Skriptum: Grundzüge der empirischen Sozialforschung

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Das von Prof. Joachim Nemella empfohlene Skript zur Lehrveranstaltung "Grundzüge der empirischen Sozialforschung" (231.134). Powered by VSStÖ Linz.6. Auflage, Wintersemester 2011/12

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Grundzge der empirischen Sozialforschung

STUDIERENDENSKRIPTUMzur Lehrveranstaltung von Dr. Joachim Nemella an der Johannes Kepler Universitt Linz 6. Auflage, Wintersemester 2011/12 verfasst von Katharina Siegl

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Mario Dujakovic VSStVorsitzender

Alina Stummer (Soz) VSStGeschftsfhrerin

Denise Rudel (Soz) VSSt Soz Gruppe

Corinna Kovac (SozWi) IKSVorsitzende

Gerhard ller (SozWi) IKSGeschftsfhrer

HerausgeberInnen: Verband sozialistischer StudentInnen Linz, 4040 Linz, JohannWilhelmKleinStrae 72, Tel.: 07024 38 58, EMail: of [email protected]. Verfasserin: Katharina Siegl; gegengelesen von Ass.Prof. Dr. Joachim Nemella; Layout: Mario Dujakovic; Produktion: Verband sozialistischer Student_innen Linz; Stand: September 2011.

EINFHRENDE LITERATUR

> ATTESLANDER, Peter: Methoden der empirischen Sozialforsc hung, 7. Auflage oder hher, Berlin/New York 1993 > BEHNKE, J./BAUER, N./BEHNKE, N.: Empirsche Methoden der Politikwissenschaft, Paderborn 2006 > DENZ, Hermann: Grundlagen einer empirischen Soziologie, Mnster 2003 > DIEKMANN, Andreas: Empirische Sozialforschung, Reinbek 1999 > FRIEDRICHS, Jrgen: Methoden empirischer Sozialforschung, Opladen 1980 > GIRTLER, Roland: Methoden der qualitativen Sozialforschung, Wien/Kln 1992 > HOLM, Kurt (Hrsg.): Die Befragung, Band 1 und 2, UTB > KROMREY, Helmut: Empirische Sozialforschung Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung, 9. Auflage, Opladen 2000 > LAMNEK, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, Band 2, 3. Auflage, Weinheim 1995 > MAYNTZ, Renate/HOLM, Kurt/HBNER, Peter: Einfhrung in die Methoden der empirischen Soziologie, Opladen 1969 > SCHNELL/HILL/ESSER: Methoden der empirischen Sozialforsc hung, Mnchen 1999

INHALTSVERZEICHNIS1. Grundlagen und Begriffe ...........................................................................................................................7 1.1. Empirische Sozialforschung.............................................................................................................7Grundfragen der empirischen Sozialforschung Wissenschaftliche Beobachtung vs. Alltagsbeobachtung Ziele sozialwissenschaftlicher Forschung Beispiel: Evaluationsstudie

1.2.

Theorien und Hypothesen ............................................................................................................ 10Geltungsansprche von Theorien Exkurs: Wissenschaftstheoretische Aspekte und Funktionen von Theorien Kriterien fr Hypothesen

1.3.

Der Operationalisierungsvorgang ................................................................................................ 12Reliabilitt und Validitt von Messinstrumenten Variable Eigenschaften von Variablen Beispiel: Fragebogen Messen und Messniveaus

2. Forschungsablauf und Forschungsdesign .............................................................................................. 16 2.1. Phasen des Forschungsablaufs ..................................................................................................... 16Phase I: Problembenennung Phase II: Planung des Forschungsdesigns und Konstruktion der Erhebungsinstrumente Phase III: Durchfhrung Phase IV: Auswertung und Analyse Phase V: Berichterstattung Untersuchungstypen sozialwissenschaftlicher Forschung

2.2. 2.2.

Forschungsdesign .......................................................................................................................... 19Lngsschnittuntersuchungen Sekundranalyse Experimentelle Anordnung

Werturteile in der empirischen Sozialforschung ......................................................................... 21Exkurs: Positivismusstreit

3. Auswahlverfahren und Stichprobenkonstruktion .................................................................................23Gallup gegen Literary Digest

3.1. 3.2.

Grundbegriffe ................................................................................................................................ 24 Wahrscheinlichkeitsauswahl ......................................................................................................... 25Zufallsstichproben (random samples) Das Gesetz der groen Zahl Begriffsdefinitionen: Mittelwert, Streuung, Varianz, Standardabweichung Stichprobenfehler Berechnung des Vertrauensintervalls Exkurs: Sonntagsfragen, Gewichtungen, Reprsentativitt von Stichproben Wahrscheinlichkeitsauswahl

3.3.

Bewusste Auswahl .........................................................................................................................29Quotaverfahren

4. Die Befragung ........................................................................................................................................... 33 4.1. Befragung: Begriffsbestimmung und Konstruktionsregeln ...................................................... 33 4.1.1. Standardisierung............................................................................................................................34Typen der Befragung Qualitative Interviews Leitfadeninterviews Standardisierte Befragung Fragetypen nach Art der Fragen Fragetypen nach dem Messniveau Frageformen: offen und geschlossen Suggestive Fragen Beispiel: Antwortverzerrungen durch Argumente

4.1.2. Verschiedene Kommunikationsarten ........................................................................................... 37Persnliche, mndliche Befragung Grundregeln der Frageformulierung Dramaturgie der Befragung Postalische Befragung Telefonische Befragung

4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3.

Skalen und Indizes ........................................................................................................................ 41 Realitt Begriff Definition ...................................................................................................... 41 Direktes Messen vs. Indikatoren .................................................................................................. 41 Skalierungsverfahren: Grundlegendes.........................................................................................42Direkte vs. indirekte Messung Multiple Indikatoren Konstruktion von Indizes Beispiele indirekter Messungen: Der Big Mac Index

4.2.4. Techniken fr Skalierungsverfahren ............................................................................................45Rangordnungen und Paarvergleich Polarittsprofil Summierte Einschtzungen: Die Likert-Skala Beispiel: Likert-Skala Skalierung nach Guttman ideales und realistisches Antwortverhalten Exkurs: Kulturelle Eigenheiten

4.2.5. Methoden der Gltigkeitsermittlung von Skalen .......................................................................50 4.3. Befragung: Erste Schritte der Auswertung ................................................................................. 51Schematischer berblick zur Behandlung quantitativer Daten

4.3.1. Codierung der Fragen ................................................................................................................... 51Beispielfragebogen Datenmatrix

4.3.2. Eindimensionale Datenauswertung ............................................................................................. 53Eindimensionale Hufigkeitsverteilung Lagemae Streuungsmae

4.3.3. Zweidimensionale Analysen ......................................................................................................... 55Kontingenztabelle Beispiel: Bierkonsum im Geschlechtervergleich berprfung der Signifikanz Chi-Quadrat-Test Assoziationsmae: Wie gro ist der Zusammenhang Scheinkorrelationen Kausalzusammenhnge

5. Die Beobachtung ...................................................................................................................................... 61 5.1. 5.2. Beobachtung: Grundlagen ............................................................................................................ 61Alltagsbeobachtung vs. wissenschaftliche Beobachtung Systematik wissenschaftlicher Beobachtung Ziele der Beobachtung

Arten von Beobachtungsmethoden .............................................................................................62Partizipationsgrad im Feld Dimensionen und Formen der Beobachtung Charakteristika der teilnehmenden Beobachtung Offene und verdeckte Beobachtung Protokollierung Beispiel: Beobachtung an der Imbissbude Kriterien fr systematisches Beobachten Beobachtungsformen: Zusammenfassung Diskrepanzen zwischen Beobachtung und Befragung Distanzierung und Identifizierung Going Native

5.3.

Probleme wissenschaftlicher Beobachtung .................................................................................68 Die Arbeitslosen von Marienthal ..................................................................................................68

6. Inhaltsanalyse ........................................................................................................................................... 71 6.1. 6.2. 6.3. Gegenstand und Ziele der Inhaltsanalyse.................................................................................... 71Quellen fr Inhaltsanalysen Semiotik: Ziele der Inhaltsanalyse Forschungsdesign Vorteile der Inhaltsanalyse Reduktion der Komplexitt Beispiel: Untersuchung politischen Wertewandels Anforderungen an ein Kategoriensystem Gtekriterien der Inhaltsanalyse: Reliabilitt und Validitt

Ablauf der Inhaltsanalyse ............................................................................................................. 74 Qualitative und quantitative Inhaltsanalyse................................................................................ 76Qualitative vs quantitative Inhaltsanalyse? Verfahren der quantitativen Inhalts analyse Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse - QDA: Qualitative Datenanalyse (computergesttzt) QDA: die virtuelle Karteikarte QDA: Codierungsprozess

7. Weitere Untersuchungsverfahren: Soziometrie, Interaktionsanalyse, Experiment und nicht-reaktive Verfahren ..........................................................80 7.1. Soziometrie ....................................................................................................................................80Bedingungen fr soziometrische Verfahren Einsatzgebiete fr Soziometrie Verfahren der Soziometrie Mgliche Konstellationen in Gruppen Individuelle Indizes Gruppenindizes

7.1.1. Soziogramm ................................................................................................................................... 81 7.1.2. Soziomatrix ....................................................................................................................................82 7.2. 7.3. Interaktionsanalyse nach Bales ....................................................................................................83Kategorisierung von Interaktionen nach Bales Probleme

Experiment.....................................................................................................................................84Kausalitt Die Millschen Regeln der Kausalanalyse Experimentelle Anordnung Strfaktoren Probleme des Experiments

7.4. Nichtreaktive Verfahren ...............................................................................................................87 7.4.1. Feldexperiment ..............................................................................................................................87Beispiele 1: Mnzfund und Hilfeleistung Beispiel 2: Aggression im Straenverkehr Andere Feldexperimente Beispiel 1: Pizzakonsum im Weien Haus Beispiel 2: Ausleihziffern in Bibliotheken Weitere Beispiele fr Erhebung von Verhaltensspuren

7.4.2. Verhaltensspuren ...........................................................................................................................89

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE

7Im ersten Kapitel werden vor allem folgende Begriffe eingegrenzt und erklrt: empirische Sozialforschung wissenschaftliche Beobachtung Ziele sozialwissenschaftlicher Forschung Theorien & Hypothesen Kriterien fr Messinstrumente Variable Mess- bzw. Skalenniveaus

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE1.1. Empirische Sozialforschung

Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung zialer Erscheinungen.

so-

Empirisch bedeutet erfahrungsgem: Sozialwissenschaften sind im Wesentlichen Erfahrungswissenschaften. Theoretisch formulierte Annahmen werden an spezifischen Wirklichkeiten berprft. Systematisch weist darauf hin, dass diese berprfung nach Regeln erfolgt. Die whrend des gesamten Forschungsablaufs eingesetzten Methoden der Datenauswahl, erfassung und auswertung mssen intersubjektiv, also fr andere Personen (WissenschafterInnen, AuftraggeberInnen, etc.) nachvollziehbar sein. SozialeErscheinungen sind beobachtbares menschliches Verhalten von Menschen geschaffene Gegenstnde durch Sprache vermittelte Einstellungen und Absichten Es knnen nur Ausschnitte aus der sozialen Realitt empirisch erfasst werden, deshalb sind die Forschungsfragen entsprechend einzuschrnken: zeitlich:WelcherZeitraumwirduntersucht?WannistdasErgebnisgltig? rumlich:InwelchemGebietwirduntersucht?WoistdasErgebnisgltig? sachlich:Wasgenauwirduntersucht?WoraufistdasErgebnisbertragbar?

Empirisch

Systematisch

Soziale Erscheinungen

Grundfragen der empirischen SozialforschungEs ist unmglich, die soziale Wirklichkeit insgesamt sinnesmig wahrzunehmen. Fassbar sind immer nur Ausschnitte, und die Ausschnitte werden erst sinnvoll, wenn sie systematisch und theorieorientiert erhoben werden. 1. Was soll erfasst werden? Der Untersuchungsgegenstand wird spezifiziert: Welcher Ausschnitt der sozialen Wirk lichkeitsollerhobenwerden?

