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Eine Information der IG Metall in Baden-Württemberg T T ator ator t Betrieb – t Betrieb – Str Str ess und psychische ess und psychische Belastungen Belastungen Der Stress und seine Folgen Psychische Belastungen und ihre Ursachen Mobbing Psychische Belastungen von Betriebsräten Erfahrungen eines Schwerbehinderten Kampagne gegen psychische Belastungen Initiativen in der Praxis Was kann getan werden Literatur 1 T A T R T BETRIEB Eine Aktion der IG Metall Erstellt von Diplom Psychologe Rolf Satzer Eichendorff Str. 33, 50825 Köln IG Metall Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung Stuttgart Hölzelweg 2, 70191 Stuttgart, Telefon (0711) 165810, Fax (0711) 1658130 E-Mail [email protected], http://www.bw.igm.de Veröffentlichungsrechte: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg P s y c h i s c h e Belastungen Terror für die Seele

Tatort Betrieb - Stress und psychische Belastungen · 9.2 Gruppenarbeit 79 9.3 Altersgerechte Arbeitsbedingungen 81 10. Standpunkte 84 Literaturhinweise 89 3. VVororworwortt Liebe

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Eine Information der IG Metall in Baden-Württemberg

TTatorator t Betrieb – t Betrieb – StrStress und psychischeess und psychische

BelastungenBelastungen● Der Stress und seine Folgen

● Psychische Belastungen und ihre Ursachen● Mobbing ● Psychische Belastungen von Betriebsräten

● Erfahrungen eines Schwerbehinderten ● Kampagne gegen psychische Belastungen

● Initiativen in der Praxis ● Was kann getan werden ● Literatur

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T A T R T B E T R I E BEine Aktion der IG Metall

Erstellt von

Diplom Psychologe Rolf SatzerEichendorff Str. 33, 50825 Köln

IG Metall Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung StuttgartHölzelweg 2, 70191 Stuttgart, Telefon (0711) 165810, Fax (0711) 1658130

E-Mail [email protected], http://www.bw.igm.deVeröffentlichungsrechte: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg

P s y c h i s c h e

B e l a s t u n g e n

Terror für die Seele

Vorwort 4

Einleitung 6

1. Beispiele aus Betrieben 81.1 Man kann nicht den ganzen Tag

hundertprozentig konzentriert sein 81.2 Wenn die Verantwortung den Schlaf raubt 10

2. Psychische Belastungen - Womit wir es zu tun haben 11

2.1 Was ist Stress?2.2 Wie wirkt Stress? 122.3 Die Folgen 142.4 Stressfolgen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen 142.5 Stressfolgen: Rückenerkrankungen 152.6 Stressfolgen: Suchtverhalten 162.7 Stressfolgen: Schwächung des Immunsystems 162.8 Weitere Stressfolgen 172.9 Stressverarbeitung und -bewältigung 17

3. Hintergrund und Ursachen 203.1 Psychische Belastungen nehmen zu 203.2 Technikeinsatz, neue Arbeitsformen, Arbeitszeiten

und Produktionskonzepte 213.3 Seien Sie profitabel - werden Sie Ihr eigener Unternehmer! 233.4 Gruppenarbeit macht krank? 243.5 Das Abstreifen der Verantwortung 273.6 Frustriert, unzufrieden, sprachlos:

Auf dem Weg in die innere Kündigung 293.7 Mit 55 arbeiten wie mit 25 303.8 Mobbing 32

4. Psychische Belastungen von Betriebsräten 35

5. Erfahrungsbericht aus der Arbeit mit Schwerbehinderten (Manfred Rüdebusch) 38

6. Tatort Betrieb: Die Kampagne gegen psychische Belastungen 41

6.1 Die Ausgangssituation 416.2 Der Einstieg 42

7. Praxisbeispiele 447.1 Gefährdungsbeurteilung: Eine Initiative des Betriebsrats 447.2 Eine Angestelltenkampagne zu Arbeitszeiten ohne Ende 507.3 Eine Belegschaftsbefragung und ihre Folgen 54

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8. Handlungsmöglichkeiten im Betrieb 578.1 Wo stehen wir heute? 578.2 Wo wollen wir hin? 588.3 Gefährdungsbeurteilung Schritt 1:

Psychische Belastungen ermitteln 598.4 Gefährdungsbeurteilung Schritt 2:

Beurteilung der ermittelten Daten 628.5 Gefährdungsbeurteilung Schritt 3:

Schutzmaßnahmen gegen psychische Belastungen 658.6 Eckpunkte für eine Betriebsvereinbarung 70

9. Weitere Ursachen psychischer Belastungen und Handlungsmöglichkeiten 73

9.1 Qualifizierung 749.2 Gruppenarbeit 799.3 Altersgerechte Arbeitsbedingungen 81

10. Standpunkte 84

Literaturhinweise 89

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VVoror worwor tt

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

psychische Belastungen im Arbeits-leben ist sicher kein leichtes Thema,welches wir uns im Rahmen unsererKampagne "Tatort Betrieb" vorge-nommen haben.

Doch dieses Thema ist kein Mode-thema, sondern ein ernst zu nehmen-des Problem, das unsere Kolleginnenund Kollegen in den Betrieben mehrund mehr beschäftigt.

Zunehmender Arbeitsdruck, fehlendeQualifizierung, ausufernde Arbeits-zeiten und Arbeitszeitmodelle bela-sten die Beschäftigten in allen Be-reichen der Unternehmen.

Eine Folge sind Erkrankungen der un-terschiedlichsten Art. Die Spannbreitereicht von Herz-Kreislauf-Erkrankun-gen, Darm-Erkrankungen und Rü-ckenschmerzen bis hin zur Schwä-chung des Immunsystems.Diese Erkrankungen können Men-schen zwingen, ihre Arbeit aufzuge-ben, und sind teilweise lebensbedro-hend.

Wir sind als Gewerkschaften angetre-ten, die Arbeitswelt menschlicher zugestalten. Wir wollen, dass die Be-schäftigten gesund die Altersgrenzeerreichen und ihren Ruhestand mithoher Lebensqualität genießen kön-nen.

Unser tarifpolitischer Beitrag ist unse-re Kampagne „gute Arbeit“.Die Beschäftigten sollen einen An-spruch auf Qualifikation bekommenund die Betriebsräte sollen mit denBeschäftigten mitbestimmen dürfen,welche Leistung im Betrieb erbrachtwird.

Mit unserer Aktion „Tatort Betrieb -Stress ist Terror für die Seele“ wollenwir die Beschäftigten zum Themasensibilisieren und Angebote unter-breiten, wie „gute Arbeit“ auch ohne„Stress“ möglich ist.

Ein kleiner Anfang ist die Broschüre.Sie ist ein Einstieg in die Problematikund gibt Hinweise zum Umgang mitdem Problem „Stress“.

Wir hoffen, diese Broschüre regt an,sich an unserer Aktion „Tatort Be-trieb“ zu beteiligen.

Euer

Berthold HuberBezirksleiter der IG MetallBaden-Württemberg

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Richard Sennett, Der flexible Mensch – DieKultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998

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EinleitungEinleitung

Psychische Belastungen gehörenfür immer mehr Beschäftigteauch in metallverarbeitenden Be-

trieben inzwischen zum unangeneh-men Teil des Arbeitsalltags. Überfor-derung und Zeitdruck, Leistungs-verdichtung und Stress, schlechtesBetriebsklima oder das Verhalten derVorgesetzten, hohes Arbeitstempound ungünstige bzw. überlange Ar-beitszeiten – all diese Faktoren führenzu negativen Folgen für die Gesund-heit. Dies kann sich in vielfältigenSymptomen und Störungen bis hin zuErkrankungen ausdrücken. Wer vonuns kennt nicht die ersten Folgen vonStresssituationen oder Überforde-rung, die zu Nervosität, Kopfschmer-zen oder Schlafstörungen führen oderauch zu dem Gefühl, dass man sicheinfach ausgelaugt, ausgebrannt undkaputt fühlt?

● Viele KollegInnen und Betriebsrätehaben den Eindruck, dass dieseBelastungen und ihre Folgewirkun-gen, der “Terror für die Seele” inden letzten Jahren zugenommenhaben und im Betrieb immer mehrzu einem zentralen Problem imArbeits- und Gesundheitsschutzwerden. Dieser Eindruck täuschtnicht, was durch immer mehrUntersuchungen, Befragungen undForschungsergebnisse bestätigtwird.

● An den Arbeitsplätzen und in denBetrieben besteht dringenderHandlungsbedarf, der bereits zuAktivitäten in den Belegschaftengeführt hat. Betriebsräte haben be-

gonnen, sich mit dem Thema zubeschäftigten, und auf Anregungenund Anfragen aus den Beleg-schaften reagiert.

● Die IG Metall im Bezirk Stuttgarthat das Thema Psychische Be-lastungen zum Schwerpunkt ihrerneuen Kampagne Tatort Betriebgemacht, um diese Aktivitäten zuunterstützen bzw. neue Aktionenanzustossen. Ziel ist somit, zu ei-nem Abbau psychischer Arbeits-belastungen und damit zur Ver-besserung der Gesundheitssitua-tion der Beschäftigten beizutragen.

Tausende Beschäftigte, Vertrauens-leute und Betriebsräte haben sich inden vergangenen Jahren an den ver-schiedenen Tatort-Betrieb-Kampag-nen in Baden-Württemberg beteiligt.Auf die positiven Erfahrungen undErfolge kann bei der Behandlung desThemas psychischer Belastungenaufgebaut werden. Sicherlich geht eshierbei um ein nicht gerade einfach zubehandelndes Gesundheitsthema.Psychische Belastungen wurden lan-ge wie ein Tabu behandelt, ebensowie psychische Störungen oder Pro-bleme generell. Aber anders als dasWort psychisch hier nahelegt, führenpsychische Belastungen keineswegsin erster Linie zu psychischen Leidenim engeren Sinn. Vielmehr verursa-chen psychische Arbeitsbelastungenmit das Massengeschehen der weit-verbreiteten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Rückener-krankungen.Das offizielle Arbeitsschutzsystem hat

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die psychischen Belastungen im Ver-gleich zu den klassischen körperli-chen Belastungen lange vernachläs-sigt. Während es zu Fragen des tech-nischen Arbeitsschutzes ein dichtesRegelwerk gibt, existiert im Bereichder psychischen Belastungen eineRegelungslücke. An diesem Umset-zungsdefizit hat auch das neue Ar-beitsschutzgesetz bislang wenig ge-ändert. Die Tatort-Kampagne wirddaher das Ziel haben, geltende Ge-setze und Schutzregelungen in denBetrieben zur Anwendung zu bringen.Neben den rechtlichen Grundlagenund Handlungsmöglichkeiten für Be-triebsräte und Belegschaften geht esin dieser Broschüre darum, auchBasisinformationen zum Thema zuliefern:

● Worum geht es bei psychischenBelastungen an Arbeitsplätzen inder Metallindustrie?

● Was sind psychische Belastungenund wie wirken sie?

● Was sind die Ursachen psychi-scher Belastungen und warum ha-ben sie gerade in letzter Zeit zuge-nommen?

● Wie kann – je nach betrieblicherSituation – ein Vorgehen gegenpsychische Belastungen ausse-hen? Wie können wir konkretschrittweise vorgehen und welcheInstrumente können wir einsetzen?

1.1 Man kann nicht den ganzenTag hundertprozentig konzen-triert sein

Herbert K. lehnt sich zurück, legt dieFüsse hoch und macht es sich vorseinem PC bequem. Es ist Sonntag-nachmittag und der 52jährige Dreherwidmet sich zu Hause seinem Hobby.Allerdings geht es im Moment nichtum Computerspiele. Herbert K.schreibt ein Programm für seineCNC-Werkzeugmaschine, das er amMontag im Betrieb einsetzen will:

“Ich mach’ zu Hause auchProgramme für die Arbeit. Ich pro-biere dann Sachen aus, wo ich imBetrieb gar keine Zeit und Ruhefür habe. Das ist was, was ichauch für mich behalte - ich bin janicht dumm. Das ist mein Hobby,wenn ich Lust und Laune habe,mache ich das. Die Programmier-sprache ist basic, da haben wirschon alle möglichen Programmeselbst geschrieben. Den Com-puter hier hab’ ich mir vor 14Tagen neu gekauft. Der alte warerst zweieinhalb Jahre alt, denkonntest du vergessen. Für das,was ich zu Hause für die Arbeitmache, war der schon veraltet.”

In der Freizeit Programme für dieArbeit zu schreiben, ist für Herbert K.,ebenso wie für die anderen CNC-Spezialisten in seinem Betrieb, nor-

mal. Fast alle betonen, dass es hiereher um ihr Hobby geht und sie sichmit den zu Hause ausgetüftelten Pro-grammen quasi nebenbei die Arbeiterleichtern. Abgesehen von einemjüngeren Kollegen, verfügt keiner derheutigen CNC-Spezialisten über einerichtige CNC-Ausbildung, qualifizierthaben sich die Kollegen weitgehendselbst.

Mit der Technikeuphorie war esschnell vorbei, als sich herausstellte,dass die vorgegebenen Programmekeineswegs reibungslos funktionier-ten und es zu immer häufigeren Stö-rungen und der Produktion von Aus-schuss kam. Jetzt waren Facharbeiterwie Herbert K. plötzlich wieder ge-fragt, eine systematische Qualifizie-

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1.1. Beispiele aus Beispiele aus BetriebenBetrieben

Die Maschinemacht alles vonselbst

“Als die CNC-Maschinen Endeder 80er Jahren in den Betrieb ka-men, da war ja die Euphorie erstganz groß. Da hieß es dann, wirbrauchen jetzt keine qualifiziertenLeute mehr. Es reicht irgendeiner,der braucht nur den Knopf zudrücken, und die Maschine machtdas dann alles von selbst.”

PPraxis

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rung hat trotzdem nicht stattgefun-den: “Ich war dann drei Tage auf ei-nem CNC-Lehrgang. Da war mannatürlich noch lange kein CNC-Mann!” Die Einführungsphase derMaschinen war für Herbert K. und sei-ne Kollegen durch eine extreme Über-forderungssituation gekennzeichnet.Sie mussten die Arbeitsgänge an denMaschinen regelrecht ausprobieren,was mit entsprechenden Gefahrenund Unfällen verbunden war. Kaumeiner der Kollegen hat nicht zumin-dest einen Crash erlebt, viele habenden Wechsel an die CNC-Maschinennicht geschafft und sind aus denBetrieben ausgeschieden.

Die Angst vor dem Crash ist geblie-ben. Ebenso wie die ständigeKonzentration auf die Abläufe an denMaschinen. Auch wenn das Pro-gramm abläuft und die Bearbeiter mitanderen Aufgaben beschäftigt sind:Mit einem Ohr sind sie immer bei derMaschine und registrieren auffälligeGeräusche. Noch wesentlich konzen-trierter muss gearbeitet werden, wennProgramme geschrieben werden.

“Dazu braucht man Ruhe, die wirhier nicht haben. Wenn ich einProgramm schreibe und mich nurbei einer Kleinigkeit vertue, dannknallts. Man muss hundertprozen-tig konzentriert sein, aber mankann nicht den ganzen Tag hun-dertprozentig konzentriert sein.”

Termin- und Zeitdruck wie auch dieLeistungsanforderungen insgesamthaben aus Sicht von Herbert K. zuge-nommen: “Es ist ja nicht nur die Technik, dassdie Abläufe an den Maschinen immerschneller werden. Es soll ja auch im-mer mehr aus der Technik rausgeholtwerden. Erst war man für eine Ma-schine zuständig, jetzt muss man sichum zwei, drei Maschinen kümmern. Wir sind heute Einzelkämpfer gewor-den. Früher hat ein Kollege neben ei-nem gearbeitet, der hat einem gehol-fen, die Erfahrung weitergegeben undso sind wir alle im Beruf groß gewor-den. Und dazu hat doch heute keinermehr Zeit, seine Maschine stehen zulassen und dem Kollegen jetzt weiter-zuhelfen. Dann gibt es ja hier an jederMaschine andere Steuerungen undwer kennt sich damit schon aus?”

Wie sieht Herbert K. seine Zukunft?

“Das beste wäre, mit 55 auf-zuhören, ich sag’ mal, ich willnicht mehr. In den letzten Jahrenfällt es einem doch schwerer. Undich glaube nicht, dass ich das mitden Belastungen bis 60 oder 63noch gesundheitlich durchhaltenkann.”

Belastung einfachzu hoch

“Eigentlich hätten wir damals sa-gen müssen, die Belastung ist ein-fach zu hoch. Aber da war dannauch Stolz dabei, man wollte dasauch schaffen. Da hat man sichauch selbst unter Druck gesetzt.Ich wollte mir selbst beweisen,dass ich das kann.”

PPraxis

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1.2 Wenn die Verantwortung den Schlaf raubt

Suttgarter Zeitung vom 6.5.2000

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Im Gegensatz zu physischen (kör-perlichen) Belastungen, wie z. B.dem Heben und Tragen von Lasten,

werden im alltäglichen Sprach-gebrauch unter psychischen (seeli-schen) Belastungen geistig-seelischeFaktoren verstanden, zum BeispielStressfaktoren wie hohes Arbeits-tempo oder Zeitdruck. In den Arbeits-wissenschaften unterscheidet manzwischen Belastungen und Beanspru-chungen, wobei man unter Belastun-gen die auf den Menschen einwirken-den Faktoren versteht. Beanspru-chungen stellen die Reaktion desMenschen auf diese Einwirkungendar, also ihre Folgen für Körper undPsyche. Diese Definitionen sind sehrallgemein und neutral, d. h. man gehtdavon aus, dass es sowohl positiveals auch negative Belastungen undBeanspruchungen geben kann. Eben-so neutral werden psychische Bela-stungen in den Arbeitswissenschaftmit einer DIN-Norm definiert:

● Psychische Belastungen sind da-nach die “Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die vonaußen auf den Menschen zukom-men und auf ihn einwirken.”

Wenn es zu negativen Folgen diesereinwirkenden psychischen Belastun-gen kommt, unterscheidet man in denArbeitswissenschaften vor allem psy-chische Beeinträchtigungen durchMonotonie, psychische Ermüdung,herabgesetzte Wachsamkeit undStresszustände. Hier beschränken wiruns vor allem auf Stressfaktoren, dieim Mittelpunkt der Tatort-Kampagnestehen.

2.1 Was ist Stress?

In der Alltagssprache bedeutet StressArbeitsüberlastung, Hektik und Zeit-druck. Wir alle verbinden mit StressÜberforderungssituationen, in denenuns alles zu viel wird: man kommt mitder Arbeit nicht mehr nach, verliertden Überblick, ist angespannt undgereizt. Dieses Verständnis vonStress ist nicht weit entfernt von ar-beitswissenschaftlichen Definitionen(eine DIN-Norm gibt es hier nicht).

2.2. Psychische Psychische Belastungen – Belastungen – WWomit wir es omit wir es zu tun habenzu tun haben

Die vielfältigen Stressquellen und -ur-sachen bei der Arbeit werden auchStressoren genannt. Solche Stres-soren sind beispielsweise:● Zeitdruck● Leistungsdruck und Leistungs-

verdichtung● Arbeitsintensivierung durch zu

knappe Personalbemessung● ständige Ausweitung und Verlänge-

rung der Arbeitszeiten in denPrivatbereich

● unzureichende Qualifizierung● zu hohe Verantwortung bei fehlen-

dem Entscheidungsspielraum● fehlende soziale Unterstützung● schlechtes Betriebsklima und man-

gelhaftes Vorgesetztenverhalten● Lärm und schlechte ergonomische

Gestaltung des Arbeitsplatzes● Unfallgefahren

Was geht nun bei einerStressreaktion genau vor? Und warum fühlt sich der eine in einerbestimmten Situation gestresst unddie andere nicht? Stressoren undpsychische Belastungen wirken sich

offenbar nicht in einem einfachen Ur-sache-Wirkungsschema aus, wie z. B.nach dem Schema: Lärm (Ursache)führt zu Gehörschäden (Wirkung). Obes zu Stressreaktionen kommt, hängtnämlich immer auch von einem indivi-duellen Verarbeitungsprozeß oder Be-wältigungsprozeß des Einzelnen ab.Erst dieser Prozess, der innerhalb je-der Person abläuft, entscheidet darü-ber, ob einwirkende Belastungen alsStressoren empfunden werden odernicht. Das Beispiel Lärm macht darü-berhinaus deutlich, dass nicht nur diepsychischen Belastungsfaktoren imengeren Sinn psychische Auswir-kungen haben können, sondern ebenauch andere Belastungsfaktoren.Auch wer schwere körperliche Ar-beiten bewältigen muss oder in un-günstigen Körperhaltungen oder beischlechter Beleuchtung arbeitenmuss, wird sich psychisch belastetfühlen und eben auch nervlich unterdiesen Bedingungen leiden.

2.2 Wie wirkt Stress?

Ursprünglich – wenn man an die Ent-wicklungsgeschichte der Menschheitdenkt - handelt es sich bei derReaktion auf Stressfaktoren um einebiologisch festgelegte Antwort desOrganismus. Um auf einen Stress-faktor (etwa die Bedrohung durch einRaubtier in der Steinzeit) reagieren zukönnen, mobilisiert der Körper kurzfri-stig sämtliche Reserven, um eine kör-perlich angemessene, schnelle Reak-tion zu ermöglichen (z. B. Flucht oderAngriff). Wie eine derartige Reaktionim Organismus abläuft, ist der folgen-den Abbildung zu entnehmen: Nimmtder Mensch einen Stressfaktor wahr,wird diese Information über dasNervensystem weitergegeben. Dies

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Definition Stress

“In der Arbeitswissenschaft verstehtman unter Stress einen Zustand an-haltender und angstbetonter, er-regter und unangenehmer Ge-spanntheit, der sich durch psychi-sche Überaktivierung und subjektiveBedrohung auszeichnet, er schlägtsich in überhastetem Tempo, fahri-gen Bewegungen und übermäßigemKraftaufwand bei der Arbeit nieder.”(Oppolzer 1999)

WWichtig

veranlasst im Körper u. a. die Aus-schüttung von Hormonen durch dieNebenniere. Dabei handelt es sichetwa um das “Fluchthormon” Adre-nalin und das “Angriffshormon” Nor-adrenalin. Diese Hormone beschleu-nigen den Herzschlag und beeinflus-sen den Kreislauf. Beispielsweisewerden Zucker- und Fettreserven mo-bilisiert, Bludruck und Muskelspan-

nung werden erhöht. Gleichzeitigschaltet der Organismus Funktionenquasi ab, die im Moment der Reaktionauf Stressoren nicht benötigt werden.Hierfür sorgt u. a. die Freisetzung vonCortison, die zur Drosselung des Ver-dauungssystems führt und das He-runterfahren des körpereigenen Ab-wehrsystems (des Immunsystems)veranlasst.

