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Paediatr Paedolog 2013 · 48:24–27 DOI 10.1007/s00608-013-0091-5 © Springer-Verlag Wien 2013 B. Zündel Graz Seelische Auffälligkeiten  im Kindes- und  Jugendalter Seit Jahren beobachten Pädagogen, Psy- chologen und Mediziner eine alarmie- rende Zunahme von psychischen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Ju- gendlichen (. Abb. 1). Eng verbunden mit den kindlichen Symptombildern ist ein eklatanter Erziehungsnotstand in den Familien. Burnout der Eltern, Rückzug aus dem Erziehungsgeschehen und Ab- dankung als Eltern aus Hilflosigkeit sind oft die Folge. Neue Studien (Robert Koch-Insti- tut und Ludwig-Maximilians-Universität München), in denen 18.000 Kinder über 3 Jahre beobachtet wurden, ergaben, dass jedes siebte Kind psychisch auffällig ist, je- der zehnte Bub zwischen 11 und 17 Jahren ein diagnostiziertes Aufmerksamkeitsde- fizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) aufweist und 80% der Gymnasiasten an psychosomatischen Störungen wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen leiden (Thimm 2011). Die Entstehung psychischer Auffälligkei- ten wird durch die Genetik, die die Vul- nerabilität bestimmt, den Erziehungsstil und die Umwelt (gesellschaftlicher Wan- del, Medien) beeinflusst. Entwicklungen in der jüngeren Erziehungsgeschichte In der Geschichte der Erziehung spiegelt sich der Zeitgeist einer Gesellschaft wi- der. Kennzeichnend für die Wirtschafts- wunderphase nach dem Zweiten Welt- krieg war die über Generationen gewach- sene traditionelle, autoritäre Erziehung mit Betonung auf Pflichtwerten wie Ver- antwortung, Verlässlichkeit und Disziplin. Die entartete Form dieser Erziehungs- haltung, geprägt von Lieblosigkeit und Machtmissbrauch, wird „schwarze Päda- gogik“ genannt. Es folgte der Egokult der 68er-Gene- ration mit der antiautoritären Bewegung. Freiheits- und Selbstverwirklichungs- werte mit den Leitwörtern Spaßoptimie- rung, Spontanität, Lebensgenuss, manch- mal bis zur Entgleisung in den narzissti- schen Befindlichkeitswahn, rückten in den Lebensmittelpunkt. Dass uneinge- schränkte Freiheit des Kindes per se zur Entwicklung eines sozialen, lebenstüch- tigen, selbstgesteuerten, gestaltungswilli- gen Menschen und somit zu einer gesun- den Gesellschaft führe, ist der ehrgeizigste Traum in der Geschichte der Pädagogik. Daraus entwickelte sich der heute in der Kindererziehung vorrangige Erziehungs- liberalismus der Postmoderne. Erziehungsliberalismus der Postmoderne Einige Charakteristika seien genannt: Kinder werden zu Partnern gemacht und oft überfordert durch zu frühe Entlassung in die Selbständigkeit. Sie haben weitge- hende Entscheidungshoheit im alltägli- chen Leben, obwohl sie Konsequenzen ihres Verhaltens noch nicht antizipieren können – es gehört beispielsweise nicht in die Entscheidungskompetenz eines 7-Jährigen, ob er um 8 oder 11 Uhr schla- fen geht oder was und wie lange er fernse- hen darf. Eltern verstehen sich als Freunde nicht als Begrenzer. Erziehung erschöpft Abb. 1 8 Seit Jahren beobachten Pädagogen, Psychologen und Mediziner eine alarmierende Zunah- me von psychischen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen. © Aamon/Fotolia 24 | Pädiatrie & Pädologie 5 · 2013 Originalien

Seelische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter

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Page 1: Seelische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter

Paediatr Paedolog 2013 · 48:24–27DOI 10.1007/s00608-013-0091-5© Springer-Verlag Wien 2013

B. ZündelGraz

Seelische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter

Seit Jahren beobachten Pädagogen, Psy-chologen und Mediziner eine alarmie-rende Zunahme von psychischen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Ju-gendlichen (. Abb. 1). Eng verbunden mit den kindlichen Symptombildern ist ein eklatanter Erziehungsnotstand in den Familien. Burnout der Eltern, Rückzug aus dem Erziehungsgeschehen und Ab-dankung als Eltern aus Hilflosigkeit sind oft die Folge.

