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übersicht Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung 1 3 Social cognition in patients with mood disorders. Part II: Bipolar Disorder – A selective review of the literature Summary Objective Overview on the current knowledge regarding social cognition in patients with bipolar disorder. Methods Selective literature research on deficits in social cognition intrinsic to bipolar disorder, their occur- rence and effects. Results Deficits in social cognition are considered to be core features of bipolar disorder. ey are appar- ent during acute episodes of the disorder, endure when patients are in remission and have a significant negative impact on the patients’ psychosocial outcomes. Conclusions It is important to consider deficits in social cognition as an integral part of a treatment approach to achieve mental stabilization in patients with bipolar disorder. Keywords Social cognition · Mood disorders · Major depressive disorder · Bipolar disorder · Outcome Einleitung Nach Abhandlung sozial-kognitiver Defizite bei unipola- rer depressiver Störung und ihrer Auswirkung auf den Outcome der betroffenen PatientInnen im ersten Teil unserer Arbeit widmet sich die vorliegende Übersichts- arbeit der bipolaren affektiven Störung und weist erneut auf die Bedeutung eines integrativen Behandlungsansat- zes hin, um einen bestmöglichen Outcome erzielen zu können. Zusammenfassung Anliegen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zur sozialen Kognition bei PatientInnen mit bipolarer affektiver Störung. Methode Selektive Literaturübersicht zu krankheits- assoziierten Defiziten, Vorkommen und Auswirkungen. Ergebnisse Analog zu PatientInnen mit unipola- rer Depression weisen auch jene mit bipolarer affekti- ver Störung sowohl in Phasen der Erkrankung als auch in Remission Defizite im Bereich der sozialen Kogni- tion auf, welche den psychosozialen Outcome negativ beeinflussen. Schlussfolgerungen Eine umfassende psychische Stabilisierung von PatientInnen mit bipolarer affektiver Störung erfordert einen integrativen Behandlungsansatz mit Berücksichtigung sozial-kognitiver Defizite. Schlüsselwörter Soziale Kognition · Affektive Störungen · Bipolare affektive Störung · Outcome Neuropsychiatr DOI 10.1007/s40211-013-0096-0 Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung Eine selektive Literaturübersicht Christine Maria Hoertnagl · Stefan Oberheinricher · Alex Hofer Dr. C. M. Hoertnagl, MD () Department für Psychiatrie und Psychotherapie, Univ.-Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Sozialpsychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, Österreich E-Mail: [email protected] S. Oberheinricher, MD · A. Hofer, MD Department für Psychiatrie und Psychotherapie, Univ.-Klinik für Biologische Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Eingegangen: 29. Oktober 2013 / Angenommen: 31. Dezember 2013 © Springer-Verlag Wien 2014

Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung; Social cognition in patients with mood disorders. Part II: Bipolar Disorder;

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Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung 11 3

Social cognition in patients with mood disorders. Part II: Bipolar Disorder – A selective review of the literature

SummaryObjective Overview on the current knowledge regarding social cognition in patients with bipolar disorder.

Methods Selective literature research on deficits in social cognition intrinsic to bipolar disorder, their occur-rence and effects.

Results Deficits in social cognition are considered to be core features of bipolar disorder. They are appar-ent during acute episodes of the disorder, endure when patients are in remission and have a significant negative impact on the patients’ psychosocial outcomes.

Conclusions It is important to consider deficits in social cognition as an integral part of a treatment approach to achieve mental stabilization in patients with bipolar disorder.

Keywords Social cognition  · Mood disorders  · Major depressive disorder · Bipolar disorder · Outcome

Einleitung

Nach Abhandlung sozial-kognitiver Defizite bei unipola-rer depressiver Störung und ihrer Auswirkung auf den Outcome der betroffenen PatientInnen im ersten Teil unserer Arbeit widmet sich die vorliegende Übersichts-arbeit der bipolaren affektiven Störung und weist erneut auf die Bedeutung eines integrativen Behandlungsansat-zes hin, um einen bestmöglichen Outcome erzielen zu können.

ZusammenfassungAnliegen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zur sozialen Kognition bei PatientInnen mit bipolarer affektiver Störung.

Methode Selektive Literaturübersicht zu krankheits-assoziierten Defiziten, Vorkommen und Auswirkungen.

Ergebnisse Analog zu PatientInnen mit unipola-rer Depression weisen auch jene mit bipolarer affekti-ver Störung sowohl in Phasen der Erkrankung als auch in Remission Defizite im Bereich der sozialen Kogni-tion auf, welche den psychosozialen Outcome negativ beeinflussen.

Schlussfolgerungen Eine umfassende psychische Stabilisierung von PatientInnen mit bipolarer affektiver Störung erfordert einen integrativen Behandlungsansatz mit Berücksichtigung sozial-kognitiver Defizite.

