer Kritiker der Prozesse, dievorbergehende Aussetzung von Hinrichtungen anordnete1 9. Royals Befehl kam alsAntwort auf Clays Ersuchen, die Durchfhrung der noch verbliebenen Exekutionenzu genehmigen, um meinen Nachfolger von dieser undankbaren Aufgabe zubefreien" und ihm klarere und konstruktivere Aufgaben zu geben" 20 . So muteClay diese Entscheidungen ber Leben oder Tod an McCloy weitergeben, allerdingsnicht ohne sich dafr zu entschuldigen, diese unangenehme Angelegenheit nicht zuEnde gebracht zu haben.McCloys Zustndigkeit als neuer ziviler Hoher Kommissar war auf die zwlfamerikanischen Nrnberger Nachfolgeprozesse beschrnkt, bei denen annhernd100 Verurteilungen zu H aftstrafen und 15 Todesurteile zustande gekom men w aren.Die Verantwortung fr die Dachau-Flle wurde dem neuen Oberkom mandierendender US-Armee in Deutschland, General Thomas Handy, bertragen. McCloys neueStellung entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Zusammen mit seinem Vorgesetzten,Kriegsminister Henry Stimson, hatte er eine entscheidende Rolle beim Entwurf desNrnberger Prozesystems gespielt und es sowohl gegen Finanzminister HenryM orge nthau als auch gegen die britische Regierung verteidigt, die sich fr die sofortige Hinrichtung aller Kriegsverbrecher ausgesprochen hatten. Auf einem Treffen inLondon hatte McCloy im April 1945 erklrt, Prozesse dieser Art knnten alszustzliche Abschreckung dagegen dienen, da in Zukunft noch Angriffskriege17 Men delsohn, S. 247.18 James J . Weingartner , Crossroads of D eath : The Story of the Malmedy Massacre and Trial , Berkeley 1979, S. 221 .19 NA, RG 338 , WCB AF, Box 2 , Te legramm Gray an CIN CE UR Huebner , 8 . 6 . 1949.20 Clay an Voorhees , 3 . und 29. 3 . 1949, in : Jean E dward Smith (Hrsg.) , Th e Papers of Lucius D. Clay,19 45-1 949, Bloomington 1974, Bd. 2, S. 1038 und 1 062.

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    382 Thomas Alan Schwanzgefhr t werden" 2 1 . McCloy ha t t e d ie P rozes se zwar immer p r inz ip ie l l ve r t e id ig t ,war aber im Vergleich zu St imson der wei taus grere Real is t in internat ionalenAngelegenhe i t en . McCloy sah in den Prozes sen e inen Weg zur po l i t i s chen Suberung in Deutschland, der es zugleich er lauben wrde, e in l iberales und wes t l ichor i en t i e r t es S taa t swesen zu e r r i ch ten . Bere i t s zum Zei tpunk t der Po t sdamer Konferenz war er berzeugt , Amerikas Ziel knne es le tzt l ich nur sein , die Deutschen indie Lage zu versetzen, da s ie s ich selbs t moral isch, pol i t i sch und konomisch wieder aufr ichten knnen und eine Pos i t ion der Stabi l i t t er reichen" 2 2 . Se ine Ernennung zum Hohen Kommissar 1949 bewer te t e e r s e lbs t a l s den Beg inn e iner neuenPhase der Bez iehungen zwischen Amer ika und Deut sch land , in der d ie Vere in ig tenStaaten versuchen wol l ten, die l iberalen" und progress iven" Tei le der deutschenGesel lschaf t zu ermut igen, ihren Einf lu gel tend zu machen.

    McCloy sah na t r l i ch auch , da der Kal t e Kr ieg e ine g rozg igere Po l i t ik gegenber Deut sch land ver l ang te , und befrwor te t e desha lb den deu t schen Wiederaufbaumi t Hi l f e des Marsha l lp lanes und d ie Aufgabe von Manahmen wie e twa derDemontage deu t scher Indus t r i ean lagen . Wie d ie mei s t en amer ikan i schen Po l i t ikerse iner Genera t ion f rch te te auch e r den Wiederauf s t i eg des ex t r emen deu t schenNat ional ismus und war in dieser Hins icht auch fr die kleins te Regung hel lhr ig .McCloy hof f t e , d i e Lockerung der a l l i i e r t en Kont ro l l e zur Frderung der Autor i t tund Leg i t imi t t der Reg ie rung Adenauer benu tzen zu knnen und d iese dadurchgege nbe r ex t r emis ti s chen E leme nten zu hr t en . W hr end der Ause inand er se tzun gber d ie Demontage im Sep tember 1949 t e i l t e McCloy Auenmin i s t e r Acheson mi t ,d i e Vere in ig ten S taa ten so l lt en d ie Feh le r verme iden , d i e wi r nach W eima r gem achthabe n , a ls wi r z i eml ich has t ig der f a ls chen Reg ie ru ng Zug es tndn i s se gem achthaben, die wir einer besseren lange Zei t vorenthiel ten" 2 3 .McCloys Bemerkung un te r s t r e i ch t d i e Bedeu tung der Rol l e , d i e d ie Bundes reg ie rung und d ie Mi tg l i eder des Bundes tages sp ie l t en , d i e f r e in berdenken derKr iegsverbrecher f r age p ld ie r t en . Mi t Ausnahme der KPD und e in iger Soz ia ldemokraten waren s ich die fhrenden deutschen Pol i t iker einig in ihrem Ruf nach einer b e r p r f u n g d e r N r n b e r g e r U r t e i l e , n a c h B e e n d i g u n g d e r H i n r i c h t u n g e n u n dnach g rerer Mi lde gegenber den Verur t e i l t en . Unte r Berufung auf das Grundgesetz , das die Todess t rafe abgeschaff t hat te , appel l ier te Adenauer an McCloy, al lenoch verb l i ebenen Todesur t e i l e in Haf t s t r a f en umzuwandeln 2 4 . Der Kanz le r g ing inseiner Kr i t ik und in seinen Angr i f fen gegen die Nrnberger Prozesse jedoch niesowei t wie s e ine Koal i t ionspar tner von FDP und DP. Im Jus t i zmin i s t e r ium un te rTh om as De hle r fanden d ie Verur t e i l t en e inen s t a rken Fr sprecher , und bek ann te21 Amherst College, McCloy Papers, Tagebuch M cCloy, 16. 4. 1945; Bradley F. Smith, The Road toNuremberg, New York 1981, S. 92 f.22 Amherst College, McCloy Papers, Tagebuch McCloy, 1 7.7.19 45.23 United States Department of State, Foreign Relations of the United States (FRUS), 1949, Bd. 3 ,S.597.24 NA, RG 466, McCloy Papers D 50/1228 , McCloy an Adenauer, 24. 4. 1950. McCloys Antwort

    bezieht sich auf Adenauers Brief vom 2 8.2.1 950 .

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 383FDP-Politiker wie Ernst Achenbach, der das Essener Amnestie-Kommitee gegrndet hatte, und Erich Mende erzwangen die Behandlung der Frage der LandsbergerHftlinge im Bundestag25 . Die FDP machte zwar um ihre Bemhungen das meisteAufheben, doch auch alle anderen groen Parteien hofften, durch ihr Engagementin der Kriegsverbrecherfrage Whlerstimmen zu gewinnen. Nachdem die BonnerPolitiker erkannt hatten, wie unpopulr die Kriegsverbrecherprozesse waren - nurzehn Prozent der Bevlkerung uerten in irgendeiner Form Zustimmung zu denNrnberger Prozessen26 -, rechtfertigten sie ihre Haltung gegenber besorgtenAmerikanern mit dem Argument, ihre Anstrengungen verhinderten, da rechtsgerichtete, nationalistische Gruppen das Thema ausschlachteten. Die Kriegsverbrecherprozesse seien giftige Bakterien", die in der politischen Kriegfhrung" eingesetzt werden knnten, und Wasser auf die Mhlen der Radikalen"27 .Zum al die Am erikaner selbst ber die Form der Durchfhrun g der Prozesse debattierten, kann kaum berraschen, da verschiedene deutsche Gruppen versuchten, dieHa ltung des neuen H oh en Komm issars zu beeinflussen. In diesen Kreisen bestand, wieMarion Grfin Dnhoff es spter ausdrckte, das Gefhl, die Alliierten, indem sieIndustrielle, Minister und Generle verurteilten, mibrauchten die Prozesse dazu,Gruppen oder Personen loszuwerden, die ihnen aus dem einen oder anderen Grundmiliebig waren"28 . In McCloys erklrtem Wunsch nach Vershnung sah man nun eineMglichkeit zur K orrektur dessen, was man als Ungerechtigkeit em pfand. Psychologisch betrachte t, war dabei allerdings auch eine Art Verdrn gun g am Werk, d enn vieleDeutsche wollten einfach nicht glauben, da sich auch respektable Fhrungsfigurenund Beamte, die nicht zum inneren Kreis der NS-Fh rung gehrt hatten, all der G rausamkeiten schuldig gem acht haben ko nn ten, d erer sie die Alliierten bezichtigten 29 .Die bekanntesten Frsprecher der Kriegsverbrecher waren Juristen und Kirchenmnner. Am 30. November 1949, kurz nachdem im Petersberger Abkommen eineEinigung ber die Beendigung der Demontagen erzielt worden war, suchte eineDelegation von Rechtsanwlten unter der Fhrung von Professor Kurt Geiler vonder Universitt Heidelberg McCloy auf und bat ihn, in der Sache der LandsbergerHftlinge aktiv zu werden. Die Anwlte, die sich spter im Heidelberger Juristenkreis" zusammenschlossen, konzentrierten ihr Augenmerk vor allem auf die Frageder Urteilsberprfung und mglicher Begnadigungen 30. Mit Scheibchentaktikgelang es ihnen, nachdem sie Gehr bei McCloy gefunden hatten, auch GeneralHandy zu erweichen, der zunchst sehr viel zgerlicher war, ihre Beschwerden berdie Prozesse berhaupt anzuhren 3 1 .25 Buscher, S. 11 5-1 27, bietet eine gute Dars tellung d er polit ischen Au seinan dersetz ung um dieLandsberger Hft l inge .26 NA , RG 33 8, WC BA F, Box 3 , Cu rrent West German Views on the Wa r Criminals Issue , 8 .9 . 1952.27 N A , R G 3 3 8 , WCB AF, Box 2, Fre ihe r r von Hodenbe rg an Obe rs t Dam on M . Gunn , 3 1 .5 . 19 51 .28 Mar ion Dnhoff, Foe into Friend, London 1982, S. 22f.29 Alista ir Ho rne , Return to P ower, N ew York 1956, S. 60.30 NA , RG 466, McCloy Papers D 4 9/4 08, McC loy an Acheson, 2 . 12. 1949.31 NA , RG 3 38 , WCB AF, Box 2 , Dr . Edua rd Wahl an Gene ral Handy , 10 .1 2 .1949 .