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

2. Warum soll etwas erfasst werden? Diese Frage bezieht sich auf den Entstehungs und Verwertungszusammenhang: Was istdasZielderUntersuchung?Wodurchistsiemotiviert,wersinddieAuftraggeberInnen? Wirdsiespterpubliziert?(Publikation,Pressebericht,zurnicht-ffentlichenVorlagebei den AuftraggeberInnen, z.B. Unternehmen oder Parteien) 3. Wie soll etwas erfasst werden? WiesollendieDatenerhobenundausgewertetwerden?

Gegenstand der empirischen Sozialforschung

Gegenstandsbereich der empirischen Sozialforschung ist die soziale Wirklichkeit. Je nachdem, was untersucht werden soll, gibt es bestimmte Methoden, die sich dafr beson ders eignen. In den spteren Kapiteln wird darauf genau eingegangen. Diese Grafik dient der ersten bersicht:

Soziale WirklichkeitProdukte menschlicher Ttigkeit aktuelles menschliches Verhalten Verhalten in natrlichen Situationen offenes Verhalten Gesprche ber ... Verhalten im Labor

Methoden

Inhaltsanalyse

Beobachtung

Befragung

ExperimentQuelle: Atteslander, 2003, S. 59

Wissenschaftliche Beobachtung vs. AlltagsbeobachtungDer Unterschied zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und alltglicher Beobachtung ist kein ausschlielicher, sondern ein gradueller:Wissenschaftliche Beobachtung

Die wissenschaftliche Beobachtung ist strukturierter: Sie erfolgt nach einem geplanten Forschungsablauf und hlt sich an ein festgelegtes Forschungsdesign. allgemeiner: Es werden grere Ausschnitte beobachtet (z.B. nicht die eigene Nach barschaft, sondern eine ganzen Region anhand einer reprsentativen Aus wahl). selektiver: Die Beobachtung erfolgt kontrolliert selektiv; das Gegenteil davon wre selektive Wahrnehmung. Daraus leiten sich die Methoden der empirischen Sozialforschung ab.

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE

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Ziele sozialwissenschaftlicher Forschung Exploration: Darunter versteht man eine Vorstufe zur Haupterhebung, die notwendig wird, wenn aufgrund mangelnden theoretischen oder empirischen Wissens die Formu lierung von Hypothesen oder eine begrndete Entscheidung ber Erhebungsverfahren anders nicht mglich ist. In der qualitativen Forschung ist die Exploration ein wichtiges und eigenstndiges Verfahren zur empirisch fundierten Theoriebildung. Eine Explorationsstudie (auch Leit oder Pilotstudie) zum Thema Gewalt gegen Mn ner wird derzeit im Auftrag des deutschen Familienministeriums durchgefhrt. Im Rah men der Untersuchung werden Mnner zu ihren Gewalterfahrungen befragt. Ziel ist es, Grundlagen fr weitere reprsentative Erhebungen zu bilden. Deskription nennt man die geordnete Beschreibung beobachtbarer sozialer Tatbestn de. Durch die Deskription werden unter dem Gesichtspunkt einer bestimmten Problem stellung die Primrinformationen aufbereitet, die dann als Daten der Hypothesenbildung dienen und sie absichern (Sozialberichterstattung, z.B. ber Durchschnittslhne, etc., bie tet nur Zahlenmaterial, keine Interpretation oder Lsung). berprfungvonHypothesenund Theorien: Dabei werden vor allem Kausalitten berprft: Kausalbeziehungen sind Beziehungen zwischen Sachverhalten, von denen ein KomplexalsUrsacheaufgefasstwird,derdenanderenbewirkt(WennA,dannB?). Evaluation: Ziel einer Evaluationsstudie ist die Ermittlung der Wirksamkeit oder Unwirk samkeit praktischpolitischer oder sozialplanerischer Manahmen bezglich eines oder mehrerer Erfolgskritierien.Exploration

Deskription

berprfung

Evaluation

BEISPIEL EVALUATIONSSTUDIEIm Internet findet man viele Berichte ber Evaluationsstudien zu verschiedenen Projekten und Entwicklungen, wie zum Beispiel diese Studie ber die Wirksamkeit eines Programms zur Gewaltprvention: Aufgrund der geringen Wirksamkeit von einseitigen Manahmen und der damit verbundenen Unzufriedenheit von Beteiligten (z.B. beklagten Frauenhuser den unzureichenden Opferschutz und die Fixierung auf Tterbetreuung) wurde in London in den 1990er Jahren ein Projekt zur Gewaltprvention in Familien gestartet. Kernstck dieses Projektes ist eine intensive Zusammenarbeit von OpferHilfsorganisationen und Tterbetreuungseinrichtungen. Zur berprfung der Wirksamkeit des Projekts wurde ber einen lngeren Zeitraum hinweg eine Evaluationsstudie durchgefhrt. Diese beinhaltet einen Rckblick auf das Zustandekommen des Projekts, dessen Motivation und Zielsetzung, eine Analyse der TeilnehmerInnen und die Teilnahmekritierien und eine Betrachtung der verwendeten Methoden sowie der Dauer des Programms. Durch laufende Befragungen von Opfern, Opferorganisationen, Ttern und TrainerInnen entsteht ein klares Bild von der Wirksamkeit des Programms ebenso wie von den Problemen, wie etwa der hohen Drop-Out-Quote oder dem Ersatz von physischer Gewalt durch psychische. Mit Hilfe der Evaluationsstudie kann ein stichhaltiges Resmee gezogen und die Ansatzpunkte fr Verbesserungen festgemacht werden.http://www.plattform.at/zeitung_zwei_99/opfer_unterstuetzen.htm http://www.jrf.org.uk/knowledge/findings/socialpolicy/spr338.asp

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

1.2. Theorien und Hypothesen

EineTheorieisteinSystemwiderspruchsfreierAussagenberPhnomene. AusTheorienwerdenHypothesenabgeleitet.DiesenVorgangnenntman Deduktion. Es gibt theoretische Anstze zur Erklrung sozialer Phnomene mit unterschiedlicher Reich weite, also unterschiedlichem Geltungsanspruch:Beobachtung

DieBeobachtung empirischer Regelmigkeiten ist eine oft nur deskriptive Feststellung von Erscheinungen ohne theoretische Erklrung ber ihr Entstehen und hat den nied rigsten Abstraktionsgrad Ad-hoc-Theorien erlauben zeitlichrumlich eingegrenzt gltige Aussagen und sind Er klrungsversuche sozialer Phnomene (z.B. das Verhalten einzelner Gruppenmitglieder ei ner bestimmten Gruppe zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort). Ableitbare Erkenntnisse allgemeiner Art sind nicht mglich. Theorien mittlerer Reichweite (Merton) gelten allgemein in vergleichbaren Gesell schaften und Kulturen, z.B. in Europa, aber nicht (unbedingt) in Zentralafrika. TheorienhhererKomplexitt haben weitreichende Gltigkeit, aber einen hohen Ab straktionsgrad. Sie sind relativ selten und der empirischen Forschung weitgehend entzo gen. Je abstrakter eine Theorie, desto schwieriger ist sie an der sozialen Realitt erklrbar.

Ad-hoc-Theorie

Theorie mittlerer Reichweite Theorie hherer Komplexitt

Abstraktion Hufigkeit hoch empirischer Projekte Theorien hoher Komplexitt empirischer Sozialforschung weitgehend entzogen

Theorien mittlerer Reichweite

Grundlagenforschung

ad-hoc-Theorien Empirische Regelmigkeit niedrig

Bedarfsforschung

Quelle: Atteslander, 2003, S. 37

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE

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EXKURS: THEORIENWissenschaftstheoretische Aspekte und die Funktionen von Theorien Unter Theorie wird im Allgemeinen ein System logisch widerspruchsfreicher Aussagen ber soziale Phnomene verstanden. Theorien ber Theorien werden allgemein als Metatheorien bezeichnet. In der empirischen Sozialforschung mssen sich Theorien auf Aussagen beschrnken, die empirisch berprfbar sind. Da diese Aussagen ber singulre Erscheinungen hinausweisen mssen, sind sie von der Wirklichkeit abstrahierte verbale Formulierungen. Bei aller Sorgfalt, die man theoretischen Errterungen angedeihen lassen kann, sind Theorien im Grunde Entscheidungen ber die Bedeutung und Bedingung von erfassbaren Erscheinungen der sozialen Wirklichkeit. Jede Theoriebildung hat eine eigene Geschichte und hngt von Zurechnung, Verfahren und Gewohnheiten in einem hheren Mae ab, als dies gemeinhin angenommen wird. In diesem Sinne stellt Theorie nicht den Anfangspunkt des Forschungsablauf dar, sondern wird selbst ein Prozesss und ist, wie verschiedentlich noch festzustellen sein wird, durch den Forschungsablauf selber beeinflusst. (Atteslander, 2003, S. 25, 26) EineHypotheseisteineAussagebereinenvermutetenWirkungszusammenhang. Hypothesen sind deterministisch, wenn gilt: Wenn A, dann immer B. Determini stische Hypothesen gelten vor allem in den Naturwissenschaften (Gesetz des freien Falls). Hypothesenwerdenalsprobabilistisch bezeichnet, wenn gilt: Wenn A, dann wahrscheinlich B. Probabilistische Hypothesen sind der bliche Typ in den Sozialwissenschaf te (z.B. Eine Frhehe erhht die Scheidungswahrscheinlichkeit). In diesem Zusammenhang unterscheidet man oft Hard Sciences die Naturwissen schaften und Soft Sciences die Sozialwissenschaften.Hypothese

deterministisch probabilistisch

Kriterien fr Hypothesen: EineHypotheseisteinewiderspruchsfreie Aussage ber einen vermutetenKausalzusammenhang mit Informationsgehalt. DieAussageenthltmindestenszweisemantischgehaltvolleBegriffe (Bsp. Frhehe, Scheidungsrisiko). DieBegriffesinddurcheineunumkehrbare Wenn-Dann Beziehung logisch verbun den (Wenn Frhehe, dann Scheidungsrisiko). DieAussageistnicht tautologisch, ein Begriff deckt den anderen also semantisch nicht ab. Dieempirischen Geltungsbedingungen sind implizit oder explizit erwhnt. In unserer Hypothese ist implizit eine Universalaussage enthalten: Die Hypothese gilt (z.B.) fr die sterreichische Bevlkerung. DieBegriffesindoperationalisierbar, also messbar. DieAussageistgrundstzlich falsifizierbar, das bedeutet, sie muss widerlegbar sein: Die Hypothese gilt solange, bis sie sich als falsch herausstellt (siehe Popper, Kritischer Ra tionalismus).Kriterien fr Hypothesen

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

1.3. Der Operationalisierungsvorgang

UnterOperationalisierenverstehtmandasMessbarmachenvonBegriffen.Przise Anweisungen fr Forschungsoperationen

Fr die empirische Forschung gengt es nicht, dass die jeweils zentralen Begriffe explizit de finiert sind, es mssen darber hinaus prziseAnweisungenfrForschungs perationen o gegeben werden, mit deren Hilfe entscheidbar ist, ob ein mit dem betreffenden Begriff be zeichnetes Phnomen vorliegt oder nicht. (Mayntz/Holm/Hbner, 1974, S. 18) Soll beispielsweise die AuslnderInnenfeindlichkeit einer Gesellschaft erhoben werden, muss zuerst der Begriff AuslnderInnenfeindlichkeit genau definiert sein; er muss sich aber auch anhand bestimmter Kriterien als messbar erweisen. Eine wichtige Fragestellung ist also: Wie musseinMessinstrumentgestaltetsein,damitsichdieserBegriffmessenlsst? EinFragebogenmitdemPunktSindSieauslnderInnenfeindlich?[Ja/Nein]eignetsich dafrkaum.WieabermussderFragebogengestaltetsein? Bei der Zusammenstellung von Messinstrumenten besteht hufig die Gefahr, dass andere Aspekte gemessen werden, als geplant ist.