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Der Stressmechanismus

(Quelle Frederik Vester, aus IG Metall, Arbeitshilfen, Runter mit demDauerstress!, Frankfurt 2000)

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Der Körper reagiert biologisch sinn-voll auf Stressfaktoren. Allerdings hatdieser in der frühen Menschheitsge-schichte angemessene Schutzme-chanismus in der heutigen Arbeitsweltproblematische Auswirkungen. Denndie Reaktion auf arbeitsbedingteStressoren kann nicht in einer Flucht-bzw. Angriffsreaktion und auch nichtin einer längeren Erholungsphase be-stehen. Der Körper produziert statt-dessen immer weiter die beschriebe-nen Voraussetzungen, um auf Stresszur reagieren, die dann eigentlich not-wendige Reaktion bzw. Erholungkann aber nicht stattfinden. Andau-ernder Stress stößt somit die Stoff-wechselpropzesse immer wieder neuan, was langfristig den Organismusgefährdet und zu gesundheitlichenSchäden führen kann. So können z.B. die mobilisierten Fett- und Zucker-reserven nicht angemessen abgebautwerden und lagern sich in den Ge-fäßen ab, was langfristig zu gesund-heitlichen Schädigungen führen kann.

2.3 Die Folgen

Wenn die Bewältigungsmöglichkeitendes Einzelnen an seinem Arbeitsplatznicht ausreichen, um mit den ständi-gen Stresseinwirkungen positiv fertigzu werden (positive Stressentwick-lung), kann es zu chronischem Stress(Dauerstress) kommen, der zu vielenBefindlichkeitsstörungen und ernst-haften Erkrankungen führen kann.

“Stress gewinnt für die Ent-stehung eines breiten Spektrumsarbeitsbedingter Erkrankungenzunehmend an Bedeutung. Kos-ten für Stress sind in ihrer Ge-samtheit schwer zu beziffern.

Nicht nur die offensichtlichenKosten durch Krankheiten, Fehlenam Arbeitsplatz, Unfälle, Suizidund Todesfälle, sondern auch dieverborgenen Kosten wie dasScheitern zwischenmenschlicherBeziehungen, Fehlbeurteilungenim Beruf, verminderte Produk-tivität, Kreativitätsarmut und nichtzuletzt Verschlechterung von Ge-sundheit und Wohlbefinden sindzu berücksichtigen. In den USAwird geschätzt, dass Stress dasgrößte gesundheitliche Problem inder Arbeitswelt darstellt.” (Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin 2000)

2.4 Stressfolgen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählenzu den sogenannten modernen Volks-krankheiten. Sie sind in allen Indus-trieländern weit verbreitet, zählen zuden häufigsten Erkrankungen undverursachen die meisten Sterbefälle.

Mehr Herz-Kreis-lauf-Erkrankungen bei Zeitdruck

“Studien haben gezeigt, dass beiBeschäftigten mit hohen Arbeits-anforderungen (z. B. ständig hoherZeitdruck), die zugleich wenigEinfluss auf die Gestaltung derArbeitsbedingungen haben, Herz-Kreislauf-Krankheiten gehäuft auf-treten....

(Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin 2000)

WWichtig

In der Bundesrepublik Deutschlanderleiden jährlich ca. 400.000 Men-schen einen Herzinfarkt. 100.000 die-ser Infarkte sind tödlich. Lange Zeitwurde behauptet, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie z. B. der Herzin-farkt wären ausschließlich auf Risiko-faktoren in der persönlichen Lebens-führung wie Bewegungsmangel, Rau-chen, falsche Ernährung usw. zurück-zuführen. Mittlerweile haben wissen-schaftliche Untersuchungen belegenkönnen, dass bei der Entstehung vonHerz-Kreislauf-Erkrankungen auch ar-beitsbedingte Stressfaktoren einezentrale Rolle spielen. So zeigt sich,dass bestimmte Berufsgruppen häufi-ger von Herzinfarkten betroffen sind.In den Metallberufen haben imVergleich zur Gesamtbevölkerung z.B. Oberflächenbearbeiter, Werkzeug-macher, Walzer, Montierer, Mechani-ker, Metallverformer und Schlosserein höheres Infarktrisiko. Generell gilt:Der Herzinfarkt ist keinesfalls eine ty-pische Managerkrankheit, sondernvielmehr eine typische Arbeitskrank-heit.

2.5 Stressfolgen:Rückenerkrankungen

Psychische Anspannungen undStresseinflüsse am Arbeitsplatz kön-nen auch unmittelbare körperlicheBeschwerden verursachen. Die psy-chische Anspannung führt schnell zueiner Anspannung der Schulter-Na-ckenmuskulatur mit oft schmerzhaf-ten Folgen. Dieses Phänomen werdenviele Beschäftigte aus ihrer eigenenErfahrung kennen. Stressoren kommtsomit eine wichtige auslösende undverstärkende Wirkung bei Rückener-krankungen zu, die ebenfalls zu denweit verbreiteten Krankheiten in derBevölkerung zählen. Der Zusammen-hang zwischen psychischen Belas-tungen und Rückenschmerzen wurdeu. a. durch die groß angelegte

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Weniger Ein-kommen, mehrHerzinfakt

“Die Chance, gesund zu sein,sinkt mit dem Einkommen. "Ein-fache Arbeiter haben im Vergleichzu Managern ein dreimal so hohesRisiko, einen Herzinfarkt zu erlei-den", sagt Johannes Siegrist, Me-dizinsoziologe an der UniversitätDüsseldorf. Und die große, etwa10.000 Menschen einbeziehendeDeutsche Herz-Kreislauf-Präven-tionsstudie ergab, dass im unterenFünftel der Bevölkerung Herz- undKreislauferkrankungen doppelt sohäufig vorkommen wie im oberenFünftel.” (Die Zeit, Nr. 43, 1997)

WWichtig

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Whitehall-Studie in Großbritanniennachgewiesen, in der über 10.000 Be-schäftigte untersucht wurden. Dabeistellte sich heraus, dass vor allem dieniedrige Kontrollmöglichkeit am Ar-beitsplatz einen Risikofaktor für Rü-ckenerkrankungen darstellt. DieserZusammenhang zwischen psychozo-zialen Arbeitsbelastungen und Rü-ckenerkrankungen gilt auch dann,wenn andere Risikofaktoren wie z. B.körperliche Belastungen berücksich-tigt werden.

2.6 Stressfolgen: Suchtverhalten

“Das ist alles ein bisschen viel. DieBelastung wird immer größer. Allewerden immer nervöser. Alle ste-hen immer unter Strom sozusa-gen. Das ist der Druck, der stän-dig auf einem liegt, die Belastung,die Leistung. Das macht einen al-les verrückt, stört einen alles.Wenn ich keine bestimmten Medi-kamente nehme, dann schaff ichdas mit dem Kreislauf gar nicht,weil immer Spannung und Druckda ist.” (Arbeiter, Aluminium-Presswerk)

Wem alles zu viel wird, der greift unterDauerstress eher zu Ausweichmög-lichkeiten wie Alkohol und Medika-menten. Auch hier belegen Untersu-chungen: Anhaltender arbeitsbeding-ter Stress begünstigt gesundheits-schädliches Verhalten. HochbelasteteArbeitnehmerInnen nehmen wesent-lich mehr Alkohol und Zigaretten zusich und greifen häufiger zu Medika-menten als weniger belastete Be-schäftigte. Es liegt auf der Hand, dassaus der vermeintlichen Lösungschnell ein gefährliches Suchtver-

halten werden kann. Schätzungen ge-hen in der Bundesrepublik von 5%Alkoholkranken in Betrieben und Ver-waltungen aus, weitere 10% geltenals alkoholgefährdet.

2.7 Stressfolgen: Schwächung desImmunsystems

Wie oben beschrieben wurde, reagiertder Organismus im Rahmen derStressreaktion auch mit dem Her-unterfahren aktuell nicht benötigterKörperfunktionen. Das gilt auch fürdas Abwehrsystem des Körpers ge-gen Krankheiten. Dauerstress schä-digt auch diese Immunabwehr:

Stress kann zuKrankheiten führen

“Es besteht kein Zweifel mehrüber den Zusammenhang vonStress, einer geschwächten Ab-wehrlage und dem Ausbruch ver-schiedener Krankheiten. Men-schen unter Stress sind beispiels-weise anfälliger für Infektions-krankheiten (z.B. Erkältungskrank-heiten). In zunehmendem Maßewerden auch Zusammenhängezwischen Stress und dem Verlaufallergischer Erkrankungen wieHeuschnupfen, Asthma sowie al-lergischen Reaktionen auf Le-bensmittel oder Umwelteinflüssediskutiert.” (Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin 2000)

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2.8 Weitere Stressfolgen

Leider sind die bislang aufgeführtenStressfolgen nur eine beispielhafteAuswahl gesundheitsgefährdenderStresswirkungen. In ähnlicher Weiseschädigt Stress auch das Magen-Darm-System bzw. Verdauungsfunk-tionen. Und nicht zuletzt können psy-chische Beanspruchungen durchStress auch psychische Befindlich-keitsstörungen oder Störungen mitverursachen, wie z. B. Ängste, Schlaf-störungen oder Depressionen. Al-lerdings muss man sich klar machen,dass Stress und andere psychischeBelastungen in der Hauptsache fürdas Massengeschehen der modernenKrankheiten mit verantwortlich sind.Arbeitsbedingter Stress führt typi-scherweise zu sogenannten psycho-somatischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Magen-Darm-Erkrankungen, die mit Störun-gen und Schädigungen innerer Kör-perorgane einhergehen. Anders alsder Begriff psychisch nahelegt, führenpsychische Belastungen also geradenicht in erster Linie zu psychischenLeiden oder Störungen, sondern eherzu den genannten, weithin bekanntenund verbreiteten Erkrankungen. Diesheißt selbstverständlich nicht, dassman den Einfluß psychischer Belas-tungen auf psychische Störungenund Folgeerkrankungen unterschät-zen darf (siehe hierzu auch denErfahrungsbericht zu psychischenBelastungen und Behinderungen).

2.9 Stressverarbeitung und –bewältigung

Die Wirkung psychischer Belastungenund die Wirkung von Stressoren lässtsich nicht mit einem einfachen Ur-sache-Wirkungs-Schema erklären.Stressoren führen nicht automatischzu Gesundheitsstörungen oder Er-krankungen. Entscheidend für die ne-gativen Stresswirkungen oder die po-sitive Stressbewältigung ist der er-wähnte Verarbeitungsprozeß. Werbeispielsweise vor einer schwierigenArbeitsaufgabe steht, könnte dadurchüberfordert sein, wenn er oder sie kei-ne Erfahrung mit dieser speziellenAufgabe hat, außerdem unter Zeit-druck und Lärm arbeiten und eventu-ell mit negativen Reaktionen einesVorgesetzten rechnen muss. In dieserSituation würde man sich offensicht-lich in einer Stresssituation befindenund das Gefühl und die Einschätzungentwickeln, die Aufgabe nicht zuschaffen. Andererseits könnte beiderselben Arbeitsaufgabe eine ande-re, positive Bewertung zustandekom-

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Stress kann zuDepressionenführen

“Andauernde stressauslösende Kon-fliktsituationen am Arbeitsplatz kön-nen hingegen zu Befindlichkeitsstö-rungen, Ängsten, Schlafstörungenund Depressionen führen. Stress kanndie Anfälligkeit für psychische Er-krankungen erhöhen und bestehendepsychische Leiden verschlimmern.”(Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin 2000)

WWichtig

men. Wenn die betreffenden Kol-legInnen nämlich bereits die Erfah-rung gemacht haben, derartigeAufgaben bewältigen zu können,wenn sie über ausreichende Qualifi-zierung verfügen und in Ruhe - nichtunter Zeit- oder Termindruck - arbei-ten können und der Vorgesetzte ihnennicht “im Nacken sitzt”, dann ist nichtmit negativen Stressfolgen zu rech-nen. Dieselbe Arbeitsaufgabe wird indiesem Fall überhaupt nicht als Stresserlebt. Offensichtlich findet bei der Stress-verarbeitung ein Vergleich statt zwi-schen einwirkenden Anforderungenund den zur Verfügung stehenden Be-wältigungsmöglichkeiten. Diese Be-wältigungsmöglichkeiten sind vonentscheidender Bedeutung für einepositive Stressverarbeitung. In derWissenschaft werden sie auch alsRessourcen (Hilfsquellen) bezeichnet.Wichtige sachliche, zeitliche und per-sonelle Ressourcen sind zum Bei-spiel:

● die ausreichende Qualifizierung

● ein angemessener Zeitrahmen zurErledigung der Aufgabe

● angemessene technische Hilfsmit-tel und Ausstattung desArbeitsplatzes

● ein ausreichender Entscheidungs-spielraum bei der Arbeit

● soziale Unterstützung undMöglichkeit zur Kommunikation mitKollegInnen

● günstige Umgebungsbedingungenam Arbeitsplatz

● Arbeitserfahrung und –routine

Da die Stressverarbeitung und - imgünstigen Fall - die positive Be-wältigung stark von dem vergleichen-den Prozess zwischen Anforderungenund Ressourcen abhängig ist, daraufwird in Definitionen von Stress hinge-wiesen. Stress wird deshalb häufigals Ungleichgewichtszustand zwi-schen den Anforderungen der Umweltund den zur Verfügung stehendenRessourcen des Einzelnen definiert.In einem gewissen Sinn ist selbstver-ständlich auch das eigene Stress-bzw. Bewältigungsverhalten des Ein-zelnen für den Verarbeitungsprozessvon Stressoren mit verantwortlich.Generell ist sicherlich eine Haltung,wie sie der Kollege aus einem Mon-tagebetrieb formuliert, durchaus ge-eignet, um bestimmte Stresseinwir-kungen abzuschwächen:

“Stress? Sagen wir mal so:Stressen lass ich mich nicht!Wenn hier einer von den Vor-gesetzten kommt, mit Terminenund schnell, schnell, dann sag’ ichihm, mehr wie arbeiten kann ichnicht. Und damit ist der Fall fürmich erledigt.”

So angemessen eine solche Strategiesicherlich ist, die Aussage macht klar,der betreffende Kollege verfügt übereinen ausreichenden Handlungsspiel-raum und kann sich generell offenbareine solche Strategie leisten. Weraber z. B. in einem befristeten Ar-beitsverhältnis arbeitet oder sichSorgen um seinen Arbeitsplatz macht,der wird meist weniger gelassen rea-gieren können. Das “richtige”, indivi-duelle Anti-Stress-Verhalten kannman sich folglich nicht einfach aussu-chen. Neben der angemessenen, per-sönlichen Strategie im Umgang mitStress müssen eben auch die sonsti-

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gen Bewältigungsmöglichkeiten undRessourcen zur Verfügung stehen.Wenn Belastungen und Stressein-flüsse zu stark werden, dann hilft daspersönliche Bewältigungsverhaltenallein nicht mehr weiter. Nur mit indi-viduellen, persönlichen Strategienlassen sich starke Stressbelastungenauf Dauer nicht bewältigen. Geradebetriebliche Kampagnen müssen anden Ursachen ansetzen.

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Zum Weiterlesen

• Norddeutsche Metall-Berufs-genossenschaft (Hrsg.): Psychi-sche Belastungen in der Arbeits-welt als Herausforderung für denArbeits- und Gesundheitsschutz(Erweitertes Referat von Prof. Dr.Alfred Oppolzer), Hannover 1999

• IG Metall (Hrsg.): Gesünder@rbeiten – Runter mit dem Dauer-stress! Arbeitshilfen, Frankfurt2000

• Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin (Hrsg.), Streßim Betrieb? Handlungshilfen fürdie Praxis, Berlin 2000

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3.1 Psychische Belastungen nehmen zu

Viele Beschäftigte und Betriebsrätehaben in den letzten Jahren den Ein-druck, dass psychische Belastungenstark zugenommen haben. Diese Ein-schätzung wird durch zahlreiche Un-tersuchungen zur Entwicklung der Ar-beitsbelastungen in den letzen 20Jahren bestätigt und ist heute in derWissenschaft unstrittig. Repräsenta-tive Erhebungen und Forschungser-gebnisse des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung der Bun-desanstalt für Arbeit (IAB) erlaubenbeispielsweise einen Vergleich derBelastungsentwicklung seit 1979. Daswichtigste Fazit: Während im Bereichder klassischen Belastungsfaktoren(z. B. Lärm, schwere körperliche Ar-beit, Kälte, Nässe, Hitze usw.) zumTeil ein leichter Rückgang registriertwird, kommt es andererseits zu einemstarken Anstieg psychischer Belas-tungen. Nach Angaben des IAB arbei-teten in den 90er Jahren bereits 55%aller Erwerbstätigen unter Termin-und Leistungsdruck. Gleichzeitig istjeder Dritte Beschäftigte entwedervon Überforderung oder Unterfor-derung (jeweils 15%) am Arbeitsplatzbetroffen. Die Zunahme psychischer Arbeitsbe-lastungen wird nicht nur durch Unter-suchungen in Deutschland bestätigt,sondern u. a. durch europaweite Stu-dien, die diesen Trend auch in ande-ren Staaten belegen. Oft werden die

Ergebnisse mit dem Begriff der Be-lastungsverschiebung auf den Punktgebracht. Damit ist gemeint, dass dieklassischen harten Belastungs-faktoren (körperliche Belastungen)abnehmen und die weichen, psychi-schen Faktoren zunehmen (währenddie klassischen Belastungen wie Lärmhäufig als harte Faktoren bezeichnetwerden, nennt man die psychischenBelastungen auch weiche Faktoren).Der Begriff Belastungsverschiebunglegt nahe, dass die harten Faktorennur noch eine untergeordnete Rollespielen würden. Das IAB korrigiertdiese Auffassung:

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Unzufriedenheit

“Die meisten Umge-bungsbelastungenund körperlichen Be-

lastungen verringern sich, aber nur ingeringem Maße. Absolut gesehen gibtes solche Arbeitsplätze aber noch im-mer in mehrfacher Millionenhöhe.Auch arbeitsorganisatorische Bela-stungen, wie z. B. eintönige Arbeiten,Termindruck und Hetzte nehmen zuund sind oftmals noch weiter verbrei-tet als viele ‚harte’ Belastungen. DieAutonomie am Arbeitsplatz nimmt al-lem Anschein nach nicht zu, sonderneher ab. Die Unzufriedenheit mit derArbeit, dem Betriebsklima, den Kol-legen und den Vorgesetzten wächst.” (Henninges 1998)

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3.3. HinterHintergrgrund und und Ursachenund Ursachen

Zu den hohen, bestenfalls langsamzurückgehenden traditionellen Bela-stungen kommen für die Beschäf-tigten somit die psychischen Belas-tungen noch hinzu.

3.2 Technikeinsatz, neueArbeitsformen, Arbeitszeitenund Produktionskonzepte

Die Arbeitsbedingungen im Angestell-tenbereich wie auch im Produktions-bereich haben sich in den letzten ca.20 Jahren tiefgreifend verändert. ImZusammenhang mit der technischenEntwicklung und den von den Unter-nehmen angewandten neuen Arbeits-methoden sieht heute kaum noch einArbeitsplatz in der Metallindustrie soaus wie im Jahr 1990 oder gar 1980.Bildschirmarbeit oder der Umgangbzw. die Arbeit mit computergesteu-erten Maschinen oder Fertigungs-systemen gehört heute für die meis-ten Beschäftigten zum Alltag. Zu dendamals neuen Techniken und zu denProduktions- und Rationalisierungs-konzepten der 80er und 90er Jahre,die vielfach als Lean Production be-zeichnet wurden, passte weder deralte Arbeitnehmertypus noch die alte,tayloristische Ausrichtung der Pro-duktion. An den neuen, sich technischständig weiter verändernden Arbeits-plätzen, an den nicht zuletzt immerteureren und anspruchsvolleren Ma-schinen, Anlagen und Büroarbeits-plätzen wurde nun ein Arbeitnehmer-typus verlangt, der mitdenkt, bei Stö-rungen schnell eingreift, Problemelöst, verantwortungsbewusst und ineigener Initiave reagiert, die Qualitäts-kontrolle mit übernimmt, flexibel ein-setzbar ist, mit anderen in Gruppenzusammenarbeitet und vieles mehr.

“Produktionsprozesse und Ar-beitsaufgaben waren im Verlaufder vergangenen 10-15 Jahreschnellen und tiefgreifenden Ver-änderungen unterworfen. Wesent-liche Merkmale dieser Verände-rungen sind die rasante Entwick-

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Psychische Belastungen und so-ziale Arbeitsbelastungen nehmenweiter zuSchwäbische Zeitung 8.Mai 2000

„Die psychischen und sozialen Bela-stungen in Deutschland werdennach Expertenmeinung in den kom-menden Jahren weiter zunehmen“.Diese These stellte am Wochenendeder Präsident der Bundesanstalt fürArbeitsschutz und Arbeitsmedizin,Hans-Jürgen Bieneck, auf. Seine Er-fahrung: ‘In den vergangenen zehnJahren hat es eine Verschiebungvon den klassischen körperlichen,physikalischen und chemischen Un-fall- und Erkrankungsgefahren hin zueiner gestiegenen geistigen und so-zialen Belastung für die Arbeit-nehmer gegeben’. Bei den sozialenAspekten des Arbeitsschutzes spie-le das Führungsverhalten von Vor-gesetzten, das Betriebsklima unddas Verhalten der Mitarbeiter unter-einander eine zunehmende Rolle –das Stichwort sei hier Mobbing. Künftig werden fast alle Arbeitneh-mer mit den neuartigen Belastungendurch elektronische Verarbei-tungssysteme konfrontiert sein...

...Nach Meinung des Experten soll-ten Arbeitsorganisation und -bedin-gungen gesetzlich geregelt werden,um durch die Krankheit bedingteFolgekosten zu mindern.

lung der Technologie, die ver-stärkte Internationalisierung derProduktion, die kommunikativeVernetzung von Produktionsstät-ten, die Einführung von Just-in-time-Systemen mit einem Aufbauvon verzweigten Zuliefersyste-men,Qualitätsmanagement, Lean-Production und Outsorcing-Pro-zesse. Die betriebswirtschaftlicheRationalität dieser Prozesse liegtin der Verbilligung der Anlagen-nutzung durch Verlängerung derMaschinenlaufzeiten, einer ent-scheidenden Erhöhung der Ar-beitsproduktivität, der Flexibilisie-rung von Mensch und Maschine,dem kontinuierlichen Betrieb alsstrategische Devise neuer Ratio-nalisierungen und einer hochgra-digen Verknüpfung verschiedenerStufen der Informationsverarbei-tungsprozesse.” (Geray 1998)

Im Zuge der technischen und arbeits-organisatorischen Veränderungen er-höhte sich der Einsatz des pro Ar-beitsplatz eingesetzten Kapitals. Dieenorme Steigerung dieses sogenann-ten Bruttoanlagevermögens bringtselbstverständlich neue Anforderun-gen und einen starken Verantwor-tungsdruck auf die dort Beschäftigtenmit sich.