Neue Studien (Robert Koch-Insti-tut und Ludwig-Maximilians-Universität München), in denen 18.000 Kinder über 3 Jahre beobachtet wurden, ergaben, dass jedes siebte Kind psychisch auffällig ist, je-der zehnte Bub zwischen 11 und 17 Jahren ein diagnostiziertes Aufmerksamkeitsde-fizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) aufweist und 80% der Gymnasiasten an psychosomatischen Störungen wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen leiden (Thimm 2011). Die Entstehung psychischer Auffälligkei-ten wird durch die Genetik, die die Vul-nerabilität bestimmt, den Erziehungsstil und die Umwelt (gesellschaftlicher Wan-del, Medien) beeinflusst.

Entwicklungen in der jüngeren Erziehungsgeschichte

In der Geschichte der Erziehung spiegelt sich der Zeitgeist einer Gesellschaft wi-der. Kennzeichnend für die Wirtschafts-wunderphase nach dem Zweiten Welt-krieg war die über Generationen gewach-sene traditionelle, autoritäre Erziehung mit Betonung auf Pflichtwerten wie Ver-antwortung, Verlässlichkeit und Disziplin.

Die entartete Form dieser Erziehungs-haltung, geprägt von Lieblosigkeit und Machtmissbrauch, wird „schwarze Päda-gogik“ genannt.

Es folgte der Egokult der 68er-Gene-ration mit der antiautoritären Bewegung. Freiheits- und Selbstverwirklichungs-werte mit den Leitwörtern Spaßoptimie-rung, Spontanität, Lebensgenuss, manch-mal bis zur Entgleisung in den narzissti-schen Befindlichkeitswahn, rückten in den Lebensmittelpunkt. Dass uneinge-schränkte Freiheit des Kindes per se zur Entwicklung eines sozialen, lebenstüch-tigen, selbstgesteuerten, gestaltungswilli-gen Menschen und somit zu einer gesun-den Gesellschaft führe, ist der ehrgeizigste Traum in der Geschichte der Pädagogik. Daraus entwickelte sich der heute in der

Kindererziehung vorrangige Erziehungs-liberalismus der Postmoderne.

Erziehungsliberalismus der Postmoderne

Einige Charakteristika seien genannt: Kinder werden zu Partnern gemacht und oft überfordert durch zu frühe Entlassung in die Selbständigkeit. Sie haben weitge-hende Entscheidungshoheit im alltägli-chen Leben, obwohl sie Konsequenzen ihres Verhaltens noch nicht antizipieren können – es gehört beispielsweise nicht in die Entscheidungskompetenz eines 7-Jährigen, ob er um 8 oder 11 Uhr schla-fen geht oder was und wie lange er fernse-hen darf. Eltern verstehen sich als Freunde nicht als Begrenzer. Erziehung erschöpft

Abb. 1 8 Seit Jahren beobachten Pädagogen, Psychologen und Mediziner eine alarmierende Zunah-me von psychischen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen.

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Page 2: Seelische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter

Abb. 2 8 Coping-Strategien

sich im Diskutieren und ziellosen Verhan-deln. (Einem 3-Jährigen kann man, wäh-rend man ihm den warmen Mantel mit Selbstverständlichkeit anzieht, einmal er-klären, warum das im Winter sein muss, aber nicht mit ihm über Sinn und Unsinn dieser Maßnahme diskutieren.)