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    3 84 Thomas Alan SchwartzNoch greren Einflu als Lobbyisten hatten die protestantische und die katholi

    sche Kirche. Weil fhrende amerikanische Politiker in den Kirchen progressive"Krfte sahen, auf die eine liberale Demokratie wrde bauen knnen, waren dieAktivitten der Bischfe nicht einfach zu ignorieren. Bereits im Dezember 1949beklagte sich McCloy beim Auenministerium, er bekomme in der Kriegsverbrecherfrage mehr und mehr Beschwerden von Kirchenleuten 3 2. Kardinal Frings, derVorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz und ein Freund Konrad Adenauers,setzte sich fr eine Umw and lung der Todesu rteile in Haftstrafen ein, weil vieleTaten der Angeklagten nicht aus einer kriminellen Disposition heraus" geschehenseien3 3 . Gegenber General Handy machte der Kardinal fr eine berprfung derUrteile die durch die Kriegsverhltnisse, unter welchen die Tat stattgefunden hat,bedingte Schwierigkeit der Urteilsfindung" geltend; sie lt die Mglichkeit vonIrrtmern offen, denen die menschliche Erkenntnis stets unterworfen ist" 34. Auchder Mnchener Weihbischof Johannes Neuhusler wirkte von 1948 bis 1951 intensivauf amerikanische Parlamentarier zugunsten der in Landsberg Inhaftierten ein.Unter Berufung auf seine eigene KZ-Haft attackierte Neuhusler unermdlich dieKriegsverbrecherprozesse. In Briefen an Kongreabgeordnete, die sich als Mitglieder der Untersuchungsausschsse mit der Ttigkeit der US-Militrregierung inDeutschland befaten, hob der Bischof vor allem auf die Beschuldigung ab, dieAnklage habe sich Berufszeugen" bedient, die gegen die Angeklagten ausgesagthtten, um dafr als Gegenleistung von den Am erikanern gut behandelt zu werden.Neuhusler kritisierte auerdem bestimmte prozessuale Regelwidrigkeiten, dieAnw endung von Zwang bei der Erlangung von G estndnissen u nd das Fehlen einesBerufungsgerichtes. Dank des Einsatzes von Frings und Neuhusler konnte schlielich sogar ein Brief des Vatikans beigebracht werden, der Gnade fr die verurteiltenKriegsverbrecher verlangte3 5.Die protestantische Kirche war auf diesem Schauplatz nicht minder aktiv als diekatholische. Zwei Bischfe, H ans Meiser in M nchen und Th eophil Wu rm in S tuttgart, fhrten die Kampagne an, in der sie auch Untersttzung von Otto Dibelius inBerlin erhielten, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche, und von soprominenten Regimegegnern wie dem Kirchenprsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau, Martin Niemller3 6. Eine Denkschrift der EKD von 1949wandte sich gegen das Handicap der Verteidigung gegenber der Anklagebehrde,die Beeinflussung von Zeugen, die Anwendung eines neuen Rechts, das nicht allgemein verbindlich ist, die willkrliche Auswahl d er Ang eklagten, die Aburteilung vo nSoldaten durch ein Gericht, das in Wahrheit kein Militrgericht ist", und erbat dieNachprfung der Urteile durch eine Berufungsinstanz. Nachdem alle entsprechen-32 NA, RG 466, McCloy Papers D 4 9/440b , McCloy an Byroade, 9.12. 1949.33 NA, RG 466, McCloy Papers D 49/440 a,Frings an McCloy, 1 7.11 .1949.34 NA, RG 338, WCBAF, Box 10, Frings an Handy, 27.4.195 0.35 NA, RG 338, WCBAF, Box 11, Bischof Neuhusler an Francis Case u. a., 23 . 3. 1948; vgl. auchBuscher, S. 95 ff.36 Ebenda, S. 97 ; Bower, S. 259.

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 385den Beschwerden detailliert aufgefhrt waren, schlo die Denkschrift mit derBemerkung, da hchster Ausdruck der Gerechtigkeit nicht Urteil und Vollstrek-kung der Strafe sein mu. Als Diener Christi bitten wir darum, in geeigneten FllenGnade walten zu lassen."37Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren - der Wandel der amerikanischenPolitik gegenber Deutschland, die Zweifel, die die amerikanischen Gegner derProzesse ffentlichkeitswirksam anbrachten, und ihre nahezu einhellige Ablehnungdurch die Deutschen - lie es angeraten erscheinen, im Hinblick auf die Verurteilten aus den Nrnberger Nachfolgeprozessen ttig zu werden. McCloy bewiesStrke, aber auch die Fhigkeit zum Ausgleich. Er verteidigte die Prozesse gegenber Adenauer mit der Bemerkung, die Angeklagten haben sich der absichtsvollenFolter und Ttung Hunderter, in manchen Fllen Tausender hilfloser Menschenschuldig gemacht"38. Der Hohe Kommissar wies eine Amnestie mit Nachdruck vonsich und stellte fest, jeder Schritt in diese Richtung wrde als ein Aufgeben jenerPrinzipien gedeutet, die durch die Prozesse aufgestellt worden seien; auch knntedie Vorstellung entstehen, diese Verbrechen seien zur Genge geshnt" und dasdeutsche Volk drfe sie nun vergessen 39. Das waren hart und unverrckbar klingende Worte, aber McCloy suchte bereits nach einem Ausweg, der es ihm erlaubte,das Problem zu lsen". Er beauftragte seinen juristischen Berater mit einemRechtsgutachten, welches ihm besttigte, da er als Hoher Kommissar lediglich dasRecht habe, Urteile zu verringern; dabei sei zu bercksichtigen, da das Urteil desGerichtes ber Schuld oder Unschuld eines jeden Angeklagten endgltig ist undnicht Gegenstand einer berprfung sein kann" 40 .McC loys Zustnd igkeit war dam it abgesichert, und obw ohl er stets versicherte, dieNrnberger Urteile auf keinen Fall in Frage stellen zu wollen, fhrte er gleichzeitigeine Regelung ein, nach der den Verurteilten fr gute Fhrung Haftzeit erlassenwurde. McCloy beschrieb diese Praxis gegenber dem State Department folgendermaen: Gefangene, deren Betragen es rechtfertigt, erhalten fnf Tage Strafnachlapro M onat, un d zw ar rckwirkend vom Zeitpunkt des Strafantritts"41 . Nachdem mitGeneral H and y eine entsprechende bereinkunft erzielt wo rden war,wurde diese Regelung ab Dezember 1949 auf Inhaftierte sow ohl aus den Nrnberg er wie aus den Dachauer Prozessen angew andt, was in der unmittelbaren Freilassung von rund 60 K riegsverbrechern resultierte, von denen fnf in Nrnberg verurteilt worden waren.Die Zahlen sorgten im amerikanischen Auenministerium fr Unruhe, aberMcCloy verstand es, Washington zu beruhigen, indem er versicherte, da die3 7 NA , RG 33 8, WC BAF , Box 6, Denkschrif t der Evangel ischen Kirche in Deutschland z ur Frage derKriegsverbrecher vor amerikanischen Militrgerichten, 1949 (Original in Englisch, hier zit . nachdem deutschen Ko nzept , in: EZA Berlin, Bestand 2/2 61 ).38 NA , RG 466, McCloy Papers D 5 0/12 28, McCloy an Adenauer , 24 .4 .1 950.3 9 NA , RG 466, McCloy Papers D 50/57 , McCloy an P fa rre r A . J . Mu ench, 11 .1 .1 950.40 NA , RG 466, McCloy Pap ers D 49 /27 8, Power of the High C omm issioner to Alter , af ter Confir-mation , the Sentences Imposed by the Mil itary Tribunals at Nurem berg ", 11 .10 .19 49.41 NA , RG 466, Office of the Execut ive Direc tor (O ED ), Box 28, McC loy an Acheson, 28 .12 .19 49.