Schlüsselwörter Soziale Kognition · Affektive Störungen · Bipolare affektive Störung · Outcome

NeuropsychiatrDOI 10.1007/s40211-013-0096-0

Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung

Eine selektive Literaturübersicht

Christine Maria Hoertnagl · Stefan Oberheinricher · Alex Hofer

Dr. C. M. Hoertnagl, MD ()Department für Psychiatrie und Psychotherapie, Univ.-Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Sozialpsychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

S. Oberheinricher, MD · A. Hofer, MDDepartment für Psychiatrie und Psychotherapie, Univ.-Klinik für Biologische Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

Eingegangen: 29. Oktober 2013 / Angenommen: 31. Dezember 2013© Springer-Verlag Wien 2014

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diverse Affirmationen über die Handlungsintentionen eines Protagonisten zu beurteilen. Insgesamt waren die depressiven PatientInnen verglichen mit der gesunden Kontrollgruppe in dieser Untersuchung kaum beein-trächtigt, wobei allerdings die Aussagekraft der Studie durch die geringe Teilnehmerzahl limitiert ist. Im Gegen-satz dazu fanden sowohl Kerr et al. [5] als auch Bonsh-tein et al. [6] bei PatientInnen mit bipolaren Störungen während der depressiven Krankheitsphase ausgeprägte ToM-Defizite.

Attributional Bias

Lyon et al. [7] verglichen akut-depressive PatientInnen mit bipolaren Störungen (BD) und gesunde Kontrollpro-bandInnen bezüglich sozial-kognitiver Eigenschaften, speziell im Hinblick auf attributionale Fertigkeiten. Im Rahmen der Auswertung des Attributional Style Ques-tionnaire [8] konnten die Untersucher feststellen, dass sich akut-depressive Individuen selbst mehr negative als positive Attribute zuschreiben. Auch in einem impliziten Test zum Attributionsstil ordneten sich die PatientInnen selbst vermehrt negative Eigenschaften zu. Außerdem stellten die Untersucher eine verlangsamte Erkennungs-geschwindigkeit für depressionsbezogene Wörter, nicht aber für euphoriebezogene fest. Zusätzlich beschrieben akut-depressive PatientInnen ihre eigene Persönlichkeit vorwiegend mit negativ valenzierten Adjektiven.

Bipolare affektive Störung: Soziale Kognition während der manischen Phase

Erkennen von Emotionen

Lembke und Ketter [9] stellten fest, dass akut-manische PatientInnen mit BD im Erkennen von emotionalen Gesichtsausdrücken generell beeinträchtigt sind. Haupt-sächlich neigten die erkrankten StudienteilnehmerIn-nen dazu, „Angst“ mit „Überraschung“ und „Ekel“ mit „Ärger“ zu verwechseln, was wiederum eine gute Erklä-rung für das teilweise aggressive Annäherungsverhalten dieser PatientInnen darstellen könnte. Ähnliche Ergeb-nisse erbrachte auch eine Studie von Lewandowska et al. [10], in der sich vor allem das Erkennen von negativen Emotionen beeinträchtigt zeigte. Darüber hinaus gelang es auch Getz et al. [11] nachzuweisen, dass manisch Erkrankte verschiedene Aufgaben zur Emotionscharak-terisierung mit wesentlich höherer Fehlerquote bewälti-gen als Gesunde.

Gray et al. [1] untersuchten, ob die manische Phase bei bipolaren PatientInnen möglicherweise die Emp-fänglichkeit für den Gesichtsausdruck „Freude“ erhöht und umgekehrt die Sensitivität für negative emotionale Gesichtsausdrücke mindert, konnten diese Hypothese jedoch nicht bestätigen.

Methodik

Die Literaturauswahl erfolgte mittels Medline-Recher-che mit den Suchbegriffen „major depressive disorder“ und „bipolar disorder“ in Kombination mit „social cog-nition“, „social perception“, „social attribution“, „ver-bal emotion recognition“, „facial emotion recognition“, „theory of mind“, „empathy“ sowie durch Sichtung der weiterführenden Literaturhinweise. Ferner wurden nicht in Medline gelistete deutschsprachige Artikel und Buchbeiträge in die Auswertung einbezogen. Die zitierte Literatur stellt eine Auswahl der aus Sicht der Autoren im Hinblick auf wissenschaftliche und praktische Rele-vanz wichtigsten Artikel dar und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ergebnisse

Bipolare affektive Störung: Soziale Kognition während der depressiven Phase

Grundsätzlich werden an dieser Stelle sämtliche rele-vante Informationen über die Bedeutung der sozialen Kognition während der depressiven Phase bei Bipolar I-PatientInnen zusammengefasst. Sind in einzelnen Stu-dien auch Bipolar II-PatientInnen involviert, so wird dies eigens angeführt.