“Mein Kollege, der mit auf demCNC-Lehrgang war, der hat dieganzen Schwierigkeiten dann ge-sehen, und als er alleine an derMaschine arbeiten sollte, hat ergesagt: ich vertrag das nervlichnicht – ich kann das nicht, unmög-lich! Und er hat das wirklich nichtvertragen, er konnte nicht mehressen, hat abgenommen. Er hatauch immer daran gedacht, dass

die Maschine eben zweieinhalbMillionen Mark kostet. Das alleinehat ihm schon Angst gemacht.Nach fast 25 Jahren hier imBetrieb hat er aufgehört und sich’ne andere Arbeit gesucht.” (CNC-Dreher)

Aus betriebswirtschaftlicher Logikverlangte der erhöhte Kapitalaufwandandererseits auch längere Maschi-nenlaufzeiten und generell eine Aus-weitung der Arbeitszeit, Überstunden,Schichtarbeit und Nachtarbeit. Ab-gesehen davon sahen sich die Be-schäftigten im Rahmen der neuenKapitalstrategien mit durchaus be-kannten Strategien konfrontiert:

Die einst neuen Techniken und mo-dernen Technologien sind demnachnicht zwangsläufig für die Zunahmepsychischer Belastungen verantwort-lich. Entscheidend ist die Art undWeise, wie die Technik im Rahmenunternehmerischer Produktions- undRationalisierungskonzepte eingesetztworden ist. Aus heutiger Sicht fälltdas Fazit eindeutig aus: Neue Tech-nologien und Produktionskonzeptehaben nicht zu einer Erleichterungoder Verbesserung der Arbeitsbedin-gungen geführt, sondern zu einer

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Betriebsrat, OpelBochum 1993

“Lean Production bedeutetschlicht und ergreifend: Statt19.000 Beschäftigte, die wir voreinem Jahr hatten, heute 16.000 –mit mehr Leistung! Ganz konkretauf den Punkt gebracht!”

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Verschärfung der Belastungssitua-tion. Die oben erwähnten Zahlen be-legen eindeutig, dass sich die Be-lastungssituation gerade bezogen aufdie psychischen Beanspruchungenfür die meisten Beschäftigten ver-schlechtert hat. Demnach sind die bisheute formulierten Verheißungen einer“schönen, neuen Arbeitswelt”, einermenschen- und gesundheitsgerech-ten Arbeitsgestaltung, die die sozialeZusammenarbeit in Gruppen mit aus-reichendem Handlungs- und Ent-scheidungsspielraum, mit Freiräumenfür die Beschäftigten, mit dem Abbauvon Hierarchien, kooperativen Füh-rungsmethoden usw. versprochenhaben, bislang bestenfalls in einerkleinen Minderheit von BetriebenRealität geworden. Stattdessen musseher von einer weiteren Zunahmepsychischer Belastungen und weite-ren Verschlechterungen der Arbeits-bedingungen gerechnet werden:

“Was seit einigen Jahren zu beob-achten ist, ist die massive Zunah-me von Flexibilitätsanforderun-gen, die (im Zusammenhang mitorganisatorischen Konzepten derAufgabenintegragtion und derEinführung von Gruppenarbeit)nach überwiegender Einschät-zung der Industriesoziologie psy-chische Belastungen erhöht ha-ben (und weiter erhöhen werden)durch Termin- und Zeitdruck,durch Konkurrenz- und sozialeKontrollmechanismen innerhalbvon Gruppen, durch Forcierungdes Arbeitstempos, Eliminierungvon Zeitspielräumen und einer da-mit bewirkten Ausdünnung passi-ver Arbeitsanteile.” (Marstedt 1994)

3.3 Seien Sie profitabel – werdenSie Ihr eigener Unternehmer!

“Eine Voraussetzung für die neuenManagementmethoden besteht inder Aufgliederung der Unterneh-men in selbständige Wirtschafts-einheiten wie „business units“,profit-Center usw., die eigenstän-dig am Markt operieren und imUnternehmen als Service-Geberwie Service-Nehmer im Wett-bewerb auftreten. Natürlich ist mitdem Begriff “eigenständig” keinevöllige Selbständigkeit gemeint.Vielmehr geht es darum, dass dieeinzelnen Unternehmenseinheiteneine eigene Kosten- und Gewinn-rechnung ausweisen. SolcheStrukturen werden z. T. bis aufsehr kleine betriebsorganisatori-sche Einheiten heruntergebro-chen (z. B. Vormontage, Endmon-tage, Konstruktion, Entwicklungusw.), die zum “Unternehmen imUnternehmen”. Diese Einheitenwerden dann mit tatsächlichemoder künstlich erzeugtem Markt-geschehen konfrontiert: Will manbeispielsweise die Konstruktioneines neuen Produkts am Stand-ort X haben, so muss man speziel-le Vorgaben bzw. Zielvorgaben(Termin, Durchlaufzeit, Kostenusw.) erfüllen. Schafft man/fraudas nicht, kann man zukünftigeProdukte an einen “interen” oder“externen” Konkurrenten verlie-ren” (IG Metall 2000).

Flexibilität ist eines der Zauberwortein den herrschenden Management-strategien und überhaupt zu einemallgegenwärtigen Modewort gewor-den. Unter flexiblen Arbeitstätigkeitenversteht man z. B. die Einführung von

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Projektarbeit, die im Angestellten-bereich zunehmend um sich greift.Während in großen Unternehmen wieIBM einerseits die Arbeitszeitkontrolleabgeschafft und stattdessen eine“Vertrauensarbeitszeit” eingeführtwird, werden die Angestellten ande-rerseits mit Projektaufgaben konfron-tiert, die sie in einem eng begrenztenZeitraum bewältigen sollen.

“Mareike J. bekommt für dasProjekt Euro-Umstellung freieHand. Eine Auszeichnung. Nur:pünktlich und perfekt soll dasErgebnis sein. Ein halbes Jahr ar-beitet sie 60 Stunden pro Woche.Im letzten Monat ist die Angst,dass etwas schief geht, größer alsdie Erschöpfung. Sie arbeitetnoch mehr, und nachts wacht sieauf. Es ist paradox: Der Drucknimmt zu, obwohl doch keinZwang ausgeübt wird. Wie ist dasmöglich? Den Beschäftigten wirddie unternehmerische Verantwor-tung aufgebürdet. Jeder Einzelnesoll in seiner kleinen Einheit als ei-gener Unternehmer agieren undtun, was Markt oder Shareholderfordern: “Macht, was ihr wollt,aber seid profitabel!” heißt dieDevise des Manangements.” (Stuttgarter Zeitung, 6. 5. 2000)

Derartige Strategien sind vor allemdeshalb problematisch, weil sie aufeine indirekte Steuerung des Ver-haltens der Beschäftigten abzielen,die nicht mehr von Vorgesetzten kon-trolliert werden, sondern sich nunselbst – wesentlich effektiver - unterDruck setzen sollen. In einem ver-meintlichen Freiraum führt das oftzum “Arbeiten ohne Ende”. In derFolge verschwimmt die Grenze zwi-schen Arbeit und Privatleben und im

Arbeiterbereich wie auch auch fürhochqualifizierte und gut bezahlte An-gestellte entsteht ein altes Überforde-rungsphänomen aus dem Früh-kapitalismus: Die Unfähigkeit, sich zuerholen und zu regenerieren.

“Wir setzen aggressive Ziele. Siesollen machbar, aber nicht von al-len erreichbar sein.”(Geschäftsführer IBM, FAZ, 21. 6. 99)

3.4 Macht Gruppenarbeit krank?

Zweifellos hätten ehemals neue Tech-niken und neue Arbeits- und Produk-tionsformen positivere Auswirkungenhaben können, wenn sich nicht diewirtschaftliche Logik durchgesetzthätte, der es um eine reine Steigerungder Effizienz und möglichst schnelle,kurzfristige Produktions- und Ge-winnsteigerung geht. Das gilt auch fürden Einsatz von Gruppenarbeit, vonder man sich anfangs viele positiveEffekte hinsichtlich einer menschen-gerechten Arbeitsgestaltung verspro-chen hat. Diese positiven Effekte ei-ner ganzheitlichen, abwechslungsrei-

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Zum Weiterlesen

• IG Metall (Hrsg.), Vertrauensar-beitszeit – Reich der Freiheit odermoderne Selbstausbeutung?,Frankfurt 2000• IG Metall (Hrsg.), Meine Zeit istmein Leben, Neue betrieblicheErfahrungen zur Arbeitszeit,Frankfurt 1999

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cheren Arbeit, sozialer Unterstützungdurch KollegInnen, Abbau vonHierarchien und einer im wahrstenSinn des Wortes “gesunden” Mi-schung von Jüngeren und Älteren las-sen sich in manchen Betrieben durch-aus beobachten. Allerdings handeltes sich bei diesen Positivbeispielenoffensichtlich eher um Ausnahmen.Wie oben erwähnt, wird dieseEinschätzung nicht nur durch wissen-schaftliche Untersuchungen bestätigt,sondern spiegelt sich auch in zahlrei-chen Befragungen von Betriebsrätenund Beschäftigten wieder.

Wenn Gruppenarbeit so organisiertwird, dass in erster Linie Hoch-leistungsgruppen entstehen sollen, indenen möglichst wenige Gruppen-mitglieder möglichst schnell undmöglichst viel produzieren sollen, istes mit positiven Auswirkungen auf dieGesundheit selbstverständlich eben-so schnell vorbei. Typisch für diesebetriebswirtschaftliche Logik bei derEinführung von Gruppenarbeit sindErfahrungen von Betriebsräten beiJohn Deere in Mannheim. Hier wolltenVertreter der Betriebsleitung kurzer-hand “nicht gruppenarbeitsfähige”Teile der Belegschaft von vornhereinaus den Gruppen ausschließen, wasvom BR verhindert wurde.

“Es gibt davon abgesehen auchnoch Konfliktpotential mit einigenLeuten in der Abteilung Weiterbil-dung. Die sagen, wer keinDeutsch kann, kann nicht in Grup-penarbeitsprojekten arbeiten! Daskann wohl kaum die Zukunft derGruppenarbeit sein und ist auchnicht unser Standpunkt als Be-triebsrat. Es kann einfach nichtsein, dass man Leute, die keinDeutsch oder nur schlechtDeutsch können, einfach aus die-sem Prozeß herausdrängt. Damuss man verlangen, dass sichdie Betreffenden doch etwasmehr Gedanken machen, als ein-fach zu sagen, die Leute sindnicht für Gruppenarbeit geeignet.” (Betriebsrat, John Deere 1996)

Es liegt auf der Hand, dass in der Fol-ge solcher Unternehmensstrategien inder Gruppenarbeit vor allem auchpsychosoziale Belastungen entste-hen, die die Zusammenarbeit der un-ter Druck stehenden KollegInnen be-treffen. Es kommt zu vielfältigen

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Schwache werdenherausgedrückt

”Meiner Meinung nach wird daauch viel gehetzt. Die Mitarbeiterin der Gruppe schrauben sich haltlangsam hoch. Und teilweisedrücken sie ihre Kollegen aus derGruppe raus. Wenn du fünf Mannin einer Abteilung hast und vierdavon sind also von der Leistungher ähnlich stark und einer weni-ger, dann fragen die vier schon,ob der fünfte nicht irgendwo an-ders gebraucht werden kann.Denn wenn die mit vier Mann dieWerkstücke machen, haben sieeine größere Prämie als zu fünft.Die schwachen Mitarbeiter wer-den langsam wieder herausge-drückt.”

(Betriebsrat 1998)

PPraxis

Macht- und Konkurrenzkonflikten,statt sozialer Unterstützung werdenSchwächere aus den Gruppen hin-ausgedrängt. Derartige Effekte sindzu beobachten, wenn positive Wir-kungen der Zusammenarbeit wie z. B.zusätzliche Zeitreserven den Kolleg-Innen wieder “weggenommen” wer-den, indem mit einer zu knappen Per-sonalbemessung gearbeitet wird. Fürweniger Gruppenmitglieder erhöhtsich der Leistungsdruck, es entstehtzunehmender Gruppendruck auf denEinzelnen, z. B. wenn es darum geht,nach Erkrankungen möglichst schnellwieder am Arbeitsplatz zu erscheinen,um der Gruppe nicht zu fehlen.Selbstverständlich sind derartige Pro-bleme für viele KollegInnen beson-ders psychisch belastend, weil nunnicht nur die Vorgesetzten, sondernauch die eigenen KollegInnen diesenDruck ausüben. Bislang wenig beachtete psychischeBelastungen entstehen, wenn den Ar-beitsgruppen immer mehr Arbeits-aufgaben zugewiesen werden. Wenndie Gruppe etwa die Qualitätskon-trolle übernehmen muss, dafür abernur wenige personelle und zeitlicheReserven zur Verfügung stehen, stei-gen Verantwortung und Stress.

Gerade hochqualifizierte Beschäftigtesehen sich vielfach hohen Anforde-rungen an einen flexiblen Arbeits-einsatz gegenüber. Wer über Spezial-wissen verfügt, wird verstärkt an ver-schiedenen Arbeitsplätzen eingesetztund oft als Lückenbüßer zwischenden personell knapp besetzten Grup-pen hin- und hergeschoben.Wer in neuen Arbeitsstrukturen einge-setzt wird, muss für diese Arbeit auchqualifiziert werden (was übrigens ge-rade für die oft überforderten Vorge-setzten gilt). Dabei geht es nicht zu-letzt um soziale Kompetenzen. Werlange an einem Einzelarbeitsplatz ge-arbeitet hat, muss diese Kompeten-zen erst entwickeln. Das gilt bei-spielsweise für die zahlreichen sozia-len Kontakte zu anderen, für Grup-pengespräche und generell für daskooperative Zusammenarbeiten in ei-ner Gruppe, in der viele Regeln zu be-achten sind. Vielfach wurde auf dieseQualifizierung der Gruppenmitgleiderebensowenig geachtet wie auf dieKompetenzen der Vorgesetzten, die

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In der Hektik unsicher

“Früher wusste man immer, dieTeile werden nochmal nachkon-trolliert. Da fühlte man sich siche-rer, es gab immer noch einen an-deren, der auch dafür verantwort-lich war. Heute macht man das inder ganzen Hektik selber und istsich nie sicher, hat man das jetztalles wirklich richtig gemacht.” (Facharbeiter 1998)

PPraxis

derartige Gruppen installieren sollten.Auch dies ist eine wenig beachteteQuelle für zusätzliche psychischeBelastungen und Frustration unterden Betroffenen.

3.5 Das Abstreifen der Verantwortung

Neben psychischen Belastungen, dieaus einer zu hohen Verantwortung re-sultieren, hat der Verantwortungs-aspekt noch weitere psychische Be-anspruchungen zur Folge, die mit denneuen Arbeitsformen und Technikenzu tun haben. In vielen Bereichen derProduktion, aber auch im Ange-stelltenbereich ging der verstärkteTechnikeinsatz z. B. an Maschinen-arbeitsplätzen oder bei der Bild-schirmarbeit mit einer oft unangemes-senen Technikeuphorie einher.Gerade bei Betriebsleitungen undVorgesetzten, die den (teuren) Tech-nikeinsatz auch betriebswirtschaftlichrechtfertigen müssen, hat dies dazugeführt, die Möglichkeiten der Tech-nik weit zu überschätzen und denEinfluss des menschlichen Arbeits-handelns zu unterschätzen. Vor allembei der Einführung neuer Technikenwurde deshalb vielfach auf die not-wendigen Qualifizierungsmaßnahmenfür die Beschäftigten verzichtet. Mitden Tücken, Problemen und der Stör-und Fehleranfälligkeit computerge-steuerter Maschinen, Anlagen oderder Büro-Software mussten sich viel-fach die Beschäftigten selbst herum-schlagen und Lösungen suchen, dievon den Vorgesetzten kaum nochnachvollzogen werden konnten. Invielen Bereichen der Produktion undVerwaltung arbeiten die Beschäftigtenheute mit Strategien, von denen dieBetriebsleitungen wenig ahnen. Be-

lastende Folgewirkungen resultierennicht zuletzt aus der damit verbunde-nen Nicht-Anerkennung (und Nicht-Honorierung) wichtiger Teile der Ar-beitsleistung. Darüber hinaus ist es zueinem Phänomen gekommen, daswohl viele KollegInnen aus eigenerErfahrung kennen:

“Eigentlich bedient man dieMaschine nicht alleine, die wirdvon drei oder vier Leuten bedient– dem Ingenieur, dem Program-mierer, dem Typ, der sie installierthat und dem Bedienungsmann.Was dabei passiert ist, dass essehr schwer wird, mit den ande-ren richtig zu reden. Sie wollenvon dir nicht hören, dass irgend-was schiefgegangen ist. Du bistganz allein dran schuld. Wenn diewas falsch gemacht haben, gebensie´s ganz bestimmt nicht zu.Wenn ich rauskriege, wie man wasverbessern kann, ohne dass es je-mand merkt, erzähl ich´s keinem.Schließlich fragt mich ja auch nie-mand.” (Shaiken 1979)

Amerikanische Soziologen bezeich-nen diese Situation griffig als “Ab-streifen der Verantwortung”. Aus ihrerSicht ist diese Delegation der Ver-antwortung und “Schuld” von obennach unten eines der typischenKennzeichen des neuen, flexiblen Ka-pitalismus. Während im Normallauf,wenn alles funktioniert, die Technikdafür verantwortlich gemacht wird,bleibt bei Problemen der Mensch ander Maschine oder am PC übrig. Undwird dann selbstverständlich fürSchwierigkeiten verantwortlich ge-macht, obwohl er weder über ausrei-chende Qualifikationen zur Problem-lösung noch über den notwendigenEntscheidungsspielraum verfügt. In-

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wieweit das Abstreifen der Verant-wortung in aktuellen Strategien derUnternehmen im Angestelltenbereich,bei der Ausweitung der Arbeit in

Projekten und ähnlichem geht, zeigtder Erfahrungsbericht einer Projekt-leiterin bei IBM (Siehe unten).

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PPraxis

Praktische Erfahrungen bei IBM

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3.6 Frustriert, unzufrieden, sprachlos: Auf dem Weg in die innere Kündigung

Im Zusammenhang mit den neuenArbeitsformen ist es zu einem Booman betrieblichen Kleingruppen, Ar-beitsgruppen, Gesprächsgruppen imRahmen der Gruppenarbeit, Quali-tätszirkeln, Problemlösungsgruppenusw. gekommen. Immer dann, wennderartige Beteiligungsangebote derBetriebsleitungen ohne eine tatsäch-liche Mitbestimmung und Mitent-scheidung über zentrale Fragen derArbeitsbedingungen in den Betriebenumgesetzt wurden, waren auch hierUnzufriedenheit, Frustration und letzt-lich emotionale und psychische Be-anspruchungen die Folge. So berich-ten qualifizierte Maschinenarbeiterdarüber, dass sie bei der Kaufent-scheidung und Auswahl neuer Ma-schinen zwar beteiligt wurden, ihreArgumente wurden dann bei derEntscheidung allerdings nicht einmalansatzweise berücksichtigt. Selbst-verständlich haben die KollegInnenhier das berechtigte Gefühl, dass ih-nen Beteiligung und Mitbestimmungnur vorgespielt wurden und ebennicht ernst gemeint waren. Selbst-verständlich wird man auf künftigeBeteiligungsangebote misstrauischreagieren und sich ebenfalls nur noch“pro forma” beteiligen.Die Nichtanerkennung der Arbeitslei-stung, die immer höheren Leistungs-anforderungen ohne ausreichendeHonorierung bzw. Entlohnung undeine nur vorgespielte, nicht ernstge-meinte Beteiligung, all dies sorgt fürUnzufriedenheit, Demotivierung undeinen Rückzug aus dem Arbeitsalltag,der mit dem Begriff “innere Kün-digung” treffend beschrieben wurde.Auf der Seite der psychischen Folgen

resultieren aus diesen psychosozialenBelastungen Phänomene, die Ähn-lichkeit mit der sogenannten Burn-out-Symptomatik haben. Damit ist einZustand des inneren Ausgebrannt-seins gemeint, der langfristig alsResultat auf derartige Ursachen auf-treten kann. Die Beschäftigten wollenund sollen immer mehr soziales undemotionales Engagement aufbringen,ohne dass dem “Gegenleistungen”wie soziale und materielle Anerken-nung oder soziale Unterstützung ge-genüberstehen. Sie reagieren daraufin einem Kreislauf mit noch stärkerenAnstrengungen, die wiederum keinepositiven Effekte bewirken, um sichschließlich endgültig und frustriert inden “Dienst nach Vorschrift” zurück-zuziehen.

“Wir hatten mal so ‘nen Chef, derkam dann an und meinte, die Mit-arbeiter sind das Potential derFirma! Dann haben wir meetingsgemacht und erzählt und Vor-schläge gemacht, naja da hat sichnatürlich nix draus ergeben, weil,da drüben sitzen natürlich nochdie Leute von 1937 und sagen: Ichbin der Chef, die Firma ist mir unddu machst das so wie ich mir dasvorstelle. Man gewöhnt sich dar-an. Das Kind hat jetzt ‘nen ande-ren Namen, im Prinzip wird dasgenauso gehandhabt wie vorher.” (Facharbeiter 1998)

3.7 Mit 55 arbeiten wie mit 25

Eine systematische Überforderungund weitere Verschärfung der Be-lastungssituation wird dadurch verur-sacht, dass in den Betrieben generellkeine altersgerechte Arbeitsgestal-tung betrieben wird. Bezogen auf diebetriebliche Personalpolitik, dieArbeitsanforderungen und die Leis-tungsfestsetzung gehen die Unter-nehmen von einem Arbeitnehmerbild

aus, das sich an einem leistungsfähi-gen, gesunden und dynamischen Ty-pus orientiert, der zwischen ca. 25und 30 Jahren jung und zu psychi-schen und physischen Höchstleis-tungen fähig ist. Für die Gesundheits-situation der Beschäftigten hatte die-se Sichtweise bereits in der Vergan-genheit fatale Folgen. Darüber gebendie Statistiken von arbeitsbedingtenErkrankungen und FrühverrentungenAuskunft. Bislang konnten die Be-triebe die in großer Zahl frühzeitig ausdem Arbeitsleben ausgeschiedenenBeschäftigten durch Jüngere undLeistungsfähigere ersetzen. Aufgrundder Altersentwicklung in der Gesell-schaft wird dies in Zukunft nicht mehrmöglich sein. Im Rahmen dieser de-mografischen Entwicklung kommt esin Deutschland zur Zeit zu einer „Al-tersrevolution“, was bedeutet, dasses mehr Ältere als Jüngere in derBevölkerung geben wird. Vereinfachtgesagt werden immer weniger Men-schen geboren, während umgekehrtdie Älteren erfreulicherweise längerleben.

“Die zahlenmäßig am stärkstenbesetzte Altersgruppe ist heutezwischen 45 und 49 Jahre alt.Diese Gruppe hat nach dem heu-tigen Renteneintrittsalter (65Jahre) bis zum Jahre 2010-2015zu arbeiten. Dieses bedeutet, dasssich in Zukunft in vielen Unter-nehmen die meisten der Arbeit-nehmer in den Altersgruppen von55-59 und 60-64 Jahren befindenwerden. Jüngere Mitarbeiter sindin der geringeren Anzahl und kön-nen die z. B. wegen Frühinvaliditätwegfallende Arbeitskraft der Älte-ren nicht kompensieren. Deshalbsind wir in den meisten Länderngezwungen, das Arbeitsleben

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Tritt in den Hinternund raus bist du

“Bei uns merkt man den Druck.Gut, ich werde älter, ich bin jetzt51. Man wird langsamer, also vomDenken her, das Programm zuschreiben und in die Maschineeinzugeben. Und das wird hiervon den Vorgesetzten nicht ak-zeptiert. Es gibt sogar welche, diesagen, ich würde das extra ma-chen und langsamer arbeiten. Siewürden ja wissen, dass ich mehrleisten kann. Aber dass ich inzwi-schen 40% durchhabe, als Behin-derung anerkannt habe, das wirdnicht akzeptiert. Ich war immerflink, aber ich bin jetzt seit 20Jahren hier im Betrieb. Daran den-ken die gar nicht, das interessiertkeinen. Du brauchst nur noch zuwarten, bis sie dich eines Tagesnehmen, dann kriegst du einenTritt in den Hintern und bist rausdurch die Tür.”