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    3 86 Thomas Alan SchwanzAnrechnung gu te r Fhrung n ich t mi t S t r a f aus se tzung oder mi t e iner Umwandlungdes Ur te i l s verwechse l t werden dr f e . E r s e t z t e h inzu , e ine hn l i che Rege lungwerde beral l in den Vereinigten Staaten prakt izier t und l iege ganz im Interesse derGefngn i sd i s z ip l in ; wenn e in Gefangener gegen d ie Gefngn i sordnung ver s toe ,knne e r mi t dem Entzug der a l s S t r a fnach la anzurechnenden Ze i t bes t r a f t wer den. Einem Kri t iker dieser Praxis hiel t er entgegen, sein Vorgehen sei keineswegs alse in Ind iz f r ungerech t f e r t ig t e Mi lde" gegenber den Kr iegsverbrechern zu bewer ten 4 2 . Gleichwohl beschleunigte die neue Anrechnungspraxis die Frei lassung vonKriegsverbrechern, die ger ingere Strafen erhal ten hat ten; das um so mehr , a lsM cC loy im Augus t 1950 d ie An rech nun g pro abgeses senem M on at von fnf aufzehn Tage e rhh te . Die E rhhung ver t e id ig te e r mi t dem Hinweis , d i e Br i t en wr den ebenso ver f ahren , und v ie l e amer ikan i sche Bundes s taa ten wende ten ebenfa l l sd ie Zehn-Tage-Rege l an . Die Vernderung bewi rk te , da d ie im F l i ck- und im I . G .Farben-Proze verur tei l ten Indus tr iel len, die vergleichsweise niedr ige Strafen erhalt en ha t t en , so for t zu r F re i l as sung ans tanden . Als der US-Botschaf t e r in Dnemarkgegenber dem S ta te Depar tment d ie Kopenhagener Sch lagze i l en bek lag te ( Amer ika en t l t ach t g roe Naz i s " ) , e rh ie l t McCloy aus Wash ing ton d ie Warnung , manwolle ber knf t ige Frei lassungen besser informier t werden 4 3 .

    Die Ar t und Weise , wie McCloy se in Sys tem von S t r a fnach la f r gu te Fhrunganwandte , bedar f genauerer E r l u te rung . Unbes t r e i tbar von Nutzen f r d ie Gefngnisdiszipl in , schien ein solches Verfahren eher angemessen bei gewhnl ichen" Kr imine l l en , wie s i e in den Dachauer P rozes sen abgeur te i l t worden waren , a l s be i denh o c h r a n g i g e n N S - R e p r s e n t a n t e n a u s d e n N r n b e r g e r P r o z e s s e n . S o w a r es b e i spielsweise ziemlich unwahrscheinl ich, da ein Indus tr iel ler wie Fr iedr ich Fl ickjemals e ine Bedrohung f r d ie Gefngn i sd i s z ip l in h t t e dar s t e l l en knnen . Anderer s e it s w urd e j eder k le inste Unter sch ied in der Behan d lung d er Gefang enen aus denD a c h a u e r u n d d e n N r n b e r g e r P r o z e s s e n v o n d e n d e u t s c h e n K r i t i k e r n a u s g e schlachtet , und die Amerikaner reagier ten s tets besonders empfindl ich auf den Vorwur f der Diskr imin ie rung . De nno ch spr ich t wen ig dafr, da der H oh e Kom missarden E inwand des Kongreabgeordne ten J acob J av i t s bedach te , der mein te , im Hinbl ick auf die Einzigar t igkei t der nat ionalsozial is t i schen Kriegsverbrechen sei dieAnwendung von a l lgemein b l i chen S t r a fp rak t iken s chwer l i ch zu r ech t f e r t igen 4 4 .Hinzu kam, da das Sys tem von S t r a fnach la f r gu te Fhrung in Deut sch landnicht eingefhr t war 4 5 . McCloys Ver fahren mute desha lb s ch l i ch t a l s Nachg ie -42 NA , RG 466, McC loy Papers D 50/2 065 , Mc Cloy an Manfred G eorge , 28. 8. 1950, und CG R,Box 1, Week ly Staff Confe rence, 29. 8. 1950.43 NA, RG 466, O ED , Box 28, Anderson an Acheson, 17. 8. 1950, und Acheson an McCloy, 1.9.1950.44 Stars and Stripes (Europische Ausgabe) vom 20. 3. 1952.45 NA , RG 33 8, WC BAF, Box 2, Notiz von R obert Ch andler fr Chief of Mil i tary Affairs Branch,Judg e Advocate Division bei EU CO M , 23 . 9. 1949. Chand ler schrieb, die Praxis der An rechnun gvon guter Fhrun g s tehe nicht im Konfl ikt mit der Behandlung [ . . . ] gewhnlicher Gefangener" .Diese Aufzeichnung macht deutlich, da man sich auf diese Praxis bereits festgelegt hatte, bevorandere Methoden berhaupt in Erwgung gezogen worden waren.

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    Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher 387bigkeit erscheinen und den Eindruck noch verstrken, die Alliierten htten lngstden Glauben an die Grundstze verloren, um deretwillen sie die Prozesse gefhrthatten.Die Anrechnung von guter Fhrung brachte McCloy das Lob von Bundesprsident Heuss ein, der besonderes Interesse fr einige der hhergestellten Inhaftiertenwie beispielsweise Ernst von Weizscker bekundete. Letztlich stellte jedoch die Einberufung eines Beratenden Ausschusses zur berprfung aller Nrnberger FlleMcCloys grtes Zugestndnis an die deutschen Forderungen dar. McCloys Entschlu dazu wurde im Grunde erst mglich, nachdem die Armee beschlossen hatte,ihre Haltung in der Frage der Begnadigungen zu berdenken. Die Simpson-Kommission, die die Behandlung des Malmedy-Falles durch die Armee untersucht hatte,empfahl die Einrichtung eines dauerhaften Gremiums, das fr Begnadigungen undStraferla zustndig sein sollte. Im Sommer 1949 hatte das Bro des Militrstaatsanwaltes beim Europischen Oberkommando der US-Streitkrfte (EUCOM) Vorbereitungen fr einen Begnadigungsausschu getroffen, die im November 1949 zurErrichtung des fr die Dachauer Flle zustndigen War Crimes Modification Boardfhrten. Nur ein paar Wochen spter, am 15. Dezember, erklrte McCloy den beiden anderen Hohen Kommissaren, er beabsichtige ein Gremium zu ernennen, dasein Begnadigungs- und Bewhrungskonzept fr die Inhaftierten aus den Nrnberger Prozessen ausarbeiten solle46 .Es ist bezeichnend fr McCloys Unabhngigkeit von Washington, da er Kardinal Frings ber seinen Plan, einen solchen Ausschu einzurichten, informierte, no chbevor er vom Auenministerium die Zustimmung dafr erhalten hatte 47 . DeanAcheson hatte sich in der Tat gegen McCloys ursprnglichen Vorschlag gewandt,einen gemeinsamen Ausschu zur berprfung der Dachauer und der NrnbergerFlle einzusetzen, denn Acheson wollte nicht, da das Auenministerium in denumstrittenen Malmedy-Fall und die damit verbundenen politischen Schwierigkeitenverwickelt wrde. Auerdem bekundete er starke Zweifel, da eine berprfungberhaupt notwendig sei, mit Ausnahme der vier oder fnf Flle, die General Clayaus Zeitmangel nicht mehr hatte erledigen knnen. Seine Befrchtung war vorallem, ein hochkartiges Expertengremium knne zuviel Aufmerksamkeit auf sichziehen und den Eindruck erwecken, die Rechtsgrundlage und das juristische Verfahren bei den Nrnberger Prozessen bedrften der Prfung. Acheson war der Meinung, McCloy knne die Angelegenheit besser und vor allem unaufflliger miteinem oder zwei fhigen Assistenten seines Stabes regeln 48 .Aber McCloy lie sich dadurch nicht beirren. Er war wohl bereit zu akzeptieren,da die Armee ihre Flle separat behandeln wollte, doch teilte er General Handy ineinem Telefongesprch unum wun den mit, er habe ber die Sache schon eine ganze46 NA , RG 466 , McCloy Pape rs D 49 /447 b , Protokol l der 1 0. Sitzung der Al l iie rten Hoh en Kom mission, 15. /16.12.1949; Buscher , S. 57 ff.47 Buscher, S. 95.48 NA , RG 466 , O ED , Box 28 , Acheson an McCloy , 8 .2 . 1950 .