Erkennen von Emotionen

Gray et al. [1] untersuchten, inwiefern der depressive Zustand bei bipolaren PatientInnen die Sensitivität für die Perzeption von freudigen Gesichtsausdrücken ver-mindert und umgekehrt die Empfänglichkeit für negative erhöht. Hierfür wurde einerseits die depressive Sympto-matik erfasst und andererseits die Sensitivität für die verschiedenen Gesichtsausdrücke mit Hilfe eines von Frigerio et al. [2] entwickelten interaktiven Computer-programms bestimmt. Es zeigte sich, dass die depressive Phase im Rahmen einer bipolaren Störung die Empfäng-lichkeit für positive emotionale Stimuli negativ beeinflus-sen kann. Außerdem konnte für depressive PatientInnen eine gesteigerte Wahrnehmung für negative Ausdrücke nachgewiesen werden, was das Krankheitsgeschehen möglicherweise negativ beeinflusst. Schaefer et al. [3] konnten diese Ergebnisse in einer späteren Untersu-chung bestätigen.

Theory of Mind und Empathie

In einer rezenten Untersuchung zu ToM-Fähigkeiten von bipolaren PatientInnen machten sich Bazin et al. [4] ein relativ neuartiges Testprogramm zunutze (Versailles-Si-tuational Intention Reading, V-SIR), welches auf Video-auszügen basiert und komplexe Real-Life-Szenen von sozialen Interaktionshandlungen präsentiert. 12 akut-depressive PatientInnen sowie 15 gesunde Kontroll-personen wurden im Rahmen der Testserie beauftragt,

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Bipolare affektive Störung: Soziale Kognition während der Remissionsphase

Emotionsverarbeitung

Bei dem in der Studie von Lex et al. [14] verwendeten Emotional Stroop Test handelt es sich um die compute-risierte Version eines bereits oftmals angewandten Test-programms [7, 15, 16] und gleichzeitig um eine relativ sensitive Methode, die Verarbeitung von emotionalen Informationen messbar zu machen. Auf einem Bild-schirm wurden in dieser Studie BD-PatientInnen und gesunden ProbandInnen viermal je 88 bunt kolorierte Adjektive präsentiert. Einmal handelte es sich dabei um 88 negativ valenzierte Adjektive, einmal um posi-tiv valenzierte und einmal um neutrale. Beim vierten Mal wurden einzelne Buchstaben zu bedeutungslosen Kombinationen zusammengefügt, um realistische Kon-trollkonditionen zu schaffen. Die Abfolge der vier Kate-gorien, die Reihenfolge der Wörter auf dem Bildschirm und die Farben der Adjektive wurden allesamt zufällig vom Computerprogramm festgelegt. Die Studienteilneh-merInnen waren dazu angehalten, die Farben der Adjek-tive so schnell wie möglich laut zu nennen, ohne dabei dem Inhalt der Wörter Aufmerksamkeit zu schenken. Die hierfür benötigte Zeit wurde aufgezeichnet. Die abhän-gigen Variablen in dieser Versuchsreihe waren also die Reaktionszeiten auf die positiven, negativen und neu-tralen Gemütsadjektive. Hohe Latenzzeiten bezüglich negativ valenzierter Adjektive bedeuteten somit einen pessimistischen Emotionsverarbeitungsstil, wie er bei akut-depressiven Individuen gefunden werden kann [17], hohe Latenzperioden bezüglich positiv valenzierter Adjektive wiesen auf einen optimistischen Emotions-prozessierungsstil hin. Alle StudienteilnehmerInnen beanspruchten signifikant weniger Zeit für neutrale als für positiv oder negativ valenzierte, den Gemütszustand beschreibende Adjektive. Insgesamt konnten keine Unterschiede zwischen gesunden Individuen und der erkrankten Population verzeichnet werden, was gegen Einschränkungen in der Emotionsverarbeitung remit-tierter PatientInnen spricht.