Reliabilitt und Validitt von MessinstrumentenZuverlssigkeit & Gltigkeit = Reliabilitt & Validitt

Als Ma fr die Brauchbarkeit der eingesetzten Messinstrumente einer Erhebung gelten ihre Zuverlssigkeit und Gltigkeit. EinMessinstrumentwirdalszuverlssig bezeichnet, wenn es bei wiederholtem Einsatz immer identische Ergebnisse erzielt (= Reliabilitt). EinMessinstrumentwirdalsgltig bezeichnet, wenn es misst, was es messen soll (=Validitt). Die praktische Prfung der Gltigkeit ist sehr schwierig, es gibt dafr mehrere Mglich keiten. Eine davon erfolgt ber known groups. Dafr wird einer Gruppe, bei der man da von ausgeht, dass sie extreme Werte auf der zu messenden Dimension hat (z.B. Neonazis, IntegrationshausUntersttzerInnen), die Skala vorgelegt. Unterscheidet sich der Mittelwert dieser Gruppe von der zu untersuchenden signifikant, spricht das fr die Gltigkeit der Skala.

VariableUntereinerVariableverstehtmaneinMerkmal,bzw.eineMerkmalsdimension.Merkmalsausprgung MerkmalstrgerIn

Erhoben wird die Ausprgung von Variablen (Kategorie, Merkmalsausprgung) von einem bestimmten Merkmalstrger: Eine Variable in einer Erhebung ist z.B. das Geschlecht. Die mglichen Ausprgungen sind mnnlich/weiblich. Der/die MerkmalstrgerIn ist eine Person.

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE

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Die Konstruktion von Variablen erfolgt nach Regeln: Ausprgungen mssen disjunkt und erschpfend sein. disjunkt bedeutet, dass die Merkmalsausprgungen einander ausschlieen, d.h. sich nicht berlappen drfen. erschpfend heit, dass alle mglichen Ausprgungen einer Variable bekannt sein ms sen, so dass jeder Merkmalstrger einer Kategorie zugewiesen werden kann. BeispielfrdieVerletzungderKonstruktionsregeln: Frage:WiehochistIhrmonatlichesNettoeinkommen? -bis1.000 1.001 1.200 1.200 1.500 Eine Person mit einem Einkommen von mehr als 1.500 kann nicht zugeordnet werden, da das Kategoriensystem unvollstndig (nicht erschpfend) ist. Eine Person mit einem Einkommen von genau 1.200 fllt in zwei Kategorien, da das System berlappend (nicht disjunkt) ist.

disjunkt erschpfend

Eigenschaften von VariablenVariablen knnen diskret oder kontinuierlich messen. diskret: In einem bestimmten Intervall liegen endlich viele, abzhlbare Werte nebeneinander. Bei einer Frage nach dem Einkommen wrden dann etwa folgende Ant wortmglichkeiten zur Auswahl stehen: bis 1.000 / 1.001 1.500 / mehr als 1.500. Die diskrete Messung erfolgt also in Klassen oder Schritten. kontinuierlich: Es knnen zwischen beliebig nahe beieinanderliegenden Werten stets weitere Werte liegen. Eine Frage nach dem Einkommen wrde durch einen konkreten Betrag beantwortet werden, z.B. 1.234, Nach der Anzahl ihrer Ausprgungen unterscheidet man zwischen dichotomen Variablen: zwei Ausprgungen polytomen Variablen: mehr als zwei Ausprgungen Variablen sind entweder absolut oder relational. absolut: auf eine Person bezogen, z.B. Geschlecht, Alter, Einkommen relational: auf andere Merkmalstrger bezogen, z.B. die sterreichische Handelsbilanz in Bezug auf die japanische.

diskret

kontinuierlich

dichotom polytom

absolut relational

BEISPIEL FRAGEBOGEN1. Angaben zur Person: Geschlecht: o mnnlich Alter: o bis 20 o 21 40 o weiblich o 41 60 o ber 60 dichotom, absolut polytom, absolut, diskret absolut, kontinuierlich, polytom

2. Wie viele Stunden verbringen Sie wchentlich mit Zeitunglesen? .........

14 Messen und Messniveaus

IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

MessennenntmandasnachbestimmtenRegelnvollzogeneZuordnenvon MerkmalstrgernzubeobachtetenMerkmalsausprgungenaufdenzuuntersuchendenMerkmalsdimensionen. Bei der Merkmalsdimension Einkommen wird also einem bestimmten Merkmalstrger (Di mension: Geschlecht, Ausprgung: Mann/Frau, Trger: Mensch) eine bestimmte (z.B. dis krete, polytome, absolute) Merkmalsausprgung zugeordnet.Mess- bzw. Skalenniveau

Der Informationsgehalt von Daten wird wesentlich durch das Mess- oder Skalenniveau festgelegt, mit dem die Merkmalsausprgungen der Untersuchungsobjekte gemessen wer den. Messniveaus knnen nominal, ordinal oder quantitativ sein:

Mess- bzw. Skalenniveausnominal Besitz oder Nichtbesitz von Merkmalsausprgungen ordinal Zuordnung von Rangzahlen quantitativ Zuordnung von Zahlenwerten Intervallskala Ratioskala

kein natrlicher Nullpunkt

natrlicher Nullpunkt

nominal

nominal: Klassifizierung von Untersuchungsobjekten hinsichtlich ihres Besitzes oder Nichtbesitzes einer bestimmten (qualitativen) Merkmalsausprgung, z.B. Geschlecht, Stu dienrichtung, Wohnort. Die mglichen Vergleiche sind gleich/ungleich: Mann Frau; Soziologie WiWi ordinal: Zuordnung von Rangzahlen. Gemessen wird auf diesem Niveau die Intensitt, Strke und Gre, mit der eine bestimmte Eigenschaft bei den einzelnen Untersuchungs objekten auftritt, z.B. Schulnote, politisches Interesse. Es lsst sich nur angeben, dass Untersuchungsobjekt A grer als B ist, aber man kann nicht sagen, um wie viel grer es ist. Die mglichen Vergleiche sind gleich/ungleich, grer/kleiner: z.B.: Gut Gengend; Gut ist besser als Gengend, aber nicht zwei Mal besser. quantitativ: Zuordnung von Zahlenwerten (metrisches Messen). Eine quantitative Messung kann mit Hilfe unterschiedlicher Skalen stattfinden: aufeinerIntervallskala: Diese hat bekannte Abstnde, aber keinen natrlichen Null punkt, z.B. die Celsiusskala mit einem definierten Nullpunkt. Mgliche Vergleiche sind gleich/ungleich, grer/kleiner Mgliche Operationen sind Addition/Subtraktion z.B.: 20C ist wrmer als 10C, aber nicht doppelt so warm; 20C + 10C = 30C

ordinal

quantitativ Intervallskala

1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFE

15Ratioskala

aufeinerRatioskala: Die Abstnde sind bekannt und es gibt einen natrlichen Null punkt, z.B. Einkommen, Gewicht, Krpergre. Mgliche Vergleiche sind gleich/ungleich, grer/kleiner Mgliche Operationen sind Addition/Subtraktion, Multiplikation/Division. z.B.: 80 kg 30 kg = 50 kg; 2 x 40 kg = 80 kg

Wiederholungsfragen 11. WasverstehtmanunterempirischerSozialforschung? 2. Wasbedeutetempirisch?systematisch? 3. Nenne die drei Grundfragen der empirischen Sozialforschung! 4. WassindsozialeErscheinungen? 5. WieunterscheidensichwissenschaftlicheBeobachtungundAlltagsbeobachtung? 6. WassindTheorien? 7. WelcheArtenvonTheorienknnenbezglichihrerReichweiteunterschiedenwerden? 8. NenneunderklredieZielesozialwissenschaftlicherForschung? 9. WassindHypothesenundnachwelchenKriterienwerdensiegebildet? 10. WasverstehtmanunterdemBegriffOperationalisierung? 11. Nenne die Kriterien fr die Brauchbarkeit eines Messinstruments! 12. WasverstehtmanuntereinerVariable?ErklreihreKonstruktionsregeln! 13. Nenne und erklre die verschiedenen Eigenschaften von Variablen! 14. WasheitMessen? 15. Nenne und beschreibe verschiedene Arten von Messniveaus. WelchemglichenVergleichebietensie?

Literaturhinweise 1 Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung, 7. Auflage und hher, Berlin/New York 2003 Denz, Hermann: Grundlagen einer empirischen Soziologie, Mnster 2003 Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, Reinbek 1999 Mayntz, Renate/Holm, Kurt/Hbner, Peter: Einfhrung in die Methoden der empirischen Soziologie, Opladen 1969

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

Das zweite Kapitel beschreibt den Forschungsablauf: Entdeckung, Begrndung, Verwertung Phasen des Forschungsablaufs Forschungsdesign Querschnitt- und Lngsschnittuntersuchung Primr- und Sekundranalyse Werturteile in der Sozialforschung Exkurs zum Positivismusstreit

2. FORSCHUNGSABLAUF UND FORSCHUNGSDESIGN2.1. Phasen des ForschungsablaufsForschungsfragen und soziologische Konzepte knnen nicht direkt in Fragebogenfragen umgesetzt werden. Die Umsetzung (Operationalisierung) einer Forschungsfrage erfolgt mehrstufig: I. Problembenennung: FormulierungderForschungsfrage II. PlanungdesForschungsdesigns, KonstruktionderErhebungsinstrumente III. Durchfhrung:EinsatzderErhebungsinstrumente IV. AuswertungundAnalysedergewonnenenDaten V. Berichterstattung Verwertungs zusammenhang Entdeckungs zusammenhang

Begrndungs zusammenhang

Wichtige Kriterien fr den Forschungsablauf und das Forschungsdesign sind die Analysen von Entdeckungs, Begrndungs und Verwertungszusammenhang:Entdeckungszusammenhang

Entdeckungszusammenhang nennt man den Anlass, der zu einem Forschungsprojekt gefhrt hat. In Zusammenhang damit steht das Ziel der Untersuchung, die Motivation bzw. der Auftrag. Zur Frage nach dem Entdeckungszusammenhang ist vor allem die Phase I (Problembenennung) zu beachten. Begrndungszusammenhang nennt man die methodologischen Schritte, mit deren Hilfe ein Problem untersucht werden soll: die angewandten Forschungsregeln, den Ein satz der Instrumente, die Datenverarbeitung. Die Frage nach dem Begrndungszusam menhang stellt sich in den PhasenIIbisIV(Planung, Durchfhrung und Analyse). Verwertungs-bzw.Wirkungszusammenhang bezeichnet die Effekte einer Untersu chung, ihren Beitrag zur Lsung von Problemen: Dazu gehren Publikation, Pressebe richte, aber auch unverffentlichte Handlungsanweisungen, z.B. fr die Unternehmens fhrung oder fr Wahlstrategien. Der Verwertungszusammenhang betrifft die PhaseV des Forschungsablaufs.

Begrndungszusammenhang

Verwertungszusammenhang

2. FORSCHUNGSABLAUF UND FORSCHUNGSDESIGN

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Phase I: ProblembenennungIn dieser ersten Phase des Forschungsablaufs werden die relevanten Forschungsfragen und Konzepte festgelegt und dazu Hypothesen als theoretisches Modell gebildet. Die Grundfragen sind: Was wollen wir wissen?WelchestheoretischeModellbentzenwir? Davon ausgehend werden die Forschungsfragen und Konzepte przisiert: Welche Teilaspekte umfassteinKonzeptundwelchedieserTeilaspektesindfrunsereForschungbedeutsam? In Bezug auf den Entdeckungszusammenhang unterscheidet Friedrichs (1977, S. 52) drei An lsse: a) Untersuchung eines sozialen Problems, um durch seine Analyse soziale Vernderungen zu ermglichen b) berprfung von Theorien c) AuftragsforschungForschungsanlass

Die wichtigste Frage zur Problembenennung ist: Wasgenaumchteichwissen? EineempirischeArbeitmussmiteinerklardefiniertenForschungsfrage beginnen. Eine Forschungsfrage vage Idee gengt nicht. Wichtig ist auch, dass die Fragestellung eine klare Antwort er mglicht. BeihypothesenprfendenUntersuchungenmussdieForschungshypothese (abhngige und unabhngige Variable) przise angegeben werden knnen. BeideskriptivenStudiensolltebereitsindieserPhaseeindeutiggeklrtsein,beigenau welcher Population welche Merkmale geschtzt werden sollen.