Kinder erleben oft durch die Belie-bigkeit im Verhalten ihrer Eltern deren Schwäche und dadurch wenig Geborgen-heit und Orientierung. Oft bleibt die Ver-mittlung eines moralischen Kompasses aus. Ein Gutteil der Sozialisierung wird von den Medien übernommen. Sugges-tionen wie „Ein erfolgreiches Leben kennt keine Mühe“, „Macht das Leben keinen Spaß, kann das das Leben nicht sein“ so-wie hochaggressive respektlose Helden in Videos und Computerspielen beeinflus-sen den Lebensstil sowie das Sozial-, Ar-beits- und Konsumverhalten.

Bedrohungen, die von der realen ma-teriellen und sozialen Außenwelt ausge-hen, werden von den Eltern häufig maß-los überschätzt. Sie neigen zu übertrie-bener Risikovermeidung und sind bereit, alle Unannehmlichkeiten aus verwöh-nender Schonhaltung heraus vehement abzuwehren.

Grenzenloses impulsives Ausleben, Lust ohne Verantwortung und 24-h-Eu-phorie sind Erziehungsmaximen moder-ner Eltern, die von irrealen Ängsten vor seelischen Verletzungen ihrer Kinder ge-trieben sind. Das Ergebnis ist eine ver-

weichlichte seelische Verfassung des Kin-des, das oft auf harte Leistungsanforde-rungen trifft.

Ein weiterer Trend ist der Leistungs-drill vieler Eltern. Als wettbewerbstaug-lich wird ein Bildungsabschluss erst an-gesehen, wenn es sich mindestens um die Matura handelt. Zahlreiche Kinder wer-den an der Grenze ihrer kognitiven Fä-higkeiten beschult. Nicht selten sind Er-schöpfung oder ein „Totstellreflex“ mit Schulverweigerung die Negativfolgen chronischer Überforderung.

Je nach Persönlichkeit und Tempe-rament zeigen Kinder unterschiedliche Bewältigungsformen bei Überforderung (Coping-Strategien; . Abb. 2):F  Kinder, die das Defizit vertuschen

wollen und irritiert sind, reagieren eher depressiv-ängstlich, resigniert, mit Rückzug ins Schneckenhaus („graue Mäuse“).

F  Die Stabilen unter ihnen unterneh-men Fluchtversuche: Schulschwän-zen, Abdriften in die Phantasiewelt mit oft missbräuchlicher Verwendung von Computer und Fernsehen, psy-chosomatische Reaktionen („Träu-mer“).

F  Kinder, die gegen die Defizite an-kämpfen, reagieren bei vorherrschen-der Irritiertheit kompensatorisch hyperaktiv-rastlos, oft lästig („Wib-bler“) oder aggressiv („Piraten“).

F  Kinder, die mit einem eher besonne-nen Charakter ausgestattet sind, ver-suchen zum Ausgleich auf einem Wissensgebiet („Schlauis“) oder im Sport („Muckis“) zu glänzen (Betz 1998).

Auffälligkeiten und Erziehungsdefizite

Erziehungsbedingtes Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom

Erfahrungen aus der psychologischen Praxis und Diagnostik weisen darauf hin, dass die permissive Erziehung, meist ge-koppelt mit Reizüberflutung, durch ein kaum begrenztes Überangebot an medi-alen Stimuli wie Fernsehen, Computer und Mobiltelefon, eine wesentliche Ursa-che der Entwicklung einer ADHS-Symp-tomatik darstellt.

Beobachtbare Symptome sindF  Störungen der Impulskontrolle,F  Unfähigkeit, sich an Regeln zu halten,F  psychomotorische Unruhe,F  mangelnde emotionale Steuerung,F  Frustrationsintoleranz undF  fehlende Empathie mit dissozialem

Verhalten.

Außerdem zeigt sich eine auf Kleinkind-niveau persistierende unreife Psyche mit Negativauswirkungen auf die Schulreife, Arbeits- und Lebenstüchtigkeit.

Aufmerksamkeitsstörungen treten je-doch nur im Lernbereich auf, oft korre-lierend mit geringerem Durchhaltever-mögen sowie mangelnder Lern- und An-strengungsbereitschaft. Im Lustbereich sind diese Kinder sehr wohl gut konzent-rationsfähig.

