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Urologe 2006 · 45:594–599
DOI 10.1007/s00120-006-1036-4
Online publiziert: 19. April 2006
© Springer Medizin Verlag 2006
M. Autenrieth2 · A. Heidenreich1 · J. E. Gschwend2
1 Bereich Urologische Onkologie, Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität, Köln2 Klinik für Urologie und Kinderurologie, Urologische Universitätsklinik, Ulm
Systemische Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
Leitthema
Die Inzidenz von Nierenzellkarzinomen
(NZK) ist weltweit ansteigend. In 2002
gab es 208.480 Neuerkrankungen, allein
in Europa waren es 85.719 Fälle. Bei etwa
einem Drittel der Patienten ist das NZK
zum Zeitpunkt der Diagnose bereits me-
tastasiert. Nach radikaler Tumornephrek-
tomie entwickeln stadienabhängig 20–
40 der Patienten im weiteren Verlauf ei-
ne Metastasierung [14]. Liegt die 5-Jahres-
Überlebensrate bei lokal begrenzter Tu-
morerkrankung zwischen 50 und 95,
verringert sich diese bei Metastasierung
auf ca. 5 [22].
Zytokinbasierte Immuntherapien
zeigten hier gegenüber der Chemothe-
rapie einen Vorteil bezüglich des The-
rapieansprechens und der Überlebens-
zeit an. Die Kombination zytokinbasier-
ter Immuntherapien mit anderen Thera-
pieformen (z. B. operative Intervention)
führte zu einer differenzierten Therapie-
strategie in Abhängigkeit von dem jewei-
ligen Tumorstatus des Patienten mit me-
tastasiertem NZK (mNZK). Spezifische
zelluläre Immuntherapien haben dagegen
weiterhin experimentellen Charakter und
es existiert für keine derartige Konzeption
eine klinische Zulassung. Neue Therapie-
ansätze mittels Blockade spezifischer Si-
gnalkaskaden alleine oder in Kombinati-
on mit Zytokinen oder Antikörpern wer-
den derzeit klinisch geprüft und stehen
daher für die Therapie innerhalb von Zu-
lassungsstudien zur Verfügung.
Dieser Artikel soll eine kurze Über-
sicht über die etablierten Systemthera-
pien des metastasierten Nierenzellkarzi-
noms wie auch über innovative Substan-
zen und neue Ansätze geben.
Immuntherapie
Zahlreiche Studien zur Chemotherapie an
über 3600 Patienten mit mNZK wurden
von Amato [1] in einer Übersichtsarbeit
anhand von Literaturberichten zusam-
mengefasst. Die höchsten Ansprechra-
ten wurden in der Monotherapie für Vin-
blastin (im Mittel 6,7 objektive Remis-
sionen) und für 5-Fluorouracil (im Mittel
6,6 objektive Remissionen) angegeben.
Allein diese beiden Zytostatika haben in
der Kombination mit der zytokinbasier-
ten Immuntherapie aktuell noch gewisse
Bedeutung.
Das NZK muss ansonsten als weitge-
hend chemoresistent betrachtet werden.
Dies gilt auch für neuere, bereits verfüg-
bare Chemotherapeutika. Lediglich bei
rasch progredienten oder sarkomato-
iden NZK scheint eine Kombinationsthe-
rapie mit Doxorubicin und Gemcitabin
gegebenenfalls vielversprechend: In ei-
ner kleinen Serie von 18 Patienten konn-
te bei 2 Patienten eine komplette Remis-
sion, bei 5 Patienten eine partielle Remis-
sion erzielt werden [26]. Ebenfalls mit ei-
ner hohen Ansprechrate von 18 objek-
tiven Remissionen und 42 stabilen Ver-
läufen war im Progress nach Immunthe-
rapie die Gabe von Temozolomid verbun-
den, wie in einer prospektiven Phase-II-
Studie an 45 konsekutiven Patienten dar-
gestellt werden konnte [29].