(Facharbeiter 1998)

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auch für die älteren Arbeitnehmerzu analysieren und zu verbes-sern.” (Illmarinen 1995)

Zum ersten Mal in der Industriege-schichte Deutschlands werden wirdaher in den Betrieben, auch in derMetallindustrie, vor der Situation ste-hen, dass in der Produktion wie imAngestelltenbereich mehr über 50-Jährige als unter 30-Jährige arbeitenwerden. Schon jetzt sind vieleBetriebe auf dem Weg in dieseRealität, wie ein Blick auf die Alters-struktur eines metallverarbeitendenBetriebs zeigt (Quelle: Satzer 2000):

In wenigen Jahren wird diese Alters-struktur typisch für alle Betriebe sein.Die Entwicklung ist unumkehrbar unddurch Zuwanderung ausländischerArbeitskräfte nicht zu lösen, da sie inallen westlichen Industrieländern ähn-lich verläuft. Da in den Betriebenschon heute immer ältere Belegschaf-ten arbeiten, wird selbstverständlich

der Druck auf die Beschäftigten, diedort geltenden jugendzentriertenArbeits- und Leistungsanforderungenzu erfüllen, immer stärker. Gerade fürältere ArbeitnehmerInnen, d. h. für dieüber 45-Jährigen, entsteht eine Artchronische Überforderungssituation,die sich vor allem in psychischenBeanspruchungen wiederspiegelt.Denn selbstverständlich stehen vieleÄltere vor einer psychischen Extrem-situation, wenn sie im Arbeitsalltagimmer wieder an Arbeits- und Lei-stungsmöglichkeiten der Jüngerengemessen werden. Wenn in den Be-trieben steigende Beanspruchungenund zunehmende arbeitsbedingte Er-krankungen zu registrieren sind, dannhängt das in ganz entscheidendemMaße damit zusammen, dass ebenimmer mehr Ältere sich in dieserÜberforderungssituation befindenbzw. altersbedingt hineingeraten. Diepsychische Belastungssituation wirdfür die Älteren noch dadurch weiterverschärft, dass ihnen in den vorherr-schenden unternehmerischen Kon-zepten und Ideologien geradezu ver-mittelt wird, sie würden zum betrieb-lichen Alteisen gehören, ihre Erfah-rungen seien nichts wert, sie wärenfür Qualifizierungsmaßnahmen zu altund überhaupt für die moderneArbeitswelt nicht flexibel genug. Auchwenn diese Sichtweise der Älteren als“Belastung” und als generell nichtmehr leistungsfähig, die Realität völligauf den Kopf stellt ist leicht vorstell-bar, welche psychischen Folgen dar-aus für Menschen resultieren, diejahrzehntelang in einem Betrieb gear-beitet haben und sich oft genug dabeikaputtgearbeitet haben. Nicht zuletzthaben die beschriebenen Rationali-sierungskonzepte der 80er und 90erJahre dazu beigetragen, dass es inden Betrieben kaum noch Ausweich-

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122

5270

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4550

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7

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Anzahl der Mitarbeiter

Gesamt

männlich weiblich

bis 50 Jahre über 50 Jahre

Altersstruktur Werk P. - Juni 1998

möglichkeiten in Form weniger bela-steter Arbeitsplätze gibt.Die in den modernen Management-strategien verfolgten Ziele (Flexibilität,Projektarbeit, Höchstleitungsgrup-pen, Leistungsverdichtung, Verlänge-rung der Arbeitszeiten usw.) verschär-fen auch hier das Problem. Denn ge-rade diese Ziele sind extrem jugend-zentriert. Mittelfristig steuern dieBetriebe damit in eine dramatischeKrise, da sie mit den heute alterndenBelegschaften auch in Zukunft über-leben werden müssen. Ohne altersge-rechte Arbeitsgestaltung, die bislangin den Vorschriften zum Arbeits- undGesundheitsschutz kaum eine Rollespielen, wird eine Reduzierung insbe-sondere auch psychischer Belas-tungen und ihrer Folgewirkungen un-möglich sein.

3.8 Mobbing

Die bis hierhin geschilderten Ursa-chen für zunehmende psychischeBelastungen im Arbeitsleben verwei-sen auch auf den Hintergrund desPhänomens Mobbing. Unter Mobbingversteht man verschiedene, systema-tische und länger andauernde feind-selige Verhaltensweisen von Kollegin-nen und Kollegen untereinander oderdurch Vorgesetzte, die man als Psy-choterror - in der Regel gegen eineEinzelperson gerichtet - bezeichnenkann.

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Zum Weiterlesen

• Institut für betriebliche Gesund-heitsförderung (Hrsg.), Betrieb-liche Gesundheitsförderung für äl-terwerdende Arbeitnehmer,Gamburg 1995 (ISBN 3-929798-08-5)

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Rekorddruck derolympischen Ziele

“Wenn in den Firmen Schnelligkeitund Pünktlichkeit (Zeitdruck),Kostensenkung und Leistungs-steigerung (Produktivität), Feh-lerfreiheit und ständige Verbes-serung (Qualität), Konkurrenz(Benchmarking, Spitzenleistung)usw. gefordert werden, dannmuss man sich nicht wundern,wenn der fortwährende Rekord-druck dieser olympischen Zieledes Schneller, Besser, Rentablerauf die Alltagsbeziehungen aus-strahlt. Es werden in diesem Wett-bewerb nur die Besten gebrauchtund alle anderen in den Vor-kämpfen ausgeschieden. Dasaber bedeutet, dass man für denBetriebsalltag abgehärtet seinmuß, dass dort Mimosen undSensibelchen nicht gefragt sind.”

(Neuberger 1994)

WWichtig

Mobbing wird vielfach von oben nachunten praktiziert, also von Vorge-setzten gegen MitarbeiterInnen einge-setzt. Viele Untersuchungen zu Mob-bing gehen davon aus, dass es sichbei dieser Variante um die Mehrzahlder Mobbingfälle handelt. Unabhän-gig davon ist aber sicher auch dasunkollegiale, entsolidarisierende Ver-halten innerhalb der Belegschaftenein nicht zu vernachlässigendes The-ma. Hierzu liegen ausführliche Hand-lungshilfen, Broschüren und Ratgebervor, es gibt Beratungsstellen (auchvon gewerkschaftlicher Seite) bzw.Mobbingtelefone und Selbsthilfe-gruppen (siehe Hinweise unten). Andieser Stelle müssen wir uns auf eini-ge wichtige Hinweise zu dem kom-plexen Thema Mobbing beschränken.Was können Beschäftigte gegenMobbing tun? Die meisten Ratgeberempfehlen Mobbingopfern:

● Möglichst schnell auf Mobbing,schon bei ersten Angriffen, reagie-ren

● Soziale Unterstützung suchen, beiBekannten, FreundInnen, Kolleg-Innen und selbstverständlich ggf.beim Betriebsrat

● Wenn man betriebsintern nicht wei-terkommt Kontakte zu Selbsthilfe-gruppen, Beratungsstellen, Tele-fonangeboten aufnehmen und sichdort ausführlich beraten lassen

● In rechtlich problematischen Fällendie gewerkschaftliche Rechtsbe-ratung in Anspruch nehmen.

Was können Betriebsräte tun? GehtMobbing von Vorgesetzten aus, dannwerden Betriebsräte kaum Schwierig-keiten haben, mit dem klassischen

Instrumentarium der Interessenver-tretung zum Schutz der KollegInneneinzugreifen. Schwierigkeiten und Un-sicherheit werden eher auftreten,wenn Mobbing unter KollegInnen auf-tritt:

● Nach Möglichkeiten nicht erst beiakuten Fällen von Mobbing han-deln, sondern das Thema präventivbehandeln. Sind schon Mobbing-fälle aufgetreten? Was können dieUrsachen sein? Gibt es aufgrundvon Arbeits- und Produktionbe-dingungen oder der Arbeitsorgani-sation einen günstigen “Nährbo-den” für Mobbing? Diese Fragenlassen sich oft mit Hilfe entspre-chender Informationen in Hand-lungshilfen zum Thema klären. Ggf.ist dann selbstverständlich in ersterLinie der Arbeitgeber dafür verant-wortlich, Abhilfe zu schaffen.

Im konkreten Einzelfall kann bei ei-nem Erstgepräch mit einem Mobbing-Betroffenen folgendermaßen vorge-gangen werden (Quelle – Internet-Broschüre, DGB 2000):1. Hören Sie sich die Geschichte mit

Anteilnahme an, aber vermeidenSie es, Partei zu ergreifen.

2. Versuchen Sie zuerst, Maßnahmenzu finden, die der Betroffene alleinedurchführen kann. Sichern Sie ihmdabei Unterstützung zu, ohne seinePosition zu übernehmen.

3. Bevor Sie selbst handeln, erbittenSie sich eine Bedenkzeit. NutzenSie diese Zeit, um den Konfliktgründlich zu analysieren und umverschiedene Sichtweisen kennen-zulernen. Wenn Betriebsräte zu derEinschätzung gekommen sind, esliegt ein beginnender Mobbing-Prozess vor, sind folgende Maß-nahmen möglich:

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1. Vermittlungsgespräche: In frühenStadien kann der Betriebsrat sichals Vermittler anbieten. Wenn derKonflikt zwischen Kollegen stattfin-det, so kann er beide Kontrahentenzu einem Gespräch bitten. DieAufgabe des Betriebsrats/Per-sonalrats ist es nicht, Partei zu er-greifen oder seine Wertung derDinge darzustellen. Er sollte durcheine Vermittlung erreichen, dassein sachliches Gespräch geführtwird und die Streitpunkte offen aufden Tisch gelegt werden. Am Endedes Gesprächs sollte eine einver-nehmliche Regelung stehen, wiemit dem Konflikt weiter umgegan-gen wird.

2. Externen Vermittler einschalten: Eskann sich in einem Einzelfall her-ausstellen, dass die Vermittlungdes Betriebsrats vergeblich ist odervon den Beteiligten nicht angenom-men wird. Zunächst sollten dannnoch keine Schritte unternommenwerden, die auch rechtlicheAuswirkungen haben. Dies wirdmeist langfristig die Position desvon Mobbing Betroffenen eher ver-schlechtern. Als letzten Versuch"im Guten" kann der Betriebsratdie Einschaltung eines externenVermittlers vorschlagen. Aufgrundder entstehenden Kosten brauchter hierzu jedoch die Einwilligungdes Arbeitgebers.

Selbstverständlich sollte der Be-triebsrat abklären, ob er sich eine der-artige Gesprächsführung zutraut odererst Vorinformationen oder persönli-che Beratung benötigt. Die folgenden

Hinweise geben hier eine Fülle vonAnregungen für Betriebsräte undKollegInnen, u. a. auch Hinweise aufMobbingtelefone im Raum Baden-Württemberg (unter DGB).

Zum Weiterlesen

• IG Metall (Hrsg.): Mobbing,Frankfurt 2000• DGB, Broschüre 2000 (Internet:www.dgb.de/schwerpunkte/mob_einfuehr.htm) enthält Liste mitBeratungsstellen / Mobbing-telefonen (telefonisch anzufordernunter DGB 0211-4301-372)

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Während psychische Belas-tungen und Stress bei derArbeit langsam zu einem

Thema auch in Broschüren oderHandbüchern werden, gibt es bislangkaum Veröffentlichungen, die sich mitden psychischen Belastungen vonBetriebsräten befassen. Dies erstauntumso mehr, da gerade Handlungs-hilfen zum Thema psychische Belas-tungen eigentlich die Ausgangsbe-dingungen der Handelnden im weite-sten Sinn berücksichtigen müßten.Denn Stress ist - wie in dieser Bro-schüre beschrieben – nicht einfachein objektiv wirkender Einflussfaktor,sondern eben bestimmt durch Wahr-nehmung, Empfinden und Gefühle

und dem persönlichen Verarbeitungs-prozess. Aber auch auf wissenschaft-licher Seite ist die Situation psychi-scher Belastungen von Betriebsrätenbis auf wenige einzelne Ausnahmennicht thematisiert worden.Wer sich in einer betrieblichen Kam-pagne mit Stressbeanspruchungenbeschäftigt, wird dabei zweifellosüber seine eigene Situation nachden-ken. Im Gegensatz zu anderenSchwerpunkten von Kampagnen sindalle - auch und gerade Betriebsräte -von dieser Thematik betroffen. Daherempfiehlt es sich, dass Betriebsrätedie hier vorgestellten Instrumente,Checklisten oder Kurzfragebögen aufdie eigene Arbeitssituation beziehenund quasi als Test selbst ausfüllen.Einerseits ergeben sich daraus mögli-cherweise Aufschlüsse über die eige-ne Belastungssituation und denUmgang mit psychischen Belastun-gen, auch wenn die Instrumente nichtausdrücklich für Betriebsräte konstru-iert wurden. Andererseits resultierenggf. praktische Hinweise für denEinsatz im Betrieb. Eventuell wirdman nach diesem Test bestimmteFragen auf die betriebliche Situationzuschneiden, entsprechend verän-dern oder ähnliches. Sicherlich ist die psychische Belas-tungssituation von Betriebsrätendurch die besondere Konstellation

Verfolgt bis in denSchlaf

“Der Beruf, der verfolgt dich bisdaheim und bis in den Schlaf aufjeden Fall. Kritische Sachen, diehast’ eh wöchentlich. Da träumstschon oft davon oder das beglei-tet dich überall, dass du sagst: Ah,das hab’ ich noch, und da musstdu noch dieses und jenes...” (Betriebratsbericht in: Seidl 2000)

PPraxis

4.4. Psychische Psychische Belastungen von Belastungen von BetriebsrätenBetriebsräten

der Betriebsratstätigkeit gekenn-zeichnet. Trotzdem kann die Beschäf-tigung mit der eigenen Belastungssi-tuation aufschlussreiche Erkenntnisseüber die Behandlung des Themas inder Kampagne liefern – abgesehenvon dem persönlichen Interesse amThema und dem Nutzen, den Be-triebsräte hoffentlich aus den folgen-den Hinweisen ziehen können.

Belastungen von Betriebsräten untersuchtVor wenigen Jahren wurden in Öster-reich erstmals die psychischen Be-lastungen von Betriebsräten ausführ-licher untersucht, wobei die Aus-gangslage sicherlich in weiten Be-reichen auf die hiesige Situation über-tragbar ist. Als wichtige Stressfakto-ren in der Arbeit von Betriebsräten kri-stallierten sich die folgenden Stres-soren heraus:

● Hohe Anforderungen an dieQualifikation auf unterschiedlichenGebieten durch permanente orga-nisatorische Veränderungs-prozesse im Betrieb

● Starke Beanspruchungen durchOhnmachtsgefühle und psychoso-ziale Beanspruchungen insbeson-dere im Fall von Kündigungen undEntlassungen

● Ausgeprägtes Verantwortungs-dilemma: Einerseits fühlt sich einDrittel der Betriebsräte durch diehohe Verantwortung der Tätigkeitsehr belastet, andererseits wollensie diese Verantwortung bewusstübernehmen

● Hohe Komplexität der Tätigkeit, ins-besondere Anforderungen im fach-lichen, sozialen und beratenden

Bereich, für den Betriebsräte nichtausgebildet sind und sich selbstqualifizieren müssen

● Psychosoziale Belastungen durchdie Sonderstellung im Betrieb:Einerseits sind Erwartungen derBelegschaft zu erfüllen, anderer-seits muss mit der Betriebsleitungzusammengearbeitet werden.

In der Studie zeigte sich, dass vieleBetriebsräte in der Folge dieser Be-lastungen über einen hohen Grad anNervosität und Gereiztheit berichte-ten. Rund ein Viertel der Betriebsrätefühlte sich regelmäßig nach der Arbeiterschöpft, 20% gaben an, ihre Tätig-keit belaste sie seelisch sehr starkund 54% der Betriebsräte beschäftig-ten sich auch im privaten Bereich mitder Arbeit und berichteten über dieUnfähigkeit, “Abschalten” zu können.Auffällig in der Untersuchung warenHinweise auf ernsthafte Erkrankungenwie Herzrhythmusstörungen, Schild-drüsenüberfunktionen, Magenerkran-kungen oder Suchtverhalten (Alkohol),die sehr häufig in Phasen extremerberuflicher Stresseinflüsse auftraten.Als Maßnahmen zur Prävention undVerminderung von Belastungen ermit-telte die Untersuchung vor allem diefolgenden Möglichkeiten:

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Diese Maßnahmen stellen selbstver-ständlich nur recht allgemeine An-regungen aus einer ersten Studie dar.Konkretere Hilfestellung finden Be-triebsräte sicher in den von ihrer Ge-werkschaft angebotenen Schulungen,was ebenso für entsprechende Qua-lifizierungsmaßnahmen gilt. Aufgrundihrer speziellen Position werdenBetriebsräte immer sehr gefährdetsein, in Überforderungssituationen zugeraten (was für die Fortführung derArbeit in der Freizeit gilt). Betriebsrätekönnen allerdings viele Belastungenund Anforderungen reduzieren, indemsie die traditionelle Stellvertreterrolleverlassen, in der sie für andere alsuniverselle Problemlöser handeln sol-len.

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Was tun gegenStress bei derBetriebsratsarbeit

Stärkung der Ressourcen• Delegieren und Arbeitsteilung• Qualifizierung• Wissensmanagement• Nachfolgeplanung/ Rekrutie-

rung/Mentoring/Beratung• Reflexion der Beanspruchungs-

situation• Hobby als Ausgleich

Verminderung derAnforderungen

• Delegieren und Arbeitsteilung• Hinterfragen der Anforderungen• Anforderungsprofil formulieren

WWichtig

Zum Weiterlesen

• Martin Seidl, Die Last derVerantwortung, Stress und ge-sundheitliche Beeinträchtigungenvon Betriebsräten, in: WSIMitteilungen 4/2000

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Psychische Belastungen am Ar-beitsplatz können, müssen abernicht zwangsläufig zum Ausbre-

chen einer chronischen psychischenErkrankung führen. Sollte dies aberder Fall sein, ist entsprechende Hilfeunbedingt notwendig und zwar sofrüh wie möglich.Gerade die psychischen Erkrankun-gen haben in den letzten Jahren stetigzugenommen. Im Gegensatz zufrüher, als die körperlichen Belas-tungen im Vordergrund standen, ma-chen den Beschäftigten heute eherdie psychischen Belastungen zuschaffen. Damit ist bei allen Be-teiligten auch eine weitgehendeVerunsicherung eingetreten, dennwenn es zum Ausbruch einer psychi-schen Erkrankung kommt, können diewenigsten damit umgehen. DieseKrankheiten sind in unserer Gesell-schaft immer noch mit einem Tabubehaftet. Bei dem Erkrankten selbstwird dadurch ein Schamgefühl aus-gelöst, sein betriebliches und sein pri-vates Umfeld reagiert oft mit Unver-ständnis und Fehlinterpretationen. ImGegensatz dazu die körperlichenGebrechen, die normalerweise zuMitleidsbekundungen aus demFreundes- oder Kollegenkreis führen. Gerade im betrieblichen Umfeldkommt es immer wieder zu Fehlein-

schätzungen durch die Vorgesetztenund die Arbeitskollegen. Durch Min-derleistungen, die von den Betrof-fenen eventuell erbracht werden unddie häufig am Anfang nicht erklärbarsind, kommen die psychisch Erkrank-ten dann in eine missliche Lage. Esdrohen dann letztendlich Arbeits-platzverlust und als Folge ist ein steti-ger sozialer Abstieg vorprogrammiert.Deshalb ist es sehr wichtig, dassbeim Auftreten von “merkwürdigem”Verhalten oder aber bei nicht nach-vollziehbaren Leistungsschwankun-gen oder Leistungsminderungen dasGespräch mit dem Betreffenden zusuchen und Hilfe anzubieten.Beispielhaft soll hier die Aussage ei-nes psychisch Erkrankten zitiert wer-den:

“Ich glaube, ich kann ganz gut ar-beiten. Vielleicht nicht so schnellwie die anderen, vor allem, seit beiuns alles umorganisiert wurde. Esmacht mich aber fertig, wennKollegen und Vorgesetzte unter-stellen, ich sei faul, oder sie michvorschnell wegen allem kritisieren;dann bekomme ich ein Gefühl,dass ich an allem selbst schuldsei; krieg Angst und dreh sogardurch.”

5.5.ErEr fahrfahrungsberichtungsberichtaus der Arbeit mit aus der Arbeit mit SchwerbehinderSchwerbehinder ten ten (Manfred Rüdebusch)

Dieses Zitat stammt von jemandem,der schon mehrmals wegen psychi-schen Störungen behandelt wordenist. Dies verdeutlicht, dass es nichtgerade einfach ist, mit Mitmenschenauszukommen, die psychische Pro-bleme haben. Wenn man ihnen dannkonkret helfen will, stellt dies eine be-sondere Herausforderung dar.Außerdem fühlen sich viele von vor-neherein damit überfordert.Es ist wichtig sich klarzumachen,dass es nicht damit getan ist, dasssich der psychisch Erkrankte durcheventuelle Maßnahmen seinem Um-feld anpasst, wenn dies überhauptmöglich ist. Sondern dass auch dieArbeitsbedingungen an die Fähig-keiten des Betroffenen angepasstwerden, was in der Regel die größteHürde darstellt.Den Arbeitgeber interessiert in ersterLinie die Arbeitsleistung und nichtvordergründig die Gesundheit desArbeitnehmers, deshalb wird er sichzuerst einmal scheuen, für einen Mit-arbeiter besondere Arbeitsbedingun-gen zu schaffen, gerade wenn diesauch noch mit einem finanziellen Auf-wand verbunden ist. Hierbei ist es vongroßem Vorteil, wenn eine funktionie-rende innerbetriebliche Helfergruppeexistiert. Im Normalfall setzt sich dieHelfergruppe aus Vertretern des Ar-beitgebers, des werksärztlichenDienstes, der Sozialberatung, des Be-triebsrates und der Schwerbehinder-tenvertretung zusammen. In diesemKreis wird dann das Problem erörtert,alle Fakten zusammengetragen undein Lösungsweg aufgezeigt. Dieskann bedeuten, dass externe wie in-terne Maßnahmen koordiniert werdenmüssen und der Kontakt mit dem Be-troffenen regelmäßig gesucht werdenmuss, um den Stand der Dinge aktuellzu kennen. Gerade in Großbetrieben

wird diese Aufgabe meist durch dieSchwerbehindertenvertretung erle-digt.

