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Selbstläufer Demokratie?

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Was über viele Jahrzehnte selbstverständlich erschien, die repräsentative Demokratie, gerät mehr und mehr in die Kritik. Hat die Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche auch die Fundamente der Demokratie unterspült, wie Richard David Precht in der neuen Ausgabe ausführt?

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SELBSTLÄUFERDEMOKRATIE?

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Frank AugustinChefredakteurFrank AugustinChefredakteur

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Foto: ! Janusch Tschech

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03 Editorial

06 Prolog

08 Parallaxe Demokratie – im Bann des Riesen

12 Ökonomische ! eorien Liberalismus – Wegweiser zu einer menschenkonformen Demokratie?

18 Philosophische Perspektive Der Mensch und die Demokratie

24 Harald Schumann Wirtschaftliche Macht und Demokratie

30 Bettina Gaus Das Ende der Demokratie. Ein Kommentar

34 Werner Goldschmidt Experten – der neue Adel? Die parlamentarische Demokratie in der Krise

40 Andreas Jurowich Die Geschichte der Demokratie

46 ! omas Krüger / Katharina Donath Kunst und Demokratie

52 Oliver Flügel-Martinsen Die angegri! ene Demokratie. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung demokratischer Emanzipationspolitik

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58 Eine Diskussion mit Jón Gnarr, Christian Mäntele, Richard David Precht und Óttar Proppé – moderiert von Annette Brüggemann Wie Demokratie wirklich wird

74 Speakers’ Corner

78 Portrait Jean-Jacques Rousseau

86 Gedankenspiele

88 Zahlenspiele

90 Impressum

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8 DEMOKRATIE ! IM BANN DES RIESEN

Don Quijote – wer kennt ihn nicht, den „Ritter von der traurigen Gestalt“ und Protagonisten aus Miguel de Cervantes’ gleichnamigem Roman. Dieser unverbesserli-che Weltverbesserer kämpfte mit Pferd und Lanze gegen Riesen, die sich als Windmühlen entpuppten. „Dort stehen dreißig und noch mehr ungeheure Riesen! Ich werde ihnen entgegenreiten, und mit ihnen kämpfen auf Leben und Tod!“, ruft er, während er in beißendem Galopp Kurs auf die Windmühlen nimmt.

Illustration: Bettina Krestel

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9DEMOKRATIE ! IM BANN DES RIESEN

Wer ist hier verrückt?

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12 LIBERALISMUS ! WEGWEISER ZU EINER MENSCHENKONFORMEN DEMOKRATIE?

Liberalismus wird oft mit einer Politik der Deregulierung der Märkte gleichgesetzt. Ursprünglich jedoch entstammt der Liberalismus der Auseinandersetzung mit Feuda-lismus und Aristokratie. Insofern geht der klassische politische Liberalismus Hand in Hand mit demokrati-schen Prinzipien. In Zeiten der Neooligarchie wäre es eine Überlegung wert, wieder einmal einen liberalen Gesellschaftsentwurf zu wagen.

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13LIBERALISMUS ! WEGWEISER ZU EINER MENSCHENKONFORMEN DEMOKRATIE?

„Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie. Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments. Insofern werden wir Wege "nden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist (…).“

Illustration: Patricia Aline Höchtl

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34 EXPERTEN ! DER NEUE ADEL?

Die wachsende Komplexität der global vernetzten Finanzwirtschaft und die zunehmende Undurchsichtigkeit ihrer Funktionsweise führen zu einem steigenden Bedarf an Expertenwissen. Dabei ist weniger das Faktum bedenklich, dass wir auf Expertenmeinungen angewiesen sind, sondern vielmehr ihr unantastbarer Status und die Art und Weise, wie diese zustande kommen.

EXPERTEN ! DER NEUE ADEL?DIE PARLAMENTARISCHE DEMOKRATIE IN DER KRISE

Illustration: Katarina Kandlin

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3535EXPERTEN ! DER NEUE ADEL?

„Expertokratie“ als Ausweg aus der Krise?

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40 DIE GESCHICHTE DER DEMOKRATIE

Attische Demokratie Griechenland 508–322 v. Chr.

demoskratein

509 v. ChrRÖMISCHE REPUBLIK

508 v. ChrATTISCHE

DEMOKRATIE

2

1 2

DIE GESCHICHTEDER DEMOKRATIEDas Streben der Menschen nach politischer Mitbestimmung ist so alt wie die Zivilisation selbst. Die Versuche, beste-hende Herrschaftsstrukturen aufzubrechen und die Macht kleiner Eliten zu beschränken, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Die dargestellten Ereignisse lassen sich jedoch oft nicht mit dem heutigen Demokratiebegri! vereinbaren. Beispielsweise waren im alten Griechenland Frauen von Abstimmungen ausgeschlos-sen und in zahlreichen frühdemokratischen Systemen wurde nach dem Zensuswahlrecht (das Wahlrecht hing vom Einkommen ab) gewählt. Trotzdem verbindet die aufgeführten Ereignisse der Versuch, mehr Gleichberechtigung und Mitbestimmung zu scha! en, als es zuvor der Fall gewesen war.