Dagegen stellt die systemische Immun-
bzw. Immunchemotherapie in Deutsch-
land nach wie vor den faktischen „Stan-
dard“ in der Behandlung des mNZK dar
[16]. In den letzten Jahrzehnten wurde ei-
ne große Zahl von Phase-II- und Phase-
III-Studien durchgeführt, die ein mehr
oder weniger gutes Ansprechen der Zy-
tokine bei metastasierter Erkrankung zei-
gen konnten.
Die Ansprechrate von INFα und dem
Chemotherapeutikum Vinblastin lag
zwischen 11 und 43 [5, 10, 23, 30]. Die
Kombinationstherapie mit IL-2 und INF-
α erreichte Ansprechraten zwischen 0
[33] und 29 [3]. Die Kombination von
IL-2, INF-α und 5-Fluorouracil führte zu
objektiven Responseraten zwischen 0
[28] und 47 [32], (. Tab. 1).
Eine Cochrane-Analyse aus dem Jah-
re 2005 untersuchte 99 Studienarme und
berechnete daraus eine durchschnittliche
Ansprechrate der Zytokintherapie von
12,9. Lediglich für die subkutane Appli-
Tab. 1 Zusammenfassung Phase-II/III-Zytokin-Therapiestudien
Substanzen Jahr Patien-ten Komplette
Remissionen
Partielle
Remissionen
Objektive
Remissionen
n n n n % (Range)
INF-α +
Vinblastin
1987–2002 850 33 117 150 17,6 (11–41)
INF-α + IL-2 1991–1998 767 39 110 149 19,4 (0–29)
INF-α, IL-2 +
5-FU
1994–1998 522 42 120 162 29,3 (0–47)
594 | Der Urologe 5 · 2006
kation von INF-α konnte ein marginaler
Überlebensvorteil von 3,8 Monaten ge-
genüber Placebo dokumentiert werden
[9].
Negrier et al. [27] konnten in ihrer auf
dem ASCO 2005 vorgestellten PERCY-
Quattro-Studie keinen Unterschied be-
züglich des medianen Überlebens zwi-
schen den 4 verschiedenen Therapiear-
men Medoxyprogesteron vs. IFN-α vs. IL-
2 vs. IFN-α + IL-2 feststellen. Unabhängig
vom Therapiearm verblieb das mediane
Überleben bei rund 15 Monaten.
Im Gegensatz zur subkutanen Appli-
kationsform der Zytokine in Europa wird
in den USA die i.v.-Hochdosistherapie mit
IL-2 unter intensivmedizinischer Überwa-
chung favorisiert. In einer Phase-III-Stu-
die mit insgesamt 109 Patienten, in der die
Hochdosistherapie mit IL-2 mit einer sub-
kutanen Applikation von IL-2 und INF-α
verglichen wurde, konnte eine Ansprech-
rate von 23,2 (vs. 9,9) für die Hochdo-
sistherapie verzeichnet werden, die Rate
an anhaltenden kompletten Remissionen
lag bei 7,4 verglichen mit 0 in der sub-
kutan applizierten Zytokintherapie [20].
Für die Primärtumorresektion bei Pa-
tienten mit mNZK konnte in 2 prospekti-
ven Studien welche die Tumornephrekto-
mie und anschließende INF-α-Monothe-
rapie mit der alleinigen sofortigen INF-
α-Monotherapie verglichen, ein signifi-
kanter Überlebensvorteil für die Gruppe
mit vorangegangener Nephrektomie ge-
zeigt werden: mittleres Überleben in der
EORTC-Studie 17 vs. 7 Monate, SWOG-
Studie 11,1 vs. 8,1 Monate [13, 21]. Hierbei
ist jedoch zu berücksichtigen, dass die zy-
toreduktive Nephrektomie lediglich bei
Patienten mit günstigen Risikofaktoren
(Lymphknoten-, Lungenmetastasen, Feh-
len von Knochen- und zerebralen Metas-
tasen) sowie bei gutem Allgemeinzustand
mit der beschriebenen Verbesserung des
Überlebens korreliert.