Sollte in einem Betrieb keine Schwer-behindertenvertretung vorhandensein, so sollte der Betriebsrat dieseAufgabe übernehmen. Ansprechpart-ner findet man aber auch bei der IGMetall sowie bei den Behinder-tenverbänden. Wichtig für den Betrof-fenen ist zu wissen, dass auch einepsychische Erkrankung zur Anerken-nung der Schwerbehinderteneigen-schaft führen kann. Dies kann vonentscheidender Bedeutung sein,wenn durch die Auswirkungen der Er-krankung, wie z.B. hohe Fehlzeitenoder Fehlleistungen am Arbeitsplatzdas Arbeitsverhältnis gefährdet ist.Durch die Anerkennung der Schwer-behinderteneigenschaft kann der Be-troffene nämlich eine Reihe vonNachteilsausgleichen in Anspruchnehmen, die das Arbeitsverhältnis ret-ten können.Deshalb sollte man bei gesundheitli-chen Problemen, die negative Aus-wirkungen auf die Arbeit haben, un-bedingt die Beratungsleistung derSchwerbehindertenvertretung in An-spruch nehmen. Die Vertrauensleuteder Schwerbehinderten helfen bei derAntragstellung und stellen Kontaktezu außerbetrieblichen Helfern wieetwa den Hauptfürsorgestellen undderen Fachdienste her. Gerade derBerufsbegleitende Dienst, der Arbeit-nehmer, die schwerbehindert oderpsychisch erkrankt und in bestimm-ten Situationen psychisch sehr bela-stet sind, nimmt dabei eine herausra-gende Stellung ein. Grundsätzlich gilt für alle Gesprächeund Beratungen, die bei der Schwer-behindertenvertretung oder auch beiden Fachdiensten geführt werden,

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dass diese der Schweigepflicht unter-liegen. Nur der Betroffene selbst be-stimmt, welche Informationen an wenweitergegeben werden dürfen. Durch die qualifizierte Zusammen-arbeit der inner- und außerbetrieb-lichen Helfergruppe ist es möglich,dem betroffenen Arbeitnehmer eineadäquate Lösung seiner Probleme imbetrieblichen wie auch im privatenBereich zu ermöglichen. Von Anfangan muss aber klar sein, dass der Er-krankte im Mittelpunkt steht und des-sen Bereitschaft unabdingbar für denErfolg der Maßnahmen ist. Alle ange-botene Hilfe ist nutzlos, wenn seitensdes Betroffenen diese Hilfe abgelehntwird. Gerade das ist aber häufig mitdas größte Problem bei diesemKrankheitsbild und führt nicht seltenzu Frustration und Unverständnis.Deshalb ist es für die Zukunft un-abdingbar, dass gerade das betrieb-liche Umfeld für dieses Thema sensi-bilisiert und geschult wird, denn wirsind noch nicht am Ende der Ratio-nalisierungs- und Kostensenkungs-maßnahmen. Weiterhin ist mit einerhöheren Flexibilisierung der Arbeits-welt zu rechnen und das führt wieder-um zu einem Anstieg psychischerBelastungen.Gerade weniger belastbare und stres-sanfällige Arbeitnehmer werden dieszu spüren bekommen. Beängstigendist auch, dass immer mehr jüngereMitarbeiter zu den Betroffenengehören.Zusammenfassend kann man sagen,dass der Umgang mit psychischErkrankten oder Behinderten keineleichte Aufgabe ist, Unsicherheit undHilflosigkeit herrschen auf Seiten derBetroffenen und deren Helfer vor.Hoffentlich kann dieser Ratgeber da-zu beitragen, das Mißtrauen gegen-über psychischen Störungen bzw.

Krankheiten abzubauen, und helfen,Verständnis für die davon betroffenenMenschen zu haben.

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Zum Weiterlesen

Das Zitat und die Anlagen stam-men aus:• Schriften der Hauptfürsorge-stelle, Arbeitsheft 13,“Psychisch Behinderte im be-trieblichen Alltag”

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6.1 Die Ausgangssituation

Viele Ältere, aber auch Behinderteoder Leistungsgeminderte und somitdie Mehrheit der KollegInnen in denBetrieben benötigen dringend einespürbare Entlastung der entstande-nen Überforderungssituationen. Undviele Jüngere werden im Betrieb nichtalt werden können, wenn die be-schriebenen Tendenzen der Be-lastungsentwicklung sich fortsetzen.Wer heute als 25-Jähriger die näch-sten fünfzehn Jahre mit den aktuellenüberlangen Arbeitszeiten weiterarbei-ten wird, wird mit 40 die gesundheitli-chen Folgen spüren.

Auch wenn in einigen Betrieben zupsychischen Belastungen bereitsAktionen durchgeführt wurden, für diemeisten betrieblichen PraktikerInnenist es ein neues Thema, was dasdeutliche Interesse der KollegInnenan Informationen, Handlunsghilfenund Beratung, an Tagungen und Se-minaren erklärt. Psychische Belastun-gen hängen offenbar in besondererWeise mit der Arbeitsorganisation, mitTechnikeinsatz und Arbeitszeitge-staltung, mit Fragen der Personal-politik und Leistungsfestsetzung zu-sammen. Fragen des Arbeits- undGesundheitschutzes betreffen hierganz unmittelbar Kernbereiche unter-nehmerischen Handelns. Mit welchen

Blockaden hier zu rechnen ist, machtdie Reaktion der Unternehmen aufdas neue Arbeitsschutzgesetz von1996 deutlich. Danach müssen dieArbeitgeber insbesondere eine Ge-fährdungsbeurteilung der Arbeitsplät-ze vornehmen und alle Belastungen,auch psychische Belastungen ermit-teln, beurteilen und geeignete Maß-nahmen zur Verbesserung der Ar-beitsbedingungen durchführen (§ 5ArbSchG). Im Rahmen der Gefährdungsanalysesind auch diejenigen Gefährdungenzu ermitteln und zu beurteilen, die ausder “Gestaltung von Arbeits- und Fer-tigungsverfahren, Arbeitsabläufen undArbeitszeit und deren Zusammen-wirken” (§ 5, Abs. 3, Nr. 4 ArbSchG)oder durch die “unzureichende Qua-lifikation und Unterweisung des Be-schäftigten” (§ 5, Abs. 3, Nr. 5ArbSchG) resultieren können. Auchwenn hier nicht ausdrücklich der Be-griff psychische Belastungen auf-taucht, sind ebendiese psychischenFaktoren gemeint. Diese Bestimmungstellt einen erheblichen Fortschritt ge-genüber dem traditionellen Arbeits-schutz dar, der psychische Belas-tungen faktisch nicht zur Kenntnis ge-nommen hat.Die Erfahrungen mit den neuen EU-Arbeitsschutzregelungen und derUmsetzung des Arbeitsschutzge-setzes sind allerdings ernüchternd

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6.6.TTatorator t Betrieb: t Betrieb: Psychische Belastungen Psychische Belastungen – T– Tererrror für die Seeleor für die Seele

(Vergleiche hierzu ausführlich Arbeits-recht im Betrieb 4/2000). DieDurchführung der Gefährdungsbeur-teilungen wurde von der Arbeitgeber-seite zunächst blockiert, Mitbestim-mungsrechte mussten langwierig vorGerichten durchgesetzt werden.Gefährdungsbeurteilungen werdenbislang nur in einer Minderheit vonBetrieben durchgeführt. PsychischeBelastungen werden dabei – von Aus-nahmen abgesehen – faktisch nichtberücksichtigt. Gefährdungsbeurtei-lungen ohne Berücksichtigung psy-chischer Belastungen sind aber recht-lich gesehen keine Gefährdungsbe-urteilungen.

Weitere rechtliche Möglichkeiten imZusammenhang mit psychischenBelastungen ergeben sich aus § 3 derBildschirmarbeitsverordnung, die be-zogen auf die Gefährdungsbeurtei-lung ausdrücklich auf psychische Be-lastungen verweist. Daneben gibt esweitere Verordnungen und Gesetzefür bestimmte Beschäftigtengruppenwie zum Beispiel das Jugendarbeits-schutzgesetz, das Schwerbehinder-tengesetz oder das Arbeitszeitgesetz(Nachtarbeit), die ggf herangezogenwerden können.

6.2 Der Einstieg

In der Gefährdungsbeurteilung nach§ 5 Arbeitsschutzgesetz wird ein Ver-fahren rechtlich festgelegt, das be-triebliche PraktikerInnen des Arbeits-und Gesundheitsschutzes ohnehinaus ihrer Arbeit kennen. Es geht um:

1.Die Ermittlung psychischer Belastungen

2.Die Bewertung der ermitteltenErgebnisse

3.Die Ableitung von geeignetenMaßnahmen

Nichts anderes wurde und wird vomAblauf her in betrieblichen Gesund-heitskampagnen und der Arbeits-

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Zum Weiterlesen

• IG Metall (Hrsg.): Gesünder@rbeiten – Runter mit demDauerstress! Arbeitshilfen,Frankfurt 2000

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aus Arbeit & Ökologe-Briefe12/2000

schutzpraxis gemacht, wenn es z. B.um Kühlschmierstoffe oder andereBelastungsfaktoren geht. Allerdingslassen sich psychische Belastungennicht einfach messen, wie z. B.Lärmeinflüsse. Und aus den gesetzli-chen Regelungen und Normen zupsychischen Belastungen lassen sichebenso wenig Grenz- oder Richtwertefür Arbeitsschutzmaßnahmen ablei-ten, wie im Fall der Umgebungsbe-lastungen (Lärm, Gefahrstoffe usw.)oder für das Heben und Tragen vonLasten. Für betriebliche PraktikerIn-nen resultieren bei der Analyse psy-chischer Belastungen folglich Ermitt-lungs-, Bewertungs- und Umset-zungsprobleme, da die abzuleitendenMaßnahmen eben auch zentrale Be-reiche unternehmerischen Handelnsbetreffen. Die schwierige Erfassungund Beurteilung psychischer Belas-tungen hat bislang eine zügige Um-setzung der Gefährdungsbeurteilungblockiert. Nicht zuletzt sind einigeWissenschaftler und auch mancheVertreter des offiziellen Arbeits-schutzes der Ansicht, die zur Verfü-gung stehenden Instrumente undKonzepte zur Gefährdungsbeurtei-lung wären nicht ausreichend, esmüssten erst weitere Forschungsan-strengungen unternommen werdenusw. Die Arbeitgeberverbände sindohnehin der Meinung, eine Ermittlungpsychischer Belastungen sei entwe-der unmöglich oder wenn möglich, fürdie Betriebe nicht bezahlbar. Eine be-triebliche und überbetriebliche Tatort-Kampagne gegen Stress und psychi-sche Belastungen richtet sich daherauch gegen diese Blockadekoalitionder üblichen Bedenkenträger:

● Generell ist anzumerken, dass ausarbeitswissenschaftlicher Sichtgenügend Instrumente und Kon-

zepte zur Analyse psychischer Be-lastungen vorliegen (z. B. in Formvon Handlungshilfen, Fragebögenoder Checklisten), mit denen end-lich erste Maßnahmen - wie vomGesetzgeber verlangt - in den Be-trieben umgesetzt werden müssen(was weitere Forschung nicht aus-schliesst).

● Für die Beschäftigten sind geradediese ersten Schritte besonderswichtig, damit ein Prozess des Ab-baus psychischer Belastungen inGang kommt und damit psychischeBelastungen überhaupt zumThema werden. Dass dies mit rela-tiv geringem Aufwand möglich ist,zeigen die folgenden betrieblichenBeispiele.

● Gerade für den Bewältigungspro-zess psychischer Belastungendurch die einzelnen KollegInnen istes von fundamentaler Bedeutung,dass mit solchen ersten Schrittenund der weiterlaufenden Kampag-ne auch soziale Unterstützung mo-bilisiert wird. Wenn Belastungen,mit denen man bislang alleine fertigwerden musste, zum öffentlichenThema werden, wenn Ursachen er-mittelt und überhaupt erst benanntwerden, dann hat bereits das fürden Verarbeitungsprozess derBetroffenen eine wichtige stabilisie-rende und unterstützende Funk-tion. Wer hat nicht – bei sich selbstoder anderen – erlebt, wie wichtig,hilfreich und entlastend es seinkann, über psychische Problemezu reden, zuzuhören oder gemein-sam nach Lösungen zu suchen.Diese Art sozialer Unterstützunggilt in den Gesundheitswissen-schaften als eine der am bestenuntersuchten bzw. abgesichertenRessourcen zur Bewältigung vonStressoren.

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Umsetzung der Gefährdungsanalyse bei Firma BERTHOLD GmbH & Co.KG in Bad Wildbad

Die Firma Berthold GmbH & Co.KG, ein Unternehmen des amerikanischenKonzerns Perkin Elmer in Bad Wildbad im Nordschwarzwald, produziert mit 270Beschäftigten Messgeräte für die Prozesstechnik, Bioanalytik und den Strah-lenschutz.Nach Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes entschloss sich der Betriebsrat,die Anwendung des neuen Gesetzes zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte zumachen. Der Zugang zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wurde übereine Qualifizierung für Betriebsräte im Frühjahr 1997 gefunden, welche von derfür dieses Gebiet zuständigen IG Metall-Verwaltungsstelle Calw organisiert wor-den war. Einer der Merkmale dieser Qualifizierung lag darin, dass neben dertechnischen Arbeitssicherheit auch die Arbeitsorganisation und die psychischenBelastungen im neuen Arbeitsschutz eine wichtige Rolle einnehmen müssen. Inweiteren Schulungen wurden Methoden, Checklisten, Erfahrungs- und Frage-bögen vorgestellt und erarbeitet. Aus diesem Material entwickelte der Be-triebsrat ein Konzept, das der Firmenleitung zu Beginn des Jahres 1998 vorge-stellt werden konnte.

Über den Arbeitsschutzausschuss mit Betriebsrat und Geschäftsleitung wurdeein vierköpfiges Analyseteam gebildet,• einem externen Fachberater, der durch die Firmenleitung engagiert wurde,• dem Betriebsarzt,• der Fachkraft für Arbeitssicherheit und• einem Mitglied des Betriebsrates.

ArbeitsplatzbeurteilungZur Belastungserfassung am Arbeitsplatz und im Arbeitsumfeld wurde einGrundbogen entwickelt; für die einzelnen Arbeitsbereiche wie Bildschirm-arbeitsplätze, Gefahrstoffe und Strahlenschutz wurden Zusatzbogen nach glei-chem Muster erstellt. Unter Verwendung dieser Erfassungsbögen wurde dietechnische Arbeitsplatzanalyse über Begehungen des Analyseteams durchge-führt. Diese Begehungen beinhalteten auch Gespräche mit den Mitarbeiter/in-nen, die dazu führten, dass in vielen Fällen kleinere Mängel und Beanstan-dungen in Eigeninitiative oder mit Hilfe des Teams kurzfristig beseitigt wurden.

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7. Praxisbeispiele7. Praxisbeispiele7.1 Gefährdungsbeurteilung: Eine Initiative des Betriebsrats

Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte sich eine positive Auswirkung der Bege-hungen durch das Analyseteam.

Die Dokumentation wurde nach folgenden Kriterien vorgenommen:

• Beanstandungen erfassen• Maßnahmen vorschlagen• Verantwortlichkeiten bezüglich der Maßnahmen festlegen• Terminplan erstellen

Eine wesentliche Zielsetzung des Teams betand außerdem darin, möglichst we-nig mit Papier zu arbeiten. Die Bögen und die Auswertung konnten unter Zu-hilfenahme des geläufigen Computerprogramms EXCEL erstellt werden.

Fragebogen zur Erfassung psychischer BelastungenWährend der technischen Begehung wurde ein Fragebogen zur Erfassung vonpsychischen Belastungen durch den Betriebsrat entworfen und dem Analyse-team vorgelegt. Parallel dazu legte der Betriebsrat der Firmenleitung die”Gemeinsame Erklärung zur Erfassung und Beurteilung von psychischen Belas-tungen am Arbeitsplatz“ vor (siehe Anlage).Sowohl das Analyseteam wie die Firmenleitung stimmten im Mai 1998 demFragebogen und der gemeinsamen Erklärung zu. Die Durchführung der Befra-gungsaktion wurde von der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebs-ratsmitglied des Analyseteams durchgeführt. Der Bogen wurde an alle Beschäf-tigten ausgegeben, der Rücklauf betrug knapp über 70 %.

AuswertungDie Auswertung brachte viele Hinweise und auch Kritik, die in den Abteilungenoder Arbeitsbereichen unterschiedlich waren. Oft waren es nur diverse „Kleinig-keiten“, die von den Kollegen/innen als störend oder belastend empfunden wur-den.Auch der Betriebsrat blieb nicht ganz ungeschoren und wurde verschiedentlichaufgefordert, die Beschäftigten besser zu informieren.

UmsetzungIm Juli 1998 fand eine Arbeitsschutzausschusssitzung mit allen Abteilungs- undGruppenleitern statt. Die Ergebnisse der Gefährdungsanalysen zu den Arbeits-plätzen und die Auswertung des Fragebogens zu psychischen Belastungenwurden im Rahmen dieser Veranstaltung vorgestellt. Des Weiteren wurden dieVerantwortlichkeiten zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen festgelegt.Ziel: In ca. einem Jahr sollen die Belastungen beseitigt sein.

Rolle des BetriebsratesObwohl der Betriebsrat in der Frage der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzesim vorgestellten Fall mit einer kooperativen Firmenleitung zu tun hat und hier die

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Konzernführung von EG&G in Amerika in einer eigenen Vorschrift dem Arbeits-schutz einen hohen Stellenwert einräumt, ist doch zu bemerken, dass dieUmsetzung des Gesetzes und die Gefährdungsbeurteilung aufgrund der Ini-tiative, der Schulung und der aktiven Mitarbeit des Betriebsrats einer der ent-scheidenden Motoren zur betrieblichen Umsetzung ist. Hinsichtlich der schleppenden Umsetzung der Gefährdungsbeurteilungen (sie-he Arbeit & Ökologie-Briefe Nr. 15/1998, Seite 3) muss die Bedeutung derInitiative der Betriebsräte für die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungenund deren Einforderung nach dem Überwachungsgebot der Betriebsverfassung( § 80 BetrVG ) deutlich hervorgehoben werden.

BERTHOLD GmbH & Co.KG Bad Wildbad, Juni 1998

Fragebogen zur Erfassung und Bewertung von psychischen Belastungenam Arbeitsplatz ( §§ 2 - 5 Arbeitsschutzgesetz )

Arbeitsplatz:o Lager, Wareneingang o Mechanische Werkstatt / Elektro

Werkstatto Produktion Industrie o Strahlerfertigung / Behälterfertigungo Produktion Bioanalytik o Produktion Nuklear /

Zählrohrfertigungo Vertrieb, Einkauf, AV Industrie o Vertrieb, Einkauf, AV Wissenschafto Service o Versand - Packereio Entwicklung, Labor o Konstruktiono Pforte, GL - Bereich o Finanzbuchhaltung,

Lohnbuchhaltung

Wie sind die räumlichen Verhältnisse am Arbeitsplatz ?

1 2 3 4 5 Platzverhältnisse im Raum1 2 3 4 5 Breite der Durchgänge1 2 3 4 5 Lagerplatz oder Bereitstellungsraum1 2 3 4 5 Lichtverhältnisse und Beleuchtung

Wie ist der Arbeitsplatz gestaltet, gibt es Belästigungen, durch:

1 2 3 4 5 Lärm, Hitze, Kälte, Zugluft, Trockenheit1 2 3 4 5 Unordnung und Schmutz1 2 3 4 5 Arbeitsstoffe oder Dämpfe1 2 3 4 5 Rauchen am Arbeitsplatz

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Gibt es Störungen im Arbeitsablauf und tritt störender Zeitdruck auf, durch:

1 2 3 4 5 zu knapp vorgegebene Termine1 2 3 4 5 defekte Maschinen oder PC

Programmabstürze/fehler1 2 3 4 5 Organisation, Arbeitsabläufe1 2 3 4 5 Zuliefer- und Lagerteile

Kann die Arbeit eigenverantwortlich eingeteilt werden ?

1 2 3 4 5 Arbeitsaufgaben, Selbstständigkeit1 2 3 4 5 Arbeitseinteilung, Abwechslung1 2 3 4 5 Arbeitstempo, Arbeitsmenge

Wird die Arbeitsleistung als wichtig für den Betrieb eingeschätzt ?

1 2 3 4 5 Anerkennung der Arbeit1 2 3 4 5 Angst um den Arbeitsplatz

Gibt es betriebliche Weiterbildungen und Unterweisungen zu:

1 2 3 4 5 Arbeitsaufgaben1 2 3 4 5 Arbeitsschutzmaßnahmen

Funktioniert Teamarbeit ?

1 2 3 4 5 Kommunikation unter den Beschäftigten

1 2 3 4 5 Kommunikation mit den Vorgesetzten

Sind Arbeitsanweisungen klar und deutlich ?

1 2 3 4 5 Angaben für den Auftrag1 2 3 4 5 Arbeitsvorbereitung1 2 3 4 5 Verantwortlichkeiten und

Zuständigkeiten

Wird den Ursachen von Fehlern nachgegangen ?

1 2 3 4 5 Wird kurzfristig eine sachliche Fehleranalyse erstellt?

1 2 3 4 5 Werden Fehler durch Änderungen an den Produkten oder durch Ändern der Arbeitsorganisation beseitigt?

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Wie ist das Betriebsklima ?

1 2 3 4 5 Umgang der Mitarbeiter untereinander1 2 3 4 5 Umgang der Vorgesetzten mit den

Mitarbeitern1 2 3 4 5 Zufrieden mit der Arbeit des

Betriebrates1 2 3 4 5 Zufrieden mit der Arbeit der

Geschäftsleitung

Weitere Mängel, Anregungen, Meinungen :

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Erklärung zur Bewertung:

1 = sehr gut / optimale Verhältnisse, keine Beanstandungen oder Mängel2 = gut / gute Verhältnisse, keine nennenswerten Beanstandungen

oder Mängel3 = befriedigend/ Verhältnisse, Beanstandungen oder Mängel sind in noch

erträglichem Zustand4 = ausreichend/ Verhältnisse, Beanstandungen oder Mängel sind zwar

gerade noch erträglich, es müssen aber mittelfristig Verbesserungendurchgeführt werden

5 = mangelhaft/ Verhältnisse, Beanstandungen oder Mängel sind so gravierend, dass eine dringende Verbesserung notwendig ist.

