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Tai Chi
Don Yon
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:05 Seite 1
Vorwort
Stille
Leerheit
Kennt man die Leerheit, kennt man Yin und Yang
Kennt man Yin und Yang, kennt man alles
Alles kommt aus dem Einen
Aber wandelt sich endlos
Das Eine ist ewig
Alle Wesen wandeln sich
Und fließen ewig
Die ewige fließende Yin-Yang-Energie
Ich mag Tai Chi, weil Yin und Yang in einem Kreis fließen
In der Stille fließt die Yin-Yang-Energie endlos
Klar und schön harmonisiert in der Kreisenergie
Der ganze Körper ist entspannt und wird eins
Stehen wie ein Berg
Klar wie der blaue Himmel
Endlose Bewegung wie ein klarer Fluss
Die Tai Chi-Bewegungen sind wie tausend wunderschöne Blüten fließend in einem langen Fluss
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:05 Seite 7
Inhalt
Kapitel 1 Die Essenz des Tai Chi
Kapitel 2 Die Philosophie des Tai Chi
Kapitel 3 Ziel und Wirkung des intensiven Übens
Kapitel 4 Tai Chi – Praxis und Gesundheit
Kapitel 5 Atemtechnik
Kapitel 6 Die Welt des Yin und Yang
Kapitel 7 Die drei ewigen Schätze in unserem Körper
7.1 Das reine Wasser des Unterleibs gibt lebendige Kraft
7.2 In der Brust wird die Energie des Himmels und der Erde harmonisiert
7.3 Im Kopf scheint das reine Licht
Kapitel 8 Still stehen und Bewegungsmeditation
Kapitel 9 Laotse und Tai Chi
Kapitel 10 Die Weisheit des vom harmonisierten Yin und Yang
durchscheinenden Menschen
Kapitel 11 Körpergefühl, Körperhaltung und Körperbewegung
11.1 Hand und Arm
11.2 Füße, Knie, Hüfte, Taille
11.3 Wirbelsäule und Kopf
11.4 Brust und Rücken, die Yin-Yang-Energie regulierend
11.5 Oberkörper und Unterleib
11.6 Gelenke
11.7 Gerader Körper
11.8 Leer und voll
11.9 Geschmeidigkeit und Stärke
11.10 Langsam und schnell
11.11 Kreis und Gerade
11.12 Spiralförmige Bewegung
11.13 Das Fließen der Tai Chi-Form
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Inhalt
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Kapitel 12 Geisteshaltung
12.1 Elastische weiche Körperbewegung und erwachter Mind
12.2 Mind und Energie
12.3 Das Nervensystem
12.4 Entspannung und Elastizität
12.5 Der Leer-Moment in den Tai Chi-Übungen
12.6 In der Stille ist Bewegung – in der Bewegung ist Stille
12.7 Gegensatz und Einheit
12.8 Die Kraft des Auges
12.9 Ewig jung
Kapitel 13 Jin-Kraft
Kapitel 14 Partnerübung – Pushing Hands
Kapitel 15 Langes Leben – Tai Chi und Kampfkunst
Kapitel 16 Sieben Meister
Kapitel 17 Die Vorführung eines Tai Chi- Meisters
Kapitel 18 Tai Chi und Ba Gua
Kapitel 19 Ein Treffen zwischen Buddha und einem Tai Chi-Meister
Kapitel 20 Die Tai Chi-Form mit Fotos und Erläuterungen
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Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:05 Seite 9
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Tai Chi
Die Essenz des Tai Chi
Die Yin-Yang-Energie fließt endlos in der Natur und im Universum.
Diese Yin-Yang-Energie bringt alle Wesen hervor, löst sie auf und erschafft sie wieder neu. In der Natur und im
Universum existieren endlos viele verschiedene Welten von Wesen, doch letztendlich sind sie alle aus dem Prin-
zip des Yin und Yang hervorgegangen.
Im Tai Chi existieren Yin und Yang gleichzeitig und sind trotz ihres dualistischen Charakters eine Einheit.
Die Yin- und die Yang-Energien in unserem Körper bewegen sich ständig, sie treffen und trennen sich in end -
loser Wiederholung, erschaffen und zerstören. Endlos wiederholen sie liebende Vereinigung und Trennung.