Die Kenntnis über den Nephrektomi-
estatus hat basierend auf diesen Daten
für die Interpretation früherer und zu-
künftiger Studien zur systemischen The-
rapie Bedeutung. Die Frage, ob eine ini-
tiale Nephrektomie gefolgt von einer sys-
temischen Therapie günstiger als eine in-
duktive Systemtherapie gefolgt von einer
Primärtumorresektion bei Respon dern
ist, bleibt hingegen zunächst ungeklärt
[6]. Derzeit ist die primäre Nephrektomie
vor geplanter Interferon-basierter System-
therapie jedoch etablierter Therapiestan-
dard bei günstiger Risikofaktorkonstella-
tion.
Für eine adjuvante Zytokintherapie
bei Hochrisikopatienten gibt es derzeit
weiterhin keine Indikation. In einer pros-
pektiven, randomisierten Studie der DG-
CIN-Gruppe wurden 203 Hochrisikopati-
enten untersucht: Patienten mit positiven
lokoregionären Lymphknoten, Nierenve-
neneinbruch, R0-Resektion eines Rezi-
divtumors oder Solitärmetastasen wur-
den in 2 Gruppen stratifiziert. Der The-
rapiearm (135 Patienten) erhielt eine Zy-
tokintherapie mit INF-α und IL-2 sub-
kutan sowie 5-FU in einem 8-Wochen-
schema (sog. Atzpodien-Schema), der
Kontrollarm (68 Patienten) wurde ledig-
lich engmaschig kontrolliert. Sowohl das
mediane rezidivfreie Überleben (2,75 vs.
4,25 Jahre), als auch die 8-Jahres-Überle-
bensrate (39 vs. 49) waren im Thera-
piearm schlechter [4].
„Small molecules“ und Antikörper
Neue Konzeptionen der vergangenen Jah-
re versuchen die in die Progression, Pro-
liferation, Neovaskularisation und Metas-
tasierung involvierten molekularen Ereig-
nisse durch die Entwicklung spezifischer
Inhibitoren der Signaltransduktionskas-
kaden therapeutisch zu nutzen.
Monoklonale Antikörper und sog.
„small molecules“ zur Inhibition von An-
giogenese, Wachstumsfaktoren und Si-
gnaltransduktionskaskaden zeigen im
klinischen Einsatz bereits einen deut-
lichen Fortschritt in der Behandlung so-
lider und hämatologischer Neoplasien.
So erreicht der kombinierte Einsatz ei-
ner Oxaliplatin-haltigen Chemotherapie
mit Erlotinib – einem gegen den „Epider-
mal-growth-factor-“ (EGF-)Rezeptor ge-
richteten monoklonalen Antikörper – ein
ungewöhnlich hohes therapeutisches An-
sprechen von 81, das zudem in eine si-
gnifikante Verlängerung des Überlebens
mündet. Ähnlich positive Daten werden
für die Kombination von Radiatio, Cape-
citabin und Oxaliplatin sowie Erlotinib in
der Therapie von Kopf-Hals-Tumoren be-
richtet.
Dem Prozess der durch Wachstums-
faktoren getriggerten Signaltransdukti-
on mit Aktivierung einer rezeptorvermit-
telten transkriptionalen Aktivität kommt
hierbei zentrale Bedeutung zu. Verschie-
dene Liganden binden mit hoher Affini-
tät an extrazelluläre Strukturen der trans-
membranösen Tyrosin-Kinase-Rezep-
toren (TKR) und bedingen eine Ausbil-
dung von Rezeptorhomodimeren mit
Phosphorylierung spezifischer Tyrosin-
ketten. Basierend auf dieser Phosphory-
lierung werden unterschiedliche intrazel-
luläre Regulationskreisläufe aktiviert, die
zur transkriptionalen Aktivierung spe-
zifischer Gene mit konsekutiver Prolife-
ration, Differenzierung und Apoptose-
hemmung führen. Die Neovaskularisati-
on bzw. die Neoangiogenese wird hinge-
gen wesentlich durch den „vascular endo-
thelial growth factor“ (VEGF) im Zusam-
menspiel mit den verschiedenen VEGF-
Rezeptoren gesteuert (. Abb. 1).
