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Neuauflage der Fäkalflora Stuhltransplantation: auch bei Reizdarm eine Option ? Eine Methode mit großem Potenzial ist die Stuhltransplantation für Prof. Dr. Martin Storr vom Klinikum der Universität München. Wir fragten ihn nach praktischen Erfahrungen und möglichen neuen Indikationsgebieten. MMW: Sie haben am Klinikum Großhadern eine Stuhltransplantation bei einem Patienten mit Reizdarmsyndrom durchgeführt. War dies der erste fäkale Mikrobiom-Transfer mit dieser Indikation in Deutschland? Storr: Bislang gibt es keine Publikationen zur Stuhltransplantation in Deutschland bei Patienten mit Reizdarm. Meines Erachtens war dies der erste Patient. Aus Australien existieren Einzelfallberichte. MMW: Wie ging die Stuhlübertragung vor sich? Storr: Ein normaler Stuhl des Spenders wur- de in einem halben Liter Kochsalzlösung suspendiert und bei einer Koloskopie in den Darm des mit Antibiotika vorbehandelten Patienten eingebracht. Das Ganze dauerte einen Vormittag. Nach dem Stuhltransfer er- hielt der Patient Imodium, damit alles im Darm bleibt. Den Rest des Tages musste er auf der rechten Seite liegen. Am Abend konnte er nach Hause gehen. MMW: In welchem Zeitraum besserte sich das Allgemeinbefinden des Patienten? Storr: Eine Woche nach dem Transfer waren einige zusätzliche Beschwerden wie Schlaf- störungen, Schmerzen und die Abneigung zu essen deutlich gebessert. Nach vier und acht Wochen gab der Patient an, dass er nun auch mit seinem Darm deutlich besser zu- rechtkomme und keine Arbeitsausfälle we- gen seines Reizdarmes mehr habe. MMW: Bei rezidivierenden Infektionen mit Clostridium difficile wird über hohe Heilungs- quoten berichtet. Wie schätzen Sie die Chan- cen bei anderen Indikationen ein? Storr: Hier möchte ich keine Einschätzung abgeben. Bei Clostridien ist die Pathophy- siologie ja sehr einfach: Ist das den Darm be- siedelnde ungewollte Bakterium weg, ist al- les gut. Kandidaten für eine Stuhltransplan- tation sind diejenigen, die eine Vancomy- cintherapie zweimal erfolglos durchlaufen haben. Die Erfolgsquote dieser Patienten nach Stuhltransfer erreicht bis zu 80%. Für den Reizdarm existiert eine australi- sche Sammelkasuistik mit 300 Patienten. Je- dem Zweiten von ihnen hat der Stuhltrans- fer geholfen. Dies ist eine gigantische Quo- te, die keines der üblichen Medikamente er- möglicht. Bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn muss man wegen der viel komplexeren Pa- thophysiologie mit Prognosen sehr zurück- haltend sein. Hier sind wir gerade erst an dem Punkt, an dem wir identifizieren wol- len, welche Patienten möglicherweise pro- fitieren könnten. Dasselbe trifft für Adiposi- tas und Diabetes zu. MMW: Welche Patienten kommen derzeit für eine Stuhltransplantation infrage? Storr: Die Clostridieninfektion ist als feste Indikation etabliert. Hier gibt es gute Studi- en. Alle anderen Anwendungen sind derzeit noch als experimentell zu betrachten. Man kann einen individuellen Heilversuch bei Reizdarm, Morbus Crohn oder Colitis ulce- rosa anbieten, idealerweise soll der Transfer aber im Rahmen von Studien stattfinden. In Deutschland sind meines Wissens noch kei- ne Studien angelaufen, sind aber in Pla- nung. MMW: Wie reagieren Patienten auf den Vor- schlag einer Stuhltransplantation? Storr: Ich spreche Reizdarmpatienten nicht auf die Möglichkeit einer solchen Behand- lung an, weil es sich um kein etabliertes The- rapieverfahren handelt. Die Patienten fra- gen von sich aus speziell nach dieser Thera- pie. Der Ekelaspekt entfällt, weil sie sich be- reits ausführlich mit den Details der Be- handlung auseinandergesetzt haben. MMW: Welche Risiken sind denkbar? Storr: Ich gehe fest davon aus, dass es eine Immunantwort gibt. Ich glaube aber nicht, dass eine Abwehrreaktion in Richtung schweres Fieber, Sepsis oder Anaphylaxie geht. Allerdings ist die Datenlage noch sehr dünn. Deshalb sind die Risiken derzeit nicht abschätzbar. Es ist zwar schwer vorstellbar, aber nicht auszuschließen, dass mit der Spenderflora auch Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Adipositas übertragen wer- den. Darüber müssen sich Patienten im Vor- feld ausreichend Gedanken machen. MMW: Was tun Sie, um die Risiken möglichst gering zu halten? Storr: Der Spenderstuhl wird auf Clostridi- en und andere pathogene Keime oder Viren untersucht. Weitere Risiken werden ein biss- chen limitiert, indem der darmgesunde Spender idealerweise aus der eigenen Fami- lie stammt. Altersgrenzen gibt es dabei nicht, häufig werden Kinder oder Enkelkin- der als Spender ins Gespräch gebracht. MMW: An wen können sich Hausärzte wen- den, wenn für einen Patienten möglicherweise eine Stuhltransplantation infrage kommt? Storr: Wenn es sich um Reizdarmpatienten handelt, können sich die Hausärzte gerne an mich wenden. Zum Stuhltransfer bei Clostri- dieninfektionen sollte sich an allen größeren Zentren jemand finden lassen, der sagt: Wenn es sein muss, mach ich es … Die Schwierigkeit, eine solche Therapie anzubieten, liegt darin, Personal zu finden, das mitmacht. Interview: Dr. Christine Starostzik AKTUELLE MEDIZIN INTERVIEW „Gigantische Erfolgsquoten.“ (Prof. Dr. Martin Storr) © Klinikum der Universität München 16 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (12)