Yin und Yang brauchen einander und sind im jeweils anderen verwurzelt. Doch diese beiden sich liebenden,
einander entgegengesetzten Energien verstehen sich nur unter Schwierigkeiten. Sie sind voneinander getrennt,
aber miteinander verbunden. Sie sind zusammen, aber getrennt. Das ist das Verhältnis von Yin und Yang im Tai
Chi. Die Beziehung zwischen beiden ist einfach, aber zugleich mystisch fein. Daher ist es fast unmöglich, die
Bewegungen des Yin und Yang zu verstehen, ohne erleuchtet zu sein, denn der Beobachter wird, ohne es selbst
zu wissen, entweder dem Yin- oder dem Yang-Charakter folgen.
Wer in der Welt des Yin und Yang lebt, ohne einer der beiden Seiten anzuhaften, kann die Yin-Yang-Energien
frei bewegen und ist ein Meister des Tai Chi. Seine Energie ist in höchstem Maße erwacht, er ist gesund und
nahezu erleuchtet.*
Beispiele aus der Welt des Yin und Yang:
Ruhe der Ewigkeit - Bewegung in jedem kleinsten Moment
Raum und Zeit
Geist und Körper
Licht und Wasser
Frau und Mann
Oben und unten
Vorn und hinten
Links und rechts
Einatmen und ausatmen
Angriff und Verteidigung
Spitz und rund
Feinfühlig und unempfindlich …
* Nahezu erleuchtet: Er weiß, dass die materielle Welt leer ist, und hat den klaren Geist einer Heiligkeit. Aber immer noch ist er nicht freivon den Dingen des Lebens, Wünsche steigen auf, Eifersucht und Ärger stören noch seine Erleuchtung.
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:05 Seite 11
Tai Chi ist aus dieser Art dualistischer Bewegung entstanden und sollte das ausdrücken. Ein Meister des Tai Chi
kann alle Arten von Yin-Yang-Beziehungen frei ausdrücken. Er fließt mit der Yin-Energie, ohne an ihr zu haften,
er bewegt sich mit der Yang-Energie, ohne an sie gebunden zu sein. Er hat reine Yin-Energie und reine Yang-
Energie. Der Grund, weshalb er die beiden Energien vereinen kann, ist der Zustand der Leerheit.*
Im Zustand der Leerheit erkennt er, auch wenn er selbst sich in diesem Moment auf der Yin- oder Yang-Seite
befindet, immer beide Seiten gleichzeitig. Er weiß, dass es keinen Unterschied zwischen Yin und Yang gibt, und
er weiß, dass Yin-Yang und Leerheit dasselbe sind. So beendet er das lange Leiden des Universums und ewige
Freude erscheint.
Wenn er an die materielle Welt gebunden ist, wird der klare Mind überdeckt, er ist nicht frei, sondern mit sich
und seiner Umgebung verknüpft. Begehren steigt auf, mit langem Leiden entstehen Schmerzen. Unser Körper
und die Objekte sind die materielle Welt, die im Ursprung unbeständig ist und Leerheitscharakter hat. Wer das
erkennt, weiß um den Ursprung der materiellen Welt. Die Yin-und Yang-Energie bewegt die materielle Welt.
Tai Chi ist endlose Bewegung und Wandel in der Kunst des Universums. Alle sich unterschiedlich verändernden
und bewegenden Wesen gehören dem Einen an.
Die weite Erde
Der mehr als tausend Jahre alte Baum
Das Fließen des langen Flusses
Quirlige Fische folgen dem Flusslauf
Wilde Pferde galoppieren in der Ebene
Der Wind bewegt die Blütenblätter
Weiche Flaumfedern von Babyenten
Warmes Sonnenlicht
Ruhig ziehende weiße Wolken
Raupen spinnen lange Seidenfäden
Regensturm
Große Wellen der See
Blitze schlagen durch die Wellen
Ruhiger leerer Himmel
Ein majestätischer Schneeberg
Das Vollmondlicht spiegelt sich im See
Leicht berührt die elegant fliegende Schwalbe das Wasser und steigt wieder hoch
Das Ende des Zweiges berührt den leeren Himmel
* Leerheit: Leerheit ist der Ursprung der materiellen Welt, Leerheit ist absolut und sauber, leer, aber voll, ruhig, aber völlig erwacht.