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    388 Thomas Alan SchwanzMenge nachgedacht und vor allem darber, wie wir damit fertig werden". McCloydachte an zwei oder drei Personen, die die ganze Sache berprfen sollen, undzwar nicht in dem Sinn, die Verfahren selbst zu berprfen, sondern sie daraufhinzu untersuchen, was seit den Prozessen geschehen ist, geleitet von dem Gedanken,da mit Sicherheit einige darunter sind, die ihre Strafe mehr als genug verdienthaben, da aber bei anderen vielleicht unter Bercksichtigung mildernder Umstndedoch eine Umwandlung mglich sein knnte" 49 . In seiner Antwort auf AchesonsEinwendungen betonte der Hohe Kommissar, die Frage, ob in dem einen oderanderen Fall die Begnadigung gerechtfertigt ist, kann nur nach grndlicher und leidenschaftsloser berprfung aller relevanten Faktoren" entschieden werden. Dafrbrauche er einen Ausschu fhiger Fachleute, deren Objektivitt und Unabhngigkeit in der Beurteilung gewhrleistet ist". Nachdem McCloy dargelegt hatte, daeine solche ausfhrliche berprfung seinen Stab berfordern wrde, erklrte er,eine bloe personelle Erw eiterung des Stabes w rde nicht die gleiche berprfun gzum Ergebnis haben, wie die einer Instanz, die in ihrer Meinungsuerung vlligunabhngig ist". Er wies Acheson explizit auf die heftigen und sich widersprechenden Auffassungen hier, in England und in den Vereinigten Staaten bezglich desrichtigen Vorgehens in der Frage der Kriegsverbrecherurteile" hin und fuhr nichtminder scharf fort, wie immer ich auch vorgehe, mein Handeln mu in der ffentlichkeit dadurch als gerechtfertigt erscheinen, da es auf grndlicher berprfungund leidenschaftsloser Beratung basiert". McCloy schlo mit der Bemerkung, auchwenn es eine Gewissensentscheidung ist und ich bereit bin, letztlich die Entscheidung zu treffen und auch die Verantwortung dafr zu tragen, kann ich dennoch dieUntersttzung durch eine solche Expertengruppe verlangen". Acheson antworteteumgehend, da Sie die Schaffung einer besonderen Gruppe zur berprfung derTodesurteile offenbar fr unumgnglich halten, bin [ich] bereit so zu verfahren,wenn spezielle Vorkehrungen fr die ffentlichkeitsarbeit getroffen werden" 50 . DerAu enm inister blieb bei seinen Bef rchtungen , die amerika nische ffentlichkeitwerde eine weitere berprfung weniger unter dem Gesichtspunkt einer leidenschaftslosen" Beratung sehen, als vielmehr in dem Sinn einer Infragestellung derLegitimitt der Nrnberger Urteile.

    49 NA, RG 338, WCBAF, Box 14, Telefongesprch zwischen Handy und McCloy, 11 .2.1950.50 NA, RG 466, McCloy Papers , D 50/472, McCloy an Acheson, 17.2. 1950, und Acheson anMcCloy, 22. 2. 1950. McCloy erinnerte sich spter, Acheson habe zu ihm gesagt: Jack, das ist Ihreganz persnliche Verantwortung. Es gibt keine Przedenzflle. Sie mssen sich auf Ihr eigenesGewissen und Ihre n Sinn fr Gere chtigke it und Gle ichbe hand lung verlassen. Sie sind in der P ositioneines Gouvern eurs , der s ich eine Me inung ber derart ige Urtei le bi lden mu . Die Regierun g wirdnicht eingreifen oder Ihnen sagen, was Sie tun sollen, und sie wird Ihnen auch keine Vorschlgeunterb reiten, wie wir gerne htten , da diese Flle ausgeh en sollen." McCl oy hatte d as Gefhl, alsverurteile mich Acheso n zu etwas - ,und Go tt sei seiner Seele gnd ig'"; zit . nach Am herst Co llege,Mc Cloy Pap ers , Unverffentl ichte Erinnerun gen, S. 100.

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    Die Beg nadigung deutscher Kriegsverbrecher 3 892. Der Begnadigungsausschu und McCloys Entscheidung

    In der Frage der Landsberger Hftlinge eine kluge, objektive und gerechte Entscheidung" zu treffen, hielt McCloy fr eines der grten Probleme, vor denenich im Zusammenhang mit der Besatzung Deutschlands stehe". Sein charakteristischer Pragmatismus lie ihn darauf hoffen, ein unabhngiger Ausschu werde ihmbehilflich sein knnen, mit diesem Problem fertig zu werden und die politischeKontroverse, die mit der berprfung der Urteile verbunden war, zu entschrfen.Trotz starker Emotionen auf allen Seiten glaubte er, wenn es gelnge, Persnlichkeiten, die hchstes Ansehen gen ieen, wie Richter, Anwlte und Strafrechtsexperten", von der Notwendigkeit einer Mitarbeit an dieser berprfung zu berzeugen, dann wrden deren Empfehlungen mit Sicherheit fr die ffentliche Meinungin den Vereinigten Staaten wie in anderen Lndern von groem Gewicht sein".McCloy und Acheson hatten beide Angst vor einer Publizitt, die den Eindruckerwecken wrde, die Alliierten wollten die Rechtsprechung ihrer eigenen Nrnberger Gerichte in Frage stellen oder ihre Entscheidungen in irgendeiner Form revidieren. Die beiden waren sich auch in der Befrchtung einig, einzelne Gruppen"knnten die Entscheidung falsch interpretieren" - ein diskreter Hinweis auf jdische Organisationen, die mit Sicherheit jede weitere berprfung kritisieren wrden. Um solchen Angriffen zuvorzukommen, betonte McCloy, das Gremium seinicht dazu da, die Entscheidungen der Nrnberger Gerichte in bezug auf dieangewandten Gesetze oder auf Fakten hin zu berprfen", gestattete aber andererseits die Hinzuziehung neuen Beweismaterials, das zur Zeit des Verfahrens nichtzugnglich war". Das Gremium sollte Beratender Ausschu fr die Begnadigungvon Kriegsverbrechern" heien und sich ausschlielich Fragen widmen, die inZusammenhang mit Begnadigungen standen. Das wichtigste sei jedoch, wieMcCloys juristischer Berater Robert Bowie lapidar feststellte, da die Zeit zueinem substantiellen Faktor wird". Der Hohe Kommissar war sich des politischenDrucks in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten sehr wohl bewut, als erAcheson mitteilte, eine Verzgerung macht die Aufgabe nur noch schwerer", undden Auenminister um Hilfe bei der Zusammenstellung des Ausschusses bat.McCloy verlangte von Acheson alle nur erdenklichen Anstrengungen in dieserSache"51 .Die Schnelle, mit der die Hohe Kommission zu handeln wnschte, sowieMcCloys Herangehen an die Frage der personellen Besetzung des Ausschusses lassen erhebliche Unsicherheit ber die genaue R olle des Ausschusses vermuten, beson-51 NA , RG 466, OE D , Box 28, Notiz von Bowie an McCloy, 2. 3 . 1950. Die Entscheidung, eine berprfung einzuleiten, wu rde von Robe rt S . Marc us vom Jdischen Weltkong re kri tis iert. McC loyantwortete, eine solche berprfung darf keinesfalls als eine Wiedererffnung der NrnbergerVerfahren miverstanden werden; sie stellt weder eine Untersuchung ber die Gltigkeit der Entscheidungen dar, noch ein Abweichen von den Gru ndstzen , aufgrund derer die Urtei le ausgesprochen worden s ind" ; NA, R G 466, McCloy Papers , D 50/1 023 , McCloy an Rober t S.Marcu s , 29. 3 .1950.