Erkennen von Emotionen

In einer von Venn et al. [18] durchgeführten Untersu-chung waren remittierte BD-PatientInnen zwar hinsicht-lich des Wiedererkennens von Gesichtern mit gesunden Kontrollpersonen vergleichbar, hatten allerdings Schwie-rigkeiten, „Angst“ zu erkennen. Dem gegenüber berei-tete ihnen das Erkennen von „Freude“, „Überraschung“, „Trauer“, „Ekel“ und „Ärger“ keine Schwierigkeiten. Zur genaueren Erforschung wurde von Crawford’s Dif-ferential Deficit Procedure [19] Gebrauch gemacht. Der Benefit dieser Technik liegt darin, dass sie eine Unter-scheidung erlaubt, ob das Defizit in einem Test A sig-nifikant größer ist als das Defizit in einem Test B. Das differentielle Defizit kann berechnet werden, indem die Korrelation zwischen Gruppenzugehörigkeit und Test

Theory of Mind und Empathie

In der oben erwähnten Versuchsreihe zur Attributions-fähigkeit von Intentionen (Bazin et al.) [4] wurden bei manischen PatientInnen im Unterschied zur akut-de-pressiven Gruppe weitreichende Attributionsdefizite fest-gestellt. Daneben berichten Bonshtein et al. [6] und Kerr et al. [5] von ausgeprägten ToM-Defiziten. Zu beachten ist allerdings bei allen Studien eine sehr geringe Fallzahl.

Attributional Bias

Im Unterschied zur depressiven PatientInnengruppe zeigten die im Rahmen der oben beschriebenen Studie von Lyon et al. [7] untersuchten manischen PatientInnen im Attributional Style Questionnaire [8] keine besonde-ren Auffälligkeiten. Allerdings schrieben sich die Patient-Innen im impliziten Test ebenfalls selbst mehr negative als positive Eigenschaften zu. Zudem benötigten auch sie wesentlich mehr Zeit dafür, depressionsbezogene Wörter mit emotionaler Farblichkeit zu versehen. Ana-log zu gesunden Kontrollpersonen empfanden manische PatientInnen hauptsächlich positive Wörter ihrer Per-sönlichkeit entsprechend.

Nicht-verbales soziales Verhalten

In der Vergangenheit wurde postuliert, dass manische PatientInnen mit BD auf Grund ihrer affektgeleiteten Kognitionsdefizite ein abnormes Annäherungsverhal-ten während sozialer Interaktionen beibehalten. Um diese Hypothese zu testen, untersuchten Kim et al. [12] die interpersonelle Distanz und den Blickwinkel von je 20 manischen PatientInnen und gesunden Kontroll-personen in einer virtuellen Umgebung. Dazu war es zunächst notwendig, ein virtuelles Umgebungssystem zu schaffen, in dem die Studienteilnehmer mit virtuellen Figuren interagieren konnten [13]. Um die Realitätsnähe zu steigern, verlieh das Forscherteam den virtuellen Gestalten spezielle Fähigkeiten, wie etwa natürliches Augenblinzeln oder dem jeweiligen emotionalen Aus-druck entsprechende Gesten. Den ProbandInnen wurde im Vorfeld nicht verraten, dass ihr Blick und ihr Distanz-verhalten gemessen werden würden. Fälschlicherweise wurde ihnen glaubhaft gemacht, dass es in dieser Studie um die Art und Weise ginge, wie sich Menschen während Interaktionen in einer virtuellen Realität fühlen. Die Stu-dienteilnehmer wurden beauftragt, sich den verschiede-nen Figuren zu nähern und diese anzusprechen, um so die entsprechenden Messwerte erheben zu können. Ins-gesamt konnten die Forscher bei manischen PatientIn-nen größere interpersonelle Distanzen feststellen als bei gesunden Kontrollpersonen. Diese wurden im Verhältnis nochmals größer, wenn zusätzliche psychotische Symp-tome vorlagen. Unabhängig davon war zu beobachten, dass die PatientInnen ihren Blick im Gespräch mit den Interaktionspartnern häufiger abwandten als gesunde Kontrollpersonen, während des Sprechens noch viel deutlicher als während des Zuhörens.

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tuellen Einschränkungen der Teilnehmer. LeMoult et al. [26] hingegen stellten fest, dass sich bipolare PatientIn-nen zwar nicht in der Identifikation von „Trauer“ oder „Ärger“ ausdrückenden Gesichtern von gesunden Indi-viduen unterscheiden, wohl aber im Erkennen von „Freude“, wobei es für das Erkennen einer größeren emo-tionalen Intensität bedarf.

Von einem schlechteren Abschneiden remittierter BD-PatientInnen berichteten McClure et al. [30] und Bozikas et al. [31]. Das griechische Forscherteam [31] machte sich dabei zweierlei computerisierte Testsysteme zu Nutze: einerseits Kinney’s Identity Matching Test (KIMT) und andererseits Kinney’s Affect Matching Test (KAMT) [32, 33]. Die sich in Remissionsphase befinden-den Studienteilnehmer (19 PatientInnen) lieferten im Gegensatz zur gesunden Kontrollgruppe eine wesentlich schlechtere Leistung im KAMT ab, nicht aber im KIMT. Es konnte allerdings keinerlei Korrelation zwischen der Testleistung und Krankheitsverlauf, Erkrankungsdauer oder Residualsymptomatik festgestellt werden. In einer eigenen Studie [34] waren remittierte BD-PatientIn-nen im Erkennen von Freude und Ekel ausdrückenden Gesichtsausdrücken signifikant eingeschränkt. Zudem wurde deutlich, dass BD-PatientInnen am häufigsten „Ekel“ als „Ärger“ missinterpretierten, „Angst“ als „Ekel“ oder „Überraschung“, „Überraschung“ als „Angst“ sowie „Trauer“ als „Angst“ oder „Ärger“. Es konnten allerdings nur wenige signifikante Zusammenhänge zwischen Emotionserkennung und symptomatischem bzw. funk-tionellem Outcome festgestellt werden.