Innovative systemische Therapiekon-
zepte metastasierter urologischer Tumo-
ren nutzen im Wesentlichen sog. Tyrosin-
kinaseinhibitoren oder monoklonale An-
tikörper. Die Tyrosinkinaseinhibitoren
blockieren die Signaltransduktion durch
Hemmung der Phosphorylierung von zy-
tosolischen Tyrosinkinasen, rezeptorge-
bundenen Tyrosinkinasen oder beiden
Mechanismen. Während die ersten Ge-
nerationen der Tyrosinkinaseinhibitoren
gegen einen Wachstumsfaktor gerichtet
waren, inhibieren die Neuentwicklungen
meist mehrere in unterschiedlichen Si-
gnaltransduktionskaskaden wirksamen
Tyrosinkinasen (. Tab. 2). Ein wichtiger
Vorteil der Tyrosinkinaseinhibitoren ist
in ihrer durchweg oralen Verfügbarkeit
zu sehen.
Monoklonale Antikörper (mAk) sind
entweder gegen membranständige Rezep-
toren der Wachstumsfaktoren oder gegen
Oberflächenantigene der Wachstumsfak-
toren gerichtet und werden i. v. appliziert.
In der onkologischen Therapie haben auf-
grund der fehlenden Wirksamkeit jedoch
nur wenige der mAK den Sprung in kli-
nische Phase-II- oder Phase-III-Studien
geschafft.
Inzwischen wurden verschiedene Ty-
rosinkinaseinhibitoren beim mNZK ein-
gesetzt, die in den ersten Phase-II- und
Phase-III-Studien eine deutliche Verbes-
serung der Ansprechrate und des progres-
sionsfreien Überlebens erbrachten.
Der Einsatz des gegen c-KIT und die
PDGF-Rezeptoren A und B gerichte-
ten Imatinib (Glivec® [34]) sowie des ge-
gen den EGF-Rezeptor gerichteten Gefiti-
nib (Iressa® [17]) und Erlotinib (Tarceva®)
zeigte als Monosubstanz keine klinische
Wirksamkeit in initialen Studien beim
NZK, sodass ein weiterer Einsatz dieser
Substanzen fraglich erscheint. Lediglich
Glivec® könnte aufgrund der häufigen c-
kit-Überexpression bei sarkomatoiden
NZK eine Rolle in dieser auf die Immun-
therapie nicht ansprechenden Subpopula-
tion darstellen [8]. Wesentlich erfolgver-
sprechender stellen sich die Therapiere-
sultate der gegen multiple Targets gerich-
teten Tyrosinkinaseinhibitoren Sorafenib
(BAY 43-9006) und Sutent (SU 011248)
dar.
Sorafenib Nexavar® (BAY 43-9006)
Der Wirkmechanismus des Tyrosinki-
naseinhibitors Sorafenib richtet sich ge-
gen verschiedene in die zelluläre Prolife-
ration involvierte RAF-Kinasen sowie ge-
gen die tumorinduzierte Neoangiogene-
se durch Inhibierung der VEGF-Rezep-
toren 2 und 3 sowie des PDGF-Rezeptors.
Auf dem ASCO 2005 wurden 2 prospektiv
randomisierte, placebokontrollierte Studi-
en vorgestellt:
In einer Phase-II-Studie wurden zu-
nächst 202 vorbehandelte Patienten mit
mNZK rekrutiert, die alle über 12 Wochen
mit Sorafenib therapiert wurden. Nach
Dokumentation eines stabilen Krank-
heitsverlaufs wurden die Patienten in eine
Behandlungsgruppe (n=32) und eine Pla-
cebogruppe (n=33) randomisiert. In die-
sem ein Drittel der initialen Gesamtpo-
pulation umfassenden Subkollektiv do-
kumentierten die Autoren eine signifi-
kante Verlängerung des medianen pro-
gressionsfreien Überlebens von 6 Wo-
chen in der Placebogruppe auf 23 Wochen
in der Behandlungsgruppe (p=0,001). Es
zeigten sich jedoch keine signifikanten
Differenzen bezüglich der objektiven An-
sprechrate zwischen den beiden Grup-
pen [31]. Trotz dieser positiven Resultate
ist zu berücksichtigen, dass von den initial
202 rekrutierten Patienten 68 aufgrund
fehlenden Ansprechens nach 3 Monaten
nicht in die prospektive Phase II integriert
werden konnten und das Ansprechen der
Gesamtpopulation sich somit deutlich re-
lativiert.