Dekompensierte Zwangsstörung

Bei einer willensstarken kindlichen Grundpersönlichkeit mit deutlicher Nei-gung zu Sturheit, Perfektionismus und Veränderungsintoleranz wirkt die nach-giebige Erziehung als Nährboden für die Entwicklung facettenreicher dekompen-sierter Zwänge.

Beispiele für die vielen Gesichter der Zwänge sind

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F  das tyrannische Kind, das dickköp-fig an fixen Ideen festhält, wie etwas zu sein hat, das sozial dominant die Unterordnung anderer unter die eige-nen, oft abstrusen Vorstellungen kon-trolliert und auf unerfüllte Erwartun-gen überempfindlich, impulsiv, ag-gressiv, panisch imponierend oder dramatisch reagiert, z. B. eine 15-Jäh-rige, die allen Autoinsassen verbie-tet zu reden oder sonst einen Schrei-krampf bekommt;

F  das Kind, das aus übertriebenem Per-fektionismus mit aufgepfropften Ver-sagensängsten die Hausübung stun-denlang wegen Schreibblockaden nicht beginnen und beenden kann, weil Fehler als unerträglich erlebt werden.

Häufige Komorbiditäten sindF  Essmarotten (in der Buchstabensuppe

nur die Buchstaben des eigenen Vor-namens essen, sonst Essensverweige-rung),

F  Essstörungen,F  Tics,F  psychosomatische Beschwerden undF  hypochondrische Beschwerden.

Negatives Selbstbild

H. Omer von der Universität Tel Aviv weist, Bezug nehmend auf wissenschaft-liche Forschungen, u. a. auf ein geringes Selbstwertgefühl nichterzogener heran-wachsender Menschen hin. Dies ist auf einen Mangel an Erfahrung von Unver-meidbarkeitserlebnissen infolge permis-siv induzierter Schonhaltung zurückzu-führen („Du musst nur machen, wozu du bereit bist“).

Die gelungene Überwindung unaus-weichlicher Herausforderungen führt neben einer engeren Verknüpfung neuro-

naler Netzwerke im Gehirn zu einem Flow-Gefühl. Freude und Begeisterung stärken die Lernmotivation. Das Erle-ben von „Es war schwer, aber ich hab’s ge-schafft“ ist ein wichtiger Bestandteil eines positiven Selbstbilds.

„Das permissiv erzogene Kind steht nicht auf, sondern kriecht“ (H. Omer; Se-minar „Stärke statt Macht“, Graz 2010). Respektloser Umgang mit anderen, der oft als selbstbewusstes Verhalten miss-interpretiert wird, ist ein häufig beobacht-bares Symptom nachgiebiger Erziehung. Allgemein zugenommen haben Ängste und Depressionen. Leistungsabfall, emo-tionaler und sozialer Rückzug, Suchtver-halten, Gereiztheit, chronische Müdigkeit, psychosomatische Störungen wie Bauch-weh, Kopfweh oder Übelkeit sind, bei Per-sistieren der Symptomatik, Hinweise auf depressive Entwicklungen.

Störungsfokussierte psychologische Diagnostik

Für die Feststellung psychischer Stö-rungen mit pathologischer Wertigkeit ist eine umfassende testpsychologische Ab-klärung, durchgeführt von klinischen Psy-chologen, als Basis für eine seriöse Thera-pieplanung erforderlich. Zu den Eckpfei-lern einer oft multiprofessionellen Thera-pie gehören vorwiegendF  Elterncoaching und Erziehungsbera-

tung,F  eine medikamentöse Behandlung

durch den Arzt,F  die Veränderung von Rahmenbedin-

gungen, z. B. ein Schulwechsel,F  störungsspezifische Gruppen- oder

Einzeltherapie sowieF  Lerncoaching.

Was ist eine gesunde Entwicklung?