In einem Anschlussprojekt an ihre Studie zur Emo-tionserkennung in menschlichen Gesichtsausdrücken untersuchten Bozikas et al. [35], ob remittierte bipolare PatientInnen auch Defizite in der Perzeption von affekti-ven prosodischen Reizen aufweisen. Tatsächlich zeigten sich in dem von Hiou et al. [36] konzipierten affektiven Prosodie-Test (ATP) entsprechende Beeinträchtigungen, speziell bei Frauen und bei der Darstellung von „Angst“ und „Überraschung“. Eine von unserer Arbeitsgruppe durchgeführte Studie zeigte Defizite im Erkennen von affektiver Prosodie bei remittierten bipolaren Patien-ten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. So missinterpretierten Patienten etwa signifikant häufiger traurige Prosodie als fröhliche. Sie zeigten zudem sig-nifikante Einschränkungen im Erkennen des affektiven Inhaltes der vorgetragenen Sätze [37].

Theory of Mind und Empathie

Um herauszufinden, ob die bipolare Erkrankung in ihrer Remissionsphase auch mit ToM-Defiziten und anderen sozial-kognitiven Einschränkungen assoziiert ist, über-prüften Bora et al. [20] 43 euthyme PatientInnen und 30 gesunde ProbandInnen anhand verschiedener Tests. Hierfür wurden folgende Testverfahren eingesetzt. 1: der „Reading the Mind in the Eyes“-Test [38], 2: der „Hin-ting Task“ [39], welcher die Fähigkeit zur Ableitung der realen Intention hinter einer indirekten verbalen Äuße-rung einer Person prüft, 3: ein Emotionserkennungs-

A (hier: das Erkennen von „Angst“) mit der Korrelation zwischen Gruppenzugehörigkeit und Test B (hier: die anderen Emotionen) verglichen wird. Die somit erziel-ten Resultate zeigten eindeutig, dass auch die Identifika-tionsfähigkeit für die Emotion „Angst“ nicht signifikant eingeschränkt war. Dieses Ergebnis deckte sich mit jenem von Lembke et al. [9]. Auch Bora et al. [20] konnten in einem Testversuch zur Perzeption von basalen Emotio-nen kein unterschiedliches Abschneiden zwischen einer aus 43 PatientInnen bestehenden euthymen BD-Gruppe und einer 30-köpfigen gesunden Kontrollpopulation feststellen. Shamay-Tsoory et al. [21] entwickelten ihrer-seits speziell einen computerisierten Test, um neben dem Erkennen von basalen Emotionen auch die Perzep-tion sozialer Emotionen bei euthymen bipolaren Pati-entInnen zu erforschen. Der Test beinhaltete einerseits 52 unterschiedliche Fotos von Augenpartien, welche einerseits diverse basale Emotionen („Freude“, „Trauer“, „Angst“, „Überraschung“, „Ekel“, „Leid“, „Ärger“) nach Ekman [22], darstellten und andererseits sieben sozial-emotionale Zustandsformen, basierend auf einer Arbeit von Baron-Cohen et al. [23]: „interessiert“, „besorgt“, „zuversichtlich“, „fantasiert“, „beunruhigt“, „freundlich“ und „verdächtig“. Die beiden Untersuchungsgruppen erzielten vergleichbare Ergebnisse.