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    3 90 Thomas Alan Schwartzders was die Frage anbelangt, ob seine Funktion die eines Berufungsgerichts oderdie eines Begnadigungsgremiums sein sollte. Diese Unterscheidung war von enormer Bedeutung, denn ein Berufungsgericht htte Material sowohl von der Staatsanwaltschaft wie von der Verteidigung bercksichtigen mssen. Wenn neue Beweisevon Seiten der Verteidiger vorgebracht worden wren, htte das Gericht derAnklage die Mglichkeit der Beweisanfechtung einrumen mssen. Ein Begnadigungsausschu hingegen wre nicht zu einem solchen ausgleichenden Vorgehenverpflichtet gewesen, denn er htte sich lediglich mit mildernden Umstnden undGrnden fr eine Begnadigung zu befassen gehabt und nicht mit der Frage, ob dieUrteile richtig zustandegekommen waren. McCloy schuf schlielich eine Mischungaus beidem, wobei jedoch die Verfahrensweise fr die deutschen Gefangenen eindeutig von Vorteil war. Zu Beginn der berprfung betonte Bowie gegenberMcCloy nachdrcklich die Funktion des Ausschusses als Berufungsgericht und dieMglichkeit, neues Beweismaterial zu bercksichtigen: Da die [Nrnberger]Gerichtshfe nicht mehr existieren, gibt es kein richterliches Forum, an das einAntrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gerichtet werden kann. Jedes Rechtssystem mu aber automatisch eine Mglichkeit fr die Einbringung neuer Beweisevorsehen, die die vorangegangene Entscheidung eines Gerichtes entweder ungltigmachen oder sich zumindest substantiell auf sie auswirken kann." Indem er sichdiese Ansicht zu eigen machte, ernannte McCloy den Prsidenten der ersten Berufungskammer des Obersten Gerichshofes des Staates New Y ork, David W. Peck,und Conrad Snow, einen Rechtsberater im Auenministerium, zu Mitgliedern desAusschusses52.Gegenber dem State Department versicherte McCloy stets, der Ausschu habelediglich die Funktion eines Begnadigungsgremiums. Seine einzige Forderung lautete, die fr den Ausschu auszuwhlenden Personen sollten bisher in keinerleiVerbindung mit den Nrnberger Prozessen gestanden und sich nicht ffentlich darber geuert haben"; nur so sei zu hoffen, da ihre Empfehlungen frei und unbelastet von jeder Parteilichkeit oder Voreingenommenheit" sein wrden. Bei derSuche nach Mnnern, die im Ruf der Integritt und Objektivitt" standen, solltesich wenigstens ein amtierender oder ehemaliger Richter finden, vorzugsweise einMitglied einer Strafaussetzungsbehrde". McCloy erkundigte sich bei ThomasDewey, dem ehemaligen Gouverneur von New York, nach dem besten Entlas-sungs- und H aftrichter, den er kenne". Dewey empfahl F rederick A. M ora n, Vorsitzender der Kommission fr Strafaussetzungen des Staates New York sowie Chef-berater des Gouverneurs in allen Fragen der Strafaussetzung und Begnadigung.Moran spielte bei den Beratungen des Kriegsverbrecherausschusses dann einebesonders wichtige Rolle: Er kam lange vor den anderen Ausschumitgliedern nachDeutschland, suchte jeden einzelnen der Landsberger Hftlinge auf und studiertederen persnliche Lebensgeschichte, Familienhintergrund und Charakter. In Anbetracht des Mangels an krimineller Veranlagung" bei einer ganzen Reihe der Verur-52 NA , RG 46 6, O ED , Box 28, No tiz von Bowie an McCloy, 2. 3 . 1950.

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    Jahrgang 38 (1990), Heft 3Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.htmlURL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1990_3.pdfVfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 391teilten war eine solche Recherche natrlich eher dazu angetan, der Sache derBegnadigung zu dienen als ihrer Verweigerung53 .McCloy lie dem Ausschu im Herangehen an die Aufgabe relativ freie Hand.Als Moran bei der Hohen Kommission anfragte, welche spezifischen Faktoren" alsGrnde fr eine Begnadigung in Betracht gezogen werden knnten, antworteteMcC loys stellvertretender juristischer B erater, Joh n A. Bross, es sei nicht m glich,solche Faktoren im Detail zu benennen". Bross unterrichtete Moran, es handelesich bei den Verurteilten aus den Nrnberger Prozessen um eine ganz besondereGruppe, und es sei sehr unwahrscheinlich, da Umstnde eintreten, die auch nureinigen von ihnen eine Wiederholung ihrer Verbrechen ermglichen knnten".Obwohl die Frage der Rehabilitierung kein entscheidender Gesichtspunkt war, wiesBross Moran auf McCloys Erwartung hin, da alle Regeln von Gerechtigkeit undMenschlichkeit, die in der Durchfhrung des modernen Strafrechts zu Gebote stehen, angemessen zur Anwendung gelangen sollen". Neben der Aufgabe, McCloyeine brauchbare und adquate politische Richtlinie" an die Hand zu geben, habeder Ausschu vllige Entscheidungsfreiheit ber die Prioritt der zu behandelndenFlle. Bross machte unmiverstndlich klar, da McCloy von dem Ausschu, dessen Mitglieder im Hinblick auf ihre Erfahrung und Befhigung zu Objektivitt undUrteilskraft so sorgfltig ausgewhlt wur den ", H ilfe bei der Bewltigung dieses delikaten politischen Problems erwarte54 .Nach einigen Vorarbeiten in Washington begann der Beratende Ausschu fr dieBegnadigung von Kriegsverbrechern am 11. Juli 1950 in M nchen mit den A nhrun gen. Der Peck-Ausschu" mute seine Arbeit schnell erledigen: zum einen weil dieHohe Kommission fest entschlossen war, die Angelegenheit zu einem baldigen Endezu bringen, zum andern aus dem weniger bemerkenswerten Grund, da Peck auf-grund seiner Richterpflichten nur bis zum Ende des Sommers abkmmlich war 55 . Inden folgenden sechs Wochen befate sich der Ausschu m it smtlichen eingereichtenGnadengesuchen. 3000 Seiten Urteilsbegrndungen wurden berprft, auerdem dieschriftlichen und mndlichen A usfhrungen von etwa 50 Verteidigern, die 90 derursprnglich 104 Angeklagten vertraten. Von gro er Be deutung in der nachfolgenden Auseinandersetzung war die Tatsache, da nicht auch die 300 000 Seiten Beweismaterial, die in den Prozessen verwendet worden w aren, einer berprfu ng unt erzo gen wurden, und da keiner der frheren Anklger gehrt wurde, obwohl sich einervon ihnen, Benjamin Ferencz, sogar noch in Deutschland befand (er war mit derFrage der W iedergutmachung fr jdische NS-O pfer befat56 ).53 NA , RG 466, McCloy Papers , D 50/472 , McCloy an Acheson, 17 .2 .19 50; D 50/5 54-6 04, Achesonan McCloy, 1 . 3 . 1950; D 5 0/7 87 -82 8, Byroade an McC loy, 1 7. 3 . 1950; D 5 0/20 63 , Mc Cloy anMo ran, 9 .10 .1 950; Amhers t Col lege , McCloy Papers , McCloy an Henr y Morg enthau ,7 . 3 .1951 .54 NA , RG 466, O ED , Box 28, Bross an M oran , 22. 5. 1950.55 NA , RG 466, McC loy Papers , D 5 0/1 456 -1 507 , McCloy an Clarence Bolds, 5.6 .1 95 0: Leider istder Z eitraum , in dem sie ihre Arbeit erledigen mssen, extrem beg renz t, weil Richter Peck re chtzeit ig zur Erffnung der Si tzungsperiode des Gerichts in die Staaten zurckke hren mu ."56 Benjamin Fere ncz, Less Th an Slaves, Cam bridg e, Mass. 1 979, S. 73 .

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    3 92 Thomas Alan SchwanzAm 28 . August 1950 traf der Beratende Ausschu in Frankfurt mit McCloy

    zusammen und legte ihm seinen Bericht vor. Der Ausschu benannte darin dreiHauptgrnde fr einen Gnadenerla: Erstens waren mehrere Urteile unverhltnismig hoch ausgefallen im Vergleich zu Urteilen fr hnliche Vergehen; zweitenslagen Beweise vor, da die Veran twortun g mancher Hftlinge fr die ihnen zur Lastgelegten Verbrechen tatschlich geringer war, als es zunchst den Anschein gehabthatte; drittens konnten mildernde Umstnde (wie etwa die Verweigerung derDurchfhrung einer verbrecherischen Anordnung oder eines Befehls) berzeugendgeltend gem acht werden. D ie Empfehlung des Ausschusses lautete daher, die Urteilevon 77 der 93 Angeklagten zu verringern und dabei sieben der fnfzehn Tode surteile in Haftstrafen umzuwandeln57 .Der Peck-Ausschu suchte alle Seiten zu beschwichtigen, indem er die Grundstze der Nrnberger Verfahren als rechtmig verteidigte, aber gleichzeitig grozgig Milde walten lie. Sein Bericht besttigte das in Nrnberg entstandene Bildeiner nationalsozialistischen Verschwrung zur Fhrung eines Angriffskrieges undbetonte, da alle Organisationen und Institutionen, die man in Betracht gezogenhabe - SS, W ehrmach t, Kon zentrationslager, Gerichte, Reg ierung, Groindu strie -Teil eines groen Plans gewesen seien, der trotz seiner W ahnsinnigkeit aufs Gr ndlichste durchgefhrt wurde und jede nur erdenkliche Anstrengung rechtfertigte".Die Berufung auf Befehlsnotstand wurde mit dem Hinweis zurckgewiesen, eineinziger Mann kann nicht einer ganzen Nation seinen Willen aufzwingen"; eineBereitschaft zur Kooperation" sei erforderlich gewesen. Wenn es in der WeltRecht und Gerechtigkeit gibt, mssen wenigstens die Personen in verantwortlichenPositionen fr ihre Taten geradestehen", insistierte der Begnadigungsausschu.Auerdem wies er den Vorwurf, die Nrnberger Urteile seien aufgrund von ex postfacto-Gesetzen zustande gekommen, mit dem Argument zurck, die einfachstenGesetze der Menschlichkeit, worunter die elementaren Gesetze des Kriegsrechts zurBehandlung von Gefangenen, Geiseln und fr Vergeltungsaktionen fallen, warenvon jeher anerkanntes Vlkerrecht, lange bevor die nationalsozialistische Kriegsmaschinerie in Bewegung gesetzt wur de, un d sie waren ebenso Teil des deutschen m ilitrischen und zivilen Rechts". Der Bericht schlo mit der drastischen Feststellung,M ord , Pln derung und Versklavung sind zumindest im 20. Jah rhu nde rt berallwider das Gesetz"58 .Der Ausschu bekrftigte zwar die Gltigkeit der Grundstze der NrnbergerProzesse im allgemeinen, jedoch nicht im Einzelfall, und stellte klar, jeder Angeklagte ist allein auf Grund seiner persnlichen Taten verurteilt worden". Auf dieserGrundlage kam man zu dem Schlu, viele der Angeklagten htten untergeordnete