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Einfach, aber mystisch fein, die Bewegungen der Natur. Tai Chi-Bewegungen sind fein und sanft, manchmal
wild, sie zeichnen Spiralen, münden in Geraden und gehen wieder in die Kreisbewegung.
Wir lernen von all diesen verschiedenen Kräften der Natur und leben mit ihnen, das ist die Lebendigkeit des
fließenden Tai Chi.
Die Kraft all dieser miteinander verbundenen Naturbewegungen bildet einen großen Kreis, daher fließen auch
die Tai Chi-Bewegungen überwiegend in der Kreisform.
Die ganze Tai Chi-Form zu üben, dauert ungefähr 15 Minuten. In dieser kurzen Zeitspanne die Kraft der Natur
und den weiten Raum des Himmels spüren.
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:05 Seite 13
Die Philosophie des Tai Chi
Die Philosophie des Tai Chi begann vor 3000 Jahren, als jemand die Natur, ihre Bewegungen und die Kraft des
Universums beobachtete und ihnen Namen gab. Tai Chi kommt von Mu Chi*, Yin und Yang** kommen von
Tai Chi***, alle Wesen gehen aus dem Yin und Yang hervor, so wird es erklärt. Chen Stil-Tai Chi ist die histo-
risch älteste Form, aber damals wurde es nicht Tai Chi genannt. Der Name „Tai Chi“ wurde erst vor ungefähr 200
Jahren gegeben. Da die Art der Bewegungen sehr gut zur Philosophie des Tai Chi passt, wurde dieser Name
gewählt.
Welche Form älter, welcher Name der ursprüngliche ist, das ist nicht wichtig. Wenn jemand das Prinzip des Tai
Chi gut ausdrückt, dann ist er ein Meister des Tai Chi, denn die Philosophie der Natur und des Universums
gehören der Allgemeinheit und nicht einer einzelnen Person. Jeder kann dieses Prinzip erkennen, denn man
findet den Charakter des Tai Chi überall. Menschen, die das nicht fühlen, hilft er, es zu erfahren. Dies ist der
wahre Meister und eine Heiligkeit.
Früher wurde Tai Chi sanft und scharf, weich, aber mit starker explosiver Kraft geübt. Heute kann jeder Tai Chi
als ruhige, sanfte Übung für die Gesundheit praktizieren. Sieht man sich das heutige Tai Chi aufmerksam und
genau an, gibt es dort das natürliche Miteinander-Fließen und das Entgegengesetzte Fließen, so wie es die stre-
ckende Kraft in der Kreisbewegung gibt.
In alten Zeiten der Kampfkunst wurde die lebendige Kraft der Bewegung in der Natur beobachtet, um diese
Kraft auch für sich selbst anwenden zu können. Solche Kräfte finden sich im Blitz, in den Wolken, im Berg, in
einem langen Fluss, im Himmel, im Tiger, in den Füßen des Hahns, in der Schlange, im Kranich, in der Seide
und in den Brustfedern der Babyente. Die höchste Qualität in der Kampfkunst ist es, die Energie so vieler unter-
schiedlicher Bewegungskräfte der Natur, die Vollkommenheit der Sanftheit und die Vollkommenheit starker
Kraft auszudrücken.
Die Prinzipien der asiatischen Philosophie, ob im Buddhismus oder Taoismus, sollten immer Stille, Reinheit,
Klarheit, Natürlichkeit, Empfindsamkeit und alles durchströmendes Fließen sein.
Was ich in diesem Buch ausdrücken will, ist, dass es nicht nur die weiche Bewegung gibt, sondern dass im sanf-
ten Fließen viele unterschiedliche Bewegungen der Natur gezeigt werden, welche die Tai Chi-Übungen lebendig
machen.
Die Bewegungen des Tai Chi gleichen unzähligen verschiedenen Blüten, die in einem langen Fluss fließen.
* Mu Chi: Übersetzt bedeutet Mu Chi „ohne Ende“. Ist etwas ohne Ende, hat es auch keinen Anfang, dies ist der reine Zustand.