Phase II: Planung des Forschungsdesigns und Konstruktion der Erhebungsinstrumente DieersteAufgabebestehtdarin,dieindenForschungshypothesenauftretendenBegriffe zu definieren und zu operationalisieren, d. h. messbar zu machen. Die Frage Was wollen wirwissen?mussumgesetztwerdeninWieknnenwirdaserfassen,waswirwissen wollen? Der nchste wichtige Schritt ist die Aufarbeitung der bestehenden Forschungsliteratur zum gewhlten Thema: Das sogenannte Kolumbus-Syndrom (= der Glaube, als ErsteR ein bestimmtes Thema zu erforschen) sollte vermieden werden. Hilfreich fr die Entwicklung des Forschungsdesigns ist auch die Bercksichtigung bereits bestehender Befragungen (und Fragebgen), die unter Umstnden auch einer Sekundranalyse un terzogen werden knnen (siehe spter). Durch diese ExplorationdesForschungsgegenstandes wird das eigene Primrwissen erweitert. Dazu knnen auch Gesprche bzw. InterviewsmitExpertInnen, aber auch Gruppendiskussionen hilfreich sein. AufderGrundlagedieserVorbereitungenerfolgtdieFestlegungdesForschungsdesigns. Dabei muss auch die Zeitdimension der Erhebung festgelegt werden: Bei einer Querschnitterhebung wird einmalig zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben (Momentauf nahme), eine Lngsschnitterhebung erstreckt sich ber einen lngeren Zeitraum.Querschnitt- und Lngsschnitterhebung

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

DanachwerdendieErhebungsinstrumente konstruiert: bliche Instrumente sind Befragung (persnlich, telefonisch, schriftlich) Beobachtung Inhaltsanalyse Experiment nichtreaktive Verfahren (Verhaltensspuren).

Phase III: DurchfhrungPretest

SinddieErhebungsinstrumentekonstruiert,werdensieineinemPretest auf ihre Brauch barkeit geprft. Zum Beispiel wird der erste Fragebogenentwurf getestet und wenn ntig revidiert, Es wird eine Reihe von Interviews durchgefhrt, um zu sehen wie der Fragebo gen funktioniert. Dabei knnen Schwierigkeiten wie Verstndnisprobleme, Missverstnd nisse, falsche Filterfragen, etc. aufgedeckt werden. Weiters kann im Verlauf von Probein terviews getestet werden, ob eine Befragung zu lange dauert, zu eintnig ist oder Brche aufweist. Je neuer und unerforschter ein Forschungsthema ist, um so wichtiger sind Pretests! Sie geben Anlass zu wichtigen Revisionen und Verbesserungen des Erhebungsinstruments. VordemBeginnderErhebungmussnochdasAuswahlverfahrenfestgelegt werden. Zur Auswahl stehen verschiedene Verfahren wie die Zufallsstichprobe, das Quotaverfah ren u.a. (siehe Kap. 3)

Feldarbeit

WurdederPretesterfolgreichabsolviertundeinegeeigneteAuswahlgefunden,erfolgt die Durchfhrung der Feldarbeit mit den in Phase II gewhlten Methoden. Diese muss selbstverstndlich kontrolliert verlaufen.

Phase IV: Auswertung und Analyse DieerhobenenDatenwerdennunerfasst,dasheit,ineineanalysefhigeFormbertra gen und auf Fehler kontrolliert. Nach dieser Kontrolle und soweit mglich Fehlerbereinigung beginnt die Analyse der statistischen Daten. Dabei werden Indizes und Skalenwerte gebildet und Zusammen hangsanalysen erstellt.

Phase V: Berichterstattung NachderAnalysederDatenwirdeinForschungsberichtmitdenErgebnissenverfasst.Je nach AuftraggeberIn werden mehr die wissenschaftlichen oder die politischplanerischen Konsequenzen ausgearbeitet. Abhngig vom Zielpublikum wird der Forschungsbericht einem greren Publikum in Form von Zeitschriftenartikeln oder Buchprsentationen, an deren Forschenden oder nur dem/der AuftraggeberIn zur Verfgung gestellt. Der/dieForscherInsollauchdiepraktischeUmsetzungderErgebnisseimAugebehalten.

2. FORSCHUNGSABLAUF UND FORSCHUNGSDESIGN

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Untersuchungstypen sozialwissenschaftlicher ForschungAbhngig vom Ziel (Verwertungszusammenhang) einer Forschungsarbeit stehen folgende Untersuchungstypen zur Auswahl: explorative Untersuchungen deskriptive Untersuchungen Prfung von Hypothesen und Theorien Evaluationsstudien Aktionsforschung Lngsschnittanalysen

Untersuchungstypen

2.2. ForschungsdesignDasForschungsdesignbeschreibtdiegrundlegendeVorgangsweise,d.h.die Strategie, die gewhlt wird, um ein Untersuchungsziel zu erreichen. Zur Erreichung eines gegebenen Forschungsziels sind in der Regel verschiedene Strategien mglich, in der Praxis begrenzen aber zeitliche und/oder finanzielle Ressourcen hufig die Strategiewahl. Als Aktionsforschung (auch Handlungsforschung, action research) bezeichnet man eine Art der Forschung, bei der der/die ForscherIn selbst Bestandteil des Untersuchungsgegen standes ist und die anderen TeilnehmerInnen und Elemente selbst beeinflusst und verndert, um eine Verbesserung herbeizufhren. Ziel ist es, an konkreten Problemen aus der Praxis anzusetzen und direktes soziales Handeln zu ermglichen. Die Beziehung zwischen ForscherIn und Betroffenen zeichnet sich durch symmetrische Kommunikationsstrukturen aus: Denn eine Forschung, die nichts anderes als Bcher hervorbringt, ntzt dem Individuum nicht. Die Aktionsforschung lsst sich durch folgende Besonderheiten kennzeichnen: DieProblemstellungerfolgtnichtprimrauswissenschaftlichemErkenntnisinteresse, sondern entsteht aus konkreten Missstnden fr eine soziale Gruppe. DasForschungszielbestehtnichtvorrangigimberprfentheoretischerAussagen,son- dern in der praktischen Vernderung der untersuchten Problemlage. DieProblemlagewirdalssozialerProzessaufgefasst,ausdemnichteinzelneVariablen isoliert und als objektive Daten erhoben werden knnen, sondern die Datenerhebung wird als Teil des sozialen Prozesses aufgefasst und interpretiert. Der/dieForscherIngibtseine/ihreDistanzzumForschungsobjektauf,er/sieistselbstin den untersuchten Prozess einbezogen, von der teilnehmenden Beobachtung bis zur ge zielten Einflussnahme auf die soziale Gruppe. EbensogebendieanderenGruppenmitgliederdieRollenvonBefragtenundBeobachte- ten auf, indem sie sich aktiv an der Zieldiskussion, Datenerhebung und Auswertung be teiligen.Aktionsforschung Forschungsdesign

20Panel- und Trendanalyse

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Ist eine Untersuchung ber einen lngern Zeitraum ntig bzw. mglich, spricht man von Lngsschnittuntersuchungen. Dabei unterscheidet man zwei Typen: PanelanalyseVerfahren, bei dem eine Gruppe von Ver suchspersonen in regelmigen Zeitabschnit ten mit dem gleichen Erhebungsinstrument untersucht wird. Probleme bei der Panelanalyse sind die Panelsterblichkeit (Personen steigen aus und mssen durch statistische Zwillinge gleich alt, gleiche soziale Schicht, etc. ersetzt wer den) und der sogenannte Paneleffekt.

TrendanalyseWiederholte Messung von Variablen an unter schiedlichen Untersuchungseinheiten: Mit der Trendanalyse knnen daher Vernde rungen hinsichtlich der betrachteten Variablen ber die Zeit auf Aggregatebene, d.h. anhand von Hufigkeitsverteilungen untersucht wer den.

Panelsterblichkeit

PaneleffektDurch ihre Teilnahme an einem Haushaltpanel mgen gewisse Auskunftspersonen ihr Einkaufsverhalten ndern. Das regelmige Reporting kann einen Lernprozess einleiten, der sonst im Markt nicht stattfindet. Es zwingt die haushaltfhrende Person, tglich oder wchentlich ihre Einkufe festzuhalten und mag dadurch bewirken, dass sie sich dabei ber deren Zweckmssigkeit vermehrt Gedanken macht. Dadurch ergibt sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich PanelteilnehmerInnen langfristig berlegter und vernnftiger im Markt verhalten als der Durchschnitt. Man kann auch vermuten, dass sie den im Tagebuch aufge fhrten Artikeln sowohl am Verkaufsort wie in der Werbung mehr Aufmerksamkeit schenken. Unter Umstnden werden neu aufgelistete Produkte sogar zu Probekufen verfhren. Die Summe der Verhaltensnderungen auf grund der Panelteilnahme bezeichnet man als Paneleffekt.

Je nach Ressourcen kann man eine Primranalyse durchfhren oder vorhandenes Daten material einer Sekundranalyse unterziehen. DieSekundranalyseisteineMethode,beiderbereitsvorhandenesDatenmaterialunabhngigvomursprnglichenZweckderDatenerhebungausgewertet wird. Vorteile sind die Zeit und Kostenersparnis. Auerdem knnen aus den Untersuchungsver gleichen interessante Informationen gewonnen werden. Probleme bei der Sekundranalyse ergeben sich hufig aus der Verfgbarkeit der Daten. Zu klren ist weiters, ob die Stichproben und die Variablen der Primranalyse fr die Sekun dranalyse geeignet sind. Mangelnde Dokumentation des Zustandekommen des Projekts, der Stichprobe, etc. stellt fr eine Sekundranalyse ein Risiko dar. An dieser Stelle sei auf die Wichtigkeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von empirischer Sozialforschung hinge wiesen.

Sekundranalyse

2. FORSCHUNGSABLAUF UND FORSCHUNGSDESIGN

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Ein weiteres mgliches Forschungsdesign ist die experimentelle Anordnung: Unter einem Experiment versteht man die wiederholte Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen. Dabei werden eine bzw. mehrere unabhngige Variablen so manipuliert, dass eine ber prfungsmglichkeit der zu Grunde liegenden Hypothesen, das heit der Behauptungen eines Kausalzusammenhanges in unterschiedlichen Situationen gegeben ist. (Zimmermann, in: Atteslander, 2003, S.198). Im Rahmen von Evaluationsstudien (siehe Beispiel in Kap. 1) werden zwei unterschiedliche Situationen miteinander verglichen. Nach der ersten Beobachtung einer Anfangssituation (z.B. einer sozial problematischen Situation in einer Wohnsiedlung) werden Vernderungen (z.B. bauliche Manahmen) durchgefhrt. Danach wird die Situation erneut beobachtet. Die Aus wertung erfolgt schlielich vergleichend zwischen der Vorher und der NachherSituation.Evaluation

Experiment

Zusammenfassend: Stufen des Forschungsprozesses1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Klrung des Entdeckungs und Verwertungsprozesses Przisierung der Problemformulierung (Dimensionale Analyse) Zuordnung von Begriffen Einordnung der Problemstellung in vorhandene Kenntnisse und Theorien Hypothesenbildung Auswahl von Indikatoren, Variablen, Entwicklung von Messinstrumenten Auswahl der Objekte Datenerhebung Verdichtung Interpretation

Stufen des Forschungsprozesses

2.3. Werturteile in der empirischen SozialforschungErfahrungswissenschaften wollen ber die Realitt informieren unabhngig vom/von der einzelnen Beobachter. Wertende Aussagen knnen jedoch nicht aus Tatsachenaussagen lo gisch abgeleitet werden: Aus dem, was ist, kann nicht hergeleitet werden, was sein soll. Um Wahrnehmungsverzerrungen auszuschlieen, muss deshalb die strikte Neutralitt das Leitprinzip bei der Informationserhebung sein, um der objektiven Realitt die bestmgliche Chance zu geben, sich in den Wahrnehmungseindrcken widerzuspiegeln. Das Postulat der Wertneutralitt bezieht sich nur auf die Phase des Begrndungszusammen hangs. Es besagt, dass die innerhalb des Begrndungszusammenhangs notwendigen Ent scheidungen nicht auf der Basis subjektiver Wertungen und Prferenzen zustandekommen drfen, sondern ausschlielich methodologisch zu begrnden sind.Werturteile