    57 NA , RG 84, 71A-21 00, Box 373 , bermit t lungsschreiben, 28. 8. 1950, und Re port of the AdvisoryBoard on C lemency for War Criminals to the United States High Comm issioner for German y, 28 .8.1950 (im folgenden: Ausschubericht).58 Ausschubericht; die Einleitung zum Bericht des Peck-Ausschusses wurde aufgenommen in dieHICOG-V erf fentl i chung: Landsberg: A Documenta ry Repo r t ; Abdruck auch in : HIC O G Infor mation Bulletin, Februar 1951.

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    Die B egnadigung deutscher Kriegsverbrecher 393Positionen" innegehabt, in denen sie nicht viel mehr als gewhnliche Mitgliedereiner kriminellen Organisation" gewesen seien. Daraufhin beschlo der Ausschu,zwar alle Flle zusammen zu behandeln, jedoch die Unterschiede in der Ranghheder Tter und in den begangenen Taten" zu bercksichtigen und in angemesseneRelation" zueinander zu setzen. Dieser Ansatz, der eine logische, wenn auch nichtautomatische Folge der in Nrnberg vertretenen Vorstellung vom koordiniertenAblauf einer geplanten Verschwrung des NS-Regimes war, hatte vor allem Konsequenzen fr viele der zu geringeren Strafen Verurteilten. Im Vergleich zu ideologischen Fanatikern wie Otto Ohlendorf oder Paul Blobel, die Tausende von Mordenbefehligt und berwacht hatten, erschienen viele der Brokraten und Industriellenweit weniger kriminell oder direkt verantwortlich fr die Verbrechen des Regimes.Der Ausschu tendierte dazu, die Kriegsverbrecher mit weiem Kragen" nachsichtiger zu behandeln, weil diese nicht unmittelbar an den Ttungen beteiligt gewesenwaren. Wenn wir geirrt haben, dann haben wir in unserer Milde geirrt", rumte derAusschu ein; die Behandlung der Flle als Gruppe hatte die Tendenz zur Nachsichtigkeit verstrkt59 .

    Der Bericht des Ausschusses machte deutlich, da man entgegen der Anweisungauch die Qualitt einiger Urteile der ursprnglichen Gerichte geprft hatte. Vertretbar erschien dies dem Ausschu insofern, als er zwar unter der Direktive ttigwurde, die Urteile selbst weder auf ihre gesetzlichen Grundlagen noch auf die Fakten hin zu berprfen", jedoch einen Unterschied sah zwischen der berprfungspezifischer, im Beweismaterial vorgefundener und verwendeter Fakten und derberprfung der Schlufolgerungen, die mglicherweise daraus gezogen wordensind. Wir haben uns an ersteres, nicht an letzteres gebunden gefhlt." Auerdem, soder Bericht weiter, habe man es fr notwendig erachtet, sich in Anbetracht derMonstrositt eines Programmes nicht dazu verleiten zu lassen, die individuelle Stellung eines Angeklagten in diesem Programm berzubewerten". Mit anderen Worten: Der Ausschu erkannte die von den Nrnberger Gerichten ermittelten Faktenan (z.B. da ein bestimmter Angeklagter Direktoriumsmitglied bei Krupp war,Beamter im Justizministerium und vielleicht sogar noch Mitglied einer Einsatzgruppe) und auch, da gltige Beweise fr die Verbrechen dieser oder jener Organisation erbracht worden waren. Hufig aber wurde konstatiert, da die Fakten, wiesie in den einzelnen Urteilen selbst dargelegt werden, nicht ausreichen, um berberechtigte Zweifel hinaus die Verantw ortung eines Angeklagten fr bestimmte Verbrechen festzustellen". Das Problematische an dieser Schlufolgerung lag, wie eineReihe von Kritikern sofort bemerkte, in der Tatsache, da der Ausschu die riesigeMenge von Beweismaterial, die nicht in die 3000 Seiten der Urteilsbegrndungeneingegangen waren, nicht berprft hatte. Denn sehr oft gab es im Gesamtbestanddurchaus Beweismaterial, das die ursprngliche Entscheidung der NrnbergerGerichte sttzte. Die Eile, mit der der Ausschu zu einem Ergebnis kommen wollte,unterminierte gewissermaen seine eigene Besttigung des in Nrnberg aufgestell-59 Ausschubericht; Fe rencz, S. 74.

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    394 Thomas Alan Schwanzten Grundsatzes der persnlichen Verantwortlichkeit und reduzierte das Ausmader individuellen Haftbarmachung fr Verbrechen, die Mitglieder verschiedenerOrganisationen begangen hatten 60 .Obwohl McCloy den Bericht des Peck-Ausschusses Ende August in Hndenhatte, konnte er sich nicht sofort damit befassen, denn viele der Angeklagten hattenbeim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten Habeas corpus-Petitionen eingereicht; McCloy mute den endgltigen Entscheid abwarten, bevor er ttig werdenkonnte. Ein wichtigerer Grund aber war die aktive Rolle, die der Hohe Kommissarauf dem Treffen der Auenminister der drei Westmchte im September 1950 in NewYork spielte, auf dem die USA die Wiederbew affnung Deu tschlands v orschlugen .Na ch Ausbruch des Korea-Krieges im Juni hatte McC loy seine Opposition dagegenaufgegeben. Ihm war klar, da die Wiederbewaffnung und die Notwendigkeit,Deutschland in den Westen einzubinden, seinen Status verndern wrden. McCloysumgehende Folgerung gegenber Prsident Truman: Mit Sicherheit knnen einigeder Din ge, die wir in Deutschland noch g erne erledigt shen, nicht zu En de gefhrtwerden." 61 Der Hohe Kommissar hoffte, die westeuropische Integration durch denSchuman-Plan und spter durch die Europische Verteidigungsgemeinschaft werdeeine Gewhr dafr bieten, da die Verstrkung, die sich der Westen durch Deutschland verschaffte, keine neue Gefahr von Nationalismus heraufbeschwre.Der Entschlu zur Wiederbewaffnung vernderte das politische Klima inDeutschland grundlegend und ermutigte dazu, jede Beschwerde mit dem Gesichtspunkt eines deutschen Verteidigungsbeitrages fr den Westen" zu verknpfen.Ganz besonders galt das fr jene Gruppen, die eine Begnadigung der LandsbergerHftlinge zu erreichen suchten. Bischof Neuhusler teilte McCloy beispielsweisemit, nun, da die Bundesrepublik Deutschland dazu aufgerufen ist, sich zusammenmit den anderen westlichen Mchten zu einem starken Verteidigungsblock gegenden Bolschewismus im Osten zu formieren", sollten die Vereinigten Staaten Gnadegegenber den Landsberger Hftlingen walten lassen und alle verbliebenen Todesurteile in Haftstrafen umwandeln62 . Die beiden frheren Generle Adolf Heusingerund Hans Speidel, Adenauers Hauptberater in der kommenden Wiederaufrstung,60 Ausschubericht; Peck erklrte spter in einem Interview, einige der Urteile waren schlampig undzeigten, da die Richter sich vorher bereits eine feste Meinung gebildet hatten". Ausgesprochenskeptisch uerte er sich auch ber die Befhigung einiger Richter und nannte namentlich MichaelA. Musm anno , der in den Fllen von Milch und P ohl sowie im Einsatzgruppen-P roze am R ichtert isch gesessen hat te ; Am herst Col lege , M cClo y Papers, Mc Cloy P rojec t , Counci l on Fore ign Rela-t ions, Interview mit Joh n J. Mc Cloy und David W . Peck, 26 . April 1984. Peck verhielt sich damitgan z wie ein Berufungsrichter. O bw ohl diese in den USA eigentlich nicht befugt sind, Faktenfragenzu berprfen, finden sie in der Praxis dennoch hufig Mittel und Wege, dieses zu tun und Urteile,die sie fr unvernnftig od er falsch halten, zu verwerfen od er zu modifizieren. Zu m umfang reichenSchrift tum ber das Verhalten von Berufungsgerichten vgl. Charles Alan Wright, The DoubtfulOm niscience of Appellate Co urts, in: University of Minne sota Law R eview 41 (1957) , S. 751 -782 .61 Truman Library, President ' s Sec re ta r /s Fi les (PSF) , Box 178, Denkschri f t fr den Prsidenten, T heSituation in German y, 10. 9. 1950.62 NA, RG 466, McCloy Papers, D 51 / 1 19 , Neuhus l e r an McCloy , 20 .1 . 1951 .