Ähnliche Resultate werden in der 2.
Phase-III-Studie (TARGET) beschrieben,
in die 769 vortherapierte Patienten mit
mNZK rekrutiert wurden. Auch in die-
ser Studie zeigte sich lediglich eine objek-
tive Ansprechrate von 2 in der Verum-
gruppe bei allerdings signifikanter Verlän-
gerung des progressionsfreien Intervalls
von 12 auf 24 Wochen (p=0,000001) [11].
Der Placeboarm musste auf Anordnung
der „U.S. Food and Drug Administration“
(FDA) Mitte 2005 aufgegeben werden, al-
le Patienten der Studie wurden auf Ver-
um umgestellt.
Die wesentlichen therapieassoziierten
Nebenwirkungen bestehen in der Ausbil-
dung einer arteriellen Hypertonie, eines
Hand-Fuß-Syndroms und eines Fatigue-
Abb. 1 9 Schematische Darstellung des VEGF und der nachfolgenden Signal-kaskade [18]
596 | Der Urologe 5 · 2006
Leitthema
Zusammenfassung · Abstract
Urologe 2006 · 45:594–599 DOI 10.1007/s00120-006-1036-4
© Springer Medizin Verlag 2006
M. Autenrieth · A. Heidenreich · J. E. Gschwend
Systemische Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
Zusammenfassung
Zur systemischen Therapie des metastasier-
ten, chirurgisch nicht weiter resektablen Nie-
renzellkarzinoms stand bislang lediglich die
Therapie mit Zytokinen zur Verfügung. Die
Immuntherapie hatte sich in den letzten
15 Jahren zur Behandlung von Patienten mit
metastasiertem Nierenzellkarzinom (mNZK)
zunehmend etabliert. Die Zytokine Inter-
leukin-2 (IL-2) und Interferon-α (IFN-α) ha-
ben hierbei als Einzelsubstanzen die größ-
ten Effekte für die Therapie von Patienten mit
mNZK gezeigt. Die subkutanen Applikations-
formen dieser beiden zugelassenen und oft-
mals kombinierten Zytokine haben sich des-
halb in Deutschland weitgehend durchge-
setzt. IL-2- und IFN-α-basierte Kombinations-
therapien erreichten ähnlich hohe Ansprech-
raten wie aggressivere Immunchemothera-
piekonzepte. Nach Versagen dieser Thera-
pie bestanden bislang jedoch keine weiteren
therapeutischen Optionen.
Die vorliegende Arbeit soll einen Über-
blick über die aktuellen Möglichkeiten der
systemischen Therapie verschaffen und so-
wohl die etablierte Zytokintherapie als auch
neue Substanzen wie Tyrosinkinaseinhibi-
toren, monoklonale Antikörper und den
mTOR-Inhibitor CCI-779 (mammalian target
of Rapamycin) bezüglich ihrer Bedeutung be-
trachten.
Schlüsselwörter
Nierenzellkarzinom · Metastasen ·
Immuntherapie · VEGF · Antikörper ·
Systemische Therapie · mTOR
Systemic therapy of metastatic renal cell carcinoma
Abstract
Cytokine-based immunotherapy was the on-
ly viable option in metastatic, nonresectable
renal cell carcinoma (RCC) for many years.
Systemic immunotherapy has become in-
creasingly established as a standard therapy
during the last 15 years. In this context, inter-
leukin-2 (IL-2) and interferon-α (IFN-α) turned
out to be the most effective single agents in
RCC. Subsequently, the approved subcutane-
ous application of these compounds was the
preferred administration route in Germany.
Response rates with cytokine combination
therapy were almost similar to those of more
aggressive concepts using additional chemo-
therapeutic agents.