Von den bisher angeführten Studienergebnissen leicht abweichende Resultate präsentierten hingegen Harmer et al. [24], Derntl et al. [25] und LeMoult et al. [26]. Die Arbeitsgruppe um Harmer [24] fand bei euthymen bipolaren PatientInnen geringfügige, jedoch signifikante Defizite im Erkennen von berühmten Gesichtern und konnte bei besagter PatientInnenpopulation gleichzeitig auch einen selektiven Vorteil für die Identifikation von „Ekel“ ausdrückenden Gesichtern nachweisen. Derntl et al. [25] untersuchten Bipolar I- und Bipolar II-Patient-Innen mit Hilfe von zwei verschiedenen Testversuchen. Im Vienna Emotion Recognition Task sollten auf einem Monitor präsentierte emotionale Gesichtsausdrücke („Ärger“, „Ekel“, „Angst“, „Freude“ oder „Trauer“) iden-tifiziert werden. Die dabei verwendeten Bilder waren Standardvorlagen und fanden bereits in vorangegange-nen Studien Verwendung. Es handelte sich hierbei um in Valenz (sechs Bilder für jede Emotion/sechs neutrale) und Geschlecht (18 weibliche und 18 männliche Darstel-ler) balanciertes Material. Im Emotional Memory Task hingegen galt es, sich an 24 zuvor in zufälliger Reihen-folge präsentierte Bilder, die allesamt neutrale Gesichts-ausdrücke darstellten [27–29], zu erinnern und diese wiederzuerkennen. Die ProbandInnen sollten angeben, ob sie ein Gesicht im Vorfeld bereits gesehen hatten oder nicht. Die Ergebnisanalyse konnte zwar keinen direkten Geschlechterunterschied erkennbar machen, sehr wohl aber einen signifikanten Gruppeneffekt. PatientInnen mit einer remittierten Bipolar I-Störung ließen in beiden Versuchen eine im Vergleich zu Bipolar II-PatientInnen herabgesetzte Präzision erkennen, die sich wiederum nicht wesentlich von den gesunden Kontrollpersonen unterschieden. Diese Resultate standen in keinerlei Zusammenhang zu Residualsymptomen oder intellek-

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Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung 51 3

setzt, wobei jede einen unterschiedlichen Gesichtspunkt von Empathie ergründet: a) die Perspektiven-Annahme-Subskala, welche die Tendenz misst, mit der eine Person den psychologischen Gesichtspunkt einer anderen Per-son spontan übernimmt, b) die Fantasie-Subskala, wel-che die Fähigkeit eines Menschen bestimmt, sich selbst imaginativ in eine fiktive Situation zu versetzen, c) die Subskala für empathisches Mitgefühl, welche sich mit Mitleid und kollektiven positiven Gefühlen auseinander-setzt, d) die persönliche Distress-Skala, welche die Nei-gung einer Person ausdrückt, sich durch beobachtetes Unbehagen einer zweiten Person selbst unwohl zu füh-len. In der erwähnten Untersuchung von Shamay-Tsoory et al. [21] wiesen BD-PatientInnen verglichen mit Gesun-den signifikant niedrigere Punktzahlen in der Subskala a) auf, erzielten allerdings wesentlich höhere Scores im Bereich der Subskala d). In den anderen beiden Unter-gruppen waren keine signifikanten Unterschiede beob-achtbar. Neben der Erfassung des Interpersonal Reactive Index wurde in dieser Studie mit Hilfe des Social Faux Pas-Task [46] auch die ToM erforscht. Eine Faux Pas-Si-tuation läuft beispielsweise dann ab, wenn eine Sprecher etwas sagt, ohne zu bedenken, dass der Hörer dies mög-licherweise nicht hören möchte oder durch das Gesagte vielleicht verletzt werden könnte. Um einen derartigen Faux Pas detektieren zu können, bedarf es einerseits des Verständnisses, dass es einen Unterschied im Wissens-stand zwischen Sprecher und Hörer geben kann (kogni-tive ToM) und andererseits des Sinnes für die emotionale Bedeutung einer Aussage (affektive ToM). Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gruppen konnten nur für die kognitiven ToM-Eigenschaften festgemacht werden, wobei die gesunden ProbandInnen eine wesent-lich bessere Testleistung erbrachten als die erkrankten Individuen. Interessanterweise ergab die Untersuchung der affektiven ToM-Fähigkeiten keine wesentlichen Abweichungen von der Norm für die euthyme Patient-Innengruppe. Analoge Ergebnisse erbrachten auch die Untersuchungen einer deutschen Forschergruppe [47].

Situationsbezogenes und allgemeines soziales Verhalten

Um Konkretes über das soziale Verhalten von BD-Pa-tientInnen in Remission herauszufinden, untersuchten De Almeida Rocca et al. [48] 25 euthyme BD-PatientIn-nen und 31 gesunde Freiwillige auf Grundlage des so genannten Inventário de Habilidades Sociais [49, 50] untersucht. Dabei handelt es sich um einen aus 38 Punk-ten bestehenden selbstreflektierenden Fragebogen, wobei jeder einzelne davon eine interaktive soziale Situ-ation und eine mögliche Reaktion darauf beschreibt. Die verschiedenen Situationen lassen sich dabei in 5 Kategorien einteilen: (1) Durchsetzungsvermögen in interpersonellen Situationen, (2) Selbstbewusstsein in der Expression von positiven Gefühlen, (3) Fähigkeiten in Konversationen und sozialer Mut, (4) Soziale Offen-heit, (5) Selbstkontrolle von Aggressivität. PatientInnen mit bipolarer Störung wiesen dabei im Vergleich zu den