Illustrationen: Katarina Kandlin

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41DIE GESCHICHTE DER DEMOKRATIE

Aufstand der Wollarbeiter in Florenz 1378

930ALTHING ISLAND

bis 979 rückverfolgbarTYNWALD, ISLE OF MAN, DAS ÄLTESTE DURCHGÄNGIG AKTIVE PARLAMENT DER WELT

12. Jh.ITALIENISCHE STADTSTAATEN

1291GRÜNDUNG DER ALTEN

EIDGENOSSENSCHAFT IN DER SCHWEIZ

7

3 4 5 6

Althing Island 930 3

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KUNST UND DEMOKRATIE46

Direkt hinter dem U-Bahnhof Oranienburger Tor in Berlin Mitte prangt auf der grauen Wand hinter einer Brache ein riesiges Gra!ti-Bild. Von Blumen umrahmt, ist darauf ein überdimensionaler brasilianischer Fußballspieler in Aktion zu sehen – ganz klein darunter ein Logo des Nike-Konzerns. Was auf den ersten Blick Straßenkunst zu sein scheint, entpuppt sich auf den zweiten als clevere Marketingstrategie. Ist das die Kunst in demokratischen Gesell-schaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Wenn ja, dann kann es um das Verhältnis von Demokratie und Kunst nicht zum Besten stehen.

Illustration: Katarina Kandlin

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KUNST UND DEMOKRATIE 47

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v.l.n.r.: Christian Mäntele, Óttar Proppé, Annette Brüggemann, Jón Gnarr , Richard David Precht.

WIE DEMOKRATIE WIRKLICH WIRD

E ine Diskuss ion mit Jón Gnarr , C hristian Mäntele , Richard David Precht und Óttar Proppé , moder ier t von Annette Br üg gemann

Fotos: Janusch Tschech

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Am 2. Juli 2012 hat die agora42 gemeinsam mit der Stuttgarter Initiative „die AnStif-ter“ zu der Veranstaltung „Wir sind Demokratie“ eingeladen. Dort diskutierten der Oberbürgermeister von Reykjavík, Jón Gnarr, der Gründer der Initiative Meisterbürger, Christian Mäntele, der Bestsellerautor und Mitherausgeber der agora42, Richard David Precht, und der bekannteste Punkrock-Musiker Islands, Óttar Proppé, über die Frage, wie und von wem Demokratie in Zukunft gestaltet werden soll. Wir haben für Sie den Abend in Auszügen zusammengefasst.Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei der Initiative „die AnStifter“ bedan-ken, ohne die diese Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre, beim !eaterhaus Stutt-gart für die unkomplizierte Zusammenarbeit, bei Annette Brüggemann für die Modera-tion und bei Max François für die Darbietung seines Liedes „Auf Wiedersehen“.

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Auf der Bühne ein Barhocker, eine Gitarre, ein Mikrofon. Licht im Saal aus, Spot an. Max François betritt die Bühne und erö!net die Veranstaltung mit seinem Lied „Auf Wiedersehen“:

I. Akt

zwischen anarchie und kapitalismusziehen wir uns an raufen uns zusammensuchen einen weg zur autonomiewir wollen alles sofort haben aber nichts ewig haltenziehen uns zurück in lebensphantasienglauben an das glück wollen es aber nicht akzeptieren

manchmal lohnt es sichgegen windmühlen zu kämpfenund zu verlieren

auf wiedersehen, auf nimmermehrbin ausgestiegen, bin hängen gebliebenall das zu sehen, nichts zu verstehenmacht mich nervös, macht mich nervös

zwischen fernsicht und einsicht stecken wir festzwischen hauptspeise und nachtisch haben wir den tisch verlassengehen lieber direkt über zum sinnlosen besäufnisdenn berauscht sehen wir die dunklen ecken etwas heller

manchmal lohnt es sichgegen windmühlen zu kämpfenund zu verlieren

auf wiedersehen, auf nimmermehrbin ausgestiegen, bin hängen gebliebenall das zu sehen, nichts zu verstehenmacht mich nervös, macht mich nervös!

