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| EDITORIAL H offentlich! Die Leistungssteigerung und Miniaturisierung von Computern stößt an ihre physikalischen Grenzen. Ist das Ende des Mooreschen Gesetzes,wonach sich die Integrati- onsdichte auf Chips alle zwei Jahre verdoppelt, damit besie- gelt? Nein, so hoffen einige Physiker, die in Zukunft statt der elektrischen Ladung von Elektronen deren Spin nutzen wol- len. I nformationen werden in Computern als Nullen und Einsen gespeichert.Viele Elektronen an einem Ort entsprechen ei- ner hohen Spannung und repräsentieren eine Eins,wenige Elek- tronen eine Null. Kann in zukünftigen Computern der Spin der Elektronen diese Darstellung der Information übernehmen? Und lässt sich der Spin der Elektronen auch für Rechnungen nutzen? R ückblick: Otto Stern und Walter Gerlach erforschten 1921 in Frankfurt am Main die Ablenkung von Silberatomen in einem inhomogenen Magnetfeld. Dabei beobachteten sie die Aufspaltung des Atomstrahls in zwei räumlich getrennte Strahlen. Sie erbrachten damit den bril- lanten Nachweis,dass Elektronen einen in- trinsischen Drehimpuls besitzen, der heut- zutage als Spindrehimpuls oder einfach als Spin bezeichnet wird.Was bedeutet das konkret? D er Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft und ge- horcht nicht unserer Alltagsanschauung von Drehung,wie wir sie beispielsweise von Kinderkreiseln kennen.Bei der Mes- sung des Spindrehimpulses eines Elektrons treten nämlich grundsätzlich nur zwei mögliche Zustände auf, die als Spin-Up und Spin-Down bezeichnet werden.Diese beiden Zustände ent- sprechen klassisch einem Kreisel, der sich entweder im Uhr- zeigersinn oder in die entgegengesetzte Richtung dreht. Die Quantenmechanik zwingt die Elektronen dabei, um beim klas- sischen Bild zu bleiben, sich immer mit der gleichen Ge- schwindigkeit zu „drehen“. Ein Abbremsen oder Beschleuni- gen der Drehung ist nicht möglich.Was wäre der Vorteil von spintronischen Halbleiterbauelementen? E in Beispiel: Manche mögen es heiß, Computer nicht. Da Elektronen sich abstoßen, wird Energie benötigt, um meh- rere Elektronen an einen Ort zu bringen. Diese Energie geben die Elektronen bei ihrer Bewegung durch den Computerpro- zessor an das Kristallgitter ab. Die Folge: Der Rechner wird warm. Die Wärmeabfuhr ist eines der großen Probleme zu- künftiger Prozessoren, die sich immer mehr zu Durchlaufer- hitzern entwickeln. E lektronen mit Spin-Up oder Spin-Down haben hingegen, wenn kein Magnetfeld anliegt, exakt die gleiche Energie. Das Ändern des Spins ist daher prinzipiell energetisch viel leich- ter und dürfte den neuartigen Computer kalt lassen. D ies ist aber nicht der einzige Vorteil.Elektronen-Spins sind quantenmechanische Objekte, die auch als Überlagerung von Spin-Up und Spin-Down existieren. Sie können alle Werte zwischen Null und Eins annehmen und so als quantenmecha- nische Bits, so genannte Qubits, dienen. Elektronen-Spins sind damit mögliche Kandidaten für den Bau eines Quantencom- puters, dem heiligen Gral der Informationsverarbeitung. D ie soeben gelieferte Erklärung scheint einen logischen Feh- ler zu enthalten. Einerseits können quantenmechanische Bits alle Werte zwischen Spin-Up und Spin- Down annehmen. Sobald wir einen Spin messen,ist der Wert jedoch entweder Spin- Up oder Spin-Down.Anschaulich gesehen scheint dies ein innerer Widerspruch zu sein. Die Quantenmechanik entspricht aber nicht unserer täglichen Erfahrung und verhält sich genau so.Wann wird es dann die ersten spintronischen Bauelemente geben? G enau genommen verwenden Sie sie bereits. Die Leseköp- fe in Computerfestplatten nutzen bereits seit Jahren den Riesenmagnetowiderstand, der auf dem spinabhängigen Elek- tronentransport in Metallschichten beruht. Richtig interessant wird die Spintronik-Jagd aber erst in Halbleitern, wie Stephan Steinmüller und Kollegen in diesem Heft darlegen. Die Spin- tronik bietet nicht nur die Chance, die Grenzen der heutigen Miniaturisierung zu überwinden, sondern sie kann auch neue Bauelemente hervorbringen. D iese technischen Visionen hatten Stern und Gerlach da- mals nicht vor Augen. Sie bestätigten mit ihrem berühm- ten Versuch eine Voraussage der noch jungen Quantentheorie. Spin(n)t die Elektronik des 21. Jahrhunderts? Prof. Dr. Michael Oestreich ist Experi- mentalphysiker an der Leibniz Universi- tät Hannover und Koordinator des DFG Schwerpunktpro- gramms „Halbleiter- Spintronik“ JEDE FESTPLATTE ENTHÄLT SCHON SPINTRONIK © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2008 (39) | Phys. Unserer Zeit | 263

Spin(n)t die Elektronik des 21. Jahrhunderts?