** Yin und Yang: Yin bedeutet weiblich, Yang männlich. Der Charakter des Yin ist Ruhe, Raumgefühl, Passivität und Kälte. Der Yang-Charakter bedeutet Bewegung, Fließen, Aktivität und Hitze. Vergl. auch : „Die Welt des Yin und Yang“, S. 19
*** Tai Chi: Tai Chi bedeutet allererster Anfang und absolutes Ende. Tai Chi hat vier Yin-Yang: großes Yin und großes Yang, kleines Yinund kleines Yang. Jedes Wesen hat eines dieser Yin-Yang. Diese vier Energien zirkulieren ohne Anfang und ohne Ende ewig lang.
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Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 14
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Der Grund, weshalb ich die Tai Chi-Übungen mag, ist das lange Fließen. In Ruhe fließt die endlose Welle der
Energie … Wenn sich alle Teile des Körpers fein und harmonisch zusammen bewegen, werden sie eins und sind
kraftvoll. Aber mehr als das Kraftvolle mag ich das endlose Fließen.
Unser tägliches Leben fließt. Wie ein endloser Fluss … Die Wiederholungen des Alltags führen zu einem steifen
Körper, der mit dem sanften Tai Chi von seinen Spannungen befreit wird. Der Fluss des Lebens ändert sich
unauf hörlich und strömt lange. Wer nicht an den Veränderungen seiner Umgebung festhält, erkennt den Leer-
heitscharakter des Fließens. Er erwacht und wird frei von den Leiden des Lebens.
Die Tai Chi-Übungen sind ein meditatives Durchschauen aller Arten dualistischer Yin-Yang-Energie. Wer durch
diese Erfahrung hindurchgeht, erreicht die Einheit von Yin und Yang und nahezu die Leerheit. In die Leerheit
zu gehen, in dem ewigen Raum des reinen Yin zu stehen, wird zu reiner Yang-Bewegung, welche die reine abso-
lute Freude bedeutet, da sie der Ursprung des Universums ist. Die reine Yang-Energie - Handeln, ohne zu handeln.
Wenn wir im Fließen anhaften, bleiben wir in den Schmerzen. Auch wenn Dinge sich wandeln, kommen sie
doch letztendlich aus dem Einen. Wenn wir das erkennen, werden wir die Leerheit verstehen. Versteht man die
Leerheit, wird der Geist, der lange an seine Umgebung gebunden war, frei und strahlt. Die blockierte Energie des
Körpers löst sich und der Körper wird gereinigt. Die lange Zeit wie von etwas Schwerem gedrückte Stimmung
löst sich auf, Mind und Körper werden schwerelos, Glückseligkeit steigt auf.
Haftet man nicht an der Leerheit, kann man erleuchtet werden. Materielle Welt und Leerheit sehen wie Gegen-
sätze aus, befinden sich jedoch in einem langen Kreislauf ohne nach der materiellen Welt oder der Leerheit zu
greifen, beide gleichzeitig zu erkennen ist der Mittelweg und die Erleuchtung.
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 15
Ziel und Wirkung des intensiven Übens
Unser Körper besteht aus Knochen, Muskeln, Blut, Flüssigkeiten, Nerven und Energie. Zu mehr als 70% besteht
der Körper aus Flüssigkeiten, die Nährstoffe und Energie transportieren. Die Regeneration der Körperzellen, das
Fließen des Blutes sowie die Bewegungen des Knochenmarks kann man mit einem langen Fluss vergleichen, der
bis zum Lebensende ununterbrochen fließt. Wird ein Teil des Körpers schwächer, härter oder blockiert, degene-
riert er und verändert sich auf seltsame Weise. Diese Situation ist der Grund für Krankheit und Tod. Im Körper
sind die Knochen, entstanden aus dem Knochenmark, am härtesten. Reicht das Knochenmark nicht aus, werden
die Knochen schwach, das Blut verringert sich und die Leistungsfähigkeit nimmt ab.
Langsame edle Bewegungen sollen zusammen mit Atmen geübt werden. Dann erwacht sensible Energie und
führt zu Lebendigkeit. Die Bewegungen des Tai Chi kombinieren von Anfang bis Ende Kreislinien mit geraden
Linien, endlos fließend wie ein großer Fluss. So wird das Knochenmark voller und fließender.