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EXKURS: POSITIVISMUSSTREITDer Positivismusstreit in der deutschen Soziologie Die Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer, Habermas, Marcuse) (Salmun 1992, S 155ff) ist eng verknpft mit dem von Privatleuten gegrndeten Frankfurter Institut fr Sozialforschung. Empirische Untersuchungen, insbesondere ber die autoritre Persnlichkeit und die autoritre Familie in Deutschland prgten die Arbeit des Institutes in der Zwischenkriegszeit. Nach der Emigration der Frankfurter Schule in die USA und ihrer Rckkehr 1949 betonte sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die Wichtigkeit des Kontextes der Anwendung und in diesem Bereich wiederum die Bewusstseinsbildung der Bevlkerung, was von ihren Vertretern emanzipatorische Aufklrung genannt wurde. Stark kritisiert wurde diese Position von den Vertretern eines kritischen Rationalismus (Popper, Albert) (Salmun 1992, S. 203ff). Bekannt wurde diese Auseinandersetzung als Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Die kritischen Rationalisten von den Frankfurtern gegen ihren Willen Positivisten genannt und die Anhnger einer starken Betonung der empirischen Sozialforschung in der Soziologie, geprgt vor allem durch die Mglichkeit der maschinellen Datenverarbeitung und durch eine Verfeinerung der Forschungstechniken in den Sozialwissenschaften, die von den USA ihren Ausgang nahmen, sehen vor allem im Kontext der Begrndung die Aufgabe der Soziologen und wollen insbesondere die Anwendungsphase anderen (z.B. Politikern) berlassen.Zapotoczky, Klaus, Dr. u.a., Skriptum Analyse der Gegenwartsgesellschaft, Teil 1, Linz, 2002 Adorno, Theodor u.a.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Luchterhand, Neuwied und Berlin, 1970

Wiederholungsfragen 21. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Nenne die Phasen des Forschungsablaufs. WasverstehtmanunterEntdeckungszusammenhang? WelcheFragenstehenmitdemBegrndungszusammenhanginVerbindung? WasverstehtmanuntereinerSekundranalyse? WieunterscheidensichQuerschnitts-undLngsschnittanalysen? WasisteinePanelanalyse?AufwelcheProblemeistdabeizuachten? WasverstehtmanuntereinemForschungsdesign? uere dich kritisch zu Werturteilen in der empirischen Sozialforschung.

Literaturhinweise 2 Atteslander, Peter: Methoden der empirischen Sozialforschung, 7. Auflage und hher, Berlin/New York 2003 Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, Reinbek 1999 Friedrichs, Jrgen, Methoden der empirischen Sozialforschung, Opladen 1977, Kapitel 2.1 Komrey, Helmut: Empirische Sozialforschung, 9. Auflage, Opladen 2000, Kapitel, 2.2, 2.3

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTION

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Das dritte Kapitel behandelt verschiedene Verfahren zur Stich probenauswahl und grundlegende Fehlerberechnungsmethoden Wahrscheinlichkeitsauswahl bewusste Auswahl Stichprobenfehler Berechnung des Vertrauensintervalls Zufallsstichprobe Quotaverfahren Gewichtungen und Reprsentativitt

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTIONGallup gegen Literary DigestSeit dem 17. Jahrhundert wurden in den Sozialwissenschaften mehr oder minder systematische Stichprobentechniken verwendet. Deren wirklicher Siegeszug in der Wahl- und Umfragenforschung begann aber erst nach einem denkwrdigen Ereignis im Jahr 1936 in den USA. Vor amerikanischen Prsidentschaftswahlen hatte die Zeitschrift Literary Digest schon mehrfach Wahlumfragen durchgefhrt. 1936 wurden dazu 10 Millionen Probestimmzettel an AmerikanerInnen verschickt, deren Adressen im Verzeichnis Telefon und Auto eingetragen waren. Aus den 2,4 Millionen zurckgesandten Stimmzetteln ermittelte Literary Digest einen zu erwartenden klaren Wahlsieg fr den Kandidaten Landon. Der damals noch unbekannter Forscher George Gallup whlte eine andere Methode: Er bildete eine (relativ) kleine Stichprobe, die in wesentlichen Merkmalen einem verkleinerten Abbild der amerikanischen Whlerschaft entsprach. Mit dieser Quotenstichprobe erzielte er einen berwltigenden Erfolg: Laut Gallups Prognose wrde Franklin D. Roosevelt 1936 als Prsident wiedergewhlt werden, womit er Recht hatte. Literary Digest verschtzte sich trotz der sehr groen Stichprobe um 19 %-Punkte. Damit begann der Aufstieg des heute weltweit bekannten Gallup-Institutes. 1948 erlitt Gallup mit seiner Methode allerdings einen Fehlschlag: Obwohl der das Ergebnis bei der Wahl prozentual genauer vorhergesagt hatte als 1936, verlor der von ihm favorisierte Dewey und Truman wurde Prsident. Sein Sieg war allerdings sehr knapp. Was lehrt uns der Erfolg von Gallups kleiner Quotenstichprobe? Im Allgemeinen ist eine grere Stichprobe genauer als eine kleine. Wenn allerdings die groe Stichprobe verzerrt ist, wird eine kleinere unverzerrte Stichprobe ein genaueres Ergebnis liefern. Truman nach seinem Wahlsieg ber Dewey. Literary Digest war gleich in doppelter Weise selektiv. Erstens Die Zeitungen hatten vorauseilend Gallups Prognose als Ergebnis abgedruckt. hatten 76 % den Probestimmzettel nicht zurckgeschickt bis heute ist bei postalischen Befragungen die geringe Rcklaufquote ein Problem. Der zweite Grund ist noch viel gewichtiger: Trotz der Massenmotorisierung in den 30er Jahren (Ford) gehrten Auto- und TelefonbesitzerInnen damals zumindest der gutsituierten Mittelschicht an. Diese whlte viel eher den Republikaner Landon als den demokratischen New-Deal-Prsident Roosevelt.Quelle: Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, S. 325f, 11. Auflage 2004, Rowohlt, Hamburg

George Gallup

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

3.1. GrundbegriffeGrundgesamtheit

Stichprobe

Zu unterscheiden sind zunchst einmal Stichprobe (Sample) und Grundgesamtheit (Popu lation). Bei einer WhlerInnenbefragung z.B. bilden smtliche wahlberechtigte Personen die Grundgesamtheit. JedeR WhlerIn ist ein Element der Grundgesamtheit. EineStichprobeisteineAuswahlvonElementenderGrundgesamtheit. Ein Stichprobenverfahren ist charakterisierbar durch eine explizite Vorschrift, die festlegt, in welcher Weise Elemente der Grundgesamtheit ausgewhlt werden. Die Anzahl der ausge whlten Elemente ist der Stichprobenumfang. Es lassen sich drei Hauptgruppen von Stichprobenverfahren unterscheiden: 1. Wahrscheinlichkeitsauswahl (Zufallsauswahl) 2. bewusste Auswahl 3.willkrlicheAuswahl

Stichprobenverfahren

GrundgesamtheitWerden alle Elemente der Grundgesamtheituntersucht? Nein(Stichprobe, Sample)

Ja

Teilerhebung

Vollerhebung

Auswahlverfahrenlegt die Regeln der Ziehung vorab festErfolgtdieAuswahlnachfestenRegeln? Ja Nein

willkrliche AuswahlBasierendieRegelnaufeinemZufallsprozess? Ja Wahrscheinlich keitsauswahl Nein

bewusste Auswahlnicht zufallsgesteuert

Zufallsstichprobe(Random Sample)

Quotaverfahren

Stichprobentheorie

Das Resultat einer Wahrscheinlichkeitsauswahl sind Zufallsstichproben. Das Quotaverfahren ist ein Beispiel fr eine bewusste Auswahl. Zufallsstichproben und Quotenstichproben wer den hufig als reprsentative Stichproben bezeichnet. Inwiefern sie tatschlich reprsentativ sind, wird spter noch erlutert.willkrliche Auswahl

Bei einer willkrlichenAuswahlwird der Vorgang der Stichprobenziehung nicht kontrol liert. Psychologische Experimente basieren hufig auf willkrlichen Stichproben: als Versuchs kaninchen nimmt teil, wer sich freiwillig meldet.

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTION

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3.2. WahrscheinlichkeitsauswahlZufallsstichproben (random samples)Bei einer Zufallsstichprobe muss jedes Element der Grundgesamtheit eine positivangebbareWahrscheinlichkeitgrer0besitzen,umindieStichprobe zu gelangen und jedes Element muss (theoretisch) die gleiche Wahrscheinlichkeithaben.DasentsprichtdemPrinzipZufall. Nur von Zufallsstichproben kann einRckschlussaufdieGesamtheit gezogen werden. In der Praxis ist eine reine, vllig korrekte Zufallsstichprobe nur schwer mglich, da selten alle Elemente der Grundgesamtheit die gleiche Wahrscheinlichkeit haben, in die Stichprobe zu gelangen. Dazu wre nmlich ntig, dass jedeR aus der Grundgesamtheit verfgbar ist. Benutzt man z.B. Adresskarteien, aus denen jede nte Person in die Stichprobe gelangt, steht man immer vor dem Problem der Aktualitt der Kartei. Personen knnen gestorben oder verzogen sein oder neu dazu gekommen und noch nicht registriert sein.Zufallsstichproben in der Praxis

Das Gesetz der groen ZahlEin kleines Gedankenexperiment: In einem Korb befinden sich eine Menge Kugeln, die Hlfte davon ist rot, die andere Hfte ist grn. Wir ziehen nun eine Reihe von Stichproben von 5 Kugeln und berechnen den durchschnittlichen Prozentsatz von roten Kugeln: Dieser wird bei 0,5 (50 %) sein (bei unendlich vielen Stichproben, sonst in der Nhe). Dann wiederholen wir diese Prozedur, allerdings mit Stichproben von 10 Kugeln, von 20 Kugeln usw. Der Mittelwert wird immer bei 0,5 sein, die Streuung wird aber geringer, je grer die Stichprobe wird. Bis zum Extremfall: Wenn die Stichprobe aus unendlich vielen Kugeln besteht, wird sich die Streuung der Stichprobenanteile auf 0 reduzieren. Ist die Stichprobe an Kugeln gengend gro, dann sind die Anteile von roten Kugeln in den unendlich vielen Stichproben normalverteilt mit dem Mittelwert 0,5 und einer berechen baren Streuung.

Begriffsdefinitionen Mittelwert: Bezeichnung in der Statistik fr solche Werte einer Verteilung von beobach teten Werten einer Variablen (z.B. in einer Stichprobe), die das Zentrum der Lage der Ver teilung, ihren Schwerpunkt, beschreiben. Die gebruchlichsten Mittelwerte sind das arith metische Mittel, der Median und der Modal wert.Mittelwert

Streuungsdiagramm

26Streuung

IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

Streuung: Bezeichnung fr das Ausma der Abweichungen der an einer Menge von untersuchten Einheiten gewonnenen Messwerte von einem gewhlten Wert. Die Streu ung ist eine Charakterisierungsmglichkeit von Verteilungen von Messwerten, die zur Beschreibung und zum Vergleich von Verteilungen benutzt werden. Zu den wichtigsten Streuungsmaen gehren die Varianz und die Standardabweichung.Varianz

Varianz: statistisches Streuungs ma, das die Verteilung von Mess werten um ihr arithmetisches Mittel charakterisiert.Standardabweichung

Parameter der Grundgesamtheit

Stichprobenstatistik

Standardabweichung: positive Quadratwurzel aus der Varianz.