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Im August 1999 konnte der Betriebs-rat der Fa. Berthold ein positives Fazitziehen: Die Kooperation im Arbeits-schutzausschuss wurde fortgesetztund es fanden weitere Begehungendes Analyseteams zu einer kontinuier-lichen Gefährdungsbeurteilung statt.Die gravierendsten ermittelten Mängelwaren im Jahr zuvor beseitigt worden,für kostenintensivere Maßnahmenwurde ein Kosten- und Zeitplan er-stellt. Aus Sicht des Betriebsrat ha-ben Verbesserungen im technischenArbeitsschutz, der Bildschirmarbeits-plätze, in der Arbeitsplatzgestaltungund arbeitsorganisatorische Verände-rungen zu bemerkenswerten Verbes-serungen geführt. Als Nebeneffektwurde überdies eine erhöhte Sen-sibilisierung der Beschäftigten festge-stellt. Der Arbeits- und Gesundheits-schutz hat einen höheren StellenwertbekommenUm Veränderungen gegenüber derletzten Befragung im Juni 1998 fest-zustellen, führte der Betriebsrat (BR)im Frühjahr 2000 eine erneuteBefragung durch. Zu den Ergebnissenund den weiteren Erfahrungen mit derGefährdungsanalyse sagt BetriebsratMartin Kappler im Oktober 2000:

“Grundsätzlich haben sich bei dererneuten Befragung zu psychi-schen Belastungen die Mitarbeiterpositiver geäußert als vor zweiJahren. Es ergaben sich bei denFragen zum Arbeitsplatz, denRäumlichkeiten und der Gestal-tung des Arbeitsbereiches im Ver-gleich zu 1998 wesentliche Ver-besserungen um bis zu 13 %.Maßgeblich hatten hier die Bege-hungen des Analyseteams (Si-cherheitsfachkraft, Betriebsarzt,Betriebsrat), die Befragung derMitarbeiter und schließlich die

Umsetzung von Verbesserungendurch die Geschäftsleitung dazubeigetragen.Termindruck und Arbeitstempo,meist durch knappe Lagerhaltungund ,,just in time” ist trotz leich-ter Verbesserungen ein Dauer-brenner, und wie allgemein be-kannt, einer der großen Faktorenzur Stressauslösung.Hier spiegeln sich die Entlas-sungswellen Ende der 90ger Jah-re wieder, die auch im Schwarz-wald nicht Halt machten, zumGlück hat sich dies 2000 geän-dert.Die sehr gute Teamarbeit undKommunikation unter den Mit-arbeitern und den direkten Vor-gesetzten hat sich gegenüber1998 noch einmal leicht verbes-sert. Hier kommen vor allem diesogenannten Nebensächlichkei-ten zum Tragen, die Teamarbeit,Zusammenhalt und Kommuni-kation in den meisten Abteilungenbeeinflussen: wie zum Beispielmehr Abwechslung, mehr Verant-wortung und Spielräume inner-halb der Abteilungen oder Grup-pen.Das gute Ergebnis von 1998 imUmgang der Mitarbeiter unterein-ander und der Umgang durch dieVorgesetzten wurde 2000 bestä-tigt. Neu war die Beurteilung desBetriebsrates, diese Frage wurdeauf Anregungen aus der 1998erAktion aufgenommen. Der BRwurde von der Belegschaft mit ei-ner guten bis befriedigendenArbeit bewertet, die Geschäftslei-tung erhielt etwas schlechtereNoten. Gerade zur Frage des Be-triebsklimas kamen viele Mei-nungsäußerungen und Anregun-gen von der Belegschaft, beson-

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ders zu BR und GL, die aufgefor-dert wurden, mehr und besser dieMitarbeiter zu informieren.Von dieser letzten Zeile ,,Mängel,Meinungen, Anregungen” wurdeviel Gebrauch gemacht, da sichhier die KollegInnen zu allen mög-lichen Themen Luft machen konn-ten, und das schrieben, was siesich öffentlich nicht getrauten (istnicht jedermanns Sache). Trotz-dem ist diese Spalte sehr auf-schlussreich, da konstruktive Kri-tik und Anregungen frei geäußertwerden können, und die Aus-wertung und Zusammenfassungnicht von der GL, sondern wiedurch die Betriebsvereinbarungvorgesehen von der Sicherheits-fachkraft und einem BR-Mitgliederfolgte.Zu bemerken ist, dass sich durchdie Neuorientierung des Arbeits-schutzes, wie die Bildung desGefährdungsanalyseteams, neueZusammensetzung des Arbeits-schutzausschusses und vor allemeine Geschäftsführung, die denArbeits- und Gesundheitsschutzernst nimmt und die Umsetzungzu Verbesserungen unterstützt, inden vergangenen zwei Jahren beiFa. Berthold der Arbeits- und Ge-sundheitsschutz weit vorangetrie-ben wurde. Diese Tatsache moti-viert natürlich, sich weiter zumThema Gesundheitsschutz fürMitarbeiter und Firma zu engagie-ren” (Martin Kappler, Betriebsrat /Gefährdungsanalyseteam).

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7.2 Eine Angestelltenkampagne zu Arbeitszeiten ohne Endeaus Arbeit & Ökologe-Briefe Nr. 7, 1999

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Nicht zuletzt hat die Mobilisierungund der Widerstand in der Beleg-schaft dazu beigetragen, so die Ein-schätzung des Betriebsrats, dass dietarifliche Arbeitszeit nicht von 38 auf41 Stunden erhöht worden ist, wie esdie IBM-Geschäftsführung noch vor

zwei Jahren geplant hatte. Damalssollte nach dem Willen der Geschäfts-leitung der Begriff der allgemeinen ta-riflichen Regelarbeitszeit abgeschafftwerden und eine sogenannte indivi-duelle Regelarbeitszeit eingeführtwerden. Damit sollte die Arbeitszeit

der IBM-Beschäftigten irgendwo in ei-nem Korridor zwischen 19 und 42Stunden liegen.

“Weitere Forderungen der IBMwaren: Samstag als Regelarbeits-tag; für Mitarbeitergruppen einetarifliche Arbeitszeit von 45 Stun-den befristet auf zwei Jahre; Ab-schaffung der Zeiterfassung. Esging der IBM Geschäftsleitungalso darum, dass es kein ALLGE-MEINES Maß des Normalen mehrgeben sollte. Je nach Schwan-kungen der Auftragslage sollte of-fensichtlich die individuelle tarifli-che Arbeitszeit verändert werdenkönnen (und damit auch dasGehalt). Durch den Aktionsmonat(“Meine Zeit ist mein Leben”)stand das Thema der faktischenArbeitszeit im Blickpunkt der IBM-ler. Die Geschäftsführung warüberrascht, dass es den Kolleg-Innen nicht egal war, ob die tarifli-che Arbeitszeit bei 38, 41, oder 45Stunden liegen sollte. Die überzo-genen Forderungen der Ge-schäftsführung führten zu erbo-sten Mitarbeiter-Reaktionen. Esgelang geradezu, die IBM-Ge-schäftsführung in eine Defensivezu bringen – die öffentliche Be-handlung der Tariffragen wurdefür sie zu einem leidigen Thema.”(IG Metall 1999)

7.3 Eine Belegschaftsbefragungund ihre Folgen

Im Herbst 1999 führte der Betriebsratin der Kölner Niederlassung derParker-Hannifin GmbH eine Beleg-schaftsbefragung zum Betriebsklimaund zur Arbeitssituation der Be-schäftigten durch. Im Werk arbeiten115 Beschäftigte, die Hälfte davon imgewerblichen Bereich. Der Schwer-punkt der Produktion liegt in derHerstellung hydraulischer Zylinder. Inden letzten Jahren hat sich der BRimmer wieder schwerpunktmäßig mitden Arbeitsbedingungen an CNC-Werkzeugmaschinen und im Büro-bereich beschäftigt. Häufige Be-schwerden aus der Belegschaft rich-teten sich gegen das Verhalten derVorgesetzten, unzureichende Qualifi-zierungsmaßnahmen, mangelhafteBeteiligung bei der Einführung neuerMaschinen im Produktionsbereichbzw. neuer EDV-Systeme in der Ver-waltung, mangelhafte ergonomischeGestaltung der Arbeitsumgebungusw. In zahlreichen Verhandlungenmit der Betriebsleitung im Vorfeld derBefragung zeigte sich die Betriebs-leitung wenig kooperativ, in der Regelwurden die Vorwürfe bestritten, eineBereitschaft zu einer gemeinsamenStrategie war nicht erkennbar. Um nicht nur Einzelfälle und bestimm-te Gruppen aus der Belegschaft zuberücksichtigen, entschloss sich derBetriebsrat schließlich zur Durch-führung einer Fragebogenaktion. DieUmfrage wurde über einen Zeitraumvon mehreren Monaten vorbereitetund dabei u. a. ein auf den Betrieb zu-geschnittener Fragebogen entwickelt,der den Beschäftigten mit dem fol-genden Anschreiben zuging:

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An der Umfrage, diemit Unterstützung derIG Metall Verwal-tungsstelle und der“AG Befragungen imBetrieb” durchgeführtwurde, beteiligten sich68 von 100 Be-schäftigten, die der BRmit Fragebögen errei-chen konnte. DieRücklaufquote von68% ermöglichte es,aussagekräftige Aus-wertungen zurSituation im Betriebvorzunehmen. Überdie Ergebnisse infor-mierte der BR dieBelegschaft ausführ-lich u. a. auf einerBetriebsversammlung.

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Liebe Kollegin, Lieber Kollege,

bei der Umfrage des Betriebsrats zur Situation an Ihrem Arbeitsplatz und zumBetriebsklima hier im Werk Köln benötigen wir Ihre Unterstützung. Sie selbstkönnen Ihre Arbeitsbedingungen und auch Ihre persönlichen Arbeitsbelastun-gen am besten beurteilen. Ihre Meinung ist für uns auch wichtig, weil wir einmöglichst genaues Bild von der Arbeitssituation hier im Betrieb bekommen wol-len, um Probleme anpacken zu können. Die Befragungsergebnisse sollen dieBasis liefern, um positive Veränderungen dort einleiten zu können, wo siebenötigt werden.Selbstverständlich ist die Teilnahme an unserer Umfrage anonym und freiwillig.Die Durchführung der Befragung und die Auswertung der Fragebogen erfolgtausschließlich durch den Betriebsrat bzw. durch die beteiligten Wissenschaftler.Die Angaben zur Statistik dienen lediglich einer detaillierten Auswertung, dieebenfalls nur in anonymisierter Form durchgeführt wird, so dass keine Rück-schlüsse auf Einzelpersonen möglich sind.Wir bitten um eine rege Beteiligung. Wenn wir mit Ihrer Hilfe einen guten Rück-lauf der Fragebogen erreichen, können wir dem Arbeitgeber die Ergebnisse undunsere Forderungen fundierter darlegen. Wir freuen uns natürlich über Ihre Unterstützung –Ihr Betriebsrat

60,964

58,572

75,628

53,652

53,644

58,532

9,740

Arbeiter Angestellte

Zeitdruck/Termindruck

Schlechte klimat.Bedingungen

ständiges Stehen/Sitzen

zu knappe Per-sonalbemessung

ständigeKonzentration

Lärm

UngünstigeBeleuchtung

Frage 2 und 3:Welche Belastungen treten an Ihrem Arbeitsplatz auf?Die häufigsten Nennungen nach Arbeiter und Angestellte(n=68) Angaben in Prozent

Belegschaftsbefragung Betriebsrat Parker 1999Auswertung: AG BIB Köln

Im Anschluss an die Betriebsver-sammlung kam es zu Verhandlungenmit der Betriebsleitung. Erstmalsstimmte sie der Einrichtung einer Pro-jektgruppe zu, in der Vorgesetzte undBeschäftigte über weitere Maßnah-men u. a. zum Arbeits- und Gesund-heitsschutz beraten sollen. Aus heuti-ger Sicht zieht der Betriebsratsvor-sitzende Gerd Chudeck folgendesFazit:

“Die Belegschaftsbefragung warauf jeden Fall ein Erfolg. Das hatman nicht nur am Rücklauf gese-hen. Auch auf der Betriebsver-sammlung, wo wir die Ergebnissemit Folien usw. vorgestellt haben,hat man das gesehen. Es sind ei-gentlich noch nie soviele Fragengestellt worden oder Beiträge ausder Belegschaft gekommen, wieauf dieser Versammlung. Natürlichwar das ein jahrelanger Prozessauch im Vorfeld. Und der hat jetzt

dazu geführt, dass die Betriebs-leitung gemerkt hat, dass sie dawas tun muss. Also haben sie jetztendlich im gewerblichen Bereicheinige qualifizierte Facharbeitereingestellt, was wir seit Jahrenfordern und wo es immer hieß, wirfinden niemand. Dann haben sieim Bereich Ausbildung etwas ge-tan. Zur Zeit werden jetzt einigejüngere Kollegen in einem ande-ren Werk ausgebildet, die danndanach hier anfangen werden.Dann hat sich an den Arbeits-plätzen einiges getan, in punktoArbeitsschutz. Und alles das hatauf jeden Fall auch eine Ent-lastung für die Kollegen hier ge-bracht.Und die Projektgruppe ar-beitet ja noch weiter.”

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76,4

14,78,8

eher schlecht eher gut keineAngabe

Belegschaftsbefragung Betriebsrat Parker 1999Auswertung: AG BIB Köln

Frage 7:Wie schätzen Sie das betrieblicheAngebot zur arbeitsplatzbezogenenQualifizierung und Weiterbildung ein?(n=68) Angaben in Prozent

Zum Weiterlesen

• Rolf Satzer, Handbuch Beleg-schaftsbefragungen, Ein Ratgeberzur Durchführung betrieblicherFragebogenaktionen, Köln 1997(ISBN 3-7663-2744-5)

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8.1 Wo stehen wir heute?

Betriebsräte, Vertrauensleute undKollegInnen, die das Thema Stressund psychische Belastungen imBetrieb anpacken wollen, müssen sel-ber klären, was unter den jeweiligenVoraussetzungen sinnvoll und mach-bar ist. Selbstverständlich ist dieseAusgangssituation in Großbetriebenanders als in kleineren Betrieben. Esspielt eine Rolle, ob man sich einerkooperativen Betriebsleitung gegen-über sieht oder eher mit Konfliktenrechnen muss, ob Vorerfahrungenvorliegen, schon Gefährdungsbeurtei-lungen durchgeführt wurden usw.Und nicht zuletzt ist die Frage zuklären, welche inhaltlichen Schwer-punkte es betriebsbezogen zu behan-deln gilt.

Wie sieht es also im Betrieb mit Blickauf die psychischen Belastungenaus? Die Ausgangslage und das wei-tere Vorgehen lässt sich anhand drei-er Basisfragen in den Griff bekom-men:

1. Wo stehen wir heute?2. Wo wollen wir (bis wann) hin?3. Haben wir das Ziel erreicht? (Über-

prüfung und Kontrolle derAktivitäten)

Viele KollegInnen werden beim The-ma psychische Belastungen Neulandbetreten. Hier liefert nicht nur die vor-

liegende Broschüre erste Basisinfor-mationen. Erfreulicherweise gibt esseit kurzem eine Reihe von verständ-lichen Informationsmaterialien, kurzenInfoblättern, Checklisten, Fragebögenoder Broschüren – auch von der IGMetall – aus denen man sich zusätzli-che Anregungen und Hilfestellungenholen kann (siehe jeweils die HinweiseZUM WEITERLESEN). Noch wichtigeraber ist die direkte Unterstützungdurch die Aktivitäten in der Tatort-Kampagne gegen Stress. Hier werdennicht nur Informationsmaterialien vor-gelegt, sondern in den nächsten Jah-ren auch Seminare für interessierteBetriebsräte und KollegInnen ange-boten, Veranstaltungen auf Bezirks-ebene und in den Verwaltungsstellenorganisiert und selbstverständlich imLaufe der Aktion noch vielfältige di-rekte Unterstützungsangebote ent-wickelt werden. Wie schon bei denvorhergehenden Tatort-Kampagnenwerden die eigenen Aktivitäten imBetrieb Rückenwind erhalten, wennsich andere Betriebe in der Regionbeteiligen. Für die Betriebsräte unddie MacherInnen der Kampagne be-deutet das: Man muss nicht allesselbst und alleine machen. EineKampagne und die betrieblichen Akti-vitäten gegen psychische Belastun-gen und Stress sollen nicht selbst zurpsychischen Belastung werden oderzur Überforderung führen. Das solltebei der Beantwortung der folgendenFrage beachtet werden.

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8.8.HandlungsmöglichHandlungsmöglich--keiten im Betriebkeiten im Betrieb

8.2 Wo wollen wir hin?

Als zentrale Handlungsmöglichkeit inder Tatort-Kampagne wurde dieUmsetzung der Gefährdungsbeurtei-lung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz er-wähnt, die den Arbeitgeber verpflich-tet, auch psychische Belastungen zuermitteln (1. Schritt), zu beurteilen (2.Schritt) und Umsetzungsmaßnahmen(3. Schritt) abzuleiten. Der entschei-dende Punkt dabei: Die Gefährdungs-analyse muss unter Einbeziehung undBeteiligung der Beschäftigten durch-geführt werden, was für alle dreiSchritte gilt, die eine Einheit darstel-len. Es gibt eine Reihe von Gründen,die Gefährdungsbeurteilung und diehier bestehenden rechtlichen Mög-lichkeiten für Betriebsräte und Be-schäftigte in den Mittelpunkt derKampagne zu stellen:

● In vielen Betrieben sind die Arbeit-geber ihrer rechtlichen Verpflich-tung zur Gefährdungsbeurteilungund Umsetzung des Arbeitsschutz-gesetzes noch nicht nachgekom-men (Siehe Seite 42). Mit einer großangelegten Kampagne wird selbst-verständlich der Druck auf dieseArbeitgeber erhöht, insbesonderein kleineren Betrieben. Darüber hin-aus sind insgesamt die rechtlichenMöglichkeiten für Betriebsräte rela-tiv günstig, da auch die aktuelleRechtsprechung der Arbeitsgerich-te ein weitgehendes Mitbestim-mungsrecht des BR bei der Ge-fährdungsbeurteilung u. a. nach §87 BetrVG bestätigt.

● Es gehört zur Besonderheit psychi-scher Belastungswirkungen, dassalle Belastungsfaktoren (aus derArbeitsumgebung oder körperlicherArt ) auch psychische Folgewir-

kungen haben können. Betriebs-räte und Belegschaften ohneVorerfahrungen zum Thema psy-chische Belastungen können ggf.also auch über den Umweg einesBelastungsabbaus klassischerBelastungsfaktoren (zu dem oftauch rechtsverbindliche Normenzur Arbeitsgestaltung wie Grenz-werte und ähnliches vorliegen) denEinstieg ins Thema und in dieTatort-Aktion finden und im zwei-ten Schritt zu den psychischenBelastungen im engeren Sinn über-gehen. Auch der Abbau von Lärm-belastungen oder die Beseitigungvon Unfallgefahren baut Stress ab!

● Das Vorgehen im Rahmen der Ge-fährdungsanalyse (Gefährdungs-ermittlung, Beurteilung, Maßnah-menentwicklung) entspricht demallgemeinen Vorgehen betrieblicherPraktiker und Betriebsräte im Ar-beits- und Gesundheitsschutz. ImFall unkooperativer, uneinsichtigerBetriebsleitungen können Betriebs-rat und Belegschaft (unabhängigvon allen rechtlichen Schritten) die-se bekannten und bereits er-probten Verfahren – zum Beispielim Rahmen einer Belegschaftsbe-fragung – als eigenständige Aktion(wie im Fall Parker) durchführenund damit letztlich ebenso denDruck zur Umsetzung vom Maß-nahmen und zur Durchführung derGefährdungsbeurteilung durch denArbeitgeber erhöhen.

● In kleineren Betrieben kann eineGefährdungsanalyse auch mit ein-fachen Kurzfragebögen oderChecklisten durchgeführt werden.

Das Vorgehen gegen psychische Be-lastungen im Betrieb sollte im Rah-

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men der Tatort-Kampagne einer Dop-pelstrategie folgen. Einerseits kanndie im Arbeitsschutzgesetz festgeleg-te Gefährdungsbeurteilung genutztwerden bzw. auf die Ermittlung psy-chischer Belastungen gedrängt wer-den, andererseits kann - je nach Aus-gangslage und Schwerpunkt - mit ei-genständigen Aktionen des Be-triebsrats der Einstieg gefunden wer-den. Vielfach wird es darum gehen,das Thema zu eröffnen.

8.3 GefährdungsbeurteilungSchritt 1: PsychischeBelastungen ermitteln

Psychische Belastungen lassen sichim ersten Schritt der Gefährdungsbe-urteilung nach § 5 ArbSchG (soweitmit dem Arbeitgeber ein akzeptablesVerfahren vereinbart werden kann)oder im Rahmen einer Aktion des Be-triebsrats auf verschiedenen Wegenund mit unterschiedlichen Instrumen-ten ermitteln:

● Über schriftliche Befragungen: EinBeispiel stellt der abgebildeteFragebogen des BR bei Bertholddar

● Mit mündlichen Befragungen, z. B.im Rahmen von Gesundheits-gruppen, -zirkeln oder ähnlichenGruppen

● Mit Checklisten zur Analyse psy-chisch belastender Arbeitssitua-tionen

● Selbstverständlich können auchalle vorliegenden betrieblichenRoutinedaten ergänzend herange-zogen werden.

Vielfach wird bei der Gefährdungs-ermittlung sowohl eine Befragung derBeschäftigten als auch eine Fremd-beurteilung vorgenommen werden, z.B. gesteuert durch den ASA, imRahmen von Betriebsbegehungenoder durch Vorgesetzte. Die subjekti-ven Angaben der Beschäftigten wer-den dann mit den Ergebnissen derFremdeinschätzungen verglichen. Einderartiges Vorgehen, das auch imLeitfaden der Metallberufsgenossen-schaften vorgeschlagen wird, ist wie-derum nur sinnvoll, wenn sich BR undBetriebsleitung auf ein akzeptablesVerfahren einigen. Denn die anfallen-den Daten betreffen selbstverständ-lich die Arbeitsplätze und Arbeitsbe-reiche und sind möglicherweise aufPersonen rückführbar. Dies ist nurhinnehmbar, wenn ein abgesichertesVerfahren bzw. Vereinbarungen mög-lich sind. Prinzipiell sind Gefäh-rdungsermittlungen immer arbeits-platz- bzw. bereichsbezogen anzule-gen. Es geht also speziell bei derErmittlung psychischer Belastungenkeinesfalls um die Ermittlung persön-licher Verarbeitungs- und Bewäl-tigungsstile der einzelnen Mitarbeiter-Innen.

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Zum Weiterlesen

• Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin (Hrsg.),Ermittlung gefährdungsbezogenerArbeitsschutzmaßnahmen imBetrieb – Ratgeber – Dortmund /Berlin 1997 (ISBN 3-89429-836-7)

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Quelle: Bundeanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin 2000

Typischer Ablauf zur Ermittlung und Realisierung gefährdungsbezogener Arbeitsschutzmaßnahmen

Neben einfachen Ermittlungsmetho-den liegt auch eine ganze Serie wis-senschaftlicher Verfahren zur Gefähr-dungsbeurteilung vor. Diese Verfah-ren beinhalten in der Regel auch Be-fragungen der Beschäftigten, sindaber in der weiteren Analyse eher ex-pertenorientiert, d. h. ohne geschulteFachleute nicht durchführbar. Darü-ber hinaus gelten die meisten Verfah-ren aus Sicht betrieblicher Prak-tikerInnen als zu kompliziert und zeit-aufwendig. Resultate und Schlussfol-gerungen sind darüber hinaus für dieBeschäftigten nur schwer nachvoll-ziehbar. Im Regelfall werden derartigeVerfahren wohl hauptsächlich inGroßbetrieben eingesetzt, wo ent-sprechendes Personal zur Verfügungsteht. Ein flächendeckender Einsatzzur Gefährdungsbeurteilung in derMasse der Betriebe ist illusorisch. ImEinzelfall kann es aber sinnvoll sein,solche Verfahren zur Feinanalyse oderbei schwierigen Problemen einzuset-zen und ExpertInnen hinzuzuziehen.Prinzipiell sollten sie aber nur zumEinsatz kommen, wenn in den Ver-fahren die Einbeziehung und Mit-wirkung der Beschäftigten eine zen-trale Rolle spielt.

Gerade bei der Ermittlung psychi-scher Belastungen sind die Angabender Beschäftigten das wichtigste undunerlässliche Messinstrument. IhreMitwirkung und die Anerkennung vonBefragungen im Rahmen der Gefähr-dungsbeurteilung gehört zu den ar-beitswissenschaftlichen Standardsder Gefährdungsbeurteilung.