Die Tai Chi-Bewegungen machen Gelenke und Muskeln sanft und elastisch. Das Blut zirkuliert gut durch den
ganzen Körper. Die warme Yang-Energie des Körpers wird gestärkt und harmonisiert, sie macht den Körper
gesund und robust. Balanciert wird dieser Vorgang von der Feuchtigkeit der Yin-Energie, was zu reiner Haut im
ganzen Körper führt. Die Feuchtigkeit der Yin-Energie funkelt durch die warme Yang-Energie. Das nennen wir
Aura, die Atmosphäre einer Person, sie hat fließende Energie, einen meditativen Mind und voll erwachte
Aufmerksamkeit im täglichen Leben …
Wer einen empfindlichen Körper und öfter kleinere Beschwerden hat, kann Tai Chi sehr gut üben, da es nicht
allzu viel physische Energie benötigt. Durch das Üben kann man die Energie steigern, das Immunsystem stärken
und tiefe Kraft sammeln. Robuste Menschen werden schneller eine Weiterentwicklung erreichen.
Ziel des Tai Chi ist es, das eigene Yin und Yang zu harmonisieren, einen reinen Mind und einen entspannten,
friedlichen Körper zu erlangen..
Die reine Urenergie zu erkennen, die aus dem harmonisierten Yin und Yang erwächst, sowie die Erfahrung so
vieler verschiedener Yin- und Yang-Bewegungen werden das Tai Chi mystisch fein, tief und voller Reichtum wer-
den lassen.
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Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 16
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Schnell und langsam
Überkreuzend
Sanft und stark
Einander Einheit
Öffnen und schließen
Natürlich
In der Leere Fülle – in der Fülle Leere
Innen und außen miteinander verbunden
Von Kopf bis Fuß durchdrungen
Wasser und Feuer vereint
Himmel und Erde harmonisiert
Die Einheit von Yin und Yang
Die Urenergie wiedergefunden
Die Genesung des reinen Geistes, die Heiligkeit
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 17
Tai Chi – Praxis und Gesundheit
Werden wir krank, hat unser Körper die Kraft, sich auf natürlichem Wege zu heilen. Schlechte Angewohnheiten
oder falsche Körperhaltungen über lange Zeit hindurch, wie zum Beispiel immer gleiche Tätigkeiten im Beruf,
verhärten die Muskeln, Wirbelsäule und Gelenke werden gestaucht oder falsch belastet. Wenn die Nerven über
einen längeren Zeitraum falsch beansprucht und gepresst werden, blockiert die Blutzirkulation und man wird
krank.
Tai Chi-Übungen lösen diese Art von Blockaden. Knochenstände werden auf natürliche Weise korrigiert, die
Gelenke werden wieder weich und lebendig, das Nervensystem wird geöffnet und das Blut zirkuliert sanft vom
Kopf bis zu den Füßen. Körper und Geist werden gesund, sie fühlen sich wohl.
Die Kraft, die nach vorne geht, kommt natürlicherweise von hinten. Die Gesundheit des Körpers zeigt sich nicht
im äußeren Erscheinungsbild, wie zum Beispiel durch starke Muskeln, sondern kommt von innen durch die
Gesundheit der inneren Organe, des Nervensystems, des Blutes und des Mind.
Für die Energie des Tai Chi, das man eine innere Übung nennt, sind weiche und langsame Bewegungen wichtiger
als schnelle. Die Schritte, die den unteren Teil des Körpers stärken, aktivieren die Meridiane des Unterleibs.
Nieren, Blase, Leber, Dickdarm, Dünndarm und Magen werden in ihren Funktionen angeregt.
In den mit Atmen verbundenen Tai Chi-Übungen geht dieser Atem tiefer als im Sitzen oder Liegen. Die
Zellbewe gungen werden aktiver. Die Energie, die mit der Nahrung aufgenommen wird, passiert Magen, Dünn-
darm und Dickdarm, die aus der Luft gewonnene Energie wird von der Lunge aufgenommen. Die Wege der
Verdauungsorgane werden durch Stress hart, weiches und tiefes Atmen jedoch entspannt sie wieder und macht
sie lebendig. Geschieht dies, werden Arme, Beine und die äußeren Muskeln auf natürliche Weise elastisch,
Gelenk- und Muskelschmerzen werden so gebessert. Die vielen kurvenförmigen Bewegungen des Tai Chi
befreien Körper und Geist von ihrer Anspannung.