Currently, new compounds targeting spe-
cific signaling pathways are readily avail-
able and have passed clinical testing. Such
small molecules like tyrosine kinase inhibi-
tors, monoclonal antibodies, or the mTOR in-
hibitor CCI-779 may dramatically change the
established concepts of systemic RCC treat-
ment. This paper gives an overview of estab-
lished, current, and evolving concepts of sys-
temic therapy in RCC.
Keywords
Renal cell carcinoma · Metastasis ·
Immunotherapy · Small molecules · VEGF ·
Antibodies · Targeted therapy · mTOR
Syndroms. Neben diesen Studien sind
weitere Phase-II/III-Studien zur Kombi-
nationstherapie und Erstlinientherapie ini-
tiiert worden. Im Dezember 2005 wurde
Nexavar (Sorafenib) von der FDA für die
Behandlung des fortgeschrittenen NZK
zugelassen, die Zulassung in Europa wird
in den nächsten Monaten erwartet.
Sutent® (SU 011248)
Der Tyrosinkinaseinhibitor Sutent beein-
flusst im Wesentlichen Wachstumsfak-
torrezeptoren der Neovaskularisation in
Tumorzellen und Endothelien (VEGFR,
PDGFR, FLT3/4).
In einer 1. klinischen Phase-II-Studie
wurden 63 Patienten mit einem zytokinre-
fraktären mNZK therapiert. 40 der Pa-
tienten erreichten eine partielle Remissi-
on bzw. einen stabilen Krankheitsverlauf;
das mittlere progressionsfreie Intervall lag
bei 8,3 Monaten, das mittlere Überleben
wurde mit 16 Monaten angegeben. In der
2. Phase-II-Studie wurden bisher 106 Pa-
tienten rekrutiert, von denen 83 bezüglich
des therapeutischen Ansprechens ausge-
wertet werden konnten. Es zeigte sich ei-
ne partielle Remission bei 29, Angaben
zur mittleren Remissionsdauer konnten
noch nicht gemacht werden. Die häufigs-
ten therapieassoziierten Nebenwirkungen
waren Fatigue, Diarrhoe, Stomatitis, Li-
paseelevation, Anämie, Neutropenie und
Verdauungsstörungen.
Die positiven Ergebnisse dieser neu-
en Therapie lassen Sutent sehr erfolgreich
erscheinen, müssen aber vor dem Hinter-
grund, dass es sich bislang um nicht kont-
rollierte Phase-II-Studien handelt, kri-
tisch betrachtet werden [24, 25]. Im Janu-
ar 2006 wurde Sutent durch die FDA für
das mNZK in den USA zugelassen [12].
Bevacizumab (Avastin®)
Bevacizumab ist ein gegen VEGF gerich-
teter monoklonaler Antikörper, der in ei-
ner 1. prospektiv randomisierten placebo-
kontrollierten klinischen Phase-III-Studie
bei 116 Patienten mit mNZK getestet wur-
de. In der dreiarmigen Studie wurde Be-
vacizumab in 2 Dosierungsstufen (3 und
10 mg/kg KG) i. v. appliziert, in der Pla-
cebogruppe erfolgte lediglich die Gabe
des Lösungsmittels. Nach einem mittle-
597Der Urologe 5 · 2006 |
ren Follow-up von 12 Monaten wurde le-
diglich in der 10-mg-Gruppe eine objek-
tive Remission bei 10 der Patienten er-
reicht. Allerdings errechnete sich ein sta-
tistisch signifikanter Vorteil der mittleren
Zeit bis zur Tumorprogression (p<0,001).
Objektiv handelt es sich um eine Verlän-
gerung des progressionsfreien Intervalls
von 2,5 Monaten auf 4,8 Monate [35]. Ob
dieser für den klinischen Alltag margina-
le Effekt ohne Beeinflussung der mittle-
ren Überlebenszeit den Einsatz einer mit
hohen Behandlungskosten verbundenen
Therapie rechtfertigt, bleibt abzuwarten.