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    Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher 395erklrten dem Bonner Vertreter der Hohen Kommission, wenn die LandsbergerVerurteilten gehngt werden sollten, [bleibe] das deutsche Verteidigungsbndnisgegen den Osten eine Illusion"63 . Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten ausallen groen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, erklrte McCloy laut NewYork Times, da sie es als ihre Pflicht" ansehe, die Abnderung der Todesurteilezu fordern", und zwar unter der besonderen Bercksichtigung der politischen undpsychologischen Faktoren zu einem Zeitpunkt, da Westdeutschland dazu aufgerufen ist, einen militrischen Beitrag zur westlichen Verteidigung zu leisten"64 . Dielange Zeit, die die Gefangenen bereits auf ihre Hinrichtung warteten, stehe nicht inEinklang mit der in Deutschland blichen zgigen Urteilsvollstreckung, stelle frsich genommen als psychologisches Moment schon eine strenge Bestrafung dar undsei ein weiterer Grund fr eine Begnadigung.Bei einem Treffen mit den Hohen Kommissaren am 16. November 1950 erneuerteAdenauer seine Forderung nach Beendigung aller Kriegsverbrecherverfahren sowienach Umwandlung aller noch nicht vollstreckten Todesurteile in Freiheitsstrafen,da nach Artikel 102 des Grundgesetzes die Todesstrafe abgeschafft ist". Auerdemdrngte der Kanzler auf die Gewhrung der grtmglichen Gnade fr die zumTode verurteilten Personen" 65 . Der junge bayerische Bundestagsabgeordnete FranzJosef Strau erachtete die Folgen jeder weiteren Hinrichtung fr die amerikanischdeutschen Beziehungen fr verheerend" 66 . Sogar NS-Opfer stimmten in den Chorder Begnadigungsbefrworter ein. Der SPD-Vorsitzende und KZ-berlebendeKurt Schumacher behaup tete, weitere Exekutionen v erletzten die deutsche Souvernitt67 . Zur Seite sprangen ihm Persnlichkeiten wie Inge Scholl, deren Schwesterund Bruder als fhrende Mitglieder der Weien Rose" von den Nationalsozialistenhingerichtet worden waren.Die Kampagne fr die Landsberger Hftlinge erreichte ihren Hhepunkt, alsMcCloy anonyme Morddrohungen erhielt und Leibwchter zum Schutz seiner Kinder angestellt werden muten68 . In Anbetracht dieses massiven Druckes schrieb der

    63 Charles Thayer , Die unruhigen D eutschen, Bern, Stut tgart , Wien 1 958, S. 252; Georg Meyer , ZurSituation der deutschen militrischen Fhrungsschicht im Vorfeld des westdeutschen Verteidigungsbei trages 19 45- 19 50/5 1 , in: Anfnge w estdeutscher Sicherheitspoli t ik 194 5-19 56, Bd. 1 ,M n che n 1982, S. 696 f.64 New York T imes vom 1 0 .1 . 1 951 .65 FRU S 1950, Bd. 4 , S. 782. In se inen mndl ichen uerungen gegenber den H oh en Komm issarenwar Adenauer weniger direkt; er forderte lediglich, da die berprfung der Landsberger und

    anderer Kriegsverbrecher-Flle beschleunigt" werd e; vgl . Ha ns P eter Schw arz (H rsg.) , Ade nauerund die Ho hen Komm issare 19 49-1 951 , M nchen 1989, S. 271 f.66 Ne w York Times vom 26. 4. 1951 .67 Die N eue Zei tung vom 30. 1 . 195 1; Archiv der sozialen Dem okrat ie , Bestand Schumacher , In terviews Q-7 . Die Protokol le der SPD -Frakt ionssi tzungen vom 9. 1 . und vom 1 . 2 . 1951 zeugen voneiner erregten internen Debatte zu den Landsberger Fllen.68 NA , RG 466 , O ED , Box 28 , Not i z von McCraw an Von de r Muhl l , 2 . 1 . 1 951 . Sogar McCloys Ehe frau w urde ang egangen, Einf lu auf ihren Man n zu neh men. Pr inzessin von Isenburg, die M ut ter

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    396 Thomas Alan Schwartzbritische Hohe Kommissar Ivone Kirkpatrick an seine Vorgesetzten nach London,es ist eine bedauernswerte Tatsache, da sogar im allgemeinen gemigte Deutschewie die protestantischen Bischfe und verstndige Mnner in der SPD, die selbstunter der Verfolgung durch das NS-Regime gelitten haben, die Kriegsverbrecherprozesse ablehnen [...] diese An gelege nheit vergiftet alle fr den We sten geh egtenGefhle"69 . Das berraschendste an der Begnadigungskampagne war, da entgegenden bisherigen Bekundungen vieler Deutscher, es mten Unterschiede gemacht werden zwischen verschiedenen Kateg orien von Kriegsverbrechern - etwa zwischen Soldaten, die im Partisanenkrieg kmpften, und SS-Mnnern, die Hitlers Endlsung"durchfhrten - nun eine pauschale Blanko-Forderung herauskam, die die Um stndeignorierte, unter denen die einzelnen Verbrechen begangen worden waren 70 .In dieser mit Spannung geladenen Atmosphre begann McCloy sich schlielichmit dem Bericht des Peck-Ausschusses zu befassen. Obwohl die deutschen Protestenahezu alles bertnten, nahm er auch anderslautende Stellungnahmen entgegen.Sein juristischer (und eng ster) Berater Ro bert Bowie kritisierte den Beratenden Ausschu ob seiner exzessiven" Nachsicht. Bowie brachte gegenber McCloy zumAusd ruck, er hege ernsthafte Zweifel" an 24 Vorschlgen d es Ausschusses undempfahl McCloy deren Ablehnung. In 22 weiteren Fllen hielt Bowie die Begrndungen des Ausschusses auf Urteilsverkrzungen fr unangemessen" und schlugeine erneute Untersuchung vor. Bowie war besonders beunruhigt darber, da derAusschu es unterlassen hatte, das gesamte vorhandene Prozematerial zu prfen.Nur in zwei oder drei Fllen" habe der Ausschu fr seine Empfehlung alle verfgbaren Beweismittel herangezogen. Die Erklrung des Ausschusses, man habe sichum ein Hchstma an Nachsicht bemht, knne den Eindruck einer Zurcknahmeder Nrnberger Prozesse" erwecken71 .Trotz der Diskussion um die deutsche Wiederbewaffnung zielte Bowies schrfsteKritik auf die Nachsicht des Ausschusses gegenber einer Reihe von Generlen. Inbezug auf Hermann Reinecke, Walter Warlimont und Georg von Kuechler stellteBowie fest, sie waren alle direkt an den Vorgngen beteiligt, die die Ermordungganzer Kommandos, von Kommissaren und von gefangengenommenen alliiertenPiloten ebenso umfate wie die brutale Mihandlung von Kriegsgefangenen". DerJurist erklrte, der Ausschu habe wegen der angeblich untergeordneten Position"dieser Mnner die Begnadigung empfohlen, wobei von Kuechler Feldmarschallwar und Reinecke und Warlimont beide den Rang eines Generalleutnants hatten".Bowie wandte sich auch gegen Gnade fr einige Mitglieder der Einsatzgruppen undgegenber denjenigen, die medizinische Experimente an Konzentrationslager-Hftlingen durchgefhrt hatten. Fr alle diese Flle verfaten Bowie und sein Stab

    der Landsberger Hftl inge", bat sie von Frau zu Frau", sich bei ihrem M ann fr die B egnadigun geneinzusetzen; Der Spiegel vom 3 1 . 1. 19 51, S. 8.69 FO 371 /9353 6 (Publ ic Record Off ice , Londo n) , Kirkpatr ick an Gainer , 3 . 2 . 1 9 5 1 .70 Buscher, S. 127.71NA, RG 466 , O ED , Box 28 , Bowie an McCloy , 3 1 . 1 0 .1950 .