Unser Körper produziert täglich eine Unzahl neuer Zellen. Das Gehirn, das Nervensystem, die Muskeln, die
Knochen und die Haut erneuern in jedem Moment langsam ihre Zellen. In unserem Körper wiederholen die
inneren und äußeren Muskeln die Bewegung von Anspannung und Entspannung. Das ist wie Atmen, die Yin-
Yang-Bewegung wiederholend. Insbesondere die inneren Muskeln bewegen sich endlos, ob schnell oder lang-
sam. Der Mind bewegt sich vierundzwanzig Stunden lang ohne Ende. Wenn Körper und Geist sich lange Zeit zu
schnell bewegen, werden sie müde. Bewegen sie sich nicht mehr, werden sie hart und sind nicht mehr lebendig.
Lange, sanfte, natürliche Bewegungen lassen den Körper sich erholen und gesund werden.
Harte Muskeln entspannen lassen, diesen entspannten Muskeln Elastizität geben, ein gewisses Maß an Aufre-
gung und gutes Entspannen – wie die ideale Harmonisierung von Yin und Yang.
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Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 18
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Atemtechnik
Der Wald mit seiner reinen, guten Luft ist der beste Ort, um das Atmen zu üben. Zu Beginn mehrmals sanft ein-
und ausatmen. Das Ausatmen öffnet den Mind und die Figur, das Einatmen vereint Mind und Figur.
Hier erkläre ich drei verschiedene Arten des Atmens:
1. Beim Einatmen tief in die Brust atmen, den untersten Punkt der Lunge passieren, um bis zum Unterbauch
zu gelangen. Beim Ausatmen nach unten entspannen, leicht ausatmen.
2. Mit jeder Pore des Körpers einatmen, beim Ausatmen sich vorstellen, wie sich alle Meridiane des Körpers
öffnen.
3. Beim Einatmen die Energie von den Fersen bis zum Unterbauch und den Nieren hochziehen, beim Aus -
atmen die Energie vom Unterleib durch die Brust bis in die Fingerspitzen leiten.
Was ich oben erklärt habe, ist nicht nur das rein physische Atmen, sondern auch das Atmen mit mentaler
Konzentration. Es zeigt, wie man den Atem energetisch leitet. Aus diesem Grund bedeutet das Atmen in Asien
Energie.
Das Atmen sollte nicht hart oder gewaltsam sein, sondern sanft und elastisch. Weiche Elastizität und Federkraft
sollten gemeinsam die Kraft des Atmens ausmachen, kraftvoll und scharf, doch die sanfte Weichheit des Atmens
sollte nicht verloren gehen. Durch die natürliche Entspannung beim Ausatmen und das Zusammenziehen beim
Einatmen entsteht die Federkraft, die immer stärker wird.
Praktiziert man die Kraft des Atmens, kann man hierbei extrem weich oder stark atmen. Unter den fünf Elemen-
ten ist es der Wind, der die Kraft hat, wie ein scharfes Metallschwert alles abzuschneiden. Schon seit alters her
waren für die großen Kampfmeister spiralförmige Bewegungen und Atemübungen das Wichtigste. Die Bewe-
gungsformen sind verschieden, das Prinzip ist jeweils dasselbe.
Wenn das Atmen natürlich und tief ist, werden Körper und Geist ruhig und friedlich. Jede Bewegung wird
zusammen mit Ein- und Ausatmen geübt, kurze Bewegungen mit kurzem Atmen, lange Bewegungen mit langem
Atmen. Werden die Hände kreisförmig zum Körper hin gezogen, einatmen, werden sie nach vorn gestreckt,
ausatmen. Kommen beide Hände zurück zum Körper, einatmen, öffnen sich die Hände und springen nach vorn,
ausatmen.