Wichtige Voraussetzung für eine gesun-de Entwicklung ist die Befriedigung zwei-er gleichwertiger Grundbedürfnisse des Kindes und Jugendlichen:F  Bedürfnis nach Bindung, Geborgen-

heit, Halt und OrientierungF  Streben nach Eigenständigkeit und

Selbstbestimmung

Letzteres wird in der modernen Pädago-gik oft maßlos überbewertet. Das heißt für die Erziehungspraxis, dass reichli-che Erfahrungen von mit Lob bekräftig-ter Selbstwirksamkeit durch altersadäqua-te Herausforderungen ermöglicht werden sollten, bei konstant einfühlsamem Schutz und kompetenter Führung durch die El-tern bis ins Erwachsenenalter.

Wie Ergebnisse aus der Hirnforschung fortwährend bestätigen, können auf die-ser Basis Metakompetenzen wie problem-lösendes, antizipierendes, flexibles Den-ken, Frustrationstoleranz, Impulskontrol-le, Einsicht, soziales Einfühlungsvermö-gen und Herzensbildung gelernt werden.

Nach E. Erikson verläuft die psychoso-ziale Entwicklung in Stufen, wobei Selbst-vertrauen und grundlegendes Vertrau-en in die Welt – das erste Entwicklungs-ziel im Alter von 0–2 Jahren – sich nur auf der Basis einer sicheren Bindung mit un-bedingter Geborgenheit vom ersten Tag an zu einer verlässlichen Bezugsperson, meist der Mutter, entwickeln können. Un-sicher gebundene Kinder haben oft für ihr Leben Probleme mit lösungsorientierter Krisenbewältigung, was mit einer früh-kindlichen Schädigung des neuronalen Systems der Stressverarbeitung einherge-hen kann (G. Roth, Der Spiegel 42/2001).

Die neue Autorität

Das Fehlen von Grenzen in der Erzie-hung erweist sich nicht weniger schädlich als die engstirnige Autoritätsausübung. Den Weg aus der Kultur des Nachgebens zeigt die „neue Autorität“, die Eltern wie-der zurück auf die Erziehungsbühne holt. Sie beschreibt Eltern, die sich in der gesell-schaftlich autorisierten Erziehungspflicht verankert fühlen, die Kindheit und Ju-gend als Entwicklungsphase anerkennen und bereit sind – von der Liebe zum Kind getragen – unaufgeregt und kompetent zu handeln.

Das entspricht im Wesentlichen den Kriterien des autoritativen Erziehungs-stils (D. Baumrind, 1971), der sowohl durch Wärme und Zuneigung als auch durch Lenkung und Kontrolle, je in aus-geprägtem Maße, gekennzeichnet ist.

H. Omer setzt mit der Begründung der „neuen Autorität“, die auf der Psycholo-gie des gewaltlosen Widerstands beruht,

Abb. 3 8 Neue autoritative Erziehung

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nicht nur erzieherische Maßstäbe für sehr schwierige Kinder und Jugendliche, son-dern auch für den normalen Erziehungs-alltag. Drei wichtige Bausteine, stets auf der Basis einer wertschätzenden Begeg-nung dem Kind und Jugendlichen gegen-über, werden hervorgehoben.

Elterliche Präsenz. Elterliche Verfügbar-keit und Fürsorge mit wachsamer Sor-ge, offener Aufmerksamkeit und Kom-munikation. „Ich bin da. Ich weiß, wo du bist. Ich weiß, mit wem du zusammen bist und was du tust.“ Eltern erkennen Not-signale, fokussieren ihre Aufmerksamkeit und intervenieren, wenn notwendig, auch wenn das Kind die Maßnahme nicht ein-sieht oder der Jugendliche in den Wider-stand geht.

Elterliche Handlungskompetenz. „Ich kann handeln. Ich lasse mich nicht ab-schütteln, auch wenn es nicht harmonisch zugeht. Ich bleibe bei dir, weil es meine Pflicht ist, und handle, wenn ich es für notwendig halte.“ Dazu gehört auch be-harrliches Bestehen auf einer Wiedergut-machung bei sozial unverträglichem Ver-halten, wodurch die Beziehung wieder-hergestellt wird.