Nachdem eine Vielzahl der fortge-
schrittenen NZK sowohl eine gesteiger-
te Neovaskularisation als auch eine Über-
expression der EGF-Rezeptorkinasen auf-
weisen, wurden erste klinische Phase-I/
II-Studien initiiert, die Bevacizumab mit
Erlotinib kombinierten. Bei 63 Patienten
konnten hiermit objektive Remissionen
bei 25 ein stabiler Krankheitsverlauf bei.
61 der Patienten erreicht werden. Das
mittlere progressionsfreie Überleben lag
bei 11 Monaten, 26 der Patienten waren
auch nach 18 Monaten noch progressi-
onsfrei [15]. Weitere prospektiv randomi-
sierte klinische Phase-III-Studien müssen
die se ersten vielversprechenden Resultate
bestätigen, bevor ein endgültiges Urteil
über die klinische Effektivität gefällt wer-
den kann.
WX-G250 (Rencarex®)
WX-G250 ist ein chimärer monoklonaler
Antikörper, der hochspezifisch an das
G250-Oberflächenantigen bindet und da-
durch den antikörperabhängigen Zelltod
aktiviert. In ersten Untersuchungen an
16 Patienten, die mit radioaktiv markier-
tem Iod-131-WX-250 therapiert wurden,
zeigte sich eine signifikante Akkumulati-
on des Antikörpers im Tumorgewebe. In
einer klinischen Phase-II-Studie erhielten
36 Patienten mit mNZK für 12 Wochen
50 mg Rencarex/Woche. Zehn Patienten,
die zumindest eine Stabilisierung ihrer
Erkrankung erreichten, wurden für wei-
tere 8 Wochen mit Rencarex behandelt.
Die mediane Überlebenszeit lag in die-
ser Gruppe bei 39 Monaten, in der Grup-
pe, bei denen die Therapie nach 12 Mona-
ten nicht fortgesetzt wurde, lediglich bei
10 Monaten [7, 19]. Mittlerweile ist eine
Phase-III-Zulassungsstudie mit Rencarex
zur adjuvanten Behandlung von Patienten
mit nicht-metastasiertem NZK nach Tu-
mornephrektomie initialisiert.
„Cell cycle inhibitor 779“ (CCI-779, Temsirolimus)
CCI-779 ist ein hochspezifischer Inhibi-
tor von mTOR (mammalian target of Ra-
pamycin) und dessen Analoga. Durch
die Bindung kommt es zur Blockade der
PI3-AKT-induzierten Transkriptionsfak-
toren, u. a. wird die HIF-1α-Synthese blo-
ckiert und ein Zellzyklusarrest in der G1-
Phase induziert.
In einer Phase-II-Studie wurden 111 Pa-
tienten in 3 verschieden Gruppen mit un-
terschiedlich hoch dosierten wöchent-
lichen Infusionen von 25, 75 und 250 mg
CCI-779 randomisiert. Bei 7 der Pati-
enten kam es zu einem nach WHO-Krite-
rien objektiven Ansprechen, hierunter bei
einem Patienten zu einer kompletten Re-
mission und bei 7 Patienten zu einer par-
tiellen Remission. Darüber hinaus wurde
bei einer Vielzahl von Patienten eine Sta-
bilisierung der Erkrankung erreicht. Die
mediane Überlebenszeit betrug 15 Mo-
nate, die mittlere Zeit bis zum Progress
betrug 5,8 Monate. Die häufigsten Neben-
wirkungen waren makulopapulöse Exan-
theme, Mukositis, Schwäche und Übel-
keit [2].
Fazit für die Praxis
Beim nicht weiter resektablen mNZK
steht weiterhin als zugelassene Thera-
piemöglichkeit die Zytokintherapie zur
Verfügung. Nach Jahrzehnten ohne al-
ternative Behandlungsoption besteht al-
lerdings nun die Möglichkeit, Patienten
in entsprechende Studienprotokolle mit
Tyrosinkinaseinhibitoren, monoklonalen
Antikörpern und CCI-779 einzubringen.
Diese neuen Substanzen scheinen bis-
lang bezüglich der Ansprechrate und des
progressionsfreien Überlebens der Zyto-
kintherapie überlegen zu sein. Eine um-
fassende Auswertung und insbesonde-
re Validierung der Studiendaten steht je-
doch noch aus.