Erreichen die Atemübungen eine höhere Ebene, erwacht die innere Kraft in der langsamen Bewegung. Selbst
wenn man sich plötzlich schnell bewegt, bleiben die Gelenke elastisch. Wie still fließendes Wasser, aus dem
plötzlich ein Fisch emporschnellt, wie der reine blaue Himmel, an dem plötzlich ein Blitz erscheint, kann man
nicht sagen, dass dies die Kraft des Gewichtes und der Schnelligkeit ist. Es ist wie das Licht. Das ist der Beginn
der Jin-Kraft.*
* Jin-Kraft: Jin-Kraft hat große Bedeutung für Gesundheit, Kampfkunst und spirituelle Gesundheit. Siehe auch Kapitel 13, S. 50
Buch 2013 - an verlag_Teil 1 Tai Chi Text schmal 20.01.14 17:06 Seite 19
Wenn die Tai Chi-Übungen eine höhere Ebene erreichen, ist es nicht mehr notwendig, sich mit Figuren zu
bewegen. In der Nicht-Form fließt die Energie verbunden mit tiefem Atmen. Mit dem Fühlen durch die Haut
und durch das Knochenmark bewegt sich die Energie. Das wird die Basis des Qi Gong*. Erreicht man diese
Ebene, wird das Fließen der Energie nicht mehr unterbrochen und sie fließt unaufhörlich.
Tai Chi ist Bewegungsmeditation mit tiefem Atmen. Beim tiefen Atmen werden die Funktionen des Herzens
und der Lunge in einen besonderen Zustand geführt. Regelmäßiges tiefes, gereiftes Atmen - wenn das Atmen fast
aufhört - wird zu reinem Atmen. Mit dem Herzschlag, durch das zirkulierende Blut selbst in den kleinsten
Härchen des Körpers spüren, wie die Energie des ganzen Körpers erwacht.
Das ist
Konzentrierter Zustand ohne zu erstarren
Breite Konzentration mit Feingefühl
Konzentration in der Entspannung
Wenn dies so ist, werden Körper und Mind immer sanfter und mit jedem Tag stärker.
Sanft und stark gleichzeitig, Yin und Yang vereint, das ist die Philosophie des Tai Chi.
In der körperlichen Entspannung oder
In der wilden Bewegung
Die Kraft des Atmens und des konzentrierten Mind
Ohne sie zu trennen
Sie sollten immer klar sein
* Qi Gong: meditative langsame Bewegung mit natürlichem Ein- und Ausatmen, das die innere Energiebewegung führt.
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Die Welt des Yin und Yang
In der asiatischen Kultur und Philosophie sind Yin und Yang das zentrale Thema. Mit Hilfe dieser Philosophie
des Yin und Yang bereitet man sich das Essen zu, baut man Häuser, spielt Musik, tanzt, redet und bewegt sich.
Zum Beispiel sind der blaue Drache und der weiße Tiger ein typischer Ausdruck des Yin und Yang.
Der Drache, der Feuer sprüht, sieht wie Yang aus, doch rotes Blut ist das Wasserelement, deshalb ist er reines
Yin-Element. Ist das Blut rein und fließt stark, ist es wie der feuersprühende Drache, die volle Yang-Energie tritt
hervor. Dass der Drache nicht rot, sondern blau ist, kommt daher, dass das reine Feuer blau ist.
Der weiße Tiger ist der reine Ausdruck der Yang-Energie. Alle Tiere fürchten den Tiger. Wird seine Yang-Energie
reif, verwandelt er sich langsam in einen weißen Tiger, der nicht mehr andere Tiere frisst. Er trinkt den Morgen-
tau und wandert im weißen Vollmondlicht still im Schatten der Blumen. Seine Einsamkeit ist so tief, dass kein
taoistischer Meister sie je erreichen kann. Durch gereifte Yang-Energie hat der weiße Tiger reine Yin-Energie.
Hier sind Beispiele des Yin und Yang. Um zu zeigen, was Yin und Yang sind, beschreibe ich den äußerlichen
Moment, ohne ihn festzuhalten. Yin-Yang fließen immer, ohne sie festhalten zu können, denn Yin geht zu Yang
und Yang zu Yin. Das Ende des Yin ist wie Yang, das Ende des Yang ist wie Yin.
Yin Yang
Stille Bewegung
Raum Zeit
Körper Geist
Wasser Licht (Feuer)
weiblich männlich
unten oben
hinten vorn
links rechts
innen außen
einatmen ausatmen
akzeptieren angreifen
leer voll
Kreis Gerade
kühl warm
unsensibel scharf
Winter Sommer
Herbst Frühling
verschwinden erscheinen
passiv aktiv
Erde Himmel
dunkel hell
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