Max François. Sein Lied anhören unter: http://maxfrancois.bandcamp.com/track/auf-wiedersehen

Wolfram Bernhardt

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Das Stichwort „Windmühlen“ aufnehmend, übernimmt Wolfram Bernhardt von der agora42 den Platz am Mikrofon, um einige einleitende Worte zu sprechen:

II. Akt

Der Kampf gegen Windmühlen: Wer denkt dabei nicht an den „Ritter von der traurigen Gestalt“, Don Quixote. Die-ser unverbesserliche Weltverbesserer kämpfte mit Pferd und Lanze gegen Riesen, die sich als Windmühlen entpuppten (…).In gewissem Sinne be!nden wir uns in einer ähnlichen Situation wie Don Quixote. Mit dem Unterschied, dass wir tatsächlich von Riesen umgeben sind. Riesen, die sich als Windmühlen tarnen und die wie von unsichtbarer Hand angetrieben werden. Und wie Don Quixote werden auch hierzulande diejenigen belächelt, die die Riesen nicht nur erkennen, sondern sich ihnen in den Weg stellen. Die davor warnen, die Monster, die das eigene Leben bedrohen, zu füt-tern, anstatt sie zu bekämpfen.Die Riesen beim Namen zu nennen, fällt den meisten nicht schwer. Die Ungleichverteilung von Macht, Vermögen und Lebenschancen, die im Zuge der sogenannten Krise immer größer geworden ist, ist sicherlich am einfachsten zu iden-ti!zieren. So erklärte die amerikanische Satirezeitschrift "e Onion unlängst die Kluft zwischen Arm und Reich zum achten Weltwunder, da sie inzwischen soweit auseinander-kla#e, dass sie schon vom Orbit aus zu sehen sei. Aber auch die Frage des Kabarettisten Erwin Pelzig ist berechtigt: „Ich möchte mal wissen, warum man bei den Sparpaketen jetzt immer von den vielen holt, die nichts haben, und nicht bei den wenigen, die alles haben. Und warum das andere unge-

recht wäre, denn so, wie es jetzt gehandhabt wird, ist es ja auch ungerecht. Wenn es o#enbar nicht ohne Ungerechtig-keit geht, wäre es dann nicht gerechter, wenn man die Unge-rechtigkeit dann auf möglichst wenige verteilt, dies aber möglichst gerecht?“Es ist ein Gemeinplatz, dass dies eine unakzeptable Ent-wicklung darstellt und deshalb könnte die Politik auf eine derart breite Unterstützung im Volk zählen wie selten zuvor, um notwendige Einschnitte und Reformen durchzuführen. Und doch lässt man diese Chance verstreichen. Der Souve-rän – das Volk, das der Politik ihre Legitimität verleiht – ver-liert seine Stimme, und sein Recht zur Mitsprache wird ihm abgesprochen. Stattdessen regieren eine legitimitätsbefreite Politik und Heerscharen von Experten und Spezialisten, die versuchen, einer von angeblichen Sachzwängen dominierten Welt Herr zu werden.Dient die Sachzwang-Rhetorik vielleicht dazu zu verschlei-ern, dass inzwischen die Regierenden den Glauben daran verloren haben, dass man als mündiger Bürger, als souve-ränes Volk selbst Herr über seine Geschicke ist? Oder sind sie tatsächlich von der wirtschaftspolitischen Alternativlo-sigkeit überzeugt und halten unsere Technokratie aus Über-zeugung am Leben?Wie dem auch sei – heute wollen wir uns Gedanken machen, was es für uns bedeutet, wenn WIR unsere Rolle als Souve-rän dieses Landes zurückfordern.

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Meisterbuerger.org ist eine Plattform für Bürgerbeteiligung in Stutt-gart. Meisterbürger sind alle für ihr Gemeinwesen engagierte Bürger. Die Vorgänge rund um Stuttgart 21 haben die gängige politische Pra-xis für viele Menschen diskreditiert. Die Spaltung der Bürgerschaft warf die Frage nach der Zukunft der Stadt auf. Vor dem Hintergrund der in 2012 anstehenden Oberbürgermeisterwahl entstand die Idee, eine Bürgerplattform aufzubauen, die ohne Zwang zum Konsens und trotzdem verbindend für die Durchsetzung der Bürgerinteressen ein-tritt. Ziel ist es, der Bürgerschaft das Mandat zurückzugeben, das sie an Politik und Wirtschaft abgegeben hat. (http://meisterbuerger.org)