Mittelwert Standardabweichung Varianz Anteilswert Fallzahl

x s s2 p n

Stichprobenfehler (fr Prozentwerte)Stichprobenfehler

Stichprobenfehler sind Abweichungen bestimmter Werte von den Werten der Grundge samtheit, die auf das Ziehen einer Zufallsstichprobe zurckzufhren sind. Aus der zuflligen Streuung des Stichprobenfehlers um den entsprechenden Wert der Grundgesamtheit bei wiederholter Ziehung entsteht die Stichprobenverteilung. Je geringer die Streuung einer Va riable in der Grundgesamtheit und je grer der Umfang der Stichprobe ist, desto kleiner drfte der Stichprobenfehler ausfallen. Systematische Fehler lassen sich nicht messen, dfur aber vermeiden. Ein systematischer Fe ler ist eine Verzerrung des Untersuchungsergebnisses. Verzerrungen knne statistisch nicht korrekt durchgefhrte Erhebungen oder willkrliche Auswahl sein. Stichprobenfehler fr Prozentwerte

s =p p

p(1 p) n

Vertrauensintervall

Korrekturfaktor

p(1- p) p(1- p) , p+ t ] n n p(1 p) sp = Fr t= 1 betrgt die Sicherheitswahrscheinlichkeit 68 %. n Fr t = 2 betrgt sie etwa 95 %, fr t = 3 etwa 99 %. p(1- p) n p(1- p) n [p- heit: Mit der * 1- , p+ tSicherheitswahrscheinlichkeit t * 1- ] Das n entsprechenden N n N liegt der wahre Anteil des Merkmals in der Grundgesamtheit in p(1- p) p(1- p) nerhalb dieses Intervalls. t [p- t , p+ ] n n p* q n * 1V = t.* Korrekturfaktor: n N Bei kleinen Grundgesamtheiten p(1- p) n p(1- p) n wird dem Vertrauensintervall ein [ p- t * 1- , p+ t * 1- ] n N n N Korrekturfaktor hinzugefgt. 0, 2 * 0, 8 2000 * 1V hat der Ist die Stichprobe kleiner als 10 %, so= 2.*Korrekturfaktor keinen Einfluss. = 0, 018 2000 1000000 p* q n * 1V = t.* n NVertrauensintervall (Konfidenzintervall)

[p- t

p

n p(1- p) p(1- p) , p+ t ] n n27

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTION

[p- t [p- t

Beispiel: Berechnung des Vertrauensintervalls

p(1- p) n p(1- p) n * 1- , p+ t * 1- ] Bei einer wahlsoziologischen Untersuchung wurden von 1 Million Wahlberechtigten 2.000 n Personen N n Nbefragt.Vondiesenentschiedensich20%frParteiA.WiegroistdasVertrauensintervall? Die Formel fr das Vertrauensintervall V lautet:

s =p

p(1 p) n

V = t.* V == 2.* q 0,8p = 0,2

p* q n * 1n N 0, 2 * 0, 8 2000 * 1= 0, 018 2000 1000000

1.) Definieren Sie die Gren der Gleichung:

[p- t [p- t

p(1- p) p(1- p) , p+ t ] n n

n = 2.000 N = 1.000.000

2.)Wannistdie2.WurzelinderGleichungvonBedeutung? p(1- p) n p(1- p)

Die 2. Wurzel ist der Korrekturfaktor. Dieser ist ntig, wenn die Grundgesamtheit klein ist, bzw. wenn die Stichprobengre mehr als 10% der Grundgesamtheit umfasst. p* q n

n

* 1-

N

, p+ t

n

* 1-

n ] N

V = t.*

3.) Berechnen Sie fr das oben angegebene Beispiel das Vertrauensintervall bei einem Sicherheitsniveau von 95,5 % (t = 2,0).

n

* 1-

N

V = 2.*

0, 2 * 0, 8 2000 * 1= 0, 018 2000 1000000

Die ermittelten 20% fr Partei A unterliegen einer Schwankung von +/ 1,8 % 4.) Interpretieren Sie das Ergebnis indem Sie die Begriffe Vertrauensintervall und Sicherheitsniveau erlutern. Der wahre Anteil fr die Partei A liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,5 % (= Sicherheitsniveau) zwischen 18,2 % und 21,8 % (= Vertrauensintervall). Je grer die Sicherheit sein soll, desto grer wird dieses Intervall. Die zweite Wurzel (= Korrekturfaktor) ergibt einen Wert nahe 1, da die Stichprobe im Verhltnis zur Grundgesamtheit sehr klein ist (kann also vernachlssigt werden).

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EXKURS: Sonntagsfragen, Gewichtungen und die Reprsentativitt von StichprobenAuf den Politik-Seiten der Tageszeitungen und Wochenmagazine sind sie regelmig abgedruckt, die Ergebnisse zur sogenannten Sonntagsfrage: Wenn nchsten Sonntag Wahlen wren, welcher Partei wrden Sie Ihre Stimme geben?

40 %

30 %

W X Y Z

20 %

10 %

0% Die Ergebnisse der Sonntags3/04 4/04 5/04 6/04 7/04 8/04 frage werden abseits von Wahlkampfzeiten benutzt, um die politische Stimmungslage in einem Land darzustellen. Meist werden Sie ohne Angabe der Schwankungsbreite des Stichprobenumfangs und der Art der Stichprobenauswahl publiziert. Schon alleine deshalb sind diese Angaben mit Vorsicht zu genieen.

GewichtungenIn der Wahlforschung ist es bliche Praxis, die Rohdaten aufgrund einer empirischen Hypothese zu gewichten. Dieses Gewichtungsprozedur ist zwar umstritten, wird aber dennoch hufig durchgefhrt. Gewichtet wird dabei mit dem Partei A B C D sonst Resultat der sogenannten Recallfrage, der Rckerinnerungsfrage (1) Wahlergebnis 42 38 8 6 6 (Recall), wie sich die interviewte (2) Ergebnis Recallfrage 45 35 8 3 9 Person bei der letzten Wahl ent(3) Gewichtungsfaktor (1)/(2) 42/45 38/35 1 2 6/9 schieden hat. Das Ergebnis der Umfrage weicht hufig vom tat(4) Sonntagsfrage Rohdaten 44 36 9 2,5 8,5 schlichen Wahlergebnis etwas (5) Verteilung nach Gewichtung mit Recallfrage (4)*(3) 41 39 9 5 5,7 ab. Daraus ergibt sich ein Gewichtungsfaktor, mit dem dann Quelle: Diekmann, 1999, S.367 die Rohdaten gewichtet werden. Dieser Gewichtungsprozedur liegt eine empirische Hypothese zugrunde, dass die Rckerinnerungsverzerrung in Richtung und Strke der Sonntagsfrage entspricht. Die Wahlforschungsinstitute verwenden noch weitere, parteienspezifische Korrektur- und Daumenregeln, die als Betriebsgeheimnis gehtet werden.

Reprsentative Stichproben?Markt- und Meinungsforschungsinstitute sprechen gerne von reprsentativen Stichproben, wenn sie von Zufalls- oder von Quotenstichproben reden. Damit verwenden sie allerdings keinen Fachbegriff, sondern eher eine Metapher. Wichtig ist, dass man in Untersuchungen und Verffentlichungen genau die Art der Stichprobentechnik und die Charakteristika der Methode angibt. In Forschungsberichten wird das selbstverstndlich erwartet, aber auch in Pressemitteilungen sollten gewisse Mindeststandards eingehalten werden. Angesichts der zahlreichen Fehlerquellen von Umfragen ist mehr Transparenz gefordert.Siehe hierzu insbesonders Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, 1999, S. 368f

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTION

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WahrscheinlichkeitsauswahlWahrscheinlichkeitsauswahlErfolgtdieAuswahlineinemSchritt? Ja Nein

Wahrscheinlichkeitsauswahl

einstufige AuswahlWird die Grundgesamtheit vor der Ziehung inhomogeneGruppengeteilt? Nein

mehrstufige AuswahlJa

geschichtete StichprobeWird die Grundgesamtheit vor der Ziehung inrumlicheEinheitengeteilt? Nein Ja

Einfache Zufallsstichprobe

Klumpen stichprobe

Einfache Zufallsstichprobe Voraussetzung ist die vollstndige Reprsentation der Grundgesamtheit (Alle Elemente der Grundgesamtheit sind theoretisch verfgbar). Dafr stehen mehrere Verfahren zur Auswahl: Lotterieverfahren: Auswahl durch Ziehung VerfahrenmitZufallszahlen:Bei einer Telefonumfrage werden zufllig Nummern gewhlt. systematischeAuswahl: jede nte Karteikarte oder Listenposition. Jedenfalls ist Vorsicht geboten bei systematisch geordneten Grundgesamtheitsdaten, z.B. von Telefonnummern, etc. Geschichtete Stichprobe Man kennt die Verteilung einer zentralen Variablen in der Grundgesamtheit (Gemeinde gre, Betriebsgre, Schultyp usw.), von der man annimmt, dass die Streuung wichtiger Variablen innerhalb dieser Kategorien kleiner ist als in der Grundgesamtheit. Die Schich ten sollen in sich mglichst homogen und untereinander sehr verschieden sein. Man teilt nun die Grundgesamtheit in Klassen nach den Ausprgungen dieser Variablen und zieht in jeder Klasse eine Zufallsstichprobe: Proportional (jede Klasse hat nun in der Stichprobe genau denselben Anteil wie in der Grundgesamtheit) oder disproportional (wird meist gewhlt, wenn die Klassen sehr unterschiedlich gro sind). Klumpenstichprobe(clustersample) Eine Klumpenauswahl ist ein geschichtetes oder mehrstufiges Auswahlverfahren. Die Grundgesamtheit besteht aus vielen einzelnen Gruppen (Klumpen, z.B. alle Schulklassen in einem Bezirk). Aus diesen wird eine bestimmte Anzahl gezogen und dann alle Ele mente in einem Klumpen zur Untersuchung herangezogen. Sind die Klumpen in sich sehr homogen, aber untereinander sehr heterogen, so wird der Stichprobenfehler sehr gro sein. Die Klumpenauswahl empfiehlt sich hingegen, wenn die Klumpen in sich heterogen aber untereinander homogen sind.

Einfache Zufallsstichprobe

Geschichtete Stichprobe

Klumpenstichprobe

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

3.3 Bewusste AuswahlWahrscheinlichkeitsauswahlAuswahlnachsubjektivenKriterien? AuswahlnachextremenAusprgungeneinesMerkmals? AuswahlderdominierendenFllederGrundgesamtheit? Folgt aus der Auswahl eines Elements dieAuswahleinesanderen? Erfolgt die Auswahl so, dass bestimmte Merkmale genausohufigvorkommen,wieinderGrundgesamtheit?

Bewusste AuswahlNein Nein Nein Nein Ja Ja Ja Ja JaAuswahl typischer Flle Auswahl extremer Flle Auswahl nach Konzentrationsprinzip Schneeballverfahren Quotaverfahren

typische Flle

subjektiveKriterien Die Auswahl typischer Flle besteht in der Auswahl von Fllen, die als besonders charak teristisch fr die Grundgesamtheit angesehen werden. extremeAusprgung Die Auswahl extremer Flle besteht aus der Selektion derjenigen Flle, die in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal eine extreme Ausprgung besitzen (Beispiel: Spitzensportler) dominierendenFlle Auswahl nach dem Konzentrationsprinzip: Dieses in der amtlichen Statistik gelegentlich angewendete Verfahren basiert auf der Auswahl derjenigen Flle, bei denen ein interes sierendes Merkmal so stark ausgeprgt ist, dass diese Flle nahezu die gesamte Vertei lung in der Grundgesamtheit bestimmen. Schneeballverfahren Bei der Analyse egozentrierte Netzwerke gelangt oft das SchneeballVerfahren zum Einsatz, bei dem ausgehend von einer Person die von dieser benannten Personen befragt werden. Dieses Verfahren wird auch bei der Auswahl von Angehrigen seltener Popula tionen angewendet.