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Page 1: Spin(n)t die Elektronik des 21. Jahrhunderts?

| E D I TO R I A L

Hoffentlich! Die Leistungssteigerung und Miniaturisierung

von Computern stößt an ihre physikalischen Grenzen. Ist

das Ende des Mooreschen Gesetzes, wonach sich die Integrati-

onsdichte auf Chips alle zwei Jahre verdoppelt, damit besie-

gelt? Nein, so hoffen einige Physiker, die in Zukunft statt der

elektrischen Ladung von Elektronen deren Spin nutzen wol-

len.

Informationen werden in Computern als Nullen und Einsen

gespeichert.Viele Elektronen an einem Ort entsprechen ei-

ner hohen Spannung und repräsentieren eine Eins,wenige Elek-

tronen eine Null.Kann in zukünftigen Computern der Spin der

Elektronen diese Darstellung der Information übernehmen?

Und lässt sich der Spin der Elektronen auch für Rechnungen

nutzen?

Rückblick: Otto Stern und Walter Gerlach erforschten 1921

in Frankfurt am Main die Ablenkung von Silberatomen in

einem inhomogenen Magnetfeld. Dabei

beobachteten sie die Aufspaltung des

Atomstrahls in zwei räumlich getrennte

Strahlen. Sie erbrachten damit den bril-

lanten Nachweis,dass Elektronen einen in-

trinsischen Drehimpuls besitzen,der heut-

zutage als Spindrehimpuls oder einfach als Spin bezeichnet

wird.Was bedeutet das konkret?

Der Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft und ge-

horcht nicht unserer Alltagsanschauung von Drehung,wie

wir sie beispielsweise von Kinderkreiseln kennen.Bei der Mes-

sung des Spindrehimpulses eines Elektrons treten nämlich

grundsätzlich nur zwei mögliche Zustände auf, die als Spin-Up

und Spin-Down bezeichnet werden.Diese beiden Zustände ent-

sprechen klassisch einem Kreisel, der sich entweder im Uhr-

zeigersinn oder in die entgegengesetzte Richtung dreht. Die

Quantenmechanik zwingt die Elektronen dabei, um beim klas-

sischen Bild zu bleiben, sich immer mit der gleichen Ge-

schwindigkeit zu „drehen“. Ein Abbremsen oder Beschleuni-

gen der Drehung ist nicht möglich.Was wäre der Vorteil von

spintronischen Halbleiterbauelementen?

Ein Beispiel: Manche mögen es heiß, Computer nicht. Da

Elektronen sich abstoßen, wird Energie benötigt, um meh-

rere Elektronen an einen Ort zu bringen. Diese Energie geben

die Elektronen bei ihrer Bewegung durch den Computerpro-

zessor an das Kristallgitter ab. Die Folge: Der Rechner wird

warm. Die Wärmeabfuhr ist eines der großen Probleme zu-

künftiger Prozessoren, die sich immer mehr zu Durchlaufer-

hitzern entwickeln.

Elektronen mit Spin-Up oder Spin-Down haben hingegen,

wenn kein Magnetfeld anliegt, exakt die gleiche Energie.

Das Ändern des Spins ist daher prinzipiell energetisch viel leich-

ter und dürfte den neuartigen Computer kalt lassen.

Dies ist aber nicht der einzige Vorteil.Elektronen-Spins sind

quantenmechanische Objekte, die auch als Überlagerung

von Spin-Up und Spin-Down existieren. Sie können alle Werte

zwischen Null und Eins annehmen und so als quantenmecha-

nische Bits, so genannte Qubits, dienen. Elektronen-Spins sind

damit mögliche Kandidaten für den Bau eines Quantencom-

puters, dem heiligen Gral der Informationsverarbeitung.

Die soeben gelieferte Erklärung scheint einen logischen Feh-

ler zu enthalten. Einerseits können quantenmechanische

Bits alle Werte zwischen Spin-Up und Spin-

Down annehmen. Sobald wir einen Spin

messen,ist der Wert jedoch entweder Spin-

Up oder Spin-Down.Anschaulich gesehen

scheint dies ein innerer Widerspruch zu

sein. Die Quantenmechanik entspricht

aber nicht unserer täglichen Erfahrung und verhält sich genau

so.Wann wird es dann die ersten spintronischen Bauelemente

geben?

Genau genommen verwenden Sie sie bereits. Die Leseköp-

fe in Computerfestplatten nutzen bereits seit Jahren den

Riesenmagnetowiderstand, der auf dem spinabhängigen Elek-

tronentransport in Metallschichten beruht. Richtig interessant

wird die Spintronik-Jagd aber erst in Halbleitern, wie Stephan

Steinmüller und Kollegen in diesem Heft darlegen. Die Spin-

tronik bietet nicht nur die Chance, die Grenzen der heutigen

Miniaturisierung zu überwinden, sondern sie kann auch neue

Bauelemente hervorbringen.

Diese technischen Visionen hatten Stern und Gerlach da-

mals nicht vor Augen. Sie bestätigten mit ihrem berühm-

ten Versuch eine Voraussage der noch jungen Quantentheorie.

Spin(n)t die Elektronikdes 21. Jahrhunderts?

Prof. Dr. MichaelOestreich ist Experi-mentalphysiker ander Leibniz Universi-tät Hannover undKoordinator des DFGSchwerpunktpro-gramms „Halbleiter-Spintronik“

JEDE FESTPLAT TE ENTHÄLT

SCHON SPINTRONIK

© 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2008 (39) | Phys. Unserer Zeit | 263

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