Die Beste Partei – Besti Flokkurinn- Beginn der aktiven Phase der Partei: Januar 2009- Gründer und Frontmann: Jon Gnarr- keine Parteimitglieder, nur Sympathisanten- zum Wahlprogramm gehörte der Slogan: „nachhaltige Transparenz“- für ihren legendären Wahlspot bekam die „Beste Partei“ von Tina Turner die Lizenz, ihren Song „Simply The Best“ zu verwenden- Sieg bei den Kommunalwahlen am 29.05.2010, seitdem im Stadtrat vertreten mit sechs von 15 Sitzen und Jon Gnarr als Oberbürgermeister

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AB: Unser erster Gast hat das Unmögliche möglich gemacht. Aufgewachsen ist er auf einer kleinen Insel mitten im Nordatlantik: Island. Als ich am 29. Mai 2010 in einem Reykjavíker Wohnzimmer saß und mir die Berichterstattung zu den Kommu-nalwahlen anschaute, sah ich bestürzte Gesichter, überraschte Gesichter – und nur einen, der lachte: den Comedian Jón Gnarr. Er hatte mit seinen Künstlerfreunden die Beste Partei gegründet und rief an besagtem Abend mit Siegerpose in die Kame-ras: „Welcome to the Revolution!“ Er hat es als Bürger gemeistert. Begrüßen Sie mit mir den amtierenden Bürgermeister von Reykjavik, Jón Gnarr!Jón Gnarr hat einen Überraschungsgast mitgebracht. „Ich kann mich entspannen, wenn ich sehr laut Punkmusik spiele. Ich glaube, das wäre sehr hilfreich für viele andere Politiker“, behauptet Óttar Proppé. Er ist der bekannteste Punkrock-Musi-ker Islands und derzeit Bildungsdezernent von Reykjavík. Begrüßen Sie mit mir Óttar Proppé!„Mir passt nicht, dass Bürger nur Bittsteller sind“, sagt Christian Mäntele. Er hat Politikwissenschaften studiert und war viele Jahre in der Unternehmensberatung tätig. Jetzt ist er mit Herzblut engagiert für die Initiative Meisterbürger. Herzlich willkommen, Christian Mäntele!„Wir sollten überlegen: Wer regiert uns, und was für Bürger braucht es?“ Mit seinen Fragen hält er uns den Spiegel vor und macht das, was viele seiner Zunft nicht mehr machen – als Philosoph mischt er sich leidenschaftlich in die politischen Debatten ein. Es ist mir eine große Ehre, dass er heute Abend da ist: Richard David Precht!

Annette Brüggemann betritt die Bühne und stellt die Teilnehmer der Diskussions-runde vor:

III. Akt

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Jón Gnarr, Sie sind heute mit Ihrer Frau Jóga und Ihrem siebenjährigen Sohn Nonni gekommen. Stellen Sie sich vor, Ihr Sohn würde sagen: „Papa, ich möchte auch Bür-germeister werden.“ Was würden Sie ihm raten?

AB: Herr Mäntele, Sie haben voll und ganz umgesattelt und engagieren sich derzeit ausschließlich für die Meisterbürger. Was war der Auslöser?

AB: Herr Precht, wenn Sie an Ihren Sohn Oskar denken, der jetzt neun Jahre alt ist, wie würden Sie ihm erklären, wie eine gute Demokratie funktioniert?

!eaterhaus Stuttgart Die Diskussionsrunde sowie die beiden Dolmetscher Sabine Leskopf und Gauti Kristmannsson

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7878 JEAN!JACQUES ROUSSEAU

Frage: Monsieur Rousseau, erstaunt oder betrübt Sie das geringe Medienecho zu Ihrem 300. Geburtstag nicht?Rousseau: Weit entfernt davon, erstaunt zu sein, dass man sich auch an meinem 300. Geburtstag kaum an mich erin-nert, so betrübt mich dies ebenfalls keineswegs. Denn was ich am meisten gefürchtet hatte, war, dass man mich ebenso folgenlos abfeiert wie beispielsweise Johann Wolfgang Goe-the – er blieb mir während seines gesamten Lebens treu verbunden – im Jahre 1999. Das kulturelle Gedächtnis ist häu"g nichts anderes als das Feuerwerk einer Erinnerung, die im Augenblick ihres Leuchtens erlischt.Frage: Vermutlich halten Sie Ihre Kritik der Zivilisation aufrecht?Rousseau: Nichts ist für mich so gewiss wie der Niedergang der Menschengattung. Die Staaten konkurrieren weiterhin mit Betrugskonstruktionen internationaler Abkommen

Illustration: Bettina Krestel

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79JEAN!JACQUES ROUSSEAU

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8282 JEAN!JACQUES ROUSSEAU

Confessions

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Rousseaus erste Begegnung mit Mme de WarensIllustrationen: Maurice Leloir für "Les Confessions" (Verleger: Launette, 1889)

83JEAN!JACQUES ROUSSEAU