extreme Flle

Konzentrationsprinzip

Schneeballverfahren

3. AUSWAHLVERFAHREN UND STICHPROBENKONSTRUKTION

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QuotaverfahrenDen InterviewerInnen werden keine Adressen oder Personen zugeteilt, sondern Quoten merkmale. Die InterviewerInnen suchen Personen, die die Quotenmerkmale erfllen es ist daher keine Zufallsauswahl. Die Quoten mssen aber den Merkmalsverteilungen der Grund gesamtheit (z.B. 52 % weiblich, 48 % mnnlich, 12 % Selbststndige, 88 % unselbststn dig Beschftigte) entsprechen, daher ist Vorwissen ber die Grundgesamtheit Vorausset zung fr das Quotaverfahren. Diesbezgliche Informationen erhlt man beispielsweise aus Mikrozensus oder Volkszhlungsdaten. Prinzipiell gilt fr Quoten wie auch fr Schichtungsmerkmale, dass es sich nach Mglich keit um Merkmale handeln soll, die in bedeutungsvollem Zusammenhang mit dem Befra gungsthema stehen: Eine Untersuchung zum Thema Kinderbetreuungseinrichtungen in lndlichen Gemeinden wird eher unter Mttern und Vtern in verschiedenen Gemeinden bis 15.000 EinwohnerInnen durchgefhrt, als unter kinderlosen Singles und PensionistInnen in Wien. Verzerrungen knnen durch Quotenkoppelung reduziert werden. Darunter versteht man das Kombinieren von Quotenmerkmalen, z.B. der Anteil an BeamtInnen betrgt insgesamt 15 %, davon sollen 30 % weiblich und 70 % mnnlich sein. Aufwndige Koppelungen stellen allerdings Schwierigkeiten fr die InterviewerInnen dar, da es dann schwieriger wird, diese Personen rasch aufzufinden (Bsp. Suche zwei Akademikerinnen zwischen 55 und 65 aus dem Bezirk Amstetten). Das Quotaverfahrenstellt keine Zufallsauswahldar; die Berechnung von Konfidenzintervallen (Stichprobenfehlern) ist daher nicht mglich.Das Verfahren bedingt eine erhhte Auswahl wahrscheinlichkeitfr Personen, die hufig an ihrem Wohnsitz anzutreffen sind.Es besteht die Gefahr einer erheblichen Verzerrungdurch die Interviewer, da diese vor allem Personen auswhlen werden, die sich kooperativ verhalten. Das QuotaVerfahren stellt somit keine ,,Lsung des Problems der Ausflle dar.Quotaverfahren

Quotenkoppelung

Kritikpunkte

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Wiederholungsfragen 31. 2. 3. 4. 5. 6. 7. WasverstehtmanuntereinerStichprobe? Nenne und beschreibe kurz die drei Hauptgruppen von Stichprobenverfahren. WassinddieBedingungeneinerZufallsstichprobe? Erlutere das Gesetz der groen Zahl. Erklre die Begriffe Mittelwert, Streuung, Varianz und Standardabweichung. WassindStichprobenfehlerundwiekannmansiebestimmen? Bei einer Untersuchung in einer Bundesland mit 8 Millionen Einwohnern werden 1.000 Menschen befragt. Von diesen geben 35 % an, bei der kommenden Landtagswahl die Partei B zu whlen. Berechne das Vertauensintervall bei einem Sicherheitsniveau von 95,5 % (t=2,0). 8. WelcheVerfahrenzurZiehungeinerZufallsstichprobekennstdu? 9. WasisteineKlumpenstichprobe? 10. WasverstehtmanuntereinerbewusstenAuswahl? 11. Beschreibe das Quotaverfahren.

Literaturhinweise 2 Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, Reinbek 1999 Schnell, R./Hill, P./Esser, E.: Methoden der empirischen Sozialforschung, 6. Auflage, 1999, Kapitel 6

4. DIE BEFRAGUNG

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Das Kapitel Die Befragung ist in drei groe Teile gegliedert. Folgende Themen werden behandelt: 1. BEGRIFFE UND KONSTRUKTIONSREGELN Standardisierungsgrad: qualitativ quantitativ Fragetypen nach Frageart und Messniveau Offene und geschlossene Fragen Persnliche, postalische und telefonische Befragung Realitt Begriff Definition Skalierungsverfahren Konstruktion von Indizes Rangordnung, Polarittsprofil, Likert- und Guttman-Skala Gltigkeitsermittlung von Skalen Codierung von Fragebgen Ein- und mehrdimensionale Datenauswertung Signifikanz und Korrelationsmae

2. SKALEN UND INDIZES

3. ERSTE SCHRITTE DER AUSWERTUNG

4. DIE BEFRAGUNG4.1. BEFRAGUNG: BEGRIFFSBESTIMMUNGEN UND KONSTRUKTIONSREGELNDie Befragung ist eine Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen. Durch verbale Stimuli (Fragen) werden verbale Reaktionen (Antworten) hervorgerufen. Dies geschieht in bestimmten Situationen und wird geprgt durch gegenseitige Erwartungen. Die Antworten beziehen sich auf erlebte und erinnerte soziale Ereignisse, stellen Meinungen und Bewertungen dar. Mit dem Mittel der Befragung wird also nicht soziales Verhalten an sich erfasst, sondern es werden verbale Aussagen darber festgehalten. Das Erhebungsinstrument ist darber hinaus reaktiv. Grundstzlich lassen sich Befragungen zunchst unterscheiden nach demGrad der Standardisierung: nicht standardisiert (flexibler Ablauf) teilstandardisiert (teilweise flexibler Ablauf) vollstandardisiert (vollstndig fixierter Ablauf) nachderKommunikationsart:Befragung: Kommunikationsart

Stimuli und Reaktionen

persnlich, mndlich(FacetoFace)

(Paper & Pencil)

schriftlich

(meist elektronisch untersttzt)

telefonisch

elektronisch(via Internet)

selbstadministriert/postalisch

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4.1.1. StandardisierungDie Standardisierung von Befragungen kann sich beziehen auf: die Frageformulierung die Antwortmglichkeiten die Reihefolge der Fragen die Interviewsituation (InterviewerInnen und situative Eigenschaften)Vergleichbarkeit der Daten

Bei eingeschrnkter Standardisierung ist aber auch die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten eingeschrnkt. Unterschiedliche Antworten knnen daher nicht nur ausschlielich auf unterschiedliche Meinungen zurckgefhrt werden. Auch das Verhalten des/der Intervie werIn, unterschiedliche verbale Fertigkeiten des/der Befragten, unterschiedliche Aufmerk samkeit und andere Faktoren beeinflussen das Ergebnis.

Typen der Befragung offen/geschlossen: Mglichkeiten der/des Befragten: freie Formulierung vs. Antwortvorgaben nichtstandardisiert/standardisiert: Mglichkeiten der/des Interviewenden: kein starres Schema vs. strukturierte Vorgaben qualitativ/quantitativ: Mglichkeiten der Auswertung: qualitative Interpretation vs. quantitative Auszhlung

Qualitative InterviewsAlsqualitativbezeichnenwirInterviews,die nicht oder nur teilweise standardisiert sind, inmndlicherKommunikationerfolgenund berwiegendoffeneFrageformulierungenverwenden. Die Erhebung erfolgt zumeist nicht an greren und reprsentativen Stichproben, sondern hufiger an theoretisch ausgewhlten Fllen. Es werden zum Beispiel Befragungen in Form von narrativen Interviews durchgefhrt, dabei gibt der/die InterviewerIn vor allem Stimuli, um den/die BefragteN zum Erzhlen, Erklren und Interpretieren seiner/ihrer sozialen Situation und der seines Umfeldes zu geben.Qualitative Sozialforschung

In der qualitativenSozialforschung bestimmt der Untersuchungsgegenstand und weniger vorab entwickelte Theorien und Hypothesen die Forschung. Der Forschungsablauf verluft dementsprechend problemorientiert, flexibel und hat Prozesscharakter. Ziel ist die Erfassung des Prozesses. Begriffe und Hypothesen werden im laufenden Forschungsprozess generiert, modifiziert und verallgemeinert. Es gibt daher keine Trennung zwischen Entdeckungs und Begrndungszusammenhang. Die methodische Kontrolle erfolgt durch Explikation, also durch Offenlegung des theoretischen Vorwissens, der einzelnen Forschungsschritte und entscheidungen sowie der daraus resultierenden Nachvollziehbarkeit der Interpretation des Forschungsergebnisses.

4. DIE BEFRAGUNG

35Qualitative Interviews: Ziele

Qualitative Interviews werden vielfach zur Exploration, zum Identifizieren von ExpertInnen (Personen, die sich in einem bestimmten sozialen Umfeld besonders gut auskennen oder zuhause sind das knnen auch Obdachlose oder VerbrecherInnen sein) und zum Erkennen von Zusammenhngen eingesetzt.

LeitfadeninterviewsLeitfadeninterviews sind im Vergleich zum narrativen Interview strukturierter, das heit teil standardisiert. Die Teilstandardisierung erfolgt durch einen Interviewleitfaden. Dieser Leit faden strukturiert die relevanten Dimensionen des Interviews. Fr einzelne Themen werden Fragen und eventuell Fragealternativen, aber keine Antwortalternativen vorformuliert. Die einzelnen Punkte werden nicht unbedingt in der vorgegebenen Abfolge abgearbeitet, sondern an die jeweilige Interviewsituation angepasst. Wesentlich bei Leitfadengesprchen ist die Fhigkeit der Forschenden, zentrale Fragen im geeigneten Moment zu stellen.

Standardisierte BefragungenUnterstandardisiertenInterviewsverstehenwirsolche,dieweitgehend strukturiert durchgefhrtwerden.DieInterviewendenstellenFragenin gleicherReihenfolgeundFormulierung,dieBefragtenfindenberwiegend geschlosseneAntwortvorgabenvor.DieAuswertungerfolgtquantitativ.

Fragetypen nach Art der Fragen:

Faktfragen Einstellungen Verhalten

Wissensfragen Bewertungen Demographische Fragen

Fragetypen nach dem Messniveau (siehe auch Kap. 1.3.) NominaleFragen: Durch die Antworten erfolgt eine Klassifizierung von Messobjekten. Beispiele: WelchenBerufbenSieaus? WelchesFachstudierenSie? OrdinaleFragen: Den Antworten knnen Rangzahlen zugeordnet werden. Beispiele: GehstdugerneindieSchule?Ja/Nein GehenSiehufig/fters/selten/nieinsKino? WiezufriedensindSiemitIhrerWohnung?Schulnote1bis5 Quantitative Fragen (Ratioskala): Den Antworten knnen Zahlenwerte zugeordnet werden. Die Ratioskala hat einen natrlichen Nullpunkt. Beispiele: WiealtsindSie?Jahre WievieleStundenarbeitenSieinderWoche?Stunden Wie hoch ist ihr monatliches Bruttoeinkommen bis 1000, 1001, bis 2000, 2001, bis 3000, ber 3000,nominal

ordinal

quantitativ/Ratioskala

36quantitativ/Intervallskala

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QuantitativeFragen(Intervallskala): Den Antworten knnen Zahlenwerte zugeordnet werden. Die Intervallskala hat keinen natrlichen Nullpunkt Beispiele: Alte Menschen sollten bei der Vergabe von Wohnungen bevorzugt werden stimme stark zu (7) lehne etwas ab (3) stimme mittel zu (6) lehne mittel ab (2) stimme etwas zu (5) lehne stark ab (1) bin untenschieden (4)

Frageformengeschlossene Fragen

BeigeschlossenenFragen sind die Antwortalternativen bereits vorgegeben. Diese Vor gabe erfolgt entweder intern oder extern, muss aber in jedem Fall vollstndig sein. Beispielintern:SindSiefrdieInbetriebnahmevonTemelinodersindSiedagegen? Beispielextern:SollTemelininBetriebgehen?(ja/nein) Es gilt die Regel, dass interne Antwortvorgaben nur aus zwei bis drei leicht merkbaren Al ternativen bestehen drfen, das heit, im Satz drfen nicht mehr als zwei oder drei Alter nativen vorkommen. Fragen wie Sind Sie fr, gegen, bedingt fr oder bedingt gegen die InbetriebnahmevonTemelinodersindSieindieserFrageberhauptuntentschlossen? sind offensichtlich ungeeignet.