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    Die Begn adigung deutscher Kriegsverbrecher 397eigene Empfehlungen, die hufig auf hrtere Behandlung drngten, als sie der Peck-Ausschu empfahl. Beispielsweise hatte der Ausschu im Fall des Einsatzgruppenleiters Gustav Nosske, der fr seine Rolle bei der Ermordung von Juden auf der Krimursprnglich zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, eine Verminderung aufzehn Jahre Gefngnis vorgeschlagen mit der Begrndung, die Beweise seien fraglich"; auch habe sich Nosske spter geweigert, in der Gegend von Dsseldorf Judenzu exekutieren. Bowie jedoch, der das gesamte Prozematerial in Betracht zog,stellte fest, der Ausschu habe anderen Exekutionen, die unter Nosskes Kommando durchgefhrt wurden, nicht gengend Gewicht beigemessen, am wenigstenaber seiner Verbindung mit der Einsatzgruppe von Anfang an". Bowie riet deshalbdringend zu einer Verurteilung auf 20 Jahre72 .Auch wenn McCloy die Empfehlung zu Nosske zurckwies, beeinflute BowiesKritik ganz offenkundig die Urteilsbildung des Hohen Kommissars, der vor derNotwendigkeit stand, zwischen den Empfehlungen des von ihm initiierten Expertengremiums und denen seiner eigenen Stabsjuristen zu entscheiden. In den Fllender Militrs stimmte McCloy mit seinem Berater berein und verweigerte vonKuechler, Reinecke und Warlimont eine Urteilsverkrzung, ebenso FeldmarschallWilhelm List und General Walter Kuntze wegen ihrer Verantwortung fr dieErmordung von Geiseln auf dem Balkan. (Fr die beiden letzteren lie er jedoch dieMglichkeit einer medizinisch bedingten Strafaussetzung wegen hohen Altersoffen.) Gegen ber 18 Verurteilten, besonders in den Fllen, die medizinische Exp erimente und die Einsatzgruppen betrafen, entschlo sich McCloy nur zu geringerenUrteilsminderungen, als der Peck-Ausschu empfohlen hatte. Hingegen ging derFall Krupp, trotz seiner Bekanntheit im Ausland, relativ glatt ber die Bhne, dennder Ausschu und McCloys Berater stimmten darin berein, da das Urteil, verglichen mit den Urteilen gegen Flick und die Direktoren der I. G. Farben, deutlich zuhoch ausgefallen und die Beschlagnahme des Krupp-Vermgens mit den Grundstzen amerikanischer Rechtsprechung nicht vereinbar gewesen war. Der Schumann-Plan, mit dem sich eine europische Einbindung der deutschen Schwerindustrieabzeichnete, lie Krupps Rckkehr als Eigentmer weniger gefhrlich erscheinen,als es unter anderen Umstnden der Fall gewesen wre73 .Die Flle, die McCloy die grten Schwierigkeiten bereiteten und seine Zeit inden Wochen vor Bekanntgabe seiner endgltigen Entscheidung am lngsten inAnspruch nahmen, waren die der zum Tode Verurteilten. Trotz einer lebenslangenTtigkeit als Rechtsanwalt hatte McCloy kaum Erfahrung im Strafrecht und warniemals zuvor einer solch schweren Prfung unterwo rfen wie dieser, in der ich entscheiden mu, wem ich die Freiheit oder sogar das Leben nehme" 74 . Den deutschen72 Der Bericht ber Nosske und weitere Berichte in: NA, RG 466, Administration of Justice Division,Office of General Counsel, Box 1.73 Ausschubericht ; Ferencz, S . 223. McC loy t raf nicht mit Krupp zu samm en; vgl . Manchester , S . 758.74 Amhers t Col lege, Mc Cloy Papers , Unverffentl ichte Erinneru ngen, S. 1 00- 10 3 ; NA , RG 466,McC loy Papers , D 5 0/2063 , McCloy an Mo ran, 9 .10 .1 950.

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    Jahrgang 38 (1990), Heft 3Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.htmlURL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1990_3.pdfVfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de

  • 7/28/2019 Schwartz, Thomas Allen - Die Begnadigung Deutscher Kriegsverbrecher - John J. McCloy und die Hftlinge von Lan

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    398 Thomas Alan SchwartzDelegationen, die ihn aufsuchten und ihm Petitionen berreichten, versicherte erimmer wieder, von allen Problemen , mit denen er bisher in Deutschlan d konfrontiert war, sei dies das schwierigste und dasjenige, auf das er die meiste Zeit verwendet habe". McCloy fgte hinzu, es handele sich dabei um eine Pflicht, die er selbstam allerwenigsten leiden" knne75 . Weil er sein Gewissen beruhigen, aber auch,weil er nichts unversucht lassen wollte, verfuhr McCloy ganz und gar unorthodox.Der Hohe Kommissar war bereit, praktisch mit jedem ber die Flle zu sprechen,neue Petitionen und Beweise entgegenzunehmen und neue Zeugen anzuhren. Erfuhr persnlich nach Landsberg und traf einige der Hftlinge. McCloy handelte imGrunde wie der Gouverneur eines amerikanischen Bundesstaates - ein Vergleich,der sich auch fr andere Aspekte seiner diplomatischen Aktivitten aufdrngt76 .

    M itte Novem ber 1950 informierte M cClo y Washington , er habe sich vorlufig frneun Hinrichtungen entschieden, auch im Falle von Ernst Biberstein, fr den derPeck-Ausschu auf Begnadigung pldiert hatte77 . Bis auf einen seien alle Todeskandidaten Befehlshaber von Einsatzgruppen gewesen und persnlich verantwortlichfr Tausende von Exekutionen. Trotz des politischen Drucks aus Deutschland undder Verschlechterung der internationalen Lage durch Chinas Eintritt in den Korea-Krieg versuchten die Politiker in Washington nicht, McCloys Entscheidung zu revidieren. Acheson teilte McCloy mit, er sei sich im klaren darber, da es zwar Personen und Organisationen sowohl in Deutschland wie in den Vereinigten Staatengibt, die der Meinung sind, alle Todesurteile sollen umgewandelt werden, aber ichbin vielmehr von der Tatsache beeindruckt, da diese Flle sorgfltig von denGerichten, von Gen. Clay, von Ihrem Beratenden Ausschu und von Ihnen selbstuntersucht worden sind, und da ich bei jedem Fall, fr den Sie die Hinrichtungvorschlagen, davon ausgehen kann, da eine Begnadigung oder Milderung desUrteils nicht gerechtfertigt war". Wie schon so oft, untersttzte Acheson McCloyauch diesmal: Dementsprechend stimme ich der von Ihnen vorgeschlagenen Vorgehensweise zu und berlasse den Zeitpunkt [der Hinrichtungen] ganz Ihrem Ermessen."78 McCloy hatte auch die volle Untersttzung von Prsident Truman. Als dieservon einem Freund und Mitglied seiner Freimaurerloge aus Missouri bedrngt wurde,Gnade zu gewhren, antwortete Truman eher barsch mit einer Kopie von McCloysEntscheidung und dem Zusatz: Ich mu die Situation anerkennen, wie sie ist, daich keine Mglichkeit sehe, mich in deutsche Angelegenheiten einzumischen." 7975 NA , RG 466, McC loy Papers , D 51 /1 7 A, Meet ing Between Mr. McCloy and D elegat ion from theB undes ta g , 9 . 1 . 1 951 .76 Tho mas Schwartz , From Occu pat ion to Alliance. John J. McC loy and the All ied High Commissionin the Federal Republ ic of German y 19 49-1 952, Diss . Camb ridge, Mass . 1 985, S. 665.77 NA, RG 466, OED , Box 28, Jona than B. Rintels an Majo r J. J. Kapra l, 22. 12. 1950.78 NA, RG 466, McCloy Papers , D 5 0/2530 , Acheson an McCloy, 16 .1 1 .1 950.79 Trum an Library, PSF , Box 179, Truman an Frank Land, 1 .2 .19 51 ; Trum an gab s ich auerdem berzeugt, da die deutschen Kriegsverbrecher weit besser behandelt worden sind, als es unter ihrereigenen Regierung geschehen wre". Vermutlich bezog sich diese Bemerkung auf die Behandlungvon H ftlingen durc h die Nationa lsozialisten, aber bei Tru man k ann m an das nie so genau wissen.

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    Jahrgang 38 (1990), Heft 3Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.htmlURL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1990_3.pdfVfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de

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    Die Begn adigung deutscher Kriegsverbrecher 3 99Trumans Behauptung war zwar nicht ganz korrekt - er htte darauf bestehen knnen, da McCloy die Urteile umwandelte -, aber sie zeigt deutlich, da die letzteEntscheidung ber die Landsberger Hftlinge bei McCloy lag 80 .Doch McCloy blieb nicht bei seiner vorlufigen Entscheidung. Weil er die Hinrichtungen nicht um die Weihnachtszeit anordnen wollte, entschlo er sich, mit derAnkndigung bis Ende Januar zu warten. Die verbleibende Zeit nutzte er zu demVersuch, die deutschen Politiker davon zu berzeugen, da die Todesstrafe gerechtfertigt sei. Er erklrte, das Argument, die Vollstreckung der Todesurteile sei zulange hinausgezogen worden, impliziere doch, alle berprfungen und rechtlichenProzeduren seien in gewisser Weise grausam oder unmenschlich. Zu Recht wies erdarauf hin, da ohne diese berprfungen einige Mnner bereits hingerichtet worden wren, die nun davor bewahrt blieben. Er