“Die Vertretungen der Beschäf-tigten bzw. wenn solche nicht vor-handen sind, die Beschäftigtenselbst sind vom Arbeitgeber zu al-len Maßnahmen zu hören, die

Auswirkungen auf ihre Sicherheitund Gesundheit haben (§§ 81, 82,89 BetrVG, § 14 ArbSchG). DieMitwirkung der Beschäftigten isteine wesentliche Voraussetzung,um Gefährdungen zu erkennenund realistisch zu beurteilen, so-wie um effektive Schutzmaßnah-men festlegen zu können, die vonden Beschäftigten akzeptiert undunterstützt werden.” (Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin, 1997)

Häufig werden den Betrieben compu-tergestützte Verfahren zur Gefähr-dungsbeurteilung angeboten, diesinnvoll sein können, aber auch nega-tive Wirkungen haben können, wieder Betriebsarzt der Continental AG inHannover feststellt:

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KeinePseudoanalysen

“Wir lassen uns nicht darauf ein,nur Pseudoanalysen zu machen,wie sie die EDV-Anbieter zum Teilanbieten. Für solche Gefähr-dungsanalysen werden ein paarDaten eingegeben, das Ergebnisist ein Stück Papier. Für dieGewerbeaufsicht oder auch fürandere wird dann ein saubererAktenordner – garantiert ohneEselsohr – aus dem Schrank ge-holt und präsentiert. Ich denke,auf solche Praktiken sollte sichauch ein Betriebsrat nicht einlas-sen.”(Dr. C.Sommer 1999, in HHVSSpringe, Hanover 1999)

PPraxis

8.4 Gefährdungsbeurteilung Schritt 2: Beurteilung der ermittelten Daten

Nach der Gefährdungsermittlung lie-gen wichtige Daten zumindest inForm einer Grobanalyse zur psychi-schen Belastungssituation vor. Wiekönnen diese Ermittlungsergebnissenun bewertet werden? Wann müssenMaßnahmen zur Minderung oder Ver-meidung von psychischen Belas-tungen eingeleitet werden? Wie schon erläutert wurde, gibt eszum Abbau psychischer Belastungenkeine in Normen oder Grenzwertenfestgelegten Schutzziele. Das resul-tierende Bewertungsproblem ist da-her aus arbeitswissenschaftlicherSicht durch einen Vergleich der ermit-telten Daten (IST-Zustand) mit demSOLL-Zustand (Vergleich mit gesi-cherten arbeitswissenschaftlichen Er-kenntnissen bzw. bewährten bzw. ge-sundheitsgerechten Lösungen undMaßnahmen) folgendermaßen zu lö-

sen:“Die von psychischen Belas-tungen herrührenden Gefährdun-gen können im Wesentlichen da-durch bewertet werden, dass maneinen Vergleich vornimmt zwi-schen der tatsächlichen Arbeits-situation (Ist-Zustand) auf der ei-nen und gesicherten arbeitswis-senschaftlichen Erkenntnissenüber ihr Gefährdungs- bzw. Schä-digungspotential sowie bekanntenoder bewährten gesundheitsge-rechten Lösungen (Soll-Zustand)auf der anderen Seite. Für dieBeurteilung des konkreten Hand-lungsbedarfs für Maßnahmen zumArbeitsschutz sind der Grad derpsychischen Beanspruchung so-wie die Möglichkeit gestalteri-scher Alternativen maßgebend. Jegrößer die Diskrepanz zwischenIst- und Soll-Zustand und jeschwerer die Beeinträchtigungenund Gefährdungen, umso größerist der Handlungsbedarf nachbelastungsreduzierenden Ge-staltungsmaßnahmen.” (Norddeutsche Metall-BG 1999)

Der Ratgeber der Bundesanstalt zurGefährdungsbeurteilung bietet hierzuein ähnliches, ebenfalls unkomplizier-tes Vorgehen, das den ermittelten Ist-Stand im Betrieb mit einer Negativ-liste vergleicht:

“Eine einfache Methode, die auchvon betrieblichen Nutzern ohnearbeitswissenschaftliche Vor-bildung zur Ursachenermittlungangewendet werden kann, ist derVergleich der Situation am Ar-beitsplatz mit den nachfolgendzusammengestellten ungünstigenMerkmalsausprägungen.” (Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin 1997)

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Zum Weiterlesen

• HHVS Springe (Hrsg.):Gefährdungsbeurteilung psychi-scher Belastungen, Doku-mentation zur Springer Wochezum Arbeits- und Gesund-heitsschutz, Hannover 1999

• IG Metall Bezirk NRW,Tagungsdokumentation “Stress im Betrieb”, Düsseldorf2000

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Aufgelistet werden Merkmalslisten zuden Bereichen Arbeitsorganisation,Arbeitszeit, soziale Beziehungen (Be-triebklima/Personalmanagement) undArbeitsumgebungsbedingungen. DieMerkmalsliste zur Arbeitsorganisation(hier bezogen auf Arbeitsteilung undArbeitstätigkeit) sieht beispielsweisefolgendermaßen aus (siehe unten undnächste Seite):

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Beurteilung der ArbeitsorganisationQuelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

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Wenn sich der ermittelte IST-Zustandpsychischer Belastungen mit diesennegativen Merkmalsausprägungendeckt, sind Maßnahmen zu ergreifen.Selbstverständlich handelt es sich da-bei um relativ allgemein formulierteZusammenhänge, die allerdings des-halb den Arbeitgeber nicht aus derVerpflichtung entlassen, Arbeits-schutzmaßnahmen zu veranlassen.Die Verantwortlichen können sich hierauch nicht darauf zurückziehen, dasses keine wissenschaftlichen bzw. “be-weisbaren” Zusammenhänge gebenwürde. Das beschriebene Verfahrenstellt den Stand arbeitswissenschaftli-cher Erkenntnisse dar und muss da-her zu Maßnahmen führen. DieBerurteilung - und damit eng verbun-den die abzuleitenden Maßnahmenzum Gesundheitsschutz - müssendenmach nicht auf den Aspekt desBeweises abzielen. Sie müssen der“Last der Vernunft” folgen, wie es derArbeitswissenschaftler Alfred Oppol-zer treffend formuliert.Beurteilung psychischer Belastungenund Maßnahmen müssen einem Ver-nunftsprinzip folgen. Eine Strategie,mit der man beispielsweise inLändern wie Dänemark oder Finnlandmit ebenso einfachen wie wissen-schaftlich abgesicherten Verfahrenbereits seit 20 Jahren in den Be-trieben erfoglreich gegen psychischeBelastungen vorgeht, anstatt endloseDiskussionen über Verfahren, Wis-senschaftlichkeit, Kosten, Zu-stän-digkeiten usw. zu führen wie hierzu-lande. Es geht auch anders. Und dasist beweisbar.

Im Vergleich mit anderen europäi-schen Ländern und den dort auchvom Staat eingesetzten finanziellenMitteln zum Gesundheitsschutz im

Bereich psychischer Belastungen undzur altersgerechten Arbeitsgestaltungkann man die reiche BundesrepublikDeutschland als “Gesundheitsschutz-Wüste” bezeichnen.

“Dänemark ist in wesentlich gerin-gerem Maße eine Test- und Nor-mungsgesellschaft. Die pragmati-sche Problemlösung hat einen ho-hen Stellenwert. In Deutschlandkommt es über Ideen, Konzepteund ausführlichen Diskussionensogar zu Normen, wie der DIN-Norm 33405 zu psychischenBelastungen. Aber was folgte dar-aus, wer arbeitet damit?” (Lißner 1993)

8.5 GefährdungsbeurteilungSchritt 3: Schutzmaßnahmengegen psychische Belastungen

Das Fehlen von Grenzwerten undNormen zur Vermeidung psychischerBelastungen führt zunächst auchdazu, dass die in bestehenden DIN-Normen enthaltenen Gestaltungslö-sungen sehr allgemein sind und weitausgelegt werden können. Die zeigtdie folgende Abbildung, in der die inEuropa gültige Norm mit beispielhaf-ten Gestaltungslösungen im Wortlautwiedergegeben wird (siehe nächste

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IG Metall 2000

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Seite):Trotzdem muss der Arbeitgeber,wenn in den Schritten 1 und 2 der Ge-fährdungsbeurteilung psychische Be-lastungen ermittelt und ihre Ursachenbewertet wurden, Massnahmen ein-leiten. Die betrieblichen Praxisbei-spiele haben gezeigt, dass dies unterschwierigen Umständen möglich istund erst recht bei einer möglichenKooperation zu weitgehenden Ver-besserungen führen kann. Jede kleineVerminderung und jede Reduzierungeinwirkender Belastungsfaktoren –gleich welcher Art - bedeutet einen fürdie Beschäftigten wichtigen Schrittzum Schutz vor Stress und anderenpsychischen Belastungen und ihrenFolgewirkungen. Zum Abbau psychi-scher Belastungen liegen durchaus

Gestaltungslösungen und Vorschlägevor, wie die folgenden Abbildungenzum Thema Stress oder Monotoniebeispielhaft zeigen (siehe unten linksund nächste Seite):

aus: IG Metall, Tagungsdokumentation 2000

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“Die Umsetzung der Ergebnisseaus den Gesprächen bzw. die sichergebenden notwendigen Ver-besserungen am Arbeitsplatz hatfür uns eine hohe Priorität. WennMängel festgestellt werden, mussdafür Sorge getragen werden,dass sie abgestellt werden. Dennnur so wird erreicht, dass dieGefährdungsanalysen nicht einneuer Quell von Frustrationenwerden. Es kann nicht Sinn derArbeit von Arbeitsschützern sein,dass die Mitarbeiter sagen, wasnicht in Ordnung ist, um dann hin-terher festzustellen, in einem hal-ben Jahr ist alles unverändert.”(Sommer, Continental AG 1999)

Gerade bei der Umsetzung von Maß-

nahmen greifen Mitbestimmungs-rechte des Betriebsrats. Und speziellhier ist die Beteiligung der Beschäf-tigten oberstes Gebot. Die Beschäf-tigten sind daher “bei der Umgestal-tung der Arbeitsplätze bzw. bei derAuswahl der Arbeitsmittel, der Ar-beitsstoffe, der persönlichen Schutz-ausrüstungen und bei der Durch-führung von Schutzmaßnahmen zubeteiligen” (Bundesanstalt für Arbeits-

aus: IG Metall, Tagungsdokumentation 2000

schutz und Arbeitsmedizin 1997). Bezogen auf ermittelte psychischeBelastungen aus dem Bereich Be-triebsklima und Personalmanage-ment, listet der Leitfaden der Bundes-anstalt Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin folgende

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Gestaltung des Betriebsklimasaus Leitfaden der Bundesanstalt Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Gestaltungshinweise auf.8.6 Eckpunkte für eine Betriebsver-

einbarung zur Gefährdungs-beurteilung unter Berücksich-tigung psychischerBelastungen

Das geschilderte Vorgehen im Rah-men der Gefährdungsbeurteilungpsychischer Belastungen kann in ei-ner allgemeinen Betriebsvereinbarungzur Gefährdungsbeurteilung festge-halten werden, die in speziellen Re-gelungspunkten auf die Ermittlungund Bewertung psychischer Belas-tungen sowie auf geeignete Umset-zungsmaßnahmen in diesem Bereicheingeht. Dabei geht es vor allem dar-um, die zuvor vorgestellten Instru-mente und Methoden zur Gefähr-dungsbeurteilung psychischer Belas-tungen konkret zu benennen und fest-zuschreiben (je nach betrieblicher Si-tuation können selbstverständlich inder Vereinbarung auch andere Ana-lyseverfahren als in den unten bei-spielhaft aufgeführten Eckpunktenkonkret benannt werden). Im Folgen-den werden hierzu ausschnittsweiseeinige zentrale Kriterien und Eckpunk-te aufgelistet, die auf die jeweils un-terschiedlichen Bedingungen zuge-schnitten werden müssen. Hierzuzählen:

1. Eine Gefährdungsbeurteilung istnur vollständig, wenn auch psychi-sche Belastungen berücksichtigtwerden!

2. Gerade bei der Ermittlung undBewertung psychischer Belas-tungen und der Ableitung geeigne-ter Maßnahmen ist die Beteiligungund Einbeziehung der Beschäftig-ten von besonderer Bedeutung!

3. Die abgeleiteten Maßnahmen sindim Sinn einer Erfolgskontrolle aufihre Wirksamkeit hin zu überprüfen!

4. Instrumente und Methoden zurErmittlung, Bewertung undAbleitung von Maßnahmen sindkonkret festzulegen!

5. Betrieblichen Praktikern, die für dieGefährdungsanalyse zuständigsind, muss die Teilnahme an geeig-neten Schulungs- und Qualifizie-rungsmaßnahmen ermöglicht wer-den!

Eckpunkte einer Betriebs-vereinbarung zur Gefährdungs-beurteilung:

Zwischen der Firma..........und dem Betriebsrat wird die folgen-de Betriebsvereinbarung zur Be-urteilung der Arbeitsbedingungen ab-geschlossen.

PräambelIn dieser Betriebsvereinbarung wer-den Grundsätze zur Gefährdungs-beurteilung nach § 5 Arbeitsschutz-gesetz (ggf. auch § 3 Bildschirm-arbeitsverordnung) festgelegt.Beide Parteien stimmen darin über-ein, dass eine erfolgreiche Um-setzung der Gefährdungsbeurteilungsowohl im Interesse des Unterneh-mens als auch der Beschäftigtenliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat sindsich darüber einig, daß die Gefähr-dungsbeurteilung auch den Bereichpsychischer Belastungen einschließtund eine erfolgreiche Gefährdungsbe-urteilung nur unter Beteiligung derBeschäftigten und mit einer an-schließenden Erfolgskontrolle möglich

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ist.1. GeltungsbereichDiese Betriebsvereinbarung gilt per-sönlich für alle MitarbeiterInnen imSinne des § 5 BetrVG. Sie umfasstfachlich alle Abteilungen und Kosten-stellen. Der räumliche Geltungsbereich um-fasst die Standorte .... der Firma ...

2. BegriffsbestimmungenUnter Gefährdungsbeurteilung wirdnach § 5 ArbSchG das Erkennen undBewerten der Ursachen von Unfällenund Gesundheitsbeeinträchtigungeninfolge der beruflichen Arbeit verstan-den. Sie hat das Ziel, Maßnahmen zurBeseitigung von Gefährdungen abzu-leiten....Psychische Belastungen werdennach DIN EN ISO 10075 Teil 1 als Ge-samtheit aller Einflüsse definiert, dievon außen auf den Beschäftigten zu-kommen und psychisch auf ihn ein-wirken.

3. GremienZur Durchführung der Gefährdungs-beurteilung wird ein betrieblichesAnalyseteam eingesetzt. Es bestehtaus zwei Vertretern der Geschäfts-leitung und zwei Vertretern des Be-triebsrats. Einzelne Mitarbeiter kön-nen ggf. hinzugezogen werden. Zuden Aufgaben des Analyseteams zäh-len insbesondere die Steuerung derdurchzuführenden Maßnahmen imRahmen der Gefährdungsbeurteilung,die Behandlung von Vorschlägen derMitarbeiterInnen, die Festlegung vonPrioritäten umzusetzender Maßnah-men, die Erfolgskontrolle der Maß-nahmen...

4. Methoden, Instrumente,DurchführungDie Gefährdungsbeurteilung umfasst

die drei Schritte der Ermittlung, Be-wertung und Maßnahmenableitung.Hierzu werden die folgenden Ver-fahren eingesetzt (ggf. können dieeinzelnen Methoden und Instrumenteim Anhang bzw. in einer Richtlinie zurVereinbarung genauer beschriebenwerden):

4.1 Ermittlung von psychischenBelastungenZur Ermittlung psychischer Belastun-gen wird der Fragebogen X einge-setzt, der von den Mitarbeitern nachbestem Wissen und Gewissen ohneNamensnennung ausgefüllt wird. DerFragebogen wird vom Analyseteam inanonymisierter Form nach vereinbar-ten Kriterien ausgewertet. Die Er-mittlung psychischer Belastungenwird durch den Einsatz der ChecklisteY im Rahmen einer Betriebsbegehungdes Analyseteams ergänzt. DieBegehung umfasst ggf. auch Ge-spräche mit MitarbeiterInnen...

4.2 Bewertung derErmittlungsergebnisseDie Bewertung der ermittelten Ergeb-nisse zur psychischen Belastungssi-tuation wird vom Analyseteam imRahmen eines IST-SOLL-Vergleichesvorgenommen. Beurteilungsgrund-lage sind die einschlägigen Gesetzesowie die gesicherten arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnisse und darausresultierende anerkannte und be-währte Lösungen. Das Analyseteamorientiert sich bei der Beurteilung anden Merkmalslisten der Bundesan-stalt für Arbeitsschutz und Arbeits-medizin...

4.3. Maßnahmen Nach den Schritten 4.1 und 4.2schlägt das Analyseteam Maßnah-men zur Beseitigung bzw. Verringe-

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rung der ermittelten und bewertetenpsychischen Belastungen vor. BeimVorschlag von Maßnahmen orientiertsich das Analyseteam an den Gestal-tungshinweisen des Ratgebers derBundesanstalt für Arbeitsschutz undArbeitsmedizin. Alle Maßnahmen zumArbeits- und Gesundheitsschutz un-terliegen der Mitbestimmung des Be-triebsrats und werden im Arbeits-schutzausschuss beraten. Im Rah-men der Maßnahmenumsetzung istdie rechtzeitige Beteiligung und Ein-beziehung der MitarbeiterInnen si-cherzustellen. In strittigen Fällen kön-nen sich die MitarbeiterInnen an dasAnalyseteam wenden, eigene Vor-schläge vorlegen und ggf. zu Sit-zungen hinzugezogen werden.

5. Zeitpunkt der BeurteilungDie Gefährdungsbeurteilung ist in re-gelmäßigen Abständen durchzu-führen, die vom Analyseteam festge-legt werden. Darüber hinaus ist dieGefährdungsbeurteilung bei neu ein-gerichteten Arbeitsplätzen vor derAufnahme der Tätigkeit als Vorfeldbe-urteilung durchzuführen sowie beiwesentlichen Änderungen der Ar-beitsbedingungen, Arbeitsumgebung,Arbeitsmittel und Arbeitsorganisa-tion...

6. ErfolgskontrolleDie Ergebnisse der Gefährdungsana-lyse, Maßnahmen und Überprüfungder Wirksamkeit werden im Daten-bankprogramm X dokumentiert. Überdie erfolgreiche Umsetzung der Maß-nahmen wird in regelmäßigen Ab-ständen im Analyseteam beraten. Zur

Beurteilung der Effizienz umgesetzterMaßnahmen wird die Befragung derBeschäftigten in Kombination mitdem Einsatz von Checklisten und Be-triebsbegehungen in angemessenenZeitabständen wiederholt und mit denErgebnissen der vorhergehendenErmittlung verglichen...

7. SachkundeDen mit der Durchführung derGefährdungsbeurteilung betrautenMitgliedern des Analyseteams ist ins-besondere im Bereich der Beurteilungpsychischer Belastungen die Mög-lichkeit zur Teilnahme an Schulungs-veranstaltungen und Seminaren zurErlangung der notwendigen Sach-kunde unter Berücksichtigung der be-trieblichen Belange zu gewähren...

8. Schlußbestimmungen,Inkrafttreten...

“Erschwerend für den betrieb-lichen Umgang mit Stresssind Managementstrategien,

die auf eine umfassende Nutzungmenschlicher Ressourcen abzie-len und zur Folge haben, dassMaßstäbe für” normale” (d. h. zu-mutbare) Arbeitsanforderungenund Arbeitszeiten verloren gehen;ferner Arbeitsplatzunsicherheit,zunehmende Konkurrenz unterden Beschäftigten und damit ver-bunden das Verschweigen vonProblemen und von gesundheitli-chen Beschwerden in der Arbeit.” (Ertel 2000)

In den vorhergehenden Kapiteln wur-de darauf verwiesen, dass neben vie-len einzelnen BelastungsfaktorenStress und psychische Belastungenauf einige zentrale Ursachenkomp-lexe in der Arbeitsorganisation, Ar-beitszeit, der Leistungsverdichtung,der Qualifizierung und neuen Arbeits-formen zurückzuführen sind, die mitden Managementstrategien der Un-ternehmen zusammenhängen. Tat-

sächlich gehen darin die Maßstäbe fürzumutbare Arbeitsbedingungen im-mer weiter verloren. Gerade deshalbsind auch kleine, punktuelle Maß-nahmen zum Stressabbau wichtig.Sie weisen gegen den scheinbar mo-dernen Trend in die richtige Richtung,sensibilisieren die KollegInnen, ma-chen Mut, sorgen für sozialeUnterstützung und verweisen letztlichauf die eigentlichen Ursachen. Im be-sten Fall sind diese ersten SchritteSand im Getriebe der Rationali-sierungs- und Produktionskonzepteund bringen eine weitergehendeDikussion über die Arbeitsver-hältnisse in Gang. Das Beispiel derKollegInnen bei IBM zeigte, dass manauch gegen Leistungsverdichtungund endlose Verlängerungen der Ar-beitszeiten etwas unternehmen kann.Abschließend sollen einige Anmer-kungen zu den Bereichen Qualifizie-rung, Alter und Gruppenarbeit aufderartige gangbare Wege hinweisen.

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9.9. Zentrale Ursachen Zentrale Ursachen psychischer psychischer Belastungen und Belastungen und Handlungs-Handlungs-möglichkeitenmöglichkeiten

9.1 Qualifizierung

Wenn sich bei der Analyse der be-trieblichen Situation herausgestellthat, dass psychische Belastungen inentscheidendem Maß durch einenicht ausreichende Qualifizierung derKollegInnen verursacht werden, soll-ten Betriebsrat und Belegschaft dieQualifizierungsthematik zu einemSchwerpunkt im Rahmen der Kam-pagne gegen Stress machen. Wiekann man hier vorgehen? Wie kannein Qualifizierungskonzept des BRaussehen, in dem speziell der Aspekteiner Belastungsreduzierung berück-sichtigt wird? Als Antwort auf dieseFrage wurde 1996 ein Handbuch zurbetrieblichen Ermittlung des Qualifi-zierungsbedarfs herausgegeben, dasBetriebsräten eine Reihe leicht hand-habbarer Instrumente zur Verfügungstellt. Dabei geht es in 4 Schritten um:

1. Die Beurteilung der bestehendenArbeitssituation undVerbesserungsvorschläge

2. Die Erstellung vonAnforderungsprofilen und dieErmittlung desQualifzierungsbedarfs

3. Vorschläge zuQualifizierungsmaßnahmen

4. Durchsetzung und Umsetzung vonMaßnahmen

Die Handlungshilfe geht davon aus,dass das Thema Qualifizierung auchzu einem Handlungsfeld für Beschäf-tigte werden muss, deren Einbezie-hung auch hier von entscheidenderBedeutung ist. Die zentralen Aus-gangspunkte verdeutlichen die Über-schneidung mit dem Thema psychi-sche Belastungen:

● Zwischen der erworbenenQualifikation und dem Schutz derGesundheit besteht ein unmittelba-rer Zusammenhang

● Der Wert der menschlichen Ar-beitskraft hängt in immer stärkeremMaß von der erworbenenQualifikation und von einer kontinu-ierlichen Weiterbildung ab

● Qualifikation und Entlohnung hän-gen unmittelbar zusammen

In der erwähnten Arbeitshilfe wird u.a. ein Verfahren zur Tätigkeitsanalysedurch Beschäftigte (TAB) entwickelt,mit dem eine Gruppe von Beschäf-tigten ihren Qualifizierungsbedarf er-mitteln kann (siehe Überblick nächsteSeite).