offene Fragen

BeioffenenFragen mssen die Befragten die Antworten selbst formulieren. Vor- und Nachteile von offenen und geschlossenen Fragen Geschlossene Fragen sind leichter auswertbar. Die Ergebnisse sind eindeutig und ver gleichbar. Allerdings sind bei der Fragebogenerstellung nicht immer alle mglichen Ant wortalternativen bekannt. (zur Erinnerung: Prinzip der erschpfenden Ausprgungen, Kap. 1.3.). Daher werden in der explorativen Phase einer Erhebung oftmals offene Fragen eingesetzt, um mgliche Antwortkategorien herauszufinden. Offene Fragen liefern nuanciertere Antworten, die allerdings aufwndiger in der Aus wertung sind. Nachtrgliche Kategorisierungen sind ntig, um Vergleiche anstellen zu knnen. GeschlosseneFragensindleichter,dasienureinWiedererkennenderAntwortalterna tiven erfordern, whrend offene Fragen ein Sich Erinnern bedingen und darber hinaus ein hheres Verbalisierungsvermgen der Befragten voraussetzen. OffeneFrageneignensichzurFeststellungvonSprachklischeesundspontanenRangord nungen. Zur Beantwortung von geschlossenen Fragen gibt es hufig die Mglichkeit fr Mehrfachnennungen: Diese werden zur Auswertung in einzelne Variablen aufgelst. Beispiel: WerhatSiebeiderWahlIhresStudienfachesbeeinflusst? o ... Eltern (Auflsung in ja / nein) o ... FreundInnen (Auflsung in ja / nein) o ... Geschwister (ja / nein) o ... KollegInnen (ja / nein)

Mehrfachnennungen

4. DIE BEFRAGUNG

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Suggestive FragenBei einer suggestiven Frage wird dem/der Befragten die Antwort in den Mund gelegt. Dies geschieht z.B. durch Einleitungen wie Finden Sie nicht auch ... die Verwendung von Reizwrtern und Stereotypen den Einbau von Argumenten Suggestiv-Fragensindunzulssig!Suggestivfragen

Beispiel 1: Antwortverzerrungen durch ArgumenteWas ist Ihre persnlicheMeinung: Finden Sie es alles in allem gerecht-gerecht- ungerecht- unentfertigt oder nicht gerechtfertigt, wenn die Altbaumieten erhht werden?fertigt fertigt schieden 1. Fassung: obige Formulierung 30 % 44 % 40 % 26 % 24 %

2. Fassung: Es ist ja so, dass in Altbauwohnungen die Mieten heute noch so sind, wie vor dem Krieg. Was ist Ihre ... (obige Formulierung) 36 % 3. Fassung: Die Hausbesitzer sagen, mit den jetzigen Mieten knnen die notwendigen Reparaturen an den Husern nicht durchgefhrt werden. Was ist Ihre ... (obige Formulierung) 37 % 4. Fassung: Es ist ja so, dass die Neubaumieten heute im allgemeinen viel hher sind als die Altbaumieten. Was ist Ihre ...(obige Formulierung) 28 %

34 % 46 %

29 % 26 %

Beispiel 2: Antwortverzerrungen durch ArgumenteMeldung im STANDARD am 5.11.2009: Jene IMAS Umfrage derzufolge 86 Prozent der Befragten Zugangsbeschrnkungen befrworten wrden, wird nicht nur von den Audimax-Besetzern sondern auch vom GB kritisiert. Die Frage im Wortlaut: In nahezu allen europischen Lndern gibt es Aufnahmeprfungen und Zugangsbeschrnkungen an den Universitten. Daher kommt es jedes Jahr in sterreich zu einem Ansturm auslndischer Studenten, die in ihrer Heimat nicht zum Studium zugelassen wrden. Halten Sie es unter diesen Umstnden fr sinnvoll, bestimmte Zugangsbeschrnkungen bzw. Aufnahmeprfungen einzufhren oder sind Sie gegen solche Beschrnkungen? Der GB spricht hier von einer manipulativen Fragestellung.

4.1.2. Verschiedene KommunikationsartenJede Befragung stellt eine soziale Situation dar. Dazu gehren nicht nur die Menschen, die miteinander sprechen, sondern auch die jeweilige Umgebung. Von sozialer Situation ist selbst dann zu sprechen, wenn jemand fr sich allein einen schriftlichen Fragebogen be antwortet oder wenn er/sie telefonisch befragt wird. Gegenseitige Erwartungen, Wahrneh mungen aller Art und die (auch davon beeinflussbare) individuelle Befindlichkeit beeinflussenBefragung als soziale Situation

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Verhalten und verbale Reaktion. Die Totalkontrolle der sozialen Situation Interview ist nicht mglich. Es ist sehr wichtig, sich bei der Erhebung sozialer Daten darber im Klaren zu sein, dass die Frage (der Stimulus) auf dem Weg zur Antwort (Reaktion) einige Filter durchluft: die rumliche und zeitliche Situati on der Befragung, die soziale Distanz zwischen den InterviewpartnerInnen, Auffassung und Ausdrucksvermgen, persnliche Erlebnisse, Hemmschwellen, etc.

Persnliche, mndliche BefragungIn der persnlichen, mndlichen Befragung treten viele zwischenmenschliche Aspekte zu Tage. Dazu gehren Antworthemmungen des/der Befragten, manipulative Fragen und auch die Mehrdimensionalitt von Fragen.Antworthemmungen

DemAbbauvonAntworthemmungendient das Zulassen einer allgemeinen Antwort das Entschrfen und Verharmlosen berrumpeln der Appell an den Mitlufereffekt Manipulationkannpassierendurch scheinbar offene Fragen geschlossene Fragen mit unvollstndigen Antwortvorgaben das Vorlesen (zu) langer Listen mit Fakten, Antwortmglichkeiten, etc. den Ausschluss bzw. das Nicht Ermglichen von Mehrfachnennungen asymmetrische Antwortvorgaben Mit der DimensionalittvonFragen ist gemeint, dass Fragen meist mehrere Ebenen an sprechen. Mit dem Statement: Menschen mit Behinderung sollten bei der Vergabe von Arbeitspltzen bevorzugt werden werden unter Umstnden mehrere Dimensionen ange sprochen. Dadurch kann die Messung der eigentlichen Dimension verzerrt werden: Zieldimension(A): Einstellung gegenber Menschen mit Behinderung: [12(3) 45678910] Fremddimension(B): BefragteR sieht seinen Arbeitsplatz bedroht Effekt: [123456(7)8910] SozialeWnschbarkeit(W): BefragteR erinnert sich an die gesellschaftliche Norm, dass Menschen mit Behinderung nicht diskriminiert [1(2)345678910] werden Effekt: QuellenderAntwortverzerrung (Bias = systematische Messfehler durch subjektive Faktoren) Fremddimension Abgabe sozial erwnschter Antworten: Soziale Wnschbarkeit (social desirability) Explizite Verweigerung einer Antwort (ItemNonresponse) Abgabe einer Antwort obwohl keine Meinung zum erfragten Gegenstand vorhanden ist (NonAttitudes) Reaktionen auf Merkmale des/der Interviewenden (Interviewereffekte)sehr positiv sehr negativ

Manipulation

Dimensionalitt von Fragen

Verzerrungen Bias

4. DIE BEFRAGUNG

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Reaktionen auf formale Aspekte von Fragen (Frageeffekte) Reaktionen auf die Abfolge von Fragen (Positions/Haloeffekte) Reaktionen auf Anwesenheit Dritter (Anwesenheitseffekt) Reaktionen auf die Auftraggeber der Studie (Sponsorshipeffekt) Zustimmung zu Fragen unabhngig von deren Inhalt (JaSageTendenz, Akquiesenz)

Grundregeln der Frageformulierung kurz,verstndlichundprzise keineAnbiederung keinedoppeltenVerneinungen Antwortvorgaben: disjunkterschpfendprzise mehrdimensionaleFragenvermeiden keineStereotypeundReizwrter keineindirektenFragen keineSuggestivfragen keineberforderungderBefragten

Grundregeln der Frageformulierung

PretestVor de Datenerhebung sollte der Fragebogen empirisch getestet werden. Pretests dienen u.a. der berprfung des Verstndnisses der Fragen der Effekte der Fragenanordnung der Gter der Filter und Gabelfragen der Dauer der Befragung

Pretest

Dramaturgie der Befragung DerFragebogenbeginntmitErffnungsfragen, so genannten Eisbrecherfragen, die auf das Thema hinfhren und von den Befragten mit Interesse aufgenommen werden. DieAufmerksamkeit steigt zunchst und sinkt dann mit zunehmender Fragedauer ab. Die wichtigsten Fragen sollen daher im zweiten Drittel des Fragebogens platziert werden. Zur Diagnose von Fragekoeffizienten kann man die Fragen variieren. Man erhlt dann unterschiedliche Fragebogenversionen und kann so den Fragebogen z.B. im Pretest einem berprfung auf Kontexteffekte unterziehen. FilterfragenundGabelnhelfen,berflssigeFragenzuvermeidenunddieBefragungszeit zu reduzieren. SoziodemografischeFragenwerden in der Regel am Ende des Fragebogens gestellt.

Dramaturgie

Postalische BefragungUnter postalischer Befragung versteht man den Versand und Rcklauf von Fragebgen. Vorteilhaft daran ist, dass diese Art der Befragung relativ kostengnstig ist und dass eine grere geographische Reichweite erzielt werden kann. Der/die InterviewerIn fllt als Fehlerquelle, aber auch als Kontrollinstanz weg. Probleme ergeben sich durch den meist eher schwachen Rcklauf (10 90 %) und die unkontrollierte Erhebungssituation. Der/die Befragte ist beim Beantworten der Fragen auf sich alleine gestellt, eventuelle Unklarheiten knnen nicht beseitigt werden. Das fhrt hufig zu unvollstndig ausgefllten Fragebgen. Dadurch und durch den geringen Rck lauf ist die Reprsentativitt fraglich.

Postalische Befragung: Vor- & Nachteile

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IKS / VSSTOE SKRIPTUM: Grundzge der empirischen Sozialforschung

Geeignet ist die postalische Befragung fr geschlossene, homogene Teilpopulationen mit spezifischem Interesse an der Befragung. Fr allgemeine Bevlkerungsumfragen ist sie un geeignet.Kriterien fr postalische Befragung

Besonders zu beachten bei der postalischen Befragung ist: eine einfache grafische und verbale Gestaltung (Entfall mglicher Untersttzung) die schriftliche oder telefonische Ankndigung die Zusicherung der Anonymitt ein frankiertes Rckkuvert telefonisches oder schriftliches Nachfassen der Einsatz von Incentives: kleine Prsente oder Verlosung (dabei muss die Anonymitt der Fragebgen gewahrt bleiben)

Telefonische BefragungTelefonische Befragung in der Markt- und Meinungsforschung

Die telefonische Befragung ist eine gngige Befragungstechnik in der Markt und Meinungs forschung (CATI = Computer Assisted Telephone Interviewing). Die InterviewerInnen arbeiten interaktiv mit einem Computerprogramm, was den Erhebungs und Auswertungsaufwand reduziert (Auswahl von Telefonnummern, Ersatznummern bei Fehlversuchen, Erstellung von Zwischenergebnissen, aber auch automatisierte Interviewdurchfhrung: Filterfhrung, Codes, etc.) Die Bildung von Zufallsstichproben ist aufgrund der hohen Telefondichte und durch das Vorliegen elektronischer Telefonverzeichnisse relativ einfach (RDD = Random Digit Dialing). Durch Geheim und nicht aufscheinende Handynummern knnen Stichprobenfehler jedoch nicht ausgeschlossen werden. Wie bei der postalischen Befragung gilt auch hier, dass die Interviewsituation nur schwer kontrolliert werden kann: Ein Telefonkontakt garantiert nicht, dass tatschlich die Zielperson am Apparat ist. Telefoninterviews erlauben Rckfragen und Verdeutlichungen. Erscheinen und Auftreten der InterviewerInnen spielen keine Rolle. Naturgem knnen allerdings keine Karten mit Ant wortvorgaben oder Demonstrationsmaterial vorgelegt werden. Umfangreiche Fragekom plexe mssen daher strker aufgegliedert werden und offene Fragen sowie Antwortmg lichkeiten reduziert werden.

Zeitrahmen

Telefoninterviews sollten krzer sein als persnliche FacetoFace Befragungen. Berekhoven u.a. (1999, S.108) sprechen von einem Zeitrahmen von 10 bis 15 Minuten. Das ist ein Richtwert, der bei einem hohen Interesse seitens der Befragten berschritten werden kann.

4. DIE BEFRAGUNG

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4.2. SKALEN UND INDIZES 4.2.1. Realitt Begriff Definition(siehe Denz, 2005, S.21 f)

Wir nehmen nicht eine Wirklichkeit wahr, sondern eine durch Begriffe