test, in welchem verschiedenen Gesichtsausdrücken die jeweils passende Emotion zugeordnet werden muss und 4: diverse Aufmerksamkeitstests. Tatsächlich konn-ten erhebliche Schwächen in beiden ToM-Aufgaben („Reading the Mind in the Eyes“ und „Hinting“) ver-zeichnet werden. Diese Defizite persistierten auch nach der ANCOVA-Analyse für Kovariaten, wie beispielsweise Alter, Ausbildungsdauer oder depressive bzw. manische Restsymptomatik, und Bonferroni-Korrektur. Zudem konnten keinerlei Einflüsse von Geschlecht der Proban-dInnen oder Pharmakotherapien auf die Ergebnisse aus-gemacht werden. Auch Olley et al. [40] sowie Wolf et al. [41] stießen auf nahezu identische Ergebnisse, wobei in allen drei erwähnten Studien zusätzlich auch exekutive Dysfunktionen festgestellt werden konnten und somit ein bedeutender Zusammenhang zwischen ToM- und neurokognitiven Defiziten nicht ausgeschlossen werden kann. Inoue et al. [42] wiederum zeigten, dass remittierte BD-PatientInnen hauptsächlich bei second-order false belief – Aufgabenstellungen beeinträchtigt sind.

Levkovitz et al. [43] gelang es erstmals auf indirektem Wege, soziale Funktionsdefizite bei bipolaren Patient-Innen in Remission nachzuweisen. Es handelte sich dabei um eine Versuchsreihe mit elf sich in einer Paar-beziehung befindenden erkrankten Personen und ihren BeziehungspartnerInnen, wobei die Beziehungspartne-rInnen (!) der PatientInnen einerseits sowie eine gesunde Kontrollgruppe andererseits drei Versuchsprotokolle komplettierten, welche sich mit folgenden Thematiken auseinandersetzten: mit der Qualität der Paarbezie-hung, mit den Charakteristika, welche die Beziehungs-partnerInnen den Erkrankten attribuierten, und mit der nicht-formellen sozialen Unterstützung. Im Gegensatz zu PartnerInnen von Gesunden gaben die PartnerInnen von Erkrankten in Remission eine deutlich verminderte einheitliche Verbundenheit und einen beeinträchtigten Ausdruck von Gefühlen in der Beziehung an. Außerdem sprachen die PartnerInnen den PatientInnen vermehrt negative Qualitäten zu und beklagten sich über vernach-lässigten emotionalen und praktischen Rückhalt. Die PatientInnen selbst wurden im Rahmen dieser Studie allerdings nicht untersucht.

Untersuchungen von Kerr et al. [44] zeigen, dass zwar während der akuten (depressiven oder manischen) Krankheitsphasen eindeutige ToM-Defizite vorliegen, allerdings scheinen sich diese während der Remis-sionsphase Hand in Hand mit der klinischen Sympto-matik zurückzubilden. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, dass bei den Teilnehmern dieser Studie außergewöhnlich hohe IQ-Werte gemessen wer-den konnten, sodass eine Korrelation zwischen IQ und psychosozialem Outcome durchaus zu vermuten ist. Allerdings haben auch andere, rezente Studien ähn-liche Ergebnisse erbracht. In der Studie von Shamay-Tsoory et al. [21] beispielsweise wurden die kognitiven und affektiven Aspekte der empathischen Fähigkeiten von 19 PatientInnen und 20 gesunden Kontrollpersonen anhand des Interpersonal Reactive Index [45] bestimmt. Dieser Index ist aus vier Untergruppen zusammenge-

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6 Soziale Kognition bei PatientInnen mit affektiven Störungen. Teil II: Bipolar affektive Störung 1 3

Defizite in psychosozialen Belangen der Erkrankten darstellen. So können sich etwa auch neurokognitive Beeinträchtigungen, welche bei 35–70 % von Patienten mit affektiven Störungen auftreten [60, 61], negativ auf das soziale und berufliche Funktionsniveau der Betrof-fenen auswirken [62–65]. Bei bipolaren Patienten treten kognitive Beeinträchtigungen in allen Krankheitsphasen auf, also sowohl während Krankheitsepisoden als auch in Remission [66]. Ähnlich wie bei Patienten mit unipola-ren Depressionen finden sich bei depressiven bipolaren Patienten neben defizitären Exekutivfunktionen [66, 67] Beeinträchtigungen im verbalen Gedächtnis [66], welche bei BD etwas stärker ausgeprägt sind [68, 69]. Manische bipolare Patienten weisen in erster Linie Beeinträchti-gungen von Daueraufmerksamkeit [70] und Exekutiv-funktionen [71] auf, welche wiederum zu Defiziten im Erwerb und Behalten von verbalen und nonverbalen Informationen führen [72].