Stuhltransplantation: auch bei Reizdarm eine Option?

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Page 1: Stuhltransplantation: auch bei Reizdarm eine Option?

Neuau� age der Fäkal� ora

Stuhltransplantation: auch bei Reizdarm eine Option?Eine Methode mit großem Potenzial ist die Stuhltransplantation für Prof. Dr. Martin Storr vom Klinikum der Universität München. Wir fragten ihn nach praktischen Erfahrungen und möglichen neuen Indikationsgebieten.

MMW: Sie haben am Klinikum Großhadern eine Stuhltransplantation bei einem Patienten mit Reizdarmsyndrom durchgeführt. War dies der erste fäkale Mikrobiom-Transfer mit dieser Indikation in Deutschland?Storr: Bislang gibt es keine Publikationen zur Stuhltransplantation in Deutschland bei Patienten mit Reizdarm. Meines Erachtens war dies der erste Patient. Aus Australien existieren Einzelfallberichte.

MMW: Wie ging die Stuhlübertragung vor sich?Storr: Ein normaler Stuhl des Spenders wur-de in einem halben Liter Kochsalzlösung suspendiert und bei einer Koloskopie in den Darm des mit Antibiotika vorbehandelten Patienten eingebracht. Das Ganze dauerte einen Vormittag. Nach dem Stuhltransfer er-hielt der Patient Imodium, damit alles im Darm bleibt. Den Rest des Tages musste er auf der rechten Seite liegen. Am Abend konnte er nach Hause gehen.

MMW: In welchem Zeitraum besserte sich das Allgemeinbe� nden des Patienten?Storr: Eine Woche nach dem Transfer waren einige zusätzliche Beschwerden wie Schlaf-störungen, Schmerzen und die Abneigung zu essen deutlich gebessert. Nach vier und acht Wochen gab der Patient an, dass er nun auch mit seinem Darm deutlich besser zu-rechtkomme und keine Arbeitsausfälle we-gen seines Reizdarmes mehr habe.