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Methode: „Tätigkeitsanalyse durch Beschäftigte (TAB)“

Ziel: Aktivierung einer Gruppe von KollegInnen, ihre Arbeits-situation zu überdenken und Alternativen mit dem Schwerpunkt Qualifizierung - besonders in Richtung Gruppenarbeit - zu erarbeiten und dabei den Qualifizierungsbedarf zu ermitteln.

Zielgruppe: Alle KollegInnen aus einer relativ eigenständigen Abteilung oder Arbeitsgruppe, in der noch arbeitsteilig gearbeitet bzw. mit der Einführung von Gruppen-arbeit gerechnet wird (oder die Belegschaft selbst einKonzept ”qualifizierte Gruppenarbeit“ anstrebt - Größenordnung ca. 10-12 KollegInnen)

Aufwand: Gruppenbesprechung: ca. 4 x 2 Stunden oder 1 Tag (Basisversion)

Material: - Fragebogen zur Arbeitsbewertung- Fragebogen zur Tätigkeitsanalyse durch Beschäftigte- Flip-Chart, Filzstifte- eine große Pinwand, Packpapier

Moderation: Betriebsrat oder externe Vertrauensperson

Vorgehen:

Phase 1 Beurteilung der bestehenden Arbeitsstunden,Bewertung der Arbeitstätigkeiten undVerbesserungsvorschläge

Phase 2 Ermittlung des QualifizierungsbedarfsErmittlung der Tätigkeitsanforderungen (Anforderungsprofile)Ermittlung vorhandener Qualifikationen (Qualifikationsprofile)Ermittlung fehlender Qualifikationen (Qualifizierungsbedarf)

Phase 3 Qualifikationsmaßnahmen vorschlagen

Phase 4 Durchsetzung und Umsetzung der Maßnahmen (in dervorliegenden Broschüre zur Bedarfsermittlung werden im Wesentlichen die Phasen 1 und 2 der Untersuchungsarbeitder TAB behandelt)

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Zum Einstieg wird dabei auch einFragebogen zur Arbeitsbewertungeingesetzt, der anhand von 5 Kriterien(von positiv bis negativ) eine einfache

Analyse der Arbeitssituation erlaubtund auch unabhängig von der TABzur Analyse psychisch belastenderArbeitsmomente einsetzbar ist:

Arbeitsbewertungsfragebogen

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Arbeitsbewertungsfragebogen

Der Bogen ist zum Einsatz in einerkleineren Arbeitsgruppe oder Abtei-lung gedacht und kann dann über ein-faches Ankreuzen, Erstellen einerStrichliste zur Auswertung und dieHervorhebung der 8 besten und 8schlechtesten Merkmale die Arbeits-situation kurz und knapp erfassen.

Die Behandlung des Themas Qualifi-zierung und Stress erlaubt es demBetriebsrat, auch über andere rechtli-che Möglichkeiten als die Arbeits-schutzregelungen vorzugehen undweitere Ansatzpunkte zu nutzen. Ne-ben tarifvertraglichen Regelungen(der LGRTV I für die Metallindustrie inNordwürttemberg-Nordbaden von1988 umfasst umfangreiche Rege-lungen zur betrieblichen Qualifizie-rungspolitik und zur Ermittlung desQualifizierungsbedarfs) ergeben sichweitere interessante Möglichkeitenaus den Zertifizierungsanforderungenund Auflagen, die immer mehr Unter-nehmen erfüllen müssen. Nach derEinführung der DIN ISO 9000, die einevereinheitlichende Qualitätsnorm fürderartige betriebliche Qualitätsstra-tegien darstellen soll, sehen sichmehr und mehr Betriebe gezwungen,unter dem Druck der Kunden und derherrschenden Konkurrenz- undMarktbedingungen eine Zertifizierungihrer Qualitätssicherungssystemenach diesen Normen vornehmen zulassen. Die Zertifizierung nach denEinzelvorschriften verlangt zwingendbeispielsweise:

● Einführung und Aufrechterhaltungvon Verfahren zur Ermittlung desSchulungsbedarfs

● Ausbildung aller Mitarbeiter, die mitqualitätsrelevanten Tätigkeiten be-traut sind

● angemessene Ausbildung für diespeziell zugeordneten Aufgaben

● Dokumentation sämtlicherSchulungen.

So gesehen entsteht für die Unter-nehmen seitens ihrer eigenen Ratio-nalisierungsstrategien der Zwang,den Qualifizierungsbedarf zu ermittelnund entsprechende Umsetzungsmaß-nahmen einzuleiten. Will der Unter-nehmer jedoch Mitarbeiter qualifizie-ren, greifen umfangreiche Informa-tions-, Beratungs- und Mitbestim-mungsrechte des Betriebsrats (beiFragen der Berufsbildung nach den§§ 96 - 98 BetrVG - bei Fragen derPersonalplanung nach § 92 BetrVG)mit Chancen, in den Prozeß einzu-greifen und der bloßen Ausrichtungan Unternehmensinteressen entge-genzutreten. Eine Reihe von Zertifizie-rungsauflagen verlangt darüber hin-aus die regelmäßige Ermittlung derArbeitszufriedenheit mit Betriebskli-ma-Analysen, was zum verstärktenEinsatz von Mitarbeiterbefragungendurch die Unternehmen geführt hat.Auch dies stellt sicherlich einen inter-essanten Ansatzpunkt dar, das The-ma psychische Belastungen über die-sen Umweg zu behandeln.

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Zum Weiterlesen

•IG Metall (Hrsg.), Handbuch zurbetrieblichen Ermittlung desQualifizierungsbedarfs, Frankfurt1996

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9.2 Gruppenarbeit

Neue Arbeitsformen wie Gruppenar-beit haben offensichtlich vielfachdazu beigetragen, die psychischeBelastungssituation zu verschärfen.Auch diese Problematik lässt sich inden Mittelpunkt einer Kampgane ge-gen Stress am Arbeitsplatz stellen.Aspekte der Qualifizierung für Grup-penarbeit werden in der oben er-wähnten Broschüre behandelt. EinenÜberblick zur Situation bei derGruppenarbeit kann man sich mit derfolgenden Checkliste verschaffen(siehe unten).

Die Alternative zu einer Form derGruppenarbeit, die als einseitiges Ra-tionalisierungsinstrument ausschließ-lich auf Effizienz und Leistungssteige-rung und damit auf Hochleistungs-gruppen zielt, besteht in einem Beleg-schaftskonzept ganzheitlicher Grup-penarbeit. In diesem Konzept ist aus-drücklich Platz für ältere oder auchgesundheitlich beeinträchtigte Kol-legInnen.

Risiken

Überforderung durch vergrößerteArbeitsinhalte

Integrationsprobleme vonEinzelnen

Hinausdrängen von „Schwachen“und „Älteren“

Einsatzprobleme aus gesundheit-lichen Gründen

Maßnahmen

Qualifikation unter Berücksich-tigung der Qualifikationsarbeit

Einsatzmöglichkeiten für nichtgruppenfähige Mitarbeiter planen

„Schwache“ und „Ältere“ in derLeitungsbemessung für die Grup-pe in Form einer Quote berück-sichtigen

Nicht jeder „macht alles“

Altersgerechte ArbeitsplatzstrukturGruppenarbeit

(Quelle: Sommer 1998)

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Checkliste psychischer Belastungen und Gruppenarbeit(Abbildungen aus IG Metall 2000)

9.3 AltersgerechteArbeitsbedingungen

Die Zusammenhänge zwischen derAltersentwicklung in der Gesellschaft,die zunehmend für älter werdendeBelegschaften sorgt, und der psychi-schen und physischen Belastungssi-tuation wurde zuvor ausführlich be-schrieben. Wenn in den Betriebenmehr über 50-Jährige als unter 30-Jährige arbeiten, dann erzwingt das

andere Arbeitsbedingungen, als sieheute üblich sind. Betriebe, die sichdarauf nicht einstellen, werden in dennächsten Jahren erhebliche Problemebekommen. Was kann aus Sicht derBelegschaften heute für eine altersge-rechte Gestaltung der Arbeitsbe-dingungen getan werden? Trotz einerschwierigen Ausgangssituation auf-grund der rechtlichen Gegebenheiten,die keine Unterschiede zwischen Al-ten oder Jungen machen, zeigen be-

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Checkliste psychischer Belastungen und Gruppenarbeit(Abbildungen aus IG Metall 2000)

triebliche Beispiele, das auch heuteschon gehandelt werden kann. Diefolgenden Hinweise hierauf verstehensich als Anregungen. Der Überblick zu den Maßnahmen zurSchaffung altersgerechte Arbeitsplät-ze resultieren aus den Erfahrungendes Betriebsarztes der ContinentalAG Hannover (Sommer 1998):

Um sich einen Überblick über dieSituation Älterer bzw. älter werdenderBelegschaften zu verschaffen, kannman sich an zwei Ausgangsfragen ori-entieren:

- Gibt es im Betrieb überhaupt noch60-Jährige oder über 60-Jährige?

- Was sind die konkreten Gründedafür, dass kaum noch Ältere imBetrieb sind?

Bei der Gestaltung altersgerechterArbeitsbedingungen, die durch dieAltersentwicklung in der Bevölkerungerzwungen werden wird, müssen sichdie Akteure des Arbeits- und Gesund-heitsschutzes umorientieren. Dabeisind die folgenden Anmerkungen ausbetriebsärztlicher Sicht beden-kenswert:

“Ich will nachdrücklich darauf hin-weisen, dass es bei der altersge-rechten Arbeit um tägliche Leis-tungsreduzierung geht. DieserGrundsatz ist in den von IG Metallund IG BCE abgeschlossenenVereinbarungen zur Altersteilzeitüberwiegend nicht berücksichtigtworden, vielmehr verstoßen diesez. T. massiv dagegen. Im Grund-gedanken sollte ein gleitender

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Maßnahmen zur Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze

1. Als erster Schritt müssen alterskritische Tätigkeiten bzw. Arbeitsplätze iden-tifiziert werden.

2. Aus der betrieblichen Praxis sind verschiedene Maßnahmen zur Schaffungaltersverträglicher Arbeitsbedingungen (stichwortartig) zu nennen:

a) Technisch gestalterische Maßnahmen:- Reduzierung der körperlichen Belastung durch ergonomische

Verbesserungen, insbesondere Verringerung bzw. Entschärfung vonHebearbeit

b) Organisatorische Maßnahmen:- Umsetzungsplanung/Laufbahnplanung, Umschulung- tägliche Leistungsreduzierung, tägliche Arbeitszeitverkürzung- Herausnahme aus der Nachtarbeit- geänderte Pausenorganisation- altersverträgliche Gruppenarbeit

a) Individuelle Maßnahmen:- Rückenschule, Gymnastik am Arbeitsplatz, individuelle

Schulungsmaßnahmen

Auslauf aus dem Arbeitsleben er-reicht werden. Die Vereinba-rungen haben aber de facto, nichtkomplett, eine Vorruhestandsre-gelung zur Folge. Der Arbeitneh-mer macht so weiter, als ob nichtswäre – als ob er noch zwanzigJahre alt wäre – und hört dannschlagartig auf. Das ist aus medi-zinischer Sicht keine wünschens-werte Lösung.” (Dr. C. Sommer,Betriebsarzt, Continental AG,1999)

Welche Effekte mit einer altersgerech-ten Arbeitsplatzgestaltung erreichtwerden können, beweisen einige derganz wenigen betrieblichen Modell-projekte, die in Deutschland hierzudurchgeführt wurden. Eines dieserProjekte wurde im Bereich des öffent-lichen Nahverkehrs in Nürnberg fürdie Berufsgruppe der Beschäftigtenim Fahrdienst durchgeführt. Bus- undStraßenbahnfahrer gelten als einehochbelastete Berufsgruppe, mit ho-hem Krankenstand und hohen Früh-verrentungsquoten. Die über mehrereJahre durchgeführten Maßnahmen fürdie Fahrer umfassten Seminaran-gebote zur Stresssituation, aber auchAngebote zur Qualifizierung, derDienstplangestaltung und ergonomi-sche Maßnahmen, die zur Ent-wicklung eines neuen Fahrerarbeits-platzes genutzt wurden. ZentralerBestandteil der Maßnahmen war eineArbeitszeitverkürzung für ältere Fah-rer. Fazit:

“Eine Analyse der Arbeitsunfähig-keitsdaten fünf Jahre später ergabein überraschendes Ergebnis.Statt 49 Kalendertagen krank-heitsbedingter Fehlzeiten, wie siefür die Gruppe der über 55-Jähri-gen im Unternehmen zu beobach-

ten ist, nahmen die Fehlzeitendeutlich ab und betrugen nurnoch 27 Tage im Jahr.

Wir sind in unserem Betrieb die-sen Weg gegangen und konnteneine spürbare Verringerung derBefindlichkeitsstörungen bei älte-ren Mitarbeitern erreichen. Zwi-schenzeitlich wissen wir, dassdurch die deutlich reduziertenkrankheitsbedingten Fehlzeitenund eine Abnahme der Fahr-dienstuntauglichkeit diese Maß-nahme nicht nur wirksam für denGesundheitsschutz war, sondernauch zu einer deutlichen Kosten-ersparnis für das Unternehmengeführt hat.” (Ell 1995)

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Die bis hierhin dargestellten Aus-sagen zu psychischen Belastun-gen führen zusammenfassend

zu Anforderungen an die folgendenZielgruppen:

- Arbeitgeber- Beschäftigte und Betriebsräte- Berufsgenossenschaften und

Krankenkassen- Gesetzgeber (Aufsichtsbehörden)

und Wissenschaften

Anforderungen an die Arbeitgeber:Nach Gesetzen handeln!

Die Arbeitgeber sind für die Umset-zung der Regelungen aus dem neuenArbeitsschutzgesetz von 1996 - unddamit auch für den Gesundheits-schutz der Beschäftigten gegenüberpsychischen Belastungen - verant-wortlich. Rund vier Jahre nach Inkraft-treten des ArbSchG verfügt aber ersteine Minderheit von Betrieben übereine vollständige Gefährdungsanaly-

se, die auch psychische Belastungeneinschließt. Die Arbeitgeber müssenihrer gesetzlichen Verpflichtung nach-kommen. Eine ernstzunehmende Be-urteilung der Arbeitsbedingungen be-zogen auf psychische Belastungenschließt die Beurteilung des Gesamt-zusammenhangs der von den Arbeit-gebern verfolgten Arbeits- und Pro-duktionskonzepte, von Technikein-satz, Arbeitsorganisation, betriebli-cher Qualifizierungs- und Leistungs-politik sowie Arbeitszeitregelungenein. Gerade aus den aktuellen Kon-zepten der Arbeitgeber resultierenaber in starkem Umfang nicht nurpsychische Belastungen, sondernvielfältige neue Zumutungen undMaßlosigkeiten im Arbeitsalltag, wieüberlange Arbeitszeiten oder die ge-zielte Förderung eines erbarmungslo-sen Gegeneinanders und zunehmen-den Konkurrenzdrucks in den Beleg-schaften. Derartige Konzepte verstos-sen gegen die gesetzliche Vorgabe ei-ner menschengerechten Arbeitsge-staltung und die Verpflichtung derArbeitgeber, den Gesundheitsschutz

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10.10. Standpunkte: Standpunkte: AnforAnforderderungenungen

an den Arbeits- undan den Arbeits- undGesundheitsschutz beiGesundheitsschutz beipsychischen Belastungenpsychischen Belastungen

der Beschäftigten zu gewährleistenund dürfen demzufolge nicht weiter inden Betrieben umgesetzt werden.

Anforderungen an Beschäftigteund Betriebsräte: Die Beteiligung organisieren undsoziale Unterstützung undEngagement mobilisieren!

Das neue Arbeitsschutzgesetz bietetBetriebsräten und Beschäftigten erst-mals eine wirksame Handhabe, umgegen psychische Belastungen imRahmen des gesetzlichen Arbeits-und Gesundheitsschutzes vorzuge-hen. Praktische Arbeits- und Hand-lungshilfen liegen vor. Die Betriebs-räte sind hier gefordert, bestehendeMitbestimmungsrechte und geltendegesetzliche Regelungen zu nutzen,um vor allem die Umsetzung der Ge-fährdungsbeurteilung unter Berück-sichtigung psychischer Belastungendurchzusetzen. Eine besondere Rollespielt gerade bei psychischen Belas-tungen die Einbeziehung und Betei-ligung der Beschäftigten. Sie mussvon Betriebsräten einerseits imVorgehen gegen psychische Belas-tungen angelegt werden. Andererseitskommt den Beschäftigten selbst ineiner Kampagne gegen psychischeBelastungen die wichtigste Rolle zu.Nur wenn von dieser Seite die not-wendige Mobilisierung und der Druckaus den Betrieben hergestellt wird,wenn Beteiligungs- und Einflussmög-lichkeiten wahrgenommen werden,können gesetzliche Schutzregelungenletztlich durchgesetzt werden. Be-triebsräte und Beschäftigte könnendarüber hinaus die wichtigste Res-source, das zentrale Hilfsmittel gegenpsychische Belastungen im Arbeits-alltag herstellen, indem sie soziale

Unterstützung für ihre KollegInnenmobilisieren, gerade auch fürschwächere Belegschaftsgruppen, fürgesundheitlich beeinträchtigte oderältere KollegInnen. Jede und jederkann auch ganz persönlich im rauherwerdenen Arbeitsalltag etwas tun, in-dem gegen unerträgliche Zumutun-gen, Mobbing, sexuelle und rassisti-sche Belästigungen oder Angriffe vor-gegangen und gegen eine zunehmen-de Entsolidarisierung gehandelt wird.Niemand sollte sich in einer Kampag-ne gegen psychische Belastungenüberfordern. Auch erste, kleine Schrit-te tragen zum Erfolg und zu einemwichtigen Abbau von Belastungen beiund erhalten Gesundheit.

Anforderungen an Berufsgenos-senschaften und Krankenkassen: Das Thema aufgreifen und in derPrävention zusammenarbeiten!

Zu berücksichtigen ist hier der erwei-terte Präventionsauftrag der gesetzli-chen Unfallversicherung (SGB VII),der im Rahmen der Zuständigkeit fürdie Verhütung “arbeitsbedingter Ge-sundheitsgefahren” auch den Komp-lex der arbeitsbedingten Erkrankun-gen umfasst, die erstmals im Arbeits-sichergesetz Erwähnung fanden (§3,Absatz 1, Nr. 3c ASiG). Da dieseErkrankungen zumindest von psychi-schen Belastungen mit verursachtwerden können, müssen sich die Be-rufsgenossenschaften auch mit derVerhütung dieser arbeitbedingten Ge-sundheitsgefährdung stärker be-schäftigen und Gegenmaßnahmenentwickeln. Dabei sollen sie mit denKrankenkassen zusammenarbeiten,die sich im Rahmen ihrer Aktivitätenim Bereich betrieblicher Gesundheits-förderung ebenfalls mit psychischen

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Belastungen beschäftigen sollten(etwa im Rahmen betrieblicher Ge-sundheitszirkel und ähnlichem). Ne-ben der Entwicklung geeigneter pra-xisnaher Handlungshilfen und derUmsetzung auch regionaler Schwer-punktkampagnen zur Gefährdungs-beurteilung müssen die angesproche-nen Akteure auch ihr eigenes Per-sonal bezogen auf den Komplex psy-chische Belastungen qualifizieren.Speziell die Krankenkassen müssenihr Engagement in der betrieblichenGesundheitsförderung ernst nehmenund praxisnahe Konzepte zum Bei-spiel in Richtung von Gesundheits-gruppen für ältere Beschäftigte ent-wickeln. Die vielfältigen Angebote(etwa Borschüren oder Seminare) fürUnternehmen und Vorgesetzte müs-sen dringend ergänzt werden durchqualifizierte Angebote für die Be-schäftigten bzw. die Masse der Mit-glieder der Kassen. Nicht zuletzt soll-ten die Krankenkassen im Rahmen ih-rer Konzepte betrieblicher Gesund-heitsförderung auf angebotene Maß-nahmen zu Krankenrückkehrgesprä-che verzichten, mit denen vielfach zu-sätzliche psychische Belastungen ge-schaffen werden.

Anforderungen an denGesetzgeber (Aufsichtsbehörden,Wissenschaften):Die Gefährdungsbeurteilung undWirksamkeit der Arbeitsschutz-gesetze kontrollieren - praxisbezo-gene, umsetzungsorientierteForschung veranlassen!

Eine wichtige Rolle bei der Umset-zung von gesetzlichen Regelungenund resultierenden Maßnahmenkommt den staatlichen Aufsichtsbe-hörden zu. Allerdings ist hier eine

Tendenz zu registrieren, nach der sichGewerbeaufsicht bzw. die Ämter fürArbeitsschutz aufgrund der schwieri-gen Ausgangslage und fehlender Nor-men und Grenzwerte eher in eine pas-sive, abwartende Position begeben.Von dieser Seite ist z. B. zu hören,man könne die Arbeitgeber nichtzwingen, Arbeitsabläufe weniger mo-noton zu gestalten oder mehr Per-sonal einzustellen. Derartige Ein-schätzungen stellen eine “Steilvor-lage” für die Arbeitgeberseite dar,nach deren Meinung das Problempsychischer Belastungen am Arbeits-platz ohnehin nicht auf die Tages-ordnung gehört. Allerdings sind staat-liche Aufsichtsbehörden nicht dazuda, als alternative Unternehmens-berater aufzutreten. Wenn eine Ge-fährdungsermittlung feststellt, dassmonotone Arbeitsbedingungen zuernsthaften Gesundheitsgefährdun-gen führen können, dann müssen –auch bei fehlenden Grenzwerten fürMonotonie, die es nie geben wird –Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffenwerden. Fehlt dem Arbeitgeber dasSachwissen zur Arbeitsgestaltung,sind Experten hinzuzuziehen. Unter-bleiben derartige Aktivitäten undGestaltungsmaßnahmen, dann stelltdies einen Verstoß gegen geltendesRecht dar. Auch darauf sollte man dieArbeitgeber “hinweisen”. Ohne Zwei-fel können Aufsichtsbehörden keineweitergehenden Veränderungen derArbeitsorganisation, veränderte Ma-nagementstrategien oder Personal-einstellungen einfach “erzwingen”.Sie könnten aber beispielsweise dafürsorgen, dass Gefährdungsbeurtei-lungen nicht nur in einer Minderheitvon Betrieben überhaupt durchge-führt werden. Staatliche Förderung umsetzungsori-entierter Forschungsprogramme ist

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unverzichtbar. Das gilt generell fürden Komplex psychischer Belas-tungen und speziell für Konzepte zueiner altersgerechten Arbeitsgestal-tung. Praxisorientierte Lösungen füreine Arbeitswelt mit immer älter wer-denden Menschen sind dringend er-

forderlich. Die Bundesrepublik hinkthier dem Stand der Forschung undUmsetzung im Vergleich zu andereneuropäischen Ländern wie Dänemarkoder Finnland um mindestens einJahrzehnt hinterher.

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ZumZum SchlussSchluss

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