Analog zur Behandlung unipolarer Depressionen erfordert eine ganzheitliche Therapie der bipolaren affektiven Störung somit neben medikamentösen auch sozial- und neurokognitive Interventionen, um eine umfassende psychische Stabilisierung erreichen zu können.

Konsequenzen für Klinik und Praxis

Analog zu den Befunden bei PatientInnen mit unipolarer Depression beeinflussen Defizite im Bereich der sozialen Kognition den Outcome von PatientInnen mit bipolarer affektiver Störungen wesentlich. Insofern erfordert auch die Behandlung dieser PatientInnengruppe einen inte-grativen Behandlungsansatz, der neben der klinischen Symptomatik sozial-kognitive Defizite berücksichtigt.

Interessenkonflikte Keine angegeben.

Literatur

1. Gray J, Venn H, Montagne B, et al. Bipolar patients show mood-congruent biases in sensitivity to facial expressions of emotion when exhibiting depressed symptoms, but not when exhibiting manic symptoms. Cogn Neuropsychiatr. 2006 Nov;11:505–20.

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3. Schaefer KL, Baumann J, Rich BA, et al. Perception of facial emotion in adults with bipolar or unipolar depression and controls. J Psychiatr Res. 2010 Dec;44:1229–35.

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gesunden Kontrollpersonen wesentlich niedrigere IHS-Werte in den Kategorien (2) bis (4) auf. Auch Burdick et al. [51] beschrieben milde Einschränkungen im sozia-len Verhalten besagter PatientInnenpopulation. Coryell et al. [52, 53] berichteten gar, dass dauerhafte psychoso-ziale Defizite selbst zwei bzw. 5 Jahre nach einer symp-tomatischen Phase weiterbestehen können, wobei dem Schweregrad der ursprünglichen Symptomatik keine entscheidende Bedeutung zukommen soll [54–56]. In einer von Dickerson et al. [57] durchgeführten Unter-suchung zeigten BD-PatientInnen in 41 untersuchten Variablen zu sozial-kognitivem Funktionsniveau kaum Unterschiede zu PatientInnen mit schizophrenen Stö-rungen (beide Gruppen waren in ihrer Symptomatik sta-bil) Bagby et al. [58] konnten hingegen feststellen, dass euthyme bipolare PatientInnen remittierten unipolar depressiven PatientInnen im Hinblick auf bestimmte soziale Qualitäten überlegen sind. Hauptsächlich in den Kategorien „Gefühlsoffenheit“ und „Extraversion von positiven Emotionen“ erzielte die BD-Gruppe signifikant höhere Punktezahlen. Auf eine teilweise sozial-kognitive Genesung weisen die Ergebnisse von Wingo et al. [59] hin: während sich 46 % der 65 untersuchten remittierten BD-PatientInnen von ihren sozialen Einschränkungen erholt hatten, zeigten 54 % weiterhin nicht unerhebli-che Defizite in ihrem psychosozialen Funktionsniveau. Dabei erwiesen sich vor allem ein jüngeres Alter sowie eine weniger stark ausgeprägte depressive Symptomatik als sozio-protektiv.

Diskussion

Unsere Recherchen zeigen, dass neben PatientInnen mit unipolarer depressiver Störung auch jene mit bipola-rer affektiver Störung sowohl während der Krankheits-phasen als auch in Phasen der Remission Defizite im Bereich der sozialen Kognition aufweisen, welche den psychosozialen Outcome negativ beeinflussen. Ähnlich wie bei PatientInnen mit unipolarer depressiver Störung wird bei der Behandlung von PatientInnen mit bipola-rer Störung oftmals ausschließlich die depressive bzw. manische Symptomatik berücksichtig, jedoch nicht die krankheitsimmanente sozial-kognitive Dysfunktion. Die vorliegende Übersichtsarbeit unterstreicht die Not-wendigkeit eines integrativen Behandlungsansatzes, der auch sozial-kognitive Defizite miteinbezieht. In diesem Zusammenhang ist der Einsatz von kognitivem Training oder psychotherapeutischen Interventionen, welche gezielt den sozialen Umgang, das Erkennen von Emotio-nen oder das Empathievermögen stärken, von wesentli-cher Bedeutung.

In unserem Übersichtsartikel wurden die Ergebnisse zahlreicher Studien zusammengefasst, allerdings muss limitierend hinzugefügt werden, dass manche Studien kleine Patientenzahlen untersucht haben, was die Aus-sagekraft der Ergebnisse einschränken kann.

Ergänzend zu erwähnen ist weiters, dass sozial-ko-gnitive Dysfunktionen nicht die alleinige Ursache für

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