MMW: Bei rezidivierenden Infektionen mit Clostridium di� cile wird über hohe Heilungs-quoten berichtet. Wie schätzen Sie die Chan-cen bei anderen Indikationen ein?Storr: Hier möchte ich keine Einschätzung abgeben. Bei Clostridien ist die Pathophy-siologie ja sehr einfach: Ist das den Darm be-siedelnde ungewollte Bakterium weg, ist al-les gut. Kandidaten für eine Stuhltransplan-

tation sind diejenigen, die eine Vancomy-cintherapie zweimal erfolglos durchlaufen haben. Die Erfolgsquote dieser Patienten nach Stuhltransfer erreicht bis zu 80%.

Für den Reizdarm existiert eine australi-sche Sammelkasuistik mit 300 Patienten. Je-dem Zweiten von ihnen hat der Stuhltrans-fer geholfen. Dies ist eine gigantische Quo-te, die keines der üblichen Medikamente er-möglicht.

Bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn muss man wegen der viel komplexeren Pa-thophysiologie mit Prognosen sehr zurück-haltend sein. Hier sind wir gerade erst an dem Punkt, an dem wir identi� zieren wol-len, welche Patienten möglicherweise pro-� tieren könnten. Dasselbe tri� t für Adiposi-tas und Diabetes zu.

MMW: Welche Patienten kommen derzeit für eine Stuhltransplantation infrage?Storr: Die Clostridieninfektion ist als feste Indikation etabliert. Hier gibt es gute Studi-en. Alle anderen Anwendungen sind derzeit noch als experimentell zu betrachten. Man kann einen individuellen Heilversuch bei Reizdarm, Morbus Crohn oder Colitis ulce-rosa anbieten, idealerweise soll der Transfer aber im Rahmen von Studien statt� nden. In Deutschland sind meines Wissens noch kei-ne Studien angelaufen, sind aber in Pla-nung.

MMW: Wie reagieren Patienten auf den Vor-schlag einer Stuhltransplantation?Storr: Ich spreche Reizdarmpatienten nicht auf die Möglichkeit einer solchen Behand-lung an, weil es sich um kein etabliertes The-rapieverfahren handelt. Die Patienten fra-gen von sich aus speziell nach dieser Thera-pie. Der Ekelaspekt entfällt, weil sie sich be-reits ausführlich mit den Details der Be-handlung auseinandergesetzt haben.

MMW: Welche Risiken sind denkbar?Storr: Ich gehe fest davon aus, dass es eine Immunantwort gibt. Ich glaube aber nicht, dass eine Abwehrreaktion in Richtung schweres Fieber, Sepsis oder Anaphylaxie geht. Allerdings ist die Datenlage noch sehr dünn. Deshalb sind die Risiken derzeit nicht abschätzbar. Es ist zwar schwer vorstellbar, aber nicht auszuschließen, dass mit der Spender� ora auch Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Adipositas übertragen wer-den. Darüber müssen sich Patienten im Vor-feld ausreichend Gedanken machen.

MMW: Was tun Sie, um die Risiken möglichst gering zu halten? Storr: Der Spenderstuhl wird auf Clostridi-en und andere pathogene Keime oder Viren untersucht. Weitere Risiken werden ein biss-chen limitiert, indem der darmgesunde Spender idealerweise aus der eigenen Fami-lie stammt. Altersgrenzen gibt es dabei nicht, häu� g werden Kinder oder Enkelkin-der als Spender ins Gespräch gebracht.

MMW: An wen können sich Hausärzte wen-den, wenn für einen Patienten möglicherweise eine Stuhltransplantation infrage kommt?Storr: Wenn es sich um Reizdarmpatienten handelt, können sich die Hausärzte gerne an mich wenden. Zum Stuhltransfer bei Clostri-dieninfektionen sollte sich an allen größeren Zentren jemand � nden lassen, der sagt: Wenn es sein muss, mach ich es … Die Schwierigkeit, eine solche Therapie anzubieten, liegt darin, Personal zu � nden, das mitmacht.

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