Vernetzung. „Ich kann mich vernetzen. Ich hole mir Hilfe, wenn ich ein Prob-lem habe.“ Transparenz und breite Unter-stützung durch Freunde, Verwandte und Fachleute als wichtige Faktoren elterli-cher Kraft

Ein ebenso den autoritativen Erzie-hungsmaßstäben entsprechendes, be-währtes, empirisch gut abgesichertes Er-ziehungskonzept nach Triple P („positive parenting program“) geht auf M. Sanders von der University of Queensland zurück. Es unterstützt Eltern in ihrer pädago-gischen Aufgabe mit praxisnahen, stress-reduzierenden Erziehungshilfen. Das Konzept beruht auf 5 Grundprinzipien:F  Für sichere und interessante Umge-

bung sorgenF  Anregende Lernatmosphäre schaffenF  Sich konsequent verhaltenF  Realistische Erwartungen entwickelnF  Auch die eigenen Bedürfnisse beach-

ten

Darauf aufbauend werden Erziehungs-fertigkeiten vermittelt: Nähe leben, Zu-neigung zeigen, miteinander reden, wert-volle Zeit verbringen, beschreibend loben, Aufmerksamkeit schenken, ein gutes Vor-bild sein und auch Regeln aufstellen, kla-re, ruhige Anweisungen geben, Anwen-dung von Konsequenzen bei Regelverlet-zungen oder unerwünschtem Verhalten, Anleitung für Time-out.

Auch Triple P zielt im Rahmen eines konstruktiven, nicht verletzenden Um-gang mit dem Kind auf die Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheit und sozialen Kompetenz ab. Ebenso ganz in diesem Sinne setzt das neue Buch der Initiative Elternschule mit praxisnahen Tipps und Tricks für den Erziehungsall-tag auf die Stärke der Eltern.

Nach dem Untergang der traditionellen Autorität und dem Scheitern des permis-siven Traums (H. Omer) ist die neue Au-torität ein Versuch, gemäß den Werten unserer offenen Gesellschaft den Bedürf-nissen des heranwachsenden Menschen nach liebevollem Geleitetsein gerecht zu werden.

Korrespondenzadresse

Dr. B. ZündelPlüddemanngasse 107a/3/7, 8042 GrazÖ[email protected]

B. Zündel Dr. Beate Zündel, klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, geboren 1953 in Graz, verheiratet, 3 Kinder. Studium der Psychologie und Pädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz; 2003 Ausbildung zur Triple-P-Trainerin; Veröffentlichung von Fachartikeln in Zeitschriften; Vortragstätigkeit zum Thema Elternschaft und Erziehung; Mitarbeit im Pflegeelternverein Steiermark von 1985 bis 1990 und im Institut für Familienfragen von 1990 bis 2006; Teammitglied des Vereins Initiative Elternschule Steiermark; seit 2005 private Praxis für psychologische Diagnostik und Erziehungscoaching in Graz.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. B. Zündel gibt an, dass kein In-teressenkonflikt besteht. Dieser Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. Betz D, Breuninger H (1998) Teufelskreis Lernstö-rungen. Urban & Schwarzenberg, München

2. Oerter R, Montada L (Hrsg) (2002) Entwicklungs-psychologie. Lehrbuch. Beltz, Weinheim

3. Hüther G (2011) Was wir sind und was wir sein könnten. S. Fischer, Frankfurt

4. Omer H, Schlippe A von (2010) Stärke statt Macht. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

5. Streit P, Brunner-Hantsch M (Hrsg) (2011) Das 5×5 der Elternschule. Verlag für Kind, Jugend und Fa-milie, Graz

6. Thimm K (2011) Kinder in Bedrängnis. Spiegel, Ausgabe 42

7. Winterhoff M (2010) Persönlichkeit statt Tyrannen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

8. de.wikipedia.org/wiki/Erziehungstil 9. http://www.tesya.de/grafik/Vortrag_Omer.pdf10. http://www.de.wikipedia.org/wiki/Triple_P

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