Mit der bald erwarteten europäischen
Zulassung der Medikamente Sorafenib
und Sutent wird in den nächsten Mo-
naten in Europa eine klinische Behand-
lungsalternative zur Verfügung stehen.
Um eine endgültige Bewertung dieser
Substanzen zu erlauben und um die An-
sprechraten zu verbessern, werden je-
doch sicherlich weitere Studien erforder-
lich sein, die die Kombination mit Zytoki-
nen oder mit zytotoxischen Substanzen
untersuchen. Ein unkritischer Einsatz die-
ser neuen Substanzen sollte jedoch auch
nach der bevorstehenden klinischen Zu-
lassung vermieden werden.
Korrespondierender AutorProf. Dr. J. E. GschwendKlinik für Urologie und Kinderurologie, Urologische UniversitätsklinikPrittwitz-Straße 43, 89075 [email protected]
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
Literatur
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of CCI-779, a novel mammalian target of rapamy-
cin kinase inhibitor, in patients with advanced re-
fractory renal cell carcinoma. J Clin Oncol 22(5):
909–918
Tab. 2 Multitarget-Tyrosinkinaseinhibitoren und deren spezifische Inhibierung
verschiedener Rezeptoren und Wachstumsfaktoren
Tyrokinaseinhibitor c-kit PDGF EGFR VEGF Raf
Imatinib (Glivec) + +
Gefitinib (Iressa) +
Erlotinib (Tarceva) +
Sorafenib (Nexavar) + + + +
SU 011248 (Sutent) + + +
598 | Der Urologe 5 · 2006
Leitthema
3. Atzpodien J, Poliwoda H, Kirchner H (1991) Alpha-
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Stammzellen in äußerer Blutgefäßwand nachgewiesen
Neuer Ansatzpunkt für die Entwick-
lung von Krebsmedikamenten
Blutgefäße bestehen aus drei Schichten: der
Gefäßinnenwand (Endothel), einer Schicht
aus glatten Muskelzellen sowie der äußeren
Gefäßwand aus Bindegewebe. Wissenschaft-
ler haben nun entdeckt, dass sich in der
äußeren Gefäßwand zwischen der Muskel-
schicht und dem Bindegewebe Stammzellen
befinden. Diese können sich zu Endothelzel-
len entwickeln, die an der Gefäßneubildung
beteiligt sind. Bisher war nur bekannt, dass
solche Vorläuferzellen im Blut enthalten sind.
Tumorzellen müssen die Stammzellen
zur Gefäßneubildung aktivieren, um sich
ernähren zu können. Sie finden ihre „An-
sprechpartner“ also schon in der äußeren
Gefäßwand und nicht erst im Inneren der
Blutgefäße. Dies könnte auch der Grund
sein, warum die bisher auf dem Markt be-
findlichen Medikamente zur Blockade der
Angiogenese meistens nur wenig Wirkung
zeigen, sprechen sie doch nur die Endo-
thelzellen an. Die jetzt veröffentlichte Ar-
beit bietet Ansatzpunkte für die Forschung
zur Entwicklung neuer Medikamente.
Anders als bei Tumorerkrankungen
ist bei Gefäßverschlusserkrankungen die
Neubildung von Blutgefäßen erwünscht.
Im Blut zirkulierende Vorläuferzellen haben
jedoch bei älteren Menschen ein verrin-
gertes Entwicklungspotenzial. Die Wissen-
schaftler sehen nun deutliche Anzeichen
dafür, dass die in der äußeren Gefäßwand
entdeckten Vorläuferzellen auch im ho-
hen Alter noch über eine große Kapazität
verfügen. Somit lassen sie sich eventuell
besser für die gezielte Neubildung von
Gefäßen nutzen.
Weitere Informationen bietet der Original-
beitrag:
Zengin E et al. (2006) Vascular wall resident
progenitor cells: a source for postnatal vascu-
logenesis. Development 133, 1543 - 1551
Quelle: Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf,
http://www.uke.uni-hamburg.de
Fachnachrichten
599Der Urologe 5 · 2006 |